"Dr._Denis_Gruber_-_Soziologie_des_Alltags_

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„Zur Soziologie des Alltags:
Lebensführung in der
Sowjetunion und im
heutigen Russland.“
Religion in
Russland
Ausgewählte geschichtliche Einflüsse
• Kiever Rus
• Iwan der Dritte als Gründer von Moskauer Rus
• Iwan der Vierte (Schreckliche) und das Tor
nach Osten
• Peter der Große und das Tor gen Westen
• Lenin und das sozialistische Experiment
• Perestroika und Glasnost von Gorbatschow
• Putin und die Wiederbesinnung auf Religion
Kiewer Rus
• große historische Bedeutung hatte die 988
vom Fürsten Wladimir Swjatoslawitsch (dem
Heiligen) angeregte Christianisierung Rußlands
Herausbildung des russischen Staatswesens
Entwicklung der Bildung und Kultur
Festigung der geistigen und moralischen
Stützen des Daseins des Volkes
Nach der Vernichtung der Kiewer Rus durch
die Mongolen übersiedelte der Kiewer
Metropolit im 14. Jahrhundert zunächst nach
Wladimir, dann 1328 nach Moskau
Iwan der Dritte als Gründer von
Moskauer Rus
• Iwan III. (1462-1502) – der erste Herrscher
über ganz Russland – hat russische
Fürstentümer vereint und die Hauptstadt
Moskau aufgebaut
• er griff auf die Hilfe ausländischer Ingenieure
und italienischer Architekten zurück
Iwan der Vierte (Schreckliche) und das Tor nach
Osten
• Iwan der Vierte, der Schreckliche (1533- 1584),
hat die Schlacht gegen die Tataren in Kazan
gewonnen und die Ausdehnung des russischen
Staates nach Sibirien ermöglicht
• 1582 erfolgte die vollständige Eroberung Sibiriens
Spaltung der Orthodoxie
• im 15. Jahrhundert löste sich die Russisch-Orthodoxe Kirche
endgültig vom der Griechisch-Orthodoxen Patriarchat in
Konstantinopel und errichtete 1589 ein eigenes Patriarchat
• Zar Peter der Große hob das Patriarchat auf und setzte 1721
statt dessen einen Synod an die Spitze der Kirche
• Im Zarenreich gab es strenge Vorschriften für die Anhänger
der russischen Orthodoxie (kein Konfessionswechsel, keine
Heirat mit „Nichtchristen“)
Lenin und das sozialistische Experiment
• totalitäre Diktatur der KPdSU 1917-1985
• Staatseigentum, Planwirtschaft,
kommunistische Ideologie, KGB, Propaganda,
• Einschränkung religiöser Freiheiten und
Zerstörung vieler kirchlicher Einrichtungen
• aber: zentrale Rolle der Orthodoxie im Zweiten Weltkrieg
Orthodoxie im Kommunismus
• Unterdrückung der russisch-orthodoxen Kirche, da sie als
Symbol für die zaristische Monarchie galt
• Zwischen 1918 und 1939 wurden ca. 40.000 orthodoxe
Geistliche ermordet
• während es 1917 noch 77.800 Gemeinden gab, wurden 1941
nur noch etwa 3.100 gezählt.
• völlige Vernichtung der Religion, die in allen 20er und 30er
Jahren eines der wichtigen Ziele von GPU-NKWD gewesen
war, konnte in diesem Land nur durch die massenhafte
Verhaftung der orthodoxen Gläubigen erreicht werden
• religiöse Erziehung von Kindern wurde in den 20er Jahren als
eine Straftat, das heißt als konterrevolutionäre Agitation
qualifiziert!
Orthodoxie im Kommunismus
• Nach der Machtergreifung durch die Bolschewiken Emigration
vieler Gläubiger und Geistlicher der Russisch-Orthodoxen
Kirche ins Ausland
• Gründung Russisch-Orthodoxer Auslandskirchen mit eigener
Verwaltung
• 1927 endgültige Loslösung von der Mutterkirche los, nachdem
Patriarch Sergij seine Loyalität zur kommunistischen
Regierung erklärt hatte, die jedoch durch die die
Auslandskirchen nie als rechtmäßig anerkannt wurde
• Spaltung war daher nicht religiös bedingt, sondern politisch
• ungeklärte Frage: War die Loyalitätserklärung von Patriarch
Sergij der Versuch, die Kirche, ihre Gläubigen und Geistlichen
vor Verfolgung und Zerstörung durch die Kommunisten zu
bewahren?
