Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression Der moderierende Einfluss frühkindlicher Traumaerfahrung auf die Behandlungsresonanz bei Erwachsenen mit chronischer und episodischer Depression Ines Kiefer [email protected] Betreuerin: Cornelia Witthauer, MSc Abteilung für klinische Psychologie und Epidemiologie Prof. Dr. Roselind Lieb Universität Basel April 2014 Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 1 Inhaltsverzeichnis 1. Inhaltsverzeichnis 1 2. Abstract 3 3. Einleitung 4 4. Theorie 5 4.1 Beschreibung des Störungsbildes 5 4.2 Kategorisierung nach DSM-4 6 4.3 Epidemiologie depressiver Störungen 6 4.4 Diagnose nach DSM-4 7 4.4.1. Instrumente zur Diagnosestellung und Schweregradmessung 4.5 Verlauf depressiver Störungen 4.5.1. Begriffsbestimmung und Verlaufskurven 9 9 9 4.5.2. Heterogenität des Verlaufs 11 4.5.3. Chronischer Verlauf 11 4.5.4. Zusammenhang zwischen rezidivierendem Verlauf und Chronizität 12 4.6 Behandlung depressiver Störungen 12 4.6.1. Evaluierte Therapieformen 12 4.6.2. Die Resonanz evaluierter Therapieformen 14 4.6.3. Fragen moderner Therapieforschung 14 4.6.4. Definition Moderator 15 4.7 Moderatoren der Response: der Weg zur Identifizierung 4.7.1. Bedingungen eines ungünstigen Verlaufs 4.8 Frühkindliche Traumaerfahrung 15 16 16 4.8.1. Definition 16 4.8.2. Sexueller Missbrauch 17 Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 2 4.8.3. Körperliche Misshandlung 17 4.8.4. Instrumente zur Erfassung frühkindlicher Traumaerfahrung 17 5. Herleitung der Fragestellung 18 6. Empirische Studien 19 6.1 Literaturrecherche 19 6.2 Vergleich der empirischen Studien 21 6.2.1. Inhalt und Hypothesen der empirischen Studien 22 6.2.2. Methodik der empirischen Studien 23 6.2.3. Ergebnisse der empirischen Studien 24 7. Zusammenfassende Diskussion 27 7.1 Kritische Reflexion der Vorgehensweisen der Studien 27 7.2 Interpretation der Ergebnisse 28 7.3 Bedeutung der Ergebnisse für die moderne Therapieforschung 30 7.4 Kritische Reflexion der eigenen Vorgehendweise 30 8. Quellenverzeichnis 31 Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 3 Abstract Einführung Unter Patienten mit einer depressiven Störung findet sich eine auffallend hohe Prävalenzrate von frühkindlicher Traumaerfahrung (TE). Zahlreiche Studien haben sich mit der Wirksamkeit von Psychotherapie, Pharmakotherapie, oder einer Kombinationstherapie bei chronischer und episodischer Major Depression beschäftigt. Dem Einfluss von TE auf das therapeutische Ansprechen (Response) wurde dabei bislang wenig Beachtung geschenkt. Diese Arbeit beschäftigt sich mit der Frage ob die Bedingung „TE vorhanden“ einen Moderator der Response bei Erwachsenen darstellt. Methoden 3 Studien konnten mithilfe der Datenbanken Web of Science und Pubmed identifiziert werden. Folgende Suchbegriffe wurden in Kombination verwendet: early adversity, childhood trauma, treatment response, depression und chronic forms of depression. Als Einschlusskriterium galt die quasi-experminentelle Untersuchung des Moderatoreffekts während einer Behandlung von 12 bis 16 Wochen. Ergebnisse Alle Studien können TE als signifikanten Moderator nachweisen. Der Effekt tritt über verschiedene Behandlungsmethoden hinweg, und sowohl bei chronischer als auch bei episodischer Major Depression auf. Schlussfolgerung Die Erfassung von frühkindlicher TE zu Beginn der Behandlung einer depressiven Störung ist bedeutend. Der Moderatoreffekt muss bei der Wahl der Behandlungsmethode berücksichtigt werden um einen schnellst möglichen Therapieerfolg zu erreichen. Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 4 Einleitung Depressive Störungen gehören weltweit zu den häufigsten psychischen Erkrankungen (Alonso et al., 2004). Sie gehen mit enormem Leidensdruck und erheblichen Einbussen im psychosozialen Bereich einher. Auch für die Angehörigen der Betroffenen stellen sie eine starke Belastung dar (Kessler et al., 2003). Der Verlauf depressiver Störungen ist sehr heterogen (Klein et al., 2009). Nur bei einem kleinen Anteil der Fälle klingt die Symptomatik nach 3 bis 4 Monaten von alleine wieder ab. Bei einem grösseren Teil bleibt sie oft jahrelang bestehen, oder kehrt nach einstigem Abklingen episodisch wieder (Paykel, Brugha, & Fryers, 2005). Derartige Verläufe können sich trotz professioneller Behandlung zeigen (Wittchen & Zerrsen, 2012). Mit zunehmenden Episoden wird der Übergang zur Chronizität fliessend (Paykel et al., 2005). Dies macht die Notwendigkeit deutlich, die Erkrankung möglichst bei der ersten Episode zu behandeln und dabei Rückfällen vorzubeugen. Es liegt heutzutage eine grosse Auswahl an evaluierten Psychotherapien und Pharmakotherapien vor (Tranter, O`Donovan, Chandarana, & Kennedy, 2002). Trotz der nachgewiesenen Effektivität dieser Methoden, bestehen weiterhin hohe Raten von rezidivierenden Fällen, und die Prävalenz chronischer Verläufe liegt über 20% (Rubio et al., 2011). Tranter et al., (2002) weisen darauf hin, dass dieser Umstand möglicherweise durch häufige Inkompatibilität zwischen Behandlung und Individuum zustande kommt. Um dem entgegen zu wirken, versucht die moderne Therapieforschung Vorhersagemöglichkeiten für die Angemessenheit der Intervention im Individualfall abzuleiten (Wittchen & Hoyer, 2011). Hierzu bedarf es der Aufdeckung von Moderatoren der Response (Nemeroff et al., 2003). Als Ausgangspunkt dieser Forschung kann das Wissen zu unterschiedlichen Entstehungsbedingungen der Erkrankung dienen (Wittchen & Hoyer, 2011). Wie Lewis et al. (2010) zusammenfassen, konnte in zahlreichen Studien frühkindliche TE als Risikofaktor für die Entstehung einer MD belegt werden. Nemeroff et al. (2003) konnten zudem nachweisen, dass sich unter depressiven und chronisch depressiven Patienten eine hohe Prävalenz von früher TE finden lässt. Ebenfalls bekannt, ist die Tatsache, Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 5 dass diese Bedingung ein entscheidender Moderator für den Verlauf und die Schwere der Erkrankung darstellt (Harkness, Bagby, & Kennedy, 2012). Die Frage, ob TE auch moderierend auf die Response wirkt, liegt nahe. Der Forschungsstand zu diesem potentiellen Moderatoreffekt ist jedoch gering (Lewis et al., 2010.) und setzt sich aus sehr unterschiedlichen Untersuchungen zusammen. Diese Arbeit stellt einen Vergleich drei solcher Studien an. Im Mittelpunkt steht die Frage, ob die Bedingung „TE vorhanden“, die Response bei der Behandlung von Erwachsenen signifikant moderiert. Nach Beschreibung des Störungsbildes und Zusammenfassung einiger epidemiologischer Daten, wird die Diagnostik depressiver Störugnen aufgeführt. Anschliessend erfolgt ein Überblick evaluierter Behandlungsformen und der aktuellen Fragestellungen moderner Therapieforschung. Im Anschluss an die Definition von frühkindlicher TE, werden 