Komplexe Zahlen Roger Burkhardt ([email protected]) 2008 2 Einführung Die Unvollkommenheit des Körpers der reellen Zahlen In der Menge der natürlichen Zahlen N = {1,2,3,4,...} sind sowohl Addition wie Multiplikation uneingeschränkt durchführbar, d.h. zwei natürliche Zahlen addiert (bzw. multipliziert) ergibt wieder eine natürliche Zahl. Will man nun auch noch die Subtraktion einführen, so steht man vor dem Problem, dass es zu zwei natürlichen Zahlen nicht immer eine natürliche Differenz gibt. Um nun auch uneingeschränkt subtrahieren zu können, muss man eine andere Zahlenmenge zugrunde legen. Am besten eine Zahlenmenge in der die Menge der natürlichen Zahlen schon enthalten ist und auf der die alten Operationen weiterhin definiert sind, eine sogenannte Mengenerweiterung. Diese neue Zahlenmenge sind die ganzen Zahlen Z = {...,−3,−2,−1,0,1,2,3,...} 3 4 Wie sieht es nun mit der Division - der Umkehrung der Multiplikation - aus? Auch diese ist nicht uneingeschränkt in der Menge der ganzen Zahlen durchführbar. Wieder müssen wir den Zahlenbereich sinnvoll erweitern. Diese Erweiterung findet man in der Menge der rationalen Zahlen Q = ⎧⎨b : b = z ∧ z ∈ Z ∧ n ∈ N ⎫⎬ n ⎩ ⎭ Soweit kamen auch die Pythagoräer (6 Jh.v.Ch.). Sie fanden ihre Zahlen nicht nur schön sondern sahen auch göttliche Absicht in den Zahlen (alles ist Zahl). Doch schon ein Schüler (Hippasos von Metapont) von Pythagoras fand heraus, dass es „etwas“ gibt, das nicht durch rationale Zahlen darstellbar war (z.B. die Diagonale in einem Quadrat mit der Seitenlänge Eins). Um auch solche Grössen zu beschreiben erweitert man die rationalen Zahlen zu den reellen Zahlen. Hier eine Definition: Definition: Eine Zahl heisst reell, wenn sie in Gestalt eines unendli-5 6 chen Dezimalbruches geschrieben werden kann, also Grenzwert einer Ergänzungsfolge von Dezimalbrüchen ist. Ein grosser Teil (Grenzwerte, Reihen, Differentialrechnung, Integralrechnung, usw.) der Analysis beruht auf dieser Definition. Können wir uns nun zurücklehnen? Es gibt immer noch Operationen die auf dieser Zahlenmenge nicht uneingeschränkt durchführbar sind (z.B. die Quadratwurzel aus einer negativen Zahl). Betrachten wir einmal die folgenden einfachen beiden Gleichungen: x2 −1 = 0 x2 = 1 x2 + 1 = 0 x2 = −1 x1,2 = ±1 x1,2 = ? Die erste Gleichung besitzt reelle Lösungen die zweite Gleichung nicht! 7 8 Definition Ausgehend von der Gleichung x2 + 1 = 0 definieren wir: Definition: i := − 1 . Die Zahl i nennen wir imaginäre Einheit. Nun gilt sicher: i = −1 ( −1) = −1 = ( − 1) = i i = (− 1)i = −i = ( −1) = i i = (−1)(−1) = 1 i2 = 2 i3 3 2 4 2 2 i4 i5 = i 4i = i Wir können uns zwar noch nicht allzuviel unter dieser neuen Grösse vorstellen, doch können wir nun alle quadratischen Gleichungen 9 lösen! 