Leseprobe - Beck-Shop

Werbung
Ernährungsmedizin
Nach dem Curriculum Ernährungsmedizin der Bundesärztekammer und der DGE
Bearbeitet von
Hans Konrad Biesalski, Stephan C. Bischoff, Christoph Puchstein
4. vollst. überarb. Aufl. 2010. Buch. XXIII, 1160 S. Hardcover
ISBN 978 3 13 100294 5
Format (B x L): 17 x 24 cm
Weitere Fachgebiete > Medizin > Human-Medizin, Gesundheitswesen >
Ernährungsmedizin, Diätetik
Zu Inhaltsverzeichnis
schnell und portofrei erhältlich bei
Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft.
Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm
durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr
als 8 Millionen Produkte.
9
Vitamine
H.-K. Biesalski
Das Wichtigste in Kürze
Key Words
Vitamin A, Retinoide, β-Carotin, Vitamin D,
Calciferol, Vitamin E, Tocopherol, Vitamin K,
Vitamin B, Thiamin, Riboflavin, Pyridoxin,
Cobalamin, Vitamin C, Niacin,
Pantothensäure, Folsäure, Biotin,
Vitaminmangel, Hypervitaminose
9.1
Fettlösliche Vitamine
Vitamin A (Retinol) und Retinoide
Beschreibung und Funktion
Definitionen. Vitamin A und seine Derivate werden nach internationaler chemischer Nomenklatur
(IUPAC) unter dem Begriff Retinoide zusammengefasst. Diese Begriffsdefinition führte zu erheblicher
Verwirrung, da sie nicht zwischen natürlichen und
synthetischen Vitamin-A-Derivaten terminologisch exakt unterscheidet. Daher wird unter biologisch-medizinischem Aspekt folgende Trennung
durchgeführt:
mit Vitaminen kommen durchaus auch in Industrienationen vor, wie die nationale Verzehrsstudie (NVS II) kürzlich gezeigt hat. Eine ausreichende Versorgung mit Vitaminen ist aber eine
wesentliche Voraussetzung für eine adäquate
Funktion von Organen und Immunsystem.
Grundsätzlich unterteilt man Vitamine in
fettlösliche und wasserlösliche. Eine Übersicht
über die verschiedenen Vitamine, Mangelkrankheiten und gute Vitaminquellen gibt Tab. 9.1.
●
●
Vit A
Vitamine sind für den Menschen essenzielle Nährstoffe: Der Körper kann sie bis auf Vitamin D nicht
selbst synthetisieren und ist daher auf die Zufuhr
durch die Ernährung angewiesen. Vitamine werden für viele Stoffwechselvorgänge gebraucht
und kommen sowohl in pflanzlichen als auch in
tierischen Lebensmitteln vor. Eine ungenügende
Zufuhr kann zu schweren Erkrankungen führen;
aber auch marginalen Mangelzuständen sollte
das Interesse des Arztes gelten. Solche grenzwertige Mangelzustände bzw. inadäquate Versorgung
Unter Vitamin A versteht man Verbindungen,
die über alle Wirkungen des Vitamins verfügen
(Retinol, Retinylester).
Retinoide (Retinsäure und ihre synthetischen
Derivate) hingegen sind all die, die nicht vollständig wie Vitamin A wirken. Sie haben keinen
Einfluss auf Spermatogenese und Sehzyklus, da
sie nicht zur Ausgangssubstanz Retinol verstoffwechselt werden können.
Wirkungsweise. Die Wirkung der Retinoide, also
der Retinsäure als biologisch aktivem Derivat und
ihrer Metaboliten, wird nach derzeitigem Kenntnisstand durch Interaktionen mit zwei Subfamilien
nukleärer Retinsäurerezeptoren (RAR, RXR) erklärt. Der Retinoidrezeptor wirkt als Transkriptionsfaktor durch Bindung an spezifische DNA-Sequenzen, wobei die Steigerung der Transkription
von der Anwesenheit der Retinsäure abhängt.
