Übung im Bürgerlichen Recht für

Werbung
Dr. Stephan Madaus
Vertreter des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht,
Deutsches, Europäisches und Internationales
Unternehmensrecht (Prof. Dr. Horst Eidenmüller, LL.M.)
21. Januar 2011
Übung im Bürgerlichen Recht für Fortgeschrittene
Übungsfall
Biologieprofessor P. hat von einer Reise nach Südkorea Ginseng-Wurzeln mitgebracht, die er einem befreundeten Pharmakologen zu Forschungszwecken zur Verfügung stellt. Infolge eines Versehens wurde Prof. P in der Presse bald neben anderen Wissenschaftlern als einer der bekanntesten Ginseng-Forscher Europas bezeichnet.
Kaufmann S vertreibt seit Jahren ein Kräftigungsmittel, das Ginseng enthält. Er bringt
nun einen neuen Werbeprospekt heraus, in welchem sich unter anderem folgende
Aussage findet: „Nach Ansicht bedeutender Wissenschaftler, wie Prof. K oder Prof.
P, wirkt Ginseng als reines Naturprodukt auf den gesunden Organismus erneuernd,
kreislauffördernd, aufbauend bei Drüsen- und Potenzschwäche. Sie ist Hauptbestandteil der asiatischen Liebestränke und soll von den Frauen allabendlich genommen werden.“
Prof. P erfährt von seiner Nennung in dem Prospekt nach dessen erstem Erscheinen
und verlangt von S, nicht mehr mit seinem Namen zu werben. S setzt davon ungerührt die Werbung mit seinen Prospekten fort.
1. Kann Prof. P nun eine „Entschädigung“ für die Verwendung seines Namens
von S verlangen?
2. Kann Prof. P von S das Unterlassen der weiteren Werbung fordern?
Lösung:
BGHZ 35, 363 – Ginsengwurzel (1961); BGH NJW 1992, 2084, 2085
Fezer, Klausurenkurs zum Schuldrecht, 7. Aufl. 2009, Fall 52
A. Anspruch des P gegen S auf Schadenersatz
Vertragliche Beziehungen bestehen nicht.
Ansprüche aus Quasivertrag und GoA sind ebenfalls nicht ersichtlich.
I.
aus § 826 BGB
1. vorsätzliche Schädigung des P?
- S handelte vorsätzlich, als er den Werbeprospekt mit Nennung des P trotz der Warnung des
P weiter nutzte
ABER: Schaden?
-
es ist im Sachverhalt kein konkreter Schaden bei P erkennbar
(etwa als entgangener Gewinn)
Ergebnis: Ein Anspruch des P gegen S aus § 826 BGB besteht nicht.
II.
aus § 823 I BGB
In Betracht kommt ein Anspruch des P gegen S auf Schadenersatz gemäß § 823 I BGB.
1. Rechtsgutsverletzung?
- Eigentumsverletzung? – sein Name ist ein vermögenswertes Recht, aber keine Sache
= kein Teil seines Eigentums
=(-)
- sonstiges Recht?
- allgemeines Persönlichkeitsrecht
= aus Art. 1 I, 2 I GG hergeleitet und als sonstiges Recht anerkannt (BGHZ 13, 334)
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(noch das RG lehnte dies als zu unbestimmt und offen ab)
(neben den besonderen Persönlichkeitsrechten (Name, § 12 BGB; Urheberrecht, § 11
UrhG, Recht am eigenen Bild, § 22 KunstUrhG)
= Bündel von Schutzpositionen = Rahmenrecht = offener Tatbestand:
Eingriff in Recht der Person des P:
-
Ehrverletzung durch Bezug zu Potenzmittel
-
Unbefugte Benutzung der eigenen Person (Name und wiss. Ruf)
2. durch ein Handeln des S:
Der Werbeprospekt stammt von ihm = (+)
3. Rechtswidrigkeit
Wegen des offenen Tatbestandes kann nicht jeder Rechtseingriff auch die RW indizieren.
 Güter- und Interessenabwägung notwendig!
a) Feststellen der beteiligten Interessen
-
Kommerzielles Interesse des S
-
wissenschaftlicher Ruf/ Ehre des P
 hier keine berechtigten Interessen des S = Interessen des P überwiegen
(sonst b): Grundrechtsrelevanz/RM der Handlungen des S – etwa aus Art. 5, 8 GG
 Abwägung nach Sphären: Intimsphäre/Privatsphäre/Individualsphäre)
= Interessen des P überwiegen = Handeln des S ist rechtswidrig
4. Verschulden
Vorsatz = (+)
5. Schaden
a) Vermögensschäden, §§ 249 ff. BGB:
- bei der Beeinträchtigung vermögenswerter Interessen aus den Persönlichkeitsrechten
= insbesondere bei der kommerziellen Nutzung des Rechts durch den Schädiger
 hier Werbung mit Namen des P = (+)
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P: Schadensberechnung?
