Brückenkurs Mathematik Ivan Izmestiev FU Berlin, WS 13/14 Inhaltsverzeichnis 1 Grundlagen 1 Unbequeme Fragen . . . . . . . . . . . . 2 Geschichte der Mathematik . . . . . . . 2.1 Antike . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Mittelalter . . . . . . . . . . . . 2.3 Renaissance . . . . . . . . . . . . 2.4 19. Jahrhundert . . . . . . . . . . 2.5 20. Jahrhundert . . . . . . . . . . 3 Wie funktioniert Mathematik heute . . . 3.1 Notation . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Definitionen . . . . . . . . . . . . 3.3 Aussagen . . . . . . . . . . . . . 3.4 Negation . . . . . . . . . . . . . 3.5 Beweisen und Widerlegen . . . . 3.6 Beweistechniken . . . . . . . . . 4 Ein Beispiel zum Spielen . . . . . . . . . 4.1 Umdrehung zweistelliger Zahlen . 4.2 Umdrehung dreistelliger Zahlen . 4.3 Umdrehung m-stelliger Zahlen . 5 Literaturempfehlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1 1 1 2 2 2 2 3 3 3 3 4 4 4 5 5 6 6 7 2 Mengen 1 Was ist eine Menge? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Menge, Element, Teilmenge . . . . . . . . . . . . . 1.2 Die ganz kleinen Mengen . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Mengen und Logik . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Die leere Menge ist Teilmenge jeder Menge . . . . 1.5 Mengen als Elemente anderer Mengen . . . . . . . 1.6 Russellsche Antinomie . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Operationen mit Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Vereinigung, Durchschnitt, Differenz . . . . . . . . 2.2 Vereinigungen und Schnitte von VIELEN Mengen 2.3 Kartesisches Produkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 9 9 10 10 11 12 12 12 12 13 14 i . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Abbildungen 15 1 Logik und Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.1 Jede Aussage ist wahr oder falsch . . . . . . . . . . . . 15 1.2 Logische Verknüpfungen (Junktoren) . . . . . . . . . . 15 1.3 Übersetzen zwischen mengentheoretischen und logischen Identitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 1.4 Implikation ist auch eine Verknüpfung . . . . . . . . . 17 2 Abbildungen und Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.1 Abbildung und Bild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.2 Einschränkung einer Abbildung . . . . . . . . . . . . . 18 2.3 Surjektion, Injektion, Bijektion . . . . . . . . . . . . . 18 2.4 Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3 Komposition von Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 3.1 Definition und einige Eigenschaften . . . . . . . . . . . 19 4 Umkehrabbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 4.1 Urbild . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 4.2 Definition der Umkehrabbildung und Kriterium der Umkehrbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 4 Kombinatorik 22 1 Die Grundregeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1.1 Die Mächtigkeit endlicher Mengen . . . . . . . . . . . 22 1.2 ×- und +-Regeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 22 1.3 Die −-Regel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1.4 Der 2n -Satz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 2 Geordnete Auswahlen mit und ohne Zurücklegen . . . . . . . 25 2.1 Mit Zurücklegen, oder die Zahl aller Abbildungen . . . 25 2.2 Ohne Zurücklegen, oder die Zahl der injektiven Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2.3 Gleiche Geburtstage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3 Permutationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 5 Binomialkoeffizienten 1 Die vierte Grundregel: Quotientenregel . . . . . . . 2 Die fünf Gesichter der Binomialkoeffizienten . . . . 2.1 Ungeordnete Auswahlen oder k-Teilmengen 2.2 (0, 1)-Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Monotone Wege . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Pascalsches Dreieck . . . . . . . . . . . . . 2.5 Binomischer Lehrsatz . . . . . . . . . . . . ii . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 28 28 28 30 30 31 32 6 Kurven 1 Abbildungen: Fortsetzung . . . . . . . . . . . . 1.1 Abbildung als ein Eingabe-Ausgabegerät 1.2 Umkehrabbildung . . . . . . . . . . . . 2 Kurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Der Graph einer Abbildung . . . . . . . 2.2 Parametrisierte Kurven . . . . . . . . . 2.3 Implizit gegebene Kurven . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 34 34 34 35 35 36 37 7 Transformationen der Ebene; Inklusion und Exklusion 1 Transformationen der Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Verschiebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Streckung von einer Geraden aus . . . . . . . . . . 1.3 Zentrische Streckung . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Transformation von implizit gegebener Kurven . . . . . . 2.1 Die Transformationsregel . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Ellipse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Prinzip von Inklusion und Exklusion . . . . . . . . . . . . 3.1 Zwei Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Drei Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 n Mengen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 38 38 38 39 41 41 42 43 43 43 44 iii . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . iv Vorlesung 1 Grundlagen 1 Unbequeme Fragen Was ist eine Zahl? 1. Ein Punkt auf der Zahlengerade. 2. Ein unendlicher Dezimalbruch, so wie √ 2 = 1, 4142 . . .. 3. Die Menge der reellen Zahlen ist ein vollständiger, archimedisch geordneter Körper. Jede dieser Definitionen hat Nachteile: 1. Was ist eine Gerade, wie definiert man die arithmetischen Operationen mit den Punkten? 2. Wie addiert/multipliziert/dividiert man unendliche Dezimalbrüche? Warum gilt a(b + c) = ab + ac? 3. Sehr abstrakt, man erkennt die Zahlen nicht wieder. In der Tat braucht man alle diese Interpretationen. 2 2.1 Geschichte der Mathematik Antike Axiomatische Methode Euklids Elemente. Nicht nur Geometrie, sondern auch Arithmetik. Z.B. die Beschreibung der Pythagoräischen Tripeln, der Satz über Unendlichkeit der Primzahlen. Die Ausführung nicht ganz genau. In Definitionen: “Ein Punkt ist etwas, was keine Teile hat”, sowie in Beweisen, wo ab und zu anschauliche Tatsachen benutzt werden, die weder als Axiome formuliert, noch als Sätze bewiesen wurden. 1 Die √ 2-Krise In Arithmetik wurden nur rationale Zahlen betrachtet. Es wurde angenommen, dass je zwei Strecken mit einem gemeinsamen Maß gemessen werden können (sind kommensurabel). Mit anderen Worten, im Bezug auf ein Maßstab hat jede Strecke eine rationale Länge. Dies wurde widerlegt, als sich herausstellte, dass die Diagonale und die Seite eines Quadrates inkommensurabel sind. Jetzt formulieren wir das als √ Satz 1.1. Die Zahl 2 ist irrational. Trennung der Geometrie und Algebra. Nicht jeder geometrischen Größe entspricht eine Zahl. Babylon: quadratische Gleichungen, Pythagoräische Tripeln. 2.2 Mittelalter Synthese und Weiterentwicklung durch islamische Gelehrten. Dezimalsystem aus Indien. Das Buch “Kitāb al-muchtasar fi hisab al-dschabr wa-lmuqabala” von al-Chwarizmi(8. Jh). Die Wörter Algebra und Algorithmus. 2.3 Renaissance Viéte (16. Jh.): Buchstaben für die Unbekannten, + und − Zeichen. Descartes (17. Jh.): Notation x3 , x4 , . . .. 2.4 19. Jahrhundert Nichteuklidische Geometrie und Erweiterung des Funktionsbegriffs u. a. machten die Suche nach einer Basis notwendig. Peanosche Axiomatik für natürliche Zahlen. Cantorsche Mengenlehre. 