3 Forschungsarbeiten vergleichend gegenüber gestellt, um schliesslich zur zusammenfassenden Diskussion zu kommen. Da die Diagnosen der Studien, auf welche sich diese Arbeit bezieht, auf dem DSM-4 (Diagnostisches und statistisches Manual psychischer Störungen, 4. Auflage) beruhen, wird auf die Kategorisierung und die Diagnosekriterien dieses Manuals Bezug genommen. Theorie Beschreibung des Störungsbildes Die Beeinträchtigung der Erkrankung erfolgt auf verschiedenen Ebenen. Neben den Gefühlen, sind auch die Gedanken, der Körper und das Handeln beeinflusst (Wittchen & Hoyer, 2011). Die Symptomatik kann dabei ein weites Spektrum annehmen. So können neben pessimistischen und negativen Gedanken, etwa Konzentrationsstörungen und Entscheidungsprobleme vorliegen (Davison, Neale, & Hautzinger, 2007). Die körperliche Symptomatik zeichnet sich durch Beeinträchtigung grundlegender biologischer Funktionen aus (Davison et al., 2007). Starke Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 6 Traurigkeit, Niedergeschlagenheit und Hoffnungskosigkeit sind charakteristische Symptome auf der Gefühlsebene (Wittchen, 2004). Das Selbstbild depressiver Patienten ist oft durch Schuldgefühle, Selbstvorwürfe, sowie Gefühlen von Wertlosigkeit bestimmt (Davison et al., 2007). Folgen und zugleich Verstärker dieser Symptomatik, können sozialer Rückzug und Vereinsamung sein (Davison et al., 2007). Wie Nemeroff et al. (2003) berichten, liegt je nach Schweregrad der Erkrankung möglicherweise eine Neigung zu Selbstmordgedanken,- und versuchen vor. Kategorisierung nach DSM-4 Als Störungen der Stimmungslage, werden depressive Störungen im DSM-4 neben den bipolaren Störugnen unter „affektive Störungen“ zusammengefasst (siehe Abbildung 1). Wie Abbildung 1 zudem verdeutlicht, wird zwischen der Major Depression einzelne Episode oder rezidivierend, und der Dysthymie unterschieden. Abbildung 1.Affektive Störungen nach DSM-4 (zitiert in Wittchen und Hoyer, 2011, S. 881). Epidemiologie depressiver Störungen Wie Alonso et al. (2004) zeigen konnten, gehören depressive Störungen weltweit mit zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Der Median des Ersterkrankungsalters liegt bei 26 Jahren, Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 7 wobei Frauen doppelt so häufig erkranken wie Männer (Wittchen & Jacobi, 2005). Die Major Depression tritt am häufigsten auf, während die dysthyme Störung seltener ist (siehe Tabelle 1). Tabelle 1 Prävalenzen depressiver Störungen ( Alonso et al., 2004; Kessler et al., 2003) Punktprävalenz 8.0 - 10.0% 12-Monatsprävalenz 6.0 - 8.0% Major Depression 1.5 - 4.9% 2.6 - 9.8% 4.4 - 18.0% Dysthymie 1.2 - 3.9% 2.3 - 4.6% 3.1 - 3.9% Depressive Störungen Lebenszeitprävalenz 16.0 - 20.0% Diagnose nach DSM-4 Voraussetzung für die Diagnosestellung depressiver Störungen ist das Vorhandensein einer depressiven Episode, welche folgenden Kriterien entspricht: A. Die Episode muss seit mindestens 2 Wochen andauern, und sich durch mindestens 5 der folgenden Symptome kennzeichnen. Mindestens eins der Symptome muss depressive Verstimmung (1.) oder Verlust an Interesse und Freude (2.) sein: 1. Depressive Verstimmung an fast allen Tagen, die meiste Zeit des Tages. 2. Deutlich vermindertes Interesse oder Verlust an Freude an (fast) allen Aktivitäten. 3. Verminderter Appetit und Gewichtsverlust, oder gesteigerter Appetit und Gewichtszunahme. 4. Schlaflosigkeit oder vermehrter Schlaf. 5. Veränderung des Aktivitätsniveaus, entweder Verlangsamung oder Unruhe. 6. Energieverlust oder grosse Müdigkeit. 7. Schuldgefühle oder Gefühle der Wertlosigkeit. 8. Verminderte Konzentrationsfähigkeit, Denk,-oder Entscheidungsfähigkeit. 9. Wiederkehrende Gedanken an den Tod. B. Keine gemischte Episode C. Klinisch bedeutsames Leiden oder Beeinträchtigungen Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 8 D. Keine Folge einer Substanz oder eines allgeimeinen medizinischen Krankheitsfaktor E. Keine Trauerreaktion Nach dieser Erfassung kann schliesslich die kodierbare Diagnose gestellt werden. Neben der Häufigkeit der über die Lebensspanne aufgetretenen Episoden, spielt dabei das Zeitkriterium eine entscheidende Rolle (siehe Tabelle 2). Episoden werden als getrennt betrachtet, falls die Kriterien in einem 2-monatigen Intervall nicht erfüllt waren. Tabelle 2 Kriterien der kodierbaren Diagnosen nach DSM-4 MD, Kriterium A Vorhandensein Kriterium B Kann nicht besser Kriterium C Es trat niemals eine einzelne einer einzigen durch eine schizoaffektive manische Episode, Episode Episode einer Störung erklärt werden und eine gemischte Major Depression. überlagert nicht eine Episode oder eine Schizophrenie, (. . .) oder hypomane Episode psychotische Störung. auf. Kriterium D MD, Vorhandensein von siehe Kriterium B, siehe Kriterium C, rezidi- zwei oder mehreren MD einzelne MD einzelne vierend Episoden einer MD. Episode. Episode. Dys- Depressive Dabei treten mind.2 der In der betreffenden In den ersten zwei thyme Verstimmung die folgenden Symptome auf: Zwei-Jahres- Jahren dieser Störung meiste Zeit des Tages 1.Appetitlosigkeit/ über- Periode gab es Störung bestand an mehr als der mässiges Bedürfnis keinen Zeitraum keine Episode einer Hälfte aller Tage zu essen. von länger als 2 Major Depression, Monaten ohne d.h. das Symptome. Störungsbild wird über einen Zeitraum von 2 Jahren. 2.Schlaflosigkeit/ übermässiges Schlafbedürfnis. 3.Energiemangel/ Erschöpfung. 4.Konzentrationsstörung/ Entscheidungserschwernis. 5.Hoffnungslosigkeit Anmerkung. MD = Major Depression. nicht besser durch eine chronische oder teilremittierte Major Depression erklärt. Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 9 Instrumente zur Diagnosestellung und Schweregradmessung. Verschiedene standardisierte Verfahren existieren, um depressive Störungen zu diagnostizieren und die Symptomschwere zu erheben. Tabelle 3 stellt eine Zusammenfassung der Instrumente dar, welche in den für diese Arbeit relevanten Studien verwendet werden. Tabelle 3 Diagnosestellung und Schweregradmessung mittels SKID und Ham-D Beschreibung Semi-strukturiertes Stärken Reliabilität und Einschränkungen Kein voll strukturiertes klinisches Interview. Validität Interview. Reliabilität Interview für Diagnosestellung von sehr gut belegt abhängig von DSM-4 Axe1 Störungen. (Lobbestael, Rahmenbedinungen und (Wittchen, Durchführung durch Leurgans, vom Interviewer Zaudig, & ausgebildete Interviewer. & Arntz, 2010). (First,Gibbon, Spitzer, Strukturiertes SKID Friedrich, 1997) Janet, & Williams, 2002). Semi-strukturiertes Adäquate innere Diskrepanz in der Interview. Reliabilität und gut Interrater,- und Depressions Meist gebrauchte belegte Validität Retestreliabilität über Skala Symptomschwereskala (Bagby, Ryder, Items hinweg (Hamilton, (Zimmermann, Schuller, (Bagby et al, 2004). 