Maligne Tumoren des muskuloskelettalen Systems

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Maligne Tumoren des muskuloskelettalen Systems
Maligne Tumoren des
muskuloskelettalen Systems
P.−U. Tunn
Department Tumororthopädie, Sarkomzentrum Berlin−Brandenburg, Klinik für Orthopädie
und orthopädische Rheumatologie, HELIOS Klinikum Berlin−Buch
Zu den malignen Tumoren des muskuloskelettalen
Systems gehören
n die primär malignen Knochen− und Weichgewebe−
tumoren (Sarkome),
n die Knochenmetastasen,
n die malignen Systemerkrankungen (z. B. multiples
Myelom, Lymphom des Knochens).
Die Knochen− und Weichgewebesarkome sind per defini−
tionem nichtepitheliale Malignome und machen nur einen
Anteil von 2 % aller malignen Neubildungen aus. Dement−
sprechend selten werden Orthopäden, Unfallchirurgen,
Kinderärzte, Allgemeinmediziner usw. mit dieser Krank−
heitsentität konfrontiert. Treten die primär hochmalignen
Knochensarkome vorwiegend im Kindes− und Jugendalter
auf, so werden Weichgewebesarkome insbesondere in der
2. Lebenshälfte diagnostiziert. Die Schwellung, begleitet
von mehr oder minder ausgeprägten Schmerzen, ist die
führende klinische Symptomatik. Vor jeder chirurgischen
Intervention ist ein standardisiertes diagnostisches Kon−
zept zu verfolgen, um den hohen Anteil an ¹ungeplanten“
Resektionen oder falsch durchgeführten Biopsien bei
Patienten mit Knochen− und Weichgewebesarkomen zu
reduzieren. Erst nach Abschluss des Stagings kann eine
stadien− und damit prognoseorientierte Therapie, stets
interdisziplinär abgestimmt, eingeleitet werden.
Die primär malignen Knochentumoren wie das Osteo−
sarkom und die Gruppe der Ewing−Sarkome werden in sog.
Therapieoptimierungsstudien behandelt, beim Chondro−
sarkom (eher 2. Lebenshälfte) ist mit Ausnahme des de−
differenzierten Chondrosarkoms die Behandlung meist
chirurgisch. Die chirurgische Therapie von Weichgewebe−
sarkomen ist im Erwachsenenalter im nichtmetastasierten
Stadium der Erkrankung (Stadium I ± III, UICC) die Therapie
der Wahl unter kurativer Intention. Die R0−Resektion in
Kombination mit einer adjuvanten Radiotherapie gilt hier−
bei als Standard bei primär resektablen Weichgewebesar−
komen. Sollte die Resektion nur mit einem mutilierenden
oder ablativen Verfahren möglich sein, sind neoadjuvante
Therapieoptionen (z. B. isolierte hypertherme Extremitä−
tenperfusion mit TNF−alpha und Melphalan, Strahlen−
therapie, systemische Chemotherapie mit/ohne Hyper−
thermie) in das interdisziplinäre Behandlungskonzept
einzuschließen. Unter Vorhaltung dieser Konzeption und
Anwendung von rekonstruktiven Verfahren können mehr
als 80 % der Patienten mit Knochen− und Weichgewebe−
sarkomen extremitätenerhaltend behandelt werden.
Sekundär maligne Knochentumoren ± Knochenmetasta−
sen (epithelialer Ursprung) ± stellen bei Weitem die häu−
figste Manifestationsform von Malignomen am Bewe−
gungsapparat dar. Vor allem bei Bronchial−, Mamma−,
Schilddrüsen−, Nierenzell− und Prostatakarzinomen treten
je nach Stadium in bis zu 80 % der Fälle ossäre Metastasen
auf. Gerade durch die Verbesserung der Primärtumorbe−
handlung und systemischer Optionen erleben immer mehr
Patienten das Stadium der ossären Metastasierung und der
daraus resultierenden Probleme, die geprägt sind durch
den Schmerz, die pathologische Fraktur und neurologi−
sche Komplikationen. Gerade hier ist ein standardisiertes
therapeutisches Vorgehen unter Berücksichtigung der
Prognose, der Tumorart, der Metastasenlokalisation usw.
zu fordern. Besteht die Indikation zur operativen Kno−
chenmetastasentherapie, so ist diese so zu wählen, dass
operative Folgeeingriffe bei meist limitierter Lebenserwar−
tung vermieden werden sollten. Eine primär belastungs−
stabile Rekonstruktion des betroffenen Skelettabschnittes
ist das definierte Ziel, um die Lebensqualität positiv zu
beeinflussen.
Auf die gesonderte Darstellung der Diagnostik und The−
rapie des multiplen Myeloms und des Lymphoms des
Knochens wurde bewusst verzichtet, da es sich um inter−
nistische Krankheitsbilder aus orthopädisch−unfallchirur−
gischer Sicht handelt. Die operativen Richtlinien sind mit
denen der Knochenmetastasentherapie vergleichbar.
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3
ê2008 ê317 ± 344 êDOI 10.1055/s−2008−1077699
317
Systemerkrankungen
Primär maligne Knochentumoren
Epidemiologie
Primär maligne Knochentumoren machen etwa 0,2 %
der gesamten humanen Malignome aus. Seit Ende der
70er−Jahre konnten durch die Einführung und Etablie−
rung einer systemischen Chemotherapie, durch eine
Verbesserung der bildgebenden Diagnostik, insbeson−
dere der Magnetresonanztomografie und einer Weiter−
entwicklung rekonstruktiver Operationstechniken vor
allem bei den häufig betroffenen Kindern die Amputa−
tionsrate gesenkt und das Überleben von 10 ± 15 % auf
60 ± 80 %, je nach Stadium, erhöht werden. Die Ätiologie
ist bei den meisten Entitäten nicht geklärt. Die häufigs−
ten primär malignen Knochentumoren sind
n
das Osteosarkom (35 %),
n
das Chondrosarkom (25 %),
n
die Tumoren der Gruppe der Ewing−Sarkome (16 %),
n
das Chordom.
Im Kindesalter beträgt der Anteil der Knochensarkome
etwa 3,4 % aller malignen kindlichen Neoplasien (60 %
Osteosarkom, 25 % Gruppe der Ewing−Sarkome). In der
Altersverteilung sind 2 Gipfel zu beobachten:
n
der erste im Kindesalter bis zum Ende der zweiten
Dekade (Osteosarkome und Gruppe der Ewing−
Sarkome),
n
der zweite Häufigkeitsgipfel nach der 5. Lebens−
dekade.
In dieser Altersgruppe treten insbesondere Chondro−
sarkome, seltener Osteosarkome auf. Männer sind
etwas häufiger betroffen als Frauen (Dorfman 2002).
Diagnostik
n
Klinik
Die klinische Symptomatik eines primär malignen Kno−
chentumors ist im Bereich der Extremitäten durch eine
progrediente Schmerzsymptomatik und Schwellung,
selten eine pathologische Fraktur, charakterisiert. Im
Bereich der Extremitäten beträgt das Intervall von den
ersten Beschwerden bis zur Diagnosestellung im Mittel
2 Monate. Bei stamm− oder stammnahen Lokalisatio−
nen, insbesondere im Becken und der Wirbelsäule, ist
die Symptomatik vergleichsweise uncharakteristisch.
Hier werden häufig radikuläre oder ischialgiforme
Symptome berichtet, diagnostiziert und primär thera−
piert. Dementsprechend resultieren meist wesentlich
längere Intervalle vom Zeitpunkt der ersten Beschwer−
den bis zur Diagnosestellung.
318
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3
ê2008 ê317 ± 344
Abb. 1 n Röntgenbild des linken distalen Femurs eines 14−jährigen
Mädchens in 2 Ebenen mit positiver Schmerzanamnese und pro−
gredienter Schwellung seit 6 Wochen. Es handelt sich um einen lokal
destruktiv, permeativ wachsenden Knochentumor mit Destruktion der
Kortikalis, Weichteilinfiltration, partiell osteolytisch als auch osteoblas−
tisch. Nachweisbares Codman−Dreieck. Röntgenologische Klassifikation
der Wachstumstendenz nach Lodwick: Grad III. Unter Berücksichtigung
des Alters, der Topik im Knochen (metaphysär), der Anamnese und der
Bildgebung ist der Verdacht auf ein Osteosarkom zu äußern.
" Häufigste primäre Symptomatik: progrediente
Schmerzsymptomatik und Schwellung. Ungewollte
Gewichtabnahme, Nachtschweiß, Leistungsknick und
Anämie sind bei primär malignen Knochentumoren in
der Regel Spätsymptome.
Die Anamnese sollte sowohl speziell auf den Beginn und
die Art sowie die Dauer der derzeitigen Symptome als
auch auf eine mögliche familiäre oder genetische Kom−
ponente Bezug nehmen.
Inspektion und Palpation sind zum Erkennen der
Ausdehnung sowie Beschreiben der Konsistenz einer
Schwellung und deren Beziehung zu den Nachbarstruk−
turen unumgänglich. Bei gelenknahen Tumoren ist
die Beurteilung einer Funktionseinschränkung (Neutral−
Null−Methode) sowie eines intraartikulären Ergusses
erforderlich. Sensomotorische Einschränkungen erfor−
dern einen speziellen neurologischen Status.
n
Bildgebende Verfahren
Röntgen. Die native Röntgenaufnahme der betroffenen
Region in 2 Ebenen mit den angrenzenden Gelenken ist
als erster diagnostischer Schritt nach Erhebung der
Anamnese und der klinischen Untersuchung obligat. Sie
besitzt hinsichtlich der Einschätzung der Dignität und
Maligne Tumoren des muskuloskelettalen Systems
Abb. 2 n Röntgenbild des linken distalen Femurs einer 18−jährigen
jungen Frau mit einer zunehmenden Schwellung seit 4 Wochen,
keine Funktionseinschränkung, nur belastungsabhängige Schmer−
zen. Laborchemisch gering erhöhte LDH. Röntgenmorphologisch han−
delt es sich um einen diaphysär lokalisierten Tumor mit destruktivem
Wachstumsmuster, spikulaartiger Komponente und reaktiver Knochen−
bildung distal und proximal der Läsion. Alter und Lokalisation machen
einen primär malignen Knochentumor wahrscheinlich. Diagnose:
Ewing−Sarkom des linken Femurs.
Abb. 3 n Beckenübersicht einer 59−jähri−
gen Patientin. Schmerzen seit mehr als
3 Jahren. Zunächst Verdacht auf degenerativ
bedingte Beschwerden und konservative
Therapie ohne Beschwerdelinderung. Anhand
der Röntgenaufnahme ist ein destruktiv
wachsender Tumor des linken Os ilium mit
Matrixossifikationen und stippchenartigen
Entität von Knochentumoren unter Berücksichtigung
der klinischen Symptome, des Alters des Patienten, der
Topografie der Läsion und der strukturellen Besonder−
heiten die größte Aussagefähigkeit. Durch die Analyse
der Röntgenaufnahmen kann oft mit großer Sicherheit
auf den Tumor und sein biologisches Verhalten ge−
schlossen werden. Unterstützend ist für die Einschät−
zung der Aggressivität der Läsion die röntgenologische
Klassifikation der Wachstumstendenz nach Lodwick
(1980) heranzuziehen (Abb. 1 ± 3). Allein die Röntgen−
aufnahme berechtigt zur Entscheidung über die Not−
wendigkeit weiterer bildgebender Verfahren.
Tumors genau beurteilt werden und ggf. vorhandene
Skip−Läsionen im selben Kompartment detektiert
werden.
Sonografie. Bei einem vermuteten Weichteilanteil,
einem Hämatom oder einem intraartikulären Erguss
kann die Sonografie wichtige Zusatzinformationen
liefern.
MRT. Besteht der Verdacht auf einen malignen Kno−
chentumor, so ist die Magnetresonanztomografie (MRT)
in den verschiedenen Gewichtungen mit Kontrastmittel
unverzichtbar. Hierbei werden der gesamte betroffene
Knochenabschnitt und die angrenzenden Kompart−
mente untersucht. Neben der Beschreibung der Weich−
teilinfiltration kann die Markraumausdehnung des
Verkalkungen zu beschreiben. Aufgrund des
Alters, der Lokalisation und des Röntgenbil−
des muss der Verdacht auf ein Chondrosar−
kom geäußert werden. Histologisch wurde
die Verdachtsdiagnose eines Chondrosar−
koms bestätigt. Röntgenologische Klassifika−
tion der Wachstumstendenz nach Lodwick:
Grad II.
CT. Im Gegensatz zur MRT liegt der besondere Vorteil
der Computertomografie (CT) in der Darstellung der
kortikalen Strukturen. Der Nachweis einer Destruktion
der Kortikalis kann in einigen Fällen dem Röntgenbild
entgehen, der CT nicht. Gerade bei chondrogenen Tu−
moren liefert die CT wichtige Zusatzinformationen über
das Ausmaß der Kalzifikation und kortikalen Destruk−
tion (Abb. 4).