2.5 20. Jahrhundert 1903: Russelsche Antinomie findet einen Widerspruch in der Cantors Mengenlehre. Dies wird repariert, es bleibt aber die Frage, ob keine weiteren Widersprüche (z. B. aus der Axiomatik der natürlichen Zahlen) hergeleitet werden können. Hilbert-Programm. Grundlagenstreit 1903-1930 zwischen Hilbert und Brouwer. Hilbert war der Sieger, wurde aber durch Gödel besiegt. Unvollständigkeitssätze: es gibt Aussagen, die weder bewiesen noch widerlegt werden können (obwohl jede Aussage entweder wahr oder falsch ist; es gibt also wahre aber nichtbeweisbare Aussagen), und die Widerspruchsfreiheit der Arithmetik ist mit Mitteln der Arithmetik selbst nicht beweisbar. André Weil: “Gott existiert, weil die Mathematik konsistent ist; der Teufel existiert, weil wir es nicht beweisen können.” 2 Jetzt beschäftigt sich mit den Grundlagen die Beweistheorie, ein Teil der mathematischen Logik. Und die anderen Mathematiker beweisen ihre Sätze nach höheren Standarts der Strenge als früher. 3 Wie funktioniert Mathematik heute 3.1 Notation Ist Mittel, kein Zweck. Vereinbarungssache. Manche zählen 0 zu den natürlichen Zahlen, andere nicht (so wie wir). Meistens herrscht Einstimmigkeit. Einführung der Notationen N, Z, Q, Quantoren ∀, ∃, ∃!. 3.2 Definitionen Definition 1.2. Sei n ∈ N. Eine Zahl d ∈ N heißt Teiler von n, falls es eine Zahl q ∈ N existiert, sodass n = dq gilt. Bezeichnung: d | n, d teilt n. Definition 1.3. Eine natürliche Zahl p 6= 1 wird Primzahl genannt, falls 1 und p die einzigen natürlichen Teiler von p sind. Dass 1 keine Primzahl ist, ist einerseits Vereinbarungssache; andererseits zählte 1 zu den Primzahlen, so würde der Satz über eindeutige Primfaktorzerlegung nicht gelten: 20 = 2 · 2 · 5 = 1 · 2 · 2 · 5 3.3 Aussagen Jede Aussage ist entweder wahr oder falsch. Die Aussage 2 > 1 ist wahr. Oft trifft man in der Mathematik auf folgende Typen von Aussagen: • Allaussagen: ∀x gilt A(x). Z. B. ∀n ∈ N gilt n2 ≥ n. • Existenzaussagen: ∃x sodass A(x). Z. B. ∃n ∈ N sodass n2 ≥ 1000. • Existenz- und Eindeutigkeitsaussagen: ∃!x sodass A(x). Z. B. ∃!n ∈ N sodass n2 = 9. Geschachtelte Aussagen: ∀n ∈ N∃m ∈ N sodass m2 > n Satz, Problem, Vermutung. 3 3.4 Negation Mit ¬A wird die Negation der Aussage A bezeichnet. Für jede Aussage A eine der Aussagen A, ¬A ist wahr, die andere falsch. Bilden der Negation für All- und Existenzaussagen: ¬(∀x gilt A(x)) = ∃x sodass ¬A(x) ¬(∃x sodass A(x)) = ∀x gilt ¬A(x) Beispiel 1.4. Die Negation von ∃m, n ∈ N sodass ist ∀m, n ∈ N gilt 3.5 m √ = 2 n m √ 6= 2 n Beweisen und Widerlegen Problem 1.5 (Großer Fermat). Gibt es natürliche Zahlen n ≥ 3 und x, y, z, sodass xn + y n = z n ? Wenn die Antwort “ja” ist, dann reicht es, ein Beispiel solcher Zahlen n, x, y, z anzugeben. Wenn die Antwort “nein” ist, dann braucht man einen Beweis, warum es solche Zahlen nicht geben kann. Problem 1.6 (Goldbach-Problem). Kann jede gerade Zahl n > 2 als Summe zweier Primzahlen geschrieben werden? Wenn die Antwort “ja” ist, dann braucht man einen Beweis. Wenn die Antwort “nein” ist, dann reicht es, eine Zahl n anzugeben, welche nicht als Summe zweier Primzahlen dargestellt werden kann (und begründen, warum sie es nicht kann). 3.6 Beweistechniken • Schlußfolgerung, bestehend aus den Schritten “A wahr, A ⇒ B, also B wahr”. Lemma = Hilfssatz, Zwischenschritt. • Widerspruchsbeweis. Basiert auf der Kontraposition (A ⇒ B) ⇔ (¬B ⇒ ¬A) • Vollständige Fallunterscheidung. • Mathematische Induktion. 4 • Beispiel als Beweis einer Existenzaussage, Gegenbeispiel als Widerlegung einer Allaussage (Widerlegung ist Beweis der Negation, die wiederum Existenzaussage ist). • Reiner Existenzbeweis. Satz 1.7. Es gibt irrationale Zahlen a und b, sodass ab ∈ Q. √ √2 √2 2 Beweis. Betrachte . Reiner Existenzbeweis. Satz 1.8. Es gibt unendlich viele Primzahlen. Beweis. Widerspruchsbeweis. Betrachte p1 p2 · · · pn + 1. Die schwache Goldbachsche Vermutung wurde durch Kombination von Fallunterscheidung (für alle n kleiner als 1018 , mit Hilfe des Computers, natürlich) und anderer Methoden (für alle n größer 1018 ) bewiesen. 4 4.1 Ein Beispiel zum Spielen Umdrehung zweistelliger Zahlen Nehmen wir eine zweistellige Zahl und addieren sie mit der Zahl, die aus denselben Ziffern in umgekehrter Reihenfolge besteht. Zum Beispiel: 14 + 41 = 55, 68 + 86 = 154 Wir beobachten, dass das Ergebnis in diesen zwei Fällen durch 11 teilbar ist, und das lässt uns die Vermutung aufstellen: Vermutung 1.9. Für jede zweistellige Zahl ist ihre Summe mit der Zahl aus denselben Ziffern in umgekehrter Reihenfolge durch 11 teilbar. Nach einer kurzen Überlegung kann man diese Vermutung durch die folgende Überlegung bestätigen. Die Einerziffer der ursprünglichen Zahl ist die Zehnerziffer der “umgedrehten Zahl”. Zusammengenommen ergeben sie ein Vielfaches von 11. Das Gleiche gilt für die Zehnerziffer der ursprünglichen Zahl, die gleichzeitig die Einerziffer der “umgedrehten Zahl”. Schreiben wir nun das Ganze auf einer formelleren Sprache. Eine zweistellige Zahl lässt sich als 10a+b schreiben, wobei die Einerziffer ist. Definition 1.10. Für jede zweistellige Zahl n bezeichne mit n̄ die Zahl aus denselben Ziffern in umgekehrter Reihenfolge. D.h., für n = 10a + b mit a ∈ {1, 2, . . . , 9}, b ∈ {0, 1, . . . , 9} setze n̄ := 10b + a 5 Satz 1.11. Für jede zweistellige Zahl n ist die Summe n+n̄ durch 11 teilbar. Beweis. Es gilt n + n̄ = (10a + b) + (10b + a) = (10a + a) + (10b + b) = 11a + 11b = 11(a + b) Folglich ist n + n̄ ein Vielfaches von 11, und damit durch 11 teilbar. 4.2 Umdrehung dreistelliger Zahlen Versuchen wir, den Satz 1.11 zu verallgemeinern. Wie sieht es mit dreistelligen Zahlen aus? Vermutung 1.12. Für jede dreistellige Zahl n ist die Summe n + n̄ durch 11 teilbar. Bevor wir versuchen, das zu beweisen, schauen wir uns lieber ein paar Beispiele an. Für n = 100 gilt n̄ = 1. Und n + n̄ = 100 + 1 = 101 ist durch 11 nicht teilbar! Das ist also ein Gegenbeispiel zur Vermutung 1.12, und sie ist hiermit falsch. (Vgl. Abschnitt 3.5.) Unser Ergebnis formulieren wir wie folgt. Satz 1.13. Es existieren dreistellige Zahlen n, für welche die Summe n + n̄ durch 11 nicht teilbar ist. Hingegen wäre es ein Fehler, anhand unseres Gegenbeispiels zu behaupten, dass für alle dreistellige n die Summe n + n̄ durch 11 teilbar ist. Die richtige Negation der Vermutung 1.12 ist nicht das, sondern Satz 1.13. Die Vermutung, dass für alle dreistellige n die Summe n + n̄ durch 11 teilbar ist, kann man wiederum mit dem Gegenbeispiel 110 + 011 = 121 = 11 · 11 widerlegen. 4.3 Umdrehung m-stelliger Zahlen Hören wir bei den dreistelligen Zahlen nicht auf. Wie sieht es mit den vierstelligen aus? Satz 1.14. Für jede vierstellige Zahl n ist die Summe n+ n̄ durch 11 teilbar. Beweis. Mache es analog zu dem Fall von zweistelligen Zahlen. Diese Ergebnisse lassen uns die folgende Vermutung aufstellen. Vermutung 1.15. Für jede 2k-stellige Zahl n ist die Summe n + n̄ durch 11 teilbar. Für jedes k ∈ N gibt es eine (2k + 1)-stellige Zahl n, sodass die Summe n + n̄ durch 11 nicht teilbar ist. 6 5 Literaturempfehlung Kapiteln “Definitionen”, “Satz, Lemma, Korollar”, “∀”, “∃”, “Gegenbeispiele” aus [1]. “The Devil and Simon Flagg”, eine Kurzgeschichte von Arthur Porges. 7 Literatur [1] Albrecht Beutelspacher. “Das ist o. B. d. A. trivial!”. Friedr. Vieweg & Sohn, Braunschweig, fourth edition, 1997. Als online-Ressource im FU-Netz verfügbar. [2] Richard Courant and Herbert Robbins. Was ist Mathematik? SpringerVerlag, Berlin, fourth edition, 1992. 8 Vorlesung 2 Mengen 1 Was ist eine Menge? 1.1 Menge, Element, Teilmenge Ein Grundkonzept, also nicht definierbar. “Zusammenfassung von unterschiedlichen Objekten ohne Berücksichtigung ihrer Reihenfolge”. Man schreibt x ∈ X (sprich: x Element X), wenn x in X drin ist, und x∈ / X, wenn nicht. Beispiele: • Die Menge aller Schafe. p • {(x, y) ∈ R2 | x2 + y 2 = 1} Einheitskreis in der Ebene mit Zentrum im Koordinatenursprung • {2n | n ∈ N} = {n ∈ N | ∃k ∈ N sodass n = 2k} ist die Menge aller geraden natürlichen Zahlen Notation {x ∈ M | A(x)}. Mengenklammern vs. normale Klammern: {1, 2} = {2, 1} (1, 2) 6= (2, 1) (als Punkte in der Ebene) Definition 2.1. Man sagt, X ist Teilmenge von Y , wenn jedes Element aus X auch zu der Menge Y gehört: def X ⊂ Y ⇐⇒ ∀x ∈ X gilt x ∈ Y Jede Menge ist Teilmenge von sich selbst: X ⊂ X. Wenn Y ⊂ X, Y = 6 X, dann heißt Y echte Teilmenge von X. Alternative Bezeichnungen: ⊆ statt ⊂ und ( oder einfach ⊂ für echte Teilmenge. Lemma 2.2 (oder Definition). X = Y ⇔ X ⊂ Y und Y ⊂ X 9 Beispiele: • N⊂Z⊂Q⊂R • Weiße Schafe bilden eine Teilmenge der Menge aller Schafe. 