Kognitive Störungen und Fahreignung bei neurologischen Patienten

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GV Fahrberater SFV vom 6. Mai 2008
Kognitive Störungen und Fahreignung bei neurologischen Patienten
Referent:
Dr. rer. nat. Irving Speight
Ltd. Neuropsychologe
Neuropsychologische Syndrome und Fahreignung
Agnosie (Störung der Objekterkennung)
Apraxie (Störung des Abrufs motorischer Programme)
Aphasie (Störung der Sprachfunktionen)
Amnesie (Gedächtnisstörung)
nur wenn stärker ausgeprägt > Verlust der Fahreignung
Neglect (Störung der Aufmerksamkeitsverteilung)
Demenz
• Verminderung höherer kognitiver Leistungen, insbesondere Gedächtnis, Aufmerksamkeit,
exekutive Funktionen und der Krankheitseinsicht
• beeinträchtigter Überblick über komplexe Verkehrssituationen, mangelnde Umstellungsund Koordinierungsfähigkeit schon bei geringen Defiziten > Verlust der Fahreignung
Prüfung verkehrsrelevanter Funktionen nach neurologischen Ereignissen
Voraussetzungen für sicheres Fahren:
• Schnelle & sichere visuelle Wahrnehmung
• Visuelle Zielorientierung im Verkehrsraum
• Aufmerksamkeitsverteilung, Fokussierung und Belastbarkeit
• Schnelle und sichere motorische Reaktionen
Focus auf Aufmerksamkeitsleistungen
• Bei 80% aller Hirnfunktionsstörungen
• Können auch bei kleinen Hirnverletzungen auftreten
Beeinflussen auch andere psychische Funktionen wesentlich
Berufseignung
Fahreignung
• Lang persistierende Defizite
• Kein Zusammenhang zw. Schwere des Traumas und Grad der Störung
• Probleme der mangelnden Krankheitseinsicht / Anosognosie
• Wichtig ist die mehrdimensionale Testung
Aufmerksamkeitsmodell
Aufmerksamkeitsleistungen
Intensität / Alertness
(Reaktionsbereitschaft)
tonisch
phasisch
Selektivität
Fehler/Auslasser & RT
Zentrale Verarbeitungskapazität
Menge der parallelen
Informationsverarbeitung &
Geschwindigkeit
Psychologische Testverfahren zur Beurteilung der Fahreignung am ZAR, Zürich
Beispiel: Schlaganfall
Alertness *
Reaktionsschnelligkeit
Go/NoGo
Entscheidungsreaktionszeit unter komplexen Bedingungen
GA *
gleichzeitiges Beobachten visueller & auditiver Signale, Schnelligkeit und
Sicherheit der Reaktionen
RKW *
oder
TMT (A&B) *
Kognitive Umstellung, Flexibilität
TAVT
Überblick und Geschwindigkeit der Erfassung komplexer Verkehrssituationen
PP
visuelle Wahrnehmung, Blickfeld, geteilte Aufmerksamkeit (bei Patienten mit
Negl.)
Intensität / Alertness
Computergestützte Tests (Reaktionstests, TAP)
•
Tonisch – längerfristige Aufrechterhaltung der Aufmerksamkeit
•
Phasisch – Zunahme der Aufmerksamkeit infolge eines Warnreizes
Selektivität
Computergestützte Tests mit komplexer Aufgabenstellung
• Auswahl und schnelle Reaktion auf relevante Reize Go/NoGo (TAP)
Zentrale Verarbeitungskapazität
•
Parallele Informationsverarbeitung zweier oder mehrerer Reize (geteilte
Aufmerksamkeit)
•
Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung
Geteilte Aufmerksamkeit/Flexibilität
- Geteilte Aufmerksamkeit (TAP)
- Reaktionswechsel, Flexibilität (TAP)
- TMT/B (Trail-Making-Test)
Geteilte Aufmerksamkeit
Tachistoskopischer Verkehrsauffassungstest
Periphere Wahrnehmung
Bei neurologischen Patienten ist Fahreignung gegeben:
Wenn in allen untersuchten kognitiven Funktionsbereichen ein durchschnittliches Ergebnis erreicht
wird (PR mind. 16 oder höher)
Studien bei neurologischen Patienten:
Zusammenhang zwischen Fahrverhaltensprobe und Leistungen in kognitiven Bereichen
• Kategorien des Fahrverhaltens?
• In wie weit kann das praktische Fahrverhalten durch neuropsychologische Tests vorher
gesagt werden?
• Wann ergänzen sich neuropsychologische Tests und praktische Fahrprobe?
