Kein Folientitel - Dr. Senckenbergisches Institut für Geschichte und

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Geschichte, Theorie und Ethik in der Medizin
19. Mai 2016
Medizinethische Probleme am
Lebensanfang
Dr. rer. nat. Katja Weiske,
Dr. Senckenbergisches Institut für Geschichte und Ethik der Medizin
1
Medizinethische Probleme am Lebensanfang
I. Künstliche Befruchtung
(IVF/ICSI) und
Präimplantationsdiagnostik (PID, seit 2011)
• Frühe Embryonalentwicklung
• Totipotenz/
Pluripotenz
• Verfahren:
IVF/ICSI; PID
• Fallbeispiele
Gesetzgebung:
ESchG mit PID-§
2
II. Der (moralische)
Status des Embryos
• Historische
Entwicklung
• Diskussion um den
Lebensschutz (z.B.
SKIP-Argumente)
• Konsequenzen
III. Pränatale
Diagnostik
(PND, seit 1970er)
• Methoden (z. B.
„PRÄNA-Test“)
und Konsequenzen
• Diagnose DownSyndrom
(Beispiele)
Gesetzgebung:
§218
Gendiagnostikgesetz
Natürlicher Befruchtungsvorgang
3
Embryonalentwicklung
Embryo (16 Stunden alt):
Die zwei Vorkerne (männlich und weiblich) ver-
schmelzen miteinander. Während das Erbgut des
werdenden Embryos zunächst stumm bleibt, stoßen
Proteine im Zytoplasma der Eizelle seine Entwicklung
an und bereiten die erste Zellteilung vor.
4
Embryonalentwicklung
Embryo (2 Tage alt, Vierzeller):
Nachdem sich der Embryo zweimal geteilt hat und
nun aus 4 Zellen besteht, wird sein Erbgut aktiviert.
Einige Gene werden unterschiedlich abgelesen, je
nachdem, ob sie vom Vater oder der Mutter stammen
(imprinting). Äußerlich sind alle Zellen gleich, aber
molekular deuten sich Differenzierungen an.
5
Embryonalentwicklung
Embryo (3 Tage alt, Achtzeller):
Im 8-Zell-Stadium besitzen beim Menschen nicht
mehr alle Blastomere dasselbe Entwicklungspotential. Molekular ist nun entschieden, aus welchen
Blastomeren sich der zukünftige Mensch entwickelt.
6
Embryonalentwicklung
Embryo (4 Tage alt, 16-Zeller):
In diesem Stadium nehmen die einzelnen Zellen
engen Kontakt zueinander auf, um untereinander
Informationen
austauschen.
Diese
Verdichtung
(Compaction) leitet die Entstehung einer inneren
Höhle (Blastocoel) ein.
7
Embryonalentwicklung
Embryo (5 Tage alt, frühe Blastocyste):
Der
Embryo
besteht
nun
aus
einer
äußeren
Zellschicht (Trophoblast), die sich zum kindlichen Teil
der Plazenta entwickeln wird, und einer inneren
Zellmasse (Embryoblast), aus der sich der Embryo
entwickeln wird.
8
Totipotenz der Blastomere
Es wird angenommen, dass ungefähr bis zum
8-Zellstadium einzelne Blastomere noch das
Potenzial
besitzen,
sich
unter
geeigneten
Umständen zu einem vollständigen Menschen zu
entwickeln.
9
Pluripotenz der Stammzellen
Die
Zellen
der
inneren
Zellmasse
der
frühen
Blastocyste sind pluripotent, das heißt sie können sich
nicht mehr zu einem Menschen entwickeln, aber in
verschiedenste Gewebetypen differenzieren. Diese
Stammzellen sind für die Forschung interessant
(gezielte Herstellung benötigter Gewebe). Bei der
Gewinnung
embryonaler
Embryo jedoch zerstört.