1.2 Die ganz kleinen Mengen Eine Menge kann aus einem einzigen Element bestehen: die Menge aller geraden Primzahlen = {2} Eine Gleichung hat eine eindeutige Lösung ⇔ die Lösungsmenge besteht aus einem Element. Es gilt x ∈ X ⇔ {x} ⊂ X Verwechsle nicht Element mit Teilmenge: 17 ∈ N und {17} ⊂ N, aber 17⊂N Definition 2.3. Die leere Menge ist die Menge, die keine Elemente besitzt. Sie wird mit ∅ bezeichnet. Beispiel 2.4. Für a, b ∈ R definieren wir [a, b] := {x ∈ R | a ≤ x ≤ b, [a, b) := {x ∈ R | a ≤ x < b} usw. Dann gilt a ≥ b ⇒ [a, b) = ∅, a = b ⇒ [a, b] = {a}. Weitere Beispiele: • Eine Gleichung hat keine Lösungen ⇔ die Lösungsmenge ist leer. • Die Menge der grünen Schafe ist leer. 1.3 Mengen und Logik Lemma 2.5. Sei X = {x | A(x)}, Y = {x | B(x)}, wobei A(x), B(x) bestimmte Aussagen über x sind. Dann gilt A(x) ⇒ B(x) ⇐⇒ X ⊂ Y Beweis. X ⊂ Y ⇔ ∀x ∈ X gilt x ∈ Y ⇔ ∀x sodass A(x) gilt auch B(x) ⇔ A(x) ⇒ B(x) 10 Lösen einer Gleichung Eine Gleichung zu lösen ⇔ die Lösungsmenge explizit zu beschreiben. Beispiel: {x ∈ R | x2 − 2x = 0} =? x2 − 2x = 0 ⇒ x(x − 2) = 0 ⇒ x = 0 oder x = 2 Folglich {x ∈ R | x2 − 2x = 0} ⊂ {x | x(x − 2) = 0} ⊂ {0, 2} Zwei Wege, die Gleichheit der Mengen links und rechts zu beweisen: • Beobachten, dass alle Implikationen ⇒ in der Tat Äquivalenzen ⇔ sind: x2 − 2x = 0 ⇔ x(x − 2) = 0 ⇔ x = 0 oder x = 2 • Einsetzen aller Ergebnisse in die Gleichung. 1.4 Die leere Menge ist Teilmenge jeder Menge Lemma 2.6. Für jede Menge X gilt ∅ ⊂ X. Beweis. Es ist zu zeigen: ∀x ∈ ∅ gilt x ∈ X Das sieht etwas verwirrend aus, deswegen geben wir sogar zwei Beweise. 1. “Fallunterscheidung”: Wir prüfen alle Elemente der leeren Menge; da es keine gibt, müssen wir gar nichts tun, und die Behauptung “x ∈ X für alle x ∈ ∅” bleibt bestehen. 2. Kontraposition (Widerspruchsbeweis): Es gilt ∅ 6⊂ X ⇔ ∃x ∈ ∅ sodass x ∈ /X Es gibt aber keine x ∈ ∅ sodass x 6= X, weil es überhaupt keine x ∈ ∅ gibt. Über die Elementen der leeren Menge ist jede Aussage richtig. Zum Beispiel, jedes grüne Schaf kann fliegen 11 1.5 Mengen als Elemente anderer Mengen Ein Kreis ist die Menge aller Punkte im konstanten Abstand von einem gegebenen Punkt. Man kann auch die Menge aller Kreise betrachten. Eine Menge kann also Element einer anderen Menge sein. Die Menge aller Teilmengen von {1, 2}: {∅, {1}, {2}, {1, 2}} 1.6 Russellsche Antinomie Es gibt eine Grenze, die nicht überschritten werden darf. Man darf z. B. nicht die Menge aller Mengen bilden. Satz 2.7. Sei A die Menge aller Mengen. Dann gilt A ∈ A. Beweis. Klar, da A eine Menge ist, und per Definition ist jede Menge ein Element von A. Also ist A Element von sich selbst. Sieht zwar seltsam aus, stellt aber kein Problem dar. Jetzt kommt eins. Definition 2.8. Sei B die Menge aller Mengen, die keine Elemente von sich selbst sind: B = {X ∈ A | X ∈ / X} Satz 2.9. Es gilt B ∈ / B. Beweis. Widerspruchsbeweis. Satz 2.10. Es gilt B ∈ B. Beweis. Folgt aus dem Satz 2.9 und der Definition von B. Wir haben nun zwei einander widersprechende Behauptungen auf völlig legitimer Weise bewiesen. Eine mögliche Lösung: manche Ansammlungen von Elementen dürfen selbst nicht als Elemente anderer Ansammlungen betrachtet werden. Diese Ansammlungen heißen Klassen statt Mengen. Es gibt also die Klasse A aller Mengen, sie ist aber nicht Element von sich selbst, weil sie keine Menge ist! Auch B ist keine Menge, sondern eine Klasse, und es kommt zu keinem Widerspruch. 2 2.1 Operationen mit Mengen Vereinigung, Durchschnitt, Differenz Seien X und Y zwei Mengen. 12 Definition 2.11. Die Vereinigung: X ∪ Y := {x | x ∈ X oder x ∈ Y } Der Durchschnitt: X ∩ Y := {x | x ∈ X und x ∈ Y } Die Differenz: X \ Y := {x | x ∈ X und x ∈ / Y} Bild. Beispiel 2.12. [0, √ 2] ∪ [1, 2) = [0, 2), [0, √ 2] ∩ [1, 2) = [1, √ 2] Beispiel 2.13. Eine Zahl x ∈ R heißt irrational, wenn x ∈ R \ Q gilt. Satz 2.14. Es gilt (X ∪ Y ) ∩ Z = (X ∩ Z) ∪ (Y ∩ Z) (2.1) (X ∩ Y ) ∪ Z = (X ∪ Z) ∩ (Y ∪ Z) (2.2) Beweis. Zwei Beweise: Venn-Diagramme und Schlussfolgerung. Satz 2.15. Sei X ⊂ M . Dann gilt M \ (M \ X) = X. Satz 2.16. Seien X, Y ⊂ M . Dann gilt 2.2 M \ (X ∩ Y ) = (M \ X) ∪ (M \ Y ) (2.3) M \ (X ∪ Y ) = (M \ X) ∩ (M \ Y ) (2.4) Vereinigungen und Schnitte von VIELEN Mengen Schreibweise analog zum Summenzeichen: X= n [ Xi , Y = i=1 ∞ \ Yi , i=1 Beispiel 2.17. Es gilt +∞ [ R= [k, k + 1] k=−∞ ∞ \ [k, +∞) = ∅ k=1 13 usw. 2.3 Kartesisches Produkt Definition 2.18. Kartesisches Produkt X × Y zweier Mengen X und Y ist die Menge aller geordneten Paare (x, y) mit x ∈ X und y ∈ Y . Wohlbekannt ist die kartesische Ebene R × R, üblicherweise R2 bezeichnet: R2 := {(x, y) | x ∈ R, y ∈ R} Aus der Definition ist es klar, dass X 0 ⊂ X, Y 0 ⊂ Y ⇒ X 0 × Y 0 ⊂ X × Y Z. B. ist [0, 2] × [0, 1] ein Rechteck in der Ebene. Beispiel 2.19. Seien V , H und D die Mengen aller Vorspeisen, Hauptspeisen und Desserts auf der Speisekarte. Dann ist V × H × D die Menge aller Mahlzeiten, die aus einer Vorspeise, einer Hauptspeise und einem Dessert bestehen. Das Produktzeichen n Y Q wird auch für kartesisches Produkt benutzt: Xi = {(x1 , . . . , xn ) | xi ∈ Xi für i = 1, . . . , n} i=1 Rn := {(x1 , . . . , xn ) | xi ∈ R für i = 1, . . . , n} ist der n-dimensionale euklidische Raum. Es gilt (X ∪ Y ) × Z = (X × Z) ∪ (Y × Z) usw. 14 Vorlesung 3 Abbildungen 1 Logik und Mengen (In Fortsetzung des Themas “Mengen”.) 1.1 Jede Aussage ist wahr oder falsch Jede korrekt formulierte Aussage ist entweder wahr oder falsch. Damit eine Aussage korrekt formuliert wäre, müssen u. a. folgende Bedingungen erfüllt werden: • Die Aussage soll keine “freien Variablen” enthalten, so wie die Aussage “Mengen X und Y sind disjunkt”. Hier ist es nicht klar, um welche Mengen X und Y es sich handelt. Hingegen sind die Aussagen “∃X, Y ⊂ N sodass X und Y disjunkt sind” oder “∀X ⊂ N∃Y ⊂ N sodass X und Y disjunkt sind” korrekt formuliert: die Variablen X und Y sind durch die Quantoren ∃, bzw. ∃ und ∀ gebunden. Wenn der Aussage “Mengen X und Y sind disjunkt” die Festlegung “sei X = {1, 2} und Y = {2, 3}” vorausgeht, dann sind X und Y keine Variablen mehr, sondern Notationen, und die Aussage ist wieder korrekt formuliert. (Und übrigens falsch, da diese Mengen einen nichtleeren Durchschnitt haben.) • Die Aussage soll keine Selbstreferenz enthalten. Zum Beispiel, die Aussage “Diese Aussage ist falsch” kann weder wahr noch falsch sein, und die Aussage “Diese Aussage ist wahr” kann beides sein. 1.2 Logische Verknüpfungen (Junktoren) Aus bereits vorhandenen Aussagen kann man neue bilden: • Konjunktion A∧B ist “A und B”. Sie ist wahr genau dann, wenn beide Aussagen A und B wahr sind. 15 • Disjunktion A ∨ B ist “A oder B” (nichtausschließendes oder). Wahr genau dann, wenn mindestens eine der Aussagen A und B wahr ist. • Negation ¬A ist wahr genau dann, wenn A falsch ist. Die formelle Definition erfolgt durch die Wahrheitstafeln. Tafeln für ∧, ∨, ¬. Satz 3.1. Für alle Aussagen A, B, C gilt (A ∨ B) ∧ C = (A ∧ C) ∨ (B ∧ C) (A ∧ B) ∨ C = (A ∨ C) ∧ (B ∨ C) Beweis. Durch Vergleich der Wahrheitstafeln für die linke und die rechte Seite. 