Forensische Psychiatrie für Juristinnen und Juristen Zivilrechtliche und verkehrspsychiatrische Begutachtung Hafterstehungsfähigkeit Basel, 15. Mai 2013 Dr. med. Marc Graf Forensisch Psychiatrische Klinik Universitäre Psychiatrische Kliniken Basel Fahreignung: Begriffe • Fahreignung: Allgemeine, zeitlich nicht umschriebene und nicht ereignisbezogene psychisch und physisch genügende Voraussetzung des Individuums zum sicheren Lenken eines Motofahrzeuges im Strassenverkehr. Sie muss stabil vorliegen. • Fahrfähigkeit: Momentane psychische und physische Befähigung des Individuums zum sicheren Lenken eines Motorfahrzeuges im Strassenverkehr. • Fahrkompetenz: Auf der Basis von Lernprozessen in der Fahrschule und mittels Fahrpraxis erworbene technische Fertigkeit zum sicheren Lenken eines Motorfahrzeuges im Strassenverkehr. Handbuch der verkehrsmedizinischen Begutachtung, Haag und Dittmann 2005 1 Art. 14 SVG Erteilung von Lernfahr- und Führerausweisen 2. Lernfahr – und Führerausweis dürfen nicht erteilt werden, wenn der Bewerber a. das vom Bundesrat festgesetzte Mindestalter noch nicht erreicht hat; b. nicht über eine körperliche und geistige Leistungsfähigkeit verfügt, die zum sicheren Führen von Motorfahrzeugen ausreicht; c. an einer die Fahreignung ausschliessenden Sucht leidet; d. nach seinem bisherigen Verhalten nicht Gewähr bietet, dass er als Motorfahrzeugführer die Vorschriften beachten und auf die Mitmenschen Rücksicht nehmen würde. Art. 14 SVG Melderecht des Arztes 4. Jeder Arzt kann Personen, die wegen körperlicher oder geistiger Krankheiten oder Gebrechen oder wegen Süchten zu sicheren Führung von Motorfahrzeugen nicht fähig sind, der Aufsichtsbehörde für Ärzte und der für Erteilung und Entzug des Führerausweises zuständigen Behörde melden. 2 Art. 16 SVG Entzug der Ausweise 1. Ausweise und Bewilligungen sind zu entziehen, wenn festgestellt wird, dass die gesetzlichen Voraussetzungen zur Erteilung nicht oder nicht mehr bestehen; sie können entzogen werden, wenn die mit der Erteilung im Einzelfall verbundenen Beschränkungen oder Auflagen missachtet werden. Art. 17 SVG Wiedererteilung der Führerausweise 3. Der auf unbestimmte Zeit entzogene Lernfahr- oder Führerausweis kann bedingt und unter Auflagen wieder erteilt werden, wenn eine allfällige gesetzliche oder verfügte Sperrfrist abgelaufen ist und die betroffene Person die Behebung des Mangels nachweist, der die Fahreignung ausgeschlossen hat. 3 Art. 27 VZV (Verkehrszulassungsverordnung) Vertrauensärztliche Kontrolluntersuchung • 1 Die Pflicht, sich einer vertrauensärztlichen Kontrolluntersuchung zu unterziehen, besteht für: • a. die folgenden Fahrzeugführer bis zum 50. Altersjahr alle fünf Jahre, danach alle drei Jahre: – 1. Inhaber eines Führerausweises der Kategorien C und D sowie der Unterkategorien C1 und D1, – 2.2 Inhaber der Bewilligung zum berufsmässigen Personentransport nach Artikel 25, – 3. ...3 • b. über 70-jährige Ausweisinhaber alle zwei Jahre; • c. Motorfahrzeugführer nach schweren Unfallverletzungen oder schweren Krankheiten. Führerausweiskategorien • • • • • • B B1 C C1 D D1 Pkw mit Gesamtgewicht bis 3.5 t klein- und dreirädrige Motorfahrzeuge bis 0.55 t ärztl. US Lkw über 3.5 t ärztl. US Lkw bis 7.5 t