10 Betrachten wir dazu zwei Beispiele: 2 Beispiel: x + 4 = 0 x2 = −4 x1,2 = ± − 4 = ± − 1 4 = ±2i Beispiel: x2 + x + 1 = 0 2 3 ⎛ 1⎞ ⎜x+ ⎟ = − 4 ⎝ 2⎠ 1⎞ 3 3 3 ⎛ ⎜ x1,2 + ⎟ = ± − = ± −1 = ± i 2⎠ 4 2 2 ⎝ 1 3 x1,2 = − ± i 2 2 11 12 Definition komplexe Zahlen Definition: Die Summen z = a + ib mit a, b ∈ R aus einer reellen Zahl a und dem Produkt einer reellen Zahl b mit der imaginären Einheit (kurz der imaginären Zahl ib ) heissen komplexe Zahlen. Wir bezeichnen a als Realteil und b als Imaginärteil der komplexen Zahl z . Die Menge der komplexen Zahlen wird mit C bezeichnet. 13 14 Grundoperationen auf C Nun haben wir eine neue Zahlenmenge definiert, doch was nutzen uns diese neuen Zahlen, wenn wir nicht mit ihnen rechnen können? Damit uns die komplexen Zahlen etwas nützen, müssen wir sie in einem ersten Schritt in einen direkten Zusammenhang mit den reellen Zahlen bringen. In einem zweiten Schritt wollen wir dann sinnvolle Rechenoperationen auf C definieren, so dass die Rechnungen mit reellen Zahlen als Spezialfall des Rechnens mit komplexen Zahlen resultiert. Satz: Die Menge der komplexen Zahlen enthält die Menge der reellen Zahlen, es gilt also: R⊂C Dies ist einfach einzusehen, da sich jede reelle Zahl a als komplexe Zahl a + i0 schreiben lässt. Wie sieht es nun mit den Rechenoperationen aus? 15 16 Gleichheit komplexer Zahlen Bevor wir die Rechenoperationen besprechen betrachten wir noch den folgenden Satz: Satz: Zwei komplexe Zahlen a + ib und c + id (a, b, c, d ∈ R) sind genau dann gleich, wenn sie in Real- und Imaginärteil übereinstimmen. Formal: a + ib = c + id ⇔ a = c ∧ b = d Um nun die Rechenoperationen zu definieren, betrachten wir eine komplexe Zahl z als eine abstrakten Term und rechnen einmal so, als wären alles nur reelle Zahlen. So gilt dann für die Addition: z1 + z 2 = (a + ib ) + (c + id ) = a + ib + c + id = a + c + ib + id = (a + c ) + i (b + d ) Da die Koeffizienten der komplexen Zahlen alle reell sind, ist das erhaltene Resultat auch eine komplexe Zahl. Wir definieren: 17 18 Addition, Subtraktion und Multiplikation Definition: Man addiert (bzw. subtrahiert) zwei komplexe Zahlen, indem man ihre Real- und Imaginärteile addiert (bzw. subtrahiert). Formal: (a + ib) ± (c + id ) = (a ± c) + i(b ± d ) Diese Vorschrift ist einfach zu handhaben und stimmt mit der Addition reeller Zahlen überein. Beispiel: (1 + i 