(1) konkreter Schaden entstanden?
(Bsp: entgangener Gewinn etwa durch Einnahmeeinbußen, Kündigung)
= hier nicht ersichtlich
(2) abstrakte Schadensberechnung des entgangenen Honorars/Gewinns über eine Lizenzanalogie (BGHZ 26, 349; 44, 372)
= angemessene Lizenzgebühr
(3) statt der bisherigen Ansprüche auch den vom Schädiger erzielter Gewinn
= hier der aus dem Umsatzzuwachs durch die Werbung erzielte Gewinn des S
b) Immaterieller Schaden, § 253 I BGB
- § 253 I BGB erlaubt in bestimmten gesetzlich bestimmten Ausnahmefällen auch die Geltendmachung eines Nichtvermögensschadens (Bsp: Schmerzensgeld, entgangene Urlaubsfreude).
 eine solche spezielle Regelung fehlt für die Persönlichkeitsrechtsverletzung
- § 253 II BGB gewährt in Fällen der Verletzung bestimmter absoluter Rechte den Ersatz
immaterieller Interessen.
 auch dort ist das Persönlichkeitsrecht nicht erfasst
= h.M.:
Lücke ist wegen der besonderen verfassungsrechtlichen Bedeutung des Persönlichkeitsrechts zu schließen
= § 253 BGB analog
ABER: besondere Entschädigung ist nur bei schweren Verletzungen gerechtfertigt, in denen die Ansprüche auf Beseitigung (Widerruf), Unterlassung und
den Ersatz von Vermögensschäden nicht für eine Genugtuung ausreichen
-
Kriterien: - Bedeutung und Tragweite des Eingriffs
- Anlass und Motiv des Schädigers
- Grad des Verschuldens
 danach liegt schwerwiegende Verletzung vor (S handelte vorsätzlich)
= angemessene Entschädigung – laut BGH 8.000 DM (BGHZ 35, 363)
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Literatur:
unzulässige Rechtsfortbildung, da für den ausreichenden Schutz des Persönlichkeitsrechts die vorhandenen Ansprüche ausreichen
 keine Entschädigung
Streitentscheidung:
Neufassung des § 253 BGB im Jahr 2002 in Kenntnis des Streits und
dennoch ohne Erwähnung des PersR = Analogie unmöglich = eher für Literatur
ABER: h.M. leitet die Entschädigung heute direkt aus Grundrechten ab = vom Gesetzgeber
stillschweigend akzeptiert?!
= Ergebnis offen
6. Ergebnis: P hat gegen S einen Anspruch auf eine angemessene Lizenzgebühr oder aber den
aus der Werbung erzielten Gewinn sowie eine Entschädigung aus § 823 I BGB.
III.
aus § 812 I 1 2. Alt. BGB
Ein „Entschädigungsanspruch“ kann sich schließlich auch als Anspruch auf Erlösherausgabe
darstellen. Es geht mithin um die Herausgabe einer Bereicherung des S, so dass die Eingriffskondiktion zu prüfen ist.
Hinweis zur Relevanz neben dem Deliktsrecht: über die Kondiktion haftet der Beklagte stets
verschuldensunabhängig!! (vgl. den Fall bei BGH NJW 1992, 2084)
1. Zunächst müsste S etwas erlangt haben. S hat hier den guten Ruf des P genutzt, um Werbung zu betreiben und seinen Umsatz zu steigern. S hat also den Namen des P zum eigenen
Vorteil genutzt. Problematisch ist in solchen Fällen, was als Erlangtes anzusehen ist.
früherer BGH:
Das Erlangte liegt allein in der Ersparnis von eigenen Aufwendungen
(Flugreisefall, BGHZ 55, 128)
= S hätte P für die Werbung mit seinem Namen honorieren müssen =
eigene Kosten durch das Verwenden des fremden Namens erspart
h.M.:
Das Erlangte ist der Gebrauchsvorteil selbst als immaterieller, vermögenswerter Vorteil. Die Frage der Ersparnis von eigenen Aufwendungen wird erst bei der Entreicherung relevant.
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= S hat den Namen des P kommerziell genutzt und damit einen vermögenswerten Vorteil erlangt.
Streitentscheidung:
Die h.M. trennt zutreffend die Frage nach dem Vorliegen eines Vorteils
für den Bereicherten von der Frage danach, ob dieser Vorteil noch im
Vermögen des Bereicherten vorhanden ist. Inzwischen ist zudem anerkannt, dass auch eine Gebrauchsmöglichkeit an sich ein Vermögenswert ist (siehe z.B. das Marken-/Lizenzrecht).