ärztl. US Personentransport mehr als 8 Sitzplätze ärztl. US Personentransport mehr als 8 aber weniger als 16 Sitzplätze ärztl. US Motorfahrzeuge (ohne Motorräder) mit Höchstgeschwindigkeit bis 45 km/h landwirtschaftliche Motofahrzeuge bis 30 km/h • F • G • ärztl. US = ärztliche Untersuchung zur Erteilung notwendig 4 Alkohol • 1. Leichte Widerhandlung im Sinne von Art. 16a SVG Wer in angetrunkenem Zustand, jedoch nicht mit einer qualifizierten Blutalkoholkonzentration (d.h. mit 0.5 bis 0.79 Gewichtspromille) ein Motorfahrzeug lenkt und dabei keine anderen Widerhandlungen gegen die Strassenverkehrsvorschriften begeht, wird mit einer VERWARNUNG belegt. • 2. Mittelschwere Widerhandlung im Sinne von Art. 16b SVG Wer in angetrunkenem Zustand, jedoch mit einer nicht qualifizierten Blutalkoholkonzentration (d.h. mit 0.5 bis 0.79 Gewichtspromille) ein Motorfahrzeug lenkt und dabei zusätzlich eine leichte Widerhandlung gegen die Strassenverkehrsvorschriften begeht, wird mit einem mindestens einmonatigen Führerausweisentzug belegt. • 3. Schwere Widerhandlung im Sinne von Art. 16c SVG Wer in angetrunkenem Zustand mit einer qualifizierten Blutalkoholkonzentration (d.h. 0.8 Gewichtspromille und mehr) ein Motorfahrzeug lenkt, wird mit einem Führerausweisentzug von mindestens drei Monaten belegt. Bei wiederholtem Fahren in angetrunkenem Zustand oder Vorliegen eines hohen Blutalkoholgehaltes muss die Fahreignung gegebenenfalls medizinisch und/oder verkehrspsychologisch abgeklärt werden, sofern nicht sogar ein Sicherungsentzug aus dem Kaskadensystem droht. Stellt sich dabei heraus, dass die betroffene Person trunksüchtig ist oder keine Gewähr bietet, Fahren und Trinken genügend zu trennen, muss der Führerausweis auf unbestimmte Zeit entzogen werden. Alkohol • Alkoholabhängigkeit: Fahreignung nicht gegeben • Verkehrsrelevanter Alkoholmissbrauch: dito • Minimalkriterien für die Wiederzulassung: – Vollständige Alkoholabstinenz – Beratung oder Therapie whrd. 2 Monaten mind. wöchentlich, dann mind. monatlich • • • Abstinenznachweis i.d.R. mind. 1 Jahr Laborbestimmungen alle vier bis acht Wochen. CDT (Carbohydrate Deficient Transferrin), MCV, Gamma-GT, GOT und GPT. Alternativ kann die Alkoholabstinenz durch eine Haaranalyse auf Ethylglucuronid über einen maximalen Zeitraum von sechs Monaten nachgewiesen werden. In dieser Zeit darf der Expl. seine Haare nicht schneiden, färben, tönen oder dauerwellen. Für den geforderten Zeitraum der Abstinenz von einem Jahr werden demnach zwei Haaranalysen erforderlich sein. 5 Drogen • • • Drogenabhängigkeit und verkehrsrelevanter Drogenmissbrauch schliessen die Fahreignung aus. Abstinenznachweis und Therapie für Wiederzulassung analog Alkohol. Cannabis: – Zeitliches Trennen des Konsumes vom Lenken eines Motorfahrzeuges (Nachweis toxikologisch durch Metaboliten) • Methadon: – Stabile Substitution über mind. 6 Monate – Keine Beeinträchtigung der psychophysischen Leistungsfähigkeit – Keinerlei (!) Beikonsum oder andere relevante psychotrope Medikation • Heroinsubstitution (Diacetylmorphin): – Wegen erheblicher psychotroper Wirkung («flash») Fahreignung ausgeschlossen Medikamente • • • • • Bei Hinweisen auf Missbrauch oder Abhängigkeit Fahreignung ausgeschlossen