1.3 Übersetzen zwischen mengentheoretischen und logischen Identitäten Die Identitäten im Satz 3.1 sind ähnlich den Identitäten in 2.14. Das ist kein Zufall. Der Beweis durch Wahrheitstafeln äquivalent zum Studieren des VennDiagrams. Jedes Bereich im Venn-Diagramm ist ein “Paralleluniversum” in welchem einige von den Aussagen A, B, C gelten, die anderen nicht. Übersetzung zwischen mengentheoretischen und logischen Identitäten. Seien A(x), B(x), C(x) Aussagen über x ∈ M . Hier ist die Variable x in der Aussage A(x) ungebunden. Wir können aber die Menge aller x betrachten, für welche die Aussage A(x) wahr ist: X := {x ∈ M | A(x)} Analog definiere Y und Z ⊂ M . Dann X ∪ Y = {x ∈ M | (A ∨ B)(x)} X ∩ Y = {x ∈ M | (A ∧ B)(x)} M \ X = {x ∈ M | (¬A)(x)} De Morgansche Gesetze in der Logik: ¬(A ∧ B) = (¬A) ∨ (¬B) ¬(A ∨ B) = (¬A) ∧ (¬B) Zusammenhang zwischen de Morganschen Gesetzen und der Negation von All- und Existenzaussagen: ∀x ∈ M gilt A(x) ⇔ ^ x∈M 16 A(x) ist wahr (Der Allquantor ist die vielfache Konjunktion.) V De Morgansches Gesetz für die vielfache Konjunktion : x∈M ! ¬ ^ A(x) x∈M 1.4 = _ ¬A(x) = ∃x ∈ M sodass ¬A(x) x∈M Implikation ist auch eine Verknüpfung Siehe Lemma 2.5. A ⇒ B ist eine wahre Aussage genau dann, wenn X ⊂ Y . Das Venn-Diagramm von X ⊂ Y hat 3 “Paralleluniversen”, die den 3 Möglichkeiten • A wahr, B wahr; • A falsch, B wahr; • A falsch, B falsch entsprechen. Nur in diesen Fällen gilt also A ⇒ B. Aus einer falschen Aussage folgt jede andere Aussage. 2 2.1 Abbildungen und Funktionen Abbildung und Bild Definition 3.2. Seien X und Y Mengen. Eine Abbildung f von X nach Y ist eine Zuordnung, die jedem Element aus X ein Element aus Y zuordnet. Die Schreibweise: f: X →Y x 7→ f (x) Die Menge X heißt Definitionsbereich, Y heißt Zielbereich von f . Beachte: jedes x ∈ X wird auf irgendein Element (und zwar genau ein!) aus Y abgebildet. Allerdings muss es nicht für jedes y ∈ Y ein x ∈ X geben, sodass f (x) = y gilt. Definition 3.3. Sei f : X → Y eine Abbildung. Die Menge {y ∈ Y | ∃x ∈ X sodass f (x) = y} heißt das Bild von f . Bezeichnung: Bildf oder im f . Für ein x ∈ X heißt f (x) auch Bild von x. Schematisch kann man eine Abbildung als Pfeile von X nach Y darstellen: von jedem Punkt in X geht genau ein Pfeil aus. 17 Beispiel 3.4. Seien X = {alle Staaten der Welt}, Y = {alle Städte der Welt}. Definiere die Abbildungen f : X → Y, Staat x 7→ die Hauptstadt von x g : Y → X, Stadt y 7→ das Staat, wo y liegt Dann im f = {alle Hauptstädte} (eine echte Teilmenge von Y ), im g = X (in jedem Staat gibt es mindestens eine Stadt). 2.2 Einschränkung einer Abbildung Beachte, dass eine Abbildung drei Bestandteile hat: Definitionsbereich X, Zielbereich Y , und Zuordnungsvorschrift f . Wird bei der gleichen Zuordnungsvorschrift eine der Mengen X oder Y geändert, so entsteht eine neue Abbildung. Definition 3.5. Sei f : X → Y eine Abbildung, und sei A ⊂ X. Dann heißt die Abbildung g : A → Y, gegeben durch g(x) = f (x) für alle x ∈ A, die Einschränkung von f auf A. Beispiel 3.6. Drei unterschiedliche Abbildungen: f1 : R → R, f (x) = x2 (3.1) f2 : [0, +∞) → R, f (x) = x2 (3.2) f3 : R → [0, +∞), 2 (3.3) f (x) = x Dabei gilt f2 = f1 |[0,+∞) . 2.3 Surjektion, Injektion, Bijektion Definition 3.7. Eine Abbildung f : X → Y heißt • surjektiv, wenn im f = Y gilt; • injektiv, wenn aus f (x1 ) = f (x2 ) folgt x1 = x2 (keine zwei verschiedene Elemente aus X haben das gleiche Bild); • bijektiv, wenn sie gleichzeitig injektiv und surjektiv ist. Beispiel 3.8. Die Abbildung f aus Beispiel 3.4 ist injektiv, weil keine zwei Staaten die gleiche Hauptstadt haben. Sie ist nicht surjektiv, weil es Städte gibt, die keine Hauptstädte sind. Die Abbildung g aus Beispiel 3.4 ist surjektiv, wie bereits festgestellt wurde: im g = X. Sie ist nicht injektiv, weil manche Städte im gleichen Staat liegen. Aufgabe 3.9. Welche der Abbildungen (3.1) — (3.3) sind surjektiv, welche sind injektiv? Kann man eine von ihnen durch Einschränkung bijektiv machen? 18 2.4 Funktionen Wenn das Zielbereich Y einer Abbildung f eine Teilmenge von R ist, dann wird f auch Funktion genannt. Wenn X auch Teilmenge von R ist, dann nennt man f Funktion einer (reellen) Variablen. Eine Funktion mehrerer Variablen kann man als Abbildung darstellen, deren Definitionsbereich eine Teilmenge von Rn ist. Beispiel 3.10. Funktionen mehrerer Variablen: • f : Rn → R, (x1 , . . . , xn ) 7→ Pn i=1 xi • f : R × (R \ {0}) → R, (x, y) 7→ x y Allgemein, wenn eine Größe von mehreren Parametern abhängt, kann man sie als Funktion auf einem kartesischen Produkt betrachten. Beispiel 3.11. Sei S die Menge aller U-Bahn Stationen. Definiere die Abbildung d : S × S → R, wobei d(x, y) die Fahrzeit von der Station x zur Station y ist. 3 Komposition von Abbildungen 3.1 Definition und einige Eigenschaften Definition 3.12. Seien f : X → Y und g : Y → Z zwei Abbildungen. Ihre Komposition ist die Abbildung g ◦ f : X →Z x 7→g(f (x)) Wenn die Abbildung g durch eine Formel gegeben wird, dann wird (g ◦ f )(x) durch Einsetzen von f (x) in g berechnet. Beispiele. Bilder. Seien f : X → Y und g : Y 0 → Z, wobei Y eine echte Teilmenge von 0 Y ist. Streng gesagt, ist g ◦ f nicht definiert. Die Komposition g|Y ◦ f ist definiert. Man darf sie auch mit g ◦ f bezeichnen. Lemma 3.13. Seien f : X → Y und g : Y → Z zwei Abbildungen. 1. Wenn f und g beide injektiv sind, dann ist auch g ◦ f injektiv. 2. Wenn f und g beide surjektiv sind, dann ist auch g ◦ f surjektiv. 3. Wenn f und g beide bijektiv sind, dann ist auch g ◦ f bijektiv. 19 Beweis. Definition 3.14. Identitätsabbildung idX : X → X Satz 3.15. Für f : X → Y gilt f ◦ idX = f , idY ◦f = f . Aufgabe 3.16. Berechne f ◦ g und g ◦ f für f und g aus dem Beispiel 3.4. 4 Umkehrabbildung 4.1 Urbild Definition 3.17. Sei f : X → Y eine Abbildung, und sei y ∈ Y . Dann heißt die Menge f −1 (y) := {x ∈ X | f (x) = y} das Urbild von y. (Man definiert auch das Urbild einer Menge B ⊂ Y auf eine ähnliche Weise, zur Zeit wird es nicht gebraucht.) Die Menge f −1 (y) kann leer sein oder mehrere Elemente enthalten. Lemma 3.18. Sei f : X → Y eine Abbildung. Dann gilt f ist surjektiv ⇔ ∀y ∈ Y f −1 (y) 6= ∅ f ist injektiv ⇔ ∀y ∈ Y x1 , x2 ∈ f −1 (y) ⇒ x1 = x2 f ist bijektiv ⇔ ∀y ∈ Y besteht f −1 (y) aus einem einzigen Element Beweis. Folgt direkt aus Definition 3.7. 4.2 Definition der Umkehrabbildung und Kriterium der Umkehrbarkeit Das Begriff der Umkehrabbildung ensteht aus dem Versuch, die Pfeile von X nach Y umzukehren. Das ist nicht immer möglich. Erinnerung: eine Abbildung von X nach Y soll jedem Element aus X ein eindeutiges Element aus Y zuordnen. Beim Umkehren der Pfeile kann diese Eigenschaft verloren gehen. Überlege es Dir, wie. Definition 3.19. Sei f : X → Y eine Abbildung. Eine Abbildung g : Y → X heißt Umkehrabbildung von f , wenn f ◦ g = idY und g ◦ f = idX Die Umkehrabbildung von f wird mit f −1 bezeichnet. Beispiel 3.20. Für f : R → R, f (x) = 2x ist g(x) = x2 die Umkehrabbildung, für f : R → R, f (x) = x + 1 ist g(x) = x − 1 die Umkehrabbildung. Prüfe das! 20 Satz 3.21. Eine Abbildung f : X → Y ist umkehrbar genau dann, wenn sie bijektiv ist. Beweisidee. Wenn f bijektiv ist, dann können wir g mit Hilfe des Lemmas 3.18 konstruieren: Sei g(y) das einzige Element in der Menge f −1 (y) (hier bezeichnet f −1 (y) das Urbild im Sinne der Definition 3.17. 21 Vorlesung 4 Kombinatorik 1 Die Grundregeln 1.1 Die Mächtigkeit endlicher Mengen Definition 4.1. Eine Menge X heißt endlich, wenn es eine bijektive Abbildung f : X → {1, 2, . . . , n} existiert, für irgendein n ∈ N. Die Zahl n heißt die Mächtigkeit der Menge X, Bezeichnung: |X|. Mit anderen Worten, die Mächtigkeit ist die Anzahl der Elemente in der Menge. Eine Abbildung f : X → {1, 2, . . . , n} ordnet jedem Element x ∈ X eine Nummer von 1 bis n. Wenn f injektiv ist, dann bekommen verschiedene Elemente verschiedene Nummern, und wenn f surjektiv ist, dann gibt es für jedes k von 1 bis n ein Element mit Nummer k. Deswegen ist eine Bijektion X → {1, 2, . . . , n} nichts anderes als Aufzählung aller Elemente von X. 1.2 ×- und +-Regeln Definition 4.2. X t Y = X ∪ Y , wenn X ∩ Y = ∅, und nicht definiert wenn X ∩ Y 6= ∅. Die Menge X t Y wird disjunkte Vereinigung von X und Y genannt. Satz 4.3. Für endliche Mengen X und Y gilt |X t Y | = |X| + |Y |. Beweis. Klar. Satz 4.4. Für endliche Mengen X und Y gilt |X × Y | = |X| · |Y |. Beweis. Die Elemente von X × Y können in einer Tabelle angeordnet werden, deren Zeile den Elementen von X, und die Spalten den Elementen von Y entsprechen. Diese Tabelle hat |X| Zeilen und |Y | Spalten, enthält also insgesamt |X| · |Y | Einträge. 