Erwachsene Patienten mit gehäuften Infektionen Diagnose und Therapie primärer Immundefekte H.H.Peter Department Rheumatology & Clinical Immunology Center for chronic immunodeficiency (CCI) University Hospital Freiburg, Germany Was ist ein Immundefekt ? • Ein Patient leidet unter einem Immundefekt, wenn er über längere Zeit (>1 Jahr) vermehrt an Infektionen erkrankt und messbare Störungen seines natürlichen oder adaptiven Immunsystems nachweisbar sind. • Folgende Krankheiten treten bei immundefekten im Vergleich zu gesunden Personen gehäuft auf: • Infekte, Autoimmunkrankheiten, Tumore Primäre und sekundäre Immundefekte Primäre Immundefekte (PID): Genetische Ursache nachgewiesen oder wahrscheinlich. Sekundäre Immundefekte (SID): “immunocompromised host” als Folge von Infektionen, Malignomen, OP-Stress, Trauma, enteralem und renalem Eiweißverlust, MedikamentenEinnahme oder Mangelernährung. SID 10x häufiger als PID Meist Chronisch Meist Temporär Inzidenzen von primären Immundefekten (PID) 1. Ursache von PID sind genetische Störungen, welche die Entwicklung und Ausreifung der Zellen des Immunsystems beeinflussen 2. Weit über 170 erbliche PID sind bis dato publiziert, Zahl steigend; ihre genauen Inzidenzen sind nur z. T. bekannt 3. Schätzungsweise jeder 500. Mensch hat einen primären Immundefekt, wobei die Mehrzahl der Fälle mild verläuft und unentdeckt bleibt 4. Etwa 1 aus 2.500–5.000 Neugeborenen haben vermutlich einen PID. Alle Frühgeborenen haben einen temporären Immundefekt. Warnsymptome für Immundefizienz beim Erwachsenen 1. Drei oder mehr Infektionen von > 3 Wochen Dauer pro Jahr 2. Schwere und ungewöhnliche Infektionen: Recurrent Sinubronchitiden, Pneumonien, Meningitis, septische Arthritis, Osteomyelitis, Sepsis Organabszesse, TBC, recurrente Salmonellose 3. Opportunistische Infektionen, z.B. P.carinii, atyp.mycobacteria 4. Diarrhoe von > 3 Wochen Dauer, z.B. Lambliasis 5. Fieber >38°, unklare Genese von >3 Wochen Dauer (FUO) Modified from Grimbacher et al Warnsymptome für Immundefizienz beim Erwachsenen 6. >10% Gewichtsverlust, Minderwuchs, Kachexie 7. Schlechte oder fehlende Impfantworten 8. Splenomegalie u/o persistente Lymphadenopathie 9. Zytopenien (inklusive Autoimmunformen) 10. Nicht verkäsende Granulome in verschiedenen Organen 11. Familienanamnese für primäre Immundefizienz 12. Recurrentes Angiooedem (M. Quincke) Modified from Grimbacher et al 10 Warnsymptome für PID im Erwachsenenalter 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. ≥ 2 neue Ohrinfektionen pro Jahr ≥ 2 NNH-Infektionen pro Jahr ohne Allergieanamnese Eine Pneumonie pro Jahr seit ≥ 1Jahr Chronische Durchfälle mit Gewichtsverlust Rez. Virusinfektionen (Grippe, Herpes, Warzen, Condylomata) Wiederholte Notwendigkeit einer iv-Antibiotika-Therapie Wiederholte tiefe Haut- oder Organabzesse Wiederholte Mukositis oder Candida-Infektionen der Haut Infektionen mit normalerweise harmlosen atyp. Mykobakterien Familienanamnese mit PID JMF Proposal Störungen des Immunsystems Sekundäre Immundefekte (SID) • • • • • • • • Nephrose NHL, Myelom Enteraler Eiweißverlust Malnutrition