Szintigrafie. Die Szintigrafie ist bei Verdacht auf einen
primär malignen Knochentumor als Ganzkörperkno−
chenszintigrafie notwendig:
n
einerseits, um mittels des lokalen Speicherfaktors
die biologische Aktivität des regionalen Prozesses
zu bestimmen
n
andererseits, um eine eventuell systemische Kom−
ponente (z. B. Knochenmetastasen) oder Zweit− bzw.
multiple Primärläsionen (z. B. multifokales Osteo−
sarkom) zu diagnostizieren.
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319
Systemerkrankungen
" Cave. Die Szintigrafie kann bei chondrogenen Neo−
plasien falsch−negativ sein und ein hoch pathologischer
Befund ist keinesfalls als sicherer Hinweis für einen
malignen Prozess zu werten ± z. B. aneurysmatische
Knochenzyste.
Angiografie. Die Angiografie hat im klinischen Alltag
nur noch selten eine Indikation. Bei plastischen Re−
konstruktionen, z. B. mit einer freien Fibula oder freier
Lappendeckung, kann eine Angiografie zur Identifizie−
rung des Gefäßstatus und möglicher Spendergefäße
gelegentlich hilfreich sein.
PET. Die Positronenemissionstomografie (PET) hat
derzeit außerhalb von Studien noch keinen klinischen
Stellenwert.
n
Abb. 4 n Chondrosarkom des Os ilium rechts nativröntgenologisch (a) und in der CT (b). In
der CT sind die Tumorausdehnung, die Größe der Knorpelkappe und die intratumoralen Ver−
kalkungen wesentlich besser zu erfassen und damit für die OP−Planung unverzichtbar. Präsen−
tation des Resektates (c) sowie der Präparateradiografie (d) in derselben Schnittführung.
Hintergrund
Richtlinien für die offene Biopsie (Inzisionsbiopsie).
n
n
n
320
Die Wahl des Biopsiezugangs sollte im
Verlauf des späteren definitiven Zu−
gangs liegen. Der die Biopsie durchfüh−
rende Operateur muss die Möglichkeit
und Art der definitiven Versorgung
reflektieren können.
An den Extremitäten werden aus−
schließlich längs verlaufende Schnitte
gesetzt.
Es ist der kürzeste, direkte Weg zum
Tumor zu wählen, ohne ein weiteres
Kompartment zu eröffnen (d. h. mit
Tumorzellen zu kontaminieren). Ein
Sicherheitsabstand zu Gelenken,
großen Gefäßen und Nerven ist zu
wahren.
n
n
Eine exakte Blutstillung ist erforderlich,
um eine Tumorzellverschleppung durch
ein Hämatom zu vermeiden. Bei hyper−
vaskularisierten Tumoren hat sich ein
Verschluss des Knochenfensters mit
einer Zementplombe bewährt. Eine
Drainage ist obligat, diese wird direkt
aus der Wunde oder in unmittelbarer
Nähe des Wundwinkels ausgeleitet.
Die Operationstechnik hat so atrauma−
tisch wie möglich zu erfolgen. Gewebe−
quetschungen oder großzügiges Präpa−
rieren und Darstellen des Tumors sind
zu vermeiden. Die Hautnaht wird in in−
trakutaner Technik durchgeführt; groß−
zügige Rückstichnähte sind obsolet.
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Labordiagnostik
Tumorantigenspezifische Screeningtests sind bei pri−
mären Knochentumoren derzeit nicht aussagekräftig.
Allgemeine Parameter wie Blutbild, BSR, CRP, Kalzium
im Serum, alkalische Phosphatase, LDH und Gesamtei−
weiß können Hinweise auf pathologische Befunde des
lokalen Knochenumbaus, eine Entzündung oder eine
systemische Komponente geben. Die alkalische Phos−
phatase kann beim Osteosarkom erhöht sein. In diesen
Fällen kann sie als Parameter unter der systemischen
Therapie und in der Nachsorge herangezogen werden;
bei der Gruppe der Ewing−Sarkome kann selbiges für
die LDH gelten.
n
Histologische Diagnostik
Besteht nach Erhebung der Anamnese, der klinischen
Untersuchung und nach Abschluss der Bildgebung der
Verdacht auf einen malignen Knochentumor oder
Unklarheit über die Art und Dignität der knöchernen
Läsion, ist eine Biopsie zwingend indiziert, um eine his−
topathologische Untersuchung des Gewebes zu ermög−
lichen. Hierbei setzt die Biopsie bereits eine interdis−
ziplinäre Konzeption voraus. Mit dem Radiologen und
Pathologen ist die Bildgebung zu besprechen und die
Region der Biopsie festzulegen. Es ist die Möglichkeit
der Schnellschnittdiagnostik durch einen entsprechend
erfahrenen Pathologen vorzuhalten. Im intraoperativen
Schnellschnitt ist mitzuteilen, ob repräsentatives
Tumorgewebe vorliegt. Weiterhin müssen dem Ope−
rateur die aktuellen Therapieoptimierungsstudien
(EURAMOS−1, EURO−B.O.S.S., EURO−E.W.I.N.G.−99) be−
kannt sein, um z. B. bei einem Tumor der Ewing−Sar−
komgruppe Frischgewebe des Tumors für die moleku−
largenetische Untersuchung zu asservieren und eine
Beckenkammpunktion beidseits in gleicher Sitzung
durchzuführen.
Maligne Tumoren des muskuloskelettalen Systems
Grundsätzlich wird bei der Biopsie zwischen geschlos−
senen Verfahren (z. B. Stanzbiopsie) und offenen Ver−
fahren (Inzisionsbiopsie) unterschieden. Bei der Pri−
märdiagnostik eines primär malignen Knochentumors
ist die offene Inzisionsbiopsie den geschlossenen Ver−
fahren vorzuziehen. Die Vorteile einer repräsentativen
Biopsie mit dem Ziel der präzisen Diagnosestellung und
zügigen Therapieeinleitung liegen auf der Hand.
" Cave. Eine fehlerhaft durchgeführte Biopsie kann
im ungünstigsten Fall zu einer Amputation der betroffe−
nen Extremität führen. Hier sind insbesondere falsche
Schnittführungen und eine Tumorkontamination
unbeteiligter Kompartmente zu erwähnen (Abb. 5).
Klassifikation
Während das Grading den Differenzierungsgrad eines
malignen Tumors bestimmt, ist das Staging Grundvo−
raussetzung für die Therapieplanung. Ist die Diagnose
eines primär malignen Knochentumors bestätigt, sind
folgende Untersuchungen erforderlich, wenn sie nicht
schon vor der Biopsie durchgeführt worden sind:
n
CT des Thorax sowie bei beckennahen Tumoren
CT des Beckens
n
MRT lokal sowie des betroffenen und des angren−
zenden Kompartmentes
n
Ganzkörperknochenszintigrafie
Die Stadieneinteilung erfolgt im deutschsprachigen
Raum meist nach dem TNM−Schema der UICC
(Tab. 1, 2 a, 2 b, 3). Ziel ist es, die lokale Tumorausdeh−
nung exakt zu bestimmen und Fernmetastasen nach−
zuweisen oder auszuschließen. Im klinischen Alltag
wird meist zusätzlich das chirurgische Stagingsystem
nach Enneking (Tab. 4) genutzt, da es z. B. nicht zwi−
schen Lymphknoten− und Lungenmetastasen differen−
ziert (ist für die Prognose und Therapie kaum relevant)
und praktikabel ist.
Abb. 5 n Vermeidbare Fehler bei der Biopsie. a Falsch gewählte, quer verlaufende Schnitt−
führung bei einem Osteosarkom des distalen Femurs. b Falsch gewählte, transartikuläre und
durch die Sehne des Rectus femoris ziehende Biopsie bei einem Osteosarkom des distalen
Femurs.
n
n
Therapie
n
Therapeutisches Konzept
n
Wird die Diagnose eine Osteosarkoms oder eines
Tumors der Ewing−Sarkomgruppe gestellt, so werden
die Patienten in standardisierten Therapieoptimie−
rungsstudien behandelt, in denen die Erfahrungen der
interdisziplinär abgestimmten Konzeption, insbeson−
dere der systemischen Chemotherapie und der Strah−
lentherapie (Gruppe der Ewing−Tumoren), fokussiert
sind:
Im Falle des Osteosarkoms erfolgt die Therapie bei
Patienten bis einschließlich des 40. Lebensjahres im
Rahmen der ersten transatlantischen Therapieopti−
mierungsstudie, der ¹European and American Osteo−
sarcoma Study Group“ (EURAMOS−1−Protokoll).
Jenseits des 40. Lebensjahres werden die Patienten
in der ¹EUROpean−Bone Over 40 Sarcoma Study“
(EURO−B.O.S.S.) therapiert, wobei neben dem Osteo−
sarkom alle anderen hochmalignen Knochensarko−
me (z. B. malignes fibröses Histiozytom) bis hin zum
dedifferenzierten Chondrosarkom eingeschlossen
werden können.
Die meist jungen Patienten mit Tumoren der Ewing−
Sarkomgruppe werden standardisiert im EURO−
E.W.I.N.G.−99−Protokoll behandelt.
" Eine Therapie außerhalb dieser Therapieoptimie−
rungsstudien ist im Interesse der Patienten heute nicht
mehr zu akzeptieren.
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Systemerkrankungen
322
Tabelle 1
Tabelle 2 a
TNM−Klassifikation der primär malignen Knochentumoren
(UICC 2003).
Gradingsystem (UICC 2003).
Klassifikation
Beschreibung
TX
Primärtumor kann nicht beurteilt werden
T0
kein Primärtumor
T1
Tumor £ 8 cm
T2
Tumor > 8 cm
T3
diskontinuierlich primär befallener Knochen
NX
regionale Lymphknoten können nicht beurteilt
werden
Grading
Beschreibung
GX
histologisches Grading kann nicht beurteilt werden
G1
hoch differenziert
G2
mäßig differenziert
G3
schlecht differenziert
G4
undifferenziert
Tabelle 2 b
N0
keine regionalen Lymphknotenmetastasen
N1
regionale Lymphknotenmetastasen
TNM
MX
Vorhandensein von Fernmetastasen kann nicht
beurteilt werden
Zweistufiges
System
Dreistufiges
System
Vierstufiges
System
M0
keine Fernmetastasen
niedriggradig
G1
G1
G2
M1a
Lungenmetastasen
hochgradig
M1b
andere Fernmetastasen
G2
G3
G3
G4
Varianten des histopathologischen Gradingsystems.
Tabelle 3
Tabelle 4
Stadienklassifikation primär maligner Knochentumoren
(UICC 2003).
Chirurgisches Staging maligner Knochentumoren nach
Enneking (1986).
Stadium IA
T1, N0, NX, M0, niedriggradig
Staging
Beschreibung
Stadium IB
T2, N0, NX, M0, niedriggradig
IA
niedriggradig, intrakompartmental
Stadium IIA
T1, N0, NX, M0, hochgradig
IB
niedriggradig, extrakompartmental
Stadium IIB
T2, N0, NX, M0, hochgradig
IIA
hochgradig, intrakompartmental
Stadium III
T3, N0, NX, M0, jeder Grad
IIB
hochgradig, extrakompartmental
Stadium IVA
jedes T, N0, NX, M1a, jeder Grad
III
jeder Grad, Metastasen
Stadium IVB
jedes T, N1, jedes M, jeder Grad
jedes T jedes N, M1b, jeder Grad
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3
ê2008 ê317 ± 344
Maligne Tumoren des muskuloskelettalen Systems
In diesen Therapieoptimierungsstudien, insbesondere
im EURAMOS−1− und EURO−E.W.I.N.G.−99−Protokoll,
wird nach der Diagnosesicherung primär eine Induk−
tionschemotherapie durchgeführt. Ziel ist es, ein lokales
Tumoransprechen zu erreichen und gleichzeitig okkulte
Metastasen/zirkulierende Tumorzellen zu devitalisie−
ren. Nach einem mehrwöchigen Intervall folgt dann in
der Regel die Resektion des Primärtumors. In Abhängig−
keit vom Ansprechen (Tab. 5) auf die neoadjuvante
Chemotherapie (bei Patienten mit hochmalignen Os−
teosarkomen und der Gruppe der Ewing−Sarkome) und
unter Berücksichtigung der Risikoeinschätzung (bei
Patienten mit Tumoren der Ewing−Sarkomgruppe) ist
postoperativ, also adjuvant, eine Stratifizierung der
systemischen Chemotherapie in verschiedenen Thera−
piearmen obligat.
n
Tabelle 5
Histologische Regressionsgrade von Knochentumoren nach Chemotherapie
nach Salzer−Kuntschik (1983).
Regressionsgrad
Effekt
I
keine vitalen Tumorzellen
Responder
II
einzelne vitale Tumorzellen oder eine
vitale Tumorinsel < 0,5 cm
Responder
III
weniger als 10 % vitales Tumorgewebe
Responder
IV
10 ± 50 % vitales Tumorgewebe
Non−Responder
V
mehr als 50 % vitales Tumorgewebe
Non−Responder
VI
kein Effekt der Chemotherapie
Non−Responder
Patientenaufklärung
Diese Aufgabe hat in der Behandlung der meist jungen
Patienten einen sehr wichtigen Stellenwert. Bei extre−
mitätenerhaltenden Operationsverfahren, insbesondere
der Tumorendoprothetik, müssen die Patienten als auch
die Eltern darüber aufgeklärt werden, dass es sich um
kein dauerhaftes Rekonstruktionsverfahren handelt.
