Workshop 4 „Self-Care“ Praxisworkshop zur eigenen Resilienzfähigkeit Referentin: Nicola Tofaute FUMA Fachstelle Gender NRW, Trainerin für multimodale Stressbewältigung Wenn der Geist das Gehirn verändert – mit selbstgesteuerter Neuroplastizität die Resilienzfähigkeit stärken Unterschätze nicht dein gutes Handeln, Und denke nicht: „Das hat ja keine Folgen für mich!“ Tropfen für Tropfen füllt sich der Krug, Und ebenso füllt sich randvoll mit Gutem der Weise. Dhammapada 9.122 Eine der revolutionärsten wissenschaftlichen Erkenntnisse der letzten zwanzig Jahre mit weitreichenden Auswirkungen auf unser Selbstverständnis und unsere Handlungsoptionen vollzieht sich gegenwärtig in den modernen Neurowissenschaften: „Die Art, die Aufmerksamkeit auszurichten, formt die Hirnstruktur.“ (Siegel, 2012:18). Neben den positiven Implikationen für Erziehung und mentale Gesundheit ergibt sich daraus auch eine ungeahnte ethische Komponente: wir sind für unsere Bewusstseinszustände verantwortlich. Wie sehen uns mit einer Vielzahl neuer Fragen konfrontiert: Wie sollen wir mit diesem modulierbaren Gehirn leben? Welche Bewusstseinszustände sind heilsam und fördern unsere mentale Integrität und damit psychische Robustheit (Resilienz), welche sind schädlich? Natürlich gibt eine uralte Tradition kontemplativer Praxis, Bewusstseinszustände positiv zu beeinflussen. Ihre Protagonist_innen waren in unterschiedlichen Kulturen herausragende Heiler_innen und Lehrer_innen wie Schaman_innen, Yogis, Magier_innen und Mystiker_innen. Heute jedoch beginnen wir die neuronalen Grundlagen von Bewusstseinszuständen zu verstehen und wie wir alle diese durch Training gezielt verändern können. Wir befinden uns am Beginn eines neuen Forschungsfeldes: die „selbstgesteuerte Neuroplastizität“ (Jeffrey M. Schwartz). Zu Beginn eine kurze Begriffsbestimmung zur Neuroplastizität, eingebettet in eine Beschreibung des Modells unseres Gehirns, das helfen soll, zu verstehen, wie sich kontemplative Techniken (HEAL) nutzen lassen, um den im Alltag dominierenden negativ geladenen Stressmodus nachhaltig in den regenerativen Modus des Gehirns zu transformieren. Neuroplastizität Unser Gehirn ist ein lernendes Organ und als solches geschaffen, durch persönliche Erfahrungen verändert zu werden. Jede mentale Aktivität beruht auf neuronaler Aktivität. Alle Gedanken und Emotionen, die wir wiederholt in uns aufnehmen, was wir wollen und denken, fühlen und spüren, verändert langsam, aber nachhaltig die neuronale Struktur unseres Gehirns. Wir sind also in der Lage, allein durch bewusste mentale Aktivität die neuronalen Netze zu stimulieren und zu stärken. „Neurons that fire together, wire together“ (Hebbsche Lernregel nach Donald Olding Hebb 1904 - 1985) Aktive Synapsen, die Verbindungen zwischen den Nervenzellen (Neuronen), werden sensibler, lassen neue Synapsen wachsen und dickere neurale Schichten bilden. Momentane Befindlichkeiten werden so zu dauerhaften neuronalen Eigenschaften. Mit anderen Worten nimmt unser Gehirn die Form dessen an, worauf wir regelmäßig unseren Geist richten. Einblick in unsere drei Gehirne Unser Gehirn hat sich –vereinfacht gesagt- in drei Schichten entwickelt, wobei jede Schicht einem tiefen Bedürfnis verbunden ist. Eine einprägsame Metapher, die die unterschiedlichen Bedürfnisse der drei Gehirnschichten beschreibt, findet sich bei dem Neuropsychologen Rick Hanson: „Die Eidechse streicheln, die Maus füttern und den Affen umarmen.“ 1.) Das sog. „Reptilienhirn“ (Hirnstamm) konzentriert sich auf das Ziel, Gefahren zu vermeiden, um Sicherheit zu gewährleisten. „Finde etwas zum Essen und werde nicht von anderen gefressen.“ 2.) Das sog. „Säugetierhirn“ (subkortikales limbisches System) mit der Ausrichtung, Vorteile zu erreichen, um Zufriedenheit zu finden. 