Orthodoxie im Kommunismus
• 1943 veränderte Stalin seine Grundeinstellung zur
Kirche
• Treffen mit drei orthodoxen Führern (einziges Treffen
der Staatsführung mit Kirchenoberhäuptern bis
1988)  versprach materielle Hilfe und Duldsamkeit
 aber: pragmatische Gründe: Unterstützung bei
der Organisation der Abwehr der deutschen Armee
• Nach dem Krieg: Religion als ein "Überbleibsel der
Vergangenheit“ denunziert und weitgehende
Ausschaltung religiöser Belange in der Sowjetunion
Symbole der Orthodoxie
• Besondere Charakteristika des orthodoxen
Christentums sind Ikone und die Ikonenmalerei
• Regeln der Ikonenmalerei der orthodoxen Kirche
haben sich in dem letzten Jahrtausend nicht verändert
• Aber: Anpassung an den jeweiligen Geschmack der
Zeit möglich
• ›Icon‹ ist ein griechisches Wort: Bild, Abbild
• Ikonen waren im 8. und 9. Jahrhundert zeitweise
verboten
• Ikonen sind integrative Bestandteile der Orthodoxie
Ikonen und Ikonostasen
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•
Ikonen werden nicht gemalt, sondern geschrieben
Ikonen werden nicht betrachtet, sondern gelesen
Ikonen vermitteln einen theologischen Inhalt
Auf den Spruchbändern sind oft die Namen der
dargestellten Heiligen oder Ereignisse vermerkt
insgesamt gibt es ca. 2000 Typen von Ikonen in
unterschiedlichster Ausführung
Sehr verbreitet sind Darstellungen der Gottesmutter
Berühmte ›Gottesmutter von Vladimir‹ wird in der
Moskauer Tretjakov Galerie aufbewahrt
Ikonenwände (Ikonostas) trennen in den Kirchen den
Gemeindesaal vom Altarraum
Orthodoxie im Postkommunismus
• Gewissensfreiheit und Glaubensfreiheit
• Gläubige erhielten die Möglichkeit, ungehindert und ohne
jegliche Beschränkungen ihre Gemeinschaften zu gründen
• Herausgabe religiöser Literatur
• Restauration von Gotteshäusern und Bau neuer orthodoxer
Kirchen
• Aber auch: moslemische Moscheen, katholische Kirchen,
jüdische Synagogen und buddhistische Dazane
• Wiederaufnahme der Arbeit von Klöstern
• Eröffnung geistlicher Akademien und Seminare,
Pastorenlehrgänge und anderer Lehranstalten, in denen
Geistliche ausgebildet werden.
Orthodoxie im Postkommunismus
• Einrichtung von Sonntags-, Gemeinde- und
Klosterschulen
• Schaffung von orthodoxen Kindergärten und
orthodoxen Gruppen in staatlichen
Kindergärten
• Mittlerweile 40 orthodoxe allgemeinbildende
Schulen und Gymnasien, zwei orthodoxe
Universitäten und eine Hochschule für
kirchliche Journalistik
Orthodoxie im Postkommunismus
• in Russland ca. 9000 religiöse Vereinigungen
eingetragen, die mehr als 40 Konfessionen vertreten
• Deutliche Zunahme der Kirchgänger im Vergleich zur
kommunistischen Periode
• soziologische Studien, aus den Jahren 1993-1997,
heben das Verebben der verhältnismäßig großen
Begeisterung für die Religion, die in den Jahren 19861992 zu beobachten war, hervor
• aber immer noch fehlen glaubwürdige Statistiken
über die Zahl der Gläubigen, denn in Kirchen wird
keine Erfassung bzw. Registrierung der
Gemeindemitglieder vorgenommen
Zur Bedeutung des Islam in Russland
• Islam ist die zweitgrößte Religion in Russland
• Hauptzentren sind Tatarstan, Baschkirien und einige Regionen des
Kaukasus
• islamische Architektur in Russland umfasst prachtvolle Moscheen:
größten und schönsten von ihnen befinden sich in Kasan
• Kasan steht exemplarisch für die Koexistenz von orthodoxer
russischer Kirche und aufgeklärtem Islam auf der Basis eines
gleichberechtigten Zusammenlebens von russisch-slawischer und
tatarisch-mongolischer Bevölkerung
• Kasan wurde nach seiner Eroberung Kasans durch die Truppen Iwans
des Schrecklichen (1552) zum Zentrum der islamischen Enklave
Rußlands
• rund vier Millionen Muslime leben heute in Tartastan
Weitere Religionen in Russland
• Auch Katholizismus, Protestantismus,
Judentum und Buddhismus haben das
religiöse Leben in Russland beeinflusst
• Die meisten religiösen Bauten des
Buddhismus hauptsächlich im Osten von
Russland: Burjatien
• Kaliningrad: Sehenswürdigkeiten des
Katholizismus, aber auch katholische
Kirchengemeinde der Heiligen Mutter Gottes
in Nischni Nowgorod
Neueste Tendenzen in der RussischOrthodoxen Kirche
• 2007 Treffen der obersten Vertreter der Russisch-Orthodoxen Kirche und
der Russisch-Orthodoxen Auslandskirche, Patriarch Alexij II. (rechts) und
Metropolit Lavr
• Unterzeichnung des Akts über die kanonische Gemeinschaft, der die 80
Jahre lang gespaltene Russisch-Orthodoxe Kirche wieder vereint.