2) + (3 − i4) = (1 + 3) + i(2 − 4) = 4 − i 2 Das Problem der Multiplikation gehen wir analog an: z1z2 = (a + ib)(c + id ) = ac + iad + ibc + i 2bd = (ac − bd ) + i(ad + bc) Hier erhalten wir schon ein komplizierteres Resultat. Definition: Man multipliziert zwei komplexe Zahlen wie folgt: (a + ib)(c + id ) = (ac − bd ) + i(ad + bc) 19 20 Betrachten wir einige Beispiele: Beispiel: (1 + i2)(3 − i4) = (1* 3 − 2 * (− 4)) + i(1* (− 4) + 2 * 3) = Beispiel: Beispiel: (3 + 8) + i(− 4 + 6) = 11+ i2 7 * (− 8) = (7 + i 0 )((− 8) + i 0 ) = (7 * (− 8) − 0 * 0 ) + i (7 * 0 + 0 * (− 8)) = −56 + i 0 = −56 (a − ib)(a + ib) = (a2 − (− b)b) + i(ab + (− b)a) = (a2 + b2 ) + i(ab − ab) = a2 + b2 Da wir nun multiplizieren können, können wir auch potenzieren: Beispiel: (1 + i2)5 = 1 + 5(i2) + 10(i2)2 + 10(i2)3 + 5(i2)4 + (i2)5 = 1 + 10i − 40 − 80i + 80 + 32i = 41− 38i 21 22 Division Bevor wir die Division betrachten, führen wir noch eine wichtige Grösse ein: Definition: Zwei komplexen Zahlen die sich nur im Vorzeichen des Imaginärteils unterscheiden, nennt man zueinander konjugiert komplex. Wir schreiben: z1 = a + ib = a − ib Nun erinnern wir und an das 3-te Binom Lehrsatz und finden für die Division: z1 a + ib a + ib c − id (ac + bd ) + i(bc − ad ) ac + bd bc − ad = 2 +i 2 = = = 2 2 2 z2 c + id c + id c − id c +d c +d c + d2 Definition: Man dividiert zwei komplexe Zahlen wie folgt: z1 z1 z2 a + ib ac + bd bc − ad = = = +i z2 z2 z2 c + id c2 + d 2 c2 + d 2 23 24 Diese letzte Formel kann man sich sicher nicht merken! Doch das Vorgehen ist eigentlich recht simpel. Beispiel: 1 + i 2 (1 + i 2 )(3 + i 4 ) (3 − 8) + i (4 + 6 ) 5 10 1 2 = = = − +i = − +i 3 − i 4 (3 − i 4 )(3 + i 4 ) 9 + 16 25 25 5 5 Beispiel: ( ) a + ib (a + ib)(a + ib) a2 − b2 + i(2ab) a2 − b2 2ab = = + i = a − ib (a − ib)(a + ib) a 2 + b2 a 2 + b2 a 2 + b2 25 26 Gauss‘sche Zahlenebene Jede komplexe Zahl z = a + ib (a, b ∈ R) entspricht einem 2 geordneten Zahlenpaar (a, b) ∈ R aus reellen Zahlen. Dies ergibt uns die Möglichkeit die komplexen Zahlen darzustellen und sie so besser zu verstehen. Ein geordnetes Zahlenpaar kann man eindeutig einem Punkt im kartesischen Koordinatensystem zuordnen. Der komplexen Zahl z = a + ib entspricht dabei der Punkt mit der Abszisse a und der Ordinate b. Diese Bildebene nennt man Gauss‘sche Zahlenebene. Satz: Es gibt eine Abbildung f : C → R2 , a + ib a (a, b) , welche bijektiv jeder komplexen Zahl z = a + ib einen Punkt (a, b) ∈ R2 zuordnet. Diese Abbildung liefert uns eine Identifikation zwischen C und R2 . Die Bildmenge dieser Abbildung nennt man Gauss‘sche Zahlenebene. 