10.1 10.Einführung in die Festkörperphysik Die Festkörperphysik ist ein Zweig der modernen Physik, in dem mittlerweile ca. 50% aller Physiker arbeiten. Viele moderne Anwendungen insbesondere im Bereich der Informationstechnologien stammen aus dem Bereich er Festkörperphysik. Pauli: „Ich mag den festen Körper nicht, obwohl ich ihn erfunden habe“ Festkörper waren am Beginn des 20. Jahrhunderts weitgehend unverstanden. Einzelne Phänomene wie Ferromagnetismus waren bekannt, aber es gab kein tieferes Verständnis. Mit klassischen Gesetzen ist die Stabilität von Atomen nicht zu verstehen, geschweige denn die Stabilität von Festkörpern? Warum bilden sich Festkörper, welche atomaren Kräfte sind dafür verantwortlich? Warum leiten Metalle den elektrischen Strom so gut? Was unterscheidet Metalle und Isolatoren? 10.1 Elektronen in Metallen Festkörper sind aus einer periodischen Anordnung von Atomen aufgebaut. Diese Atome bilden ein Kristallgitter. Typischerweise gibt jedes Atom ein oder mehrere Elektronen für die Bindung ab, d.h. es gibt positiv ¨geladene Ionenrümpfe und negative Elektronen, die für den Ladungstransport sorgen. Die Elektronen spüren eine Coulomb-Wechselwirkung mit den positiv geladenen Kernen. Führt eine solche Wechselwirkung jedes Mal zu einem Streuereignis? Warum kann ein Metall trotzdem einen kleinen elektrischen Widerstand haben? Modell freier Elektronen (Lorenz und Fermi) Beginn: einfachst möglicher Fall, Wechselwirkung der Elektronen mit dem Gitter wird vollkommen vernachlässigt Sieht zunächst wie eine schlechte Näherung aus, liefert aber erstaunliche Ergebnisse Quantenmechanik: Aufenthaltswahrscheinlichkeit der Elektronen im Kristall wird durch das 2 Quadrat der Wellenfunktion beschrieben, Beschreibt Materiewelle De Broglie: Zusammenhang zwischen Wellenlänge und Impuls, = h p 10.2 p2 2k 2 Kinetische Energie der (freien) Elektronen: E = = 2m 2m Betrachte freie Elektronen, keine Wechselwirkung mit den positiv geladenen Atomen des Gitters Material ist endlich, d.h. Elektronen befinden sich in einem Gebiet der Kantenlänge L Viele derartige Gebiete bilden den Festkörper Schrödingergleichung: 2 k 2 2 k 2 k 2 k + + 2 = E k k 2m x 2 y 2 z für ein freies Elektron Lösungen der Schrödingergleichung sind von der folgenden Form: k e ik r Richtung des Wellenvektors k gibt Laufrichtung der Welle an Periodische Randbedingungen: (x + L, y,z) = (x, y,z) , genauso für y und z 2 4 Ergibt Bedingungen für k : kx = 0,± ,± , entsprechend für ky ,k z L L Wellenvektor nimmt diskrete Werte an -> Energie ist gequantelt Fläche konstanter Energie im k-Raum ist eine Kugel Komponenten des Wellenzahlvektors sind in ganzzahligen Vielfachen von 2 gequantelt L 2 3 Volumen eines Zustands im k-Raum: L Dieses Volumen bietet Platz für zwei Zustände (spin up und spin down) aufgrund des PauliPrinzips Betrachte Kristall vom Volumen L3 Alle möglichen Energiezustände werden ausgehend vom untersten besetzt, bis alle N Teilchen untergebracht sind Fermi-Energie Höchster besetzter Energiezustand wird Fermi-Energie EF genannt. 10.3 Zugehörige Energiefläche im k-Raum mit E=EF wird Fermifläche genannt Die Fermifläche ist eine Kugel im k-Raum mit Radius kF Volumen 4 3 k F bietet Platz für N Teilchen 3 2 3 1 N (2 ) 4 3 k F = N = L 2 2 V 3 3 N Wellenzahl an der Kugeloberfläche, bzw. Fermi-Wellenvektor: kF = 3 2 V 2 2 N Fermi-Energie: E F = 3 V 2m 2 1 3 3 Elektronen an der Oberfläche haben maximale Geschwindigkeit vF Impuls-Geschwindigkeit: pF = mv F = k F , N v F = 3 2 m V 1 3 Alle Parameter des Fermi-Systems hängen von der Konzentration der freien Elektronen n=N/V ab Jetzt kennen wir die höchst mögliche Energie eines Elektrons in Abhängigkeit von der Elektronenkonzentration Beispiel Li, Alkalimetall, 1 freies Elektron pro Atom Elektronenkonzentration: n = 4.6 10 22 cm 3 Fermi-Energie: E F = 4.7 eV Fermi-Geschwindigkeit: v F = 1.310 8 cm s Das sind typische Zahlen für alle Metalle, die zum Schluss nur von der Elektronenkonzentration abhängen 10.4 Fermi-Energie ist viel grösser als kT, bei Raumtemperatur, kB 300 K = 25 meV d.h. für Elektronen nahe an der Fermi-Energie ist die Wärmebewegung praktisch irrelevant Fragestellung: wie viele Ladungsträger nehmen beim Leitfähigkeitsprozess teil? Zustände, die weit unterhalb der Fermi-Energie liegen, können sich nicht bewegen, weil alle Zustände darunter und darüber eingesperrt sind Nur Ladungsträger, die sich