Durch die Interaktionen der Retinsäure mit dem
Kernrezeptor wird die Expression einer Vielzahl
Faktoren geregelt, die besonders in Wachstum
und Differenzierung von Zellen und Geweben eingreifen. Dazu gehören beispielsweise Wachstumshormonrezeptoren, Onkogene, Zell-Zell-Interaktionsfaktoren wie Laminin und Fibronektin, Inter-
133
aus: Biesalski u. a., Ernährungsmedizin (ISBN 9783131002945) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
I Vitamine
Tab. 9.1
Die Vitamine: Nomenklatur, Mangelkrankheiten, Herkunft und Quellen.
Vitamin
Mangelkrankheit
Herkunft
Gute Vitaminquellen
Vitamin A (Retinoide)
Nachtblindheit
Pflanzen (Carotinoide)
Vorläufer in gelb-orangen Gemüsepflanzen und Karotten,
Vitamin A in Leber, Lebertran
Vitamin D (Calciferole)
Rachitis
Plankton, durch UV-Licht*
in Mensch und Tier
Margarine, Kalbfleisch, Fettfische
Vitamin E
(Tocopherole)
keine spezifische
Symptomatik
Pflanzen
Gemüse, Samenöle, grünes
Blattgemüse
Vitamin K (Phyllound Menachinone)
fehlende Blutgerinnung Bakterien**, Pflanzen
grünblättriges Gemüse,
Eigelb, Käse, Leber
Thiamin (Vitamin B1)
Beri-Beri
Pflanzen, einige Hefen,
Schimmel, Bakterien
Samen, Nüsse, Weizenkeime,
Leguminosen, mageres
Schweinefleisch
Riboflavin (Vitamin B2)
Pellagra, hypochrome
Anämie
Pflanzen, Bakterien, Pilze
Milch, Innereien, Eier, Nüsse,
Samen, Fisch, Pilze
Pyridoxin (Vitamin B6)
Störungen der
Proteinsynthese
viele Bakterien**, Hefen,
Pilze, Pflanzen
Hefe, Leber, Weizenkeime,
Hafer, Nüsse, Bohnen, Avocados, Bananen
Cobalamin (Vitamin
B12)
perniziöse Anämie
Pilze, einige Bakterien**
(keine Pflanzen)
Leber, Nieren, Eier, Käse
Vitamin C (Ascorbinsäure)
Skorbut
Pflanzen, die meisten Tiere speziell Zitrusgewächse,
(außer bei Jungtieren), eini- Hagebutten, Kiwi, Preiselbeege Bakterien
ren, Tomaten, Kohl, Paprika,
Früchte und Gemüse im
Allgemeinen
Niacin (Nicotinsäure)
Pellagra
Pflanzen, einige Bakterien,
Pilze, Hefe*
Pantothensäure
Burning Feet Syndrome Pflanzen, einige
Bakterien**
Hefe, Getreide (weit verbreitet), Hering, Pilze, Eigelb,
Leber
Folsäure
Anämie
Pflanzen, einige
Bakterien**
Hefe, Leber, Spinat
Biotin
Eiweißschädigung
Bakterien, Hefen, Pilze
Hefe, Leber, Eigelb, Tomaten,
Sojabohnen, Reis, Weizenkleie
Fleisch, Nüsse, Leguminosen,
Fisch
* gewisse Produktion in menschlichen Geweben
** menschliche Darmbakterien
leukine und Zytokine. Wesentliche Bedeutung
kommt auch der Tatsache zu, dass Retinsäure nukleäre Transkriptionsfaktoren (z. B. AP-1, NFκB)
transreprimieren kann und damit die Genexpression verschiedenster Proteine (Matrixmetalloproteine, Ornithindecarboxylasen u. a.) herunterregelt. Nur in seltenen Fällen homodimerisieren
Retinoidrezeptoren. In den meisten Fällen wird
die Wirkung durch heterodimere Paare (RARRXR) oder durch heterodimere mit andern Rezeptoren (Vitamin-D-, Tyhroid-Rezeptor). Dabei ist
der Ligand der RAR meist all-trans-Retinsäure,
der für RXR 9-cis-Retinsäure.
