22 2 Energie- und Wärmehaushalt Zellmembran absorbiert. Unter normalen Umständen werden etwa 97 % der zugeführten Fette resorbiert. Die Fettverdauung ist spätestens am Ende des Jejunums abgeschlossen. Kurzkettige Fettsäuren werden allerdings z. T. erst im Kolon resorbiert. Die frei werdenden Gallensalze werden in den „leeren“ Micellen weitertransportiert und schließlich im terminalen Ileum ebenfalls resorbiert (enterohepatischer Kreislauf). Die kurz- und mittelkettigen Fettsäuren sind relativ polar (und dadurch hydrophil) und gelangen aus den Enterozyten direkt ins Pfortaderblut. Die langkettigen Fettsäuren und Monoacylglycerine werden im endoplasmatischen Retikulum wieder zu Triacylglycerinen zusammengesetzt. Die resynthetisierten Fette werden zusammen mit Apoproteinen (Apolipoprotein B) als Chylomikronen verpackt, die die Zelle per Exozytose verlassen und über den Lymphweg (Dünndarmzotten → zentrale Lymphkapillaren der Dünndarmzotten → Lymphgefäßsystem des Darms → Ductus thoracicus → Blutkreislauf) in den systemischen Kreislauf gelangen. Ein blockierter Lymphabfluss beeinträchtigt daher v. a. die Fettresorption. Apropos Unter Maldigestion versteht man eine Störung der Verdauung, also der Spaltung der Nahrungsstoffe, z. B. nach Magenresektion oder bei Mangel an Pankreassekret oder Gallenflüssigkeit. Malabsorption meint dagegen eine Absorptionsstörung, z. B. im Rahmen von Darmerkrankungen, Darmresektionen oder bei Störungen der Darmdurchblutung. Bei der einheimischen Sprue (glutensensitive Enteropathie) liegt eine genetisch prädisponierte Unverträglichkeit gegenüber der Gliadinfraktion des Glutens (eines Getreideproteins) vor. Sie führt zu einer Schädigung des absorbierenden Epithels und damit zu einem Malabsorptionssyndrom. Klinisch äußert sich die Erkrankung durch chronisch rezidivierende Durchfälle und Mangelernährung. Durch glutenfreie Ernährung kann Beschwerdefreiheit erzielt werden. Bei Kindern nennt man das Krankheitsbild Zöliakie. Geschafft Haben Sie das erste Lernpaket gut verdaut? Weiter geht es mit dem verwandten, aber eher übersichtlichen Thema Energie- und Wärmehaushalt. Im Anschluss müssen Sie sich in Lernpaket 6 noch mit dem Wasser- und Elektrolythaushalt sowie der Nierenfunktion beschäftigen. Zum Verständnis der Niere sollten Sie sich den anatomischen Aufbau dieses Organs noch einmal vergegenwärtigen sowie den Aufbau eines Nephrons gut beherrschen. creative collection Lernpaket 6 2 Energie- und Wärmehaushalt 2.1 Energiehaushalt Die energiereichen Nahrungsbestandteile Kohlenhydrate, Fette und Eiweiße dienen dem Körper als Energiequelle. Im Energiehaushalt stehen der Energieaufnahme über die Nahrung sämtliche energieverbrauchenden Prozesse des Körpers wie Auf- und Abbauprozesse, zu verrichtende Arbeit oder Wärmeproduktion gegenüber. Ist die Energiebilanz positiv, wird die überschüssige Energie gespeichert (z. B. in Form von Fettdepots), ist die Bilanz negativ, werden Reserven abgebaut. Die Umwandlung der chemischen Energie der Nährstoffe in den zellulären Energiespeicher ATP oder die anschließende Umwandlung in z. B. mechanische Energie durch eine Muskelbewegung ist nicht zu 100 % möglich, sondern bei jeder Energieumwandlung wird ein Teil der Energie als Wärme frei. Dieser Energiebetrag steht zur Arbeitsleistung nicht zur Verfügung. Den Quotienten aus geleisteter Arbeit und verbrauchter Energie bezeichnet man als Wirkungsgrad. Der Wirkungsgrad körperlicher Arbeit liegt bei etwa 30 %, d. h., der Großteil der Energie geht als Wärme verloren. Die so im Körper entstehende Wärme bestimmt maßgeblich die Körpertemperatur. Um überschießende Reaktionen zu verhindern (wie etwa eine übermäßig erhöhte Körpertemperatur bei erhöhtem Stoffwechsel), müssen Energie- und Wärmehaushalt notwendigerweise aufeinander abgestimmt sein. Lerntipp Zum Energiehaushalt werden zahlreiche Rechenaufgaben gestellt. Hierzu ist es wichtig, sich folgende Definitionen und Umrechnungen klarzumachen: ▶▶Die Maßeinheit für die physikalischen Größen „Energie“ und „Arbeit“ ist das Joule. ▶▶Die Gesamtenergie eines Systems bleibt konstant. ▶▶Energie kann weder neu geschaffen noch vernichtet werden, sondern nur von einer Energieform in eine andere überführt werden. Diese Energieformen werden entsprechend ihrer Natur (chemisch, mechanisch etc.) in verschiedenen Einheiten ausgedrückt. Für die Umrechnungen gilt: 1 Joule (1 J) = 1 Newtonmeter (1 Nm) = 1 Wattsekunde (1 Ws) Abgeleitet davon ist die Leistung (Arbeit/Zeit), die in Watt angegeben wird: Watt = 1 J/s = 1 Nm/s aus: Endspurt Vorklinik – Physiologie 2 (ISBN 9783131534521) © 2013 Georg Thieme Verlag KG 2.1 Energiehaushalt 2.1.1 Energieumsatz Die Menge an Energie, die ein Mensch innerhalb eines Zeitraums verbraucht, wird als Energieumsatz bezeichnet. Der Energieumsatz des Körpers ist neben anderen Faktoren (s. u.) von der körperlichen Tätigkeit abhängig. Entsprechend werden verschiedene Belastungsstufen unterschieden, deren Definitionen nicht immer einheitlich sind: ▶▶Ruheumsatz und Grundumsatz. Unter Ruheumsatz versteht man den Energieumsatz bei geistiger und körperlicher Ruhe. Da hierbei andere einflussnehmende Faktoren nicht berücksichtigt sind, wurde der Grundumsatz eingeführt, der unter