Mindestens 6 Monate (bis 1 Jahr) stabile Änderung des Konsumverhaltens vor Wiederzulassung In gewissen Fällen Fahreignung nur mit Medikation gegeben (leistungspsychologische Testung) Cave: bei jeglicher medikamentöser Umstellung von Präparaten mit potentiell psychotroper Wirkung 2 Monate keine Fahreignung Aufklärung über Beeinträchtigung der Fahreignung ist Aufgabe des behandelnden Arztes. Bei Unfällen: Schadenersatzklagen 6 schwere psychische Störungen • Bei schweren psychischen Störungen ist die Fahreignung grundsätzlich nicht gegeben – Hirnorganische Störung – Schizophrenien – Affektive Störungen (Manie, Depression, bipolare Störung) • • Vollständige stabile Remission (d.h. keine Symptome mehr feststellbar) für mindesten 6 Monate. Höhere Führerausweiskategorien ausgeschlossen. Demenz: – Leistungsfähigkeit für Standardsituationen reicht nicht aus, Leistungsreserve notwendig. – Testpsychologische Abklärung. Hafterstehungsfähigkeit • Rechtsfrage: öffentliches Interesse versus Interesse des Betroffenen 7 Hafterstehungsfähigkeit • Hafterstehungsfähigkeit ist die Fähigkeit: – in einer Einrichtung des Strafvollzuges leben zu können, – Freiheitsentzug ohne Gefahr für Gesundheit oder Leben ertragen zu können und – den Sinn und Zweck der Verbüssung einer Freiheitsstrafe zu erkennen. Venzlaff, 2000 Rrechtliche Grundlagen • • • • • • Nicht explizit geregelt in neuer StPO Art. 40 StGB ter Bundesgesetz über die Bundesstrafrechtspflege Art. 73 kant. Gefängnisverordnungen Verordnung über die Kreisärztinnen und Kreisärzte des Kt. BE Gefängnisreglemente 8 Art. 40 STGB • 1 Der Vollzug einer Freiheitsstrafe darf nur aus wichtigen Gründen aufgeschoben werden. Wichtige Gründe: – mangelnde Straferstehungsfähigkeit – existenzwichtige Angelegenheiten Basler Kommentar 2003 Mangelnde Straferstehungsfähigkeit • Die betreffende Person ist nicht in der Lage, einen Freiheitsentzug in einer Vollzugseinrichtung oder in einer anderen „geeigneten Einrichtung“ zu erstehen, z.B. für eine Operation oder Geburt. ≠ Hafterstehungsunfähigkeit! 9 Auswirkungen von Haft I psychischer und körperlicher Stress Reizdeprivation Auswirkungen von Haft II • bei vorgängig gesunden Personen: – Angst, Verzweiflung, Perspektivlosigkeit, Traurigkeit… – Wut, Aggression... – vegetative Symptome: Kopfweh, Schlafstörungen, Appetitlosigkeit... – Suizidalität • bei Personen mit vorbestehender Vulnerabilität oder Prädisposition: – Entwicklung einer Anpassungsstörung 10 Auswirkungen von Haft III • bei Personen mit vorbestehender Erkrankung: – Verschlechterung des Zustandsbildes, Dekompensation • psychotrope Substanzen: – Neu- oder Wiederaufnahme des Konsums – Intoxikationen – Entzüge Suizidalität in Haft Suizide z.B. Fruehwald und Frottier 2003 Zeit 11 Hafterstehungsfähigkeit Person Persönlichkeit Biographie Erkrankungen definierter Zeitraum konkrete Haftbedingungen Medizinisches Gutachten I • • • • Stellung des Experten zum Expl. resp. Auftraggeber Diagnosen konkrete Auswirkungen (Art, Zeit) Interventions- / Präventionsmöglichkeiten • Differenzierung: Aggravation und Simulation 12 Medizinisches Gutachten II Anpassung des Haftregimes • heterogene Möglichkeiten: – – – – • • • • • grosse Strafvollzugsanstalt Bezirksgefängnis Untersuchungsgefängnis