10
Stammzellen
wird
der
Präimplantationsdiagnsotik (PID)
Bei der PID werden nach künstlicher Befruchtung
dem frühen Embryo einzelne Zellen entnommen und
genetisch/chromosomal untersucht. Es werden nur
„unbelastete“
Embryonen
in
die
Gebärmutter
transferiert (3.–5. Tag nach der Befruchtung).
Für
dieses
Verfahren
werden
mindestens
7
Embryonen benötigt, um nach der Diagnostik 2
„unbelastete“ Embryonen transferieren zu können.
11
Der ethischen Problematik liegen
folgenden Fragen zugrunde:
Entwickelt sich der Embryo als Person?
Entwickelt sich der Embryo zur Person?
Moralischer Status des Embryos?
12
Historischer Exkurs:
Schon seit der Antike wird die Frage nach
dem Lebensbeginn diskutiert:
Hierbei werden zwei verschiedene Auffassungen vertreten:
Simultanbeseelung: Zeitgleich mit Beginn der körperlichen
Entwicklung tritt die Seele in das Individuum ein.
Sukzessivbeseelung: Seele tritt erst ins Ungeborene, wenn
es menschliche Formen angenommen hat.
Platon (429-347 v.Chr.)
Aristoteles (384-322 v.Chr.)
Simultanbeseelung
Sukzessivbeseelung
13
Historischer Exkurs
„Der Körper muss vor der Beseelung bereits
vorhanden sein“
Augustinus
(354-430)
Albertus Magnus
(1193-1280)
Thomas von
Aquin (1225-1274)
Bedeutende Kirchenlehrer vertraten die Auffassung der
Sukzessivbeseelung. Sie passte zur Schöpfungsgeschichte, nach der Gott die Seele erst nach der
Erschaffung des Körpers einhauchte.
14
Historischer Exkurs
Lehre von der „Heiligkeit des Lebens“
Tertullian (um 150–222 n. Chr.)
bedeutender christlicher Schriftsteller
Beseelung bereits im Samen
Empfängnisverhütung ist ebenso Totschlag
Es gab jedoch auch im frühen Christentum die
gegenteilige Auffassung…
15
Historischer Exkurs
Bis Anfang des 20. Jh. existierte eine abgestufte Bestrafung des Schwangerschaftsabbruchs nach kirchlichem
Strafrecht
Tatbestand des Totschlags war erst erfüllt
beim bereits beseelten Foetus, dem foetus
animatus/formatus:
♂
80/90 Tage nach Empfängnis bei ♀
40 Tage nach Empfängnis bei
16
Konsequenzen für den Lebensschutz …
Ist menschliches Leben…
...grundsätzlich unantastbar?
oder
gibt es Entwicklungsstufen mit steigendem
Anspruch auf Lebensschutz?
17
SKIP-ARGUMENTE
(für konsequenten Lebensschutz ab Befruchtung)
 Spezies:
Schutzwürdigkeit aufgrund der Zugehörigkeit zur Spezies Mensch.
 Kontinuität:
Definition eines Zeitpunktes der Schutzwürdigkeit ist aufgrund der
kontinuierlichen Embryonalentwicklung rein willkürlich.
 Identität:
Embryo ist mit der erwachsenen Person, die aus ihm hervorgehen wird,
in moralisch relevanter Weise identisch.
 Potenzialität:
Embryo hat das Potenzial sich zu einem geborenen Menschen – mit
dann vollem moralischen Status – entwickeln zu können.
18
Diskutierte Zeitpunkte für Beginn der Schutzwürdigkeit:
• ab dem Zeitpunkt der Kernverschmelzung: Tag 0
(individueller genetischer Code; SKIP-Argumente)
• Verlust der Totipotenz: 3./4. Tag (biolog. Individualität als
Voraussetzung für Personalität?)
• ab der Nidation: 8.–14. Tag (Annahme durch den mütterlichen
Körper; Verhütung der Einnistung ist nicht strafbar)
• aufgrund der Individuierung, keine Zwillingsbildung mehr:
14.-15. Tag (biolog.Unteilbarkeit als Voraussetzung für
Personalität?)