nahe an der Fermi-Energie EF befinden, können durch kleine Energien angeregt werden Kleine Energien sind zum Beispiel kleine elektrische Spannungen, die man anlegt, damit ein Strom fliessen kann. Frage: wie viele Elektronen gibt es an der Fermi-Energie? Zustandsdichte Betrachte Kugelschale der Dicke k um mittleren Wellenvektor k Beschreibt gleichzeitig Energieintervall E um mittlere Energie E Volumen der Kugelschale: 4 k 2k Zahl der Zustände in diesem Volumen im k-Raum: dN = 2 ( Zur Erinnerung, Volumen eines Zustands: 2 L Mit E = 2k 2 2m folgt k = 2mE V 2m Daraus folgt dN = 2 2 2 3 ) 4 k 2 dk 3 2 L ( ) 3 und damit dk = 1 m dE 2E 2 E dE dN Definition der Zustandsdichte: D(E) = dE V 1 2m = 2 2 2 3 2 E Zahl der Zustände pro Energieintervall pro Volumen. Fermi-Dirac Verteilung Welchen Einfluss hat die Temperatur auf die Besetzung der Zustände? Klassisches System (kein Spin, kein Pauliprinzip): thermische Besetzung wird über Boltzmann-Verteilung bestimmt 10.5 Fermionen mit spin : Fermi-Dirac Verteilung f (E) = 1 e ( E E F ) / kT +1 1 für E < E F Limes T 0 : Fermi-Verteilung wird zur Stufenfunktion, f (E) = 0 für E > E F T>0: Fermi-Verteilung verliert harte Stufe, wird aufgeweicht über Breite 4 kT Für E E F >> kT folgt f (E) = e( E E F ) / kT = eE / kT e +E F / kT , d.h. Boltzmann-Verteilung im klassischen Limes 10.2 Wärmekapazität des freien Elektronengases Anwendung von Zustandsdichte und Fermi-Dirac-Verteilung Freies (klassisches) Gas: jedes punktförmige Teilchen hat die mittlere kinetische Energie 3 E kin = kT 2 3 Damit ergibt sich für die Wärmekapazität pro Mol: Cmol = Rm 2 Experiment: Wärmekapazität eines freien Elektronengases ist ca. 100 mal kleiner Erklärung: nicht jedes Elektron kann thermische Energie aufnehmen, sondern nur die Elektronen an der Fermi-Energie Wieviele Elektronen gibt es von dieser Sorte: Aufweichung der Fermi-Dirac-Verteilung an T der Fermi-Energie ca. von der Breite kT: N = kT E F = TF N Diese Elektronen nehmen im Mittel die Energie 3 kT auf 2 3 3 T Änderung der innere Energie der Elektronen näherungsweise: U el = N kT N kT 2 2 TF 10.6 Beitrag zur molaren Wärmekapazität: Cmol,el = dU el T T = 3N k 3Rm TF TF dT Exaktes Ergebnis Aufheizen des Elektronengases -> Erhöhung der inneren Energie pro Einheitsvolumen durch Energiebetrag U Gesamte Änderung der inneren Energie: U(T) = EF dE E D(E) f (E,T) 0 Ausdruck für die Gesamtdichte: n = dE E D(E) 0 innere Energie bei T = 0 dE D(E) f (E,T) , n=Konzentration aller Elektronen 0 Wärmekapazität: cV = U = T T 0 0 dE E D(E) f (E,T) = dE E D(E) f (E,T) T Fermi-Energie und Ladungsträgerdichte hängen nicht von der Temperatur ab: n f (E,T) 0= (E F n) = E F = E F D(E) dE T T 0 T Subtraktion der beiden Gleichungen: cV = Die Funktion U = T f (E,T) dE ( E E ) D(E) T F 0 f (E,T) ist nur im ausgeschmierten Bereich um ±2kT verschieden von Null. T Zustandsdichte verändert sich in diesem Energie-Bereich nur sehr wenig, d.h. kann durch f (E,T) c = D(E ) D(E F ) angenähert werden: V F dE ( E E F ) T 0 f(E) ist bekannt, daher ergibt sich für die Ableitung: Abkürzung: x = (E E F ) /kT f (E,T) E E F e(E E F )/ kT = T kT 2 (e(E E F )/ kT + 1) 2 10.7 Damit ergibt sich für die vorige Gleichung-> cV = k 2T D(E F ) dx E F / kT (e x 2e x x + 1) 2 Der Term e x wird für x < E F /kT verschwindend klein, d.h. untere Integrationsgrenze kann gegen verschoben werden x 2e x 2 = Integraltabelle: dx 2 (e x + 1) 3 Gesamtausdruck für spezifische Wärme eines Elektronengases: cV k 2T D(E F ) 2 3 Dieser Ausdruck ist unabhängig von der spezifischen Form der Zustandsdichte D(E), d.h. Gleichung ist auch gültig, wenn die Zustandsdichte von derjenigen eines freien Elektronengases abweicht, was für die meisten Fälle zutrifft Metalle: elektronische Wärmekapazität wird benutzt um die Zustandsdichte an der FermiEnergie zu bestimmen Metalle mit T<<TF: n = EF D(E) dE , wobei D(E) = D(E F ) 0 E EF 2 Rechnung ergibt: n = D(E F )E F 3 kT 2 T 2 nk = nk Spezifische Wärme: cV = EF TF 2 2 Abschätzung: Vorfaktor ist 3 2 Exaktes Ergebnis: 2 Lineare Temperaturabhängigkeit ist experimentell bestätigt, ebenfalls die Grössenordnung ! Messungen müssen bei sehr tiefen Temperaturen erfolgen, damit nicht andere Beiträge zur spezifischen Wärme (Gitterschwingungen) dominant sind. Experimentell: cV = T , wobei = 2 k2 n 2 EF Metall exp (103 J/Mol K2) exp / theo Li 1.7 2.3 K 2.0 1.1 Cu 0.69 1.37 Al 1.35 1.6 Fe 4.98 10.0 10.8