22 Analog, gilt |X × Y × Z| = |X| · |Y | · |Z|, und allgemein |X1 × X2 × · · · × Xn | = |X1 | · |X2 | · . . . · |Xn | Für die erste Gleichung kann man sich eine “3-dimensionale Tabelle” vorstellen. Die zweite wird wie folgt bewiesen. Wegen X1 × X2 × · · · × Xn = (X1 × · · · × Xn−1 ) × Xn können wir die Elemente von X1 ×X2 ×· · ·×Xn in eine Tabelle aufschreiben, deren Zeilen den Elementen von X1 ×· · ·×Xn−1 , und Spalten den Elementen von Xn entsprechen. Daher gilt |X1 × X2 × · · · × Xn | = |X1 × · · · × Xn−1 | · |Xn | Die Mächtigkeit von X1 × · · · × Xn−1 können wir wiederum berechnen als |X1 × · · · × Xn−1 | = |X1 × · · · × Xn−2 | · |Xn−1 | und so weiter, bis wir auf |X1 | · . . . · |Xn | kommen. Beispiel 4.5. • Aus 4 Vorspeisen, 3 Hauptspeisen und 5 Desserts kann man 4 · 3 · 5 = 60 unterschiedliche Mahlzeiten zusammenstellen. • Beim Werfen von 3 Würfeln gibt es 63 = 216 unteschiedliche Ergebnisse, da ein Ergebnis Element der Menge {1, 2, . . . , 6}3 ist. • Eine Münze wird n mal geworfen. Die Anzahl aller möglichen Ergebnisse ist 2n , da ein Ergebnis ein n-Tupel von der Form (Kopf, Zahl, Zahl, . . . , Kopf), d. h. Element von {Kopf, Zahl}n ist. Unter einem n-Tupel verstehen wir eine geordnete Folge aus n Elementen, und schreiben sie als (x1 , x2 , . . . , xn ). Die Elemente des kartesischen Produktes X × · · · × X = X n sind n-Tupeln von Elementen aus X. Zum Beispiel, ein Ergebnis von n Münzwürfen ist ein n-Tupel. Auch beim Werfen von n Würfeln gleichzeitig kommt ein n-Tupel heraus: die Würfel können mit Nummern versehen werden (was ihr Verhalten beim Werfen nicht beeinflusst), und das Ergebnis kann geschrieben werden als (Würfel 1, Würfel 2, . . . , Würfel n). 23 1.3 Die −-Regel Satz 4.6. Wenn Y ⊂ X, dann |Y \ X| = |Y | − |X| Beweis. Klar. Man kann auch den +-Satz anwenden, da X und Y \X disjunkte Mengen sind. Aufgabe 4.7. Ein Würfel wird dreimal geworfen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass mindestens einmal eine 6 fällt? Lösung. Das Ergebnis der drei Würfe kann man als Tripel (a, b, c) darstellen, wobei a, b und c die Ergebnisse des ersten, des zweiten und des dritten Wurfes sind. Die Zahl aller möglichen Ergebnisse ist also 6 · 6 · 6 = 216. Die Zahl der Tripeln (a, b, c), wo mindestens eine der Zahlen a, b, c gleich 6 ist, ist nicht so einfach direkt zu berechnen. Stattdessen berechnen wir die Zahl der Tripeln, wo keine der Zahlen gleich 6 ist. Diese Tripel entsprechen den Elementen der Menge {1, 2, . . . , 5}3 , und sind deswegen 53 = 125 an der Zahl. Schließlich |Tripel mit mindestens einer 6| = |alle Tripel| − |Tripel ohne 6| = 216 − 125 = 91 Die Wahrscheinlichkeit berechnet sich als W = |Tripel mit mindestens einer 6| 91 = |alle Tripel| 216 Aufgabe 4.8. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, mindestens zwei Mal 6 zu werfen? 1.4 Der 2n -Satz Satz 4.9. Es gibt genau 2n a) Folgen der Länge n aus 0 und 1 (n-Tupeln aus 0 und 1); b) Teilmengen der Menge {1, 2, . . . , n}; c) Abbildungen {1, 2, . . . , n} → {0, 1}. 24 Beweis. Für a): solche Folgen sind Elemente von {0, 1}n , deswegen sind sie 2n an der Zahl. Für b) und c) herstellen wir Bijektionen zwischen den Mengen der Folgen, der Teilmengen und Abbildungen. (a1 , . . . , an ) 7→ f, wobei f (i) = ai ordnet jeder Folge eine Abbildung zu, und f 7→ X := f −1 (1) ordnet jeder Abbildung eine Teilmenge von {1, . . . , n} zu. Man kann leicht prüfen, dass diese Zuordnungen Bijektionen sind. Es folgt, dass es genau so viele Abbildungen wie Folgen, und genau so viele Teilmengen wie Abbildungen gibt, also 2n . 2 2.1 Geordnete Auswahlen mit und ohne Zurücklegen Mit Zurücklegen, oder die Zahl aller Abbildungen Satz 4.10. Die Zahl der geordneten Auswahlen von k Elementen aus n mit Zurücklegen ist nk . Beweis. Eine solche Auswahl ist eine Folge (a1 , . . . , ak ) mit ai ∈ {1, . . . , n}, d. h. ein Element von {1, . . . , n}k . Korollar 4.11. Die Zahl aller Abbildungen {1, . . . , k} → {1, . . . , n} ist nk . Beweis. Ähnlich wie im Beweis des Satzes 4.9, einer Folge (a1 , . . . , ak ) entspricht die Abbildung f : {1, . . . , k} → {1, . . . , n}, f : i 7→ ai . 2.2 Ohne Zurücklegen, oder die Zahl der injektiven Abbildungen Satz 4.12. Die Zahl der geordneten Auswahlen von k aus n ohne Zurücklegen ist n(n − 1) · · · (n − k + 1) Beweis. Gezählt werden jetzt alle Folgen (a1 , . . . , ak ) mit ai ∈ {1, . . . , n}, sodass ai 6= aj für alle i 6= j gilt. Für a1 kommen n Werte in Frage, für a2 dann n − 1 Wert (alle außer dem Wert von a1 ), für a3 sind n − 2 Werte möglich, und so weiter. Bemerkung 4.13. Bei diesem Beweis benutzen wir die Regel |X×Y | = |X|· |Y | nicht, sondern eine verwandte Regel: wenn in einer m × n-Tabelle einige Zellen markiert sind, sodass in jeder der m Zeilen sich genau k markierte Zellen befinden, dann sind insgesamt mk Zellen markiert. 25 Korollar 4.14. Die Zahl der injektiven Abbildungen {1, . . . , k} → {1, . . . , n} ist n(n − 1) · · · (n − k + 1). 2.3 Gleiche Geburtstage Aufgabe 4.15. In einer Gruppe aus 30 Personen, wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass es zwei gibt, die denselben Geburtstag haben? Lösung. Die Wahrscheinlichkeit, dass alle Personen unterschiedliche Geburtstage haben, ist 365 · 364 · . . . · 336 ≈ 0, 29 3653 0 Also ist die gesuchte Wahrscheinlichkeit ≈ 0, 71 = 71%. Aufgabe 4.16. Du bist eine von den 30 Personen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass es jemanden gibt, der den gleichen Geburtstag hat, wie Du? Ein falsches Argument: für jede Person ist die Wahrscheinlichkeit, dass 1 sie den gleichen Geburtstag hat wie ich, gleich 365 . Das Addieren der Wahr29 scheinlichkeiten ergibt 365 ≈ 0, 079. Dieses Argument ist falsch, weil die Wahrscheinlichkeiten von den Ereignissen, die gleichzeitig auftreten können, nicht addiert werden dürfen. Vergleiche mit dem +-Gesetz der Mächtigkeiten: er gilt nur, wenn die Mengen disjunkt sind. Lösung. Die Wahrscheinlichkeit, dass keiner den gleichen Geburtstag wie ich 29 hat, ist gleich ( 364 365 ) . Deswegen ist die Wahrscheinlichkeit, dass es jemanden gibt, gleich 364 29 1− ≈ 0, 076 365 Die falsche Antwort liegt aber sehr nah an der richtigen. Der Grund dafür liegt in der Bernoulli-Ungleichung, siehe später. 3 Permutationen Die Fakultät. n! = 1 · 2 · . . . · n Beachte: n(n − 1) · · · (n − k + 1) = n! (n−k)! . Definition 4.17. Eine Permutation auf n Elementen ist eine Bijektion {1, . . . , n} → {1, . . . , n}. Satz 4.18. Die Zahl der Permutationen auf n Elementen ist gleich n!. 26 Beweis. Eine Abbildung {1, . . . , n} → {1, . . . , n} ist bijektiv genau dann, wenn sie injektiv ist (Surjektivität folgt in diesem Fall aus der Injektivität, da man n Gegenstände nicht in weniger als n Fächer “injektiv” verteilen kann). Deswegen liegt hier ein Spezialfall des Korollars 4.14 vor, und zwar bei k = n. Folglich ist die Anzahl der Bijektionen (Injektionen) gleich n(n − 1) . . . 1 = n! Eine Permutation kann auch als Anordnung von n unterschiedlichen Objekten betrachtet werden (das Ergebnis des Ziehens von n Kugeln aus der Urne nacheinander). 27 Vorlesung 5 Binomialkoeffizienten 1 Die vierte Grundregel: Quotientenregel Wenn man beim Zählen jedes Objekt 2 Mal gezählt hat, dann ist das Ergebnis natürlich doppelt so groß wie die Anzahl der Objekte. Beispiel 5.1. Wie viele Seiten und Diagonalen hat ein n-Eck? Lösung. Mit anderen Worten: wie viele Verbindungsstrecken gibt es zwischen n Punkten? Von jedem der n Punkte gehen n − 1 Strecken zu den anderen aus. Aber die Anzahl der Strecken ist nicht n(n − 1), da jede Strecke zweimal gezählt wurde — von jedem seiner Endpunkte aus. Deswegen ist die Antwort n(n−1) . 