definierten Standardbedingungen gemessen wird: ▪▪nüchtern (12–14 Stunden nach der letzten Mahlzeit), ▪▪morgens, ▪▪bei völliger körperlicher und geistiger Ruhe (liegend und entspannt), ▪▪bei Indifferenztemperatur (27–31 °C, unbekleidet) und ▪▪normaler Körpertemperatur. Der Grundumsatz bezeichnet den Energieumsatz eines gesunden Erwachsenen, der zur Aufrechterhaltung der Organfunktionen notwendig ist. Er umfasst die benötigte Energie für Strukturerhaltung und Temperaturregulation sowie für ständig ablaufende physiologische Vorgänge der verschiedenen Organe wie Herz, Lunge oder Niere, deren Anteil am Grundumsatz unterschiedlich ist (Tab. 8.1). ▶▶Grundbedarf. Der Grundbedarf an Energie für einen 70 kg schweren Mann beträgt ca. 7100 kJ/d = 7,1 MJ/d. In den alten Einheiten entspricht dies 1700 kcal/d. Für eine Frau beträgt der Grundumsatz ca. 6300 kJ/d = 6,3 MJ/d. Der tatsächliche Energiebedarf des Körpers liegt in Abhängigkeit von der körperlichen Aktivität höher. ▶▶Freizeitumsatz. Ein nicht körperlich arbeitender Mensch, der auch außerhalb der Arbeit keine Anstrengungen (z. B. Sport) unternimmt, verbraucht pro Tag etwa 8400 kJ (Frauen) bzw. 9600 kJ (Männer). Die Werte liegen somit etwa 30 % über dem Grundumsatz. Ausgehend von diesem Freizeitumsatz erhöht sich der Energiebedarf durch körperliche Aktivität. ▶▶Arbeitsumsatz. Der zusätzliche Energieumsatz bei leich- ter körperlicher Arbeit beträgt 2000 kJ/d, bei Schwerstarbeit Tab. 2.1 Prozentualer Anteil der Organe am Grundumsatz (Mann). Organ prozentualer Anteil Leber 20 % Muskulatur 26 % Gehirn 22 % Herz 10 % Nieren 10 % übrige Organe 12 % müssen bis zu 10000 kJ/d zusätzlich zugeführt werden, das entspricht maximal einer Verdreifachung des Grundumsatzes. Auch bei geistiger Arbeit erhöht sich der Energieumsatz. Diese Steigerung erklärt sich jedoch nicht durch einen erhöhten Energiebedarf des Gehirns, sondern durch eine reflektorische Anspannung der Skelettmuskulatur („angestrengtes Nachdenken“). Will man den Energieumsatz in Watt berechnen, gilt: 1 W = 1 J/sec. Faktoren, die den Energieumsatz beeinflussen Neben der Art der körperlichen Aktivität ist der Energieumsatz noch von zahlreichen anderen Faktoren abhängig, z. B. von der Außentemperatur, von der Aktivität einzelner Organsysteme und von der hormonellen Situation, v. a. von der Aktivität der Schilddrüsenhormone (S. 60). Körpergröße und Körpergewicht bestimmen die Körperoberfläche eines Menschen, über die der größte Teil der Wärmeabgabe erfolgt. Die Wärmeproduktion findet im Körperinneren statt, sie hängt vom Volumen ab. Entscheidend ist daher das Verhältnis von Körperoberfläche zu Körpervolumen. Bei gleichem Gewicht muss also der Grundumsatz bei einem größeren Menschen mit großer Körperoberfläche und größerem Wärmeverlust höher sein. Bei gleicher Größe und unterschiedlichem Gewicht hat der schwerere eine größere Körperoberfläche und damit einen höheren Grundumsatz. Eine schwierige Situation stellt die Abhängigkeit des Grundumsatzes von der Körperoberfläche für ein Neugeborenes bzw. einen Säugling dar. Seine Körperoberfläche ist im Verhältnis zum Körpervolumen größer als beim Erwachsenen. Der Gesamtumsatz ist natürlich deutlich kleiner als beim Erwachsenen, aber bei einer Umrechnung des Grundumsatzes relativ zur Körperoberfläche (relativer Grundumsatz, angegeben in W/m2) ergeben sich recht hohe Zahlenwerte. Zudem ist der Körperkern durch die schmalere Schale schlechter isoliert. Eine Unterkühlung kann deshalb schon bei für Erwachsene völlig unbedenklichen Temperaturen auftreten. Folglich setzt die aktive Wärmebildung des Neugeborenen (S. 26) schon bei höheren Temperaturen ein. Der Grundumsatz hängt aber nicht nur von der Körpermasse ab, sondern auch von ihrer Zusammensetzung. Je mehr stoffwechselaktive Zellmasse (Skelettmuskulatur, Skelett und innere Organe) eine Person hat, desto höher ist ihr Energieverbrauch. Frauen haben aufgrund des relativ höheren Anteils von stoffwechselinaktivem Fettgewebe einen um ca. 10 % niedrigeren Grundumsatz. Auch im Alter sinkt der Grundumsatz (Abb. 2.1), da sich die Zusammensetzung des Körpers ändert und z. B. die Muskelmasse, d. h. ein Teil der fettfreien stoffwechselaktiven Masse, abnimmt. Auch die Umgebungstemperatur hat einen wichtigen Einfluss auf den Energieumsatz. Bei Indifferenztemperatur oder thermoneutraler Umgebung ist der temperaturbedingte Energieumsatz am geringsten. Er steigt bei höherer Umgebungstemperatur durch die Zunahme der Reaktionsgeschwindigkeiten bzw. stärkere Hautdurchblutung und Schweißdrüsentätigkeit, bei niedrigeren Temperaturen z. B. durch aktive Wärmeproduktion. Bei der Verdauung, Resorption und Speicherung von Nahrung finden energieverbrauchende Prozesse statt, zusätzlich kommt es zu einer durch den Sympathikus induzierten Erhöhung der Stoffwechselaktivität, d. h., die Nahrungszufuhr selbst führt zu einer Zunahme des Energieumsatzes, und ein Teil der aus: Endspurt Vorklinik – Physiologie 2 (ISBN 9783131534521) © 2013 Georg Thieme Verlag KG L er n pa k e t 6 Eine noch häufig verwendete, aber veraltete Einheit der Energie ist die Kalorie: 1 cal = 4,187 J oder 1 J = 0,239 cal 23 2 Energie- und Wärmehaushalt relativer Grundumsatz (W/m2) 24 Ist die Zusammensetzung der Nahrung bekannt, kann mithilfe des physiologischen Brennwerts die zugeführte Energie berechnet werden. Der physikalische Brennwert liegt insbesondere für Eiweiße höher als der durch den Körper nutzbare physiologische Brennwert, während diese beiden Werte für Kohlenhydrate, Fette und Ethanol mehr oder weniger identisch sind. Der Unterschied erklärt sich dadurch, dass Proteine im Körper nicht vollständig abgebaut werden, sondern dass das Stoffwechsel­ endprodukt (z. B. Harnstoff), das über die Niere ausgeschieden wird, selbst noch Energie enthält. 