Revisionen werden nach Heilung der Erkrankung auf−
treten und ein Wechsel der Tumorendoprothese ist
nicht beliebig oft durchführbar. Komplikationen wie
Infektionen, Ermüdungsbrüche, Verschleiß, Lockerung
treten häufig auf. Ebenso kann im Verlauf bei noch nicht
ausgewachsenen Patienten eine Beinlängendifferenz
resultieren. Die Belastungsfähigkeit der betroffenen
Körperregion bleibt in der Regel dauerhaft einge−
schränkt, sodass Limitationen z. B. bei der sportlichen
Betätigung resultieren können.
Noch wesentlich anspruchsvoller ist die Aufklärung
im Falle einer nicht zu vermeidenden Amputation, sei es
unter kurativer oder palliativer Intention. Hier müssen
der Patient und die Angehörigen frühzeitig in diesen
Bewältigungsprozess einbezogen werden. Nur so bleibt
die Zeit, die Entscheidung zu verarbeiten, zu akzeptie−
ren, für die Zukunft zu planen und sein Umfeld darauf
vorzubereiten. Diese Phase kann hilfreich durch aus−
führliche Informations− und Aufklärungsgespräche un−
ter Einbeziehung des psychosozialen Dienstes, ggf. der
Orthopädietechnik und Kontakte zu bereits amputier−
ten Patienten unterstützt werden. Keinesfalls sollte bei
der primären Diagnosestellung ein Extremitätenerhalt
zu optimistisch favorisiert werden, um im Falle einer
dann doch notwendigen Amputation, z. B. aufgrund ei−
nes Tumorprogresses unter der neoadjuvanten Chemo−
therapie oder einer pathologischen Fraktur, das Ver−
trauen in die Behandlung und die behandelnde Klinik
nicht zu verlieren.
Tabelle 6
Chirurgische Resektionsgrenzen nach Enneking.
n
Typ
Resektionsebene
intraläsional
in der Läsion
marginal
in der reaktiven Zone extrakapsulär
weit
außerhalb der reaktiven Zone im gesunden Gewebe
radikal
außerhalb des Kompartmentes
Operative Therapie
Die operative Therapie maligner Knochentumoren wird
von den Faktoren Entität, Grading, Ausdehnung und
Lokalisation, anderseits auch von generellen Faktoren
wie z. B. dem Vorhandensein einer Metastasierung, dem
Alter des Patienten, seinem Allgemeinzustand und der
Prognose bestimmt. Grundsätzlich wird ein kurativer
Ansatz bei Osteosarkomen und Sarkomen der Ewing−
Gruppe selbst im Fall einer bereits vorhandenen Metas−
tasierung angestrebt. Das Ziel ist die Entfernung des
primär malignen Knochentumors im Gesunden, d. h. die
R0−Resektion. In den meisten Fällen wird eine weite,
seltener eine radikale Resektion durchgeführt. Margi−
nale und intraläsionale Resektionen sind bei primär
malignen Knochentumoren aufgrund der resultieren−
den hohen Rezidivrate inadäquat (Tab. 6).
Um eine weite/radikale Resektion realisieren zu
können, ist eine optimierte präoperative Planung der
Resektion als auch der Rekonstruktion des resultieren−
den Defektes erforderlich. Für diese Planung bleibt dem
operativen Team meist ein zeitliches Intervall von mehr
als 10 Wochen, der Phase der neoadjuvanten Therapie
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323
Systemerkrankungen
Abb. 6 n
Osteosarkom
der linken proxi−
malen Tibia.
a Röntgenologi−
sche Darstellung.
b Demonstration
des Präparates.
Die Resektion er−
folgte nach Ab−
schluss der neo−
adjuvanten Poly−
chemotherapie.
c Intraoperativer Situs nach Implantation einer Tumorendoprothese ¹proximaler Tibiaersatz“. Funktionelle Rekonstruktion des Streckapparates des
Kniegelenkes mittels eines Anbindungsschlauches sowie eines medialen Gastrocnemius−Flaps, der ventralisiert und mit dem Lig. patellae am Anbin−
dungsschlauch fixiert wird. Postoperativ darf die Beugung im Kniegelenk erst nach 4 ± 6 Wochen geübt werden. d Postoperatives Ergebnis im Rönt−
genbild.
entsprechend. Hier kann abgewogen werden, ob in Ab−
hängigkeit von der Tumorlokalisation, der Tumorgröße,
dem Patientenalter, dem Ansprechen auf die neoadju−
vante Chemotherapie, der Prognose und nicht zuletzt
der Compliance des Patienten die Rekonstruktion mit−
tels Tumorendoprothesen, Allografts, den verschiede−
nen Möglichkeiten der biologischen Verfahren oder
in seltenen Fällen doch eine Amputation mit dem Ziel
der lokalen Tumorkontrolle indiziert ist. Derzeit können
in den entsprechenden Zentren (siehe Verzeichnis des
Operationspanels des EURAMOS−1−Protokolls) mehr
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Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3
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als 85 % der Patienten extremitätenerhaltend operiert
werden.
" Die Indikation zur Amputation sollte erst nach Ein−
holung einer Zweitmeinung erfolgen, insbesondere um
den betroffenen Patienten die Sicherheit zu geben, dass
diese Empfehlung korrekt ist. Die Indikation zur Ampu−
tation ist dann kein Versagen der Therapie oder ein Un−
vermögen des Operateurs, sondern eine reelle Chance
auf eine Heilung der malignen Erkrankung im Prozess
der multimodalen Therapie.
Maligne Tumoren des muskuloskelettalen Systems
e Klinisches Bild
mit einem guten
funktionellen Er−
gebnis.
Weite Resektion
Diese Strategie gilt als Standard der operativen Therapie
maligner Knochentumoren. Eine Schicht gesunden Ge−
webes muss den Tumor allseits bedecken. Der Biopsie−
kanal wird inklusive der Redon−Austrittsstelle ge−
schlossen mitreseziert. Im Bereich des spongiösen
Knochens ist eine Sicherheitszone von maximal 3 cm
gesunden Gewebes ausreichend. Über die Beutung der
offenen Wachstumsfuge als sichere Grenze bzw. den
Abstand zu ihr gibt es keinen Konsens. Wissenschaftlich
validierte Daten, die exakt einen onkologisch erforder−
lichen Sicherheitsabstand definieren können, fehlen
weitgehend. Dementsprechend ist die R0−Resektion das
Ziel der operativen Therapie von Tumoren des musku−
loskelettalen Systems.
Radikale Resektion
Diese Form der operativen Therapie bei Knochentumo−
ren ist heutzutage aufgrund der präzisen Bildgebung
nur selten indiziert. Die radikale Resektion wäre z. B. die
Resektion eines Osteosarkoms des distalen Femurs un−
ter Mitnahme des gesamten Femurs.
Amputationen
In den letzten 2 Jahrzehnten ist die Zahl der Amputa−
tionen deutlich gesunken, hat jetzt jedoch eine Plateau−
phase erreicht.
Mögliche Indikationen zur Amputation:
n
ausgedehnte Sarkome mit Infiltration von Gelenk−
strukturen und des Gefäß−Nerven−Bündels
n
exulzerierte Tumoren
n
Progression unter neoadjuvanter Therapie
n
eine pathologische Fraktur
n
seltene distale Tumorlokalisationen
Gerade im Bereich des Unterschenkels sind die Funktion
und die Lebensqualität nach einer Amputation ver−
gleichbar mit einem Zustand nach einer aufwendigen
Rekonstruktion.
Rekonstruktive Verfahren
Bei primär malignen Knochentumoren resultiert in
Abhängigkeit von der Tumorlokalisation die Notwen−
digkeit zur Rekonstruktion des resezierten Skelettab−
schnittes. Ausnahmen können Tumormanifestationen
der proximalen Fibula, der Skapula, der Thoraxwand
und partiell des Beckens sein, die keiner ossären
Rekonstruktion bedürfen. Insbesondere im Bereich der
statisch belasteten Extremitäten ist auf eine Defekt−
rekonstruktion meist nicht zu verzichten.
Stellenwert der Tumorendoprothetik. Die Tumorendo−
prothetik wird auch zukünftig bei der Rekonstruktion
gelenknaher Defekte nach Resektion primär maligner
Knochentumoren dominieren. Die 5− bzw. 10−Jahres−
Standzeiten von Tumorendoprothesen liegen bei
67 ± 87 % resp. 55 ± 71 %. Da es sich überwiegend um
junge Patienten handelt, sind Revisionseingriffe bei
anhaltender Tumorfreiheit eine unerwünschte und
nicht zu vermeidende Folge. Insbesondere Infektionen,
Lockerungen, Verschleiß der Gelenkkomponenten und
Ermüdungsbrüche sind Anlass zur Revision bzw. zum
Wechseleingriff. Jeder Wechseleingriff erhöht das
Risiko einer neuen Komplikation, sodass als ultima ratio
der Verlust der betroffenen Extremität drohen kann.
Dieses Problem ist den jungen Patienten bewusst. Der
Vorteil der Tumorendoprothetik liegt in der hohen
Primärstabilität und guten Funktionalität. Die Fixation
der verbliebenen Band− und Muskelstrukturen an der
Endoprothese wird unter Anwendung eines sog. Anbin−
dungsschlauches und einer myoplastischen Rekons−
truktion angestrebt (Abb. 6). Es können ossäre Defekte
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3
ê2008 ê317 ± 344
325
Systemerkrankungen
Abb. 7 n Hochmalignes Osteosarkom der rechten proximalen Tibia.
a Röntgenbild. b Demonstration des Allografts (vor dem Zuschnitt) und
des Resektates. c Postoperatives Röntgenbild nach Rekonstruktion der
proximalen Tibia mit einem osteoartikulärem Allograft.
nicht zu umgehen ist und nicht selten vom Kind selbst
gefordert wird.
des Humerus, des Femurs, der Tibia und partiell des
Beckens endoprothetisch rekonstruiert werden. Die
besten funktionellen Ergebnisse werden mit der Im−
plantation eines distalen Femurersatzes, gefolgt vom
proximalen Tibiaersatz erzielt. Limitationen der endo−
prothetischen Rekonstruktionsmöglichkeiten liegen
insbesondere im Patientenalter. Gerade bei Kindern ist
trotz einiger ermutigender Ergebnisse nach Implanta−
tion von Tumorendoprothesen, sog. ¹Wachstumsendo−
prothesen“, die Indikation stets kritisch und keinesfalls
zu großzügig zu stellen. Unter einem Patientenalter von
8 Jahren ist eher Zurückhaltung angezeigt. Hier ist im
Bereich der unteren Extremität die Umkehrplastik eine
solide und dauerhafte Alternative, die dem Kind mehr
nutzt als die spätere Enttäuschung der Eltern, wenn in−
folge von Komplikationen (Infektion, Beinverkürzung,
stets wiederkehrende Hospitalisierung) die Amputation
326
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3
ê2008 ê317 ± 344
Stellenwert des Allografts. Der Vorteil der Allografts liegt
in der Konzeption, einen Skelettabschnitt, insbesondere
im Bereich der Extremitäten, anatomisch gerecht mit
einem autoklavierten Fremdknochen (Abb. 7), ggf. in
Kombination mit einer Endoprothese (Composite−Allo−
graft), zu rekonstruieren und die Möglichkeit der Rein−
tegration des Transplantates, sowohl ossär als auch in
den Weichteilen, zu nutzen. Zum Ende der Tumorresek−
tion wird das Allograft in einer Ringerlaktat−Lösung
(60 8C) aufgetaut, präpariert und zugeschnitten. An−
schließend wird das Allograft in den resultierenden De−
fekt eingepasst, der Kapsel−Band−Apparat rekonstruiert
und mit einer Osteosynthese stabilisiert. Nach einer
mehrwöchigen Immobilisierung im Gipsverband er−
folgt der stetige Belastungsaufbau in Abhängigkeit vom
röntgenologischen Ergebnis. Beim Versagen dieses Re−
konstruktionsverfahrens bleibt als Alternative die Im−
plantation einer Tumorendoprothese bestehen. Primär
hohe Komplikationsraten wie Infektionen (11 %), Frak−
turen (19 %), Pseudarthrosen (35 %), die fehlende primä−
re Belastungsstabilität und das begrenzte Angebot aus
entsprechenden Knochenbanken führte im deutsch−
Maligne Tumoren des muskuloskelettalen Systems
Abb. 8 n a Postoperatives Röntgenbild eines 10−jährigen Mädchens nach Resektion eines Ewing−Sarkoms der linken distalen Tibia (und Z.n. neoadjuvanter Chemotherapie
im Rahmen des EURO−E.W.I.N.G.−99−Protokolls). Der knöcherne Defekt wurde im Sinne einer biologischen Rekonstruktion mit einem bilateralen Fibulainterponat rekons−
truiert. Das ipsilaterale Transplantat wurde eingeschwenkt, das kontralaterale als freies, gefäßgestieltes Fibulatransplantat und mit einer Osteosynthese stabilisiert.
b Bereits 4 Monate postoperativ ist eine beginnende knöcherne Einheilung röntgenmorphologisch nachzuweisen. c Röntgenbild 12 Monate postoperativ mit gutem
Rekonstruktionsergebnis. Die Vollbelastung des Beines wurde nach Abschluss des 8. postoperativen Monats freigegeben.
sprachigen Raum zu einer eher seltenen klinischen An−
wendung.
