Philosophische Fakultät Institut für Philosophie, Lehrstuhl für Theoretische Philosophie, Dr. Holm Bräuer 6. Philosophie des Geistes Tod und Narr aus dem Großbaseler Totentanz (Kupferstichkopie von Matthäus Merian 1621) SS 2009 Einführung in die Theoretische Philosophie 445 1 Problembereiche Ontologie Körper-Geist-Problem Erkenntnistheorie Priorität der ersten Person Problem des Fremdpsychischen Wissenschaftstheorie Problem der Methodologie Status psychophysischer Gesetze Sprachphilosophie Problem der Bedeutung mentaler Begriffe SS 2009 Einführung in die Theoretische Philosophie 446 Das Leib-Seele-Problem Gibt es neben den physischen Dingen auch noch immaterielle, geistige Entitäten, die die Träger mentaler Eigenschaften sind? Substanz-Dualisten: Ja, es gibt immaterielle, geistige Substanzen und diese sind die Träger psychischer Eigenschaften. Der Geist beeinflusst den Körper (Handlungen) und der Körper den Geist (Wahrnehmungen). In welchen Verhältnis stehen die beiden verschiedenen Entitäten? Physikalisten: Es gibt nur physische Gegenstände. Psychische Eigenschaften treffen, wenn überhaupt, nur auf physische Gegenstände zu. Wenn es nur physische Entitäten gibt, wie lässt sich dann das Bewusstsein physikalisch erklären? SS 2009 Einführung in die Theoretische Philosophie 447 2 Geist und Welt Die charakteristischen Merkmale des Mentalen ... und das Problem der Naturalisierung des Geistes Empfindungen Qualitativer Erlebnischarakter Empfindungen sind in erster Linie durch ihren phänomenalen Erlebnischarakter definiert, durch das, was man erlebt oder fühlt, wenn man eine Empfindung hat, oder die Art, wie es ist, eine solche Empfindung zu haben. Gehirnzustände hat man, aber man erlebt sie nicht. Wie soll es überhaupt möglich sein, dass es sich irgendwie anfühlt ein bestimmtes Wahrnehmungserlebnis (z.B. einer grünen Wiese) zu besitzen, wenn man dabei in einem bestimmten Gehirnzustand ist? Einstellungen Intentionalität Einstellungen wie Überzeugungen, Wünsche, Erwartungen, Befürchtungen usw. zeichnen sich dadurch aus, dass sie auf etwas gerichtet sind, dass sie einen Inhalt besitzen. SS 2009 Manche mentalen Zustände haben einen repräsentationalen Inhalt bzw. sind auf ein bestimmtes Objekt gerichtet. Wie aber ist es möglich, dass physische Zustände dieses Merkmal aufweisen? Einführung in die Theoretische Philosophie 448 Philosophie des Geistes Substanz-Dualismus Spielarten des Physikalismus Semantischer Physikalismus Logischer Behaviorismus Identitätstheorie Funktionalismus Anomaler Monismus Supervenience-Theorie Repräsentationale Theorie des Geistes Theorie intentionaler Systeme Eliminativer Materialismus Die Naturalisierung des Geistes SS 2009 Einführung in die Theoretische Philosophie 449 3 Philosophie des Geistes Substanz-Dualismus Der Mensch besteht aus einem materiellen Körper und einer immateriellen Seele. Die Seele macht das eigentliche Selbst des Menschen aus. Körper und Seele sind nur während des Lebens eines Menschen miteinander verbunden. Nach dem Tode löst sich die Seele vom Körper ab. Die Seele benötigt für ihre Existenz keinen Körper. Sie kann auch ohne diesen, für sich selbst existieren. Während der Körper vergänglich ist, ist die Seele unsterblich. SS 2009 Einführung in die Theoretische Philosophie 450 Platon über die Unsterblichkeit der Seele Platon (427 v. Chr. – 348 v. Chr.) Platon stammte aus vornehmer Familie. Unter dem Einfluss seines Lehrers Sokrates begann er sich, der Philosophie zuzuwenden. Er gründete um 386 v.Chr. in Athen seine eigene Schule, die Akademie. Alle von Platon veröffentlichten Schriften sind überliefert. Seine Schriften sind mit Ausnahme der Apologie (Die Verteidigung des Sokrates) und einer Anzahl Briefen als Dialoge abgefasst. In seinem Werk "Der Staat" entwickelt er seine Theorie des idealen Staates. Später entwickelte er seine Staatstheorie in den "Nomoi" (Gesetze) weiter. In fortgeschrittenem Alter reiste er noch zweimal nach Syrakus auf Sizilien (366 und 361), wo er den jungen Tyrannen Dionysios II unterrichtete. SS 2009 Einführung in die Theoretische Philosophie 451 4 