2 Formell kann man das Prinzip wie folgt formulieren. Satz 5.2. Seien X und Y endliche Mengen, und sei f : X → Y eine Abbildung mit der Eigenschaft, dass |f −1 (y)| = k für alle y ∈ Y . Dann gilt |Y | = |X| k “Wie zählt man die Schafe in einer Herde am schnellsten? — Man zählt die Beine und teilt durch 4.” 2 2.1 Die fünf Gesichter der Binomialkoeffizienten Ungeordnete Auswahlen oder k-Teilmengen Aus der Urne mit n Kugeln ziehen wir k Kugel auf einmal. Wie viele unterschiedliche Ergebnisse sind möglich? Mit anderen Worten, wie viele kelementigen Teilmengen hat eine n-elementige Menge? 28 Satz 5.3. Die Zahl der k-elementigen Teilmengen von {1, . . . , n} ist gleich n(n − 1) · · · (n − k + 1) n! = k! k!(n − k)! Beweis. Aus dem Satz 4.12 wissen wir, dass die Zahl von geordneten Auswahlen ohne Zurc̈klegen gleich n(n−1) · · · (n−k +1) ist. Das ist die Zahl der möglichen Ergebnisse, wenn wir k Kugel nacheinander ziehen und in eine Reihe legen. Wenn wir k Kugel auf einmal ziehen, dann haben wir k! Möglichkeiten, sie in eine Reihe zu legen (siehe Abschnitt 3). Deswegen entsprechen jeder ungeordneten Auswahl genau k! geordnete Auswahlen. Folglich ist die Zahl der ungeordneten Auswahlen gleich n(n−1)···(n−k+1) . k! Bemerkung 5.4. Es ist gar nicht offensichtlich, dass das Quotient n(n−1)···(n−k+1) k! eine ganze Zahl ist. Das folgt aber aus dem obigen Argument: die geordneten Auswahlen lassen sich in Gruppen je k! aufteilen, deswegen ist ihre Zahl ein Vielfaches von k!. Bezeichnung für die Zahl der ungeordneten Auswahlen von k aus n (auch n die Zahl der Kombinationen von k aus n genannt): k . Insbesondere gilt • • • n 0 = nn = 1: Es gibt genau eine 0-elementige Teilmenge ∅ und genau n! eine n-elementige — das ganze {1, . . . , n}. Die Formel k!(n−k)! gibt bei k = 0 oder k = n das gleiche Ergebnis. (Beachte: 0! = 1.) n 1 = n: Es gibt genau n einelementige Teilmengen. = n(n−1) : Zweielementige Teilmengen haben wir gezählt als wir die 2 Anzahl der Seiten und Diagonalen im n-Eck berechnet haben, siehe Beispiel 5.1. n 2 n Allgemein, gilt nk = n−k . Einerseits folgt das aus der Formel. Andererseits, auch wenn die Formel uns nicht bekannt wäre, könnte man das so sehen: jeder k-elementigen Teilmenge X entspricht ihr Komplement {1, . . . , n}\ X, und dieses Komplement ist eine (n−k)-elementige Teilmenge. Diese Korrespondenz ist bijektiv, deswegen gibt es genauso viele k-Teilmengen wie (n − k)-Teilmengen. Satz 5.5. Es gilt n X k=0 n k ! = 2n Beweis. Die Zahl aller Teilmengen von {1, . . . , n} ist 2n , die Zahl auf der rechten Seite der Gleichung. Auf der linken Seite werden ebenfalls alle Teilmengen von {1, . . . , n} gezählt, aber nach ihrer Mächtigkeit sortiert: erst die 0-elementigen, dann die 1-elementigen, usw. Folglich ist die linke Seite gleich der rechten Seite. 29 (k, n − k) (0, 0) Abbildung 5.1: Ein monotoner Weg von (0, 0) nach (k, n − k) 2.2 (0, 1)-Folgen Satz 5.6. Die Zahl der Folgen aus n Symbolen 0 oder 1, in welchen 1 genau k mal auftritt, ist gleich nk . Beweis. Wir ordnen jeder Folge (a1 , . . . , an ) eine Teilmenge X ⊂ {1, . . . , n} zu, und zwar X := {i | ai = 1}. Dann entsprechen alle k-elementige Teilmengen bijektiv den Folgen mit k Einsen. Also gibt es genauso viele Folgen mit k Einsen wie k-Teilmengen, nämlich nk . Korollar 5.7. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei n Münzwürfen genau k mal ( n) das “Kopf” fällt, ist gleich 2kn . 2.3 Monotone Wege Zählen wir alle mögliche Wege vom Punkt (0, 0) zum Punkt (k, n−k) entlang der Gitterlinien, wobei die horizontalen Streckenabschnitte nur nach rechts gefahren werden dürfen, und die vertikalen nur nach oben (“Einbahnstrassen”). Solche Wege nennen wir monoton, siehe ein Beispiel auf dem Bild 5.1. Satz 5.8. Die Zahl der monotonen Wege vom Punkt (0, 0) zum Punkt (k, n− k) ist gleich nk . Beweis. Um von (0, 0) nach (k, n − k) zu gelangen, müssen wir k Abschnitte horizontal und n−k Abschnitte vertikal fahren, und das in beliebiger Reihenfolge. Eine Routenanweisung kann als eine (0, 1)-Folge dargestellt werden, wo 1 für einen horizontalen und 0 für einen vertikalen Streckenabschnitt steht. Jedem Weg entspricht eine Folge der Länge n mit k Einsen, und jeder Folge entspricht ein Weg, also haben wir eine Bijektion. Die Zahl solcher Folgen ist nach dem Satz 5.6 gleich nk . 30 2.4 Pascalsches Dreieck 1 1 1 1 2 1 1 1 1 3 3 4 1 6 5 4 10 10 1 5 1 Achtung! Die Zeilennummerierung beginnt mit 0, die Nummerierung der Einträge in jeder Zeile beginnt auch mit 0. Damit gibt es in der n-ten Zeile n + 1 Einträge, nummeriert mit den Zahlen von 0 bis n. Zuerst werden die Einsen auf dem Rand geschrieben. Dann wird jede Zeile aus der vorherigen berechnet: die Zahl an der k-ten Stelle in der nten Zeile ist gleich der Summe der (k − 1)-te und der k-ten Zahlen in der (n − 1)-ten Zeile. Z. B. die zweite Zahl in der fünften Zeile: 10 = 4 + 6. Satz 5.9. Die k-te Zahl in der n-ten Zeile ist gleich n k . Beweis. Drehen wir das Strassennetz vom Bild 5.1 so, dass die Knoten sich auf die Zahlen im Pascalschen Dreieck legen. Der Punkt (k, n − k) wird sich dann in der n-ten Reihe befinden (an der k-ten oder (n − k)-ten Stelle, abhängig davon, ob wir das Blatt umdrehen oder nicht). Zeigen wir, dass das Pascalsche Dreieck die Zahl der monotonen Wege berechnet. Erstens sind die Einsen auf dem Rand richtig: es gibt jeweils nur einen Weg von (0, 0) nach (n, 0) oder nach (0, n). Zweitens führt jeder Weg von (0, 0) nach (k, n−k) über eine der Kreuzungen (k−1, n−k) oder (k, n−k−1). Deswegen ist die Zahl der Wege nach (k, n − k) gleich Zahl der Wege nach (k − 1, n − k) plus Zahl der Wege nach (k, n − k − 1). Siehe Bild 5.2. 1 1 1 1 1 2 3 1 3 4 6 10 Abbildung 5.2: Zahl der monotonen Wege berechnet sich nach der selben Regel wie die Zahlen im Pascalschen Dreieck. 31 2.5 Binomischer Lehrsatz Satz 5.10. Für alle a, b ∈ R und n ∈ N gilt: n (a + b) = n X k=0 ! n n−k k a b k (5.1) Nach dem Satz 5.9 sind die Koeffizienten in der Formel (5.1) die Zahlen aus der n-ten Zeile des Paschalschen Dreiecks. Neben dem weitbekannten Spezialfall n = 2: (a + b)2 = a2 + 2ab + b2 , können wir nun weitere Formeln aufschreiben: (a + b)3 = a3 + 3a2 b + 3ab2 + b3 (a + b)4 = a4 + 4a3 b + 6a2 b2 + 4ab3 + b4 und so weiter. Beweis. Um (5.1) zu beweisen, überlegen wir uns zuerst, woher die Formel (a + b)2 = a2 + 2ab + b2 kommt. Die entsteht durch Ausmultiplizieren von Klammern: (a + b)2 = (a + b)(a + b) = aa + ab + ba + bb = a2 + 2ab + b2 Analog, wenn wir n Klammern ausmultiplizieren, (a + b)n = (a + b)(a + b) · · · (a + b), dann bilden wir Produkte von je einem Symbol aus jedem Klammerpaar. Ein solches Produkt ist ein “Wort” der Länge n aus Buchstaben a und b. Wenn das Wort k Buchstaben b und n − k Buchstaben a enthält, dann kann man ihn zum an−k bk umformen (durch Vertauschungen von Faktoren). Da es genau nk Wörter mit k Buchstaben b gibt (Satz 5.6), erhalten wir genau n n−k bk , und der Satz ist bewiesen. k Monome a Mehr über den binomischen Lehrsatz Mit dem binomischen Lehrsatz kann man ein Spezialfall der BernoulliUngleichung beweisen: (1 + x)n ≥ 1 + nx für x ≥ 0 (der allgemeine Fall setzt nur x > −1 voraus und erlaubt nichtganze Exponenten anstelle von n). In der Tat, aus dem binomischen Lehrsatz folgt n (1 + x) = n X k=0 ! n k n(n − 1) 2 n(n − 1)(n − 2) 3 x = 1 + nx + x + x + . . . + xn 2 6 k 32 und die Ungleichung entsteht durch weglassen der Summanden nach nx (die sind ja alle nichtnegativ). Außerdem, gibt 1 + nx eine gute Approximation an (1 + x)n bei kleinen x und nicht zu großen n, da x2 , x3 usw. bei kleinem x noch viel kleinere Zahlen sind. Die Potenz n soll nicht zu groß sein, um im Produkt n(n−1) x2 2 nicht zu überwiegen. Der binomische Lehrsatz gilt auch bei nichtganzen Potenzen: (1 + x)α = 1 + αx + α(α − 1) 2 α(α − 1)(α − 2) 3 x + x + ... 