09 Attribution (netz)

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Attribution
Attributionstheorie und
Attributionsfehler
Vorlesung Winter, 2013/14
Thomas Kessler
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Überblick
• Attributionstheorien
– Heiders naive Handlungsanalyse
– Kelleys Kovariations und Konfigurationsmodell
• Attributionsfehler
– Fundamentaler Attributionsfehler
– Akteur-Beobachter Divergenz
– Selbstwertdienliche Attribution
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Leitfragen
• Wie funktionieren Verhaltenserklärungen im
Alltag?
• Wie kann man Verhalten erklären, wenn man
einmalige oder mehrmalige Beobachtungen zur
Verfügung hat?
• Welche typischen Fehler unterlaufen uns im
Alltag bei Verhaltenserklärungen?
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Begriffe
• Kausalattribution: Kausale Erklärung von
beobachtetem Verhalten
• Attributionstheorien: konzeptueller
Rahmen, innerhalb dessen zu erklären
versucht wird, wie im Alltag Personen zu
Erklärungen von Verhaltensweisen
kommen.
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Das Problem des Fremdpsychischen
• Das Problem des Fremdpsychischen
bedeutet:
– Wie können wir feststellen, dass andere
ähnliche psychische Erlebnisse haben wie wir
selbst?
– Wie können wir feststellen, dass sie
überhaupt psychische Erlebnisse haben?
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Das Problem des Fremdpsychischen
• Wittgenstein in den „Philosophischen
Untersuchungen“ (§293):
"Angenommen, es hätte jeder eine Schachtel, darin wäre
etwas, was wir „Käfer“ nennen. Niemand kann je in die
Schachtel des Andern schaun; und Jeder sagt, er wisse
nur vom Anblick seines Käfers, was ein Käfer ist. – Da
könnte es ja sein, dass jeder ein anderes Ding in seiner
Schachtel hätte. Ja, man könnte sich vorstellen, dass sich
das Ding fortwährend veränderte. [ ....] die Schachtel
könnte auch leer sein."
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Heiders naive Handlungsanalyse
• Mensch als intuitiver Wissenschaftler
• Fünf Grundannahmen
– Verhalten drückt Invarianzen aus.
– Attribution erschließt Invarianzen aus
Verhalten.
– Attribution ist eine vitale Fähigkeit.
– Attributionen sind nicht notwendig bewusst.
– Attribution ist eine Form der Kausalanalyse.
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Heiders naive Handlungsanalyse
• Verhalten drückt Invarianzen aus.
– Menschen haben stabile psychologische
Eigenschaften, die ihr Verhalten
determinieren.
– Jeder Mensch hat einen wahren Charakter,
der sich in unterschiedlichen Situationen
durch unterschiedliche Verhaltensweisen
manifestiert.
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Heiders naive Handlungsanalyse
• Attribution erschließt Invarianzen aus
Verhalten.
– Verhalten ist unterschiedlichen Situationen
(z.B. deren Möglichkeiten und Begrenzungen)
angepasst.
– Aus dieser Mannigfaltigkeit des Verhaltens
wird der wahre Charakter eines Individuums
als Invarianz extrahiert.
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Heiders naive Handlungsanalyse
• Attribution ist eine vitale Fähigkeit.
– Die Diagnose einer Charaktereigenschaft
ermöglicht die Vielfalt der
Verhaltensmanifestationen unter einem
einzigen Konzept zu systematisieren und
interpretieren.
– Charaktereigenschaften integrieren eine
irritierende Menge an Information in einer
ökonomischen Art und Weise.
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Heiders naive Handlungsanalyse
• Attributionen sind nicht notwendig bewusst.
– „Alltagspsychologie“ ist keine Theorie im eigentlichen
Sinne, denn es werden keine Ableitungen aus
irgendwelchen Grundannahmen getroffen.
– Die Regeln nach denen die Invarianzen aus dem
Verhalten gezogen werden sind genauso unbewusst
(intuitiv) wie die Regeln der Wahrnehmung nach
denen wir konstante Objekte in unserer Umwelt
wahrnehmen.