Rolle der Religion im AlltagInterviewauszüge aus der Dissertation
• Glaube an Gott und die damit einhergehende konfessionelle
Bindung spielt eine wichtige Rolle für Russen in Estland
„Und eine interessante Sache war, als die Perestroika in der
Sowjetunion begann und die Sowjetzeit endete. Wir gingen
hier alle zur Kirche. Im Sozialismus haben wir doch an etwas
geglaubt, an die kommunistische Idee. Aber an was sollten wir
glauben als die Sowjetunion verschwand? Ich begann, an Gott
zu glauben und jetzt gehe ich immer in die Kirche. Früher als
Jugendlicher und junger Mann habe ich doch daran nie
gedacht. Du weißt doch was Marx sagte, Religion ist das
Opium des Volkes. Wir glaubten doch an Lenin, Marx und
Engels. Und schon im Unterricht in der Schule wurden uns
doch die Beweise gegeben, dass es dort oben keinen Gott
gibt.“ (Interview 14)
„Die Kirche hilft und gibt Hoffnung. Ich gehe dorthin und
bete um meine Sorgen und fühle, dass meine Sorgen
erhört werden. Ob es stimmt oder nicht, ich weiß es
nicht. Kirche ist für mich kein Ersatz für Sozialismus, so
denke ich nicht. Vielleicht habe ich etwas Neues
entdeckt, was mir hilft. Wenn ich dort bin und bete und
meine Sorgen anspreche, merke ich, dass es mir besser
geht, denn es gibt auf dieser Welt viel größere Probleme
als die meinen. Wenn ich aus der Kirche komme, bin ich
ganz ruhig und glaube, dass es mir ganz gut geht (…)
Heutzutage gehen sehr viele Einwohner zur Kirche.
Nicht nur die älteren Russen, sondern auch Jüngere (…)
Man kann wirklich sagen, dass die Orthodoxie eine
große Rolle in unserem Leben spielt.“ (Interview 14)
„Wir Russen feiern russische Weihnachten im Januar
und nicht wie die Esten im Dezember. Wir werden
Weihnachten immer im Januar feiern. Russische
Weihnacht existiert in diesem Staat formell nicht,
aber wir feiern es trotzdem, das ist unsere Tradition
(…) Für uns bleibt das Neujahrsfest weiterhin das
größte Fest. Wir feiern und unsere Kinder auch. Wir
feiern auch swiaki, das ist zwölf Tage nach
Weihnachten. Das ist wie Karneval, wir ziehen uns
verschiedene Kostüme an und haben einen schönen
Tag. Und auch die anderen Feiertage behalten wir
hier bei, wie zum Beispiel das russische Osterfest.“
(Interview 37)
Lebensführung
und
Arbeitslosigkeit
Abeitslosigkeit
• Als Arbeitslosigkeit bezeichnet man das Fehlen bezahlter
Beschäftigungsmöglichkeiten für potenzielle
Erwerbspersonen
• Arbeitslosigkeit ist nicht nur für die direkt Betroffenen ein
Problem, sondern auch für Familie, Freunde und Bekannte
• Arbeitslosigkeit verursacht in vielen Ländern auch hohe
ökonomische und soziale Kosten
• Begriff der Arbeitslosigkeit ist nur sinnvoll auf Gesellschaften
oder Teile davon anzuwenden, in denen der Lebensunterhalt
durch Lohnarbeit erworben wird. In Gesellschaften mit
hohem Anteil von Landwirtschaft, insbesondere in Subsistenz,
ist der Begriff nicht anwendbar
Arten der Arbeitslosigkeit
• Friktionelle Arbeitslosigkeit entsteht beim Übergang von einer
Arbeitsstelle zu einer anderen, ist in der Regel nur von kurzer Dauer und
auch in Phasen einer Vollbeschäftigung unvermeidlich.
• Saisonale Schwankungen ergeben sich im Jahresverlauf aufgrund von
Klimabedingungen (z. B. Arbeitslosigkeit in der Landwirtschaft im Winter)
oder aufgrund von Nachfrageschwankungen (z. B. in der Gastronomie in
der Nebensaison).
