J. Flitsch, H. Lahner Hypophysentumore ISBN 978-3-17-024480-1 Kapitel H9 aus T. Brandt, H.C. Diener, C. Gerloff (Hrsg.) Therapie und Verlauf neurologischer Erkrankungen 6., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage 2012 Kohlhammer BDG_neu.book Seite 935 Mittwoch, 15. August 2012 9:16 09 H9 Hypophysentumore von J. Flitsch und H. Lahner H 9.1 Klinik H 9.3 Therapeutische Prinzipien Hypophysentumor ist der Oberbegriff für eine Neoplasie, die in der Sella-Region der Schädelbasis – entweder aus dem Hypophysengewebe selbst oder aus dem umliegenden Gewebe – entstanden ist. Die seltener dort anzutreffenden Metastasen können ebenfalls in diese Kategorie fallen, da der Ausdruck Hypophysentumor lediglich für eine Lagebeziehung steht, nicht aber notwendigerweise Hinweise auf die Genese eines Tumors gibt. Die Klinik der einzelnen Erkrankungen wird im jeweiligen Unterabschnitt besprochen, wobei dieses Kapitel inhaltliche Überlappungen mit dem Kapitel Neuroendokrine Störungen aufweist. Dem Leser ist daher geraten, auch jenes Kapitel zu studieren, da der Schwerpunkt hier auf der operativen Behandlung der Erkrankungen liegt und wesentliche Aspekte der Diagnostik und nicht-chirurgischen Therapie nur kurz angesprochen werden. Für die Behandlung der Erkrankungen gilt, dass eine multidisziplinäre Kooperation zwischen Hausarzt, ggfs. Gynäkologie, Neurologie, Endokrinologie, Ophthalmologie, Radiologie, Neurochirurgie und Strahlentherapie den Patienten die beste Betreuung bietet. Die Pathogenese von Hypophysenadenomen ist nicht restlos geklärt. Einige meist spontan auftretende genetische Mutationen konnten charakterisiert werden, etwa 5 % der Hypophysentumore treten familiär gehäuft auf. H 9.2 앫 Epidemiologie und Verlauf Ältere Daten des zentralen Hirntumor-Registers der USA zeigten eine durchschnittliche Inzidenz der Hypophysentumore von 0,9/100 000 Personenjahre (Surawicz et al. 1999). Neuere klinische Studien gehen von einer 3– bis 5-mal so hohen Inzidenz aus (Daly et al. 2009). Autoptisch lassen sich in ungefähr 10 % der untersuchten Hypophysen meist kleine Tumore nachweisen, einzelne Autoren geben noch höhere Inzidenzen an (Buurman und Saeger 2006). Klinisch treten diese in Erscheinung: 앫 앫 앫 mit neurologischen Symptomen (z. B. Kopfschmerzen, Gesichtsfeldeinschränkungen), als Zufallsbefunde im MRT (»Inzidentalom« der Hypophyse), mit Hormonstörungen (Prolaktinom, M. Cushing und Akromegalie als autonome Überfunktion; Hypophyseninsuffizienz bei Beeinträchtigung des gesunden Hypophysengewebes). Auf den Verlauf der einzelnen Erkrankungen wird bei den einzelnen Tumoren näher eingegangen werden. 앫 앫 앫 앫 Gs alpha: aktivierende Mutation der alpha-Untereinheit des Adenylatcyclase stimulierenden Proteins, zu finden bei etwa 40 % der Wachstumshormon produzierenden Adenome (Vallar et al. 1987). PTTG: Überexpression des »pituitary tumor transforming gene«, häufig bei Hypophysenadenomen nachzuweisen (Vlotides et al. 2007). FGF-Rezeptor 4: Trunkierte Form des »fibroblast growth factor 4«-Rezeptors, ebenfalls vermehrt in Adenomen nachweisbar (Ezzat et al. 2002). MEN 1: »Loss of function«-Mutation eines Tumorsuppressor-Gens, kann familiär gehäuft zum »Multiplen Endokrinen Neoplasie Syndrom Typ 1« führen. Manifestationen sind Tumore der