Platon über die Unsterblichkeit der Seele Platons Argumente für den Substanz-Dualismus (Phaidon) Der Zyklus des Entstehens und Vergehens Zu jedem Prozess, der von A nach B führt, muss es einen Prozess geben, der umgekehrt von B nach A führt. Insbesondere muss es zum Prozess des Sterbens den entsprechenden Prozess des Wiederauflebens geben. Erinnerung Wir verfügen über Wissen, das wir nur vor der Geburt erworben haben können. Zu diesem gelangen wir auf die Weise, dass sich die Seele an dieses wieder erinnert. Also muss die Seele schon vor der Geburt existiert haben. Verwandtschaft von Seele und Ideen Während die Seele nach der Erkenntnis ewiger Ideen strebt, richtet sich der Körper auf die Welt der vergänglichen Dinge. Es gibt also eine Verwandtschaft zwischen Körper und vergänglicher Welt und Seele und der Welt der unvergänglichen Ideen. Seele als Lebensprinzip Die Seele verleiht allem, wovon sie Besitz ergreift, Leben. Wenn die Seele allem, denen sie innewohnt, Teilhabe am Leben verleiht und Teilhabe am Tod verhindert, dann kann sie nicht selbst etwas sein, dass vergänglich ist. Also ist die Seele unsterblich. SS 2009 Einführung in die Theoretische Philosophie 452 Descartes: res cogitans und res extensa René Descartes (1596 – 1650) Descartes war Mathematiker und gilt als Gründer des neuzeitlichen Rationalismus. Da er in einer Zeit lebte als traditionelle Ideen hinterfragt wurden, suchte er nach einer Methode, mit der man zu wahrer und gesicherter Erkenntnis kommen konnte. Sein Problem und seine Methode des systematischen Zweifels hatten einen enormen Einfluss auf die nachfolgende Entwicklung der Philosophie, was ihn zu dem „Vater der Philosophie der Neuzeit“ machte. Diskurs über die Methode (1637) Meditationen über die erste Philosophie (1641) Prinzipien der Philosophie (1644) SS 2009 Einführung in die Theoretische Philosophie 453 5 Descartes: res cogitans und res extensa Das metaphysische Argument „Zuerst: da ich weiß, dass alles, was ich klar und deutlich begreife, von Gott in der Weise gemacht werden kann, wie ich es begreife, so reicht es aus, daß ich eine Sache ohne eine andere klar und deutlich begreifen kann, damit ich sicher bin, daß die eine von der anderen verschieden ist, ... Und deshalb: gerade daraus, daß ich weiß, ich existiere, und daß ich bisher nichts anderes zu meiner Natur oder meinem Wesen gehörig bemerke, außer daß ich ein denkendes Ding bin, eben daraus schließe ich mit Recht, daß mein Wesen allein darin besteht, daß ich ein denkendes Ding bin. ... da ich auf der anderen Seite eine klare und deutliche Idee von mir selbst habe, insofern ich ein denkendes, nicht ausgedehntes Ding bin, und auf der anderen Seite eine deutliche Idee vom Körper, insofern dieser nur ein ausgedehntes nicht denkendes Ding ist, so ist, sage ich, gewiß, daß ich von meinem Körper wirklich verschieden bin und ohne ihn existieren kann.“ (René Descartes, Meditationen über die erste Philosophie) SS 2009 Einführung in die Theoretische Philosophie 454 Descartes: res cogitans und res extensa Das naturphilosophische Argument „... gäbe es .... Maschinen, die unseren Körpern ähnlich wären und unsere Handlungen insoweit nachahmten, wie dies für Maschinen wahrscheinlich möglich ist, so hätten wir immer zwei ganz sichere Mittel, um zu erkennen, daß sie keineswegs wahre Menschen sind. Erstens könnten sie nämlich niemals Worte oder andere Zeichen dadurch gebrauchen, daß sie sie zusammenstellen, wie wir es tun, um anderen unsere Gedanken mitzuteilen. ... [Und zweitens:] Sollten diese Maschinen auch manches ebenso gut oder sogar besser verrichten als irgendeiner von uns, so würden sie doch zweifellos bei vielem anderen versagen, wodurch offen zutage tritt, daß sie nicht aus Einsicht handeln, sondern nur aufgrund der Einrichtung ihrer Organe. Denn die Vernunft ist ein Universalinstrument, das bei allen Gelegenheiten zu Diensten steht, während diese Organe für jede besondere Handlung einer besonderen Einrichtung bedürfen.