• Konjunkturelle Schwankungen sind eine natürliche Folge wechselnder
Konjunktur. Bei Mangel an Absatzmöglichkeiten entlassen die
Unternehmen Arbeitskräfte, die sie im Aufschwung wieder einstellen.
• Strukturelle Arbeitslosigkeit: Sie ist das Ergebnis fortdauernder
Strukturkrisen und deren Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.
Ursachen der Arbeitslosigkeit
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•
Gesamtnachfrage nach Arbeitsplätzen ist höher als das Angebot
fehlende oder falsche Bildung
Alter
Geschlecht
gesundheitliche Einschränkungen temporärer oder permanenter Art
mangelnde oder zeitlich bereits zu weit zurückliegende Berufserfahrung
(Berufseinsteiger, Kinderbetreuung)
geringere Mobilitätsressourcen (kein Führerschein, kein Auto, Bindung an einen
bestimmten Ort durch Familie und Eigenheim, regelmäßig zu versorgende Kinder)
mangelhafte soziale Fähigkeiten in Relation zum Anforderungsprofil
(psychologisches Einfühlvermögen, Höflichkeit, Fähigkeit zum Rollenspiel im
Vorstellungsgesprächen, unangepasste Kleidung)
biographisches Problem (Vorstrafen, Alkohol- und Drogenprobleme, häufiger
Stellenwechsel)
Dauer der Arbeitslosigkeit (je länger, desto kritischer)
Nationalität und Herkunft (eventuell mangelnde Sprachkenntnisse)
Folgen und Auswirkungen von
Arbeitslosigkeit
• Veränderungen in der sozialen Umwelt
• unmittelbar mit dem Eintritt in die Arbeitslosigkeit fallen die sozialen
Kontakte am Arbeitsplatz weg, was Frauen noch stärker als Männer
belastet
• „Umwelt“ kann das arbeitslose Familienmitglied entweder entlasten oder
aber durch das Versagen von Unterstützungen dessen Probleme noch
verstärken
• allgemein wird bei Erwerbslosen mit der Zeit eine zunehmender Isolation
festgestellt
• idealtypisch kann dies durch drei Faktoren bestimmt sein
– selbstgewählte Isolation aus Scham oder zur Geheimhaltung
– Reduktion sozialer Aktivitäten, die mit Geldausgaben verbunden sind
– Freunde oder Bekannte, die um die Arbeitslosigkeit wissen, ziehen sich
zurück
psychische Folgeerscheinungen von
Arbeitslosigkeit
• erhöhte Anfälligkeit für psychische und körperliche Störungen
• lange Betriebszugehörigkeit, eine starke Identifikation mit der
Firma, objektiv geringe Beschäftigungsalternativen, ein hohes
Maß an mit dem Arbeitsplatz assoziierter Sicherheit sind
Faktoren, die nicht nur die Empfindung eines „Schocks“
begünstigen, sondern auch die Neuorientierung erschweren
• Versagersyndrom, Selbstzweifel, Gefühlsschwankungen, Grübeln,
Verdrängen, Ausflüchte in Träumerei und Sucht, immer wieder
neugeschöpfte Hoffnungen und erlittene Frustrationen
• man traut sich nicht mehr zu, mangelndes Selbstvertrauen
blockiert die Motivation
• auch der eigene Lebenswille kann schwinden
Psycho-soziale Folgen der Arbeitslosigkeit
• psychische Störungen (Verlust des Selbstwertgefühls, Depressionen,
Alkoholismus, Demotivation, Dequalifizierung,....) und soziale
Problem (soziale Isolation, Diskriminierung, Herausfallen aus
gesellschaftlichen Zeitstrukturen,...)
• ebenso sind Auswirkungen auf das familiäre Umfeld zu erwarten
• bei Kurzzeitarbeitslosen sind gegenüber Erwerbstätigen eine
erhöhte Freizeitaktivitäten festzustellen
• bei dauerhafter Arbeitslosigkeit nehmen jedoch nur kostenlose und
unorganisierte Aktivitäten zu, wie Nichtstun, Fernsehen, Illustrierte
lesen, Spazieren gehen,....