• Entwicklung der Großhirnrinde: 40.–70. Tag (biolog. Substrat
für personale Leistungen)
• ab der 12. Woche
• ab der Lebensfähigkeit: ca. 22. Woche
• Geburt/Abnabelung (Eintritt in die menschliche Sprach- und
Rechtsgemeinschaft)
19
Welches Konzept man
auch immer
zugrunde legt:
WIR ARBEITEN MIT
SETZUNGEN!
20
Embryonenschutzgesetz (BRD, seit 1990)
§ 8 Abs. 1
Begriffsbestimmung
(1) Als Embryo im Sinne des Gesetzes gilt bereits die
befruchtete, entwicklungsfähige menschliche Eizelle vom
Zeitpunkt der Kernverschmelzung an, ferner jede dem
Embryo entnommene totipotente Zelle, die sich beim
Vorliegen der dafür erforderlichen weiteren
Voraussetzungen zu teilen und zu einem Individuum zu
entwickeln vermag.
21
Embryonenschutzgesetz (BRD)
§2
Missbräuchliche Verwendung menschlicher
Embryonen
(1) Wer einen extrakorporal erzeugten oder einer
Frau vor Abschluss seiner Einnistung in der
Gebärmutter entnommenen Embryo veräußert
oder zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden
Zweck abgibt, erwirbt oder verwendet, wird mit
Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder mit
Geldstrafe bestraft.
22
Embryonenschutzgesetz (BRD)
§1
Missbräuchliche Anwendung von
Fortpflanzungstechniken
… wird bestraft, wer
2.
es unternimmt, eine Eizelle zu einem anderen Zweck
künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der
Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt,
3.
es unternimmt, innerhalb eines Zyklus mehr als drei
Embryonen auf eine Frau zu übertragen,
(…)
5.
es unternimmt, mehr Eizellen einer Frau zu befruchten, als
ihr innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen, …
23
Auswirkungen des ESchG auf die PID
aufgrund der dargestellten Passagen des
ESchG galt die PID in der BRD bis zum
Jahr 2010 (Selbstanzeige eines Arztes
nach Durchführung der PID) als verboten
• im Dez. 2011 trat eine Änderung des ESchGs in
Kraft
• im Feb. 2014 trat die Ausführungsverordnung
des neuen PID-§in Kraft
24
ESchG:§ 3a Präimplantationsdiagnostik
(seit 08.12.2011)
(1) Wer Zellen eines Embryos in vitro vor seinem intrauterinen
Transfer genetisch untersucht (Präimplantationsdiagnostik), wird
mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Besteht auf Grund der genetischen Disposition der Frau …
oder des Mannes … das hohe Risiko einer schwerwiegende
Erbkrankheit, handelt nicht rechtswidrig … wer … Zellen des
Embryos in vitro vor dem intrauterinen Transfer … genetisch
untersucht.
Nicht rechtswidrig handelt auch, wer eine Präimplantationsdiagnostik … zur Feststellung einer schwerwiegenden
Schädigung des Embryos vornimmt, die mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer Tot- oder Fehlgeburt führen wird.
25
PID in Europa
 Neben Großbritannien, Belgien und Frankreich (seit den 90er
Jahren) haben in Europa ebenfalls die Niederlande, Spanien,
Portugal, Dänemark, Norwegen, Schweden, Tschechien u. a. die
PID gesetzlich geregelt und erlaubt.
 In vielen osteuropäischen Ländern wird die PID ohne
nationalgesetzlichen Rahmen durchgeführt.
 In der Schweiz wird im Juni 2016 eine Gesetzesänderung für eine
PID-Erlaubnis dem Volk zur Abstimmung vorgelegt.
 In Österreich ist die PID seit 2015 unter strengen Voraussetzungen
erlaubt.
 Sonderfall Italien: gesetzliches PID-Verbot per Gerichtsurteil als
Verletzung des Persönlichkeitsrechts gewertet.