“ (René Descartes, Diskurs über die Methode) SS 2009 Einführung in die Theoretische Philosophie 455 6 Das Leib-Seele-Problem Interaktionistischer Dualismus Körper und Geist stehen in einer kausalen Wechselwirkung. (Descartes, Eccles) Parallelismus Körper und Geist sind kausal voneinander unabhängig. Es besteht aber eine ‚prästabilisierte Harmonie‘ zwischen beiden. (Leibniz) Okkasionalismus Körper und Geist sind kausal voneinander unabhängig. Gott bringt jeweils anlässlich bestimmter Zustände im Körper bestimmte Zustände im Geist hervor und umgekehrt. (Geulincx, Malebranche) Epiphänomenalismus Zwar werden Zustände im Geist von Zuständen im Körper verursacht, aber nicht umgekehrt. (Huxley, Jackson) Eigenschaftsdualismus Zwar sind physische Dinge (biologische Organismen) Träger mentaler Eigenschaften, aber mentale Eigenschaften können nicht auf physikalische Eigenschaften zurückgeführt werden. (Chalmers) SS 2009 Einführung in die Theoretische Philosophie 456 Philosophie des Geistes Spielarten des Physikalismus Semantischer Physikalismus Logischer Behaviorismus Identitätstheorie Funktionalismus Anomaler Monismus und Supervenience Repräsentationale Theorie des Geistes Instrumentalismus Eliminativer Materialismus SS 2009 Einführung in die Theoretische Philosophie 457 7 Semantischer Physikalismus Rudolf Carnap Carl G. Hempel Paul hat Zahnschmerzen. „Im besonderen haben zwei verschieden formulierte Aussagen dann und nur dann dieselbe Bedeutung oder denselben faktischen Inhalt, wenn sie unter denselben Bedingungen beide wahr bzw. beide falsch sind.“ (C.G. Hempel: „The Logical Analysis of Psychology“) Paul jammert und hält sich die Wange. Auf die Frage „Was hast du denn?“ antwortet Paul „Ich habe Zahnschmerzen.“ Bei genauerer Untersuchung zeigt sich, dass einer von Pauls Zähnen kariös und der Nerv angegriffen ist. Pauls Blutdruck und Reaktionsfähigkeit sind in bestimmter Weise verändert. In Pauls Zentralnervensystem spielen sich bestimmte charakteristische Prozesse ab. usw. SS 2009 Einführung in die Theoretische Philosophie 458 Semantischer Physikalismus X möchte genau dann einen Schnaps trinken, wenn folgendes gilt: (i) wenn x zuhause ist und sich ein Schnaps im Kühlschrank befindet, holt sich x den Schnaps aus dem Kühlschrank (falls x glaubt, dass sich im Kühlschrank ein Schnaps befindet). (ii) wenn x im Restaurant ist, bestellt sich x einen Schnaps (falls x keinen dringenderen Wunsch hat, der damit unvereinbar ist). (iii) wenn man x einen Schnaps anbietet, nimmt er ihn sofort an (falls x keinen Grund hat, ihn abzulehnen). (iv) usw. X glaubt genau dann, dass im Kühlschrank Schnaps steht, wenn folgendes gilt: (i) wenn x zuhause und ein Schnaps im Kühlschrank ist, holt x sich den Schnaps aus dem Kühlschrank (falls x einen Schnaps trinken möchte). SS 2009 Einführung in die Theoretische Philosophie 459 8 Wittgensteins Privatsprachenargument E SS 2009 „Stellen wir uns diesen Fall vor. Ich will über das Wiederkehren einer gewissen Empfindung ein Tagebuch führen. Dazu assoziiere ich sie mit dem Zeichen ‚E‘ und schreibe in einen Kalender zu jedem Tag, an dem ich die Empfindung habe, dieses Zeichen. – Ich will zuerst bemerken, dass sich eine Definition des Zeichens nicht aussprechen läßt. – Aber ich kann sie doch mir selbst als eine Art hinweisende Definition geben. ... ich spreche, oder schreibe das Zeichen, und dabei konzentriere ich meine Aufmerksamkeit auf die Empfindung ... Eine Definition dient ... dazu, die Bedeutung eines Zeichens festzulegen. – Nun, das geschieht eben durch das Konzentrieren der Aufmerksamkeit; denn dadurch präge ich mir die Verbindung des Zeichens mit der Empfindung ein. – ‚Ich präge sie mir ein‘ kann doch nur heißen: dieser Vorgang bewirkt, daß ich mich in Zukunft richtig an diese Verbindung erinnere. Aber in unserem Falle habe ich ja kein Kriterium für die Richtigkeit. Man möchte hier sagen: richtig ist, was immer mir als richtig erscheinen wird. Und das heißt nur, daß hier von ‚richtig‘ nicht geredet werden kann.