Polizeiposten Verlegung innerhalb des Gefängnisses Betreuung Überwachung Schutz Behandlung – Bewachungsstation Inselspital Bern – Sicherheitsabteilung Psych. Klinik Rheinau – Forensische Abteilung UPK Basel California Medical Facility (CMF), Vacaville, CA Jahresbudget 145,1 Mio $ Kapazität 2315, Belegung 3278 männliche Insassen Akutspital Psychiatrische Klinik und Ambulanz Hospiz für terminale Patienten Spezialabteilung für HIV / AIDS 13 StPO Prozessfähigkeit Art. 104 Prozessfähigkeit 1 Die Partei kann Verfahrenshandlungen nur gültig vornehmen, wenn sie handlungsfähig ist. 2 Eine handlungsunfähige Person wird durch die Inhaberin oder den Inhaber der elterlichen Sorge oder durch die Vormundin oder den Vormund (gesetzliche Vertretung) vertreten. 3 Eine urteilsfähige handlungsunfähige Person kann neben ihrer gesetzlichen Vertretung jene Verfahrensrechte ausüben, die höchstpersönlicher Natur sind. StPO Zeugnisfähigkeit Art. 160 Zeugnisfähigkeit und Zeugnispflicht 1 Zeugnisfähig ist eine Person, die älter als 15 Jahre und hinsichtlich des Gegenstands der Einvernahme urteilsfähig ist. 2 Jede zeugnisfähige Person ist zum wahrheitsgemässen Zeugnis verpflichtet; vorbehalten bleiben die Zeugnisverweigerungsrechte. 14 StPO Abklärungen über die Zeugin Art. 161 Abklärungen über die Zeugin oder den Zeugen 1 Das Vorleben und die persönlichen Verhältnisse einer Zeugin oder eines Zeugen werden nur abgeklärt, soweit dies zur Prüfung ihrer Glaubwürdigkeit erforderlich ist. 2 Bestehen Zweifel an der Urteilsfähigkeit oder liegen Anhaltspunkte für psychische Störungen vor, so kann die Verfahrensleitung eine ambulante Begutachtung der Zeugin oder des Zeugen anordnen, wenn die Bedeutung des Strafverfahrens und die Bedeutung des Zeugnisses dies rechtfertigen. Verhandlungsfähigkeit • Rechtsfrage: – öffentliches Interesse am Prozess versus – Interesse des betroffenen auf Verteidigung 15 StPO Verhandlungsfähigkeit Art. 112 Verhandlungsfähigkeit 1 Verhandlungsfähig ist eine beschuldigte Person, die körperlich und geistig in der Lage ist, der Verhandlung zu folgen. 2 Bei vorübergehender Verhandlungsunfähigkeit werden die unaufschiebbaren Verfahrenshandlungen in Anwesenheit der Verteidigung durchgeführt. 3 Dauert die Verhandlungsunfähigkeit fort, so wird das Strafverfahren sistiert oder eingestellt. Die besonderen Bestimmungen für Verfahren gegen eine schuldunfähige beschuldigte Person bleiben vorbehalten. Definition Verhandlungsfähigkeit • Verhandlungsfähigkeit ist die Fähigkeit: – Inn- oder ausserhalb der Verhandlung seine Interessen vernünftig wahrzunehmen, – die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie – Prozesserklärungen abzugeben und entgegennehmen zu können. nach Venzlaff 2000 16 Verhandlungsfähigkeit Person Persönlichkeit Biographie Erkrankungen definierter Zeitraum konkrete Anforderungen in der Verhandlung medizinische Beurteilung Willensäusserung Wahrnehmung Formulierung Interpretation Willensbildung Gedächtnis Bildung Motivation Antrieb 17 Beeinträchtigung der Verhandlungsfähigkeit • auf Stufe Wahrnehmung: – – – – – hirnorganische Störungen anhaltende Intoxikationen Halluzinationen und Derealisationen (Schizophrenien) Einengung der Wahrnemung (Depressionen) Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörung (Demenz, Herz-/Kreislaufstörungen, Diabetes...) – ... Beeinträchtigung der Verhandlungsfähigkeit • auf Stufe Willensbildung: – – – – – – ... Minderintelligenz wahnhaftes Denken bei Psychosen irreales Erleben bei Manien Extremformen von Persönlichkeitsstörungen ... 