134
aus: Biesalski u. a., Ernährungsmedizin (ISBN 9783131002945) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
Fettlösliche Vitamine
Sehvorgang. Abb. 9.1 zeigt die Wirkung des Vitamins im Sehzyklus. Auch hier spielen verschiedene
spezifische Bindungsproteine beim Transport und
der Wirkungsvermittlung des Vitamins eine Rolle
(Tab. 9.2). Retinol wird von der äußeren Kapillarseite aus aufgenommen, an zellulär retinolbindendes Protein (CRBP) fixiert und auf ein zellulär retinalbindendes Protein (CRALBP) übertragen, das
bevorzugt die 11-cis-Form bindet. 11-cis-Retinol
wird, wenn es an CRALBP gebunden ist, zu 11cis-Retinal oxidiert und gelangt so in die Matrix
des Interfotorezeptors. Nach Abgabe an das Interfotorezeptor-retinolbindende Protein (IRBP) wird
es zu den Fotorezeptoren transportiert und dort
in den Scheibchen (discs) der Segmente an die
Apoproteine (Opsin) gebunden: Es entsteht Rhodopsin. Nach Lichteinfall wird 11-cis-Retinal zu
all-trans-Retinal isomerisiert und dadurch vom
Rhodopsin abgelöst. Die durch die Isomerisierung
und Ablösung initiierten Konformationsänderungen des Apoproteins führen über verschiedene
Kaskaden zum Schließen eines Kationenkanals an
der Oberflächenmembran des Fotorezeptors. Dadurch kommt es zur Hyperpolarisation mit der
Folge eines Nervenimpulses, der zur Sinneswahrnehmung führt. Eine Übersicht über retinolbindende Proteine innerhalb von Zielzellen gibt
Tab. 9.2.
Embryogenese. Retinsäure ist eine essenzielle
Komponente der Zell-Zell-Kommunikation während der Organentwicklung bei Vertebraten. In
Blut
Holo-RBP-Transthyretin-Komplex
Choriokapillaris
Bruchsche
Membran
all-trans
Retinylpalmitat-
all-trans-Retinol
RetinylAcylTransferase
all-transRetinol•CRBP
RetinolRetinalesterIsomerase
Hydrolase
11-cis11-cisRetinylRetinol•CRALBP
palmitat
Retinyl11-cis-RetinolAcylDehydrogenase
Transferase
11-cisPigmentRetinal•CRALBP
epithelzelle
Interfotorezeptormatrix
Außensegment
des Stäbchens
Retina
Abb. 9.1
11-cisRetinal•
CRALBP
11-cisRetinal•
Opsin
all-transRetinol•
IRBP
Vit A
Bindungsproteine. Eine herausragende Stellung
bei der Wirkungsvermittlung haben die verschiedenen Bindungsproteine. So wird das Vitamin
nach der Resorption in Form der Retinylester im
Bindungskompartiment, den Chylomikronen, zur
Leber transportiert. Nach Ausschleusung aus der
Leber in das Blut liegt das Vitamin als Retinol,
der eigentlichen Transportform, gebunden an das
RBP (retinolbindendes Protein) und TTR (Transthyretin) vor. Nach Abgabe an die Zielzelle wird es
innerhalb der Zelle mit verschiedenen zellulär bindenden Proteinen verknüpft. Während zellulär retinsäurebindendes Protein (CRABP) seine wesentliche Aufgabe darin hat, Retinsäure im wässrigen
Kompartiment des Plasmas zu „lösen“ und zum
Kern zu transportieren, besteht eine bedeutende
Funktion des zellulär retinolbindenden Proteins
(CRBP) darin, verschiedene Blutgewebeschranken
passierbar zu machen.
9
Retinol-Dehydrogenase
all-transRetinal
Licht
Sehzyklus (Erläuterungen s. Text).
der frühen Entwicklung organisiert die Retinsäure
die Entwicklung verschiedener Organsysteme. In
späteren Entwicklungszeiten trägt Retinsäure zur
Entwicklung des Auges und anderer Organe bei.
135
aus: Biesalski u. a., Ernährungsmedizin (ISBN 9783131002945) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
I Vitamine
Tab. 9.2
Bindende Proteine innerhalb der Zielzellen und ihre Funktion.