1960) Chelminski, & Marshall, 2004). Hamilton Ham-D & Postenak, 2004). Anmerkung. DSM-4 = Diagnostisches und stsatistisches Manual psychischer Störungen, 4. Auflage. Verlauf depressiver Störungen Bei der MD handelt es sich um eine episodische Störung mit einer Episodendauer stark beeinträchtigender Symptomatik von ca 3-4 Monaten (Kessler et al., 2003). Der Verlauf kann, unbehandelt oder trotz professioneller Behandlung, sehr heterogen ausfallen (Klein et al., 2009). Begriffsbestimmung und Verlaufskurven. Bei der Beschreibung möglicher Verlaufskurven treten spezifische Begriffe in den Vordergrund. Tabelle 4 fasst diese Begriffe Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 10 zusammen und erläutert deren Bedeutung. Mittels Abbildung 2 werden im Anschluss mögliche Verlaufskurven graphisch dargestellt. Tabelle 4 Begriffserklärung Verlauf, nach Kempermann, Henke, Sasse, & Bauer (2008) Bedeutung Thera- Zeitpunkt der Symptombesserung unter Therapie, definiert an einer Schweregradskala. peutisches Response: mindestens 50%-ige Reduktion der depressiven Symptomatik. Ansprechen Partielle Response: Besserung von 25%-50% innerhalb von 4-6 Wochen Behandlung. (Response) Non-Response: Ausbleiben eines solchen Wirkeintritts. Partielle Deutliche Besserung der Symptome. Die Kriterien einer MD sind nicht mehr erfüllt. Remission Dennoch lassen sich noch mehrere Symptome der Erkrankung nachweisen. Volle Symptomfreiheit, oder minimale Symptome (Max. 8 Pkte im Ham-D). Das Remission psychosoziale Funktionsniveau des Patienten ist wiederhergestellt. Definiert über einen Zeitraum von 6 Monaten. Diese Phase zählt noch zur vorangehenden Episode (WGO). Rückfall Wiederauftreten von Symptomen im Zeitraum der Remissionsphase. Die Kriterien für (Relapse) eine MD sind erneut erfüllt, d.h. Wiederkehren der Episode innerhalb von 6 Monaten. Genesung Über 6 Monate anhaltende Remission von der letzten Erkrankungsepisode an. Die (Recorvery) vorangegangene Episode wird als abgeschlossen angesehen, nicht jedoch die affektive Erkrankung an sich. Rezidiv Erneute Ausbildung des Vollbildes einer depressiven Episode nach Eintreten der (Recurrence) Genesung. In diesem Fall ist von einer unabhängigen, weiteren Episode zu sprechen. Anmerkung. Ham-D = Hamilton Depressions Skala; MD = Major Depression; WGO = Weltgesundheitsorganisation. Abbildung 2 kombiniert diese Begriffe mit der graphischen Darstellung möglicher Verlaufskurven: Abbildung 2. Verlauf depressiver Störungen nach Kempermann et al., 2008. Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 11 Heterogenität des Verlaufs. Während bei etwa einem Drittel der Betroffenen nur eine Episode auftritt, erleiden die restlichen zwei Drittel der Fälle weitere Episoden (Paykel et al., 2005). Nur bei der Hälfte dieser rezidivierenden Verläufe tritt vollständige Remission im Zeitraum zwischen den Episoden auf. Bei der anderen Hälfte bleibt die Remission entweder ganz aus, oder residuale Symptomatik bleibt zurück (Kessler et al., 2003). Dieser häufige rezidivierende Verlauf von Major Depression stellt insofern ein Problem dar, dass mit jeder neuen Episode die Episodendauer, sowie die Wahrscheinlichkeit für weitere Episoden steigt. So liegt die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten weiterer Episoden nach einer abgelaufenen Episode bei 60%, bei 2 abgelaufenen Episoden bei 70% und bei drei steigt sie auf 90% an (Wittchen & Hoyer, 2011). Mit dieser Entwicklung seigt auch das Risiko einer chronischen Erkrankung (Davison et al., 2007). Chronischer Verlauf. Als chronisch definiert, wird eine depressive Störung deren Symptomatik mindestens 2 Jahre andauert. Dabei unterscheidet das DSM-4 zwischen 5 Untergruppen, welche mittels Tabelle 5 dargestellt werden. Tabelle 5 Chronische Formen depressiver Störungen, nach DSM-4 Beschreibung Dysthyme Störung Siehe Tabelle 1 Chronische MD Die Kriterien einer MD über mindestens 2 Jahre erfüllt Verlauf Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 12 Fortsetzung Tabelle 5 Beschreibung Rezidivierende MD, Teilremission im Intervall Residuale Symptomatik im Intervall Double Depression MDE auf bereits bestehende Dysthymie aufgelagert Double Depression, chronifizierte MDE Chronische MDE auf bereits bestehende Dysthymie aufgelagert Verlauf Anmerkung. MD = Major Depression; MDE = Episode einer Major Depression. Zusammenhang zwischen rezidivierendem Verlauf und Chronizität. In Anbetracht der Häufigkeit rezidivierender Verläufe, und des fliessenden Übergangs zur Chronizität, erstaunt es nicht, dass die Prävalenz von chronischer Major Depression zwischen 21.2% und 29% liegt (Rubio et al., 2011). Jeder 4. Fall einer Major Depression erfüllt demnach die Kriterien einer chronischen Depression. Wie Rubio et al. (2011) ebenfalls zeigen konnten, stellen depressive Störungen in der Allgemeinbevölkerung eine der bedeutendsten Ursachen der allgemeinen Gesundheitskosten dar. Dieser Umstand ist nach Rubio et al. zu einem erheblichen Anteil auf chronische Verläufe zurückzuführen. Neben den schweren Folgen für die Betroffenen und deren Angehörige, verdeutlicht dies die Notwendigkeit möglichst bei der ersten Episode zu behandeln, und einen langhaltigen Therapieerfolg anzustreben. Sowohl akute Linderung der depressiven Symptomatik, als eine langfristig wirksame Rückfallprophylaxe stehen im Mittelpunkt der Behandlung (Wittchen & Hoyer, 2011). Behandlung depressiver Störungen Evaluierte Therapieformen. Es liegt eine breite Auswahl an Behandlungsstrategien vor, welche sich evaluierter Psychotherapien und Pharmakotherapien bedienen (Von Wolf et al., 2012). Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 13 Nach Wittchen und Jacobi (2005) erfolgt am häufigsten eine rein medikamentöse Therapie (in 38 % der Fälle). Eine psychologische Therapie wird nur bei 14% durchgeführt, und 33 % der Betroffenen erhalten eine Kombinationstherapie. Tabelle 6 fasst evaluierte Monotherapien zusammen, und vergleicht darüber hinaus die Effektsteigerungen bei Kombination der Psychotherapien mit einem SSRI (Selektiver Serotonin Wiederaufnahmehemmer). Tabelle 6 Übersicht der empfohlenen Therapieformen Pharmakotherapeutisch Häufigste ADM Vorteil gegenüber anderer ADM Wirksamkeit SSRI (Kempermann et al., Geringe Nebenwirkungen und dadurch Remission in 2008). geringste Raten von Therapieabbrüchen 40–60 % der Fälle (Wittchen & Hoyer, 2011) (Anderson et al., 2000). Psychotherapeutisch Therapie Hintergrund IPT Speziell für die (Klerman, Behandlung Weissman, unipolarer Rounsaville & Depression Chevron, 1984) entwickelt. - Vorbereitung auf das Therapieende KVT Zusammenfassung - Psychoedukation (Beck, Rush, verschiedener - Analyse dysfunktionaler Gedanken Shaw, & Emery, kognitiver und - Realitätstestung 1979; Lewinsohn, behavioraler - Aufbau positiver Gedanken