• derweil kreative, kulturelle, sportliche, gesellige und
Bildungsaktivitäten werden erheblich eingeschränkt
• kennzeichnend für die Situation von Langzeitarbeitslosen sind
großen Teils Passivität und Apathie
Suchtverhalten
• negative Folgen der Arbeitslosigkeit, vor allem soziale
Isolation, passive Haltung, ökonomische und
familiäre Problem, sowie sinkende
Reintegrationschancen werden durch die
Suchtabhängigkeit verstärkt
• Straftaten
• Selbstmord – Unterscheidung in zwei Grundformen:
– der Versuch, die Umwelt zu alarmieren, auf den
Ernst der problematischen Situation hinzuweisen
– der Wunsch, dem Leben endlich ein Ende zu
machen
Studie von Marie Jahoda: Die Arbeitslosen vom
Marienthal
• Anfang der 1930er Jahre untersucht, Marie Jahoda, Paul F. Lazarsfeld,
Hans Zeisel
• historischen Hintergrund der Untersuchung bilden die
wirtschaftlichen Nöte der Zwischenkriegszeit, insbesondere die hohe
Arbeitslosigkeit
• Material der Auswertung waren Katasterblätter von allen 478
Familien, Zeitverwendungsbögen, d.h.: Fragebögen über die
Gestaltung der vorhanden Zeit, ausführliche Lebensgeschichten,
Anzeigen und Beschwerden bei der Wirtschaftskammer betreffend
Schattenwirtschaft, Protokolle von ärztlichen Untersuchungen und
ähnlichem, Schulaufsätze, Wahlergebnisse, Geschäftsbücher des
Konsumvereins, Mitgliederverzeichnisse von Vereinen,
Bevölkerungsstatistik, Haushaltungsstatistiken und historische
Angaben über wichtig erschienene Institutionen des Ortes in Form
von Interviews
Ergebnisse
Die müde Gemeinschaft
• Leben der MarienthalerInnen war von abgestumpfter
Gleichmäßigkeit bestimmt
• Menschen hatten sich daran gewöhnt, weniger zu besitzen,
weniger zu tun und weniger zu erwarten als bisher für ihre
Existenz als notwendig angesehen worden war
• Als Ausdruck dieses Zustandes werden die spärlichen sozialen
Kontakte und geringen Aktivitäten, der verwilderte Stadtpark
und der niedere Anteil an BibliotheksbesucherInnen
angeführt
• Weiter sank die Mobilität nach Wien, das Engagement in
Vereinen und das Interesse für Zeitungen.
Ergebnisse
Die Haltung
• Resignation: erwartungslos, noch Haushaltspflege,
relativ optimistisch
• Ungebrochenheit: aktiv, gute Haushaltspflege,
Versuch, Arbeit zu finden
• Verzweifelt: noch Haushaltspflege, Depression, keine
Hoffnung
• Apathie: tatenlos, ungepflegt, oft BettlerInnen und
TrinkerInnen
Ergebnisse
• Männern bereitete die neue Situation weit mehr Schwierigkeiten als den
Frauen
• Frauen blieb der Haushalt als zeitliche Struktur
• Männer standen herum, beeilten sich nicht mehr und wurden unpünktlich
• Zum wichtigsten Strukturgeber wurden die Kinder, die zur Schule gingen und
zurückkamen
• Sonn- und Feiertage verloren an Bedeutung
• eindeutiger Zusammenhang zwischen Haltungstypen und materieller Situation
festgestellt
– Fehlen von regelmäßigen Betätigungen
– Reduktion sozialer Kontakte
– fehlend Beteiligung an kollektiven Zielen
– Verlust eines anerkannten Status
Arbeitslosigkeit in Russland
• Stand der Arbeitslosigkeit betrug nach der Methodik der
Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) 6,1 Prozent
• Das ist etwas höher als in den USA (4,6 Prozent) oder in
Großbritannien (5,6 Prozent), aber merklich geringer als in
Deutschland (11,4 Prozent), Frankreich (8,8 Prozent) oder
Spanien (10,9 Prozent)
• höchster Stand der Arbeitslosigkeit ist in Inguschetien (61
Prozent); in Tuwa, Dagestan, der Autonomen Republik der
Kabardiner und Balkaren und im Autonomen Gebiet der
Karatschaier und Tscherkessen beträgt er an die 20 Prozent
und in einigen zentralen Regionen rund 10 Prozent
• niedrigster Stand der Arbeitslosigkeit ist in den Megalopolen
zu verzeichnen: in Moskau (1,5 Prozent) und Sankt Petersburg
(2,4 Prozent)
Maßnahmen zur Bewältigung von
Arbeitslosigkeit
• beschäftigungspolitische Maßnahmen
– zum Erreichen eines höheren Arbeitsvolumen
durch Wirtschaftswachstum kann im Zuge einer
nachfrageorientierten Politik nach John Maynard
Keynes die Nachfrage nach Gütern erhöht werden
– hier spielen Beschäftigungsprogramme und
insbesondere Investitionen
– in Krafttreten von
Beschäftigungsförderungsgesetzen
Maßnahmen zur Bewältigung von
Arbeitslosigkeit
• arbeitszeitpolitische Maßnahmen
– auch die Arbeitsmarktpolitik kann zur Lösung des Problems
Arbeitslosigkeit eingesetzt werden
– Ziel solcher Maßnahmen ist die Umverteilung des
vorhandenen Arbeitsvolumens auf mehr Beschäftigte
– hierzu gehören Formen der generellen