18 Beeinträchtigung der Verhandlungsfähigkeit • auf Stufe Willensäusserung: – ... – Antriebsstörungen: • Intoxikationen • depressive Zustandsbilder • Negativsymptomatik bei Schizophrenien • körperliche Erkrankungen 1.Januar 2012: 100 Jahre Schweizer Zivilgesetzbuch ZGB Eugen Huber (1849 – 1923) 19 Art. 28 ZGB Verletzung der Persönlichkeit 1 Wer in seiner Persönlichkeit widerrechtlich verletzt wird, kann zu seinem Schutz gegen jeden, der an der Verletzung mitwirkt, das Gericht anrufen. 2 Eine Verletzung ist widerrechtlich, wenn sie nicht durch Einwilligung des Verletzten, durch ein überwiegendes privates oder öffentliches Interesse oder durch Gesetz gerechtfertigt ist. ZGB Personenrecht Handlungsfähigkeit Urteilsfähigkeit: Jeder, dem nicht wegen Kindesalter, Geisteskrankheit, Geistesschwäche, Trunkenheit oder ähnlichem die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln. Mündigkeit: > 18 J. Handlungsfähigkeit 20 juristischer Krankheitsbegriff Gesetz Medizin Geisteskrankheit Psychose - Schizophrenie - Persönlichkeitsstörung Geistesschwäche Demenz, Minderintelligenz Trunkenheit Alkoholintoxikation ähnliche Zustände andere Intoxikationen Affektzustände Anderes Art. 16 ZGB: Urteilsfähigkeit Urteilsfähig im Sinne dieses Gesetzes ist jede Person, der nicht wegen ihres Kindesalters, infolge geistiger Behinderung, psychischer Störung, Rausch oder ähnlicher Zustände die Fähigkeit mangelt, vernunftgemäss zu handeln. 21 Urteilsfähigkeit • Fähigkeit, vernunftgemäss zu handeln • Immer bezogen auf konkretes Rechtsgeschäft, bestimmte Handlung • Unvernünftigkeit der Handlung allein kein ausreichendes Kriterium • Systematische mehrstufige Abklärung erforderlich Handlungsfähigkeit • Fähigkeit durch eigene Handlungen Rechte und Pflichten zu erlangen • Übernahme der zivilrechtlichen Verantwortung • bei widerrechtlicher Handlung Schadenersatzpflicht 22 Testierfähigkeit • Sonderfall der Urteilsfähigkeit • Fähigkeit über sein Vermögen letztwillig zu verfügen • psychische Störung schliesst T. nicht grundsätzlich aus • Beweislast (BG: keinen vernünftigen Zweifel zulassende Wahrscheinlichkeit) liegt beim Anfechter • Problem der retrospektiven Beurteilung Art. 94 Ehefähigkeit 1Um die Ehe eingehen zu können, müssen die Brautleute das 18. Altersjahr zurückgelegt haben und urteilsfähig sein. 2Die entmündigte Person braucht die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters. Sie kann gegen die Verweigerung dieser Zustimmung das Gericht anrufen. 23 Psychiatrische Abklärung der Urteilsfähigkeit • nach Zuordnung der Diagnose zu Rechtsbegriffen • prüfe 2 kognitive und 2 voluntative Elemente: • Erkenntnisfähigkeit • Wertungsfähigkeit • Willensbildung • Willenskraft Erkenntnisfähigkeit • Die handelnde Person muss in der Lage sein, die Aussenwelt zumindest in ihren Grundzügen richtig zu erkennen und sich ein adäquates Bild von der Realität zu verschaffen. 