“ (Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen, § 258) Einführung in die Theoretische Philosophie 460 Wittgensteins Privatsprachenargument Die normative Sicht auf Bedeutung Ein Ausdruck kann nur dann eine Bedeutung besitzen, wenn es für seine Anwendung Korrektheitsstandards gibt, die uns sagen, wann wir den Ausdruck richtig verwenden und wann nicht. Den Ausdruck „rot“ auf rote Dingen anzuwenden, ist beispielsweise richtig; ihn auf grüne oder blaue Dinge anzuwenden, dagegen falsch. Das Privatsprachenargument E Annahme 1: Für die Anwendung eines Ausdrucks muss es öffentlich zugängliche Kriterien geben, da wir ansonsten keine Korrektheitsstandards bilden können, die uns sagen, wann der entsprechende Ausdruck richtig bzw. falsch angewendet wird. (Die normative Sicht auf Bedeutung) Annahme 2: Wenn sich mentale Ausdrücke auf private, innere Phänomene beziehen, von denen nur die jeweilige Person selbst wissen kann, ob sie vorliegen oder nicht, dann gäbe es für diese Ausdrücke keine Korrektheitsstandards und auch keine richtigen oder falschen Anwendungen. Konklusion: Mentale Ausdrücke können sich nicht auf private, innere Phänomene beziehen, von denen nur die jeweilige Person selbst wissen kann, ob sie vorliegen oder nicht. (These von der Unmöglichkeit einer Privatsprache) SS 2009 Einführung in die Theoretische Philosophie 461 9 Logischer Behaviorismus Gilbert Ryle (1900-1976) Ryle gilt als einer der Hauptvertreter des logischen Behaviorismus. Ryle ist ein britischer Philosoph, der in Oxford lehrte. Er hatte einen enormen Einfluss auf die Entwicklung der analytischen Philosophie. Innerhalb der Sprachphilosophie gilt er neben Austin und dem späten Wittgenstein als ein Vertreter der Ordinary-LanguagePhilosophy. Auf dem Gebiet der Philosophie des Geistes gilt er als einer der wichtigsten Kritiker des Dualismus. „Systematically Misleading (1932) „Categories“ (1938) The Concept of Mind (1949) Dilemmas (1954) SS 2009 Einführung in die Theoretische Philosophie Expressions“ 462 Logischer Behaviorismus „Ich hoffe zu zeigen, dass [die offizielle Lehre] ganz und gar falsch ist, nicht nur in Einzelheiten, sondern grundsätzlich. ... Sie besteht aus einem einzigen großen Irrtum, einem Irrtum ganz besonderer Art, nämlich einer Kategorienverwechslung. Sie stellt die Tatsachen des Geisteslebens so dar, als gehörten sie zu einem bestimmten logischen Typ oder einer Kategorie ..., während sie in Wirklichkeit zu einer anderen gehören. Das Dogma ist daher ein philosophischer Mythos.“ (Gilbert Ryle, Der Begriff des Geistes) Kategorienfehler Zwei Ausdrücke α und β gehören zu derselben Kategorie, wenn man α in allen Kontexten, in denen die Verwendung von α sinnvoll ist, durch β ersetzen kann und umgekehrt, ohne dass Unsinn entsteht. Ein Kategorienfehler liegt dann vor, wenn man einen Ausdruck α so behandelt, als gehöre er zu der Kategorie A, während er zu der Kategorie B gehört. Dualismus: Mentale Ausdrücke wie „sich erinnern“, „denken“, „wahrnehmen“, „wollen“ usw. beziehen sich auf verborgene Ereignisse im Inneren oder im Geist eines Menschen und sie verursachen sein äußeres Verhalten. Logischer Behaviorismus: Wir verwenden diese Ausdrücke statt dessen, um öffentlich beobachtbare Handlungen auf eine spezifische Weise zu charakterisieren. Geistiges steht also nicht hinter den beobachtbaren Handlungen, sondern ist eine spezielle Art und Weise, die Organisation dieser Handlungen selbst zu beschreiben. SS 2009 Einführung in die Theoretische Philosophie 463 10 Logischer Behaviorismus Wann ist eine Handlung intelligent? Dualist: Eine Handlung ist intelligent, wenn sie durch eine Überlegung verursacht wurde. Ryle: Eine Handlung ist intelligent, wenn sie richtig und erfolgreich ausgeführt wird, und wenn der Handelnde fähig ist, in seinem Vorgehen Fehler zu entdecken und auszumerzen, Erfolge zu wiederholen und zu vergrößern etc. Wann ist eine Handlung willentlich? Dualist: Eine Handlung ist willentlich, wenn sie durch einen Willensakt verursacht wurde. Ryle: Eine Handlung ist willentlich, wenn der Handelnde die Kenntnisse und Fähigkeiten besitzt, die Handlung richtig auszuführen und wenn er nicht durch äußere Umstände von der richtigen Ausführung der Handlung abgehalten wurde. SS 2009 Einführung in die Theoretische Philosophie 464 11