27 28 Beispiele: 4 3 z3 = −2 + 2i 2 z1 = 2 + i 1 0 -1 z4 = 3 − 2i -2 z2 = −1 − 2i -3 -4 -4 -3 -2 -1 0 1 2 3 4 29 30 Betrag einer komplexen Zahl Definition: Unter dem Betrag einer komplexen Zahl z = a + ib ∈ C versteht man den Wert a 2 + b 2 ∈ R , welcher der Entfernung des 2 Punktes (a, b) ∈ R vom Ursprung entspricht. Formal: z = a2 + b2 Beispiel: 1 + 2i = (1) + (2 ) = 5 Punkte in einem Koordinatensystem müssen nicht unbedingt in kartesischen Koordinaten angegeben werden. Wir können z.B. auch polare Koordinaten verwenden. Es gilt für die Umrechnung: 2 2 K a r t e s is c h - > p o la r r = x2 + y2 tan ϕ = y x P o la r - > k a r t e s is c h x = r cos(ϕ ) y = r sin (ϕ ) 31 32 Goniometrische Darstellungsform Aus der obigen Umrechnung finden wir nun die goniometrische Darstellungsform komplexer Zahlen: Satz: Jede komplexe Zahl lässt sich eindeutig in folgender Form + schreiben: z ∈ R 0 z = z (cos(ϕ ) + i sin (ϕ )) 0 ≤ ϕ < 2π z nennt man den Betrag und ϕ den Phasenwinkel (oder Argument) der komplexen Zahl. Beispiel: z = −2 + i2 3 ⇒ z = (− 2) + (2 3) 2 2 = 16 = 4 ⎛ 2 3 ⎞ 2π ⎟⎟ = ⇒ ϕ = π + arctan⎜⎜ ⎝ 2 ⎠ 3 ⎛ ⎛ 2π ⎞ ⎛ 2π ⎞ ⎞ z = 4⎜ cos⎜ ⎟ + i sin⎜ ⎟ ⎟ 3 ⎝ 3 ⎠⎠ ⎝ ⎝ ⎠ 33 34 Rechenoperationen in der Gauss‘schen Zahlenebene Die Addition zweier komplexer Zahlen lässt sich als Summe zweier Vektoren interpretieren. Wir betrachten dazu ein Beispiel: z1 = 1 + 2i Beispiel: Im( z ) Re( z ) z1 + z2 = 5 − i z2 = 4 − 3i 35 36 Die Multiplikation Bevor wir die Multiplikation in der Gauss‘schen Zahlenebene interpretieren können, müssen wir uns überlegen, wie man komplexe Zahlen in der goniometrischen Form multiplizieren kann. Seien die beiden folgenden komplexen Zahlen gegeben: z1 = r1 (cos(ϕ1 ) + i sin(ϕ1 )) Wir finden nun: z2 = r2 (cos(ϕ2 ) + i sin(ϕ2 )) z1z2 = r1 (cos(ϕ1 ) + i sin(ϕ1 )) * r2 (cos(ϕ2 ) + i sin(ϕ2 )) = r1r2 (cos(ϕ1 )cos(ϕ2 ) − sin(ϕ1 )sin(ϕ2 ) + i(sin(ϕ1 )cos(ϕ2 ) + cos(ϕ1 )sin(ϕ2 ))) = r1r2 (cos(ϕ1 + ϕ2 ) + i sin(ϕ1 + ϕ2 )) Satz: Der Betrag des Produktes ist somit das Produkt der Beträge der Faktoren und der Phasenwinkel des Produktes ist die Summe der Phasenwinkel der Faktoren. Formal: z1z2 = z1 z2 = r1r2 arg( z1z2 ) = arg( z1 ) + arg( z2 ) = ϕ1 + ϕ2 37 38 Beispiel: ⎛ ⎛π π ⎞ ⎛π π ⎞⎞ z1z2 = 3 * 5⎜ cos⎜ + ⎟ + i sin⎜ + ⎟ ⎟ ⎝ 6 4 ⎠⎠ ⎝ ⎝6 4⎠ ⎛ ⎛ 5π ⎞ ⎛ 5π ⎞ ⎞ = 15⎜ cos⎜ ⎟ + i sin⎜ ⎟ ⎟ ⎝ 12 ⎠ ⎠ ⎝ ⎝ 12 ⎠ ⎛ ⎛π ⎞ ⎛ π ⎞⎞ z2 = 3⎜ cos⎜ ⎟ + i sin⎜ ⎟ ⎟ ⎝ 4 ⎠⎠ ⎝ ⎝ 4⎠ ⎛ ⎛π ⎞ ⎛π ⎞⎞ z1 = 5⎜ cos⎜ ⎟ + i sin⎜ ⎟ ⎟ ⎝ 6 ⎠⎠ ⎝ ⎝6⎠ 39 40 Die Division Analog findet man für die Division: Satz: Der Betrag eines