Munoz,Youngren, Therapieansätze. - Aktivitätsaufbau & Zeiss, 1979) Haupttechniken (De-Jong-Meyer et al., 2007) - Auseinandersetzung mit der Evidenzniveau der LLE Wirksam Symptombewältigung - Fokus auf interpersonelle Schwierigkeiten Wirksam - Aufbau v. Problemlösefertigkeiten CBASP Speziell für die - Interpersonale, kognitive und (McCulloughs, Behandlung 2000) chronischer - Situationsanalyse Depression - Diszipliniert-persönliches Einlassen entwickelt. - Interpersonelle Diskrimination behaviorale Strategien Möglicherweise wirksam Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 14 Fortsetzung Tabelle 6 Kombinationstherapie Therapie Niveau der LLE IPT + SSRI Effektsteigerung zur psychotherapeutischen Monotherapie Gering (Hegerl, Plattner & Möller, 2004) CBT + SSRI Gering (Hegerl et al., 2004) Möglicherweise wirksam CBASP + SSRI Klinisch bedeutsam (Keller et al., 2000) Möglicherweise wirksam Möglicherweise wirksam Anmerkung. ADM = Antidepressive Medikation; CBASP = Cognitive Behavioral Analysis System for Psychotherapy; IPT = Interpersonelle Psychotherapie; KVT = Kognitive Verhaltenstherapie; SSRI = Selektiver Serotonin Wiederaufnahmehemmer; LLE = Leitlinienempfehlung der „Evidenzbasierten Leitlinie zur Psychotherapie affektiver Störungen“ (De-Jong-Meyer, Hautzinger, Kühner, & Schramm, 2007) ; Evidenzniveau „wirksam“ = Metaanalysen über mehrere randomisierte kontrollierte Studien, oder mindestens 2 randomisierte, kontrollierte Studien aus unabhängigen Gruppen liegen vor; Evidenzniveau „Möglicherweise wirksam“ = eine randomisierte, kontrollierte Studie, oder eine Serie von gut angelegten quasi-experimentellen Studien liegt vor. Die Resonanz evaluierter Therapieformen. Trotz der nachgewiesenen, insgesamt hohen Effektivität dieser Interventionen, existiert ein erheblicher Teil von Betroffenen, bei welchen sich keine langfristige Besserung der Symptomatik einstellt (Harkness et al., 2012; Tranter et al., 2002). Der hohe Anteil an Non-Response und rezidivierenden Fällen, stellt ein enormes Problem dar, da die Responsewahrscheinlichkeit mit der Zahl erfolgter Therapieversuche abnimmt (Westhoff et al., 2009). Die Tatsache, dass dieser Anteil trotz evaluierter Verfahren bestehen bleibt, ist möglicherweise auf häufige Inkompatibilität zwischen Patient und Behandlung zurückzuführen (Tranter et al., 2002). Dies macht die Notwendigkeit deutlich, differenziert zwischen den Interventionsmöglichkeiten zu wählen, um die Behandlungsstrategie individuell anzupassen (Von Wolff et al., 2012; Wittchen & Hoyer, 2011). Ziel ist, gleich zu Beginn der Behandlung die individuell vielversprechendste Methode zu identifizieren (Westhoff et al., 2009). Fragen moderner Therapieforschung. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, beschäftigt sich die moderne Therapieforschung mit Fragen nach der Überlegenheit einer bestimmten, bereits gut belegten Interventionsform im Individualfall. Die Identifizierung von Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 15 Parametern, welche das therapeutische Ansprechen signifikant beeinflussen, spielt dabei eine entscheidende Rolle. Mittels solcher Moderatoren, würden sich Vorhersagen bezüglich der Behandlungsangemessenheit im Individualfall ableiten lassen (Wittchen & Hoyer, 2011). Forschung, welche reliable Moderatoren der Response aufdeckt, birgt somit das Potential lebenslanger Krankheit vorzubeugen (Harkness et al., 2012). Veröffentlichte Ergebnisse sind bisher jedoch selten (Harkness et al., 2012; Nemeroff et al., 2003). Definition Moderator. Die Moderatorvariable wird nach Wittchen und Hoyer (2011) wie in Abbildung 3 wiedergegeben, definiert. Definition Beispiel Eine Variable z, welche den Zusammenhang Der Einfluss der Bedingung soziale zwischen zwei weiteren Variablen x und y Unterstützung auf den Zusammenhang beeinflusst. Es existiert ausschliesslich ein zwischen Traumaerfahrung und der Interaktionseffekt, ohne dass z mit Wahrscheinlichkeit eine Depression zu x oder y korreliert: entwickeln (siehe Abbildung 4). x y Trauma Erfahrung z Depression Soziale Unterstützung Abbildung 3. Definition und Beispiel einer Moderatorvariablen nach Wittchen und Hoyer (2011). X = unabhängige Variable; y = abhängige Variable, z = Moderatorvariable. Moderatoren der Response: der Weg zur Identifizierung Es existieren zahlreiche Forschungsergebnisse zu Risikofaktoren für die Entstehung und einen ungünstigen Verlauf depressiver Störungen (Nemeroff et al., 2003). Dieses Wissen kann als Ausgangspunkt für die Identifizierung von Moderatoren der Response dienen. Die Frage, ob vor dem Hintergrund bestimmter Entstehungsbedingungen und damit zusammenhängender Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 16 Verläufe, auch die Response heterogen ausfällt, ist von höchster praktischer Relevanz. (Wittchen & Hoyer, 2011). Bedingungen eines ungünstigen Verlaufs. Als Risikofaktoren für einen ungünstigen Verlauf in Bezug auf Episodendauer und Rezidivneigung, sind unter anderem ein frühes Ersterkrankungsalter, ein grösserer Schweregrad der Episoden, und nur teilweise Remission im Intervall bekannt (Harkness et al., 2012). Zahlreiche Studien konnten zeigen, dass genau diese Faktoren signifikant mit dem Vorhandensein frühkindlicher TE korrelieren (Bernet & Murray, 1999; Harkness et al., 2012; Klein et al., 2009). Wie Harkness et al. (2012) zudem nachweisen konnten, stellt frühkindliche TE einen stabilen Prädiktor für die Entwicklung depressiver Störungen dar. Vor diesem Hintergrund erstaunt es nicht, dass sich unter depressiven und chronisch depressiven Patienten eine auffallend hohe Prävalenzrate von TE finden lässt (Bernet et al., 1999; Klein et al., 2009). Frühkindliche TE wirkt also moderierend auf das Ersterkrankungsalter, die Symptomstärke und den Verlauf von depressiven Störungen. In Anbetracht der hohen Prävalenz unter Betroffenen einer depressiven Störung, leistet sie somit einen entscheidenden Beitrag zur Heterogenität des Störungsbildes; und möglicherweise auch zu abweichenden Ergebnissen der Response. Frühkindliche Traumaerfahrung Definition. Das DSM-4 definiert ein Trauma als Reaktion auf ein Ereignis, welche sich durch intensive Angst, Hilflosigkeit oder Entsetzen kennzeichnet. Die Reaktion bei Kindern kann dabei verwirrtes oder agitiertes Verhalten umfassen (Menning & Maerker, 2006). Während das Spektrum von Ereignissen, welche als potentiell Trauma-verursachend definiert sind, sehr breit ist, beschäftigt sich diese Arbeit mit der Berücksichtigung von sexuellem Missbrauch und körperlicher Misshandlung im präpubertären Alter. Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 17 Sexueller Missbrauch. Nach Engfer (2002) handelt es sich um die Beteiligung noch nicht ausgereifter Kinder und Jugendlicher an sexuellen Aktivitäten. Diesen Aktivitäten können sie nicht verantwortlich zustimmen, da sie deren Tragweite noch nicht erfassen. Die Handlungen gehen von einer meist erwachsenen, männlichen Person aus, welche das vorhandene Macht,- und Kompetenzgefälle misbraucht, um das Kind zur eigenen sexuellen Stimulation zu benutzen (Engfer, 2002; Fegert, 2003). Körperliche Misshandlung. Engfer (2002) definiert körperliche Misshandlung als gewaltsame Handlungen (zum Beispiel Schläge, Stösse oder Verbrennungen), welche beim Kind zu Verletzungen führen können. Instrumente zur Erfassung von TE. Es liegt eine Reihe von Interviews und Fragebögen zur retrospektiven Erfassung von TE vor. Grundlage dieser Verfahren stellt die Erfragung von Ereignissen dar, welche als potentiell Trauma-verursachend definiert sind. Tabelle 7 fasst Instrumente zusammen, welche in den für diese Arbeit relevanten Studien herangezogen werden. Tabelle 7 Instrumente zur Erfassung früher Traumaerfahrung Beschreibung Stärken Einschränkungen CTQ Fragebogen (5-Punkte Likert-Skala). Gut belegte Reliabilität Retrospektive Erfassung, (Bernstein & Erfasst unter anderem präpubertären und Validität dadurch möglicherweise Fink, 1994) sexuellen Missbrauch und körperliche (Bernstein, Ahluvalia, Erinnerungsverzerrung Misshandlung (Pietrini, Lelli, Pogge, & (Smith, Lam, Bilfulco, & Verardi, Silvestri, & Faravelli, 2010). Handelsman, 1997). Checkley, 2002). CECA Semi-strukturiertes Interview. Zufriedenstellende Retrospektive Erfassung (Bilfulco, Erfasst unter anderem sexuellen Reliabilität und (Smith et al., 2002) Brown, & Missbrauch und körperliche sehr gute Validität Mögliche Verzerrungen Harris, Misshandlung vor dem 17. LJ. (Bilfulco, Bernazzani, allerdings ausgeglichen 1994) (Harkness et al., 2012). Moran, & Jacobs, 2005). (Bilfulco et al., 1994). Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 18 Fortsetzung Tabelle 7 Beschreibung Stärken Einschränkungen MOPS Semi-strukturiertes Interview. Reliabilität gut belegt Retrospektive Erfassung, (Parker Erfasst unter anderem körperliche (Rumpold, Doering, dadurch möglicherweise et al., Misshandlung und emotionalen Hoefer, & Erinnerungsverzerrung 1997) Missbrauch vor dem 16. LJ. Schüssler, 2002). (Smith et al., 2002). (Klein et al., 2009) Anmerkung. CECA = Childhood Experience of Care and Abuse; CTQ = Childhood Trauma Questionnaire; LJ = Lebensjahr; MOPS = Measure of parental Style. Herleitung der Fragestellung Die hohe Prävalenz von Traumaerfahrung unter depressiven und chronisch depressiven Patienten macht die Bedeutung dieser Bedingung für die Therapieforschung deutlich. In Anbetracht des signifikanten Einflusses auf Erstauftreten, Symptomstärke und Verlauf, liegt die Frage nach einem möglichen Moderatoreffekt für die Response nahe. Überraschenderweise ist der Forschungsstand zu dieser Frage gering und umfasst ein sehr heterogenes Spektrum an Studien (Lewis et al., 2010). Sie unterscheiden sich weitgehend in grundlegenden Charakteristika, wie den eingesetzten Behandlungsmethoden, dem Alter der Probanden (Pbn), der Definition von TE, und der Chronizität der Erkrankung. Als seltene Beispiele für publizierte Arbeiten, welche sich in diesen Charakteristika entsprechen, sind die TADS1 von Lewis et al. (2010), und die TORDIA2 von Shamseddeen et al. (2011) zu nennen. In beiden Fällen wird der Moderatoreffekt bei einer Behandlung mit KVT untersucht. Bei den Pbn handelt es sich um Jugendliche mit Diagnose einer episodischen MD. Beide Studien können eine Signifikanz nachweisen. Da der Median des Ersterkrankungsalters bei 26 liegt (Wittchen & Jacobi, 2005), kann der Erforschung dieses Effekt bei Erwachsenen eine besondere Bedeutung beigemessen 1 2 Impact of childhood trauma on treatment outcome in the treatment for adolescents study Impact of physical and sexual abuse on treatment response in the treatment of resistant depression in adolescent study. Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 19 werden. Ebenfalls relevant ist die Frage, ob er sich auf episodische MD beschränkt, oder ob TE einen reliablen Moderator bei unterschiedlichem Chronizitätsgrad darstellt. Falls sich zudem Evidenz für den Effekt bei verschiedenen Behandlungsformen finden lässt, würde dies einen vielversprechenden Schritt in Richtung grössere Kompatibilität zwischen Individuum und Behandlung bedeuten. Ausgehend von diesem Zusammenhang, untersucht vorliegende Arbeit die Frage, ob die Bedingung „TE vorhanden“ über verschiedene Behandlungsformen hinweg, und bei unterschiedlichem Chronizitätsgrad ein signifikanter Moderator bei der Behandlung von depressiven Erwachsenen ist. Empirische Studien Literaturrecherche Elektronische Recherche erfolgte über die Datenbanken PsycInfo und Web of Science. Folgende Suchbegriffe wurden in Kombination verwendet: early adversity, childhood trauma, treatment response, depression und chronic forms of depression. Als Einschlusskriterium galt die Berücksichtigung von TE nach zuvor genannten Kriterien. Es wurden Studien berücksichtigt, welche einen quasi-experminentellen Vergleich der Resonanz von depressiven Patienten mit und ohne TE vornahmen. Als Bedingung für die verwendeten Therapieformen galt ein Evidenzniveau von mindestens „möglicherweise“ in der Leitlinienempfehlung von DeJong-Meyer et al., (2007). Die Behandlungsdauer wurde auf 12 bis 16 Wochen begrenzt. Weiteres Einschlusskriterium war das Erwachsenenalter, definiert als Alter von mindestens 18 Jahren. 3 Studien konnten identifiziert werden. Abbildung 4 stellt den Suchverlauf übersichtsartig dar. Mittels Tabelle 8, werden die identifizierten Studien anschliessend zusammengefasst. Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 20 Pubmed Web of Science Suche nach Titel: „Lifetime history of sexual abuse, outcome in in a clinical trial for adolescent depression“ (aus Referenzen, Studie 2) Suchbegriffe: Childhood trauma Depression Treatment response N= 46 N= 1 Filter „Articel Types“: Clinical trial Suche nach Zitierenden Artikel N= 8 N= 30 Filter „Category“ : Begriffsänderung: „depression“ in „chronic forms of depression“ Psychology, clinical Studie 1: Nemeroff et al. (2003) N= 1 N= 9 Filter „year of publication“: letzte 3 Jahre Begriffsänderung: „childhood trauma“ in „early adversity“ N= 8 Studie 2: Klein et al. (2009) N= 2 N= 8 Einschlusskriterium: mindestens 3 mal zitiert worden N= 2 AusschlussN= 2 kriterium: Kinder N=3 Studie 3: Harkness, Bagby, & Kennedy (2012) Abbildung 4. Suchverlauf der elektronischen Literaturrecherche. N = Stichprobengrösse. Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 21 Mittels Tabelle 8 zusammengefasste Studien, konnten auf diesem Weg identifiziert werden. Tabelle 8 Überblick der identifizierten Studien Studie 1 Titel Differential response to psychotherapy versus pharmacotherapy in patients with chronic forms of major depression and childhood trauma. (Nemeroff et al., 2003) Studie 2 Early adversity in chronic depression: clinical correlates and response to pharmacotherapy. (Klein et al., 2009) Studie 3 Childhood maltreatment and differential response and recurrence in adult Major Depressive Disorder. (Harkness et al., 2012) Vergleich der empirischen Studien Tabelle 9 führt die methodischen Charakteristika dieser Studie auf. Im Anschluss erfolgt ein inhaltlicher, methodischer und Ergebnis- bezogener Vergleich der Studien. Tabelle 9 Zusammenfassung wichtiger Charakteristika der Studien 1 bis 3 Probanden Studie 1 Fallidentifikation SKID Therapieform Therapiedauer N (Anfang) = 681 Falldefinition nach DSM-4 Chronische - Psychotherapeutisch: CBASP 12 Wochen N (Ende) = 681 Depression HAM-D - Pharmakologisch: SNRI CTQ - Kombination - Pharmakologischer Algorithmus: Alter: 18- 75 Jahre Studie 2 N (Anfang) = 808 Chronische SCID N (Ende) = 479 Depression HAM-D SSRI, SNRI, NDRI, CTQ tricyklische AD Alter: 18- 75 Jahre 12 Wochen MOPS Studie 3 N (Anfang) = 203 Episodische SCID - Psychotherapeutisch: IPT, KVT N (Ende) = 115 Major HAM-D - Pharmakologisch: NDRI, SSRI, Alter: 18- 60 Jahre Depression CECA 16 Wochen SNRI - Kombination Anmerkung. AD = Antidepressiva; CBASP = Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy; CECA = Childhood Experience of Care and Abuse; CTQ = Childhood Trauma Scale; Ham-D = Hamilton Depressions Skala; IPT = Interpersonelle Psychotherapie; KVT = Kognitive Verhaltenstherapie; MOPS = Measure of parental style; NDRI = Noradrenalin- Dopamin Wiederaufnahmehemmer; SKID= Strukturiertes klinisches Interview für DSM-4; SNRI = Serotonin- Noradrenalin Wiederaufnahmehemmer; SSRI = Selektive Serotonin Wiederaufnahmehemmer. Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 22 Inhalt und Hypothesen. Studie 1. Die Studie von Nemeroff et al. (2003) stellt eine Weiterführung der Untersuchung von Keller et al. (2000) dar. Der einzige Unterschied liegt in der Berücksichtigung von TE, welche bei Keller et al. nicht vorgenommen worden war. In dieser Studie waren die Wirksamkeiten von CBASP, dem SNRI Nefazodone und der Kombinationstherapie bei chronischer Depression verglichen worden. Nemeroff et al. beschäftigen sich hingegen mit der Frage, ob TE den Behandlungserfolg bei diesen Interventionen moderiert und vorhersagen lässt. Studie 2. Klein et al. (2009) liefern Evidenz für die Assoziation von TE mit bestimmten klinischen Charakteristika von MD. Des Weiteren gehen sie der Frage nach dem Moderatoreffekt von TE bei einer medikamentösen Algorithmustherapie nach. Auch sie verfolgen das Ziel Vorhersagen für die individuelle Behandlungsangemessenheit ableiten zu können. Studie 3. Ausgangspunkt für die Studie von Harkness et al. (2012) ist das Anliegen, einer chronischen Erkrankung präventiv entgegen wirken zu können. Im Fokus ihrer Untersuchung steht die Identifikation von reliablen Behandlungsmoderatoren, welche wiederum Vorhersagen für die Response erlauben. Hierzu werden die Therapieerfolge bei CBT, IPT und einer ADM, in Abhängigkeit von TE verglichen. Darüber hinaus untersuchen Harkness et al. den Einfluss von TE auf die Rate von Rezidivfällen nach erfolgreicher Therapie, in Abhängigkeit der verwendeten Therapieform. Tabelle 10 dient zur Zusammenfassung der Hypothesen dieser Studien. Tabelle 10 Zusammenfassung der Hypothesen, Studie 1-3 Studie 1 Hypothesen TE ist ein Moderator für die Response bei einer Behandlung mit CBASP, ADM und der Kombinationstherapie. Studie 2 TE ist ein Moderator für die Response bei einer ADM. Studie 3 TE ist ein Moderator für die Response bei einer Behandlung mit KVT, IPT und einer ADM. TE ist ein Moderator für das Wiederauftreten und den Rückfall von MD. Anmerkung. ADM = Antidepressive Medikation; CBASP = Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy; KVT = kognitive Verhaltenstherapie; IPT= interpersonelle Psychotherapie; MD = Major Depression; TE= Traumaarfahrung. Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 23 Methodik der empirischen Studien. Studie 1. Nemeroff et al. (2003) bezogen die identische Stichprobe von Keller et al., (2000) ein. Im Unterschied zu der ursprünglichen Studie, stratifizierten sie die Pbn hinsichtlich der Bedingung TE. Der Ham-D wurde zu Beginn und nach Beendigung der Behandlung erhoben. Eine 2-faktorielle ANOVA (Faktor 1: Behandlung, Faktor 2: TE), diente zur Bestimmung des Einflusses von TE auf die Differenz des Vor,- und Nachtests. Des Weiteren wurde eine LOCF-Analyse (Last observation carried Forward- Analyse) durchgeführt, um den Einfluss von TE auf die Remissionsraten zu erfassen. Remission war definiert als Maximum von 8 im Ham-D. Studie 2. Klein et al. (2009) erhoben den Ham-D ebenfalls zu Beginn und nach Beendigung der Behandlung. Als Ergänzung zum MOPS, welcher sexuelle Missbrauchserfahrung nicht erfasst, wurde der CTQ eingesetzt. Die Vorgaben des Algorithmusprotokolls zu Dosierung, Dosissteigerung bei Non-Response, sowie angebrachter Versuchslänge pro Algorithmusstufe, orientierten sich unter anderem an der Behandlungsrichtlinine „Texas Medication Algorithm Project“ (Crismon, Trivedi & Pigott, 1999). Die Gabe von Antidepressiva leitete sich von folgender Sequenz ab: 1. Sertraline (SSRI), 2. Escitalopram (SSRI), 3. Buproprion (NDRI), 4. Venlafaxine (SSNRI), 5. Mitrazapine (tetracyclisches AD). Der Grossteil der Pbn erhielt demnach Sertraline. Die Reaktion auf das jeweilige Medikament wurde alle 2 Wochen kontrolliert. Im Falle inakzeptabler Nebenwirkungen oder ausbleibender Response, wurde die Medikation dem Algorithmusprotokoll entsprechend angepasst. Ebenfalls alle 2 Wochen erfasst, wurden die Remissionsraten. Die Datenauswertung erfolgte schliesslich mittels logistischer Regression (abhängige Variable= Remissionsrate zu jedem Messzeitpunkt). Remission war definiert als Maximum von 8 im Ham-D. Studie 3. Harkness et al. (2012) stratifizierten die Pbn nach Geschlecht und bisheriger Anzahl depressiver Episoden. Auch in dieser Studie wurde der Ham-D zu Beginn und nach der Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 24 Behandlung erhoben. Im Gegensatz zu den anderen beiden Studien, erfassten Harkness et al. das Vorhandensein von TE erst nach Vollendung der Behandlung. Die CECA-Interviewer waren nicht über die Behandlungsergebnisse der Pbn informiert. Monomedikamentöse Behandlung erfolgte nach Vorgaben der „Canadian network for mood and anxiety treatment guidelines“ (Canadian Psychiatric Association, 2001). Eingesetzte Psychopharmaka waren Bupropion (NDRI), die SSRIs Citalopram, Fluoxetine, Fluovaxamine und Sertraline, und das SNRI Venlafaxine. Eine Verbesserung von mindestens 50% im Ham-D Wert, oder ein Maximum von 8, galt als Response. Remission war definiert als ein Anhalten der