Nebenschilddrüsen, der pankreatischen Inselzellen und der Hypophyse (Basset et al. 1998). Sporadische Hypophysenadenome werden dadurch nicht verursacht. FIPA: »Familial Isolated Pituitary Adenomas« treten v. a. bei jüngeren Patienten auf und zeichnen sich durch ein großes Tumorvolumen aus. Ursächlich wird eine Mutation des AIP-Gens (aryl hydrocarbon receptor-interacting protein gene) angenommen (Daly 2009). H 9.3.1 Hypophysenadenome Bei den meisten operationsbedürftigen Tumoren der Region handelt es sich um Hypophysenadenome (80–85 %). Sie entstehen aus Zellen des Hypophysenvorderlappens und können klinisch in hormonaktive sowie hormoninaktive Adenome unterteilt werden. Ein weiteres Kriterium für die Unterteilung der Adenome ist die Größe. Adenome unter 1 cm Durchmesser zählen zu den Mikroadenomen, ab 1 cm Durchmesser handelt es sich um Makroadenome. Histologisch erfolgt nach WHO-Klassifikation (Saeger et al. 2007) die Unterteilung in: 앫 앫 앫 »normale« Adenome, atypische Adenome mit erhöhter mitotischer sowie proliferativer Aktivität, Hypophysenkarzinome. Hypophysenkarzinome sind sehr selten und nur bei Vorliegen von bewiesenen Metastasen (Liquoraussaat bzw. Fernmetastasen) zu diagnostizieren. 935 H 9 BDG_neu.book Seite 936 Mittwoch, 15. August 2012 9:16 09 Neoplasien und Missbildungen Abb. H 9.1: A) Koronares und B) sagittales MRT, T1-gewichtet nach Kontrastmittelgabe. Großes hormoninaktives Hypophysenadenom mit Einbruch in den 3. Ventrikel und Verlegung des linken Foramen Monroi, aufgestellter linker Seitenventrikel. Dank der Immunhistologie kann der Hormonstatus der Adenome genau differenziert werden. Der immunhistochemische Nachweis einer Hormonüberexpression bedeutet jedoch noch nicht notwendigerweise einen klinisch relevanten Hormonexzess. Obwohl die meisten Adenome benigne sind, kann deren operative Behandlung aufgrund eines invasiven Wachstums in das Nachbargewebe Schwierigkeiten bereiten. Aus diesem Grund ist eine Klassifikation nach MR-bildgebenden Kriterien in 앫 앫 앫 앫 Mikroadenome (Typ 1), Makroadenome (Typ 2), invasive Makroadenome mit noch erreichbarer operativ-radikaler Resektion (Typ 3) und weit invasiv gewachsene Makroadenome, die chirurgisch nur teilresezierbar sind (Typ 4), für die Einschätzung der Operabilität sinnvoll (modifizierte Hardy Klassifikation, Hardy und Verzina 1976). Abb. H 9.1 zeigt ein Beispiel eines Typ 4-Adenoms (giant adenoma). H 9.3.1.1 Hormonaktive Adenome Hierunter fallen Prolaktinome, GH-sezernierende Adenome (Akromegalie), ACTH-sezernierende Adenome (Morbus Cushing) sowie die sehr seltenen TSH-ome. Klinischerseits fallen diese Adenome meistens durch ihren Hormonexzess auf, wobei die Patienten klassischerweise eine jahrelange, langsam progrediente und retrospektiv typische Klinik aufweisen. Andere denkbare klinische Symptome können sein: eine Hypophyseninsuffizienz, Kopfschmerzen, ein (auch inkomplettes!) Chiasma-Syndrom oder ein Sinus-cavernosus-Syndrom. Die Klinik der einzelnen Krankheitsbilder wird im Kapitel Neuroendokrine Störungen weitergehend diskutiert. Prolaktinome Bei Nachweis einer Hyperprolaktinämie > 200 ng/ ml (> 10-facher Normbereich) beweist das MRT das Vorliegen eines Prolaktinoms. Prolaktinspiegel zwischen 100 und 200 ng/ml sind für Mikroprolaktino936 me < 1 cm