24 Wertungsfähigkeit • Fähigkeit zu rationaler Beurteilung und Vermögen, sich über die Tragweite und die Opportunität der in Frage stehenden Handlung ein vernünftiges Urteil zu bilden. Wertungsfähigkeit beruht auf der Erkenntnisfähigkeit, fehlt bereits diese, weitere Überlegungen nicht mehr notwendig → Urteilsunfähigkeit Willensbildung • Fähigkeit aufgrund gewonnener Einsicht und eigener Motive einen nach aussen wirksamen Willen zu bilden und bei verschiedenen denkbaren Möglichkeiten eine Entscheidung zu treffen 25 Willenskraft • Kraft, gemäß gewonnener Einsicht und eigenem Willen zu handeln, d.h. auch über die Fähigkeit zu verfügen, dem Versuch einer fremden Willensbeeinflussung in normaler Weise Widerstand zu leisten Art. 19 ZGB: Urteilsfähige Unmündige oder Entmündigte 1Urteilsfähige unmündige oder entmündigte Personen können sich nur mit Zustimmung ihrer gesetzlichen Vertreter durch ihre Handlungen verpflichten. 2Ohne diese Zustimmung vermögen sie Vorteile zu erlangen, die unentgeltlich sind und Rechte auszuüben, die ihnen um ihrer Persönlichkeit willen zustehen. 3Sie werden aus unerlaubten Handlungen schadenersatzpflichtig. 26 Einwilligungsfähigkeit Freiwilligkeit Zwang Regelsituation Ausnahmesituation Behandlung wenn Information und Aufklärung unmöglich sind • Eine Behandlung ohne Aufklärung und Einwilligung ist nur bei urteilsunfähigen Patienten möglich. – Bei habituell Urteilsunfähigen: nach Möglichkeit Einwilligung des gesetzlichen Vertreters, ansonsten s. unten – bei kasuell Urteilsunfähigen: Entscheid nach dem “hypothetischen Willen des Patienten” 27 Art. 17 StGB Notstand 2 Die Tat, die jemand begeht, um das Gut eines anderen, namentlich Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Vermögen, aus einer unmittelbaren, nicht anders abwehrbaren Gefahr zu erretten, ist straflos. ... Kindes- und Erwachsenenschutzrecht 28 Beistandschaften: Voraussetzungen Art. 390 1 Die Erwachsenenschutzbehörde errichtet eine Beistandschaft, wenn eine volljährige Person: 1. wegen einer geistigen Behinderung, einer psychischen Störung oder eines ähnlichen in der Person liegenden Schwächezustands ihre Angelegenheiten nur teilweise oder gar nicht besorgen kann; 2. wegen vorübergehender Urteilsunfähigkeit oder Abwesenheit in Angelegenheiten, die erledigt werden müssen, weder selber handeln kann noch eine zur Stellvertretung berechtigte Person bezeichnet hat. 2 Die Belastung und der Schutz von Angehörigen und Dritten sind zu berücksichtigen. 3 Die Beistandschaft wird auf Antrag der betroffenen oder einer nahe stehenden Person oder von Amtes wegen errichtet. Die fürsorgerische Unterbringung Unterbringung zur Behandlung oder Betreuung Art. 426 1 Eine Person, die an einer psychischen Störung oder an geistiger Behinderung leidet oder schwer verwahrlost ist, darf in einer geeigneten Einrichtung untergebracht werden, wenn die nötige Behandlung oder Betreuung nicht anders erfolgen kann. 2 Die Belastung und der Schutz von Angehörigen und Dritten sind zu berücksichtigen. 3 Die betroffene Person wird entlassen, sobald die Voraussetzungen für die Unterbringung nicht mehr erfüllt sind. 4 Die betroffene oder eine ihr nahestehende Person kann jederzeit um Entlassung ersuchen. Über dieses Gesuch ist ohne Verzug zu entscheiden. 