60 50 40 0 10 20 30 40 50 60 Alter (Jahre) Abb. 2.1 Abhängigkeit des relativen Grundumsatzes vom Lebensalter. In der Wachstumsphase sinkt der Grundumsatz zunächst stark ab, um dann beim erwachsenen Menschen über mehrere Jahre praktisch konstant zu bleiben. Ab etwa 40–50 Jahren geht er dann allmählich um weitere rund 10 % zurück. aufgenommenen Energie geht als Wärme verloren. Diese post­ prandiale Steigerung des Energieumsatzes – man bezeichnet sie auch als die spezifisch-dynamische Wirkung der Nährstoffe – erklärt, warum es einem beim Essen warm wird. Mit bis zu 30 % ist die spezifisch-dynamische Wirkung bei reiner Eiweißkost am höchsten, d. h., etwa ⅓ der enthaltenen Energiemenge wird zur Verdauung gebraucht oder geht als Wärme verloren. Deshalb eignen sich z. B. kalte (eiweißreiche) Milchprodukte nur bedingt zur Erfrischung in sommerlichen Temperaturen, da bei ihrer Verdauung noch zusätzlich Wärme freigesetzt wird. Fazit – Das müssen Sie wissen –– ! Geistige Arbeit erhöht den Energieumsatz, Ursache ist eine reflektorische Anspannung der Muskulatur. –– ! Bei Neugeborenen und Säuglingen ist der relative Grund- umsatz (Grundumsatz bezogen auf die Körperoberfläche) am höchsten. –– ! Mit steigendem Alter sinkt der Grundumsatz. 2.1.2 Energiegehalt der Nahrung Fette, Eiweiße und Kohlenhydrate unterscheiden sich in ihrem Energiegehalt. Der Energiegehalt außerhalb des Körpers lässt sich in einer geschlossenen Brennkammer (Kalorimeter) ermitteln, indem unter Sauerstoffatmosphäre jeweils eine identische Menge vollständig zu CO2 und Wasser verbrannt wird. Die dabei frei werdende Energie, die in Form der Wärmezunahme gemessen wird, entspricht dem physikalischen Brennwert (Tab. 2.2). Die Energie, die bei der Verbrennung der Nährstoffe im Körper entsteht, wird als physiologischer Brennwert bezeichnet. Tab. 2.2 Brennwerte der Hauptnahrungsbestandteile. Der physiologische Brennwert von Ethanol liegt mit 29,7 kJ/g vergleichsweise hoch. Nährstoff physikalischer Brennwert (kJ/g) physiologischer Brennwert (kJ/g) Kohlenhydrate 17,6 17,2 Eiweiß 23 17,2 Fette 38,9 38,9 Ethanol 29,7 29,7 Rechenbeispiel. Ein Mann trinkt 0,5 l eines alkoholfreien Biers. 100 ml dieses Getränks enthalten ca. 0,4 g Protein und 5,3 g Maltose. Was den physiologischen Brennwert angeht, sind die übrigen Inhaltsstoffe nicht von Belang. Der tägliche Energiebedarf des Mannes liegt bei 10 MJ. Wie hoch ist der Anteil am täglichen Energiebedarf, der durch das Bier gedeckt wird? Lösung: Der physiologische Brennwert von Proteinen und Kohlenhydraten liegt bei jeweils 17 kJ/g (Tab. 2.2). Die Angabe der Inhaltsstoffe bezieht sich auf 100 ml, der Mann trinkt aber 500 ml. Er nimmt also über das Bier 2 g Protein und 26,5 g Maltose zu sich und damit: 2 × 17 + 26,5 × 17 = 484,5 kJ Der tägliche Energiebedarf des Mannes liegt bei 10 000 kJ (= 10 MJ), er deckt durch das Getränk also 4,85 % ab. Indirekte Kalorimetrie Auch der physiologische Energieumsatz einer Testperson kann direkt über deren Wärmeabgabe in einem Kalorimeter gemessen werden (direkte Kalorimetrie). Hierfür ist ein relativ hoher Aufwand nötig. Einfacher ist die Methode der indirekten Kalorimetrie, bei der man den Umstand nutzt, dass bei der Verbrennung der Nährstoffe im Stoffwechsel O2 verbraucht und CO2 abgegeben wird. So werden z. B. bei der Verbrennung von 1 mol Glukose (180 g): C6H12O6 + 6 O2 → 6 CO2 + 6 H2O + 2868 kJ und einem Molvolumen eines Gases von 22,4 l 6 × 22,4 l = 134,4 l O2 verbraucht. Bei der vollständigen Oxidation von 1 mol Glukose werden 2868 kJ freigesetzt, dabei entstehen 30–32 mol ATP mit einer Gesamtenergie von etwa 1488 kJ, der Rest geht als Wärme verloren. Zur Messung der Atemgasmengen stehen moderne Verfahren zur Verfügung, bei denen normal aus der Umgebungsluft geatmet und über zwischengeschaltete Ventile und Messgeräte das Atemzeitvolumen sowie die O2- und CO2-Konzentrationsdifferenzen zwischen Ein- und Ausatmungsluft bestimmt wird. ▶▶Kalorisches Äquivalent. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Brennwerte wird bei der vollständigen Oxidation der verschiedenen Nährstoffe pro Liter verbrauchtem Sauerstoff unterschiedlich viel Energie frei. Man bezeichnet das Verhältnis aus frei werdender Energie und verbrauchtem Sauerstoff als das kalorische (energetische) Äquivalent, angegeben in kJ/l O2. Das kalorische Äquivalent für Glukose entspricht: kalorisches ÄquivalentGluk = 2868 kJ 134,4 l O2 aus: Endspurt Vorklinik – Physiologie 2 (ISBN 9783131534521) © 2013 Georg Thieme Verlag KG = 21,4 kJ/l O2 2.2 Wärmehaushalt kalorisches Äquivalent von O2 (kJ/l O2) respiratorischer Quotient (RQ) Kohlenhydrate 20,96 1,0 Eiweiß 18,7 0,81 Fette 19,6 0,70 Mischkost 20,2 0,82–0,85 Die Werte für die anderen Nährstoffe sind in Tab. 2.3 aufgelistet. Da nicht bekannt ist, welche Nährstoffe in welchen Anteilen zu einem bestimmten Zeitpunkt im Körper verbrannt werden, wird bei Mischkost mit einem Mittelwert von ca. 20 kJ/l O2 gerechnet. Oder anders ausgedrückt: Beim Verbrauch von 1 l Sauerstoff wird bei Mischkost eine Energiemenge von 20 kJ freigesetzt. Mithilfe des kalorischen Äquivalentes und des Sauerstoffverbrauchs (gemessen über indirekte Kalorimetrie) lässt sich der Energieumsatz bestimmen. Er berechnet sich als Produkt aus O2-Aufnahme pro Zeit multipliziert mit dem kalorischen Äquivalent. Bei einer normalen O2-Aufnahme von 300 ml/min ergäbe sich bei normaler Mischkost ein Energieumsatz von 0,3 l O2/min × 20 kJ/l O2 = 6 kJ/min, entsprechend 8640 kJ/d. Rechenbeispiel Bei einer Versuchsperson mit einem Atemzeitvolumen von 15 l/min beträgt der Volumenanteil des O2 exspiratorisch 0,17 l/l, inspiratorisch 0,21 l/l. Errechnen Sie den Energieumsatz! Lösung: Die Differenz zwischen dem inspiratorischen und dem exspiratorischen Sauerstoffvolumenanteil – und damit die Sauerstoffaufnahme – liegt bei 0,04 l/l. Pro Minute werden daher vom Probanden 15 × 0,04 = 0,6 l O2 aufgenommen. Das kalorische Äquivalent für normale Mischkost wird mit 20 kJ/l O2 angenommen, d. h., 0,6 l × 20 kJ/l = 12 kJ/min (= 12000 J/min = 200 J/s) 1 Watt entspricht 1 J/s, der Energieumsatz beträgt demzufolge 200 W. ▶▶Respiratorischer Quotient. Den zu einem bestimmten Zeit- punkt vorherrschend verstoffwechselten Nährstoff kann man anhand des Verhältnisses von abgeatmeter CO2-Menge zu aufgenommener O2-Menge ermitteln, d. h. mithilfe des respiratorischen Quotienten (RQ). RQ = –– !!! Der physiologische Brennwert sowohl für Kohlenhydrate als auch für Eiweiß liegt bei 17,2 kJ/g, der für Ethanol bei ca. 30 kJ/g. –– ! Der Energieumsatz kann aus der O -Aufnahme pro Zeit 2 multipliziert mit dem kalorischen Äquivalent berechnet werden. –– ! Als kalorisches Äquivalent für gemischte Kost werden 20 kJ/l O2 angenommen. –– ! Das kalorische Äquivalent ist bei überwiegendem Fettabbau (19,6 kJ/l O2) niedriger als bei Glucoseabbau (21 kJ/l O2). 2.2 Wärmehaushalt Im Gegensatz zu den poikilothermen (wechselwarmen) Organismen, deren Körpertemperatur nur knapp über der Umgebungstemperatur liegt, halten homoiotherme (gleichwarme) Lebewesen die Temperatur im Körperinneren unabhängig von der Außentemperatur weitestgehend konstant. Der Mensch gehört – wie alle Säuger – zu den homoiothermen Organismen. 2.2.1 Regelkreis zur Thermoregulation Im menschlichen Körper wird die sog. Kerntemperatur, also die Temperatur im Inneren von Rumpf und Schädel, durch aktive Regulation über einen Regelkreis im Mittel auf einem Sollwert von etwa 37 °C gehalten (Abb. 2.2). Die Temperatur der Körperschale (Schalentemperatur) ist von der Außentemperatur abhängig, sie kann bis zu 9 °C unter der Körperkerntemperatur liegen. Das Zentrum des Regelkreises liegt in den kaudalen Anteilen des Hypothalamus (Area hypothalamica posterior). Als Temperatursensoren fungieren temperatursensible Neuronen im Bereich des rostralen Hypothalamus (Regio praeoptica/vorderer Hypothalamus), aber auch im unteren Hirnstamm und besonders im Rückenmark. Neben diesen inneren Temperatursensoren registrieren äußere Kälte- und Wärmesensoren in der Haut die Umgebungstemperatur. Als äußere Störgröße wirkt sich z. B. eine Änderung der Umgebungstemperatur aus, als innere z. B. eine reichhaltige Mahlzeit oder körperliche Anstrengung. Thermorezeptoren: – im inneren Körperkern – in der äußeren Körperschale CO2-Abgabe O2-Aufnahme Kaltrezeptoren Bei der Verbrennung von Kohlenhydraten wird für jedes verbrauchte Mol O2 ein Mol CO2 erzeugt (s. o.). Der RQ beträgt 1. Für die Verbrennung der stärker reduzierten Moleküle, wie Fette und Eiweiße, wird bei der Verbrennung mehr Sauerstoff verbraucht, als Kohlendioxid abgegeben wird, der RQ liegt unter 1, und zwar bei 0,81 für Eiweiße und 0,70 für Fette (Tab. 2.3). Für die Oxidation von z. B. Palmitinsäure ergibt sich: RQPalm = 16 23 = 0,7 Für den respiratorischen Quotienten wird ein Mittelwert für Mischkost von 0,82 angegeben. Warmrezeptoren Istwert Regler C15H31COOH + 23 O2 → 16 CO2 + 16 H2O und damit folgender RQ: L er n pa k e t 6 Nährstoff Fazit – Das müssen Sie wissen Sollwert Wärmeabgabe: – Hautdurchblutung↑ – Schweißsekretion – Verhalten Hypothalamus Wärmebildung: – Hautdurchblutung↓ – Kältezittern – Muskeltonus↑ – Verhalten Abb. 2.2 Regelkreis zur Einstellung der Körpertemperatur. aus: Endspurt Vorklinik – Physiologie 2 (ISBN 9783131534521) © 2013 Georg Thieme Verlag KG aus Behrends et al., Duale Reihe Physiologie, Thieme 2010 Tab. 2.3 Kalorisches Äquivalent und respiratorischer Quotient der Hauptnahrungsbestandteile. 