Quotienten komplexer Zahlen ist gleich dem von ihren Beträgen gebildete Quotient. Der Phasenwinkel des Quotienten ist gleich der Differenz der Phasenwinkel von Dividend und Divisor. Formal: z z 1 z2 = 1 z2 (cos(ϕ1 − ϕ2 ) + i sin(ϕ1 − ϕ2 )) ⎛ ⎛π ⎞ ⎛ π ⎞⎞ Beispiel: Wir suchen den Quotienten von z1 = 1 + i 3 = 2⎜ cos⎜ ⎟ + i sin⎜ ⎟ ⎟ ⎝ 3 ⎠⎠ ⎝ ⎝3⎠ und z2 = 2 + i 2 = 2⎛⎜ cos⎛⎜ π ⎞⎟ + i sin⎛⎜ π ⎞⎟ ⎞⎟ ⎝ 4 ⎠⎠ ⎝ ⎝4⎠ Wir erhalten: z1 2 ⎛ ⎛ π π ⎞ ⎛π π ⎞⎞ ⎛π ⎞ ⎛π ⎞ = ⎜ cos⎜ − ⎟ + i sin ⎜ − ⎟ ⎟ = cos⎜ ⎟ + i sin ⎜ ⎟ z2 2 ⎝ ⎝ 3 4 ⎠ ⎝ 3 4 ⎠⎠ ⎝ 12 ⎠ ⎝ 12 ⎠ 41 42 Potenzen, Wurzeln und Logarithmen Wir können nun die vier Grundrechenoperationen mit den komplexen Zahlen sowohl in der arithmetischen als auch in der goniometrischen Darstellung durchführen. Als nächstes betrachten wir die Operationen Potenzieren, Radizieren und Logarithmieren. Wir beginnen mit der Potenz einer komplexen Zahl. Da die Multiplikation in der goniometrischen Darstellung einfacher zu berechnen ist, wollen wir die Potenzen ebenfalls in goniometrischer Darstellung betrachten (ansonsten müssten wir mit der binomischen Formel arbeiten). Als einführendes Beispiel betrachten wir das Quadrat einer komplexen Zahl: ⎛ ⎞ 2 2 2⎜ 2 2 z = (r(cos(ϕ ) + i sin(ϕ ))) = r cos (ϕ ) − sin (ϕ ) + i2sin(ϕ )cos(ϕ )⎟ 1442443 144244 3 ⎜ ⎝ z 2 = r 2 (cos(2ϕ ) + i sin(2ϕ )) cos( 2ϕ ) sin( 2ϕ ) ⎟ ⎠ 43 44 Wie wir weiter vorne schon gesehen haben, werden bei der Multiplikation die Beträge der Faktoren miteinander multipliziert und die Argumente der Faktoren addiert. Beim Quadrieren wird also der Betrag quadriert und das Argument verdoppelt. Allgemein gilt: Satz (Moivre): z n = (r (cos(ϕ ) + i sin (ϕ ))) = r n (cos(nϕ ) + i sin (nϕ )) n Bemerkung: Da die trigonometrischen Funktionen periodisch sind gibt es für eine komplexe Zahl mehrere (unendlich viele) gleichwertige goniometrische Schreibweisen: z = r(cos(ϕ ) + i sin(ϕ )) = r(cos(ϕ + 2kπ ) + i sin(ϕ + 2kπ )) k ∈Z Somit lässt sich obiger Satz auch wie folgt schreiben: z n = r n (cos(nϕ + 2knπ ) + i sin (nϕ + 2knπ )) 45 46 Radizieren Während es im Körper der reellen Zahlen beispielsweise nur zwei Zahlen gibt, deren vierte Potenz gleich Eins ist (-1 und 1), enthält der Körper der komplexen Zahlen vier solche Werte (-1,1,i und -i). Die Gleichung z 4 = 1 hat also im Körper der komplexen Zahlen vier Lösungen. Definition: Die Lösungen der Gleichung x n = z x, z ∈ C ∧ n ∈ N \ {0} heissen komplexe n-te Wurzeln von z . Die Zahl 1 hat also die komplexen vierten Wurzeln 1,i,-1 und -i. Beispiel: Wir wollen alle komplexen dritten Wurzeln der Zahl ⎛ ⎛ 2π ⎞ ⎛ 2π ⎞⎞ x = −2 + i2 3 = 4⎜ cos⎜ + 2kπ ⎟ + i sin⎜ + 2kπ ⎟ ⎟ ⎠ ⎝ 3 ⎠⎠ ⎝ ⎝ 3 bestimmen. Es muss nun folgendes gelten: ⎛ ⎛ 2π 3 z 3 = (r (cos(ϕ ) + i sin (ϕ ))) = r 3 (cos(3ϕ ) + i sin (3ϕ )) = 4⎜ cos⎜ ⎝ ⎞ ⎛ 2π ⎞⎞ + 2kπ ⎟ + i sin ⎜ + 2kπ ⎟ ⎟ ⎝ 3 ⎝ 3 ⎠ 47 ⎠ ⎠ 48 Durch das Vergleichen der beiden Formeln finden wir also: r3 = 4 ⇒ r =3 4 2π 2π 2kπ 3ϕ = + 2kπ ⇒ ϕ = + 3 9 3 Für k liefern die Werte 0,1 und 2 verschiedene Lösungen. Für andere Werte für k wiederholen sich die Lösungen wieder. Also finden wir: ⎛ 2π ⎞ ⎛ 2π ⎞ ⎞ 3 ⎛ z1 = 4⎜ cos⎜ ⎟ + i sin⎜ ⎟ ⎟ ⎝ 9 ⎠⎠ ⎝ ⎝ 9 ⎠ ⎛ ⎛ 2π 2π ⎞ ⎛ 2π 2π ⎞ ⎞ z2 = 3 4⎜ cos⎜ + ⎟ + i sin⎜ + ⎟ ⎟ 3⎠ 3 ⎠⎠ ⎝ 9 ⎝ ⎝ 9 ⎛ ⎛ 2π 4π ⎞ ⎛ 2π 4π ⎞ ⎞ z3 = 3 4⎜ cos⎜ + ⎟ + i sin⎜ + ⎟ ⎟ 3⎠ 3 ⎠⎠ ⎝ 9 ⎝ ⎝ 9 49 50 Allgemein erhalten wir: Definition: Jede von Null verschiedene komplexe Zahl z hat genau n verschiedene komplexe n -te Wurzeln. Der Betrag der n -ten Wurzel von z ist gleich der n-ten Wurzel aus dem Betrag von z . Die Argumente der komplexen n-ten Wurzeln erhält man, indem man zum Argument der komplexen Zahl z das k-fache k ∈ {0,1,..., n − 1} des Vollwinkels addiert und die Summe durch n dividiert. Formal: z n 1 n = (r (cos(ϕ ) + i sin (ϕ ))) ⎛ ⎛ ϕ + 2kπ r ⎜ cos⎜ n ⎝ ⎝ 1 n = ⎞ ⎛ ϕ + 2kπ ⎟ + i sin ⎜ n ⎠ ⎝ ⎞⎞ ⎟⎟ ⎠⎠ k ∈ {0,1,2,..., n − 1} 51 52 Bemerkungen zum Radizieren Untersuchen wir die obige Formel, so stellen wir folgendes fest: •Radizieren und Potenzieren sind Umkehroperationen voneinander: 1 n n ⎛z ⎞ = z ⎜ ⎟ ⎝ ⎠ •Alle komplexen n-ten Wurzeln liegen auf einem Kreis in der n Gauss‘schen Zahlenebene mit Radius r . •Die verschiedenen komplexen n -ten Wurzeln unterscheiden sich nur im Argument. Zwischen zwei benachbarten Wurzeln liegt der Winkel 2π n 53 54 z = r(cos(ϕ ) + i sin(ϕ )) z2 ϕ 2π n ϕ n ⎛ ⎛ϕ ⎞ ⎛ϕ ⎞⎞ z1 = n r ⎜ cos⎜ ⎟ + i sin⎜ ⎟ ⎟ ⎝ n ⎠⎠ ⎝ ⎝n⎠ 55 56 Beispiele Beispiel: Wir wollen die Quadratwurzel aus Eins berechnen: 2 1 = [1(cos(2kπ ) + i sin (2kπ ))] 1 2 = 1(cos(kπ ) + i sin (kπ )) = cos(kπ ) = ±1 Beispiel:Dritte Wurzel aus Eins: 1 ⎛ π + 2kπ ⎞ ⎛ π + 2kπ ⎞ −1 = [1(cos(π + 2kπ ) + i sin(π + 2kπ ))] 3 = cos⎜ ⎟ + i sin⎜ ⎟ ⎝ 3 ⎠ ⎝ 3 ⎠ 3 ⎛π + 0 ⎞ ⎛π + 0 ⎞ ⎛π ⎞ ⎛π ⎞ 1 k =0 cos⎜ ⎟ + i sin⎜ ⎟ = cos⎜ ⎟ + i sin⎜ ⎟ = + i 2 ⎝ 3 ⎠ ⎝ 3 ⎠ ⎝3⎠ ⎝3⎠ 2 ⎛ π + 2π ⎞ ⎛ π + 2π ⎞ cos⎜ ⇒ k =1 ⎟ = cos(π ) + i sin(π ) = −1 ⎟ + i sin⎜ 3 3 ⎠ ⎝ ⎝ ⎠ 3 ⎛ π + 4π ⎞ ⎛ π + 4π ⎞ ⎛ 5π ⎞ ⎛ 5π ⎞ 1 k = 2 cos⎜ ⎟ + i sin⎜ ⎟ = cos⎜ ⎟ + i sin⎜ ⎟ = − i 2 ⎝ 3 ⎠ ⎝ 3 ⎠ ⎝ 3⎠ ⎝ 3⎠ 2 3 57 58 Logarithmieren Bevor wir mit dem Logarithmieren starten können benötigen wir noch eine weitere Darstellungsform für die komplexen Zahlen. Dies ist die