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Heiders naive Handlungsanalyse
• Attribution ist eine Form der Kausalanalyse.
– Zwei große Klassen von Variablen bestimmen
Verhalten: Dispositionen von Individuen und die
Umwelt.
– Verhalten ergibt sich daraus, dass ein Akteur sich in
einer bestimmten Art verhalten kann und es auch
versucht.
– Er muss also die Möglichkeit und die Motivation zu
einem Verhalten haben. Die Möglichkeit selbst setzt
sich aus seiner Fähigkeit und den Gelegenheiten der
Umwelt zusammen.
12
Heiders naive Handlungsanalyse
Fähigkeit
Vermögen /
Gelegenheit
Umwelt
Verhalten
Intention
Motivation
Anstrengung
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Theorie der korrespondierenden
Schlussfolgerungen
• Jones & Davies: empirische Umsetzung
von Heiders naiver Handlungsanalyse
– Zuschreibung einer Absicht (nicht
gemeinsame Effekte)
– Sozialer Konsensus
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Nicht-gemeinsame Effekte
- eindeutig -
Attribution von Intentionen:
Miss Adams Partnerwahl
Mr. Bagby
Mr. Caldwell
Mann
Mann
Reich
Reich
Gute Manieren
Gute Manieren
Kinderlieb
15
Nicht-gemeinsame Effekte
- uneindeutig -
Attribution von Intentionen:
Miss Adams Partnerwahl
Mr. Bagby
Mr. Caldwell
Mann
Mann
Reich
Reich
Gute Manieren
Gute Manieren
Humorvoll
Kinderlieb
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Sozialer Konsensus
• Verhaltensweisen, die wenig sozial erwünscht
sind, werden eher dispositional attribuiert.
• Verhaltensweisen, die sozial erwünscht sind,
können nicht eindeutig auf Dispositionen
sondern können genauso gut auf die Situation
attribuiert werden.
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Kelleys Attributionstheorie
• Kovariationsprinzip
– Attribution auf der Basis der wahrgenommenen
Kovariation zwischen dem beobachteten Effekt und
seinen möglichen Ursachen (mehrere
Beobachtungen).
• Konfigurationsprinzip
– Attribution auf der Basis von nur einer
Beobachtung (Verwendung von Kausalschemata)
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Kelleys Attributionstheorie
• Kovariationsprinzip
• Einfluss dreier unabhängiger Variablen auf
beobachtbares Verhalten:
– Die Person: Konsistenzinformation (zeigt X dieses
Verhalten immer/häufig/selten?)
– Die Umstände: Konsensusinformation (zeigt nur X
das Verhalten, oder auch andere Personen?)
– Der fokale Stimulus: Distinktheit (zeigt X das
Verhalten nur gegenüber dem fokalen Reiz oder
auch gegenüber anderen Reizen?)
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Kelleys Attributionstheorie
- Kovariationsprinzip Beispiele -
• Dispositionale Attribution
– Hohe Konsistenz
– Geringer Konsens
– Geringe Distinktheit
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Kelleys Attributionstheorie
- Kovariationsprinzip Beispiele -
• Stimulusattribution
– Hohe Konsistenz
– Hoher Konsens
– Hohe Distinktheit
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Kelleys Attributionstheorie
- Kovariationsprinzip Beispiele -
• Situative Attribution (uneindeutig)
– Niedrig Konsistenz
– Hoher Konsens
– Hohe Distinktheit
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Konfigurationsmodell
• Wenn man nur eine Beobachtung eines
Verhalten hat, dann müssen zur
Ursachenerklärung zusätzliche Vorannahmen
gemacht werden.
• Kausalschemata: vorgefertigte Meinungen,
Vorannahmen
– Multiple hinreichende Ursachen
– Multiple notwendige Ursachen
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Kausalschemata
• Multiple hinreichende Ursachen
– Verschiedene Ursachen liegen vor, die alle auch allein das
Verhalten erklären können. Hier werden nach dem
Abwertungsprinzip einige der Ursachen abgewertet, wenn
andere plausible Ursachen zur Verfügung stehen.
