Wissenschaft Angst vor Männerpanik Taugen Blutdrucksenker als Pille für den Mann? Eine US-Medizinerin hat ihre verhütende Wirkung entdeckt. Doch in der Pharmaindustrie stößt sie auf Widerstand. I rgendwann begann sich Susan Benoff zu wundern. Immer wieder kamen Paare zu der Reproduktionsmedizinerin von der New York University School of Medicine, die darüber klagten, keine Kinder zeugen zu können. Nur warum? Die Spermien der Männer, so beteuert Benoff, erwiesen sich im Labor als „absolut normal“. Und doch waren sie ganz offensichtlich unfruchtbar. Die Wissenschaftlerin fand die Lösung des Rätsels, als sie die Krankengeschichten ihrer Patienten miteinander verglich. Es stellte sich heraus, dass alle verhinderten Väter unter Bluthochdruck litten und das Problem mit so genannten Calciumblockern bekämpften. In Tests fand Benoff ihren Verdacht bestätigt: Der Calciumblocker Nifedipin bewirkt eine subtile Veränderung männlicher Samen. Er verhindert, dass Rezeptoren an die Oberfläche der Spermien dringen, mit deren Hilfe sie an der weiblichen Eizelle andocken und diese befruchten. Und noch ein Weiteres entdeckte Benoff: Die Unfruchtbarkeit setzt Paar beim Sex: Trick mit dem Rezeptor etwa nach einmonatiger EinnahDenn bisher ist es nicht gelungen, Mänme eines blutdrucksenkenden Medikaments mit dem Wirkstoff Nifedipin ein. Wird das nern eine Substanz anzubieten, die so zuMittel abgesetzt, so ist der Mann nach etwa verlässig verhütet wie die Pille der Frau, nur für begrenzte Zeit die Befruchtung verdrei Monaten wieder zeugungsfähig. Benoff war begeistert. Sie war offenbar hindert, keine Einbuße der Potenz mit sich dem idealen Verhütungsmittel für den bringt und auch keine weiteren ernsten Nebenwirkungen zeigt. Mann auf die Spur gekommen. Fettige Sperre Verhütende Wirkung von Bluthochdruckmitteln Im Hoden reifen die Spermien heran. Unter dem Einfluss des Wirkstoffs Nifedipin bildet sich an ihren Membranen eine cholesterinhaltige Fettschicht. Weg der Spermien Nif ed ipi n Gebärmutter 226 Eizelle Spermium 1 2 Eizelle Eileiter Hat der Mann Calciumblocker genommen, können die Rezeptoren die Fettschicht nicht durchdringen. 3 Das Spermium kann deshalb nicht an die Eizelle andocken – die Befruchtung ist unmöglich. Eizelle ohne Nifedipin Eierstock Hoden FOLIO ID MEDIZIN Die jüngste Errungenschaft auf diesem Gebiet zum Beispiel, die im Frühjahr aus Großbritannien gemeldet wurde, erfüllt kaum eines dieser Kriterien. Medizinern aus Manchester ist es gelungen, mit einer Kombination aus dem männlichen Sexualhormon Testosteron und Desogestrel – einer Progesteronform, die auch in der Antibabypille eingesetzt wird – die Spermienproduktion bei Männern zu unterbrechen. Doch selbst hohe Verabreichungsdosen erreichten in Tests nur eine Verhütungsquote von rund 65 Prozent. Der tiefe Eingriff in den Hormonhaushalt der Männer führte zudem zu beträchtlichen Nebenwirkungen wie Hautausschlag oder deutlichem Absinken des Cholesterinspiegels im Blut. All dies, so versprechen Benoffs Versuche, wäre bei einer Verhütungspille auf Basis der Calciumblocker nicht zu befürchten. Schon bei ersten Tests im Reagenzglas zeigte sich eine Zuverlässigkeit von 95 Prozent. Würde die Substanz auf ihre empfängnisverhütenden Eigenschaften hin optimiert, so wären noch weit bessere Ergebnisse denkbar. Der Trick mit dem Rezeptor macht zudem einen Eingriff in den Hormonhaushalt des Mannes überflüssig. Anders als bei der Sterilisation ist die Unfruchtbarkeit vorübergehend. Ernste Nebenwirkungen sind nicht zu befürchten, das hat die jahrzehntelange Erfahrung mit Nifedipin-Präparaten hinlänglich bewiesen. Auf einer Veranstaltung der American Society of Reproductive Medicine vorigen Monat erklärte die Sprecherin der Gesellschaft und Benoff-Kollegin Shaun Goodman vom St. Michael’s Hospital in Toronto detailliert, wie Nifedipin auf Sperma wirkt. Frisch ejakulierter Samen, so Goodman, ist zunächst nicht in der Lage, ein Ei zu be- 3 1 Rezeptoren im Inneren des Spermiums gelangen kurz vor der Befruchtung auf die Zelloberfläche. 