26
Ethische Problemfelder der PID:
• der moralische Status des Embryos
• die Totipotenz der Blastomere (in Deutschland PID erst im
Blastocystenstadium)
•
Konflikt zwischen ESchG und PID-Zulassung
•
Indikationserweiterung der künstlichen Befruchtung
•
Kann PID Spätabbrüche verhindern?
•
der Begriff „schwerwiegende Erbkrankheit“ bzw.
„schwerwiegende Schädigung“, neue „Eugenik“?
•
Gefahr der Diskriminierung lebender behinderter Menschen
•
die Gefahr des „Dammbruchs“, also Ausweitung der
Indikationen für PID (Erfahrungen im Ausland?)
27
Anwendung in Deutschland im internat. Vergleich
 England: ca. 250/Jahr
3,6 PID pro 1 Mio Einwohner
(neun PID-Zentren)
 Belgien: ca. 350/Jahr
33 PID pro 1 Mio Einwohner
(sieben PID-Zentren)
 Frankreich: ca. 350/Jahr
6 PID pro 1 Mio Einwohner
(drei Zentren)
 BRD: man schätzt künftige Fallzahlen auf max. 250 pro Jahr
ca. 3 PID pro 1 Mio Einwohner
28
Anwendungsbereiche der PGD* und Zulässigkeit von PGS**
*PGD= Prenatal Genetic Diagnosis; PGS = **Prenatal Genetic Screening
(Quelle: Nippert, 2006)
29
Fallbeispiel 1
(Berliner Arzt, 2010)
• Vorliegen einer elterlichen
Translokation, Folge:
• Mehrere Fehl- und
Totgeburten
• Nach IVF mit PID Transfer
von Embryonen ohne
Translokation, Geburt eines
gesunden Kindes
• Alternativen: Verzicht auf
eigene Kinder oder weitere
„Versuche“ auf natürlichem
Weg
30
Fallbeispiel 2
(Frankreich, Sommer 2011)
• Eltern eines an β-Thalassämie
erkrankten Kindes
(Knochenmarkstransplantation
nötig)
• Nach IVF mit PID Transfer von
Embryonen ohne Mutation und
HLA-kompatibel zum
erkrankten Kind
• Geburt eines gesunden
„Rettungsgeschwisterkindes“
• Alternativen: Verzicht oder
Schwangerschaft mit PND und
Abbruch
Kosten in der BRD, bisher keine Kassenleistung
• Etablierung eines genetischen Testsystems: ca. 4000 €
• Kosten pro PID-Behandlungszyklus:
• Genetische Testung embryonaler Zellen:
ca. 2000 €
• Befruchtung (ICSI), Zellentnahme, Transfer: ca. 4300 €
Plus Kosten, die für die hormonelle Stimulation benötigt werden!
•
Kosten für die Ethikkommission: ca. 1500 – 3000 €
(Angaben als Schätzungen auf der Webseite des PID-Zentrums Lübeck sowie
der Ethikkommission Nord, Landesärztekammer Hamburg)
31
Entdeckung der
Trisomie 21
1959/60
|
|
|
1945
genet.
Altersrisiko
1968
1. pränatale Diagnose
einer Trisomie 21
32
1978
|
Triple Test / weitere
Serumscreeningverfahren
|
|
|
|
1980
CVS
1990
Aug. 2012
FISH
Trisomie 21-Test:
Ultraschall als
Routineuntersuchung
freie fetale DNA
im mütterl. Blut
33
§ 218: Entwicklung
• Erstmals 1870: StGB des Norddeutschen Bundes:
§ 218: „ Eine Schwangere, die ihre Frucht vorsätzlich abtreibt, oder
im Mutterleib tötet, wird mit Zuchthaus bis zu 5 Jahren bestraft“
übernommen ins StGB, bis heute – modifiziert – gültig
• 1974: Straffreiheit bis zur 12. Woche; Fristenlösung mit
Beratungspflicht
• 1976 – 1995: Indikationenmodell
(Straffreiheit bei vorliegender Indikation):
 Soziale Indikation (bis zur 12. Woche)
 Kriminologische Indikation (bis zur 12. Woche)
 Medizinische Indikation (Gesundheit der Mutter, bis Beginn
Geburtswehen)
 Embryopathische Indikation („schwere Schädigung“ des Kindes,
bis 22. SSW)
34
§ 218: Entwicklung
• seit 1995:
§ 218
Schwangerschaftsabbruch
(1) Wer eine Schwangerschaft abbricht, wird mit
Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe
bestraft. Handlungen, deren Wirkung vor Abschluß der
Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter
eintritt, gelten nicht als Schwangerschaftsabbruch im
Sinne dieses Gesetzes.