Verbesserung über 3 Wochen (gemäss der Richtlinien von Frank et al., 1991). Harkness et al., setzten zur Datenauswertung ebenfalls logistische Regression ein (abhängige Variabel= TE x Behandlungsform Interaktion ). Während einer 12-monatigen follow-up Phase erhoben sie weiterführend den Einflusss von TE auf die Recurrence,- und Relapseraten. Bei einem Wert von mindestens 15 im Ham-D, wurde das SCID- Interview erneut durchgeführt. Die Definition von Relapse und Recurrence orientierte sich an den Vorgaben zum Zeitkriterium von Rush et al. (2006). Ergebnisse der Studien. Studie 1. Nemeroff et al. (2003) konnten einen signifikanten Moderatoreffekt der Bedingung TE nachweisen. Es zeigte sich eine signifikante TE x Behandlungsform Interaktion, F (1, 495) = 3.13, p = .045. Pbn mit TE erfuhren höhere Response in der Psychotherapiebedingung als in der ADM- Bedingung. Die Kombinationstherapie hatte der psychotherapeutischen Monotherapie gegenüber einen kleinen, nicht signifikanten Vorteil (siehe Abbildung 5a). Auch in den Remissionsraten zeigte sich ein signifikanter Unterschied zugunsten der psychotherapeutischen Behandlung. Die Chance, dass Patienten mit TE Remission erreichten, war fast dreimal so hoch wie in der ADM-Bedingung, OR= 2.79; 95% CI [1.29, 6.18]. Die Überlegenheit der Psychotherapie (mit oder ohne ADM) bei TE, blieb nach Kontrolle der Variablen Geschlecht, Alter, Rasse und Symptomschwere bestehen. Unter Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 25 Patienten ohne TE stellte sich ein solcher Vorteil von Psychotherapie nicht ein. Hier zeigte sich folgende Abstufung des Behandlungserfolges: Die Kombinationstherapie war den beiden Monotherapien deutlich überlegen. Die beiden Monotherapien fielen ähnlich effizient aus. Studie 2. Klein et al. (2009) konnten TE ebenfalls als Moderator der Behandlungsresonanz nachweisen. Vorhandene TE sagte zu jedem Zeitpunkt der Behandlung eine signifikant geringere Chance für Remission voraus3, OR (Woche 12) = 0.52, p < .01. Darüber hinaus ergab sich eine signifikante TE x Zeit Interaktion: Die Chance für Remission bei Patienten ohne TE stieg während der Behandlung signifikant schneller. Die Diskrepanz in den Remissionsraten wurde somit mit voranschreitender Therapie grösser (siehe Abbildung 5b). Da die meisten Patienten mit Sertraline behandelt worden waren, wiederholten Klein et al. die Analyse allein mit den Daten dieser Bedingung. Die beschriebenen Ergebnisse liessen sich replizieren. Zudem konnte nachgewiesen werden, dass der signifikante Zusammenhang zwischen TE und Behandlung nicht durch die Dosis von Sertraline moderiert wurde. Studie 3. Auch Harkness et al. (2012) konnten eine signifikante TE x Behandlungsform Interaktion nachweisen, (2, N = 91) = 7.82, p = .02. Pbn mit TE reagierten signifikant weniger positiv auf die IPT-Bedingung als auf die ADM,- oder CBT –Bedingung. Der Unterschied zwischen der ADM- und der CBT-Bedingung war nicht signifikant. Der grösste Therapieerfolg stellte sich unter der ADM-Bedingung ein. Bei Pbn ohne TE zeigte sich kein signifikanter Unterschied der Response zwischen den Bedingungen. In dieser Kohorte waren alle Behandlungen gleichermassen effizient (siehe Abbildung 5c). Des Weiteren sagte TE ein klinisch bedeutsames Wiederauftreten depressiver Symptomatik signifikant voraus (1, N = 65) = 6.48, p = .04. TE war mit einer 2.89- fach erhöhten Chance für ein Rezidiv korreliert, 95% CI [1.02, 8.22]. Dieser Zusammenhang zeigte sich auch nach erfolgreicher Behandlung und unabhängig von der angewandten Therapie. Abbildung 4 bietet eine zusammenfassende Darstellung der Ergebnisse. 3 Keine Angaben zum Konfidenzintervall des ORs vorhanden. Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 26 15 Studie 1: 14 TE lässt sich als Moderator für die 13 Patienten mit TE sprechen signifikant besser auf CBASP als auf die ADM an. TE vorhanden, N= 315 * DIfferenz der Ham-D Werte Behandlungsresonanz nachweisen. TE abwesend, N= 181 12 11 10 9 8 7 Nefazodone CBASP Kombination Behandlungsbedingung Abbildung 5a. Differenzwerte des Ham-D Vor,- und Nachtests, in Abhängigkeit der Bedingung TE (Nemeroff et al., 2003). * Studie 2: 50 45 Behandlungsresonanz nachweisen. Patienten mit TE sprechen signifikant schlechter auf die Medikation an. Ham-D Werte <8 in % TE lässt sich als Moderator für die TE abwesend TE vorhanden 40 35 30 25 20 15 10 5 0 Woche 2 Woche 4 Woche 6 Woche 8 Woche 10 Woche 12 Behandlungsverlauf Abbildung 5b. Remissionsraten der Kohorten TE vorhanden und abwesend im Behandlungsverlauf (Klein et al., 2009). Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 27 100 Studie 3: * 90 -TE lässt sich als Moderator für die * Patienten mit TE sprechen signifikant besser auf die KVT und ADM, als auf die IPT an. - TE korreliert mit einer erhöhten Rückfallchance nach erfolgreicher Therapie. Behandlungsresponse in % 80 Behandlungsresonanz nachweisen. 70 TE abwesend, N= 61 TE vorhanden, N= 54 60 50 40 30 20 10 0 IPT KVT ADM Behandlungbedingung Abbildung 5c. Der Unterschied der Response in Abhängigkeit von TE, über die verschiedenen Bedingungen (Harkness et al., 2012). Abbildung 5. Ergebniszusammenfassung der Studien 1 bis 3. Anmerkung. ADM = Antidepressive Medikation; CBASP = Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy; ; IPT = Interpersonelle Psychotherapie; KVT = Kognitive Verhaltenstherapie; N = Stichprobengrösse; TE = Traumaerfahrung. Zusammenfassende Diskussion Kritische Reflexion der Vorgehensweisen der Studien Alle 3 Studien erhalten ihre Ergebnisse basierend auf einer retrospektiven Erfassung von TE. Diese birgt, da Traumatisierung oft sehr früh in der Kindheit beginnt (MacMillan, 2001), die Gefahr von verzerrten Erinnerungen (Smith et al., 2002). Die Generalisierbarkeit der Ergebnisse wird dadurch herabgesetzt. Gleichermassen wirkt sich der Umstand aus, dass die depressive Symptomatik möglicherweise ebenfalls zu Verzerrungen führt (Harkness et al., 2012). Mit dem CECA verwenden Harkness et al. (2012) dasjenige Instrument, welches den stärksten Ausgleich möglicher Erinnerungsverzerrungen vornimmt. Dies stellt einen methodischen Vorteil den beiden anderen Studien gegenüber dar. Ebenfalls als kritisch zu betrachten, gilt die Erhebung von TE zu Beginn der Behandlung in den Studien von Nemeroff et al. (2003) und Klein et al. (2009). Hierdurch Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 28 könnte eine Verzerrung der depressiven Symptomatik erfolgt sein. Harkness et al. (2012), trugen dieser Gefahr Rechnung, indem sie TE erst nach Beendigung der Behandlung erfassten. Allerdings ergab sich daraus aufgrund hoher dropout-Raten das Problem sehr kleiner Stichproben zum Zeitpunkt der Erfassung (n (IPT) = 43, n (CBT) = 37, n (ADM) = 35). Die Generalisierbarkeit der gefundenen Ergebnisse ist hierdurch