Arbeitszeitverkürzung und Formen der
Arbeitszeitflexibilisierung
– zu den Flexibilisierungsmöglichkeiten gehören: Jobsharing, Teilzeitarbeit, Schichtarbeit, gleitende Arbeitszeit,
kapazitätsorientierte variable Arbeitszeit und gleitender
Übergang in den Ruhestand
Maßnahmen zur Bewältigung von
Arbeitslosigkeit
• arbeitsmarktpolitische Maßnahmen
– Qualifizierungsmaßnahmen
– Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen
– Beratungsstellen, Arbeitslosentreffs, Jugendheime mit
Angeboten für Arbeitslose, Ausbildungs- und
Weiterbildungseinrichtungen, Werkstattprojekte bis hin zu
Arbeitslosenzentren
– Angebote schließen somit Freizeitangebote,
Begegnungsmöglichkeiten, Qualifikation, Arbeitserfahrung
– sozialpädagogische Beratung und Betreuung sowie
Öffentlichkeitsarbeit und finanzielle Hilfe ein
Lebensführung und
Devianz
Abweichendes Verhalten
im Alltag
Abweichendes Verhalten
• Soziologische Grundkategorie sinnhaft orientierten
Verhaltens, das an sozialen Normen und sozialer Interaktion
ausgerichtet ist
• Sammelbegriff, mit dem unterschiedliche soziale
Verhaltensweisen oder Erwartungen verbunden sind:
Aggression, Alkoholismus, Asozialität, Betrug, Bestechung,
Drogenabhängigkeit, Extravaganz, Hehlerei, Korruption,
Leistungsschwäche, Lernstörung, Prostitution, Selbstmord,
etc.
• diese Verhaltensweisen weichen mehr oder weniger stark von
einer Normalität in der Gesellschaft ab, wobei abweichendes
Verhalten zur ›Normalität‹ gehört, auch wenn dies zunächst
befremdlich erscheinen mag
Folie 49
Abweichendes Verhalten
• Die Betrachtung des abweichenden Verhaltens wird systematisch
möglich in der Differenzierung in ein kulturelles, ein soziales und
ein personales System.
• Das kulturelle System bezeichnet den Bestand an Normen und
Werten. Es artikuliert sich in Rollenstrukturen des sozialen
Systems.
• Das soziale System zeitigt objektiv Konsequenzen für alle
Gesellschaftsmitglieder und dient der Bestandsicherung.
Internalisiert wird dieses Geschehen in das personale System.
• Das personale System bildet eine Motivationsstruktur ab, das
zwischen Konformität und Abweichung balanciert.
© 2006
Folie 50
Devianz
- Begriff wird vielfach als Synonym für den
Sammelbegriff ›Abweichendes Verhalten‹
oder ›soziale Auffälligkeit‹ verwendet
- ›Devianz‹ verweist auf tatsächliche oder
vermeintliche Verstöße gegen soziale Normen
- Im Verbund mit Prozessen der sozialen
Aberkennung führt dies häufig zur
Randständigkeit
Folie 51
Erving Goffman: Stigma
Folie 52
Goffman, Erving (1922-1982)
•
•
•
•
•
•
•
•
Wir alle spielen Theater. 1969
Asyle. 1972
Interaktion. 1973
Stigma. 1967
Verhalten in sozialen Situationen. 1971
Das Individuum im öffentlichen Austausch. 1974
Rahmenanalyse. 1977
Die Selbstdarstellung im Alltag. 1988
Folie 53
Lebensführung
und Alkohol
55
Alkoholismus
“Alcohol and drug prevention among
youth
in St. Petersburg”
Young people, alcohol and drugs:
Research in St. Petersburg (NGO Stellit, 2006)
Sample:
Students of SPb St. university Students of the high schools
in Nevsky district
All faculties,
25 students of 1-4th year
All students of 9-11 classes
in 9 schools
N=1476
N=648
31,1% male
68,9% female
48,6% male
51,4% female
61
Almost each pupil and each student has
an experience of using alcohol
62
No gender differences
63
First trial of using alcohol happens
in age of 11-16
64
Some 5% of the pupils and 15% of the
students regularly use strong alcohol
65
Drugs
• Alcohol and drugs are connected
• Each 3rd pupil and each 5th student has an
experience of using drugs
• Mainly light drugs (preparations of cannabis,
stimulators, hallucinogens, analgesics,
cocaine, substitutes for alcohol
66
Almost each 3-rd pupil and each 5-th student has
an experience of using drugs
40
Употребление
наркотиков
29,7
когда-либо
в жизни
21,8
20
%
0
Школьники
Студенты
67
Among drugs that have been used are preparations of
cannabis, stimulants, hallucinogens
68
Summary
• Alcohol is obviously a problem for young
people today (NB! beer consumption)
• Alcohol becomes more problematic than
drugs (hidden)
• Almost no media coverage of alcohol and
young people:
– Hidden problem
– Societal helplessness
– Myths
– Absence of national alcohol policy
69
Young people, alcohol and media:
• Advertising alcohol on TV prohibited
• Almost no social advertising on impact of alcohol,
healthy lifestyle
• History of Russia: social advertising popular in 3080s (including healthy lifestyles, anti-alcohol etc.)
