Sucht/Abhängigkeit - Hochschule Merseburg

Werbung
Sucht
Begriff
Lehrveranstaltung „Einführung in die Drogenarbeit“
Die Diagnostik von
Abhängigkeit/Sucht
und
was Soziale Arbeit
dabei beachten
muss!!
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Das Phänomen „Abhängigkeit/Sucht"
Begriff
Literaturempfehlungen zum Thema
Dilling, H.W., Mombou, M., Schmidt, H.: Internationale Klassifikation psychischer
Störungen. 2. Auflage. Huber, Bern 1993
ICD 10 = Multiaxiales Klassifikationsschema für psychische Störungen der
WHO (für das deutsche Gesundheitssystem bindend)
Sass, H., Wittchen, H.-U., Zaudig, M.: Diagnostisches u. Statistisches Manual
psychischer Störungen DSM-IV, Hogefe 1996
DSM IV = Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders
(Diagnostisches und statistisches Handbuch psychiatrischer Störungen der
Psychiatrischen Vereinigung Amerikas)
Gölz, J.: Der drogenabhängige Patient. Handbuch der schadensmindernden
Strategien, Taschenbuch Urban & Fischer Verlag, München 1999
Degkwitz P: "Abhängig" oder "selbstbestimmtes Individuum"? Anmerkungen zur
Auseinandersetzung um das Verständnis von Drogenkonsum und abhängigkeit. In: Stöver H (Hrsg.) Akzeptierende Drogenarbeit - Eine
Zwischenbilanz. Lambertus, Freiburg, 1999. S. 38-56
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
"Sucht„ /„Abhängigkeit“ im alltäglichen Denken
Welche Begriffe existieren im Deutschen für
auffälliges/ausschweifendes Verhalten mit
Wiederholungscharakter?
Wunderlichkeit
Vorliebe
Marotte
Leidenschaft
Verlangen
Neigung
Trieb
Hingabe
Hang
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
"Sucht„ /„Abhängigkeit“ im alltäglichen Denken
SPRICHWORT (Inuit):
„Wenn es in Deiner Sprache viele
Ausdrücke für Schnee gibt,
muss Schnee sehr wichtig für Dich sein.“
Mit Sucht/Abhängigkeit sind ganz spezielle Aspekte gemeint!
Gefunden bei: Prof. Ion Anghelescu, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité Berlin.
http://www.charite-psychiatrie.de/fileadmin/pdf/lehre/2009/med/topic_20090618.pdf , 13.08.2009
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Subjektive Suchtbegriffe
Alle wissen, was „Sucht“ ist?
 Es besteht in der Bevölkerung ein Konsens, welche
Verhaltensweisen dem Begriff zuzuordnen sind.
 Dieser ist abhängig von dominanten Wertvorstellungen der
Gesellschaft und umfasst in unserer Kultur eine Verquickung von:
– Starken Wiederholungstendenzen
– Mit starker eigener Dynamik
– Ein unabweisbares Verlangen, dem der Verstand untergeordnet
wird (= es sind andere Kräfte aktiv als die, die in unserer Kultur
erlaubt und gefordert sind).
– Beeinträchtigt die freie Entfaltung der Persönlichkeit.
– Zerstört die sozialen Beziehungen und die sozialen Chancen
des Individuums.
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Subjektive Suchtbegriffe
Begriff
Alle wissen, was „Sucht“ ist und wie sich
dies beim Rauchen darstellt?
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Subjektive Suchtbegriffe
Begriff
Alle wissen, was „Sucht“ ist?
Vorteile eines allgemein geteilten Suchtkonsens:
 Bietet Orientierungspunkte für ein Urteil über eigenes und
fremdes Verhalten.
 Hilft bestimmte Risiken/Gefährdungen wahrzunehmen.
 Regt an, über Korrekturen nachzudenken und umzusetzen.
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Subjektive Suchtbegriffe
Begriff
Die Suchtbegriffe der Expertensysteme?
Bestimmte Perspektiven, die physische, psychische u.
soziale Prozesse als zu einem Phänomen dazugehörig
betrachten:
 Medizin = Krankheitsfolgen
 Drogenhilfe = abweichendes Verhalten
 Psychologie = persönliche Autonomie u. rational
gefasste Selbstentfaltung
1. Expertenbegriffe und Suchtkonsens der Bevölkerung
klaffen oft weit auseinander.
