Mehrheits- und Minderheitseinfluss aus Sicht der Theorie der Selbstkategorisierung Gerd Bohner Überblick • Interpretation der Konversionstheorie aus Sicht der SCT • Annahmen der SCT zum sozialen Einfluss • Prüfung der Annahmen der SCT: David & Turner (1996) • SCT versus Attributionstheorie: Clark & Maass (1988) • Variation des sozialen Kontextes: David & Turner (1999) • Fazit Interpretation der Konversionstheorie aus Sicht der SCT • Minderheitseinfluss ist per definitionem Einfluss durch eine Fremdgruppe • "Echter" Einfluss (conversion) ist immer Fremdgruppeneinfluss, Eigengruppen (= Mehrheiten) bewirken nur oberflächlichen Einfluss (compliance) Annahmen der SCT zum sozialen Einfluss • Grundannahmen der SCT: – Personen definieren ihr Selbst durch Kategorisierung der eigenen Person und anderer Personen in Gruppen – SC ist flexibel: Der Kontext bestimmt, welche Eigengruppen ("in-groups") und Fremdgruppen ("outgroups") jeweils relevant sind. Beispiele? – Funktion der SC: Selbstwerterhalt bzw. -erhöhung ("wir" sind besser als "die anderen", und "ich bin einer von uns") Annahmen der SCT zum sozialen Einfluss • Sowohl Mehrheiten als auch Minderheiten können echten Einfluss ausüben, wenn geeignete soziale Kontextbedingungen vorliegen. • Echter Einfluss setzt gemeinsame soziale Identität voraus. • P erwartet Konsens nur mit ähnlichen Anderen. Dissens führt zu Unsicherheit. Reduktion durch: – soziale Rekategorisierung – Redefinition des Gegenstandes der Meinungsverschiedenheit – wechselseitigen sozialen Einfluss Annahmen der SCT zum sozialen Einfluss • Einen Dissens mit Fremdgruppenmitgliedern erklärt P durch deren wahrgenommene Andersartigkeit. Es entsteht kein "Druck zur Uniformität" (vgl. Festinger) => zentrale Hypothese: Einfluss setzt eine gemeinsame soziale Kategorisierung von Quelle und Zielperson voraus. Nur Eigengruppen, nicht aber Fremdgruppen, üben Einfluss aus. • Wichtige Randbedingung: Die Kategorisierung muss für das Einflussthema relevant sein. Prüfung der Annahmen der SCT: David & Turner (1996) • Grundlegendes Design: 2 (ingroup, outgroup) x 2 (Minderheit, Mehrheit) • Außerdem z.T. Variation des Themas, das immer relevant für die Kategorisierung ist – z.B. pro vs. contra "Abholzung der Wälder" – Quelle der Botschaft und Vpn sind selbst Mitglieder einer relevanten Gruppe (z.B. Holzfäller vs. Stadtbewohner) • Verschiedene Operationalisierungen der aV, um Einflussebenen nach Moscovici zu testen: – unmittelbar vs. zeitversetzt (Exp. 1) – öffentlich vs. privat (Exp. 2) David & Turner (1996, Exp. 1): Ergebnisse Experiment 1: Diskussion • Einfluss in Richtung der vertretenen Position bei Eigengruppe, in entgegengesetzter Richtung bei Fremdgruppe. • Interaktion aller 4 Faktoren: • Bei Fremdgruppe kaum Unterschiede zwischen Min-Maj oder Zeitpunkten der Erhebung • Bei Eigengruppe nimmt Einfluss bei Minderheit zeitversetzt zu (Konversion?) und bei Mehrheit zeitversetzt ab (Compliance?). • David und Turner sehen ihre Hypothese als bestätigt an. • Problem: Konfundierung von Botschaft und Gruppenzugehörigkeit der Vpn. Alternativinterpretation des EG-FG-Effekts: Extremisierung der Ausgangseinstellung unabhängig vom Inhalt der Botschaft • Ist es sinnvoll, Extremisierung als "Konversion" zu beschreiben? David & Turner (1996, Exp. 2): Ergebnisse Experiment 2: Diskussion • Konzeptuelle Replikation des Ergebnismusters von Exp. 1 bei anderer Operationalisierung der Einflussebenen (öffentlich-privat statt unmittelbarzeitversetzt). • Problem der Konfundierung von Botschaft und Gruppenzugehörigkeit der Vpn besteht weiter. SCT versus Attributionstheorie: Clark & Maass (1988) • Bei David & Turner argumentieren die Gruppen immer im Eigeninteresse • Clark & Maass (1988): unabhängige Variation von Gruppenzugehörigkeit der Quelle und Position • Z.B. Exp. 2: Schwuler oder heterosexueller Kommunikator argumentiert für oder gegen "gay rights". Vpn sind heterosexuell. • Konkurrierende Vorhersagen aus SCT und Attributionstheorie: – SCT: Eigengruppe übt generell mehr Einfluss aus als Fremdgruppe (=> Interaktion Position x Gruppe) – Attributionstheorie: Wer gegen sein Eigeninteresse argumentiert, übt mehr Einfluss aus (2 Haupteffekte). Clark & Maass (1988, Exp. 2): Ergebnisse Clark & Maass (1988, Exp. 2): Diskussion • Auch bei unabhängiger Variation der Position hat ein Eigengruppen-Kommunikator mehr Einfluss als ein Fremdgruppen-Kommunikator. • Hier keine Evidenz für Gültigkeit der Attributionstheorie. Aber es gibt Studien, die deren Annahmen stützen (z.B. Eagly et al., 1978) => Offene Frage: Unter welchen Bedingungen greift eher die SCT bzw. die Attributionstheorie? Variation des sozialen Kontextes: David & Turner (1999) • Fokus: zeitlicher Verlauf / sozialer Kontext des Minderheitseinflusses • These: Konversion besteht in einer graduellen Inklusion der Minderheit in die Eigengruppe: – Bei unmittelbarer Messung wird die Minderheit noch als Fremdgruppe gesehen; – bei zeitverzögerter Messung "weitet sich der Horizont" und die Minderheit wird (im Vergleich zu "echten" Fremdgruppen) zur Eigengruppe. Variation des sozialen Kontextes: David & Turner (1999) • Experiment: Explizite Variation von Intragruppen- vs. Intergruppen-Kontext bei unmittelbarer und/oder zeitversetzter Messung der Einstellung: – Intragruppenkontext = moderat feministische Aussage – Intergruppenkontext = antifeministische Aussage • 6 Versuchsbedingungen: Intragruppenkontext nur bei 1. Messung Intragruppenkontext bei 1. und 2. Messung Intergruppenkontext nur bei 1. Messung Intergruppenkontext bei 1. und 2. Messung Kontrollgruppe ohne Kontextmanipulation Kontrollgruppe ohne Botschaft David & Turner (1999): Ergebnisse David & Turner (1999): Diskussion • Kontext, nicht Zeitpunkt ist entscheidend für Stärke des Minderheitseinflusses • Alternativerklärung der Kontextvariation? • Ist Moscovicis Konversionsmodell doch mit der SCT kompatibel? Fazit • SCT liefert eine interessante eigenständige Perspektive auf Einflussphänomene. • Unterschiede zu Moscovici sind möglicherweise geringer als David und Turner behaupten. • Offene Fragen: – Ist der Ansatz beschränkt auf "themenrelevante" Gruppen? Oder spielen Eigen- und Fremdgruppenkategorisierung auch bei solchen Themen eine Rolle, die für die Kategorisierung irrelevant sind? – Wann treffen eher die Vorhersagen der Attributionstheorie zu, wann die der SCT?