29 Neues Kindes- und Erwachsenenschutzrecht Der Vorsorgeauftrag Art. 360 ff Art. 360 1Eine handlungsfähige Person kann eine natürliche oder juristische Person beauftragen, im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit die Personensorge oder die Vermögenssorge zu übernehmen oder sie im Rechtsverkehr zu vertreten. 2Sie muss die Aufgaben, die sie der beauftragten Person übertragen will, umschreiben und kann Weisungen für die Erfüllung der Aufgaben erteilen. 3Sie kann für den Fall, dass die beauftragte Person für die Aufgaben nicht geeignet ist, den Auftrag nicht annimmt oder ihn kündigt, Ersatzverfügungen treffen. Neues Kindes- und Erwachsenenschutzrecht Die Patientenverfügung Art. 370 ff Art. 370 1Eine urteilsfähige Person kann in einer Patientenverfügung festlegen, welchen medizinischen Massnahmen sie im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit zustimmt oder nicht zustimmt. 2Sie kann auch eine natürliche Person bezeichnen, die im Fall ihrer Urteilsunfähigkeit mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt die medizinischen Massnahmen besprechen und in ihrem Namen entscheiden soll. Sie kann dieser Person Weisungen erteilen. 3Sie kann für den Fall, dass die bezeichnete Person für die Aufgaben nicht geeignet ist, den Auftrag nicht annimmt oder ihn kündigt, Ersatzverfügungen treffen. 30 Neues Kindes- und Erwachsenenschutzrecht Die Patientenverfügung Art. 370 ff Art. 372 1Ist die Patientin oder der Patient urteilsunfähig und ist nicht bekannt, ob eine Patientenverfügung vorliegt, so klärt die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt dies anhand der Versichertenkarte ab. Vorbehalten bleiben dringliche Fälle. 2Die Ärztin oder der Arzt entspricht der Patientenverfügung, ausser wenn diese gegen gesetzliche Vorschriften verstösst oder wenn begründete Zweifel bestehen, dass sie auf freiem Willen beruht oder noch dem mutmasslichen Willen der Patientin oder des Patienten entspricht. 3 Die Ärztin oder der Arzt hält im Patientendossier fest, aus welchen Gründen der Patientenverfügung nicht entsprochen wird. Neues Kindes- und Erwachsenenschutzrecht Vertretung bei medizinischen Massnahmen Art. 377 1Hat sich eine urteilsunfähige Person zur Behandlung nicht in einer Patientenverfügung geäussert, so plant die behandelnde Ärztin oder der behandelnde Arzt unter Beizug der zur Vertretung bei medizinischen Massnahmen berechtigten Person die erforderliche Behandlung. 2Die Ärztin oder der Arzt informiert die vertretungsberechtigte Person über alle Umstände, die im Hinblick auf die vorgesehenen medizinischen Massnahmen wesentlich sind, insbesondere über deren Gründe, Zweck, Art, Modalitäten, Risiken, Nebenwirkungen und Kosten, über Folgen eines Unterlassens der Behandlung sowie über allfällige alternative Behandlungsmöglichkeiten. 3Soweit möglich wird auch die urteilsunfähige Person in die Entscheidfindung einbezogen. 4Der Behandlungsplan wird der laufenden Entwicklung angepasst. 