25 2 Energie- und Wärmehaushalt Die Kerntemperatur eines Marathonläufers z. B. kann auf bis zu 40 °C ansteigen. Bei einer Istwert-Änderung stehen dem Körper mehrere Stellglieder zur Wärmeabgabe oder -aufnahme zur Verfügung: Als wichtiges Stellglied greift das Verhalten in den Regelkreis ein, z. B. durch eine Änderung der Kleidung oder das Anstellen einer Heizung oder eines Ventilators. In der Regel sind diese Maßnahmen möglich und ausreichend. Wenn nicht, wird bei einem zu hohen Istwert die Wärmeabgabe über die Körperoberfläche durch eine erhöhte Hautdurchblutung bzw. vermehrtes Schwitzen erhöht. Umgekehrt wird bei einem zu niedrigen Istwert die Hautdurchblutung gedrosselt und die Wärmebildung im Körperinneren durch einen erhöhten Muskeltonus oder Kältezittern gesteigert. Thermoregulationsbereich Innerhalb eines schmalen Temperaturbereiches, der Indifferenztemperatur oder thermischen Neutralzone, können die nötigen geringen Anpassungen allein durch die Hautdurchblutung erfolgen. Die Indifferenztemperatur hängt ab von relativer Luftfeuchtigkeit, Windgeschwindigkeit, Wärmestrahlung der Umgebung und Bekleidung. Für einen unbekleideten, ruhenden Menschen liegt diese Temperatur bei 28–30 °C, wenn die relative Luftfeuchtigkeit 50 % beträgt und kein Wind weht. Im Wasser ist diese Temperatur 5–6 °C höher, da Wasser eine höhere Wärmeleitfähigkeit als Luft besitzt und dem Körper so verstärkt Wärme durch Konduktion und Konvektion entzogen wird. Außerhalb der thermischen Neutralzone müssen zusätzliche Mechanismen der Thermoregulation aktiv werden, um die Körperkerntemperatur im Bereich des Sollwerts von 37 °C zu halten. Schlaf 37,5 nach der Ovulation 37,0 Körperkerntemperatur (° C) 26 vor der Ovulation 36,5 Der Sollwert beträgt nur im Mittel 37 °C, seine Einstellung unterliegt einem zirkadianen Rhythmus. Über den Tag verteilt kann man Schwankungen der Kerntemperatur feststellen, mit einem Minimum am frühen Morgen zwischen 3 Uhr und 6 Uhr und einem Maximum am Abend. Die Schwankungsbreite liegt bei 1 °C (Abb. 2.3). Auch Hormone wirken auf die Sollwertverstellung im Hypothalamus ein. Progesteron bewirkt einen Temperaturanstieg. Die zirkadiane Temperaturkurve von Frauen ist deshalb nach der Ovulation um ca. 0,5 °C nach oben verschoben (Abb. 2.3). Der Temperaturanstieg bleibt bei Eintritt einer Schwangerschaft, ebenfalls durch Progesteron vermittelt, erhalten. Über die Messung der Körperkerntemperatur kann man den Termin des Eisprungs (S. 71) bestimmen. Zu einer vorübergehenden Sollwertverstellung kommt es auch im Fieber (S. 29). Apropos Die Messung der Körperkerntemperatur erfolgt klassischerweise sublingual, axillär und rektal. Die rektale Messung ergibt den exaktesten und auch höchsten Wert. Die sublinguale bzw. die axilläre Temperatur liegt um 0,5 °C niedriger. Seit einigen Jahren sind Ohrthermometer auf dem Markt, die die Wärmestrahlung aus dem Innenohr registrieren und daraus die Kerntemperatur berechnen. Die Messwerte der Ohrthermometer sind allerdings nicht so zuverlässig wie die der klassischen Methode. 2.2.2 Wärmebildung Zur Einstellung einer gleichbleibenden Körperkerntemperatur müssen Wärmebildung und Wärmeabgabe im Gleichgewicht stehen. Die Wärmebildung erfolgt bei jeder Energieumwandlung im Körper, bei der aufgrund des geringen Wirkungsgrades (S. 22) ein großer Teil der Energie als Wärme „verloren“ geht. Diese „Abwärme“ wird in Ruhe zu etwa 70 % von den stoffwechselintensiven inneren Organen und dem Gehirn geliefert. Bei körperlicher Aktivität überwiegt hingegen die Wärmebildung in der Muskulatur, sie nimmt im Vergleich zur körperlichen Ruhe um ein Mehrfaches zu (Tab. 2.4). Ist mehr Wärme nötig, um die Körperkerntemperatur aufrechtzuhalten (und eine proteinreiche Mahlzeit mit hoher spezifisch-dynamischer Wirkung ist nicht in Sicht), muss der Körper zusätzlich Wärme produzieren und es wird die thermoregulatorische Wärmebildung in Gang gesetzt. Hierzu steht dem Erwachsenen nur die Wärmeproduktion über eine verstärkte Muskelaktivität zur Verfügung. So wird bei Abkühlung der Drang nach körperlicher Bewegung erhöht (willkürliche Muskelbewegung). Reflektorisch werden bei Kälte tonische Muskelfasern aktiviert bzw. bei einer weiteren Abkühlung auch phasische Muskelfasern. Es kommt zu dem sichtbaren Kältezittern (unwillkürliche Muskelbewegung). Die Temperatur, bei der Kältezittern einsetzt, bezeichnet man als Zitterschwelle. Tab. 2.4 Anteile der Organe an der Wärmebildung des Organismus. 36,0 12 18 24 6 12 Tageszeit Abb. 2.3 Zirkadianer Verlauf der Körperkerntemperatur mit Minimum nachts gegen 3 Uhr. Organe in Ruhe bei Arbeit Brust- und Baucheingeweide 56 % 8 % Gehirn 16 % 1 % Muskulatur 18 % bis 90 % übrige Organe 10 % 1 % aus: Endspurt Vorklinik – Physiologie 2 (ISBN 9783131534521) © 2013 Georg Thieme Verlag KG 2.2 Wärmehaushalt 2.2.3 Wärmeabgabe Die Wärmeabgabe an der Körperoberfläche ist von vielen Faktoren abhängig. Dazu gehören Umgebungstemperatur, Kleidung, Luft- bzw. Wasserbewegung, Hautdurchblutung, Atmung und Schwitzen. Sie erfolgt durch unterschiedliche Mechanismen: Leitung, Konvektion, Strahlung und Verdunstung. Da sie über die Körperoberfläche erfolgt, ist sie immer proportional der Körperoberfläche, die Größen werden in W/m2 angegeben. ▶▶Konduktion und Konvektion. Als Konduktion (Wärmeleitung oder Wärmediffusion) bezeichnet man den Wärmetransport über leitende ruhende Medien. Bei der Wärmeabgabe über Konduktion kommt die Haut direkt mit einem Material in Berührung, z. B. einem kalten Stuhl, der sich mit der Zeit erwärmt. Die Wärmeabgabe wird wesentlich von der Wärmeleitfähigkeit des Kontaktmaterials, der Größe der Kontaktfläche und