charakteristisch. Wichtig für die weitere Therapieentscheidung ist es, eine Begleithyperprolaktinämie auszuschließen. Bei größeren Tumoren, die den Hypophysenstiel verlagern, findet sich häufig eine geringgradige Hyperprolaktinämie. Selten liegt diese > 100 ng/ml, da die laktotrophen Zellen der Hypophyse als Einzige einer regulatorischen Hemmung durch Dopamin unterliegen, welches über den Hypophysenstiel zu den Zellen gelangt. Störungen des Hypophysenstiels resultieren daher in einer Prolaktinerhöhung. In diesen Fällen liegt kein Prolaktinom vor. Differentialdiagnostisch ist die Diskrepanz zwischen Tumorgröße und nur mäßigem Hormonexzess führend. In diesem Zusammenhang kann das Laborphänomen des »high dose hook effect« Schwierigkeiten bereiten, bei dem ein exzessiver Prolaktinspiegel falsch niedrig gemessen wird. Einzelheiten hierzu finden sich im Kapitel Neuroendokrine Störungen. Ebenso abzugrenzen ist die Begleithyperprolaktinämie, die durch vorangegangene Stimulation der Mamillen (klinische Untersuchung!), Medikamente (v. a. Neuroleptika, Antidepressiva und Metoclopramid) und Stress (emotional und physisch) ausgelöst werden kann. Die Prolaktinspiegel betragen in diesen Fällen selten mehr als das Doppelte der Norm. Zur differentialdiagnostischen Klärung dient neben der Anamnese die Wiederholung der Messung. während Schwangerschaft und Stillzeit ist eine Hyperprolaktinämie physiologisch. Der primäre Therapieansatz zur Behandlung liegt in der medikamentösen Therapie. 70–90 % der Prolaktinome werden medikamentös erfolgreich mittels Dopaminagonisten (z. B. Cabergolin, Quinagolid, Bromocriptin) therapiert. Neben der Normalisierung des Prolaktinspiegels zeigt sich im Verlauf MRtomographisch meistens eine Verkleinerung der Tumorgröße, sodass eine Dauertherapie die Erkrankung erfolgreich kontrollieren kann (Colao 2010). Regelmäßige Hormonkontrollen sowie VerlaufsMRT-Untersuchungen sind jedoch erforderlich, insbesondere dann, wenn nach einigen Jahren mittels Auslassversuch die Notwendigkeit der Fortführung der Medikation überprüft wird. Einzelheiten hierzu finden sich im Kapitel Neuroendokrine Störungen. BDG_neu.book Seite 937 Mittwoch, 15. August 2012 9:16 09 Hypophysentumore Für Patienten mit Chiasmakompressions-Syndrom oder Einblutung (gelegentlich bei Beginn einer dopaminagonistischen Therapie) ist die operative Therapie indiziert. Ebenso kann die OP bei fehlendem Wirkeffekt, bei Unverträglichkeit der Dopaminagonisten sowie bei explizitem Patientenwunsch indiziert sein. GH-sezernierende Adenome (Akromegalie) Die klassischen Veränderungen der Erkrankung führen im statistischen Mittel erst nach 7–10 Jahren zur Verdachtsdiagnose, die laborchemisch sehr einfach über eine IGF-1 Bestimmung gestellt werden kann. Der orale Glukosetoleranztest mit 75 g Glukose und Messung des nicht supprimierbaren Wachstumshormons sichert die Diagnose. In vielen Fällen finden sich zum Diagnosezeitpunkt invasive Makroadenome, die nicht mehr ausschließlich neurochirurgisch operativ therapierbar/heilbar sind. Im Falle von Mikroadenomen oder Makroadenomen ohne invasives Wachstum in die Nachbarregionen (in erster Linie in den Sinus cavernosus) ist eine transsphenoidale Resektion die erste Therapieoption. Obwohl unverändert keine eindeutige wissenschaftliche Meinung