2. Soziale Arbeit hat deshalb auch aufklärerisch zu wirken.
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Das Besondere an "Sucht„ /„Abhängigkeit“
Die Diagnose „Abhängigkeit“ kann auch als das
Bemühen verstanden werden, denjenigen
Phänomenen, die mit dem Konsum psychoaktiver
Substanzen einhergehen und sowohl für den
Konsumenten selbst, als auch für sein soziales
Umfeld Störungen und Leiden mit Krankheitswert
verursachen, einen Namen zu geben.
Insofern ist diese Diagnose eher eine kulturelle
Vereinbarung und weniger eine
naturwissenschaftlich bestimmbare, biosomatische Erkrankung!
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Der "Sucht"-Begriff
Wie erfolgte die erste Medizinarisierung von Drogenkonsum?
Trunksucht : Beginn des 20. Jh.:
 Massives Trinken wird als Krankheit gedeutet.
 Trunksucht wird zum Modell für Sucht schlechthin.
 Vorstellungen geprägt durch Elendsalkoholismus
des "Lumpenproletariats".
Damals als wesentlich gesehene Merkmale:
 Entzugserscheinungen
 Persönlichkeitsveränderungen
 Typisch für unterprivilegierte Schichten
 Merkmal "sozial Unfähiger„/"psychisch Minderwertiger"
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Trunksucht beschrieben als Elendsalkoholismus
1893 Kraepelin „Lehrbuch der Psychiatrie“:
„Der chronische Alkoholiker ist durch das allmähliche Schwinden jener
konstanten Motive des Handelns gekennzeichnet, das man moralischen
Halt, als Charakter, zusammenzufassen pflegt. Der Trinker verliert mehr
und mehr die Fähigkeit, nach festen Grundsätzen zu handeln. Er wird
zum Spielball zufälliger äußerer Verlockungen, der immer
unbezwinglicher werdenden Neigung zum Alkohol. ... Auch wenn er
immer wieder einen festen Entschluss fasst, dem Alkohol, den er als
Quelle seines Untergangs erkennt, zu entsagen, so genügt die erste
Gelegenheit, um dem schwachen Willen zu entsagen.“
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Trunksucht beschrieben als Elendsalkoholismus
Die Art, wie ein Problem definiert wird, beeinflusst
die Lösung, die für ein Problem gefunden wird !
Trunksucht als Form moralischer Verwahrlosung
Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses von 1933:
 Sterilisationspflicht bzw. Zwangssterilisation bei Diagnose
„Alkoholismus“
 Zuweisen der Kategorie „lebensunwertes Leben“ bei
Suchtkranken = ca. 50 000 Alkoholiker ermordet
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Diagnose „Abhängigkeit“: Ein Stigma
Befragung von Studierenden – viertes Semester 2004
Welche pauschalen Urteile lassen sich für Abhängige finden?
Wie kommt Alkoholabhängigkeit zustande?
Ein Alkoholiker ist:
o Krank
85 %
o Ausdruck einer emotionalen Störung
67 %
o Für seinen Zustand selbst schuld
60 %
o Durch die Umgebung zum Trinker geworden
44 %
o Willensschwach
35 %
o Erblich bedingt
14 %
o Nicht leistungsbereit
10 %
o Am ungepflegten Äußeren zu erkennen
8%
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Diagnose „Abhängigkeit“: Ein Stigma
Befragung von Studierenden – viertes Semester - 2003
Welche Eigenschaften treffen am ehesten auf Alkoholiker zu?
Gefährlich
33 %
Sicher
Schwermütig
50 %
Fröhlich
Egoistisch
33 %
Uneigennützig
Treulos
8%
Treu
6%
21 %
8%
21 %
Verschwenderisch
37 %
Sparsam
6%
Verlogen
42 %
Ehrlich
8%
Lärmend
33 %
Ruhig
23 %
Stur
56 %
Einsichtig
2%
Gereizt
67 %
Sanftmütig
6%
Leichtsinnig
35 %
Verantwortungsvoll
6%
2%
Hässlich
16 %
Schön
Rational
16 %
Sanftmütig
12 %
Offen
25 %
Verschlossen
35 %
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Diagnose „Abhängigkeit“: Ein Stigma
Begriff
Befragung von Studierenden – viertes Semester - 2003
Wie verbreitet sind Erfahrungen mit Alkoholikern?