der Temperaturdifferenz zwischen Haut und Kontaktmaterial bestimmt. Unter Konvektion versteht man den Wärmetransport über ein leitendes Medium, das selbst in Bewegung ist, z. B. ein Gas (Luft) oder eine Flüssigkeit (Blut, Wasser). An der Körperoberfläche wird mittels Konduktion die an die Haut angrenzende ruhende Luftschicht erwärmt. Die warme Luft steigt auf und wird durch kalte ersetzt. Äußere Luftbewegung (z. B. natürlicher Wind oder Wind durch einen Ventilator) verstärkt die Wärmeabgabe durch Konvektion. Deshalb kommt uns die gleiche Lufttemperatur bei Wind kühler vor als bei stehender Luft. Auch die Wärmeabgabe über Konvektion wird wesentlich von der Temperaturdifferenz, z. B. zwischen Haut und Umgebungsluft, und von der Wärmeleitfähigkeit des Mediums bestimmt. Von daher ist die Wärmeabgabe in Wasser um ein Vielfaches höher als in Luft. Unter Ruhebedingungen bei Indifferenztemperatur und mittlerer Luftfeuchte (50 %) finden etwa 20 % der Gesamtwärmeabgabe über Konvektion (15 %) und Konduktion (5 %) statt. Konduktion und Konvektion spielen nicht nur an der Körperoberfläche bei der Wärmeabgabe über die Haut eine Rolle. Auch der Transport der im Körperkern gebildeten Wärme an die Oberfläche erfolgt mithilfe der Konduktion über die verschiedenen Gewebe bzw. über Konvektion mit dem Blutstrom. Die Wärmeleitfähigkeit der Gewebe ist relativ gering, Fettgewebe z. B. hat etwa die gleiche Leitfähigkeit wie Holz, von daher spielt bei der inneren Wärmeübertragung die Konvektion über den Blutstrom eine wesentlich größere Rolle, wobei die Durchblutung dazu bedarfsabhängig regional angepasst wird. ▶▶Strahlung. 50–60 % der Gesamtwärmeabgabe über die Kör- peroberfläche erfolgt im thermischen Neutralbereich über Strahlung. Die langwellige Infrarotstrahlung benötigt kein Übertragungsmedium. ▶▶Verdunstung. Die Verdunstung (= evaporative Wärmeabga- be), d. h. die Abgabe von Wasser in Form von Wasserdampf, stellt für den Körper einen effektiven Weg der Wärmeabgabe dar. Die Verdunstungswärme von Wasser beträgt ca. 2400 kJ/l H2O. Die Verdunstung ist abhängig von der Differenz der Wasserdampfpartialdrücke auf der Haut und in der Umgebungsluft. Die Verdunstungsrate über die Haut wird durch Wind (oder einen Ventilator) größer, da die wasserdampfgesättigte Luft gegen ungesättigte Luft ausgetauscht wird. Bei Außentemperaturen über 36 °C ist die Verdunstung das einzige Mittel des Körpers, um Wärme abzugeben. Den Mechanismus der Wärmeabgabe über Schweißbildung bezeichnet man auch als Perspiratio sensibilis (= Schwitzen). Die Schweißbildung ist regulierbar und ein wichtiges Stellglied der Thermoregulation. Sie wird durch cholinerge Fasern des sympathischen Nervensystems aktiviert und kann daher durch Hemmstoffe muscarinerger Acetylcholin-Rezeptoren, wie z. B. Atropin, gehemmt werden. Zunächst wird von den Schweißdrüsen ein isotoner Primärschweiß gebildet. Durch Na+-Rückresorption in den Drüsengängen entsteht daraus ein hypotoner Schweiß. Im Extremfall werden bis zu 4 l des hypotonen Schweißes pro Stunde ausgeschieden. Daher kann es bei sehr starkem Schwitzen zu einer hypertonen Dehydratation kommen. Bei längeren Aufenthalten in heißem Klima kommt es zur Wärmeakklimatisatierung, wobei die Elektrolytkonzentration im Schweiß abnimmt. Ein Anstieg der Luftfeuchtigkeit behindert die evaporative Wärmeabgabe. Schwierig ist daher die Thermoregulation in den Tropen (bis zu 100 % Luftfeuchtigkeit und hohe Temperaturen). Hier kommt es zwar auch – besonders bei körperlicher Aktivität – bei Temperaturen oberhalb der Körpertemperatur zu einer starken Sekretion von Schweiß, dieser kann aber aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit nicht verdunsten und damit nicht zur Wärmeabgabe beitragen (Abb. 2.4). Er läuft an der Haut herunter und tropft ab. Nicht regulierbar ist der unmerkliche Wasserverlust durch Verdunstung über Haut und Schleimhäute, z. B. in den Atemwegen, die auch beim nicht schwitzenden Menschen auftritt. Auf diesem Weg gehen täglich ca. 500–800 ml Wasser verloren. Die damit verbundene Wärmeabgabe trägt ebenfalls zur Temperaturregulation bei, kann aber vom Körper nicht beeinflusst werden (Perspiratio insensibilis). Bei Indifferenztemperatur aus: Endspurt Vorklinik – Physiologie 2 (ISBN 9783131534521) © 2013 Georg Thieme Verlag KG L er n pa k e t 6 Fällt die Kerntemperatur trotz Gegenregulation unter 32 °C, kann Bewusstlosigkeit auftreten. Unter 28 °C droht der Tod durch Kammerflimmern. Neugeborene und Säuglinge haben kaum subkutanes Fett, damit eine schlechte Isolation, und die Oberfläche ist relativ zum Körpervolumen sehr groß. Der Bereich der Umgebungstemperatur, in der Neugeborene und Säuglinge ihre Körpertemperatur konstant halten können, ist deshalb kleiner als bei Erwachsenen. Sie verfügen über eine zusätzliche Möglichkeit zur Wärmebildung, die zitterfreie Wärmebildung. Dazu besitzen sie braunes Fettgewebe. Das braune Fettgewebe ist stark durchblutet und enthält viele Mitochondrien. In den Mitochondrien werden die bei der Lipolyse frei werdenden Elektronen über die Atmungskette auf O2 übertragen und dabei Protonen aus der Matrix transportiert. In der inneren Membran der Mitochondrien des braunen Fettgewebes sind integrale Membranproteine wie das Thermogenin lokalisiert, die als Entkopplungsproteine (UCP, Uncoupling Protein) wirken. Als H+-Transporter stellen sie den Protonen einen Rückweg an der ATPase vorbei in die Matrix zur Verfügung. Als Ergebnis dieses Protonenkurzschlusses wird die Energie der Oxidation der Fettsäuren nicht zur ATP-Synthese verwendet, sondern mehr oder weniger vollständig in Form von Wärme freigesetzt, d. h. der Abbau der Fettsäuren von der ATP-Synthese entkoppelt. Aktiviert wird diese Art der Wärmebildung durch den Sympathikus, der die Lipolyse durch Noradrenalinwirkung an β3Rezeptoren steigert. Eine zitterfreie Wärmebildung ist ökonomischer, da durch das Fehlen der Zitterbewegungen die Wärmeverluste durch Konvektion klein bleiben. 