31 Neues Kindes- und Erwachsenenschutzrecht Vertretung bei medizinischen Massnahmen Art. 378 1Die folgenden Personen sind der Reihe nach berechtigt, die urteilsunfähige Person zu vertreten und den vorgesehenen ambulanten oder stationären Massnahmen die Zustimmung zu erteilen oder zu verweigern: 1. die in einer Patientenverfügung oder in einem Vorsorgeauftrag bezeichnete Person; 2. der Beistand oder die Beiständin mit einem Vertretungsrecht bei medizinischen Massnahmen; 3. wer als Ehegatte, eingetragene Partnerin oder eingetragener Partner einen gemeinsamen Haushalt mit der urteilsunfähigen Person führt oder ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet; 4. die Person, die mit der urteilsunfähigen Person einen gemeinsamen Haushalt führt und ihr regelmässig und persönlich Beistand leistet; 5. die Nachkommen, wenn sie der urteilsunfähigen Person regelmässig und persönlich Beistand leisten; 6. die Eltern, wenn sie der urteilsunfähigen Person regelmässig und persönlich Beistand leisten; 7. die Geschwister, wenn sie der urteilsunfähigen Person regelmässig und persönlich Beistand leisten. 2Sind mehrere Personen vertretungsberechtigt, so dürfen die gutgläubige Ärztin oder der gutgläubige Arzt voraussetzen, dass jede im Einverständnis mit den anderen handelt. 3Fehlen in einer Patientenverfügung Weisungen, so entscheidet die vertretungsberechtigte Person nach dem mutmasslichen Willen und den Interessen der urteilsunfähigen Person. Neues Kindes- und Erwachsenenschutzrecht Vertretung bei medizinischen Massnahmen Dringliche Fälle Art. 379 In dringlichen Fällen ergreift die Ärztin oder der Arzt medizinische Massnahmen nach dem mutmasslichen Willen und den Interessen der urteilsunfähigen Person. 32 Einschränkungen der ärztlichen Schweigepflicht: Meldepflichten • Art. 28 Epidemiengesetz: Meldung übertragbarer Krankheiten und entsprechender Verdachtsfälle an die zuständige kantonale Stelle. Auskünfte erteilt im Zweifelsfall das Gesundheitsamt. • Art. 120 Abs. 2 StGB: Bei Schwangerschaftsabbruch Meldung an entsprechende Gesundheitsbehörde. • Eine weitere Mitteilungspflicht besteht bei bestimmten Todesfällen oder Straftaten nach kantonalen Gesetzen. Einschränkungen der ärztlichen Schweigepflicht: Melderechte • Art. 14 Abs. 4 SVG: Meldung von Personen wegen Unfähigkeit zum sicheren Führen eines Motorfahrzeuges (an die Aufsichtsbehörde für Ärzte oder an die für Erteilung und Entzug des Führerausweises zuständige Behörde). • Art. 15 Abs. 1 BetMG: Meldung von in ihrer beruflichen Tätigkeit festgestellten Fälle von Betäubungsmittelmissbräuchen, bei denen die betroffene Person einer Betreuungsmassnahme bedarf (an die für die Betreuung zuständige Behörde). • Art. 364 StGB: An Unmündigen begangene strafbare Handlungen dürfen in deren Interesse den vormundschaftlichen Behörden gemeldet werden. 33 Tarasoff v. Regents of the University of California 1976 • • 27.10.1969 tötete Prosenjit Proddar Tatjana Tarasoff Therapie vorgängig bei Dr. L. Moore, Psychologe, University of California, Berkeley‘s Cowell Memorial Hospital • Mit der Mehrheit anderer argumentierte, Richter Mathew O. Tobriner: "... the confidential character of patient-psychotherapist communications must yield to the extent that disclosure is essential to avert danger to others. The protective privilege ends where the public peril begins.„ • • „duty to warn“ Richter Clark hielt dagegen: "the very practice of psychiatry depends upon the reputation in the community that the psychiatrist will not tell". 34