Stellenwert der biologischen Rekonstruktionen. Biologi−
sche Rekonstruktionen ossärer Defekte erheben den
Anspruch einer dauerhaften Versorgung. Unilaterale
gefäßgestielte als auch nichtgefäßgestielte Fibulatrans−
planate werden für die verschiedensten Rekonstruktio−
nen der oberen und unteren Extremität verwandt. Der
Vorteil der gefäßgestielten Implantate wurde tierexpe−
rimentell und anhand klinischer Studien eindeutig
nachgewiesen. An der unteren Extremität wird unter
funktionellen Aspekten eine frühzeitige Belastungssta−
bilität angestrebt. Die Fibula kann dementsprechend als
unilaterales Transplantat zur Rekonstruktion der langen
Röhrenknochen der unteren Extremität diese Aufgabe
nur bedingt oder erst nach einem langen zeitlichen In−
tervall, in dem eine Hypertrophie des unilateralen Fi−
bulatransplantates eingetreten ist, erfüllen. Je jünger
die Patienten sind, desto schneller ist das ossäre Remo−
deling zu erwarten. Bei malignen Tumoren der Tibia
kann daher bei jungen Patienten die ipsilaterale Fibula
als ¹Fibula pro Tibia“ für die Rekonstruktion ausrei−
chend sein, da eine Hypertrophie des Fibulainterpona−
tes zu erwarten ist. Im unmittelbar postoperativen Ver−
lauf ist eine längerfristige Entlastung bzw. Teilbelastung
des betroffenen Beines in Kauf zu nehmen. Dieser nicht
zu umgehende Kompromiss kann weitere Komplikatio−
nen wie die muskuläre Insuffizienz, Demineralisierung
des originären Knochens als auch des Transplantates
und pathologische Frakturen nach sich ziehen.
Neben dem Manteltransplantat, das eine Kombina−
tion aus einem autologen Fibulatransplantat und einem
Allograft darstellt, kann auch ohne ein körperfremdes
Implantat eine Verbesserung der Primärstabilität und
damit eine Verkürzung der Rekonvaleszenz durch ein
bilaterales Fibulatransplantat (Fibula pro Tibia + freies
Fibulainterponat der kontralateralen Seite für tibiale
Defekte oder bilaterales freies Interponat für femorale
Defekte) erreicht werden. Dieses Rekonstruktionsver−
fahren ist im Vergleich zur Tumorendoprothetik und
dem unilateralen Fibulainterponat operationstechnisch
aufwendiger. Im Bereich der Tibia wird die unilaterale
Fibula in den ossären Defekt eingeschwenkt, sodass nur
die Gefäße der kontralateralen Fibula mikrochirurgisch
anastomosiert werden müssen (Abb. 8). Bei der Re−
konstruktion von femoralen Defekten kann mittels ei−
nes bilateralen freien Fibulainterponates die primäre
Stabilität erhöht und der Belastungsaufbau beschleu−
nigt werden. Die Osteosynthese gewährleistet eine pri−
märe Übungsstabilität, bei winkelstabilen Implantaten
auch eine partielle Belastungsfähigkeit. Unter Berück−
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3
ê2008 ê317 ± 344
327
Systemerkrankungen
Der Belastungsaufbau wird in Abhängigkeit von der
knöchernen Reintegration des Fibulatransplantates in−
dividuell vorgenommen. Eine Limitation des bilateralen
Fibulainterponates wird einerseits durch die Lokalisa−
tion des Tumors und andererseits durch die Ausdeh−
nung desselben vorgenommen. Für die bilaterale Fibu−
lainterposition sind Tumorlokalisationen in der
Diaphyse und im metadiaphysären Übergang der lan−
gen Röhrenknochen der unteren Extremität zu favori−
sieren. Bei ossären Defekten von weniger als 10 cm im
Bereich der Metadiaphysen der langen Röhrenknochen
der unteren Extremität kann bei Jugendlichen und Er−
wachsenen neben der Defektrekonstruktion mittels der
unilateralen Fibulainterposition, dem Manteltransplan−
tat und der Tumorendoprothetik auch die sog. ¹double
barrel fibula“ zur Anwendung kommen.
Wenn immer möglich, sind biologische Rekonstruk−
tionen ossärer Defekte anzustreben. Im Bereich der
oberen Extremität kann ein unilaterales, gefäßgestieltes
Fibulainterponat für die Ulna, den Radius als auch den
Humerus genutzt werden. Ein spezielles Verfahren bei
kleinen, proximalen Humerustumoren stellt das Re−
konstruktionsverfahren ¹Clavicula pro Humeri“ dar.
Hier wird die Klavikula in den resultierenden Defekt
eingeschwenkt und mit einer speziellen Plattenosteo−
synthese fixiert. Pseudarthrosen werden nicht selten
beobachtet.
Weitere Operationstechniken der biologischen
Rekonstruktion sind
n
die Hüftverschiebeplastik,
n
der Tibiaspan,
n
der Beckenspan (ggf. gefäßgestielt).
Abb. 9 n a Klinisches Ergebnis nach Umkehrplastik (Typ IA) eines 8−jährigen Jungen aufgrund
eines Osteosarkoms des linken distalen Femurs ohne Prothese. Das linke Sprunggelenk (um
1808 gedrehter Unterschenkel) befindet sich in Höhe des rechten Kniegelenkes. Vorausset−
zung für diese OP−Technik ist der Erhalt des N. ischiadicus, um die Funktion im Sprunggelenk
als ¹Neo−Kniegelenk“ ermöglichen zu können. b Klinisches Ergebnis mit angelegter Prothese
(1 Jahr postoperativ), funktionell und kosmetisch akzeptabel. Es handelt sich in der Regel um
eine einmalige Operation mit einem dauerhaften Rekonstruktionsergebnis und geringer
Komplikationsrate.
sichtigung der Tatsache, dass die Patienten im Rahmen
der Therapieoptimierungsstudien eine postoperative
Chemotherapie erhalten (bei der Gruppe der Ewing−
Sarkome ggf. zusätzlich Radiotherapie), ist eine innere
Fixierung (Plattenosteosynthese, Kirschner−Draht usw.)
einem Fixateur externe vorzuziehen. Das Ziel besteht in
der Reduktion des Infektionsrisikos in den Phasen der
Panzytopenie. Ein weiterer Grund für die innere Fixie−
rung ist in der nicht generell notwendigen Entfernung
des Osteosynthesematerials zu sehen.
328
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3
ê2008 ê317 ± 344
Modifizierte Amputationen. Modifizierte Amputationen
wie die Umkehrplastik haben vor allem im Kindesalter
ihren festen Stellenwert im orthopädisch−onkologi−
schen Operationsspektrum. Bei dieser Technik wird
unter Erhalt des N. ischiadicus der tumortragende Ex−
tremitätenabschnitt reseziert. Danach wird der Unter−
schenkel um 1808 gedreht und je nach Resektionstyp
(Winkelmann 1993) am Femur oder am Becken fixiert
(Abb. 9). Es handelt sich hier um eine sinnvolle Alterna−
tive zur Amputation mit einem deutlich besseren funk−
tionellen Outcome als dauerhaftes Rekonstruktionser−
gebnis. Der Nachteil liegt im kosmetischen Ergebnis, der
mehr für die Eltern als für die jungen Patienten im Vor−
dergrund steht.
Ziele der Kinder sind
Funktionalität,
n
Sicherheit,
n
Dauerhaftigkeit,
n
möglichst wenig Krankenhausaufenthalte.
n
Maligne Tumoren des muskuloskelettalen Systems
Zu dieser Gruppe der operativen Techniken, die zu einer
Verkürzung der betroffenen Extremität führen, kann
auch die Resektion nach Tikhoff−Linberg gezählt wer−
den. Bei schultergelenküberschreitenden Tumoren
unter Einbeziehung von proximalem Humerus und der
Skapula kann bei Erhalt des Gefäß−Nerven−Bündels
nach der Resektion des tumortragenden Areals der ver−
kürzte Arm am Rumpf refixiert werden. Vorteile sind
der Erhalt der Ellenbogen− und insbesondere der Hand−
funktion.
Abb. 10 n
Silberbeschich−
tetes Implantat
¹distaler Tibia−
ersatz“ mit dem
Ziel der Infekt−
prävention.
a Intraoperative
Darstellung.
b Postoperatives
Röntgenbild.
Nachsorge
Die Nachsorge von Patienten mit Osteosarkomen und
der Gruppe der Ewing−Tumoren wird entsprechend der
Empfehlungen der Therapieoptimierungsstudien vor−
genommen. Neben der lokalen und systemischen Tu−
mor−Kontrolle sind zunehmend auch Aspekte des funk−
tionellen Outcome, der Lebensqualität, der Häufigkeit
von Sekundärmalignomen und therapiebedingter
Langzeitkomplikationen (z. B. Schwerhörigkeit, Herz−
insuffizienz, Niereninsuffizienz) in den Mittelpunkt
des klinischen Interesses der meist jungen Patienten
getreten.
Komplikationen und Komplikationsmanage−
ment nach Tumorendoprothesen
In der orthopädischen Tumorchirurgie gelten die glei−
chen postoperativen Regeln wie in der Standardendo−
prothetik. Neben der medikamentösen und physiothe−
rapeutischen Thromboseprophylaxe sollten die peri−
und postoperative Infektprophylaxe nach Tumorresek−
tionen und anschließender Rekonstruktion für 3 ± 7
Tage appliziert werden. Drainagen im Bereich von
Tumorendoprothesen sollten am 3. ± 5. Tag entfernt
und nachfolgende Serome unter sterilen Bedingungen
punktiert werden. Die Gründe für die erhöhte Kom−
plikationsrate nach Implantation von Tumorendopro−
thesen liegen in
n
der Immunsuppression während der Chemotherapie,
n
der oft nur geringen Weichteildeckung nach ausge−
dehnten Resektionen,
n
dem vielfach fehlenden Bandapparat,
n
der erhöhten Beanspruchung aufgrund des oftmals
jugendlichen Alters der Patienten.
Die am schwierigsten zu behandelnde Komplikation ist
die Infektion. Bei Tumorendoprothesen im Bereich des
Kniegelenkes liegen die Infektionsraten bei fast 18 %,
während aseptische Lockerungen noch häufiger auftre−
ten. Bei Frühinfektionen wird der Versuch unternom−
men, durch eine (ggf. wiederholte) Jet−Lavage sowie ei−
ner kalkulierten Antibiose die Endoprothese in situ zu
belassen. Bei Spätinfektionen führt dieses Vorgehen
nicht zum Erfolg. Hier sind in der Regel die komplette
Entfernung der Endoprothese inklusive eines sorgfälti−
gen DØbridements notwendig, um zweizeitig nach Aus−
heilung des Infektes eine erneute Endoprothesenim−
plantation anstreben zu können. Gerade in diesen
Situationen sowie bei schlechter Weichgewebedeckung
wie im Bereich der distalen Tibia scheint sich die An−
wendung von silberbeschichteten Implantaten zuneh−
mend zu bewähren (Abb. 10).
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3
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329
Systemerkrankungen
330
Prognose
Perspektiven
Die Prognose der primär malignen Knochentumore,
insbesondere des Osteosarkoms und der Gruppe der
Ewing−Sarkome, hat sich nach Einführung der systemi−
schen Chemotherapie und dank der kontinuierlichen
Arbeit der pädiatrischen und medizinischen Onkologen
deutlich verbessert.
Konnte Ende der 70er−Jahre nur kasuistisch über die
Heilung eines Patienten mit einem Osteosarkom nach
sofortiger Amputation berichtet werden, so ist derzeit
im Rahmen der Therapieoptimierungsstudien ein
5−Jahres−Überleben beim lokalisierten, hochmalignen
Osteosarkom der Extremitäten im Alter bis 40 Jahre von
71,2 % zu erreichen. Die wichtigsten prognostischen
Faktoren sind hierbei das Ansprechen auf die neoadju−
vante Chemotherapie, das Tumorvolumen, das Lokal−
rezidiv und damit einhergehend die Metastasierung.
Ausschließlich hoch differenzierte (G1) Osteosarkome
werden alleinig operativ behandelt.
Bei den Patienten der Gruppe der Ewing−Sarkome
ist die Prognose trotz eines ebenfalls multimodalen
Therapiekonzeptes etwas schlechter. Die Tumoren der
Ewing−Gruppe sind ausnahmslos per definitionem
hochmaligne (G4) und als Systemerkrankung zu wer−
ten. Das entspricht auch der Kenntnis, dass ein Patient
mit einem Ewing−Sarkom mit einer alleinigen Opera−
tion nicht heilbar ist. Das 5−Jahres−Überleben liegt im
Rahmen der Therapieoptimierungsstudie (EURO−
E.W.I.N.G.−99−Protokoll) bei 60 % im primär nicht
(nachweisbar) metastasierten Stadium der Erkrankung.