35
§ 218: sog. „Beratungsregelung“
§ 218a
Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs
(1) Der Tatbestand des§ 218a ist nicht verwirklicht, wenn
1. Die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und
dem Arzt durch eine Bescheinigung nach § 219 Abs. 2 Satz 2
nachgewiesen hat, daß sie sich mindestens drei Tage vor dem
Eingriff hat beraten lassen,
2. Der Schwangerschaftsabbruch von einem Arzt vorgenommen
wird und
3. seit der Empfängnis nicht mehr als zwölf Wochen vergangen
sind.
36
§ 218a: sog. „Beratungsregelung“
§ 219
Beratung der Schwangeren in einer Not- und Konfliktlage
(2) Die Beratung hat nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz
durch eine anerkannte Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle zu
erfolgen. Die Beratungsstelle hat der Schwangeren nach Abschluß
der Beratung hierüber eine mit dem Datum des letzten Beratungsgesprächs
und
dem
Namen
der
Schwangeren
versehene
Bescheinigung nach Maßgabe des Schwangerschaftskonfliktgesetzes
auszustellen.
Der
Arzt,
der
den
Abbruch
Schwangerschaft vornimmt, ist als Berater ausgeschlossen.
37
der
§ 218a: sog. „Beratungsregelung“
Das Ausstellen eines Beratungsscheins erfolgt allein
über die Teilnahme an einer Beratung (nach § 219)
und ist ansonsten voraussetzungslos
Im Jahr 2015 wurden in der BRD insgesamt 99.237
Schwangerschaftsabbrüche registriert, davon
erfolgten 95.338 über die Beratungsregelung
(Quelle: Statistisches Bundesamt)
38
§ 218: „Medizinische Indikation“
§ 218a
Straflosigkeit des Schwangerschaftsabbruchs
(2) Der mit Einwilligung der Schwangeren von einem Arzt
vorgenommene Schwangerschaftsabbruch ist nicht rechtswidrig,
wenn der Abbruch der Schwangerschaft unter Berücksichtigung
der gegenwärtigen und zukünftigen Lebensverhältnisse der
Schwangeren nach ärztlicher Erkenntnis angezeigt ist, um eine
Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden
Beeinträchtigung
des
körperlichen
oder
seelischen
Gesundheitszustandes der Schwangeren abzuwenden, und die
Gefahr nicht auf eine andere für sie zumutbare Weise
abgewendet werden kann.
39
§ 218: „Medizinische Indikation“
….im Zusammenhang mit einem auffälligem Befund
Gesetz zur Änderung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes
(seit 01. 10. 2010):
 Diagnosemitteilender Arzt muss unter Hinzuziehung entsprechender
Fachleute (z. B. Pädiater) umfassend über die im Raum stehende
Gesundheitsschädigung des Kindes beraten (medizinische, psychische und
soziale Aspekte)
 Anspruch der Schwangeren auf weitere und vertiefende psychosoziale
Beratung in einer Schwangerschaftsberatungsstelle.
 Diagnosemitteilender Arzt muss über die medizinischen und psychischen
Aspekte eines Schwangerschaftsabbruchs aufklären (vor Feststellung der
medizinischen Indikation)
 Zwischen Diagnosemitteilung und schriftlicher Feststellung der
medizinischen Indikation muss eine Bedenkzeit von 3 Tagen liegen.