Z.n. Splenektomie, Z.n. Thymektomie Chemotherapie, Radiatio Polytrauma, OP-Trauma Häufigkeit primärer Immundefekte (PID) Ergebnisse eines Europäischen Registers 2006 Quelle: EU PID Consensus Conference 2006 Prevalence in the EU, Prof Lennart Hammarström Karolinska Institutet, Stockholm based on ESID Registry (10.231 Patienten) Aufgaben des Immunsystems 1. Schutz des Körpers vor biologischen Gefahren: >Frühwarnsystem und schnelle Eingreiftruppen >nachhaltige Spezialeinheiten >Entwicklung eines Gedächtnisses 2. Aufrechterhaltung der körperlichen Integrität durch interne Qualitätskontrolle -> Toleranz der intakten körpereigenen Strukturen -> Elimination alterierter Zellen, Debris u. ä. Primäre und sekundäre Organe des Immunsystems Primäre lymphoide Organe: Knochenmark Thymus Sekundäre lymphoide Organe: Tonsillen Rachenmandeln Regionale Lymphknoten Mesenteriale Lymphknoten Hiläre Lymphknoten Milz Blut, Lymphe MALT: Lamina propria mucosae Peyers Plaques Appendix Thymus Bone marrow Ontogenese der Abwehrzellen T‐cytotox. CD8+ TC T reg Adaptives Immunsystem Thymus TC CD4+CD25+ TC T‐Helper Lymphoid SC Knochenmark Fetale Leber TC BC BC B‐memory cell DC Dendritic cell SC Angeborenes Immunsystem Plasmacell BC SC CD4+ Myeloid MΦ Makrophage (Monozyt) G NK NK cell Granulocyte (PMN) Stufenorganisation des Immunsystems Bacteria Viren 2 …. .. . NK DC Dendritic cells 1 1. Grenzflächenbarrieren Granulocytes Angeborenes Immunsystem: A. Frühwarnsystem durch 2. Dendritische Zellen 3. NK‐Zellen 4 3 B. Schnelle Eingreiftruppe mit Abräumfunktion 4. Granulozyten und Makrophagen Macrophages DC 5 T T‐ and B‐ lymphocytes B Effektor T‐cells 7 6 PC Bm Plasma cells 8 C‘ C‘ CC C C‘ C C C CC Antibodies Adaptives Immunsystem 5. T‐B‐Zell‐Interaktion 6. B‐Zell‐Reifung 7. Plasmazellen ‐> AK-Bildung 8. Gedächtnis‐B‐Zellen B-Zell-Reifung im Knochenmark und in der Peripherie M Bruton (BTK,Igα, μ‐chain) ) Immature Transitional 1, 2 5 IgM 10 Pre-B II Mature Naive B Cell IgD Pre-B I IgM 0.1 Pro-B CD10 CD38 HSC CVID, HIM 5 CD34 CD19 Knochenmark: Antigen-unabhängige Reifung CD10 CD19 CD19 Milz, Lkn: (Auto-)Antigenabhängige Reifung Kohlehydrat‐Antigene, repetitive Epitope , Kein ‚antigen processing‘ B1 Marginalzone der Milz IgM Gedächtnis‐B‐Zellen Polypeptide‐Antigene, Ag‐Processierung, Präsentation durch MHC II und T‐Zell‐Hilfe sind erforderlich B2 Keimzentren von Tonsillen, LKN, Milz, IgG, IgA Gedächtnis‐B‐Zellen B-Zellen: produzieren Ig-Klassen und repräsentieren die humorale Immunität Serum-Immunoglobulin-Muster IgG 7.0-16.0 g/l SLE IgG1 5.2-8.5 g/l Normal IgG2 2.5-4.0 g/l IgG3 0.5-1.6 g/l IgG4 0.2-0.5 g/l polyclonal MGUS Myeloma monoclonal < 5.0 g/l IgA 0.7-4.5 g/l < 0.7 g/l IgM 0.4-2.3 g/l < 0.4 g/l IgE 0.0001g/l (10-100 IU/ml) IgD 0.03 g/l CVID Killer-Zell-Reaktionen repräsentieren die zelluläre Immunität Cell-mediated cytotoxicity (CMC) gegen virus-infizierte Zellen: 1. IFN-γ vermittelt 2. Direktes Killing von virus-infizierten Zellen durch zytotoxische CD8+ Killer Zellen: a. Perforin-vermittelt b. durch Apoptose-Induktion (Fas-Fas-L) 3. Killing durch NK-Zellen direkt oder durch ADCC 4. Killing durch Makrophagen 64 PID-Zentren aus 28 Ländern melden dem ESID Register Die wichtigsten registrierenden ESID-Zentren in Europa Häufigkeit primärer Immundefekte (PID) Ergebnisse eines Europäischen Registers 3/2010 CVID Basierend auf 10.940 registrierten PID Fällen Annäherung an den Immundefekt-Patienten Anamnese: Art der Infekte erfragen! 