27 2 Energie- und Wärmehaushalt Wärmeabgabe durch Verdunstung 28 0 30 35 40 Umgebungstemperatur (°C) bei 100% rel. Luftfeuchte Abb. 2.4 Evaporative Wärmeabgabe. Die Abbildung zeigt die Abhängigkeit der evaporativen Wärmeabgabe durch Verdunstung von der Umgebungstemperatur (Lufttemperatur, keine Sonneneinstrahlung) bei körperlicher Schwerarbeit in Tropenklima (100 % relative Luftfeuchte). Die Wärmeabgabe durch die Verdunstung von Schweiß geht gegen null, wenn die Umgebungstemperatur auf Körpertemperatur ansteigt! und mittlerer Luftfeuchte (50 %) werden immerhin 20–30 % der Wärme über diesen Weg abgegeben. Lerntipp Zur evaporativen Wärmeabgabe in den Tropen wurden mehrfach Fragen gestellt, die nur wenige richtig beantwortet haben. Beachten Sie, dass häufig nach der Wärmeabgabe und nicht nach der Schweißsekretion gefragt wird! Lewis-Reaktion Rechenbeispiel. Eine Person erbringt eine körperliche Dauerleistung von 100 W. Daraus ergibt sich eine zusätzliche Wärmeproduktion von 400 W, die durch Verdunstung wieder abgegeben werden soll. Wenn die spezifische Verdunstungswärme von Wasser 2,4 MJ/kg beträgt, welche Wassermenge wird dann zusätzlich in 1 Stunde vom Körper verdunstet? Lösung: 1 W entspricht 1 J/s, die zusätzliche Wärmeproduktion beträgt damit 400 W × 3600 s = 1440000 J = 1,44 MJ. Die Verdunstungswärme von Wasser liegt wie angegeben bei 2,4 MJ/kg, also: 1,44 MJ 2,4 MJ/kg entsprechend reguliert sein. Die Regulierung der Hautdurchblutung erfolgt hauptsächlich über den Sympathikus. In kalter Umgebung werden die Hautgefäße eng gestellt. Hierbei wird die glatte Gefäßmuskulatur aktiviert, vermittelt über die Noradrenalinwirkung an α1-Rezeptoren, und es kommt zur Vasokonstriktion. In warmer Umgebung soll über weitgestellte Gefäße die Wärme an die Umgebung abgegeben werden. Hierzu nimmt die konstriktorische Innervation der Hautgefäße über α-adrenerge Nerven ab und es kommt zur Vasodilatation. Zusätzlich wirken einige Stoffe ebenfalls vasodilatierend, z. B. Bradykinin, das bei der Stimulation von Schweißdrüsen freigesetzt wird. Bei Wärmebelastung werden auch zahlreiche arteriovenöse Anastomosen (AVA) geöffnet. Durch die Umgehung des Kapillarbettes sinkt der Strömungswiderstand in den Hautgefäßen. Mehr Blut kann nun über die AVAs fließen, und umso größer ist der Wärmetransport an die Oberfläche. Eine besondere Rolle spielen die Extremitäten, auf die mehr als die Hälfte der Körperoberfläche entfällt. Hier sorgt ein Gegenstromprinzip für einen kontinuierlichen Wärmeaustausch zwischen den parallel verlaufenden Arterien und Venen. Das in Richtung Akren fließende Blut wird dadurch abgekühlt und das zurückströmende Blut wieder aufgewärmt. Bei Kälte und eng gestellten Hautgefäßen ist dieser Austausch besonders intensiv, sodass der Wärmeabstrom in die Peripherie minimiert wird. Eine gesteigerte Durchblutung der Gefäße und AVAs dagegen führt zu einem nur geringen Austausch, sodass mehr Wärme abgegeben werden kann (Abb. 2.5). = 0,6 kg Fazit – Das müssen Sie wissen –– ! Neugeborene und Säuglinge besitzen braunes Fettgewebe, Wirkt über einen längeren Zeitraum starke Kälte auf einen Hautbezirk ein, so kann man in regelmäßigen Zeitabständen eine kurzzeitige Dilatation beobachten, die die anhaltende Konstriktion der Hautgefäße unterbricht. Dieser als Lewis-Reaktion bezeichnete Vorgang geht vermutlich auf eine Kältelähmung der glatten Gefäßmuskulatur zurück und beugt Gewebeschäden durch eine länger dauernde Minderperfusion vor. Die Lewis-Reaktion ist lokaler Natur und kann nur an den unterkühlten Hautarealen beobachtet werden. 2.2.5 Akklimatisation Bei längeren Aufenthalten unter extremeren Klimabedingungen sind neben Verhaltensanpassungen (z. B. wärmere Kleidung bei Kälte, bewusstes Einhalten von Ruhepausen während der in dem bei Kälte eine zitterfreie Wärmebildung stattfindet. –– ! Im thermischen Neutralbereich erfolgen 50–60 % der Gesamtwärmeabgabe über Strahlung. Arterie –– !! Cholinerge Fasern des Sympathikus aktivieren die ther- mische Schweißbildung. Sie kann daher durch Hemmstoffe muscarinerger Acetylcholin-Rezeptoren gehemmt werden (z. B. Atropin). –– ! Bei Anpassung an heißes Klima (Wärmeakklimatisierung) sinkt die Elektrolytkonzentration im Schweiß. 