3.) Das sog. Primatenhirn/menschliches Gehirn (Cortex) mit dem Ziel, sich mit anderen zu verbinden, um Verbundenheit zu erfahren. Wenn die Bedürfnisse Sicherheit, Zufriedenheit und Verbundenheit erfüllt werden, dann begibt sich das Gehirn in seinen homöostatischen Ruhezustand. Dieser anpassungsfähige Modus ist der Grundzustand, die „grüne Zone“, in dem der Körper wieder Energie tankt und sich regeneriert. Das Gehirn begibt sich in seinen allostatischen Zustand, wenn es durch Schmerz, Bedrohung, Verlust, Frustration, Ablehnung oder Einsamkeit aus dem Gleichgewicht kommt. In diesem reaktiven Modus werden Körperressourcen schneller verbrannt, um das Überleben zu sichern. Nach Hanson haben alle Lebensformen – gleich ob Reptilien, Säugetiere, Primaten oder Menschen - lange Perioden im anpassungsfähigen Modus verbracht. Sie wurden immer nur temporär herausgefordert von reaktiven Stressausbrüchen (Nahrungssuche, Jagd, Bedrohung, Kampf etc.), denen wiederum lange Erholungsphasen folgten. Unser moderner Lebensstil mit seinen allgegenwärtigen Stressfaktoren hält für ausgiebige Regenerationsphasen nur wenig Raum vor. Der einst zieldienliche reaktive ÜberlebensModus ist heute zum lebensbedrohlichen, weil krankmachenden Normzustand, mutiert. Negativ Bias - Die Vorliebe für das Negative Für unsere Vorfahren war es laut Hanson in einer feindlichen Umgebung überlebensnotwendig, immer nach schlechten Neuigkeiten Ausschau zu halten, auf solche Informationen sehr stark zu reagieren und negative Erfahrungen sehr schnell als emotionale Erinnerungen zu speichern. Entsprechend hat sich das Gehirn in Jahrmillionen so entwickelt, das es wesentlich empfänglicher für negative Erfahrungen ist und diese noch vor angenehmen Ereignissen als emotionale Erinnerungen speichert. Diese „negative Verzerrung“, eine Standardeinstellung des Steinzeitgehirns, sichert im Notfall das Überleben, beeinträchtigt jedoch heute die Lebensfreude und die psychische und physische Gesundheit. „Papiertiger-Paranoia“ – alles eine Frage des Preises In „Denken wie ein Buddha“ erläutert Hanson das Phänomen der negativen Verzerrung mit dem in den Neurowissenschaften üblichen Begriff des „metabolischen Preises“. Wenn ein biologisches Gehirn eine neue kognitive Fähigkeit entwickeln will, muss es dafür einen Preis zahlen. Die Währung, in der dieser Preis bezahlt wird, ist Angst. „Unsere Vorfahren konnten zwei Arten von Fehlern machen. Sie konnten irrtümlich glauben, dass ein Tiger im Busch war, oder sie konnten irrtümlich glauben, dass kein Tiger im Busch war. Der Preis für den ersten Irrtum bestand in grundloser Angst, den zweiten Irrtum bezahlten sie mit ihrem Leben.“ (Rick Hanson 20143, 42) Eine Konstruktion des Gehirns - sei sie auch faktisch unzutreffend – ist eine komputationale Strategie. Indem wir eine gefährliche Möglichkeit als real auszeichnen, sind wir in der Lage, wirkungsvolle Fluchtmöglichkeiten zu planen und zu überleben. Diese Über- oder Fehleinschätzungen von Gefahren mutieren unter den gegenwärtigen Stressoren zu chronischen Negativverzerrungen oder „Papiertiger-Paranoia“. Take in the good - Positive mentale Zustände in positive neuronale Zustände verwandeln Rick Hanson benutzt den Ausdruck „Das Gute in sich aufnehmen“, um den Prozess zu beschreiben, bei dem man innehält, um positive Erfahrungen tief in Geist und Körper dringen zu lassen. Konzentrieren wir unsere Aufmerksamkeit auf die Augenblicke der Großzügigkeit, der Geduld und der Ehrlichkeit, die wir in unseren Beziehungen mit anderen erleben und lassen wir diese positiven Augenblicke in unser Bewusstsein eindringen, entwickelt unser Gehirn Gewohnheiten, die uns über bloßes Überleben hinaustragen, hin zum Gedeihen. Ziel von „Take in the good“ ist es, flüchtige positive Erfahrungen in bleibende innere Ressourcen verwandeln können. Positiv bezieht sich hier auf all jene Dinge, die zu Wohlbefinden und Wohlergehen für sich selbst und andere führen. Einige positive Erfahrungen können auch unangenehm sein (z.B. angemessene Reue) und andere angenehme Erfahrungen sind nicht positiv (z.B. übermäßiges Essen und Trinken). Zu den potentiellen inneren Ressourcen gehören Resilienz, Ausgeglichenheit, Stärke, Geduld, Großzügigkeit, positive Stimmung, Achtsamkeit, Selbstvertrauen, das Gefühl, dass sich jemand um einen sorgt, Selbsterkenntnis und Mitgefühl. All diese Ressourcen/inneren Stärken brauchen wir, um mit Stress umgehen zu können und mit den Herausforderungen des Lebens zurechtzukommen. Praxis der vier Schritte „HEAL“ Die reflektierte Internalisierung positiver Erfahrung ins implizite Gedächtnis lässt sich nach Hanson in folgenden vier Schritten erreichen: 1. Das Erleben einer positiven Erfahrung (eine Erfahrung bemerken, die bereits da ist oder sich an eine solche erinnern). 