1) Rezidivierende bakterielle Infekte des Respirationsund Gastrointestinaltraktes (>3x, >3 Wochen pro Jahr) Verdächtig für Antikörpermangel 2) Ungewöhnliche (=opportunistische) Infektionen: Verdächtig für T-Zelldefekte 3) Abszessbildungen: Verdächtig für Neutropenien oder Phagozytendefekte. Häufigkeit Infekte an den Körpergrenzflächen Respirations‐ Trakt: Gastrointestinal‐ Trakt: Uro‐ genitaltrakt: Haut/ Hautanhangs‐ organe: Rhinitis Sinusitis/Otitis/Lary ngitis Bronchitis Bronchiektasen Pneumonie Stomatitis Oesophagitis Gastritis Duodenitis/Enteritis Colitis/Proktitis Cholecystitis Urethritis/Cytitis Pyelonephritis Prostatitis Epididymitis/ Orchitis Vulvovagnitis Adnexitis Endometritis Dermatitis Follikulitis Abszesse Gangren Pyoderma Nagelbettentzdg. Cheilitis >>>> Weltweit am häufigsten >>> Am zweithäufigsten >> >> Störungen des adaptiven Systems >> Störungen des innaten Systems Altersabhängigkeit der Atemwegsinfektionen Am. J. Epidemiol. 94:269, Pediatrics 79:55 Alter (Jahre) Respirat. Infekt./Jahr SD Maximum <1 1-2 3-4 5-9 10 - 14 6,1 5,7 4,7 5,5 2,7 ± 2,6 ± 3,0 ± 2,9 ± 2,6 ± 2,2 11,3 11,7 10,5 8,7 7,2 Faustregel für Erwachsene: Mehr als 3 Infektionen über 3‐4 Wochen Dauer pro Jahr sind verdächtig für humoralen Immundefekt! Algorithmus zur Abklärung einer vermehrten Infektanfälligkeit 1. Anamnese: Typ, Häufigkeit von Infektionen, Familie, Vaccinationen, Lifestyle. 2. Untersuchung: Spezieller Focus auf Tonsillen, NNH, LKN, Milz, Warzen, Kondylomata, Körperoberflächen: Haut, Respirationstrakt, GI-Trakt, Urogenitaltrakt. 3. Diagnostik Stadium 1 (Hypo- versus Hyperreaktivität) Routinelabor: Blutbild, Serumelectrophorese, Nieren-, Leber-Funktionstests Immunlabor: quantitative Ig, CH50, C3, C4, C3d, ANA, ANCA, RF Mikrobiologie: Virustiter (CMV, EBV, HIV,HCV..), evtl. KM-Biopsie 4. Diagnostik Stadium 2 (zellulärer versus humoraler Defekt) Spättyp Hautreaktionen (z. B. Mendel Mantoux, Quantiferon, ) Impfansprechen auf primäre und ‚recall‘-Antigene( Tetanus, Diphth., PnPS, HBV) IgG-Subklassen, T-, B-, NK-Zell-Phänotypisierung 5. Diagnostik Stadium 3 (funktionelle und genetische Definition des Defektes) Funktionelle assays in vitro: Lymphoproliferation, Zytotoxizität, Zytokinproduktion, Ig-Synthese, Ca++ flux, Signaltransduktionstudien. Molekulargenetik: Definition des Defektes. Differentialdagnosis der Hypogammaglobulinämie Primäre Syndrome Genetische Ursachen Ataxia Telangiectasia Autosomale SCID‐Formen Transcobalamin‐II‐Defizienz mit Hypogammaglobulinämie X‐linked Agammaglobulinemia X‐linked lymphoproliferatives Syndrom (EBV‐assoziiert) X‐linked SCID‐Formen Chromosome‐18q‐Syndrom Monosomie 22 Trisomie 8, 21 22q11.2 Deletion IL12‐Defizienz, IFNy‐R‐Defizienz IgG‐Subklassendefekte