– Nach dem Aufwertungsprinzip werden Ursachen dann zur
Erklärung herangezogen, wenn ein Effekt trotz hemmender
Kräfte auftritt.
• Multiple notwendige Ursachen
– Hier müssen verschiedene Ursachen gemeinsam auftreten,
um den Effekt zu produzieren.
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Begriffe: Attributionsfehler
• Attributionsfehler:
– Von logischen Attributionstheorien
abweichende Zuschreibung von Ursachen.
• Beispiele:
– Fundamentale Attributionsfehler
– Akteur-Beobachter-Divergenz
– Selbstwertdienliche Attributionsmuster
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Fundamentale Attributionsfehler
• Konsensus-Unterschätzung
• Korrespondenzverzerrung
• Personalismus
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Fundamentaler Attributionsfehler
• Beispiel:
• Reden halten für oder gegen ein populäres
Thema (Jones & Harris, 1967):
• Versuchspersonen sollten jemanden beurteilen,
der eine Rede für oder gegen Fidel Castro
gehalten hat.
• Information: Der Redner hat das Thema freiwillig
gewählt bzw. nicht selbst gewählt.
• AV: Einschätzung der Einstellung zu Fidel Castro
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Fundamentaler Attributionsfehler
Pro-Castro
Writers´ attitude
75
50
Pro-Castro speech
25
Anti-Castro speech
Anti-Castro
0
Choice
No-choice
Degree of choice
Source based on data from Jones and Harris, 1967.
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Quellen der Verzerrung
• Motivationale Faktoren:
– Bei hoher Relevanz z.B. Selbstbezug.
Wenn positive oder negative Konsequenzen
folgen.
• Kognitive Faktoren:
– Welche Information steht den Beurteilern zu
Verfügung bzw. werden in das Urteil
einbezogen?
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Beobachter-Akteur Divergenz
• Attributionsunterschiede zwischen Akteur
und Beobachter einer Handlung:
– Der Akteur betont die situativen Faktoren
– Der Beobachter betont die dispositionalen
Faktoren
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Beobachter-Akteur Divergenz
• Wahrnehmungsfokus: Beobachter
konzentrieren sich auf den Akteur, wogegen der
Akteur sich auf die Umwelt konzentriert.
• Selbstwissen: Akteure wissen mehr über sich
und die situativen Anforderungen als Beobachter
wissen können.
• Unterschiedliche Ziele: Akteure verfolgen
instrumentelle Ziele, wogegen Beobachter
Information zur Vorhersage künftiger
Verhaltensweisen durch den Akteur suchen.
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Selbstwertdienliche Verzerrung
• Attributionen, die den Selbstwert erhalten oder
verbessern:
• Eigene Erfolge werden dispositional und
eigene Misserfolge situativ attribuiert.
• Self-Handicapping: Man stellt plausible
externale Gründe her, die eigenes Versagen
erklären können.
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Selbstwertdienliche Verzerrung
- Self-handicapping -
Prozent der Versuchspersonen
100
75
50
Actavil Verbessert Leistung
25
Pandocrin Verringert Leistung
0
Lösbar
Nicht lösbar
Typ des Puzzle beim ersten Durchgang
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Zusammenfassung
• Attribution meint kausale Verhaltenserklärung
• Bei einzelnen Verhaltensbeobachtungen werden
Attributionen mittels Kausalschemata vorgenommen, bei
mehreren Beobachtungen durch das Kovariationsmodell
(Konsens, Konsistenz und Distinktheit)
• Bei kausalen Verhaltenserklärungen entstehen
verschiedene Fehler, wie fundamentaler
Attributionsfehler, Akteur-Beobachter-Divergenz,
Konsensusüberschätzung usw.
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Literatur

Gilbert, D. T. (1998). Ordinary personology. In
Fiske, Gilbert, & Lindzey (4th ed.), The
handbook of social psychology, Vol. 2. New
York, NY, US: McGraw-Hill. (pp. 89-150)

Fincham & Hewstone (2001). Attributionstheorie
und -forschung. In Stroebe et al. (Hrsg.),
Sozialpsychologie, 4. Auflage, Kap. 7, S. 216228.
35
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