Der Stellenwert der systemischen Chemotherapie und
der Strahlentherapie steht in dieser Konzeption außer
Frage. In neueren Untersuchungen konnte aufgezeigt
werden, dass die Resektion des Primärtumors (meist in
Kombination mit der Strahlentherapie) mit einer Ver−
besserung des Überlebens im Vergleich zur alleinigen
Strahlentherapie des Primärtumors um etwa 10 % ein−
hergeht. Dementsprechend ist, wenn operationstech−
nisch möglich, die R0−Resektion stets anzustreben.
Bei Patienten mit einem Chondrosarkom variiert die
Prognose stark in Abhängigkeit vom Grading. So liegt
die 5−Jahres−Überlebensrate bei G1−Tumoren über 90 %
und beim dedifferenzierten Chondrosarkom deutlich
unter 20 %. Gerade hier wird der Stellenwert der Che−
motherapie, trotz des meist höheren Patientenalters,
im Rahmen des Therapieprotokolls für Patienten mit
hochmalignen Knochentumoren nach dem 40. Lebens−
jahr (EURO−B.O.S.S.) im Verlauf der nächsten Jahre ab−
zuwarten sein.
Während die Chemotherapie bei Patienten mit Osteo−
sarkomen und der Gruppe der Ewing−Sarkome die
Überlebensrate deutlich steigern konnte, sind bisher für
Chordome und Chondrosarkome (außer dedifferen−
zierte Chondrosarkome ± EURO−B.O.S.S.) keine syste−
mischen Therapiekonzepte etabliert. Aufgrund der Sel−
tenheit dieser Tumoren können diese Fragestellungen
nur in multizentrischen Studien evaluiert werden. Ge−
rade beim Chordom ist der Stellenwert der systemi−
schen Chemotherapie (insbesondere Methotrexat) und
der Therapie mit Imatinib Gegenstand aktueller und
zukünftiger Studien.
Die Positronenemissionstomografie (PET) ist bei pri−
mär malignen Knochentumoren sowohl bei der primä−
ren Diagnostik, bei der Evaluation des Ansprechens auf
eine neoadjuvante Therapie als auch der Verlaufskon−
trolle nur in klinischen Studien gerechtfertigt.
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3
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Weichgewebesarkome
Epidemiologie
Weichgewebesarkome sind mit einer Inzidenz von 2 ± 3
Neuerkrankungen pro 100 000 Einwohnern und Jahr
selten und machen 1 ± 2 % aller malignen Neoplasien im
Erwachsenenalter aus. In Deutschland sind etwa 2500
Neuerkrankungen im Erwachsenenalter pro Jahr zu
erwarten. Der Erkrankungsgipfel liegt in der zweiten
Lebenshälfte und Frauen erkranken etwas häufiger als
Männer. Am häufigsten tritt das Weichgewebesarkom
im Bereich der unteren Extremität (ca. 45 %), gefolgt von
der oberen Extremität (15 %), dem Stamm und dem Re−
troperitoneum auf. 2/3 der Tumoren sind extrakompart−
mental und 1/3 intrakompartmental lokalisiert (Campa−
nacci 1990). Weichgewebesarkome stellen eine sehr
heterogene Gruppe von malignen Tumoren dar. Sie
schließen alle Tumoren des nichtepithelialen Gewebes
(Muskulatur, Fettgewebe, Bindegewebe, Gefäße usw.)
ein. Etwa 50 verschiedene Entitäten können immun−
histologisch differenziert werden. Das Liposarkom ist
der häufigste Vertreter mit mehr als 20 %. Die Ätiologie
der Weichgewebesarkome ist weitgehend unbekannt.
Zum Zeitpunkt der primären Diagnostik weisen etwa
30 % der Patienten ein Stadium I (UICC 2003), 30 % ein
Stadium II, 20 % ein Stadium III und 20 % ein Stadium IV
auf.
Maligne Tumoren des muskuloskelettalen Systems
Diagnostik
n
Klinik
Das häufigste primäre Symptom eines Weichgewebe−
sarkoms der Extremitäten ist die indolente Schwellung.
Schmerzen und eine resultierende Funktionseinschrän−
kung sind meist erst infolge einer ausgedehnten Tumor−
manifestation zu beobachten. Dementsprechend wer−
den auch heute nicht selten Primärtumore in einer
maximalen Ausdehnung von mehr als 30 cm diagnosti−
ziert. Im Bereich des Retroperitoneums, des Abdomens
und des Thorax können die Symptome stark variieren
und sind meist unspezifisch, sodass diagnostische
und insbesondere therapeutische Fehleinschätzungen
auftreten, die zu einer Verzögerung einer adäquaten
Behandlung führen können. Da die Ursachen einer
Schwellung vielfältig sind, wird häufig nicht an die Dif−
ferenzialdiagnose eines Weichgewebesarkoms gedacht.
Folgen sind ungeplante Operationen von Weichgewebe−
sarkomen unter der Verdachtsdiagnose Lipom, Fibrom
oder posttraumatisches Hämatom, die eine Therapie−
verzögerung und im ungünstigen Fall eine Verschlech−
terung der Prognose nach sich ziehen können.
" Häufigstes primäres Symptom: indolente Schwellung.
Hintergrund
Diagnostische Kaskade.
n
n
n
Anamnese
körperliche Untersuchung
Sonografie
n
n
MRT
Histologie
grenzung zu Nachbarstrukturen (glatt begrenzt, infil−
trativ wachsend), die Binnenstruktur (zystisch, solide,
gemischt) und den regionalen Lymphknotenstatus dar−
zustellen. Weitere Vorteile bestehen in der Wiederhol−
barkeit der Untersuchung und damit der exakten Ver−
laufsbeurteilung.
MRT. Die MRT ist derzeit die sensitivste Untersu−
chungsmethode bei der Beurteilung eines Weichgewe−
betumors. Sie ermöglicht im Vergleich zur CT eine
deutlich detailgenauere und kontrastreichere Darstel−
lung der Weichteile. So können mit der MRT einzelne
Muskelgruppen sowie Gefäß− und Nervenstränge abge−
grenzt werden, sodass präoperativ eine genauere Zu−
ordnung der extra− und intrakompartmentalen Aus−
breitung ermöglicht wird. Des Weiteren kann durch die
freie Wahl der Abbildungsebenen in der MRT die Tu−
morausbreitung in allen Raumebenen beurteilt werden.
Die Heterogenität der Weichteilsarkome kann anhand
kontrastmittelgestützter Aufnahmen sicher beurteilt
werden. Grundsätzlich sollte die MRT mit einer für die
Körperregion geeigneten Oberflächenspule zur besse−
ren Auflösung durchgeführt werden. Insbesondere für
den Ober− und Unterarm sowie den Unterschenkel soll−
ten flexible Oberflächenspulen gewählt werden. Das
Untersuchungsprotokoll sollte neben nativen T1− und
T2−Sequenzen auch T1−Sequenzen nach intravenöser
Kontrastmittelapplikation beinhalten, entsprechend
der Leitlinien der Bundesärztekammer und der EORTC.
PET. Die Positronenemissionstomografie (PET) als funk−
tionell−metabolische Bildgebung hat derzeit außerhalb
von klinischen Studien keine Relevanz.
n
Die Erhebung der Anamnese und die körperliche Unter−
suchung stellen einen Eckpfeiler des diagnostischen
Algorithmus dar. Sind die folgenden 5 Kriterien
n
Alter des Patienten > 50 Jahre,
n
Tumorgröße > 8 cm,
n
schnelle Größenprogression,
n
Schmerzen,
n
tiefe subfasziale Lokalisation
erfüllt, so ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich um ein
Weichgewebesarkom handelt, sehr hoch.
n
Histologische Diagnostik
Nach Abschluss der klinischen und bildgebenden Diag−
nostik erfolgt bei dem Verdacht auf einen malignen
Weichgewebetumor obligat die histologische Siche−
rung. Ausschließlich kleine (< 3 cm) und oberflächlich
lokalisierte Tumoren können primär ohne funktionelle
Einschränkungen weit reseziert werden. Alle anderen
Tumoren werden primär bioptiert. Die Biopsie setzt be−
reits ein interdisziplinäres Konzept voraus. Feinnadel−
biopsien führen zu einer korrekten Diagnose (Typisie−
rung und Grading) in 72 %, Stanzbiopsien in 91 % und die
offene Biopsie in etwa 98 %.
Bildgebende Verfahren
Sonografie. Die Sonografie ist eine schnell durchführba−
re und hoch effektive Untersuchungsmethode bei der
Beurteilung einer Weichgewebeschwellung und sollte
der klinischen Untersuchung unmittelbar folgen. Sie ist
in der Lage, die Größe der Läsion, die Lokalisation (tief,
oberflächlich, Kompartmentzugehörigkeit), die Ab−
Die offene Biopsie bietet mehrere Vorteile:
n
Sie ist am ergiebigsten hinsichtlich des gewonnenen
Tumorvolumens und ermöglicht neben der intra−
operativen Schnellschnittdiagnostik auch die Asser−
vierung von Gewebe für die Tumorbank (molekular−
genetische Diagnostik).
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3
ê2008 ê317 ± 344
331
Systemerkrankungen
Tabelle 7
TNM−Klassifikation der Weichgewebesarkome (UICC 2003).
Abb. 11 n Klinischer Befund einer falsch durchgeführten Inzisionsbiopsie bei einem
Liposarkom des linken Oberschenkels, proximal−ventral. Der Hautschnitt ist zu lang, die
Redon−Drainagen sind zu weit vom Hautschnitt ausgeleitet worden, sodass der gesamte
ventrale Oberschenkel als tumorkontaminiert anzusehen ist. Vor der Biopsie erfolgte zudem
keine bildgebende Diagnostik. Der operative Eingriff wurde unter der Verdachtsdiagnose
eines Hämatoms durchgeführt.
n
n
Die Schnellschnittdiagnostik gibt vor allem darüber
Auskunft, ob repräsentatives Tumorgewebe vorhan−
den ist, sodass letztendlich eine exakte Diagnostik in
fast 100 % der Fälle resultiert.
Weiterhin kann die Schnellschnittpathologie in den
meisten Fällen die Frage beantworten, ob es sich um
ein Sarkom, Karzinom, Lymphom oder einen inflam−
matorischen Prozess handelt.
Der Nachteil der offenen Biopsie liegt definitionsgemäß
in der Invasivität des Verfahrens begründet. Die Biopsie
ist von dem onkologischen Chirurgen/Orthopäden so
zu planen, dass der Tumor auf dem kürzesten Weg
erreicht und die definitive Tumorresektion nicht behin−
dert wird. Offene Biopsien werden an den Extremitäten
ohne Ausnahme mit einem längs verlaufenden Haut−
schnitt durchgeführt. Der Hautverschluss sollte intra−
kutan erfolgen, die Einlage einer Wunddrainage im
Schnittverlauf ist obligat.
Bei Stanzbiopsien ist eine genaue anatomische Be−
schreibung, besser eine Tätowierung vorzunehmen,
damit bei der definitiven Tumorresektion, die ggf. erst
nach einer neoadjuvanten Therapie vorgenommen
wird, der Biopsiekanal im Resektat liegen kann.
" Eine falsch durchgeführte Biopsie kann die definitive
Resektion nicht nur erschweren, sie kann im ungünstigen
Fall sogar einen mutilierenden operativen Eingriff bis hin
zur Amputation initiieren (Abb. 11).
332
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3
ê2008 ê317 ± 344
Klassifikation
Beschreibung
TX
Primärtumor kann nicht beurteilt werden
T0
kein Primärtumor
T1a
Tumor £ 5,0 cm, oberflächlich
T1b
Tumor £ 5,0 cm, tief
T2a
Tumor > 5,0 cm, oberflächlich
T2b
Tumor > 5,0 cm, tief
NX
regionale Lymphknoten können nicht
beurteilt werden
N0
keine regionalen Lymphknotenmetastasen
N1
regionale Lymphknotenmetastasen
MX
Vorhandensein von Fernmetastasen kann
nicht beurteilt werden
M0
keine Fernmetastasen
M1
Fernmetastasen
Tabelle 8
Stadien−Klassifikation (UICC 2003).
Stadium I
T1a, T1b, T2a, T2b, N0, M0, niedriggradig
Stadium II
T1a, T1b, T2a, N0, M0, hochgradig
Stadium III
T2b, N0, M0, hochgradig
Stadium IV
jedes T, N1, M0, jedes G
jedes T, jedes N, M1, jedes G
Klassifikation
Erst nach Abschluss der Diagnostik können das Tumor−
stadium (Tab. 7, 8) ermittelt und die therapeutischen
Konsequenzen abgeleitet werden (Tunn 2004).
Maligne Tumoren des muskuloskelettalen Systems
Abb. 12 n
Ausgedehnte
Weichgewebe−
schwellung des
rechten Ober−
schenkels im
Bereich des
M. quadriceps
femoris.
a Dokumentation des klinischen Befundes. Die Läsion ist laut Angabe des Patienten in einem Zeitraum von etwa einem Jahr gewachsen und führte
erst in den letzten Wochen zu einem Spannungsgefühl im Oberschenkel. b In der MRT zeigt sich ein lipogener Tumor, nahezu komplett den M. qua−
driceps femoris infiltrierend. Histologisch handelt es sich um ein Liposarkom. c Bei fehlendem Anhalt für eine Fernmetastasierung erfolgte die kom−
partmentorientierte Resektion des M. quadriceps femoris rechts. Demonstration des Resektates. d Intraoperativer Status nach Durchführung einer
Strecksehnenersatzplastik mittels einer Transposition des M. biceps femoris auf die Rektussehne. Trotz des plastisch−rekonstruktiven Verfahrens re−
sultiert eine persistierende Funktionseinschränkung.