zu den präoperativen Effekten der Somatostatin-Analoga-Therapie (Octreotid, Lanreotid) auf die Verbesserung der OP-Ergebnisse besteht (Schrumpfung der Adenome!), empfehlen die Autoren eine medikamentöse Vorbehandlung bei Typ 3und Typ 4-Adenomen (Giustina et al. 2010). Im Falle einer inkompletten Adenomresektion stehen medikamentöse Optionen (Somatostatin-Analoga, GH-Rezeptor-Antagonisten, Dopaminagonisten) neben einer stereotaktischen Bestrahlung zur Diskussion. In diesen Fällen sollte der Therapieplan einerseits individuell für den Patienten und andererseits interdisziplinär mit allen beteiligten Disziplinen abgestimmt werden. ACTH-sezernierende Adenome (Morbus Cushing) Die Diagnostik des Morbus Cushing kann auch erfahrenen Endokrinologen große Probleme bereiten. Während der Hypercortisolismus als solcher noch relativ einfach zu beweisen ist (1 mg DexamethasonHemmtest, Messung der 24-h-Urin-Cortisolausscheidung), kann bei nachweisbaren ACTH-Spiegeln die Differenzierung zwischen hypophysärer und ektope Genese sehr schwierig sein (siehe Kapitel Neuroendokrine Störungen, high-dose Dexamethason-Test und CRH-Test). Über 90 % der Morbus Cushing-Patienten leiden an Mikroadenomen, wovon bis zu 50 % sich der Auflösung durch die MRT entziehen, also kein Adenom sicher zu identifizieren ist. In diesen Situationen kann eine invasive zentrale venöse Katheterisierung des Sinus cavernosus mit ACTH-Bestimmung hilfreich für die operative Auffindung der Adenome sein. Therapie der Wahl ist die transsphenoidale Resektion des Adenoms. Im Falle einer erfolgreichen Therapie findet sich bei den meisten Patienten unmittelbar ein sekundärer Hypocortisolismus, der eine Hydrocortison-Substitution von im Mittel 1,5 Jahren erforderlich macht, bis die hypothalamisch-hypophysär-adrenale Achse wieder suffizient funktioniert (Lüdecke et al. 2001). Viele erfolgreich operierte Patienten berichten über eine erhebliche Einschränkung ihres Allgemeinzustandes (Knochen-, Gelenkschmerzen, Inappetenz) während dieser Zeit, die sich aus dem relativen Glukokortikoidmangel trotz adäquater Substitution erklärt. Medikamentöse Therapien sind bislang bestenfalls zweite Wahl, da der Therapieerfolg geringer und die Nebenwirkungen teilweise erheblich sind. Einige Erfahrungen bestehen mit Ketokonazol (Fluconazol), Etomidate, Aminogluthetimid, Mitotane und Metopiron. In klinischer Erprobung steht zurzeit Pasireotid, ein sogenanntes »multiligand Somatostatin-Analogon«. Alternativ kommt die Strahlentherapie der Hypophysenregion (z. B. eines invasiven Tumorrests unter Aussparung der Hypophyse) infrage. Ultima Ratio ist die bilaterale Adrenalektomie, die naturgemäß lebenslang eine substitutionspflichtige primäre Nebennierenrindeninsuffizienz bedingt. Langfristige Komplikation einer bilateralen Adrenalektomie kann die (seltene) Entwicklung eines aggressiven hypophysären ACTH-produzierenden Tumors (Nelson-Tumor) sein (Nelson et al. 1960). Daher sind postoperativ regelmäßige Verlaufskontrollen (Überwachung der Substitution mit Gluko-, Mineralokortikoiden, ACTH-Spiegel, MRT) notwendig. TSH-sezernierende Adenome Obwohl für die beispielhafte Beschreibung eines hormonellen Regelkreises gerne genannt, sind sekundäre Hyperthyreosen durch ein TSH-om eine Rarität. Wenn bei Nachweis eines