Haben Sie selbst Erfahrungen mit einem Alkoholiker?
O Nein
25 %
O Ja, in der Familie
21 %
O Ja, im Freundeskreis
33 %
O Ja, bei Verwandten
33 %
O Ja, bei Arbeitskollegen
25 %
Könnten Sie mit einem Alkoholiker befreundet sein?
O Ja
81 %
O Nein
16 %
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Diagnose „Abhängigkeit“: Ein Stigma
Welche pauschalen Urteile lassen sich für Abhängige finden?
Gölz 1999:
"Typische Verhaltensstile Abhängiger":
 "Verlagerung der Verantwortung für das eigene Handeln
auf andere
 Regellosigkeit, Unpünktlichkeit, Versäumen von Terminen
 Ausweichen vor Kontakten
 Neigung zu Manipulation
 Ausweichen vor Auseinandersetzen durch schnelle Lügen
 leichte Verführbarkeit zu kriminellen Handlungen
 Ausweichen vor unangenehmen Sachverhalten
 Ambivalenz."
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Diagnose „Abhängigkeit“: Ein Stigma
"Typische Verhaltensstile Abhängiger":
und
wie diese Urteile von den Betroffenen in ihr
Selbstbild übernommen werden.
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Das Problem mit der Diagnose „Abhängigkeit“
Warum ist bei der Diagnose von Abhängigkeit
besondere Vorsicht geboten?
Abhängigkeit ist verbunden mit:
 Vielen Zuschreibungen in Bezug auf
Charaktereigenschaften.
 Lebenslangen Konsequenzen für den
Umgang mit psychoaktiven Substanzen.
 Vielen Möglichkeiten für sozialen
Ausschluss u. Verachtung.
 Wenigen Möglichkeiten, sich gegen
Vorurteile zu wehren.
Abhängigkeit gehört heute noch zu den
schwerwiegendsten Stigmata, die
unsere Gesellschaft kennt!
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Das Problem mit der Diagnose „Abhängigkeit“
Was muss Soziale Arbeit bei Diagnose beachten!
 Mit der Diagnosestellung „Abhängigkeit“ ist sehr sorgsam
umzugehen – sie hat oft lebenslange Bedeutung für den
Betroffenen und ist mit vielen Einschränkungen verbunden =
Sorgfaltspflicht.
 Vorschnelle Urteile über unangepassten Drogenkonsum auf der
Grundlage eigener Gefühle und Befindlichkeiten sind zu
vermeiden = Pflicht zur Reflexion.
 Bei der Diagnosestellung hat sich jeder streng an den
vorgegebenen Diagnosestandards zu orientieren = Pflicht zur
Objektivität.
 Vor der Übernahme einer Diagnose von anderen Kollegen ist
die Grundlage zu prüfen, auf der dieses Urteil gefällt wurde =
Prüfpflicht.
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Die Suche nach einem allgemeinen Begriff „Abhängigkeit“
Begriff
Wie definierte man zunächst Abhängigkeit allgemein?
 Ein intensives Verlangen nach der Droge,
das als bewusstes Motiv alle Handlungen
des Süchtigen durchzieht (= Craving).
 Toleranzentwicklung.
Trifft nicht in jedem
Fall und nicht bei
allen Substanzen
zu!
 Körperliche Abhängigkeit.
 Gewöhnung/Habituation = emotionale
oder psychische Fixierung auf die
angenehmen und euphorischen
Wirkungen der Droge.
 Fehlende Krankheitseinsicht.
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Diagnostik: Substanzspezifische Störungen u. Abhängigkeit
Begriff
Welche Klassifikationssysteme definieren Abhängigkeit?

ICD 10 = Internationale Klassifikation der Krankheiten
(= 10. Revision)

DSM IV = Diagnostisches u. Statistisches Manual Psychischer
Störungen
(= 4. Revision)
International erfolgt ein Abrücken vom allgemeinen
Suchtbegriff, weil dieser zu vielschichtig besetzt ist
= wird ersetzt durch den Begriff „Abhängigkeit“.
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Abhängigkeit: Physische, psychische u. soziale Aspekte
Begriff
In welche Dimensionen wird Abhängigkeit unterteilt?
Physische Aspekte
 Entzugserscheinungen
 Toleranzentwicklung
Psychische Aspekte
 Intensives
Verlangen
 Unfähigkeit zu
Abstinenzperioden
 Ein lustbetontes
Sind eng
miteinander
verflochten!