Wesentliche Aspekte des Fahrverhaltens
Fahrprobe sollte ca. 90 Min. dauern
Beobachtungskategorien des Fahrberaters:
• Fahrtvorbereitung (u.a. Rückspiegel und Seitenspiegel einstellen)
• Handhabung des Fahrzeugs (u.a. Schalten, Gas geben, Bremsen)
• Wahrnehmung von Verkehrsschildern
• Verhalten an Kreuzungen * (u.a. rechtzeitiges Blinken, Vorfahrt beachten, Halten bei Rot)
• Spurhalten * (u.a. beim Einordnen und Abbiegen)
• Geschwindigkeit * (Begrenzungen beachten, Anpassung an die Verkehrssituation)
• Sichern * (u.a. Rückbeobachtung, Sichern nach rechts und links, Schulterblick)
• Abstand halten (zum vorausfahrenden Fahrzeug)
• Einparken *
• Fussgänger, Velofahrer, Haltestellen beachten
• Unfallträchtige Situationen*
• Eingriffe des Fahrlehrers *
• Gesamturteil *
Die Analyse zeigt die Eigenständigkeit der Fahrverhaltensprobe und der neuropsychologischen
Funktionen (jeweils 2 Faktoren)
Niemann & Hartje, 2007
Studien zum Zusammenhang von Aufmerksamkeitsstörungen und Fahreignung
Alertness und TMT (Niemann & Hartje, 2007) bzw. geteilte Aufmerksamkeit (Ponsford et al, 2008)
konnten das Ergebnis der Fahrprobe jeweils am Besten vorhersagen
• 85% bzw. 88% der Pat. mit einer Vorhersage des Bestehens der Fahrprobe haben diese
auch bestanden
•
Nur 40% (Stichprobe mit rel. geringen NP-Störungen) bzw.75% der Pat. mit einer
Vorhersage des Nichtbestehens der Fahrprobe haben diese auch tatsächlich nicht
bestanden (Niemann & Hartje, 2007; Ponsford et al, 2008)
3 Ebenen des Fahrverhaltens:
•
Strategische Entscheidungen (z.B. Unterlassen von Fahrten während der
Hauptverkehrszeiten, bei Dämmerung oder Strassenglätte)
•
Taktische Ebene / automatisierte Schemawechsel - exekutive Funktionen wie der
Handlungsplanung, der Kategorisierung, der Impulskontrolle und des Monitoring
(Überholen, frühzeitiges Blinken und Einordnen, Abstandhalten, Geschwindigkeit
anpassen, Sichern, Einparken)
•
Operationale Prozesse – (Motorische Beherrschung des Fahrzeugs wie Lenken, Schalten
etc., plus gleichzeitige Aufrechterhaltung und Ausrichtung der Aufmerksamkeit, plus
Orientierung und schnelles Reagieren )
Erklärung warum z.B. 85-88% positive Vorhersage aber nur 40-75% zutreffende negative
Vorhersage:
•
Exekutive Funktionen der taktisch-praktischen Ebene werden kaum untersucht (sehr
aufwendig, zu komplex > Fahrberater)
Annahme:
Störung exekutiver Funktionen führt bei ca. 15% zum Nichtbestehen trotz positiver Vorhersage, da
diese Funktionen sich im praktischen Fahrverhalten mehr äussern
Gut erhaltene exekutive Funktionen (Fahrpraxis) kompensieren die (leicht) beeinträchtigten
operationalen Aufmerksamkeitsprozesse, so dass von den 100% vorhergesagten Nichtbestehern
doch noch bis zu 60% die Fahrverhaltensprobe bestehen
Fazit:
•
Bei durchschnittlichen / unauffälligen neuropsychologischen Testleistungen kann mit hoher
Wahrscheinlichkeit mit dem Bestehen einer ORT-Fahrprobe bzw. einer erhaltenen
Fahreignung gerechnet werden
•
Bei leicht unterdurchschnittlichen / auffälligen neuropsychologischen Testleistungen (in
max. 1 Aufmerksamkeitsfunktion) und dringender sozialer Indikation kann die Durchführung
einer Fahrprobe im Einzelfall wertvolle Zusatzinformationen liefern
•
Ergebnisse der neuropsychologischen Untersuchung und praktischen Fahrprobe bei
neurologischen Pat. liefern komplementäre Ergebnisse (Keller et al, 2003) und sollten bei
kognitiv leicht beeinträchtigten Pat. als Zusatzinformation bei der Evaluation der
Fahreignung durch NP berücksichtigt werden (Schanke & Sundet, 2000)
•
Worauf sollten die Fahrberater/Innen, bei Pat. mit neuropsychologischen
Beeinträchtigungen, besonders achten?
• Verhalten an Kreuzungen (u.a. rechtzeitiges Blinken, Vorfahrt beachten, Halten bei Rot)
• Spurhalten (u.a. beim Einordnen und Abbiegen)
• Geschwindigkeit (Begrenzungen beachten, Anpassung an die Verkehrssituation)
• Sichern (u.a. Rückbeobachtung, Sichern nach rechts und links, Schulterblick)
• Einparken
• Unfallträchtige Situationen
Empfehlung zur Fahrberatung bei neurologischen Patienten
–
Bei grenzwertigen aber noch durchschnittlichen NP-Ergebnissen oder langer Fahrpause, z.B.
infolge von Schlaganfall, wird Fahrberatung und Fahrtraining von der neurologischen Klinik /
Ambulanz zur Verbesserung der Fahrsicherheit empfohlen
–
Bei teilweise unterdurchschnittlichen NP-Ergebnissen und hoher Dringlichkeit, z.B. aus
beruflichen Gründen, wird Fahrberatung und Fahrprobe von der neurologischen Klinik /
Ambulanz empfohlen, um das Ausmass der Kompensation in der Fahrpraxis besser
abschätzen zu können (ergänzende Informationen zur Beurteilung Fahreignung)
–
Im Rahmen einer NP-Verlaufskontrolle zur Fahreignung
–
Vorbereitung auf Kontrollfahrt durch Strassenverkehrsamt jeweils mit vorheriger
Besprechung der „Problembereiche“ mit Fahrberater und anschliessender Rückmeldung
Studie zur Effektivität von Fahrtrainings
Patienten mit (leichteren) neuropsychologischen Beeinträchtigungen, deren Fahreignung im
Rahmen einer 1.Fahrprobe als ungenügend beurteilt worden war, erreichten meist schon nach 5
praktischen Fahrstunden (je 45 Min.) bei der 2. Fahrprobe nach einer Woche wieder die
Fahreignung (Mönning et al., 2002).
Kritik: Keine Kontrollgruppe bzw. Wartegruppen Design
Verbesserungen (*) des Fahrverhaltens vorwiegend von der ersten zur zweiten Fahrprobe (nach 1
Woche Training)
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