Streitentscheidung kann hier unterbleiben, da gleiche Ansichten. Ansonsten wäre der h.M. zu
folgen. Dogmatisch wird zutreffend zwischen dem Erlangten und der Entreicherung unterschieden. S hat den Nutzungsvorteil erlangt.
2. Dies müsste in sonstiger Weise, also nicht durch Leistung durch P oder eines Dritten, geschehen sein. S verwendete den Namen des P ohne eine Handlung des P oder eines Dritten.
Die Bereicherung erfolgt folglich nicht durch eine Leistung, sondern in sonstiger Weise.
3. Die Bereicherung müsste dann durch einen Eingriff auf Kosten des Bereicherungsgläubigers, also auf Kosten des P, erfolgt sein.
h.M:
Ein Eingriff ist jede Bereicherung des Schuldners (eine besondere Eingriffshandlung
ist nicht notwendig). Dieser findet "auf Kosten" eines anderen statt, wenn er in eine
Rechtsposition erfolgt, die diesem anderen zugewiesen ist (Loewenheim, Bereicherungsrecht, 2. Aufl., S. 97) („Lehre vom Eingriff in den Zuweisungsgehalt“).
= Die Nutzung des Namens ist dem jeweiligen Namensträger, also P, zugewiesen (§
12 BGB; Persönlichkeitsrechtsverletzung). Dieser ist daher Bereicherungsgläubiger.
Eine Bereicherungshandlung im Sinne einer Eingriffshandlung des B ist nicht notwendig.
M2:
Ein Eingriff liegt nur in einer Vermögensverschiebung vom Ent- auf den Bereicherten, d.h. der Bereicherung muss eine Entreicherung entsprechen.
= Sieht man das Erlangte in der Nutzungsmöglichkeit, so hatte S diese von P erlangt.
RG:
Ein Eingriff ist jeder unmittelbare Erwerb der Rechtsposition des Bereicherten
vom Anspruchsteller (kein Zwischenerwerb eines Dritten!!).
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= Ein Zwischenerwerb liegt hier nicht vor; S erlangte die Nutzungsmöglichkeit unmittelbar von P.
Aufgrund der gleichen Ergebnisse aller Ansichten ist für unseren Fall keine Streitentscheid
notwendig. Ein Eingriff auf Kosten des P liegt vor.
4. Der Eingriff müsste schließlich ohne rechtlichen Grund erfolgt sein.
früher: Rechtsgrund fehlt nur bei einer Rechtswidrigkeit des Eingriffs (nur bei rechtswidrigen Handlungen).
= hier fehlt es an jeglicher Rechtfertigung der Handlung des S = Rechtswidrigkeit ist
gegeben
h.M.
Lehre vom Zuweisungsgehalt: Die durch den Eingriff entstandene Vermögenslage
muss dem Zuweisungsgehalt des fremden Rechts widersprechen, d.h. der erlangte
Vorteil muss nach der Rechtsordnung einem anderen gebühren (insbesondere Forderungen und absolute Rechte ordnen Vermögenswerte bestimmten Personen zu).
= hier gebührt der durch S erlangte Vorteil (Nutzung des Namens) dem P
= Streitentscheidung kann unterbleiben
5. Rechtsfolgen des Anspruchs aus § 812 BGB
a) Umfang und Inhalt des Anspruchs:
Eine Herausgabe der Nutzung in Natur gemäß § 818 I BGB ist für S nicht möglich. Er
ist daher nach § 818 II BGB zum Wertersatz verpflichtet. Das ist hier also der kommerzielle Wert der Nutzung des Namens von P („angemessene Lizenzgebühr“).
b) Einwand der Entreicherung gem. § 818 III BGB:
Der erlangte Vermögensvorteil muss schließlich noch im Vermögen des Bereicherten
vorhanden sein, da lediglich die Bereicherung abgeschöpft werden soll. Der Streit über
den Gegenstand des Erlangten setzt sich hier fort:
Frühere Rsp: Sieht man in der Ersparnis von eigenen Aufwendungen bereits die
Bereicherung, so kann es eine Entreicherung denklogisch nicht geben; vielmehr sind alle Fragen einer dauerhaften Vermögensmehrung
bereits beim Erlangten zu prüfen und die Wertungen des § 819 I BGB
sind dort bereits zu berücksichtigen (vgl. wieder den Flugreisefall)
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= hier hatte S ein Honorar für P erspart = keine Entreicherung.
h.M:
Sieht man hingegen das Erlangte in der tatsächlichen Nutzungsmöglichkeit eines fremden Rechts, so ist die Frage nach einer noch vorhandenen Bereicherung im Schuldnervermögen tatsächlich zu prüfen und
nur zu bejahen, wenn durch die Nutzung eigene Aufwendungen erspart wurden, die das Vermögen noch bereichern.