2 Mit Hilfe dieser Rezeptoren dockt das Spermium an die Eizelle an – es kommt zur Befruchtung. d e r s p i e g e l 4 4 / 1 9 9 9 mit Nifedipin fruchten. Ungefähr eine halbe Stunde spä- wächst die Zahl der Männer, die in einer ter schicken die Spermien Rezeptoren, die Zweitehe auch in höherem Alter noch ein in ihrem Inneren gelagert sind, an die Kind zeugen möchten. Außerdem könnte Oberfläche der sie umgebenden Membran. allein das Wissen um die eigene UnfruchtErst dann ist der männliche Samen im barkeit viele schrecken, die gar keinen KinStande, sich auf dem weiblichen Ei festzu- derwunsch mehr hegen – für die Industrie setzen (siehe Grafik Seite 226). alles Gründe, um Umsatzeinbußen zu Nifedipin und andere Wirkstoffe dieser fürchten. Benoff: „Die haben einfach Art jedoch erhöhen in den Samen die Pro- Angst, Geld zu verlieren.“ duktion von Cholesterin, das sich wie eine Hinzu kommt, dass Verhütungsmittel für Fettschicht um die Membran legt und auf Männer bei Pharmafirmen als Ladenhüter diese Weise den Transport der Rezeptoren gelten. „Die gehen davon aus, dass die von innen nach außen verhindert. meisten Männer gar keine aktive Rolle bei Die Probleme für die New Yorker Wissenschaftlerin begannen, als sie in der Industrie nach einem Partner suchte, um die Entwicklung der Pille für den Mann voranzutreiben. Bei sechs führenden Pharmakonzernen, die Nifedipin-Präparate im Sortiment haben, klopfte sie an – und bekam sechsmal eine Absage. Auch die Bayer AG, für die in den sechziger Jahren der deutsche Herzpapst Xaver Fleckenstein den damals als Wundermittel gepriese- Medizinerin Benoff: Sechs Absagen von Pharmafirmen nen Wirkstoff entwickelt hatte, winkte ab. Bei Bayer bestehe „kei- der Familienplanung übernehmen wollen“, ne Absicht“, so ließen die Leverkusener erfuhr Benoff bei ihrer Rundreise durch verlauten, „eine Weiterentwicklung von die Pharmawelt. Nifedipin in der von Dr. Benoff angeregten Wie drastisch die Angst vor NebenRichtung zu betreiben“. wirkungen dem Geschäft schaden kann, Das Unbehagen bei Unternehmen wie zeigte sich vor einigen Jahren in den Bayer, das mit „Adalat“ zu den Markt- USA. Auch Anfang 1995 ging es um Nifeführern bei blutdrucksenkenden Mitteln dipin. gehört, ist verständlich. Weltweit benötiIn obskuren Untersuchungen behaupgen rund 100 Millionen Menschen blut- tete ein Pharmaforscher, nachgewiesen zu drucksenkende Medikamente, um einem haben, dass der Bayer-Wirkstoff das Herzinfarkt oder einem Schlaganfall vor- Herzinfarktrisiko erhöhe, statt es zu verzubeugen. In Deutschland werden Nifedi- ringern. pin-Präparate jährlich über 20 Millionen Prompt brach unter den Patienten in den Mal verordnet. USA die Panik aus. Hunderttausende setzAllein die Nifedipin-Präparate Adalat ten Adalat und andere Calciumblocker ab. von Bayer und Procardia von Pfizer be- An einem Tag verloren die Hersteller an scheren pro Jahr einen Umsatz von knapp der New Yorker Börse eine Milliarde vier Milliarden Mark. Bestätigen sich Dollar. Hauptexporteur Bayer musste UmBenoffs Untersuchungen, dann sind rund satzeinbußen von rund 50 Millionen Mark 95 Prozent aller Männer, die diese Mittel – verkraften. oft viele Jahre lang – schlucken, medikaBenoffs Entdeckung kommt gerade mentös bedingt unfruchtbar. jetzt ungelegen, da die Pharmariesen dabei Millionen zeugungsunfähiger Männer sind, für die Calciumblocker ganz neue durch Blutdrucksenker: für die Industrie Märkte zu erschließen. Jüngste Forschunein Schreckensszenario. Da hilft es we- gen haben ergeben, dass Nifedipin von nig, wenn die Unternehmen beteuern, Arteriosklerose bedrohten Gefäßen helfen dass die meisten Bluthochdruckpatienten kann. Um diesen erfreulichen Nebeneffekt über 40 Jahre alt sind und somit ihre Fa- zweifelsfrei zu belegen, finanziert Bayer milienplanung normalerweise abgeschlos- zurzeit zwei klinische Studien. sen haben. Susan Benoff dagegen ist immer noch auf Zum einen werden Calciumblocker zu- der Suche nach Geldgebern, um für Männer nehmend auch bei chronischen Kopf- die ideale Verhütungspille zu entwickeln. schmerzen eingesetzt – ein Leiden, das al- Für alle Fälle hat sie sich ihre Entdeckung tersunabhängig eintritt. Zum anderen patentieren lassen. Heiko Martens 228 d e r s p i e g e l 4 4 / 1 9 9 9 T. EVERKE Wissenschaft