Therapie
n
Therapeutisches Konzept
Die chirurgische Therapie ist die Basis der lokalen Tu−
morkontrolle bei Patienten, die an einem Weichgewe−
besarkom erkrankt sind. Die Behandlungsstrategie wird
vom Tumorstadium und der Lokalisation wesentlich
bestimmt.
Das definierte Ziel im Stadium I ± III ist die R0−Resek−
tion. Die primär operative Therapie eines Weichgewe−
besarkoms kann bei etwa 45 % der Patienten durchge−
führt werden, ca. 35 % werden neoadjuvant therapiert
und anschließend reseziert und ca. 20 % erhalten im
primär metastasierten Stadium eine palliative systemi−
sche Therapie.
" Unter kurativer Zielstellung ist unabhängig vom
Resektionsverfahren ausschließlich die R0−Situation
anzustreben.
Hintergrund
Definition der Resektionen (R−Klassifikation).
R0: Tumor ist makroskopisch und histologisch im Gesunden
entfernt (Kompartmentresektion, weite Resektion, Amputation)
R1: Tumor ist histologisch randbildend (marginale Resektion
entlang der Pseudotumorkapsel)
R2: intraläsionale Tumorresektion
Intrakompartmental lokalisierte Weichgewebesarkome
werden als Kompartmentresektion oder ± häufiger ±
kompartmentorientiert operiert (Abb. 12). Die Resek−
tion erfolgt stets unter Mitnahme des Biopsiekanals und
der Drainageausleitung. Eine Kompartmentresektion,
d. h. Resektion des Muskels/der Muskelgruppe vom
Ursprung bis Ansatz, ist nur bei einer Tumorkontami−
nation des gesamten Kompartmentes indiziert. Liegen
Ursprung und Ansatz des Muskels weit vom Tumor
entfernt, können sie erhalten bleiben und für die Re−
konstruktion unter funktionellen Aspekten verwandt
werden. Ein Benefit der Kompartmentresektion im
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3
ê2008 ê317 ± 344
333
Systemerkrankungen
sitiv zu beeinflussen ist. Der Anteil extremitätenerhal−
tender Eingriffe ist unter Berücksichtigung der vorhan−
denen multimodalen Therapieansätze mit deutlich
mehr als 80 % zu realisieren. Plastisch−rekonstruktive
Verfahren sind in mehr als 25 % der operativ therapier−
ten Weichteilsarkome erforderlich.
n
Abb. 13 n Darstellung eines pleomorphen
Weichgewebesarkoms des proximalen
Unterschenkels in der MRT. Der Tumor ist
im Beugekompartieent lokalisiert. Das
Weichgewebesarkom ist von einem peritu−
moralen Ödem umgeben. Die sog. Tumor−
kapsel ist die aktive Wachstumsfront des
Weichgewebesarkoms. Im peritumoralen
Ödem sind in bis zu 2/3 der Fälle vitale Tumor−
zellen nachweisbar. Hiermit ist die hohe
Lokalrezidivrate nach marginaler/R1−Resek−
tion zu erklären.
Vergleich zur kompartmentorientierten Resektion ist
unter onkologischen Gesichtspunkten nicht belegt.
Extrakompartmental lokalisierte Weichgewebesarko−
me werden weit reseziert. Auch hier ist ein Sicherheits−
abstand von 2±3 cm gefordert, der jedoch häufig zur
Faszie, zum Knochen und auch zu Gefäß− und Nerven−
strukturen nicht realisiert werden kann und nicht
realisiert werden muss. Unter Ausnutzung additiver
Therapieverfahren kann durch die Mitresektion gesun−
der Hüllschichten (z. B. Muskelfaszie, Periost, Knochen−
lamelle, Epineurektomie, Gefäßadvetitia) eine R0−
Resektion erreicht werden.
Bislang gibt es keine eindeutig belegbare und kli−
nisch nachvollziehbare Definition des Begriffes ¹weite
Resektion“. Die Frage ist weniger, was ist ¹weit“, son−
dern was ist onkologisch ¹sicher“. Für die Klinik ist der−
zeit, unabhängig ob intra− oder extrakompartmentale
Tumorlokalisation, die R−Klassifikation führend, um
eine Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu ermöglichen.
Marginale (entlang der Pseudotumorkapsel) oder gar
intraläsionale Resektionen sind onkologisch inadäquat
und durch additive Therapieverfahren in der Regel nicht
zu kompensieren (Abb. 13).
Die Indikation zur Amputation, sowohl unter kurati−
ver als auch palliativer Intention, ist nur nach Aus−
schöpfung aller multimodalen Therapieoptionen und
Einholung einer Zweitmeinung zu erwägen, da die
Prognose durch eine Amputation in der Regel nicht po−
334
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3
ê2008 ê317 ± 344
Patientenaufklärung
Die operative Therapie von Patienten mit Weichgewe−
besarkomen der Extremitäten ist überwiegend extre−
mitätenerhaltend möglich. In Abhängigkeit von der Tu−
morlokalisation und der Tumorgröße sind funktionelle
Einschränkungen nicht vermeidbar, die auch durch re−
konstruktive Techniken nicht immer zu kompensieren
sind. Gerade bei tiefer Tumorlokalisation und nach Re−
sektionen des Streckkompartmentes der betroffenen
Extremität sind funktionelle Defizite nicht vermeidbar.
Im Bereich der unteren Extremität ist die Resektion des
N. ischiadicus orthopädietechnisch und funktionell
besser zu kompensieren als die Resektion des N. femo−
ralis.
Im Falle einer applizierten Strahlentherapie treten
Komplikationen überdurchschnittlich häufig auf. Nach
einer präoperativen Strahlentherapie sind postoperati−
ve Infektionen/Wundheilungsstörungen in etwa 35 % zu
erwarten. Die Wundheilung verläuft deutlich verzögert,
sodass eine Entfernung der Hautfäden nicht vor dem
Abschluss der 3. postoperativen Woche erfolgen sollte,
da ansonsten das Risiko einer Wunddehiszenz groß ist.
Im Falle einer postoperativen Strahlentherapie sind ins−
besondere Ödeme, Fibrosen und damit einhergehende
Funktionseinschränkungen die wesentlichen klinischen
Probleme.
Jeder Patient ist auch darüber zu informieren, dass
selbst nach einer extremitätenerhaltenden Operation
Phantombeschwerden auftreten können.
Überwiegend werden diese funktionellen Defizite
von den Patienten akzeptiert, da als zu vermeidende
Alternative der Verlust der betroffenen Extremität als
ultima ratio resultieren würde. Andererseits ist jeder
Patient auch so zu informieren, dass eine Amputation
weder ein Versagen der Therapie ist, noch per se mit
einer Verschlechterung der Lebensqualität und der
Prognose einhergehen muss. Die Therapie ist alleinig
abhängig von der Diagnose, der Tumorlokalisation, der
Tumorausdehnung und dem Ansprechen auf neoadju−
vante Konzepte. Eine funktionslose Extremität nach er−
folgter Tumorresektion ist weniger anzustreben als eine
funktionell kompensierte Extremität nach einer guten
prothetischen Versorgung. Gerade hier ist ein erfahre−
ner Operateur im interdisziplinären Team gefordert.
Häufig (und zwingend erforderlich) ist der zeitliche
Aufwand für die Patientenaufklärung aufwendiger als
die Operation selbst.
Maligne Tumoren des muskuloskelettalen Systems
Abb. 14 n
Lokal rezidivier−
tes und exulze−
riertes Weichge−
webesarkom des
linken proxima−
len Unterarmes.
Mit dem Ziel des Extremitätenerhaltes wurde bei nicht nachweisbarer Fernmetastasierung unter kurativer Intention die Indikation zur isolierten
hyperthermen Extremitätenperfusion (ILP) mit TNF−alpha und Melphalan gestellt. a Klinisches Bild. b MRT−Dokumentation. c Nach einem Intervall
von 6 Wochen erfolgte die Tumorresektion (R0). d Klinisches Ergebnis 6 Monate nach Meshgraft−Plastik des Weichteildefektes.
n
Neoadjuvante Therapiekonzepte
Bei lokal fortgeschrittenen Weichgewebesarkomen
(ca. 35 % der Patienten), die primär nicht R0−resektabel
sind, ist vor mutilierenden oder ablativen operativen
Verfahren stets die Durchführung neoadjuvanter, d. h.
präoperativer, Therapiekonzeptionen zu prüfen (z. B.
isolierte hypertherme Extremitätenperfusion, systemi−
sche Chemotherapie, Radiotherapie). Ziel ist es, durch
eine lokale Tumorremission bessere Voraussetzungen
für eine sich daran anschließende Resektion zu ermög−
lichen. Werden ausschließlich Extremitätenlokalisatio−
nen betrachtet, so können unter Berücksichtigung
dieses therapeutischen Algorithmus, auch unter Aus−
nutzung plastisch−rekonstruktiver Verfahren, mehr als
80 % der Patienten mit Weichgewebesarkomen arm−
und beinerhaltend behandelt werden.
n
Die isolierte hypertherme Extremitätenperfusion (ILP)
mit TNF−alpha und Melphalan hat sich in mehreren
klinischen Studien als effektive Induktionstherapie
beim lokal fortgeschrittenen und primär nicht
R0−extremitätenerhaltend resektablen Weichgewe−
besarkom erwiesen. Es handelt sich um eine ein−
malige Therapie. Die Ansprechrate liegt zwischen
n
75 ± 80 % (komplette Remission: 20 ± 30 %, partielle
Remission ca. 50 %). Nach einem Intervall von 6 ± 8
Wochen folgt die Tumorresektion (Abb. 14).
Die systemische Chemotherapie ist im Kindesalter bei
der Behandlung der Weichgewebesarkome im Rah−
men von Therapieoptimierungsstudien standardi−
siert und etabliert (derzeit CWS−2004−Protokoll). Im
Erwachsenenalter ist die neoadjuvante Chemothera−
pie nach wie vor Gegenstand klinischer Studien. Bis−
lang besteht kein Konsens, welche Patienten in wel−
chem Stadium (außer Stadium IV) mit welcher
Tumorentität primär von einer systemischen Che−
motherapie profitieren. Die Ursachen sind vielge−
staltig und liegen beispielsweise im höheren Patien−
tenalter, der Komorbidität usw. begründet. Die
Responseraten liegen zwischen 30 ± 42 %. Dement−
sprechend ist die Durchführung einer neoadjuvanten
systemischen Chemotherapie nur innerhalb von Stu−
dienprotokollen (z. B. EORTC) zu rechtfertigen. Sie
kommt bei lokal fortgeschrittenem Weichgewebe−
sarkom zu klinischen Anwendung und hat das Ziel,
sowohl ein lokales Ansprechen zu erreichen als auch
das Risiko der Metastasierung zu reduzieren.
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3
ê2008 ê317 ± 344
335
Systemerkrankungen
n
n
Die neoadjuvante Radiotherapie wird ebenso mit dem
Ziel der lokalen Tumorremission und Verbesserung
der Resektabilität eingesetzt. Ob sie einen Einfluss
auf die Fernmetastasierung hat, ist nicht belegt. Im
Vergleich zur adjuvanten Radiotherapie sind nach
einer neoadjuvanten Radiotherapie häufiger Wund−
heilungsstörungen zu erwarten. Der Vorteil der neo−
adjuvanten Radiotherapie liegt in dem kleineren
Strahlenfeld (klar definierbare Tumorgröße) und der
geringeren Dosierung.
Regel nicht zu beeinflussen. Zu beeinflussen ist jedoch
die R−Klassifikation. Patienten, die R0−reseziert sind,
haben eine signifikant bessere Prognose, als R1− und
R2−resezierte Patienten. Die Lokalrezidivrate ist nach
einer R1−Resektion erwartungsgemäß wesentlich höher
und das Lokalrezidiv führt zu einer Verschlechterung
der Prognose. Dementsprechend ist vor der Primärthe−
rapie neben einem kompletten Staging die interdiszip−
linäre Therapieplanung mit dem Ziel der R0−Resektion
zu fordern.
Adjuvante Therapiekonzepte
Perspektiven
Als adjuvante Therapie, d. h. nach der operativen Be−
handlung eines Weichgewebesarkoms, hat sich die Ra−
diotherapie bei hochmalignen Tumoren bewährt. Sie
hat das Ziel, das Lokalrezidivrisiko, welches per se mit
einer schlechteren Prognose einhergeht, zu reduzieren.
Der Stellenwert einer adjuvanten Chemotherapie, un−
abhängig, ob systemisch oder lokal, ist bislang nicht
sicher belegt und außerhalb von Studien nicht gerecht−
fertigt.
Nachsorge
Für Patienten mit Weichgewebesarkomen wird nach
Abschluss der Therapie eine regelmäßige Nachsorge
empfohlen. Innerhalb der ersten 2±3 Jahre treten 80 %
aller Rückfälle auf. Dementsprechend sind innerhalb
der ersten 2,5 Jahre im 3−monatigen Intervall neben der
klinischen Untersuchung eine Sonografie der Primärtu−
morregion als auch des regionalen Lymphabflusses, ggf.