= S hat hier eigene Aufwendungen (Honorar) erspart, da er für die
Verwendung von Expertennamen sonst hätte bezahlen müssen. Ein
dauerhafter Vermögensvorteil ist gegeben. Eine Entreicherung nach
§ 818 III BGB liegt damit nicht vor.
Die Streitentscheidung kann unterbleiben. Ein Wegfall der Bereicherung gem. § 818
III BGB ist nicht gegeben.
6. Ergebnis: Es besteht ein Anspruch des P gegen S auf Wertersatz aus § 812 I 1, 2. Alt. BGB.
B. Anspruch auf Unterlassung
Vertragliche Ansprüche sind wiederum nicht ersichtlich. Auch Schadenersatz- und Herausgabeansprüche haben nicht den Inhalt, einen anderen zum Unterlassen künftigen Verhaltens zu
zwingen, da sie stets einen vorhandene Schaden bzw. eine vorhandene Bereicherung voraussetzen.
I.
aus § 1004 I 2 BGB
P könnte einen Anspruch gegen S auf die Unterlassung der Werbung aus § 1004 I 2 BGB haben.
1. Zunächst müsste eine Eigentumsbeeinträchtigung bei B vorliegen. Dies ist gemäß § 1004
I 1 BGB jede Eigentumsstörung, die nicht in einer Besitzentziehung besteht. S wirbt hier allein mit dem Namen des P. Eine Eigentumsverletzung liegt darin nicht, so dass auch eine Eigentumsstörung nicht vorliegt.
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II.
aus § 12 BGB
Der Beseitigungs- und Unterlassungsanspruch aus § 12 BGB setzt voraus, dass jemand das
Recht zum Gebrauch eines Namens bestreitet (liegt hier offensichtlich nicht vor) oder aber
den gleichen Namen unbefugt benutzt („Namensanmaßung“).
 S wirbt mit dem Namen des P, indem er diesen als Experten in seinem Werbeprospekt anführt
= nur eine Namensnennung, aber keine Anmaßung des fremden Namens als eigenen (Gefahr
einer Zuordnungsverwirrung)
Ergebnis: § 12 BGB ist nicht einschlägig.
III.
aus §§ 823 I, 1004 I 2 BGB
1. Wenn keine Eigentumsverletzung vorliegt, wohl aber ein anderes der in § 823 I BGB benannten absoluten Rechte beeinträchtigt wird, so findet sich im Gesetz kein ausdrücklicher
Unterlassungs- oder Beseitigungsanspruch. Dennoch ist die Schutzbedürftigkeit des Rechtsträgers allgemein anerkannt, weshalb die notwendigen „quasinegatorischen Ansprüche“ aus
einer analogen Anwendung des § 1004 I BGB („actio negatoria“) auf die Rechtsgutsverletzungen des § 823 I BGB hergeleitet werden. Eine solche Rechtsgutsverletzung liegt hier mit
der Persönlichkeitsrechtsverletzung des P durch S vor (siehe oben).
2. S müsste Störer im Sinne des § 1004 I BGB sein, d.h. ihm muss die Beeinträchtigung zuzurechnen sein. S hat hier die Störung unmittelbar durch eigene Handlungen herbeigeführt
(siehe oben) und ist damit Handlungsstörer. S ist daher als Störer anzusehen.1
3. Für einen Unterlassungsanspruch muss gemäß § 1004 I 2 BGB zudem eine Wiederholungsgefahr bestehen. Hierzu ist grundsätzlich eine nicht nur denkbare, sondern begründete
Wahrscheinlichkeit für eine künftige Störung notwendig, die allerdings bei Vorliegen einer
1
Vgl. zu Tierhaltern als Störer etwa OLG Köln NJW 1985, 2338 oder MünchKomm/Medicus, BGB, § 1004 Rn.
22.
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vorangegangenen Verletzung vermutet wird. Eine nochmalige Verwendung der Werbeprospekte ist aufgrund des bisherigen Verhaltens des S wahrscheinlich und eine
Wiederholungsgefahr damit zu bejahen.
4. Weiters darf der Verletzte nicht gemäß § 1004 II BGB zur Duldung der Störung verpflichtet sein. Eine Duldungspflicht aus vertraglichen Absprachen zwischen S und P gibt es nicht.
Eine andere Grundlage für eine solche Pflicht ist nicht ersichtlich (insbesondere § 906 BGB
ist nicht einschlägig).
5. Ergebnis: P hat einen Anspruch gegen S auf Unterlassung der Werbung gemäß §§ 823 I,
1004 I 2 BGB.
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