2 6 Bei α ∈ N bricht die Summe ab, weil die Koeffizienten ab irgendeiner Stelle das Faktor α − α = 0 enthalten. Bei α ∈ / N wird die Summe zu einer unendlichen Reihe. Beispiel 5.11. Bei x = 1 und α = √ 1 2 = (1 + 1) 2 = 1 + 1 2 erhalten wir 1 1 1 1 ( − 1) ( − 1)( 12 − 2) 1 + 2 2 + 2 2 + ... 2 2 6 1 1 1 5 =1+ − + − + ... 2 8 16 128 33 Vorlesung 6 Kurven 1 Abbildungen: Fortsetzung 1.1 Abbildung als ein Eingabe-Ausgabegerät Das Gerät hat einen Eingang und einen Ausgang. Der Wert am Ausgang soll nur vom Wert am Eingang abhängen. Beispiele: • Formel • Computerprogramm (wenn es kein Zufallsgenerator ist) • Tabelle Z. B. ist es möglich, ein Computerprogramm zu schreiben, die uns die Hauptstadt jedes Landes nennt. Komposition von Abbildungen = Hintereinanderschaltung von Geräten. Gerät mit mehreren Eingängen = Funktionen von mehreren Variablen = Abbildung X × Y → Z. 1.2 Umkehrabbildung Den Satz “umkehrbar ⇔ bijektiv” erinnern: Abbildung ist umkehrbar genau dann wenn sie jeden Wert aus Y annimmt, und das genau einmal. Beispiel mit den Staaten - Städten. g ◦ f = idX , aber f ◦ g 6= idY . Beispiel einer Bijektion: Staaten ↔ Hauptstädte. Die Einschränkung der Abbildung (Stadt 7→ Staat, wo die Stadt liegt) auf die Menge aller Hauptstädte ist bijektiv und daher umkehrbar. Beispiele der Umkehrabbildungen. Für die Funktionen f (x) = x + 1, f (x) = ax + b, 34 f (x) = x2 (eingeschränkt) Satz 6.1. Wenn f : X → Y und g : Y → Z umkehrbare Abbildungen sind, dann ist g ◦ f auch umkehrbar, und es gilt (g ◦ f )−1 = f −1 ◦ g −1 Beweis. In der Tat, (g ◦ f ) ◦ (f −1 ◦ g −1 ) = g ◦ (f ◦ f −1 ) ◦ g −1 = g ◦ idY ◦g −1 = g ◦ g −1 = idZ und (f −1 ◦ g −1 ) ◦ (g ◦ f ) = . . . Zwei informelle Erklärungen: Um die Pfeile von g ◦ f umzukehren, geht man zuerst über die Pfeile von g zurück, dann über die Pfeile von f . Auch das Inverse zu “Socke an, Schuh an” ist “Schuh aus, Socke aus”, und nicht in anderer Reihenfolge. Um eine mit einer Formel gegebene Funktion umzukehren, muss man die Gleichung f (x) = y nach x umstellen. Beispiel 6.2. f : R \ {0} → R, f (x) = Lösung. Beim Lösen von x−x−1 2 x1 = y + q x−x−1 2 = y erhalten wir zwei Werte von x: y 2 + 1 und x2 = y − q y2 + 1 Es gilt also f (x1 ) = f (x2 ), die Abbildung ist nicht injektiv. Beispiel 6.3. f : R → R, f (x) = Lösung. Hier hat die Gleichung sung ex −e−x 2 ex −e−x 2 x = ln(y + = y für jedes y eine eindeutige Lö- q y 2 + 1) Folglichpist die Funktion bijektiv, und die Umkehrfunktion durch g(y) = ln(y + y 2 + 1) gegeben. 2 Kurven 2.1 Der Graph einer Abbildung Definition 6.4. Der Graph einer Abbildung f : X → Y ist die Menge Gf := {(x, f (x)) | x ∈ X} ⊂ X × Y Graphen der Funktionen. 35 Satz 6.5. Sei f : X → R eine Funktion auf X ⊂ R. 1. Der Graph der Funktion x 7→ f (x) + a entsteht aus dem Graphen von f durch Verschiebung um a nach oben. 2. Der Graph der Funktion x 7→ f (x + a) ensteht aus dem Graphen von f durch Verschiebung um a nach links. Beachte: Die “Verschiebung um a nach oben” bildet jeden Punkt (x, y) auf (x, y +a) ab. Die Verschiebung um a nach links bildet (x, y) auf (x−a, y) ab. Beweis. Beispiel 6.6. f (x) = x2 − 2x + 2 Satz 6.7. Sei f : X → R eine Funktion auf X ⊂ R. 1. Der Graph der Funktion x 7→ cf (x) entsteht aus dem Graphen von f durch Streckung in vertikaler Richtung mit Faktor c. (Wenn c < 0, dann ist es Streckung mit Faktor |c| komponiert mit der Spiegelung um die x-Achse.) 2. Der Graph der Funktion x 7→ f (cx) entsteht aus dem Graphen von f durch Streckung in horizontaler Richtung mit Faktor c−1 . Korollar 6.8. Der Graph jedes kubischen Polynoms ax3 + bx2 + cx + d entsteht aus dem Graphen des Polynoms x3 + px für ein geeignetes p durch Verschiebung und vertikale Streckung (einschließlich Spiegelung wenn a < 0). Beweis. 2.2 Parametrisierte Kurven Sei I ⊂ R ein Intervall, und sei f : I → R2 eine Abbildung. Das kann man betrachten als ein sich bewegender Punkt, der sich zum Zeitpunkt t ∈ I an der Stelle f (t) ∈ R2 befindet. Die Bahn dieses Punktes, das Bild von f , wird eine parametrisierte Kurve genannt. Beispiel 6.9. • f (t) = (at + b, ct + d) beschreibt eine Gerade, die mit einer konstanten Geschwindigkeit durchgelaufen wird. • Bei f (t) = (cos t, sin t) durchläuft der Punkt den Einheitskreis mit Zentrum (0, 0) unendlich oft. • f (t) = (cos t, sin t, t) ist eine Schraubenlinie. 36 Den Graphen einer Funktion kann man auch als eine parametrisierte Kurve darstellen, und zwar γ(t) = (t, f (t)), t∈I ist eine Parametrisierung des Graphen von f : I → R. Was geschieht mit einer parametrisierten Kurve f : I → R2 , wenn wir f mit einer anderen Abbildung verketten? Wenn g : J → I eine Bijektion zwischen zwei Intervallen J, I ⊂ R ist, dann ist f ◦ g : J → R2 dieselbe Kurve, nur umparametrisiert: die Zeit läuft jetzt im Intervall J statt I, der Punkt bewegt sich ggf. mit einer anderen Geschwindigkeit. Wenn g : R2 → R2 eine Transformation der Ebene ist (z. B. eine Verschiebung oder Streckung), dann ist g ◦ f : I → R2 eine mit g transformierte Kurve. Beispiel 6.10. Sei g : R2 → R2 eine Verschiebung um (2, 1) ist: (x, y) 7→ (x + 2, y + 1), und sei f (t) = (cos t, sin t). Dann beschreibt die Parametrisierung t 7→ (2 + cos t, 1 + sin t) den Einheitsreis mit Zentrum (2, 1). Beispiel 6.11. Der horizontal um den Faktor 2 gestreckter Kreis: (2 cos t, sin t). 2.3 Implizit gegebene Kurven Eine implizit gegebene Kurve ist die Nullstellenmenge einer Funktion: C = {(x, y) ∈ R2 | F (x, y) = 0} Beispiel 6.12. Der Einheitskreis: {(x, y) ∈ R2 | x2 + y 2 − 1 = 0}. Beispiel 6.13. Die Gleichung ax + by + c = 0 beschreibt eine Gerade (wenn a und b nicht gleichzeitig 0 sind). Beachte, dass die Gleichung F (x, y, z) = 0 i. A. nicht eine Kurve, sondern eine Fläche in R3 definiert. Z. B. definiert ax + by + cz − d = 0 eine Ebene. Man kann zwar die Schnittgerade zweier Ebenen durch eine Gleichung (a1 x + b1 y + c1 z + d1 )2 + (a2 x + b2 y + c2 z + d2 )2 = 0 aufschreiben, aber die entsprechende Funktion F (x, y, z) “verhält sich schlecht”. Den Graphen einer Funktion f : R → R kann man auch als Nullstellenmenge einer Funktion von zwei Variablen betrachten, und zwar: F (x, y) = y − f (x) ⇒ {(x, y) ∈ R2 | F (x, y) = 0} = Gf 37 Vorlesung 7 Transformationen der Ebene; Inklusion und Exklusion 1 Transformationen der Ebene Unter einer Transformation der Ebene verstehen wir eine bijektive Abbildung T : R2 → R2 . Beispiele hierfür sind Drehungen, Verschiebungen, Streckungen. 1.1 Verschiebung Definition 7.1. Sei v ∈ R2 . Die Verschiebung um den Vektor v bildet jeden Punkt p ∈ R2 auf p + v ab: Vv : R2 → R2 , p 7→ p + v In Koordinaten: wenn v = (a, b), dann V(a,b) : x y ! 7→ x+a y+b ! Satz 7.2. Es gilt Vw ◦ Vv = Vv+w und (Vv )−1 = V−v . Beweis. Folgt direkt aus der Formel. 1.2 Streckung von einer Geraden aus Sei ` ⊂ R2 eine Gerade in der Ebene, und sei c ∈ R, c 6= 0. Die Streckung mit dem Faktor c von der Geraden ` aus bildet jeden Punkt auf den Punkt im c-fachen Abstand von ` und auf dem gleichen Lot zu `, siehe Abbildung 7.1. Wir bezeichnen diese Abbildung mit Sc` . 38 Sc` (q) q Sc` (p) p ` Abbildung 7.1: Die Streckung von einer Geraden aus (hier c = 2). Wenn c < 0, dann wird hier eine Streckung mit Faktor |c| gemeint, ` die komponiert mit der Spiegelung in der Geraden `. Insbesondere ist S−1 Spiegelung in `. Wenn ` eine Koordinatenachse ist, dann ist es leicht, die Formel für die Streckung zu finden. ! ! x x {y=0} 7→ Sc · cy y ist die Streckung von der x-Achse aus, und Sc{x=0} x · y ! ! 7→ cx y ist die Streckung von der y-Achse aus. {y=0} Berechnen wir die Komposition V(a,b) ◦ Sc : ! x y {y=0} Und die Komposition Sc x y 7→ x cy ! ! 7→ x+a cy + b ◦ V(a,b) : ! 7→ x+a y+b ! 