Name
Kurzform
Endogener
Ligand
Vorkommen
Funktion
Zellulär retinolbindendes Protein
CRBP
all-trans-Retinol
alle Gewebe außer
Herz, Muskel, Serum,
Ileum
Retinoltransport in der Zelle
und durch Blut-/Gewebeschranken
Zellulär retinsäurebindendes Protein
CRABP
all-trans-Retinsäure
alle Gewebe außer
Leber, Jejunum, Ileum
Retinsäuretransport in der
Zelle
Zellulär retinolbindendes Protein
CRBP II
all-trans-Retinol,
all-trans-Retinal
Dünndarm, Enterozyten, Neugeborenenleber
Retinoltransport durch den
Enterozyten, Transport zu
veresternden Enzymen
Epididymal retinsäurebindendes
Protein 1 und 2
EBP 1, 2
all-trans-Retinsäure
Epididymis
Transport von Retinsäure zu
reifen Spermata
Zellulär retinalbindendes Protein
CRALBP
II-cis-Retinol,
II-cis-Retinal
Retina
Transport von Retinol/Retinal
zu den reduzierenden/oxidierenden Enzymen
Interfotorezeptorretinolbindendes
Protein
IRBP
all-trans-Retinol,
II-cis-Retinol
Interfotorezeptorraum
Transport von Retinol von/zu
Pigmentepithel, von/zu den
Fotorezeptoren
Studien aus jüngerer Zeit kommen zu dem Ergebnis, dass Retinsäure primär in einer parakrinen Art
agiert und damit die Differenzierung pluripotenter
Zellen reguliert.
Proliferation und Differenzierung. Vitamin A
kann Wachstum und Differenzierung verschiedener Zellen durch seinen Angriff am Retinoidrezeptor, aber offensichtlich auch unabhängig davon beeinflussen. Je nach verwendeter Zelllinie und eingesetztem Vitamin-A-Derivat kann das Wachstum
gehemmt oder gefördert werden bzw. ein differenzierender oder entdifferenzierender Effekt eintreten. In Tierversuchen konnte eindrucksvoll gezeigt werden, dass das Vitamin besonders die regelrechte Differenzierung der Respirationsschleimhaut und der Haut regelt. Bei Vitamin-A-Mangel
kommt es zu metaplastischen Veränderungen der
Respirationsschleimhaut, die strukturelle wie auch
immunhistochemische Ähnlichkeit mit Metaplasien zeigen, wie sie durch Karzinogene (z. B. Benzpyren, Benzapyren) oder chronische Zigarettenrauchinhalation ausgelöst werden können.
Einfluss auf das Immunsystem. Nicht umsonst
wird Vitamin A auch als antiinfektiöses Vitamin
bezeichnet. Im Vitamin-A-Defizit treten häufiger
Infektionen auf, besonders der Atemwege. Infektionskrankheiten, die eine Akut-Phase-Reaktion induzieren, führen gleichzeitig zu einer Abnahme
des zirkulierenden Vitamin A. Eine inadäquate Vitamin-A-Versorgung verschlechtert die Immunantwort dadurch, dass die Regeneration der
Schleimhautbarriere nach Infektionen gestört ist
und die Funktion der Neutrophilen, Makrophagen,
NK-Zellen sowie der T-Helfer-Zellen und B-Zellen
eingeschränkt wird. Dies erklärt die gesteigerte
Sterblichkeit an Atemwegserkrankungen vor
allem von Kindern in Entwicklungsländern, in
denen der Vitamin-A-Mangel weit verbreitet ist.
Hinzu kommt, dass bei Infekten Retinol-RBP über
die Niere ausgeschieden wird.
Resorption, Stoffwechsel und
Verteilung im Körper
Am Beispiel des Vitamin-A-Metabolismus wird
deutlich, welch vielfältigen Veränderungen die
Substanz unterliegt und welche unterschiedlichen
Derivate als wirksame Metaboliten vorliegen können (Abb. 9.2).
136
aus: Biesalski u. a., Ernährungsmedizin (ISBN 9783131002945) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
Fettlösliche Vitamine
Intestinallumen
CM
CRBP II
R
AcylCoA
R
LPL
Fs+RE
ParenchymStellatumzelle
zelle
Apo-ERezeptor
DT
CM
Lipase
CRBP
CMR
Enterozyten
RE
9
R
AS
RE
Leber
R-RBP
R-RBP
R
RE-R
AS
Sinusoid
RBP
TTR
RRBP
TTR
Niere
CRABP
DT
FS
LPL
R
RA
RAR
RBP
Abb. 9.2
apoRBP
CRABP
Zielzelle
RAR
RA
R
?