MRT mit dem Ziel der Detektion eines lokalen Progres−
ses zu empfehlen. Aufgrund der häufigen hämatogenen
Metastasierung in die Lunge sind ebenso röntgenologi−
sche Verlaufskontrollen/CT des Thorax indiziert. An−
schließend sind die Kontrolluntersuchungen im 6−mo−
natigen Intervall und nach 5 tumorfreien Jahren im
jährlichen Intervall zu favorisieren. Bei den Low−grade−
Weichgewebesarkomen sind längere Nachsorgeinter−
valle akzeptiert.
Bislang wurden Patienten mit Weichgewebesarkomen
unabhängig von der Tumorentität nahezu konform the−
rapiert, wobei die operative Therapie weiterhin im Mit−
telpunkt steht. Als effektivste Lokaltherapie der fortge−
schrittenen Extremitätensarkome hat sich die isolierte
hypertherme Extremitätenperfusion klinisch bewährt
und durchgesetzt.
Zukünftig sind neue Innovationen durch target−
orientierte Therapien, meist systemisch, unter Berück−
sichtigung der immunhistologischen und molekular−
genetischen Besonderheiten der einzelnen Weich−
gewebesarkome zu erwarten. Hierzu zählen bereits
heute unter anderem:
n
Imatinib in der Therapie des gastrointestinalen
Stromatumors und dem Dermatofibrosarcoma
protuberans
n
Taxane und Sorafenib beim Angiosarkom,
n
Gemcitabin und Docetaxel bei Leiomyosarkomen
(Uterus)
n
Trabectedin bei Leiomyosarkomen und Liposarko−
men
n
Aromatasehemmer bei rezeptorpositiven Uterus−
sarkomen und low−grade−endometrialen Stroma−
tumoren
n
Topoisomerase−I−Inhibitoren bei Rhabdomyosarko−
men und Tumoren der Ewing−Sarkomgruppe
Knochenmetastasen
Prognose
Epidemiologie
Werden alle Patienten mit Weichgewebesarkomen be−
rücksichtigt, unabhängig von der Tumorentität und
dem Stadium der Erkrankung, so liegt das 5−Jahres−Ge−
samtüberleben zwischen 50 und 55 %. Die wichtigsten
Prognosefaktoren sind das Grading, die Metastasierung,
die Tumorgröße, die R−Klassifikation und das lokale Tu−
morrezidiv. Selbst die Tumorentität hat einen Einfluss
auf die Prognose. So haben Patienten mit einem Lipo−
sarkom eine deutlich bessere Prognose als mit einem
malignen peripheren Nervenscheidentumor. Das Gra−
ding, die Tumorgröße und die Tumorentität sind in der
336
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3
ê2008 ê317 ± 344
Etwa 80 % aller malignen Knochenläsionen sind durch
Metastasen bedingt. Die häufigsten Karzinome, die eine
operative Therapie von Knochenmetastasen erfordern,
sind Patienten mit einem Mammakarzinom, Nieren−
zellkarzinom und Bronchialkarzinom. In Autopsiestu−
dien konnte aufgezeigt werden, dass in 25 ± 85 % der
Karzinompatienten Knochenmetastasen nachzuweisen
sind. In Deutschland besteht eine Inzidenz von etwa
40 000 neuen Patienten pro Jahr bei einer Prävalenz von
etwa 80 000 Patienten pro Jahr aufgrund des längeren
Maligne Tumoren des muskuloskelettalen Systems
Überlebens. Das Kernproblem der Knochenmetastasie−
rung im Vergleich zur viszeralen Metastasierung ist,
dass Knochenmetastasen meist mit einem längeren
Überleben, aber mit einer höheren Morbidität und Be−
schwerdesymptomatik einhergehen. Knochenmetasta−
sen treten allein beim Mammakarzinom in etwa 80 %,
beim Bronchialkarzinom und Prostatakarzinom in etwa
60 % und beim Nierenzellkarzinom in etwa 35 % der Fäl−
le auf. Insbesondere osteolytische Metastasen können
aufgrund der resultierenden Instabilität des betroffenen
Skelettabschnittes zu einer operativen Konsequenz in−
folge einer pathologischen Fraktur, einer drohenden
pathologischen Fraktur oder einer neurologischen
Komplikation führen. Typische Metastasenlokalisatio−
nen der operativen Versorgung sind die Wirbelsäule,
das Becken und die Extremitäten. Knochenmetastasen
eines Prostatakarzinoms sind zwar vergleichsweise
häufig, jedoch aufgrund des meist osteoblastischen
Charakters und der effektiven systemischen und radio−
therapeutischen Therapieoptionen nur selten operativ
zu behandeln.
Diagnostik
n
Klinik
Die führenden Symptome von Knochenmetastasen sind
der progrediente Schmerz, der akute Schmerz infolge
einer pathologischen Fraktur, die Funktionseinschrän−
kung und die neurologisch bedingte Symptomatik beim
Befall der Wirbelsäule. Diese Symptomatik kann pro−
longiert als auch akut auftreten. Ist eine maligne
Grunderkrankung bekannt, so fällt die diagnostische
Abklärung meist leicht. In etwa 20 % stellt die ossäre
Metastasierung jedoch die primäre Symptomatik einer
bereits disseminierten Erkrankung dar.
n
Bildgebende Verfahren
Röntgen. In Analogie zu den primär malignen Knochen−
tumoren ist die röntgenologische Untersuchung der
symptomatischen Region stets großzügig sowie obligat
in 2 Ebenen zu stellen und als Basisdiagnostik zu for−
dern. Sie ist in der Lage, benigne Läsionen meist sicher
auszuschließen. Weiterhin ist anhand der röntgenolo−
gischen Untersuchung unter Hinzuziehung der klini−
schen Symptomatik das Risiko einer pathologischen
Fraktur im Bereich der langen Röhrenknochen anhand
des Mirels−Scores abzuschätzen (Tab. 9). Liegt ein Punk−
tewert von 9 vor, so besteht ein hohes pathologisches
Frakturrisiko und die Indikation zur operativen Stabili−
sierung ist gegeben. Für Wirbelsäulenmanifestationen
stehen weitere Score−Systeme (z. B. Tomita−Score) zu
Verfügung, um unter Berücksichtigung der Prognose
Tabelle 9
Mirels−Score zu Beurteilung des Risikos der pathologischen Frakturgefahr der
langen Röhrenknochen (Mirels 1989).
Variable
Punktwert
1
2
3
Lokalisation
obere Extremität
untere Extremität
peritrochantär
Art der Läsion
osteoblastisch
gemischtförmig
osteolytisch
Größe in Relation zum
Diameter der Kortikalis
< 1/3
1
/3 ± 2/3
> 2/3
Schmerzprofil
gering
mäßig
ständig
den Umfang der therapeutischen Optionen abwägen zu
können.
Skelettszintigrafie. Der Stellenwert der Ganzkörperske−
lettszintigrafie bei der Diagnostik von Knochenmetas−
tasen tritt zunehmend in den Hintergrund, da nur selten
therapeutische Konsequenzen bei einem beschwerde−
freien Patienten resultieren und die Prognose in der Re−
gel kaum beeinflusst werden kann. Weiterhin ist bei
den meist älteren Patienten diese sehr sensitive Unter−
suchung wenig spezifisch.
MRT. Erfolg versprechender ist die MRT bei der Diag−
nostik von Knochenmetastasen, insbesondere im Be−
reich der Wirbelsäule, da hier unmittelbar therapeuti−
sche Konsequenzen in Kombination mit der klinischen
Symptomatik resultieren können. Gerade beim Plasmo−
zytom wurde die röntgenologische Untersuchung im
sog. ¹Pariser Schema“ von der wesentlich sensitiveren
Ganzkörper−MRT abgelöst.
n
Labordiagnostik
Neben der bildgebenden Diagnostik ist die Labordiag−
nostik ein wesentlicher Bestandteil in der Primär− als
auch Verlaufsdiagnostik im metastasierten Stadium der
Erkrankung. Ein Paradebeispiel ist die Bestimmung des
sog. Tumormarkers PSA im Serum beim Prostatakarzi−
nom. Beim Mammakarzinom können das CA 15−3, beim
Bronchialkarzinom die NSE ± um nur einige zu nennen ±
in die Beurteilung der Tumorprogression und/oder des
Therapieansprechens mit einbezogen werden. Im Vor−
dergrund steht nach wie vor die klinische Symptomatik
im metastasierten Stadium der Erkrankung, insbeson−
dere bei der Beurteilung des Therapieansprechens.
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3
ê2008 ê317 ± 344
337
Systemerkrankungen
Therapie
n
Therapeutisches Konzept
Die Therapie von Patienten mit Knochenmetastasen ist
bis auf wenige Ausnahmen palliativ, wobei die Prognose
entscheidend vom Primärtumor bestimmt wird.
Therapieziele
Knochenmetastasen
n
n
n
n
n
Schmerzlinderung
Therapie einer pathologischen Fraktur
Stabilisierung einer drohenden pathologischen
Fraktur
Therapie neurologischer Komplikationen beim
metastatischen Befall der Wirbelsäule
Operative Prinzipien
Die operative Therapiestrategie von Knochenmetasta−
sen ist abhängig von der Gesamtprognose, der Lokali−
sation, der Metastasengröße, dem Vorhandensein
viszeraler Metastasen, der Effektivität additiver Thera−
pieoptionen (z. B. Radiotherapie) und daher stets inter−
disziplinär zu entscheiden. Viel zu häufig wird nach wie
vor die Indikation zur operativen Therapie einer Kno−
chenmetastase erst nach einer pathologischen Fraktur
gestellt. Eine pathologische Fraktur geht mit höheren
intra− und postoperativen Komplikationen einher, ein
korrektes präoperatives Staging ist aufgrund der
Schmerzhaftigkeit kaum möglich und der Leidensdruck
der Patienten erheblich.
" Das Ziel ist es, vor der pathologischen Fraktur (zumin−
dest im Bereich der Extremitäten) zu operieren und die
Belastungsfähigkeit sowie die Funktionalität des betrof−
fenen Skelettabschnittes für die verbleibende Lebenszeit
mit einer Reduktion der Schmerzsymptomatik zu erhal−
ten.
sen. Voraussetzung ist, dass ein ausreichender Abstand
zum Gelenk für eine sichere Fixierung besteht (Abb. 15).
Bei gelenknahen Metastasenlokalisationen und aus−
gedehnten osteolytischen Läsionen ist die Verbund−
osteosynthese/Doppelplattenverbundosteosynthese
eine Methode, die Belastungsfähigkeit der betroffenen
Extremität wiederherzustellen. Insbesondere bei Pa−
tienten mit einem ossär metastasierten Bronchialkarzi−
nom sind diese Verfahren zu favorisieren.
Bei günstiger Prognose und osteolytischen Destruk−
tionen sind resezierende Verfahren mit anschließender
Rekonstruktion (z. B. Tumorendoprothetik, Wirbelkör−
perersatz) zu erwägen. Nur in seltenen Fällen ist eine
alleinige Resektion (z. B. Skapula, Becken, proximale
Fibula) möglich. Amputationen sind selten (z. B. exulze−
rierte, therapieresistente Metastasen).
Vor der operativen Therapie einer hypervaskulari−
sierten Knochenmetastase (meist bei Nierenzellkarzi−
nom und Schilddrüsenkarzinom) ist bei stammnahen
Lokalisationen die Indikation zur präoperativen Embo−
lisierung der tumorversorgenden Gefäße sehr groß−
zügig zu stellen. In jedem Fall, unabhängig vom
Operationsverfahren, ist Tumorgewebe für die histopa−
thologische Diagnostik zu gewinnen und die Ver−
dachtsdiagnose zu bestätigen.
Nach resezierenden Verfahren können die resultie−
renden Defekte mittels Tumorendoprothese (Abb. 16)
und in seltenen Fällen bei solitären Befunden und guter
Prognose auch mit biologischen Rekonstruktionsver−
fahren rekonstruiert werden. Auch hier besteht das Ziel
in einer schnellen Rehabilitation. Resezierende Verfah−
ren treten in den Vordergrund bei Nierenzell−, Schild−
drüsen− und ggf. Mammakarzinommetastasen.
n
Stellenwert der Radiotherapie
Die Radiotherapie gehört zum festen Bestandteil der
interdisziplinären Therapie von Karzinompatienten.
10 ± 20 % aller in der Radiotherapie behandelten Patien−
ten sind Patienten mit Knochenmetastasen extraske−
lettaler Primärtumoren.
Therapieziele
Bei Patienten mit einer schlechten Prognose sind eher
alleinig stabilisierende (z. B. Verriegelungsnagel) und
intraläsionale Verfahren (z. B. Verbundosteosynthese,
Vertebroplastie) zu erwägen. In diesen Fällen ist eine
postoperative Radiotherapie obligat, um eine lokale
Tumorprogression zu vermeiden, die mit Reeingriffen
und einer Zunahme der Beschwerdesymptomatik ein−
hergehen können.