2. Das Anreichern einer positiven Erfahrung (die Erfahrung fortdauern lassen und den ganzen Körper damit anfüllen und sie intensiver werden lassen). 3. Das Aufnehmen der Erfahrung (beabsichtigen und spüren, wie die Erfahrung in den Körper einsinkt). 4. Das Zusammenbringen der positiven und negativen Aspekte im Gewahrsein (damit das Positive das Negative lindert und möglicherweise ersetzt). Im Englischen bilden diese vier Schritte: Erleben (Have), Anreichern (Enrich), Aufnehmen (Absorb) und Zusammenbringen (Link) die Abkürzung HEAL (Heilen). Durch die neue Aufmerksamkeit für positive Erfahrungen wird das Gehirn sensibilisiert(er) für das Positive. Je reicher und intensiver die Erfahrung ist und je länger sie andauert und je stärker diese Neuronen aktiviert werden, desto mehr dieser Neuronen werden sich verbinden: Jedes Mal, wenn das Positive aufgenommen wird, verändert sich ein kleiner Teil der neuronalen Struktur und der grundlegenden Netzwerke im emotionalen Gedächtnis. Je öfter diese Praxis geübt wird, desto stärker wird die positive Wirkung spürbar. In diesem positiven Kreislauf verändert sich mit intensiver Praxis das Gehirn. Die Geschichte von den zwei Wölfen Ein Cherokeehäuptling erzählt seinen Stammeskindern die Geschichte seiner zwei Wölfe: "In mir tobt ein Kampf... er ist furchtbar. Ein Kampf zwischen zwei Wölfen. Ein Wolf repräsentiert Angst, Wut, Neid, Reue, Bedauern, Gier, Arroganz, Selbstmitleid, Schuld, Unmut, Minderwertigkeit, Lügen, Stolz und Überlegenheit. Der andere Wolf steht für Freude, Frieden, Liebe, Hoffnung, Verteilung, Gleichmut, Ergebenheit, Freundlichkeit, Wohlwollen, Freundschaft, Mitgefühl, Freizügigkeit, Wahrheit, Barmherzigkeit und Vertrauen. Derselbe Kampf tobt auch in Dir und in jeder anderen Person..." Die Enkel dachten einen Moment darüber nach und ein Kind fragte gespannt: "Welcher Wolf wird gewinnen?" Der alte Cherokee antwortete: "Der, den ich füttere." (Quelle unbekannt) Welchen Wolf fütterst du? Literatur zum Weiterlesen Bartens, Werner: Körperglück. Wie gute Gefühle gesund machen, München 2010 Damasio, Antonio R.: Ich fühle also bin ich. Die Entschlüsselung des Bewusstseins, Hamburg 2007 Eckoldt, Matthias: Kann das Gehirn das Gehirn verstehen? Gespräche über Hirnforschung und die Grenzen unserer Erkenntnis, Heidelberg 2013 Graham, Linda: Der achtsame Weg zu Resilienz und Wohlbefinden. Wie wir unser Gehirn vor Stress und Burn-out schützen können, Freiburg im Breisgau 2014 Hanson, Rick: Denken wie ein Buddha. Wie wir unser Gehirn positiv verändern – Gelassenheit und innere Stärke durch Achtsamkeit, München, 3. Aufl. 2014 Hanson, Rick: Just One Thing, Freiburg im Breisgau, 2. Aufl. 2013 Hanson, Rick: Das Gehirn eines Buddha. Die angewandte Neurowissenschaft von Liebe, Glück und Weisheit, Freiburg im Breisgau 2010 Kandel, Eric R./ Schwartz, James H./Jessell, Thomas M.: Neurowissenschaften. Eine Einführung, Heidelberg 2012 Schwartz, Jeffrey M./Begley, Sharon: The Mind and the Brain: Neuroplasticity and the Power of Mental Force, New York 2003 Siegel, Daniel J.: mindsight – Die neue Wissenschaft der persönlichen Transformation, München 2012 Siegel, Daniel: Das achtsame Gehirn, Freiburg 2007 Singer, Wolf/Ricard, Matthieu: Hirnforschung und Mediation – ein Dialog, Frankfurt/M. 2008 Nicola Tofaute, Diplom Sozialwissenschaftlerin, im Leitungsteam der Fachstelle Gender NRW ist zertifizierte Trainerin für multimodale Stressbewältigung (IPG Uni Duisburg) und therapeutisches Bogenschießen (Klinik Wollmarshöhe) und derzeit in Ausbildung bei Rick Hanson in „Positive Neuroplasticity“.