sogenannte Exponentialform einer komplexen Zahl. Um diese Darstellungsform herzuleiten müssten wir den Begriff der Potenzreihe kennen. Hier sei nur erwähnt, dass wir Funktionen mit bestimmten Eigenschaften als eine Potenzreihe schreiben können. Diese Potenzreihe ist dann eine äquivalente Beschreibung der Funktion. Hier einige wichtige Potenzreihen: ∞ k x 2 x3 x 4 x e x = 1 + x + + + + ... = ∑ k! 2! 3! 4! k =0 sin( x) = x − 2k +1 ∞ x x x k x + − + −... = ∑(−1) (2k + 1)! 3! 5! 7! k =0 cos( x) = 1 − 2k ∞ x 2 x 4 x6 k x + − + −... = ∑(−1) (2k )! 2! 4! 6! k =0 3 5 7 59 60 Das Argument der Funktionen sei hierbei reell. Doch was geschieht, wenn wir in diesen Potenzreihen eine komplexe Zahl einsetzen? Versuchen wir es einmal: 2 3 4 ( ix) (ix) (ix) ix e = 1 + (ix) + + + + ... 2! 3! 4! x 2 x 3 x 4 x5 x 6 x 7 = 1 + ix − − i + + i − − i + ... 2! 3! 4! 5! 6! 7! ⎛ x 2 x 4 x6 ⎞ ⎛ x3 x5 x 7 ⎞ = ⎜⎜1 − + − + −...⎟⎟ + i⎜⎜ x − + − + −...⎟⎟ ! 4! 6! 3! 5! 7! ⎝1424 4 424444 3⎠ ⎝1444424444 3⎠ cos( x ) = cos( x) + i sin( x) sin( x ) 61 62 Exponentialform Ein sehr erstaunliches Resultat. Wir fassen zusammen: Satz (Eulersche Formel): Es gilt: e ix = cos( x ) + i sin ( x ) Diese Formel ist eine der wichtigsten in der ganzen Mathematik. Wir können nun eine komplexe Zahl auch wie folgt schreiben: z = r (cos(ϕ ) + i sin (ϕ )) = re iϕ Dies nennt man die Exponentialform einer komplexen Zahl. Sie beinhaltet wie die goniometrische Darstellung den Betrag und das Argument der komplexen Zahl (also keine neuen Informationen), doch können wir nun bestimmte Rechnungen einfacher durchführen- z.B. können wir nun logarithmieren! 63 64 Der Logarithmus einer komplexen Zahl Wir möchten den Logarithmus einer komplexen Zahl berechnen. Liegt die komplexe Zahl in der Exponentialform vor, so ist dies einfach: ( ) ( ) ln ( z ) = ln re iϕ = ln (r ) + ln eiϕ = ln (r ) + iϕ Beispiel: Wir suchen den natürlichen Logarithmus der komplexen π i Zahl z = i + 1 = 2e .4 π ⎛ i ⎞ π 1 π 4 ⎟ ⎜ ( ) ln( z ) = ln⎜ 2e ⎟ = ln 2 + i = ln(2) + i 4 2 4 ⎠ ⎝ Betrachten wir das obige Beispiel, so sehen wir noch folgendes, was man bei einem ersten hinsehen übersehen könnte. Liegt die komplexe Zahl in der Exponentialform (oder in der goniometrischen Form) vor, so gibt es unendlich viele verschiedene Argumente (Periodizität). Daher muss es auch unendlich viele Logarithmen einer Zahl geben! 65 66 Es gilt daher: Satz: iϕ ( ) = ln(re (ϕ ln re i + 2 kπ ) ) = ln(r ) + i(ϕ + 2kπ ) k∈N Betrachten wir dazu die folgende Grafik: Im(z) ϕ+4π ln(z) ϕ+2π ln(z) ϕ ln(z) ϕ−2π ln(r) ln(z) ϕ−4π ln(z) Re(z) 67 68