40
www. Tim-lebt.de
Ethische Problematik seit 1995:
sog. „Spätabbrüche“ (nach der 22. SSW, Grenze zur
Lebensfähigkeit)
Bsp.: Das „Oldenburger Baby“ (1997)
Ein Junge mit Down-Syndrom überlebt seinen eigenen
Schwangerschaftsabbruch (25. SSW). Erst nach 9 Stunden
werden lebensrettende Maßnahmen eingeleitet. Tim lebt
heute schwerst behindert in einer Pflegefamilie.
41
„PRAENA“-TEST
(seit 2012)
• Ab 9. SSW: Fetale DNA aus mütterlichem Blut wird vornehmlich
auf Trisomie 21 untersucht (seit Feb. 2013 auch Trisomie 13 und 18)
• Ethische Diskussion:
 Diskriminierung von Menschen mit Down-Syndrom durch gezielte
Auslese
 Druck auf Frauen, den „ungefährlichen“ Test machen zu lassen
• Juristische Diskussion:
 Verstoß gegen das Diskriminierungsverbot (Grundgesetz)?
 Verstoß gegen GenDG? Test nur für medizin. Zwecke erlaubt
• Ausblick:
 Tests werden weiterentwickelt, um möglichst viele genetische
Veränderungen zu erfassen
 Die durch das GenDG vorgegebene Beratungspflicht wird künftig
durch das Angebot sog. „Direct to Consumer-Tests“ (Internet)
untergraben.
42
Gesetze, die fortpflanzungsmedizinische Belange regeln:
• Embryonenschutzgesetz (seit 1991)
→ Präimplantationsdiagnostikgesetz (Verordnungsermächtigung
innerhalb des ESchG; seit 2011)
• Stammzellgesetz (zur Sicherstellung des ESchG im Zusammenhang
mit Einfuhr und Verwendung menschlicher embryonaler Stammzellen;
seit 2002)
• Gendiagnostikgesetz (regelt genetische Untersuchungen beim
Menschen, auch vorgeburtlich; seit 2010)
• § 218a StGB (Fristenlösung mit Beratungspflicht, medizinische
Indikation, kriminologische Indikation; in dieser Form seit 1995)
• Schwangerschaftskonfliktgesetz (Vermeidung und Beratung von
Schwangerschaftskonflikten; seit 1992)
→ Brauchen wir ein Fortpflanzungsmedizingesetz?
43
Fazit
• Aus biologisch gesichertem Wissen einerseits, sowie aus unseren
(historisch geprägten) unterschiedlichen Wertvorstellungen bezgl.
eines (moralischen) Status des Embryos andererseits, müssen
allgemeine Handlungsgebote und Handlungsverbote abgeleitet
werden (Gesetzgeber).
• Hierbei bewegen wir uns in dem Spannungsfeld zwischen dem
gebotenen Schutz eines hochwertigen Gutes (menschliches
Leben!) in seiner genetischen Vielfalt und der persönlichen
Lebensgestaltung einschließlich eigenverantwortlicher autonomer
Entscheidungen von Eltern (letztere sind wiederum von
gesamtgesellschaftlicher Entwicklung abhängig…).
• Quantitative Dimension von Abtreibung in der BRD (2015):
99.237 insgesamt, davon 3879 nach medizinischer Indikation, davon
634 Spätabbrüche. Erwartete PID-Fälle: max. 250/Jahr
44
Die Sicht der Betroffenen:
Menschen mit Down-Syndrom äußern sich
 YOUTUBE-VIDEO:
BEHINDERTE GESTALTEN DAS MAGAZIN
„OHRENKUSS“
 www.ohrenkuss.de/film
Die Ohrenkuss Ausgabe Nummer 34 hat das Thema
“Wer bin ich, wer bin ich nicht”. Das Ohrenkuss-Team
hat ein halbes Jahr lang daran gearbeitet. Das zeigt
dieser Film.
45
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