R
Acyl-Retinol-Acyltransferase
CRBP
TTR
Aminosäuren
Chylomikronen
Chylomikronenremnants
R
Zytoplasmatisches retinolbindendes
CMR
Protein(II)
Zytoplasmatisches retinsäurebindenARAT
RPH
des Protein
Ductus thoracicus
Fettsäuren
RE
Blut
Lipoproteinlipase
Retinol
RE Retinylester
Retinsäure
RPH Retinyl-Palmitathydroxylase
Retinsäurerezeptor
TTR Transthyretin
retinolbindendes Protein
Vit A
ARAT
AS
CM
CMR
CRBP II
RBP
R-Rezeptor
RRBP
TTR
Vitamin A – Resorption und Verteilung.
Vitamin A wird entweder in Form seines Provitamins (meist β-Carotin) aus Pflanzen oder aber
in Form seiner Fettsäureester aus tierischen Produkten aufgenommen. β-Carotin wird im Darm
aber auch in vielen anderen Geweben nach oxidativer Spaltung der zentralen Doppelbindung metabolisiert. Es entstehen zwei Moleküle Retinal, die
auf dem Wege über Retinsäure oder Retinol weiter verstoffwechselt werden. Die Effektivität dieser
β-Carotin-Spaltung ist allerdings nicht besonders
hoch (s. S. 144).
Die Vitamin-A-Ester werden durch eine Pankreaslipase (Cholesterylesterase) im Intestinallumen
gespalten und als Retinol in die Mukosazellen des
oberen Dünndarms aufgenommen. Die Resorption
von Retinol wird mit etwa 75 % angenommen und
hängt sehr stark von Art und Menge gleichzeitig
zugeführter Fette ab.
Retinol wird in Enterozyten durch zwei unterschiedliche Enzyme verestert: die Acyl-CoA-Retinol-Acyltransferase (ARAT) und die Lecithin-Retinol-Acyltransferase (LRAT). Das veresterte Retinol
wird nun in Chylomikronen inkorporiert und in
die Lymphbahn abgegeben. Teilweise werden die
Retinylester während des Transports zur Leber
über die Lipoproteinlipase in verschiedene Gewebe aufgenommen. Wenn die Retinylester in den
Chylomikronen-Remnants die Leber erreicht haben, so werden sie dort durch den Remnant-Rezeptor (Apo-E-, eventuell auch Apo-B,E-LDL-Rezeptor) aufgenommen, zu Retinol hydrolysiert
und zu den perisinusoidalen Stellatumzellen der
137
aus: Biesalski u. a., Ernährungsmedizin (ISBN 9783131002945) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
I Vitamine
Leber transportiert. Hier werden sie erneut verestert; diese Retinylester machen etwa 50 – 80 %
des gesamten Vitamin-A-Pools des Körpers aus.
In den Stellatumzellen finden sich etwa 90 % der
gesamten Leberkonzentration, während der Rest
in den Hepatozyten gelagert wird. Man bezeichnet
deshalb die Stellatumzellen als Langzeit- und die
Hepatozyten als Kurzzeitspeicherzellen. Die Speicherkapazität der Stellatumzellen ist nahezu unbegrenzt. Selbst bei chronisch hoher Zufuhr können
diese Zellen ein Vielfaches der üblichen Speichermenge aufnehmen (Abb. 9.3).
Die Abgabe von Vitamin A aus der Leberzelle in
die Blutbahn (wahrscheinlich durch die Menge an
„freiem“ Apo-RBP geregelt) und der Transport zum
Wirkort erfolgen nach Hydrolyse des Retinylesters
durch eine spezifische Retinylesterhydrolase. Das
entstehende, zunächst an CRBP gebundene Retinol
wird an das intrazelluläre Apo-Retinolbindende
Protein abgegeben, gebunden und als Holo-RBP
ins Plasma sezerniert. Aufgrund seines geringen
Molekulargewichts (21 000) würde der RBP-Retinol-Komplex sehr schnell über die Niere verlorengehen. Dies wird durch reversible, 1 : 1 molare
Komplexbindung mit dem Transthyretin (TTR) verhindert.