erhöhten freien Thyroxinspiegels (fT4) das TSH messbar bleibt, sollte nach laborchemischer Bestätigung ein MRT des Kopfes/der Sella angestrebt werden. Laborchemisch findet sich beim TSH-om häufig auch eine erhöhte alpha-Untereinheit (alpha-subunit, s. Kapitel Neuroendokrine Störungen). Differentialdiagnostisch ist eine der Blutentnahme unmittelbar vorangegangene Thyroxin-Medikation sowie das (sehr seltene) Syndrom der Schilddrüsenhormonresistenz (Refetoff-Syndrom) abzugrenzen. Findet sich im MRT eine entsprechende Raumforderung, liegt wie bei der Akromegalie häufiger bereits ein invasives Wachstum des Adenoms vor. Therapeutisch kann in so einem Fall die präoperative Behandlung mit einem Somatostatin-Analogon sowohl klinisch als auch von der Tumorgröße her eine Verbesserung der operativen Ausgangssituation herbeiführen. Primäres therapeutisches Ziel ist es, den Tumor radikal zu resezieren. H 9.3.1.2 Hormoninaktive Adenome Hormoninaktive Adenome machen die größte Gruppe der operativ zu behandelnden Hypophysentumore aus. Klinisch fallen diese Adenome in erster Linie durch Sehstörungen und/oder Gesichtsfeldausfälle auf. Ausfälle des 3. oder 6. Hirnnerven sind eher selten. Diese finden sich vor allem im Rahmen von akuten Einblutungen in die Tumore, in der Anamnese lässt sich häufig bei älteren Patienten eine Einnahme von ASS oder Marcumar erheben. Klassisch ist ein akutes Kopfschmerzereignis mit sich ausbildender Visusstörung und Sinus-cavernosus-Syndrom, welches differentialdiagnostisch von einer Subarachnoidalblutung unterschieden werden muss. 937 H 9 BDG_neu.book Seite 938 Mittwoch, 15. August 2012 9:16 09 Neoplasien und Missbildungen Tab. H 9.1: Differentialdiagnosen »Hypophysentumor« 1. Hypophysenadenome Hormoninaktiv, Akromegalie, M. Cushing, Prolaktinom, TSH-om 2. Hinterlappentumore Pituizytom/Granularzelltumor 3. Missbildung(-stumore) Kraniopharyngeom, Rathke-Zyste, Dermoid, Epidermoid, Hamartom, Arachnoidalzyste, »Liquor-Sella-Syndrom (empty sella)« 4. Metastasen Karzinom, Plasmozytom, Lymphom, Leukämie 5. Entzündungen Hypophysitis, Sarkoidose, Abszess, Histiozytose 6. »Gefäßtumore« Karotis-Aneurysma, Kavernom, Hämangioblastom 7. Keimzelltumore Germinom 8. Sonstiges Chordom, Chondrom, Neurinom, Meningeom, Sarkom, Gliome Ein weiteres klinisches Symptom können Kopfschmerzen sein, von denen bis zu 50 % der Patienten berichten. Hypophysenunterfunktionen (Hypopituitarismus) mit Ausfall einzelner oder aller Achsen finden sich ebenfalls bei vielen Patienten, sind aber aufgrund der schleichenden Entwicklung klinischer Beschwerden oft nur retrospektiv zu erheben. Ausnahme ist die sekundäre Amenorrhoe aufgrund einer gonadotropen Insuffizienz bei fertilen Frauen. Im Gegensatz zu den hormonaktiven Adenomen steht derzeit kein diagnostischer Hormon- bzw. Tumormarker zur Verfügung. Ebenso gibt es derzeit keine Erfolg versprechende medikamentöse Therapieoption für die Betroffenen. Je nach klinischem Kontext ist insbesondere bei Makroadenomen > 1 cm mit dem Patienten die Indikation einer operativen Behandlung zu besprechen. Alternativ kann auch eine Verlaufskontrolle per MRT vereinbart werden, wenn z. B. Hypophyseninsuffizienzen substituiert wurden und aktuell keine neurologischen Defizite im Vordergrund stehen. Therapie der Wahl ist in