2.2.4 Hautdurchblutung Die Hautdurchblutung ist ein wichtiges Stellglied der Temperaturregulation. Der Wärmetransport aus dem Körperinneren über den Blutstrom (Konvektion) an die Körperoberfläche zur Wärmeabgabe ist von der Durchblutung abhängig und muss Gefäße eng Vene 37 36 35 34 33 Wärmeaustausch Gefäße weit 32 32 37 36,5 36,5 36 36 31 35,5 35,5 35 31 Kapillaren 35 niedrig Durchblutung hoch Abb. 2.5 Gegenstromprinzip des arteriovenösen Wärmeaustauschs. aus: Endspurt Vorklinik – Physiologie 2 (ISBN 9783131534521) © 2013 Georg Thieme Verlag KG 2.2 Wärmehaushalt 2.2.6 Hyperthermie und Fieber Eine Erhöhung der Körperkerntemperatur über 37 °C kann durch starke körperliche Anstrengung oder auch Wärmebelastung wie etwa ein Saunabesuch verursacht werden. Bei einer Hyperthermie kommt es durch äußere oder innere Störgrößen zu der Temperaturerhöhung, es besteht ein Missverhältnis von Wärmebildung oder -zufuhr und Wärmeabgabe. Bei Fieber hingegen kommt es zu der Erhöhung der Körperkerntemperatur durch eine Sollwertverstellung im Hypothalamus. Fieber Die Sollwertverstellung wird durch sog. Pyrogene (fieberauslösende Stoffe) ausgelöst. Krankheitserreger wie Viren oder Bestandteile von bakteriellen Erregern wie Toxine oder (Lipo-) Polysaccharide wirken als exogene Pyrogene. Sie regen Makrophagen und Granulozyten zur Bildung von Interleukinen, v. a. Interleukin-1, Interferonen und Tumornekrosefaktoren an, die wichtige Mediatoren des Immunsystems darstellen. Diese wirken als endogene Pyrogene über die Induktion von Prostaglandin E2 auf den Hypothalamus und bewirken die Sollwerterhöhung. Lerntipp Da die Kerntemperatur anfänglich unterhalb des neuen Sollwertes liegt, reagiert der Körper mit Konstriktion der Hautgefäße und Muskelzittern (Schüttelfrost), als sei ihm zu kalt. Der Körper wird bis zum neuen Sollwert aufgeheizt. Wird durch fiebersenkende Mittel (Antipyretikum) der Sollwert abgesenkt, kommt es zur Vasodilatation und zum Schwitzen. Die Körpertemperatur wird dadurch wieder gesenkt. Fiebersenkend wirkt z. B. Acetylsalicylsäure (Aspirin), indem sie die Bildung der Prostaglandine hemmt. Hyperthermiebedingte Erkrankungen Ein Hitzekollaps beruht auf einer Überforderung der Kreislaufregulation im Stehen (Orthostase) unter Hitzebelastung. Um den Anstieg der Körperkerntemperatur auszugleichen, wird vermehrt Schweiß sezerniert, es kommt zu einem Flüssigkeitsverlust und gleichzeitig ist die Hautdurchblutung erhöht. Der Blutdruckabfall führt zu einer Minderversorgung des Gehirns mit den Symptomen von Schwindel und Ohnmacht. Lange anhaltende, direkte Sonneneinstrahlung auf den Kopf kann zum Sonnenstich (Insolation) führen. Durch die lokale Erwärmung des Gehirns kommt es zum Hitzestau und zur Reizung der Hirnhäute. Die Symptome sind ähnlich wie bei einem Hitzschlag. Gefährlichste Komplikation durch eine langanhaltende Erhöhung der Körperkerntemperatur auf Werte über 41 °C ist der Hitzschlag. Beim Hitzschlag ist die Regulation im Hypothalamus gestört, sodass es nicht über eine vermehrte Schweißbildung (die Haut eines Patienten mit Hitzschlag ist trocken) und einer vermehrten Hautdurchblutung zu einer Wärmeabgabe kommt. Symptome sind Schwindel, Bewusstseinsstörungen bis zum Koma, Krampfanfälle und Hirnödeme, die zum Tode führen können. In allen Fällen der hyperthermiebedingten Erkrankungen besteht die Therapie schweregradabhängig vorrangig in Kühlung und Flüssigkeitszufuhr. Fazit – Das müssen Sie wissen –– ! Noradrenalin bewirkt an Hautgefäßen eine Vasokonstrik- tion. –– !! Eine wichtige Wirkung von Prostglandin E ist die Erhö2 hung der Körperkerntemperatur. –– ! Im Fieberanstieg reagiert der Körper, bis der neue Sollwert erreicht ist, wie in kalter Umgebung, nämlich mit Konstriktion der Hautgefäße und Muskelzittern (Schüttelfrost). –– ! Bei Fieberabfall, z. B. durch fiebersenkende Mittel (Antipyretikum), kommt es zur Dilatation der Hautgefäße und zum Schwitzen. Mehrfach wurde nach den äußerlich erkennbaren Zeichen für einen Fieberanstieg bzw. -abfall gefragt. Daher sollten Sie sich den folgenden Abschnitt gut einprägen! aus: Endspurt Vorklinik – Physiologie 2 (ISBN 9783131534521) © 2013 Georg Thieme Verlag KG L er n pa k e t 6 großen Mittagshitze) auch physiologische Reaktionen und Anpassungen zu beobachten. In Anpassung an heißen Klimabedingungen verändert sich die Schweißproduktion, sie setzt bei niedrigeren Temperaturen ein und der Elektrolytgehalt wird reduziert. Dadurch werden Elektrolyte eingespart und die Verdunstung erleichtert. Durch die Ausscheidung einer hypotonen Flüssigkeit wird das Blutplasma leicht hyperton, sodass Durst entsteht und die Trinkmenge gesteigert wird. Für ein erhöhtes Plasmavolumen sorgt auch ein höherer Plasmaproteingehalt, durch den weniger Wasser in der Niere filtriert wird. So wird der Kreislauf stabilisiert und einer Hypotonie (durch die weit gestellten Blutgefäße der Haut) vorgebeugt. Diese Umstellung ist oft erst nach einigen Jahren in heißen Gebieten abgeschlossen. Bei Menschen, die längere Zeit oder häufiger in kälteren Gegenden leben, kommt es zu einer vermehrten Wärmebildung durch einen gesteigerten Energieumsatz und zu einer stärkeren Drosselung der Hautdurchblutung. Bei Völkern dieser Regionen ist eine sog. Toleranzadaptation zu beobachten: Ein höherer Muskeltonus und Kältezittern tritt bei kälteadaptierten Menschen erst bei niedrigeren Temperaturen auf als bei Kontrollpersonen, d. h., eine geringe Hypothermie von 1–2 °C wird toleriert. 29