• Famous writers and writers = authors (Paris’
exhibition, 1925: silver medal for a set of Soviet
posters)
• Some slogans and posters known and even popular
in contemporary society
70
Auf die Frage "Haben Sie in den letzten 30 Tagen Alkohol getrunken?"
antworteten 87 Prozent der Befragten, die generell (im Laufe des letzten
Jahres) Alkohol konsumierten, ebenfalls mit "Ja". In Deutschland waren es 88
Prozent, im Spitzenreiter-Land Luxemburg gar 93 Prozent. Die Karte zeigt: Je
dunkler, desto mehr Trinker
Trinker und Nicht-Trinker: "Haben Sie binnen der letzten 12 Monate
alkoholische Getränke zu sich genommen?", fragten die
Meinungsforscher. Immerhin ein Viertel der Befragten antwortete mit
"Nein" - eine hohe Abstinenzlerquote. Italien, Ungarn und Portugal lagen
an der Spitze
Lebensführung
und Prostitution
Prostitution
Prostitution
Prostitution – definierbar?
• Weigelt: „eine Beschäftigung, die Geschlechtsverkehr
im Tausch für Geld involviert“
• Berndorf: „eine geregelte und sozial gebilligte oder
geduldete Einrichtung in herrschaftlich organisierten
Gesellschaften, die dem Manne und der Frau
außerhalb monogamer oder polygamer Eheformen in
historisch wechselnder Gestalt neben- oder
außerhelichen Geschlechtsverkehr ermöglicht, wenn
ihm materielle Vorteile dafür gewährt werden“
Wie kommt man zur Prostitution?
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
•
biographische Krisen
berufliche Unzufriedenheit
Verschuldung
akute Konsumbedürfnisse
Arbeitslosigkeit
Lust
Zwang
Freunde
höhere Einkünfte und höheren Lebensstandard
Hoffnung auf finanzieller Unabhängigkeit
Teil einer unkonventionellen, interessanten und großzügigen
Lebensweise
Питерские студентки зарабатывают на учебу проституцией
• Я приехала из уральской глубинки, там окончила школу с
золотой медалью, думала, поступлю без проблем в
Политех. Но на первом же экзамене меня завалили, –
рассказывает Лена. – Вернуться в родную деревню, не
оправдав надежд матери и отца, – нет, лучше уж
утопиться».
• «Родителям я сказала, что поступила и буду жить в
общежитии. Проверить они не смогут – хозяйство и троих
младших сестренок не оставишь. Думаю, поработаю год,
заработаю деньги на следующий курс обучения, а потом в
18 лет выйду замуж»
• «Я написала заявление на платное отделение, хотя на
руках у меня было всего 5 тыс. рублей. Выход я нашла
быстро – я увидела объявление в газете, что в массажный
салон требуются девушки от 18 до 25 лет без опыта работы,
обещали помочь с жильем, а главное, сулили зарплату от
500 долларов в сутки».
• «Я примерно представляла, на что иду, но другого
варианта у меня просто не было, и я позвонила. Когда
приехала в эту сауну в центре города, меня сразу
приняла «мамочка». Я рассказала ей о своей
ситуации, объяснила, что мне срочно нужны 30 000
рублей, чтобы оплатить первый семестр, а еще нужно
жилье, потому что общежитие студентам-платникам не
достается. Она посокрушалась вначале, мол, стоит ли
связываться с тобой, 17-летней, а потом подумала и
взяла».
• «Меня поселили недалеко от Политеха, в
трехкомнатной квартире с тремя девчонками. Мою
девственность «мамочка» продала за 100 тысяч
рублей уже на следующий день какому-то мажору лет
27. Я получила из них 60 тысяч рублей. Но с такой
щедростью столкнулась в первый и последний раз. В
последующие дни получала уже по 2000 рублей за
ночь, но частью из них приходится делиться с
девочками (мы сбрасываемся на питание). И остается
мне 1500 рублей».