Hyper‐IgM‐Syndrom Selective IgA‐Defizienz CVID : ICOS, TACI, BAFF‐R, CD19, CD21 deficiency www.esid.org Sekundäre Syndrome Infektiöse Ursachen HIV Infektion beim Säugling Congenitale Rubella‐Infektion Congenitale CMV‐Infektion Congenitale Toxoplasma‐Infektion Epstein‐Barr‐Virus‐Infektion Paraneoplastische Ursachen CLL NHL Plasmozytome Immundefizienz bei Thymom Systemische Krankheiten Hyperkatabolismus: Malnutrition, Hyperkortizismus Eiweißverlust: Nephrose, chronische Diarrhoe, Lymphangiektasie Diabetes Mellitus Polytrauma Medikamenten‐ Induzierte Formen: Antimalarial agents Captopril Carbamazepine Glucokorticoide Fenclofenac Gold Salze Penicillamine Phenytoin Sulfasalazine Antimetabolite Alkylantien Anti‐CD20 Common Variable Immunodeficiency (CVID): Die häufigste Form des pAMS im Erwachsenenalter Definition: Heterogener, primärer Antikörpermangel 8-10% sind genetisch definiert Diagnose-Kriterien unter www.esid.org: 1. Hypogammaglobulinämie von IgG, IgA u/o IgM (2 SD < mean) 2. Beginn der Immunodefizienz jenseits des 2. Lebensjahres 3. Schlechte Impfantwort und Fehlen von Isoagglutininen Epidemiologie und klinischer Phenotyp des CVID-Syndroms Epidemiology: Incidence: 1:25.000/year; m:f =1; 15-20% familiär, 80% autosomal dominant 20% autosomal recessiv Klinische Präsentation: -Sinubronchitis, Pneumonien -Diarrhea, H. pylori gastritis -NLH, Lambliasis, Sprue -Autoimmunität (AIHA,ITP, RA) -Splenomegalie -Sarcoid-like Granulome -Maligne Tumore 100% 50% 20% 30% 40% 10-20% 10% Ein stetig wachsendes Spektrum von genetischen Defekten beim CVID/PAD-Syndrom Genetic Loci: 4q, 5p, 6p (HLA), 16q in AD‐CVID Genetic Defects of B cells: A. B. C. Homeostasis and survival regulating receptors: TACI (Salzer, Grimbacher et al 2005, 2008) BAFF‐R (Warnatz, Rizzi, Eibel et al 2009) BCR coreceptor deficiency: CD19 (van Zelm et al 2006) CD21 (Thiel, Schlesier et al 2010in revision) CD81 (van Zelm et al 2009 B cell specific membrane antigens CD20 deficiency (Baars et al 2009) Genetic Defects of T cells A. ICOS deficiency (Grimbacher et al 2003) Other genetic defects A. B. C. D. E. 22q11.2 deletion (Di George) RMRP (Cartilage Hair‐Hypoplasia) (Horn et al 2009) Munc13 (Hemophagozytische Lymphohistiozytose, HLH) CXCR4 (WHIM‐Syndrome) ADA deficiency , late onset form< 10% aller PAD‐ Fälle Klinischer Outcome einer Ig-Substitutionstherapie bei M. Bruton Prozentsatz der PID-Patienten mit IVIG- oder SCIGSubstitution Kriterien für PID des Erwachsenen (Nach Ausschluss eines sekundären Immundefekts ) Majorkriterien • Erhöhte Infektanfälligkeit (Häufigkeit: RT > GIT > Haut > UGT) • Hypogammaglobulinämie (IgG, IgA, oft auch IgM) • Schlechte oder negative Impfantwort Zusatzkriterien • Zytopenien (inklusive der Autoimmunzytopenien) (T, B, PMN, Mono) • Autoimmunkrankheiten, z. B. RA, SSc, IBD, vitiligo, IDDM • Splenomegalie • Lymphoproliferation (poly- oder oligoklonal) • Nicht-verkäsende Granulome • Entwicklung von Malignomen • Niedrige Anzahl klassen-gewechselter B-Zellen im Blut Vorschlag: PID muss vermutet werden bei 2 Majorkriterien plus 2 Zusatzkriterien Danke für Ihre Aufmerksamkeit