Objekt, eine
Gewohnheit o. den
Konsum nicht o.
nur schwer u. unter
hohen Kosten
aufgeben können
Soziale Aspekte
 Gewohnheit erhält
zentralen Stellenwert.
 Lebensstil u. soziale
Beziehungen mit u.
um den Konsum
organisiert.
 Vernachlässigung o.
Verlernen anderer
Interessen,
Fähigkeiten,
Beziehungen u. ä.
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Der psychiatrische „Abhängigkeits"-Begriff
Kontrollverlust
versus
„Eine Art Zwang“ oder „ein intensives Verlangen“
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Der psychiatrische „Abhängigkeits"-Begriff
Wie wird Abhängigkeit durch den DSM IV definiert? (I)
DSM-IV (Diagnosekriterien der Amerikanischen Psychiatrischen Organisation):
1. Toleranzentwicklung definiert durch
– Verlangen nach ausgeprägter Dosissteigerung für
gewünschten Effekt.
– Deutlich verminderter Effekt bei fortgesetzter Einnahme
derselben Dosis.
2. Entzugssymptome, die sich äußern
- Charakteristische Symptome der jeweiligen Substanz.
- Dieselbe Substanz wird eingenommen, um
Entzugssymptome zu lindern.
3. Substanz wird häufig in größeren Mengen o. länger als
beabsichtigt genommen
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Der psychiatrische Begriff „Abhängigkeit"
Wie wird Abhängigkeit durch den DSM IV definiert? (II)
DSM-IV (Diagnosekriterien der Amerikanischen Psychiatrischen Organisation):
4. Anhaltender Wunsch o. erfolglose Versuche, den
Substanzkonsum zu verringern o. zu kontrollieren.
5. Viel Zeit für Aktivitäten, um Substanz zu beschaffen, zu
konsumieren u. sich von der Wirkung zu erholen.
6. Wichtige soziale, berufliche o. Freizeitaktivitäten werden
aufgegeben o. eingeschränkt.
7. Fortgesetzter Substanzkonsum trotz Kenntnis eines anhaltenden
o. wiederkehrenden körperlichen o. psychischen Problems.
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Der psychiatrische Begriff „Abhängigkeit"
Wie sind diese Kriterien zu handhaben?
DSM-IV (Diagnosekriterien der Amerikanischen Psychiatrischen Organisation):
„Einige Symptome der Störung, mindestens
aber drei, bestehen innerhalb desselben 12Monatszeitraumes.“
Um die Vielfalt der Phänomenologie von Abhängigkeit
beschreiben zu können, bleibt offen, welche Symptome
jeweils obligatorisch u. welche fakultativ sind:
Syndrom:
 Mit körperlicher Abhängigkeit: Merkmal 1+2
 Ohne körperliche Abhängigkeit: Weder Merkmal 1 o. 2
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Der psychiatrische Begriff „Abhängigkeit"
Wie sehen Schweregrade von Abhängigkeit aus?
DSM-IV (Diagnosekriterien der Amerikanischen Psychiatrischen Organisation):
Leicht: wenn überhaupt, dann nur wenige Symptome
zusätzlich zu denen, die erforderlich sind, um die Diagnose zu
stellen; Symptome führen lediglich zu leichter
Beeinträchtigung in Beruf, Sozialen u. Beziehungen.
Mittel: Symptome oder funktionelle Beeinträchtigung
zwischen „leichter“ u. „schwerer“ Ausprägung.
Schwer: Viele Symptome zusätzlich, wobei diese Beruf,
soziale Aktivität u. Beziehungen deutlich beeinträchtigen
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Allgemeine Diagnostik von Abhängigkeit
ICD-10 :
" Es handelt sich um eine Gruppe körperlicher, Verhaltens- u.
kognitiver Phänomene, bei denen der Konsum einer Substanz o.
einer Substanzklasse für die betroffene Person Vorrang hat
gegenüber anderen Verhaltensweisen, die von ihr früher höher
bewertet wurden. Ein entscheidendes Charakteristikum der
Abhängigkeit ist der oft starke, gelegentlich übermächtige Wunsch,
Substanzen o. Medikamente (ärztlich verordnet o. nicht), Alkohol o.