Lebensführung
und
Pornographie
Definition
„Das Wort Pornographie abgeleitet vom
altgriechischen porne und
graphos, bedeutet über Huren
schreiben.“(Doworkin, A.; 1990; S. 239)
Porne bedeutet „Hure“, graphos kann als
„Schrift, Radierung;
Zeichnung“ übersetzt werden. Das Wort
Pornographie ist sinngemäß
„die schriftliche und bildliche Darstellung von
Frauen als wertlose
Hure“. (Doworkin, A.; 1990; S. 240)
Definition
• meiste Lexika: Darstellung sexueller Handlungen, oft ergänzt
um das Auslösen sexueller Erregung
• erotische Darstellungen sehr ähnlich definiert, ihnen wird
größerer literarischer und künstlerischer Wert zugeschrieben
• Linsley (1989)
– Pornographie „das Obszöne, … das Zügellose, das
Unzüchtige, das Lüsterne, das Wollüstige, das
Unanständige, das Schmutzige und Dreckige“
– Erotik: Darstellung unschädlicher, sinnlicher Sexualität
• Frauenbewegung (Gloria Steinem, 1980)
– „alle Darstellungen von Sex, in denen Gewalt, Dominanz
und Zwang ausgeübt werden, speziell Medienangebote, in
denen Frauen gewalttätige Beherrschung und Erniedrigung
durch Männer zu genießen scheinen“
– „Erotik: für alle Beteiligten angenehmer Sex zwischen
Menschen, die genug Macht besitzen, um aus freiem
Willen daran teilzunehmen“
Annahmen über die Wirkung von Pornografie
• positive Wirkungen der
Pornographierezeption:
• „Überwindung sexueller
Verklemmungen,
Erweiterung des
eigenen Repertoires
• negative Wirkungen:
• negativer Einfluss auf Frauenbild:
Frauen als Sexualobjekte
• Erosion familienbezogener
Bindungen
• sexuelle Unzufriedenheit
• aber: keine wissenschaftlichen Nachweise für positive
Wirkungen
Probleme:
• Was ist Pornographie?
• Was ist Kunst?
• Was sind die „Sitten“ der heutigen Gesellschaft?
„Öffentliche Moral“?
• Gibt es allgemeingültige Sitten?
• Wenn sich Sitten verändern, sind sie dann nicht durch
ihre Relativität unmöglich zu definieren?
• Wann werden Jugendliche geschädigt?
• Wann wird die Würde eines Menschen verletzt?
• Pornografie gab es schon „immer“
• Im antiken Rom  Niemand nahm Anstoß daran
•  erst seit dem 17. Jahrhundert zum
„gesellschaftlichen Problem“ geworden
Wer nutzt pornografische Angebote?
• Nutzung von Pornografie ist in allen Gesellschaftsschichten
verbreitet
• stillschweigend – akzeptierte Form der Unterhaltung, und
zwar heimlich und verschämt, „strategisch“ oder ganz einfach
selbstverständlich
• Pornografie wird allein, von Paaren oder in Gruppen
„konsumiert“ (rezipiert = aufnehmen, übernehmen)
• Bei Einzelpersonen kommt es häufig zur Masturbation, Paare
nutzen sie eher als Vorspiel zum Geschlechtsverkehr, bei
Gruppen – fast ausschließlich Männer – dient Pornografie als
„Start in ein Wochenende“, in dem sexuelle Kontakte gesucht
werden
• Faktor: „einfach aus Neugier über das Sexualverhalten
anderer“ erfahren
Der größte Teil unseres sexuellen
Erlebens spielt sich in der Phantasie ab
• Bilder, Geschichten oder Filme
geben unserer Phantasie Nahrung
• Das Internet kommt diesen
Bedürfnissen entgegen: komfortabel
und kostengünstig können
pornographische Darstellungen
abgerufen oder veröffentlicht
werden
16.05.2016
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Fazit
• unkompliziert Austausch über intime Fragen/Bedürfnisse
• Unterstützung bei sexuellen Problemen
• Kennenlernen von Gleichgesinnten (besondere sexuelle
Vorlieben, Homosexualität, Fetische etc.)
• Frauen können geschützt und ohne Angst sexuelles Begehren
ausleben und mit ihrer Lust experimentieren
• Viele unterschiedliche Studien (z.B. Schetsche)
• Weniger (Kinder-) Pornographische Darstellung als es der
Mediendarstellung entspricht
• Sex ist und bleibt eins der häufigst aufgesuchten Wörter in
Internet-Suchmaschinen
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Abschlusssitzung
- Was bleibt von
Lebensführung?
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