den meisten Fällen eine transsphenoidale Resektion; im Falle einer Tumorteilentfernung kann eine Nachbestrahlung des verbliebenen Tumorrests indiziert sein. Die zunehmend nebenbefundlich diagnostizierten Hypophysenadenome (Inzidentalome) sollten hinsichtlich einer endokrinen Aktivität abgeklärt werden. Bei Inaktivität und fehlender klinischer Symptomatik sind bildgebende Verlaufskontrollen gerechtfertigt, ohne dass eine Operation erforderlich werden muss (Lüdecke 2003). H 9.3.2 Kraniopharyngeome Kraniopharyngeome zählen nach den Adenomen zu der am häufigsten zur OP führenden Tumorentität (5–8 %). Kraniopharyngeome sind embryonale Fehlbildungstumore, deren Ursprung in der RathkeTasche vermutet wird. Obwohl histologisch benigne, stellt die Diagnose dieser Erkrankung verglichen mit Hypophysenadenomen für die Betroffenen ein wesentlich höheres Risiko dar. Klinisch können die Tumore durch Hypophysenvorder- und/oder Hypophysenhinterlappen-Insuffizienzen, ebenso wie durch Sehstörungen oder einen Hydrozephalus in Erscheinung treten. Kraniopharyngeome werden in der Kindheit häufig anlässlich einer Wachstumsverzögerung diagnostiziert. In der bildgebenden Diagnostik finden sich zystische Tumoren mit soliden Anteilen, die häufig Ver938 kalkungen aufweisen. Histologisch kann ein adamantinöser von einem papillären Typ unterschieden werden. Eine Erfolg versprechende medikamentöse Therapie des Tumors ist bislang nicht bekannt. Die chirurgische Behandlung ist gekennzeichnet durch eine hohe Morbidität, sodass sich in den letzten Jahren die Behandlungsstrategie von der operativ-radikalen Resektion um jeden Preis zu einer funktionell erhaltenden Therapie mit anschließender Nachbestrahlung gewandelt hat. Zu unterscheiden sind (intrasellär-)infradiaphragmatische Läsionen (= Tumorursprung unterhalb des Diaphragma sellae) von supradiaphragmatischen Läsionen. Letztere sind häufig primär nur transkraniell sinnvoll zu therapieren. Die supradiaphragmatischen Läsionen werden nochmals unterteilt in Tumore mit Ausgang vom Hypophysenstiel oder primär im 3. Ventrikel lokalisiert. Gefürchtete Komplikationen der Erkrankung/ der Behandlung sind hypothalamische Ausfälle, insbesondere eine durch fehlendes Sättigungsgefühl bedingte Adipositas. Dagegen existiert derzeit keine Erfolg versprechende Therapie (Muller 2008). H 9.3.3 Sonstige Tumoren Die Hypophysenregion, obwohl klein, kann Ausgangspunkt sehr vieler, verschiedener Tumore sein, da Gewebe ossärer, meningealer, neuronaler, vaskulärer und endokriner Herkunft zusammentreffen. Die Besprechung der einzelnen Pathologien würde den sinnvollen Rahmen dieses Buches überschreiten. Tab. H 9.1 bietet einen Überblick über Tumoren der Sella-Region ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Die Diagnostik und insbesondere Therapie richtet sich naturgemäß nach der Pathologie und ist individuell zu planen (Thapar und Kovacs 1998). H 9.4 Pragmatische Therapie – Neurochirurgische Behandlung H 9.4.1 Transsphenoidale Operation Indikationsstellung und Durchführung einer transsphenoidalen Operation sollten in der Hand eines erfahrenen Hypophysenchirurgen liegen, da einerseits der Operationserfolg und andererseits die Komplikationsrate damit eng verknüpft sind (Ciric et al. 1997). Heutzutage wird unverändert in den