Tabak zu konsumieren ... Der innere Zwang, Substanzen zu
konsumieren, wird meist dann bewusst, wenn versucht wird, den
Konsum zu beenden o. zu kontrollieren.“
Begriff
„Diese diagnostische Forderung schließt beispielsweise chirurgische
Patienten aus, die Opiate zur Schmerzlinderung erhalten haben u.
die ein Opiatentzugssyndrom entwickeln, wenn diese Mittel abgesetzt
werden, die aber selbst kein Verlangen nach weiterer Opiateinnahme
haben."
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Der medizinische Begriff „Abhängigkeit“
Wie definiert der ICD-10 Abhängigkeit?
 Verminderte Kontrollfähigkeit (! nicht Verlust) bezüglich des Beginns,
der Beendigung u. der Menge des Konsums.
 Nachweis einer Toleranz durch zunehmend höhere Dosen.
 Körperliches Entzugssyndrom bei Beendigung o. Reduktion des
Konsums.
 Fortschreitende Vernachlässigung anderer Lebenstätigkeiten und
Interessen.
 Eingeengte Verhaltensmuster im Umgang mit psychoaktiven
Substanzen.
 Starker Wunsch oder eine Art (!) Zwang, den Konsum trotz
eindeutiger schädlicher Folgen unter allen Umständen fortzusetzen.
Mindestens drei Merkmale müssen im
letzten Jahr vorhanden gewesen sein!
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Körperliche Symptome von Abhängigkeit
Was zeigt körperliche Abhängigkeit an?
Entzugserscheinungen bei Opiaten:
5-8 Stunden
 Tränenfluss, Schweißausbrüche, Sekretion der
Nasenschleimhäute, Gähnen
8-12 Stunden
 Frösteln, erweiterte Pupillen
2-3 Tage
 Ruhelosigkeit, Todesangst, Übelkeit u. Erbrechen, hoher Puls,
Hypertonie, Muskelspasmen an Rücken u. Gliedmaßen, Diarrhö,
Austrocknen
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Körperliche Symptome von Abhängigkeit
Entzugserscheinungen bei Opiaten:
Mit Abstinenz treten bei einigen Personen depressive
Erscheinungen u. psychotische Desintegration auf:
Keine Entzugserscheinungen, sondern eher Ausdruck für
Grundstörung, die durch Opiate selbstmedikamentiert
wurde.
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Verdeckte Abhängigkeit
Kann man mit Abhängigkeit unbemerkt leben?
Wird unbemerkt gelebt, wenn:
 Psycho-aktive Substanz stets verfügbar.
 Konsum unproblematisch, weil z. B. legal beschaffbar.
 Mit keiner unmittelbaren Verhaltensstörungen einhergehend.
Abhängigkeit wird deutlich bei:
 Versuch, Konsum einzustellen
 Knappheit in der Versorgung
Rauchen
Substitution
Medikamente
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Allgemeine Diagnostik von Abhängigkeit
Kann man Abhängigkeit unerkannt leben?
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Allgemeine Diagnostik von Abhängigkeit
Besonderheiten der Diagnoseschemata für Abhängigkeit:
Für die operationalisierte Diagnose z. B. einer
Alkoholabhängigkeit:
 spielt die absolute Trinkmenge keine Rolle!
 spielt die Trinkhäufigkeit keine Rolle.
 Wird sich nicht an der Substanz orientiert, sondern eher an
psycho- und sozialpathologischen Mustern.
 Wird nicht auf die Regelmäßigkeit der Substanzeinnahme
Bezug genommen, sondern auf damit verbundene physischen,
psychische und soziale Probleme.
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Die Diagnose von „Abhängigkeit„
Wenn man beide Inventare zur Diagnostik „Abhängigkeit“ vergleicht?
Die derzeitigen diagnostischen Inventare (DSM
u. ICD-10):
1. Kennzeichnen das Bemühungen, das
diagnostische Herangehen zu
vereinheitlichen = Vergleichbarkeit herstellen
2. Sind darum bemüht, das diagnostische
Herangehen zu objektivieren = Willkür zu
beenden
3. Sind miteinander kompatibel
4. Erfassen aber in vielen Dimensionen auch
soziokulturelle Urteile
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Abhängigkeit: Anforderungen an einen Begriff (I)
Was wird unter„ Abhängigkeit“ verstanden? (I)
 Verfestigung eines Handlungsmusters = regelmäßige/sich
wiederholende Aspekte der Lebenspraxis (Einbindung in andere
Lebensbereiche beachten).