wiederum in Frage gestellt. Eine grössere Anfangsstichprobe hätte diesem Problem entgegen gewirkt. Was ebenfalls zu mangelnder Generalisierbarkeit aller Ergebnisse führt, ist der Ausschluss von komorbiden Achse-1- Störungen, von besonderen klinischen Charakteristika wie psychotischen Formen, und Persönlichkeitsstörungen. Da die Komorbidität von depressiven Störungen mit weiteren Erkrankungen bei über 60% liegt (Jacobi, Hoyer, & Wittchen, 2004), stellt die untersuchte Population keine repräsentative Stichprobe dar; besonders unter Berücksichtigung der Tatsache, dass TE die Komorbidität von depressiven Störungen noch erhöht (Bernet & Murray, 1999). Darüber hinaus lässt sich unter traumatisierten Patienten sehr häufig eine Borderline-Persönlichkeitsstörung diagnostizieren (Brown & Anderson, 1991). Folglich idealisiert der Ausschluss dieser Komorbidität die Ergebnisse möglicherweise ebenfalls. Als methodische Schwäche der Studie von Nemeroff et al. (2003) ist zudem zu nennen, dass Therapie- erfahrene Pbn eingeschlossen wurden. Die Therapieerfahrung wirkte sich womöglich verändernd auf die Response aus. Wird ausschliesslich der Unterschied zwischen Patienten mit und ohne TE betrachtet, rückt dieses Problem zwar in den Hintergrund, die Generalisierbarkeit der Ergebnisse ist hingegen erneut in Frage zu stellen. Interpretation der Ergebnisse In allen 3 Studien liess sich TE als signifikanter Moderator der Response nachweisen. Der Effekt zeigte sich bei verschiedenen Therapieformen, sowie bei unterschiedlichem Chronizitätsgrad. Bei der Wahl der individuellen Behandlungsstrategie, kommt der Erhebung Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 29 von TE folglich eine enorme Bedeutung zu. Unter Vergleich der Ergebnisse von Nemeroff et al. (2003) und Keller et al. (2000), wird diese Bedeutung umso deutlicher. Vorausgesetzt, die Therapieerfahrung der Pbn bei Nemeroff et al. wirkte nicht verändernd auf die Response, lag der einzige Unterschied dieser Untersuchungen nämlich in der Berücksichtigung von TE bei Nemeroff et al. Diese Abweichung von der ursprünglichen Studie, manifestierte sich womöglich in bedeutend unterschiedlichen Ergebnissen zu den Therapiewirksamkeiten. Von der Identifizierung dieses Moderators, hin zur Möglichkeit individuelle Vorhersagen bezüglich der Response anstellen zu können, besteht Bedarf an weiterführender Forschung. Zum einen aufgrund eingeschränkten Generalisierbarkeit der gefundenen Ergebnisse, und zum anderen um die Wirkungsrichtung des Effekts zu klären. Während sowohl Nemeroff et al. (2003), als auch Klein et al. (2009) nämlich fanden, dass Patienten mit TE weniger von einer medikamentösen Therapie profitieren, wiesen Harkness et al. (2012) das Gegenteil nach. Es bleibt zu klären, ob dieser Unterschied auf die verwendeten Therapieformen zurück zu führen ist. Erstaunlich ist, dass Harkness et al. einen so hohen Effekt in der ADMKondition nachweisen konnten. Der Unterschied zu Nemeroff et al. kommt möglicherweise durch die unterschiedlichen Medikamentengruppen zustande. Klein et al. setzten zum Teil hingehen dieselbe Medikamentengruppe ein. Dies lässt vermuten, dass der Unterschied auf andere Parameter zurück zu führen ist. Die Tatsache, dass die Ergebnisse von Harkness et al. konsistent sind mit denjenigen der TADS (Lewis et el., 2010) und TORDIA (Shamseddeen et al., 2011) ist ebenfalls auffällig; Unterschiede im Chronizitätsgrad könnten für die Ergebnisse verantwortlich sein. Dies würde bedeuten, dass chronisch Depressive mit TE eher von Psychotherapie profitieren, während Patienten mit einer episodischen MD und TE am besten auf medikamentöse Behandlung ansprechen. Weitgehend unbekannt ist eine mögliche Abweichung der moderierenden Wirkung von TE je nach Traumaursache. Nach Shamseddeen et al. (2011) wirkt sich sexueller Missbrauch beispielsweise anders als körperliche Misshandlung auf die Response aus. Die unterschiedliche Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 30 Häufigkeit dieser, der Traumatisierung zugrunde liegender Erlebnisse unter den Pbn, könnte ebenfalls für die widersprüchlichen Ergebnisse mit verantwortlich sein. Bedeutung der Ergebnisse für die moderne Therapieforschung Trotz unterschiedlicher Vorgehensweisen, lässt sich in allen 3 Studien ein signifikanter Moderatoreffekt nachweisen. Die Tatsache, dass er sich über derart heterogene Untersuchungen hinweg bemerkbar macht, verdeutlicht das erhebliche Potential seiner weiteren Erforschung. Prädiktoren des Behandlungsverlaufs könnten aufgedeckt, und zur Verhinderung lebenslanger Erkrankung herangezogen werden. Wie Harkness et al. (2012) zeigen konnten, moderiert TE neben der Response auch die Rückfallwahrscheinlichkeit. Aufgrund der eingeschränkten Generalisierbarkeit der Studie, wird auch zu diesem Einfluss weitere Forschungsarbeit benötigt. Sie könnte dazu beitragen, Charakteristika einer angemessenen Rückfallprophylaxe zu identifizieren. In Anbetracht der hohen Prävalenz von TE unter depressiven Patienten, liesse sich damit die Inzidenzrate von rezidivierender MD bedeutend minimieren. Kritische Reflexion der eigenen Vorgehensweise Diese Arbeit setzt eine sehr heterogene Auswahl von empirischen Studien in den Vergleich, was lediglich eine globale Gegenüberstellung der Ergebnisse erlaubt. Da bislang allerdings ein geringer Anteil an Forschung auf diesem Gebiet existiert, bestand keine Möglichkeit die Fragestellung spezifischer vorzunehmen. Ein Vorteil, welcher sich darüber hinaus aus dieser Betrachtungsweise ergibt, ist die Möglichkeit zu zeigen dass sich der Moderatoreffekt von TE über die Heterogenität hinweg bemerkbar macht. Dies hebt das Ausmass des Einflusses und damit das Potential weiterführender Forschung besonders hervor. Der Moderatoreffekt früher Traumaerfahrung bei der Behandlung von Depression 31 Quellenverzeichnis Alonso, J., Angermeyer, M. C., Bernert, S., Bruffaerts, R., Brugha, T. S., Bryson, H., ... Vollebergh, W. A. (2004). Prevalence of mental disorders in Europe: results from the European Study of the Epidemiology of Mental Disorders (ESEMeD) project. Acta Psychiatrica scandinavica, 109, 21–27. Anderson, I. M. (2000). Selective serotonin reuptake inhibotors versus tricyclic antidepressants: a meta-analysis of efficacy and tolerability. Journal of Affective Disorders, 58(1), 19-36. American Psychiatric Association. (1994). Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (4th ed.). Washington D.C.: American Psychiatric Press. Bagby, R. M., Ryder, A. G., Schuller, D. R., & Marshall, M. S. (2004). The Hamilton Rating Scale für Depression: Has the gold standard become a lead weight? American Journal of Psychiatry, 161, 2163-2177. Beck, A. T., Rush, A. J., Shaw, B. F., & Emery, G. (1979). 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