7→ x+a c(y + b) {y=0} Wie man sieht, gilt im Allgemeinen V(a,b) ◦ Sc 1.3 ! {y=0} 6= Sc ◦ V(a,b) . Zentrische Streckung Definition 7.3. Sei c ∈ R, c 6= 0, und sei p0 ein Punkt in R2 . Die zentrische Streckung mit Zentrum p0 und Streckungsfaktor c bildet jeden Punkt p ∈ R2 auf einen Punkt p0 ab, sodass −−→0 p0 p = c · − p→ (7.1) 0 p, 39 siehe Abbildung 7.2. Bezeichnung für diese Abbildung: Hcp0 . Wieder bei c < 0 ist es Streckung p0 um |c| zusammen mit Punktspiegelung, und H−1 ist die reine Punktspiegelung um p0 . Hcp0 (p) Hcp0 (q) q p p0 Abbildung 7.2: Die zentrische Streckung mit Zentrum p0 (hier c = 2). Wie man leicht sieht, wird die Streckung mit Zentrum im Koordinatenursprung durch die folgende Formel beschrieben: Hc(0,0) : x y ! ! 7→ cx cy oder einfach p 7→ cp. Satz 7.4. Die zentrische Streckung mit Zentrum p0 und Streckungsfaktor c wird durch die folgende Formel gegeben: Hcp0 : p 7→ cp + (1 − c)p0 Erster Beweis. Die Formel (7.1) kann umgeschrieben werden als p0 − p0 = c(p − p0 ) Folglich gilt Hcp0 (p) = p0 = c(p − p0 ) + p0 = cp + (1 − c)p0 Zweiter Beweis. Um mit Zentrum p0 zu strecken, können wir zuerst die Ebene um −p0 verschieben (sodass p0 im Koordinatenursprung ankommt), dann mit Zentrum (0, 0) strecken, und dann um p0 verschieben. Das heißt, Hcp0 = Vp0 ◦ Hc(0,0) ◦ V−p0 Das Einsetzen der uns bereits bekannten Formeln liefert das Ergebnis. Korollar 7.5. Jede Transformation der Form p 7→ cp + v mit c ∈ / {0, 1} ist eine zentrische Streckung. 40 Beweis. Ja, und zwar mit dem Faktor c und Zentrum 1 1−c v. Beispiel 7.6. Finde das Zentrum der Streckung x y ! 2x + 3 2y − 1 7→ ! Lösung. Man kann die im Korollar hergeleitete Formel benutzen. Alternativ, finden wir den Fixpunkt dieser Abbildung, d. h. p mit der Eigenschaft T (p) = p. Wir wissen, dass jede Abbildung dieser Form eine zentrische Streckung mit Faktor 2 darstellt, und wir wissen, dass die zentrische Streckung einen einzigen Fixpunkt hat, und zwar den Streckungszentrum. Durch das Lösen von 2x+3 = x, 2y −1 = y erhalten wir (x, y) = (−3, 1). Das ist das Zentrum der Streckung. 2 Transformation von implizit gegebener Kurven 2.1 Die Transformationsregel Satz 7.7. Sei C = {p ∈ R2 | F (p) = 0} eine implizit gegebene Kurve. Sei T : R2 → R2 eine Transformation der Ebene. Dann gilt T (C) = {p ∈ R2 | (F ◦ T −1 )(p) = 0} (7.2) Mit anderen Worten, um die Gleichung der transformierten Kurve zu erhalten, muss man die inverse Transformation in ihre Gleichung einsetzen. Beweis. In der Tat, T (C) = {T (p) | p ∈ C} = {q | T −1 (q) ∈ C} = {q | F (T −1 (q)) = 0} = {q | (F ◦ T −1 )(q) = 0} wobei wir q = T (p) eingesetzt haben. Beispiel 7.8. Wie wir wissen, hat der Einheitskreis mit Zentrum (0, 0) die Gleichung x2 + y 2 = 1, und der Einheitskreis mit Zentrum (a, b) die Gleichung (x − a)2 + (y − b)2 = 1. Andererseits entsteht der letztere aus dem ersteren durch die Verschiebung T = V(a,b) , und seine Gleichung entsteht aus x2 + y 2 = 1 durch Einsetzen von x 7→ x − a, y 7→ y − b, d. h. der Umkehrabbildung T −1 . 41 Korollar 7.9. Der mit dem Faktor a in der x-Richtung gestreckte Einheitskreis hat die Gleichung x2 + y2 = 1 a2 Der mit dem Faktor a in der x-Richtung und mit dem Faktor b in der yRichtung gestreckte Einheitskreis hat die Gleichung x2 y 2 + 2 =1 a2 b 2.2 Die Ellipse Ein gestreckter/gestauchter Kreis (Schrägbild des Kreises), deren Gleichung wir im vorherigen Abschnitt hergeleitet haben, hat eine schöne geometrische Eigenschaft. Definition 7.10. Seien F1 , F2 zwei Punkte in der Ebene. Eine Ellipse mit Brennpunkten F1 und F2 ist die Menge aller Punkte X, für welche die Summe der Abstände zu F1 und F2 konstant ist: |XF1 | + |XF2 | = d Satz 7.11. Ein Schrägbild eines Kreises ist eine Ellipse. Lemma 7.12. Ein Schrägbild eines Kreises ist ein Zylinderschnitt. Beweis. Ein Schnitt des Zylinders ist Schrägbild ihrer Basis, und die Basis ist ein Kreis. Lemma 7.13. Ein Zylinderschnitt ist eine Ellipse. Beweis. Lege in den Zylinder zwei Kugel, die die Schnittebene berühren, siehe Abbildung 7.3. Bezeichne die Berührpunkte mit F1 und F2 . F1 X A1 A2 F2 Abbildung 7.3: Zylinderschnitt ist eine Ellipse Dann gilt |XF1 | = |XA1 | und |XF2 | = |XA2 |, 42 (der Abstand von X zu dem Berührpunkt jeder Tangente zu Kugel 1 ist konstant; dasgleiche für die Kugel 2). Folglich ist |XF1 | + |XF2 | = |XA1 | + |XA2 | = |A1 A2 |, und das ist der Abstand zwischen den Kugelmittelpunkten, hängt also vom X nicht ab. 3 3.1 Prinzip von Inklusion und Exklusion Zwei Mengen Für disjunkte Mengen haben wir |X ∪ Y | = |X| + |Y | − |X ∩ Y |. Wenn X ∩ Y 6= ∅ ist, dann gilt |X ∪ Y | = |X| + |Y | − |X ∩ Y | In der Tat, in |X| + |Y | werden alle Elemente von |X ∩ Y | doppelt gezählt; wenn wir aus dieser Summe |X ∩ Y | subtrahieren, dann erhalten wir die Anzahl der Elemente in |X ∪ Y |. Beispiel 7.14. Wie viele unter den Zahlen 1, 2, . . . , 60 sind weder durch 2 noch durch 3 teilbar? Lösung. Sei X die Menge der geraden Zahlen in {1, 2, . . . , 60}, und Y die Menge der durch 3 teilbaren. Dann gilt |X| = 30, |Y | = 20 Außerdem besteht X ∩Y aus den durch 6 teilbaren Zahlen, folglich |X ∩Y | = 10. Also |X ∪ Y | = 30 + 20 − 10 = 40 Es gibt 40 Zahlen, die durch 2 oder 3 teilbar sind. Folglich sind 60 − 40 = 2 weder durch 2 noch durch 3 teilbar. 3.2 Drei Mengen Satz 7.15. Für je drei Mengen X, Y , Z gilt |X ∪ Y ∪ Z| = |X| + |Y | + |Z| − |X ∩ Y | − |Y ∩ Z| − |X ∩ Z| + |X ∩ Y ∩ Z| Beweis. Die Summe |X|+|Y |+|Z| zählt alle Elemente in X \(Y ∪Z) einmal, aber alle Elemente in (X ∪ Y ) \ Z doppelt (und die Elemente in X ∩ Y ∩ Z dreifach). Die Summe |X| + |Y | + |Z| − |X ∩ Y | − |Y ∩ Z| − |X ∩ Z| zählt alle Elemente in X \ (Y ∪ Z) sowie in (X ∪ Y ) \ Z einmal, aber Elemente in X ∩ Y ∩ Z gar nichts. Durch das Hinzuaddieren von |X ∩Y ∩Z| erhalten wir die richtige Anzahl der Elemente. 43 3.3 n Mengen Satz 7.16. Seien X1 , . . . , Xn endliche Mengen. Dann gilt |X1 ∪ . . . ∪ Xn | = X (−1)|I|+1 \ Xi (7.3) i∈I I⊂[n] Beweis. Sei x ein Element, der in m von den Mengen X1 , . . . , Xn liegt. OBdA x ∈ Xi für i ≤ m und x ∈ / Xi für i > m. Rechnen wir, wie oft x in der Summe auf der rechten Seite von (7.3) gezählt wird. In |X1 | + . . . + |Xn | wird x genau m Mal gezählt, da er in m Mengen liegt. P m In − i,j |Xi ∩ Xj | wird x genau m 2 Mal gezählt, da es 2 Paaren von Mengen Xi , Xj mit i, j ≤ m gibt. Insgesamt wird x mit der Vielfachheit ! ! ! m m m m− + − . . . + (−1)m+1 2 3 m gezählt. Wegen m X ! (−1)k k=0 m k =0 ist die obige Summe gleich 1. Da alle Elemente von X1 ∪ . . . ∪ Xn genau einmal auf der rechten Seite von (7.3) gezählt werden, ist rechte Seite = linker Seite. Aufgabe 7.17. Jeder der n Gäste hat seinen Hut im Flur abgelegt. Beim Verlassen, als es bereits dunkel war, hat jeder einen zufälligen Hut genommen. Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit, dass keiner der Gäste in seinem eigenen Hut nach Hause gegangen ist? Wie verhält sich diese Wahrscheinlichkeit bei n → ∞? Lösung. Es geht um den Anteil der fixpunktfreien Permutationen unter allen Permutationen der Menge {1, . . . , n}. Sei Xi = {f | f (i) = i} die Menge der Permutationen die i als Fixpunkt haben (der i-te Gast bekommt seinen Hut). Dann ist ∪ni=1 Xi die Menge aller Permutationen, die mindestens einen Fixpunkt haben. Es gilt \ Xi = (n − |I|)! i∈I da ∩i∈I Xi aus den Permutationen besteht, die die Menge I ⊂ {1, . . . , n} identisch auf sich selbst abbilden, und die restlichen n−|I| Elemente beliebig permutieren. 44 Die Anwendung der Inklusion-Exklusion-Formel gibt |X1 ∪ . . . ∪ Xn | = n X k+1 (−1) k=1 n (n − k)! k ! = n X (−1)k+1 k=1 n! k! 1 1 1 = n! 1 − + − . . . + (−1)n+1 2! 3! n! Folglich ist der Anteil der Permutationen mit Fixpunkten gleich 1− 1 1 1 + − . . . + (−1)n+1 2! 3! n! und der Permutationen ohne Fixpunkte 1 1 1 − + . . . − (−1)n+1 2! 3! n! (7.4) Der Grenzwert von (7.4) bei n → ∞ ist e−1 ≈ 0, 368, wobei e = 2, 71828... Es gilt nämlich e=1+1+ 1 1 + + ... 2! 3! und e−1 = 1 − 1 + 1 1 − + ... 2! 3! 45