Hat Vitamin A die Zielzelle erreicht, wird es
rezeptorvermittelt aufgenommen und intrazellulär durch ein entsprechendes Bindungsprotein
(CRBP) gebunden, teilweise metabolisiert oder reverestert und in dieser Form gespeichert. Das nach
Lösung des Retinol entstandene Apo-RBP wird von
der Niere katabolisiert und trägt zur Regulierung
des Retinolplasmaspiegels bei. Bei eingeschränkter
Nierenfunktion kann das apo-RBP nicht ausreichend katabolisiert werden. Es verbleibt im Blut
und steigert die Ausschleusung des Retinols aus
der Leber (solange Vitamin A vorhanden). Dies erklärt die hohen Blutwerte bei Nierenfunktionsstörungen.
Vorkommen, Bedarf und Empfehlung
Das Provitamin (β-Carotin) kommt vorwiegend in
Pflanzen vor (s. S. 144 ff.). Bei gemischter Kost
wird der wesentliche Anteil des Vitamin-A-Bedarfs durch Retinylester aus tierischen Produkten
gedeckt, die auch begrenzte Mengen β-Carotin
enthalten (Tab. 9.3). Der bedeutendste Vitamin-ALieferant ist die Leber, die in Abhängigkeit von der
Tierspezies ausgeprägte Konzentrationsunterschiede an Retinylestern aufweisen kann (z. B.
10 000 – 100 000 IE/100 g in Rinder- und Schweineleber).
Bei gemischter Kost ist die Versorgung mit Vitamin A beim gesunden Mitteleuropäer kein Problem, wenn man sowohl präformiertes Vitamin A
als auch Provitamin A berücksichtigt. Dabei wird
allerdings häufig übersehen, dass eine einfache
Umrechnung von Provitamin A in Vitamin A (Retinoläquivalente) mit einem Faktor 6 : 1 (6 mg βCarotin = 1 mg Retinol) nicht mehr den Tatsachen
entspricht. Neuere Untersuchungen haben ergeben, dass ein Konversionsfaktor von 12 : 1 bis zu
36 : 1 realistischer ist. Bei einseitiger, vor allem
rein pflanzlicher Kost kann in Abhängigkeit von
der Variabilität der zugeführten Nahrungsbestandteile (jahreszeitliche Verfügbarkeit, Aufbereitung
und Lagerung) sowie in Abhängigkeit von der Art
der pflanzlichen Nahrung (Anteil des β-Carotins)
eine Unterschreitung des täglichen Bedarfs vorkommen und damit auch die Entwicklung eines
Vitamin-A-Defizits begünstigt werden.
Hinweis für die Praxis
Der Vitamin-A-Bedarf ist im wachsenden Organismus und bei Regenerationsvorgängen
oder chronischen Infekten gesteigert. Besonders bei Kindern mit rezidivierenden Infekten
ist auf eine ausreichende Zufuhr zu achten.
Schwangerschaft und Stillzeit. Während der
Schwangerschaft und der Stillperiode ist der Bedarf an Vitamin A und β-Carotin erhöht, da die
Plasmawerte des Neugeborenen immer unter
denen der Mutter liegen und vor allem der Verbrauch an Vitamin A in der Schwangerschaft deutlich zunimmt. Eine Unterversorgung der Mutter
resultiert also in einem deutlichen Defizit beim
Neugeborenen.
Hinweis für die Praxis
Es ist aber zu berücksichtigen, dass gerade in
der Schwangerschaft eine Vitamin-A-Supplementierung nicht unbeschränkt durchgeführt
werden kann. Eine Menge von mehr als 3 mg
sollte als Tagesdosis nicht über längere Zeit
überschritten werden.
Obgleich davon ausgegangen wird, dass das natürliche Vitamin A wie es in Lebensmitteln vor-
138
aus: Biesalski u. a., Ernährungsmedizin (ISBN 9783131002945) © 2010 Georg Thieme Verlag KG
Herunterladen