Zu den alleinig stabilisierenden Verfahren zählen die
verschiedenen Formen der Osteosythesen, unabhängig
ob intramedullär oder in Form von Plattenosteosynthe−
338
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3
ê2008 ê317 ± 344
Radiotherapie
n
n
n
n
Schmerzlinderung
Verbesserung der Funktionalität
Remineralisierung des betroffenen Skelettabschnit−
tes (meist über ein mehrmonatiges Intervall)
Reduktion des Risikos eines Metastasenprogresses
nach einer operativen Therapie
Maligne Tumoren des muskuloskelettalen Systems
Abb. 15 n a Röntgenbild eines rechten proximalen Humerus in 2 Ebenen mit Nachweis einer permeativ wachsenden osteolytischen Destruktion.
Anamnestisch ist ein metastasiertes Bronchialkarzinom bekannt. Der Mirels−Score beträgt 9 Punkte (obere Extremität: 1 Punkt, Dauerschmerz:
3 Punkte, osteolytische Läsion: 3 Punkte, Größe der Läsion: 2 Punkte). Indikation zur operativen Therapie. b Aufgrund der limitierten Prognose und
der Lokalisation wurde eine Nagelosteosynthese mit einem expandiblen System vorgenommen. Die postoperative Strahlentherapie ist obligat.
In Abhängigkeit vom Fraktionierungskonzept (Einzeit−
bestrahlung, Hypofraktionierung, konventionelle Be−
strahlung) werden Dosen zwischen 8 und 40 Gy appli−
ziert.
Die Effektivität der Schmerzreduktion ist in vielen
Studien belegt. Von etwas mehr als 70 % der Patienten
wird über eine Schmerzlinderung berichtet, ca. 40 % ge−
ben eine komplette Schmerzbeseitigung an. Der Effekt
der Radiotherapie tritt nach 1 ± 4 Wochen ein (meist
unabhängig von der Fraktionierung und Dosierung).
Pathologische Frakturen werden häufiger nach Einzeit−
bestrahlungen mit hoher Dosierung beobachtet. Der Ef−
fekt der Schmerzlinderung infolge der Radiotherapie
wird auf eine Elektrolytverschiebung an den peripheren
Nervenendigungen, eine Umwandlung der Gewebeazi−
dose in eine Alkalose, den zytotoxischen Effekt auf die
Tumorzellen und die Größenreduktion der Knochen−
metastase zurückgeführt. Zusammenfassend ist die
Schmerzlinderung weitgehend dosisunabhängig.
Eine Remineralisierung ist vor allem bei teils osteoly−
tisch/teils osteoblastischen Knochenmetastasen zu er−
warten. Hierzu zählen insbesondere Mammakarzinom−
(Remineralisierung in 62 %) und Prostatakarzinom−
metastasen (Remineralisierung in 57 %). Bei Knochen−
metastasen von Nierenzell−, Schilddrüsen− und Bron−
chialkarzinomen tritt dieser Effekt deutlich seltener
auf und liegt nur zwischen 10 ± 28 %. Im Vergleich
zur Schmerzlinderung ist die Remineralisierung dosis−
abhängig, abhängig von der Fraktionierung und der
Tumorentität, sie tritt im Mittel erst 2 ± 6 Monate nach
der Radiotherapie ein.
" Die postoperative Radiotherapie ist nach allen intra−
läsionalen Operationsverfahren zu fordern, da hierdurch
sowohl die Funktionalität des betroffenen Skelettab−
schnittes verbessert als auch das Risiko eines operativen
Zweiteingriffes deutlich reduziert wird.
n
Stellenwert systemischer Optionen
Die systemische Chemotherapie hat bei der Behandlung
von Karzinommetastasen des Knochens kaum eine
klinische Relevanz. Bisphosphonate können zwar die
Prognose kaum beeinflussen, jedoch treten die Symp−
tome als auch die Komplikationen einer Skelettmetas−
tasierung signifikant später auf. Eindrucksvoll konnte
diese Erkenntnis bei der Therapie des ossär metasta−
sierten Mammakarzinoms demonstriert werden.
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3
ê2008 ê317 ± 344
339
Systemerkrankungen
Abb. 16 n a Röntgenbild eines linksseitigen Kniegelenkes eines 72−jäh−
rigen Patienten. Es besteht der Zustand nach Implantation einer Knie−
endoprothese aufgrund einer Gonarthrose, weiterhin Zustand nach Tu−
mornephrektomie. Röntgenmorphologisch zeigt sich eine ausgedehnte
osteolytische Destruktion ohne Matrixverkalkungen der linken distalen
Femurepimetaphyse mit pathologischer Fraktur. b Auswärts wurde die
pathologische Fraktur mit einem winkelstabilen Implantat versorgt.
Schmerz und Instabilität bestanden postoperativ fort. c Die Lösung des
Problems war aufgrund der Lokalisation die Metastasenresektion und
Implantation einer Tumorendoprothese ¹distaler Femurersatz“, zemen−
tiert.
nen und einer progredienten Schmerzsymptomatik
liegt, ist die Nachsorge stets symptombezogen unter
Berücksichtigung der Grunderkrankung und der Prog−
nose durchzuführen. Regelmäßige röntgenologische
Kontrollen sind bei einem stationären klinischen Be−
fund nicht indiziert.
Prognose
Bisphosphonate gehören heute neben der Therapie der
tumorbedingten Hyperkalzämie zur Basistherapie der
Knochenmetastasierung. Die ablative Radiojodtherapie
hat nach wie vor ihren klinischen Stellenwert beim os−
sär metastasierten Schilddrüsenkarzinom. Gerade bei
dieser Tumorentität kann ein langfristiges Überleben
durch eine Kombination aus operativer und nuklear−
medizinischen Therapie erreicht werden.
Nachsorge
Da die operative Behandlung von Knochenmetastasen
vorwiegend in der Prophylaxe bzw. Therapie von pa−
thologischen Frakturen, neurologischen Komplikatio−
340
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3
ê2008 ê317 ± 344
Die Prognose im metastasierten Stadium der Erkran−
kung hängt entscheidend vom Primärtumor und dem
Metastasierungsmuster ab. Eine gute Prognose haben
Patienten, die nach einem langzeitlichen Intervall Kno−
chenmetastasen entwickeln. Weiterhin ist die Prognose
von Patienten mit Knochenmetastasen eines Mamma−
und Nierenzellkarzinoms deutlich besser im Vergleich
zum Bronchialkarzinom. Liegen zusätzlich viszerale−
oder Hirnmetastasen vor, so verschlechtert sich die
Prognose relevant.
Maligne Tumoren des muskuloskelettalen Systems
Literatur
Korrespondenzadresse
Dr. med. Per−Ulf Tunn
Campanacci M. Bone and soft tissue tumors. New York: Springer, 1990
Leiter Department Tumororthopädie
Dorfman HD, Czerniak B, Kotz R, Vanel D, Park YK, Unni K. WHO classi−
fication of tumours of bone: Introduction. In: Fletcher DM, Unni K,
Sarkomzentrum Berlin−Brandenburg
Klinik für Orthopädie und orthopädische Rheumatologie
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13125 Berlin
Telefon: 030/940152300
Telefax: 030/940152309
E−Mail: per−ulf.tunn@helios−kliniken.de
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The Internet Society of Orthopaedic Surgery and Trauma. Im Internet:
www.orthogate.com
Orthopädie und Unfallchirurgie up2date 3
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Maligne Tumoren des muskuloskelettalen Systems
CME−Fragen
Die folgenden Fragen beziehen sich auf den vorangehenden Beitrag. Sie können uns die entsprechenden
Antworten entweder online unter http://cme.thieme.de oder durch das CME−Teilnahmeheft hinten in dieser
Zeitschrift zukommen lassen. Jeweils eine Antwort ist richtig.
Die Vergabe von CME−Punkten ist an die korrekte Beantwortung der Multiple−Choice−Fragen gebunden.
Welche klinische
Symptomatik ist bei
einem Patienten mit
einem Knochen− oder
Weichgewebesarkom
primär zu erwarten?
Welche Bildgebung hat
bei der Beurteilung
eines Knochentumors
die höchste Aussage
bezüglich der Dignität
und Entität?
Welche Aussage ist bei
der offenen Biopsie
eines Knochentumors
falsch?
Welche Antwort ist
falsch?
Die Prognose von
Patienten mit einem
Osteosarkom ist weit−
gehend unabhängig von
Wann ist nach einer
operativen Therapie von
Knochenmetastasen
eine postoperative
Strahlentherapie nicht
indiziert?
1
A
B
C
D
E
Anämie, Leistungsknick
Gewichtsverlust, Nachtschweiß
Schwellung, Schmerz
Anstieg der Tumormarker
Pathologische Fraktur
2
A
B
C
D
E
Röntgen, nativ
Knochenszintigrafie
MRT
CT
PET
3
A Die Wahl des Biopsiezugangs sollte im Verlauf des späteren definitiven Zugangs liegen.
Der die Biopsie durchführende Operateur muss die Möglichkeit und Art der definitiven
Versorgung kennen.
B Es ist der kürzeste, direkte Weg zum Tumor zu wählen, ohne ein weiteres Kompartment
zu eröffnen.
C Eine Drainage ist obligat, diese wird direkt aus der Wunde oder in unmittelbarer Nähe
des Wundwinkels ausgeleitet.
D An den Extremitäten werden ausschließlich quer verlaufende Schnitte gesetzt.
E Die Operationstechnik hat so atraumatisch wie möglich zu erfolgen. Gewebe−
quetschungen oder großzügiges Präparieren und Darstellen des Tumors sind zu
vermeiden. Die Hautnaht wird in intrakutaner Technik durchgeführt; großzügige
Rückstichnähte sind obsolet.
4
A
B
C
D
E
5
A Nach intraläsionaler Resektion und Verbundosteosynthese
B Bei guter Prognose
C Nach belastungsstabiler Marknagelung einer pathologischen Fraktur einer Mamma−
karzinommetastase und begleitender antihormoneller Therapie und der Gabe von
Bisphosphonaten
D Nach R0−Resektion der Knochenmetastase
E Bei Nierenzellkarzinommetastasen, unabhängig vom Operationsverfahren, da ein
schlechtes Ansprechen auf eine Strahlentherapie bekannt ist
der R−Klassifikation.
dem histopathologischen Regressionsgrad.
dem Tumorvolumen.
einer Metastasierung.
dem Geschlecht.
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Systemerkrankungen
6
A Geschlecht, Dauer der Schmerzen, Mammakarzinom in der Anamnese, Ausdehnung der
Metastase
B Lokalisation der Metastase, Schmerzintensität, Ausmaß der Destruktion der Kortikalis,
Art der Läsion (osteolytisch, osteoblastisch)
C Alter, Lokalisation der Metastase, Schmerzmitteldosierung, Notwendigkeit der Nutzung
orthopädietechnischer Hilfsmittel
D Größe der Metastase, Primärerkrankung, Alter, Mobilitätsindex
E Schmerzprofil, begleitende Osteoporose, weibliches Geschlecht, osteolytische Metastase
7
A bereits fortgeschrittener viszeraler Metastasierung und multiplen Knochenläsionen eines
Patienten mit einem Bronchialkarzinom.
B hohem Patientenalter und Immobilisierung.
C Multimorbidität und Magenkarzinom.
D bekanntem Primärtumor und langem krankheitsfreien Intervall.
E szintigrafisch solitärer Läsion beim Mammakarzinom.
8
A jungen Patienten, progredienter Schwellung, B−Symptomatik, Lokalisation im Bereich der
unteren Extremität, positiver Familienanamnese.
B Alter in der 2. Lebenshälfte, tiefer Tumorlokalisation, progredienter Schmerz−
symptomatik, Tumor > 8 cm.
C rezidivierendem Trauma, zunehmender Schwellung, Funktionseinschränkung,
weiblichem Geschlecht, Tumor > 20 cm.
D männlichem Geschlecht, Alter in der 2. Lebenshälfte, Schwellung an der oberen
Extremität, Anamnese weniger als 1 Monat, Alkoholabusus.
E Tumorerkrankung in der Anamnese, Nikotinabusus, Funktionseinschränkung und
Schwellung der betroffenen Extremität, Anstieg des PSA, Nachtschweiß.
9
A
B
C
D
E
Strahlentherapie
Systemische Chemotherapie
Isolierte hypertherme Extremitätenperfusion
Systemische Chemotherapie mit regionaler Hyperthermie
Bisphosphonate in Kombination mit einer antihormonellen Therapie
10
A
B
C
D
E
Amputation.
radikalen Resektion.
neoadjuvanten Therapie.
adjuvanten Strahlentherapie.
R0−Resektion.
Welche Parameter
dienen zur Einschätzung
des Risikos einer patho−
logischen Fraktur
infolge einer Karzinom−
metastase im Bereich
der langen Röhren−
knochen?
Die histologische
Sicherung einer ver−
meintlichen Knochen−
metastase ist nicht
indiziert bei
Die Wahrscheinlichkeit,
dass es sich um ein
Weichgewebesarkom
handelt, ist hoch bei
Welche neoadjuvante
Therapie hat beim
lokal fortgeschrittenen
Weichgewebesarkom
der Extremitäten
im Erwachsenenalter
mit dem Ziel der
Vermeidung einer
Amputation die
höchste Responserate:
Eine lokale Tumor−
kontrolle ist bei
einem Patienten
mit einem Weich−
gewebesarkom der
Extremitäten nur
zu realisieren mit
einer
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