 Keine "verdinglichte" Eigenschaft der Person, sondern ein
Beziehungsphänomen.
 Phänomen = beim Aufeinandertreffen von mentalen
Strukturen/Dispositionen und äußeren Strukturen/Anforderungen
entsteht „abhängiges Handlungsmuster„.
 Abhängigkeit nur in der Praxis beobachtbar (in Handlungen,
Beziehungen), nicht an einzelnen objektivierbaren Merkmalen.
 Stereotypbildung im Realitätsbezug =
Generalisierung/ständige Wiederholung eines Handlungsmusters
und Einschränkung der normalerweise ausgebildeten Flexibilität
an verfügbaren Mustern.
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Abhängigkeit: Anforderungen an einen Begriff
„ Abhängigkeit“ – kein verdinglichtes Merkmal
einer Person,
sondern
ein Beziehungsphänomen (Drogen-Mensch)!
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Abhängigkeit: Anforderungen an einen Begriff (II)
Begriff
Was wird unter„ Abhängigkeit“ verstanden? (II)
 Verlassen kulturell üblicher Entfaltungsmuster, d. h.
„abhängig-sein"= Entwicklung individueller und kollektiver
Probleme wird zentral, werden zu Behinderungen.
 Kein überhistorisches und überstrukturelles
Phänomen, sondern unterschiedlich in Kulturen, Milieus,
Gruppen, Generationen.
 Aneignungsversuch von Realität = ist für den
Konsumenten funktional, hat aber nicht gewollte
Sekundäreffekte.
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Abhängigkeit: Anforderungen an einen Begriff (III)
Begriff
Was wird unter„ Abhängigkeit“ verstanden? (III)
 Verminderte Kontrollfähigkeit =
Einschränkungen der willentlichen Steuerung,
deshalb wird es notwendig, Unbewusstes zu
reflektieren, dem Bewusstsein zugänglich werden
zu lassen und die praktische Logik des
Verhaltens zu erfassen.
 Interaktions- bzw. Beziehungskonflikt =
Schwierigkeiten in der Adaption zwischen Akteur
und näherem und weiterem Umfeld.
 Wahrnehmung als Symptom eines Konflikts,
nicht als Defizit/Eigenschaft des Individuums.
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Die Diagnose „Abhängigkeit“
Welche Kritikpunkte gibt es zu den
Diagnosemethoden von „Abhängigkeit“
 Sie bieten nach wie vor sehr viel subjektiven
Spielraum:
d. h. sie sind auch weiterhin sehr abhängig von:
o individuellen Urteilen des Behandlers
o dem kulturellem Hintergrund der jeweiligen
Gesellschaft
 Insofern unterscheiden sie sich von klassischen
Diagnosen somatischer Erkrankungen!
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Begriff
Folgen von Abhängigkeit
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Abhängigkeit: Anforderungen an einen Begriff (III)
Begriff
Seminarinhalt:
Prof. Dr. Gundula Barsch
Sucht
Abhängigkeit: Prüfen nach Kriterien des DSM
Begriff
J. ist eine vielseitig interessierte Studentin im zweiten
Studienjahr. Neben dem Studium nutzt sie regelmäßig die
Sport- und Kulturangebote der Hochschule und engagiert sich
auch in einem der vielen Clubs auf dem Campus. Dadurch gibt
es fast keinen Abend in der Woche, an dem sie nicht
unterwegs ist und sich abends bei Bier, Wein oder Cocktails
noch mit Leuten trifft. Klar kommt sie morgens dann etwas
schwer aus dem Bett und braucht Zeit, bis sie in der
Vorlesung nicht mehr einschläft. Oft geht sie mitten in der
Lehrveranstaltung zum Kaffeeautomaten, damit der Kopf
nicht immer wieder auf die Bank sinkt. Als sie im letzten Monat
wieder ziemlich schnell pleite war, hat sie ´mal überschlagen,
wo das Geld bleibt – ein nicht unwesentlicher Posten war
dabei das Geld, das sie jeden Abend in den Clubs lässt: etwa
90 €. Wenn Sie die diagnostischen Methode des DSM
anwenden, wie würden sie das Trinkverhalten J.s
charakterisieren?
Prof. Dr. Gundula Barsch
Herunterladen