Was ist Trauma? - Sigrid Wieltschnig

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Was ist Trauma?
Trauma wird als unvollständige Antwort des menschlichen Organismus auf ein
überwältigendes Ereignis definiert. Es entsteht dann, wenn nicht ausreichend Ressourcen
vorhanden sind, um dieses Ereignis zu verarbeiten und zu integrieren. Die Auslöser
können vielseitig sein, ob es zu einer Traumatisierung kommt, ist auch abhängig von der
Konstitution des Betroffenen und vor allem von dessen inneren und äußeren Ressourcen.
Ein Mensch, der ein schlimmes Ereignis überlebt hat und danach liebevoll und respektvoll
behandelt wird, kann dieses eher integrieren als jemand, der auf Grund der äußeren
Umstände nicht sicher ist oder mit Schuldzuweisungen konfrontiert wird. Untersuchungen
haben belegt, dass die unmittelbare Zeit nach einer traumatischen Situation maßgeblich
beteiligt ist an der Entwicklung der Traumasymptomatik.
Traumatherapie
Die moderne Traumatherapie stellt einen neuen Ansatz in der therapeutischen Arbeit mit
traumatisierten Menschen vor.
Die komplexe und oft therapieresistente Traumasymptomatik verlangt nach einem
speziellen Zugang mit Einbeziehung des Körpers und des vegetativen Nervensystems.
Die Methode ermöglicht durch geförderte sensomotorische Wahrnehmungsfähigkeit der
Klienten, durch Imagination und Beziehungsarbeit eine Neuorientierung, sodass die in
den Symptomen gebundene Energie freigesetzt und zur Heilung genutzt werden kann.
Die
zerbrochenen
Verbindungen
zum
Selbst,
zum
Körper
und
seinem
Selbstheilungspotential, zu den eigenen Ressourcen und Fähigkeiten, sowie zur
Gegenwart werden wieder hergestellt.
Traumaheilung findet immer im Hier und Jetzt statt. Wir können das Trauma zwar nicht
beseitigen, wissen aber heute, dass wir mit Hilfe traumazentrierter Behandlungsmethoden im Hirnstoffwechsel Veränderungen herbeiführen können, sodass Trauma auf
neue Art metabolisiert und damit integriert wird.
Die blockierten Überlebensreflexe (Orientierungs-, Kampf- und Fluchtreflex) werden
regeneriert und der Organismus gewinnt wieder seine natürliche Flexibilität und
interaktive Selbstregulationsfähigkeit. Der Körper kann aus seiner Überaktivierung
(Hyperarousal) oder Erstarrung (Freeze) langsam herauskommen und so erst Distanz
schaffen zu dem traumatischen Ereignis, das ja in der Vergangenheit liegt und dieses
auch als vergangen erleben und somit neu bewerten.
Im Zuge dieses Prozesses lernen die Klienten, sich in ihrem Körper wieder sicher zu
fühlen und den Alltag besser zu bewältigen.
Oft können einige Sitzungen schon
erhebliche Verbesserung und Erleichterung der Symptomatik bewirken.
Zu Beginn der Traumatherapie wird vermieden, nochmals in das traumatisierende
Ereignis einzutauchen. Erst wenn genügend Ressourcen aufgebaut und die Klienten
imstande sind, das Traumamaterial zu steuern und zu kontrollieren ist eine
Traumaexposition sinnvoll. Dabei werden die Hyperaktivierung und die Fixierung des
gesamten Organismus auf das traumatische Ereignis vorsichtig aufgelöst. Zu frühes oder
zu schnelles Durcharbeiten einer Traumasituation kann auch retraumatisierend wirken,
Traumaexposition ist nur bei ausreichender Stabilität und guter Arbeitsbeziehung ethisch
vertretbar. Ein gewisses Maß an Exposition ist allerdings für die Traumaintegration
wichtig, allerdings muss bei mangelnder Stabilität der Klienten darauf verzichtet werden
(Huber, 2004).
Plassmann spricht in diesem Zusammenhang vom Prinzip des „Window of Tolerance“. Auf
einer Belastungsskala von 1 bis 10 sollten wir die Klienten in einem Bereich zwischen 3
und 7 halten, nur dann kann Heilung stattfinden. Arbeiten wir im Bereich darunter, so
wird vielleicht ein leichtes Unbehagen auftreten, die Gefühlsreaktionen sind allerdings zu
schwach für eine Traumaintegration. Halten wir die Klienten in einem Bereich über 7, so
1
wird das zu Hyperarousal, vegetativen Symptomen und im schlimmsten Fall zu
Retraumatisierung führen (Plassmann 2006).
Die Erfahrung, dass Traumaheilung immer auf der Aktivität eines psychischen
Selbstheilungsprozesses beruht, gekoppelt mit einer weiteren wichtigen Erfahrung,
nämlich der, dass Emotionen nicht nur bei der Krankheitsentstehung, sondern auch bei
Heilungsprozessen eine wesentliche Rolle spielen, bilden weitere wesentliche Grundlagen.
Die negativen traumatischen und die positiven gesunden Erfahrungen stehen sich
gleichsam gegenüber, sie bilden ein bipolares Prinzip. Die positiven Erfahrungen der
Person werden auch als Ressourcen bezeichnet. Ein gutes Gefühl für die eigene
Gesundheit, also ein guter Kontakt zu diesen Ressourcen ist für erfolgreiche
Heilungsprozesse von größter Bedeutung.
Die Beschäftigung mit ungelösten Problemen bildet deshalb nur eine Seite der
Traumatherapie. Die Beschäftigung, das Kennenlernen, das Neuorganisieren und
Erweitern der eigenen Ressourcen ist ein exakt genauso wichtiger Bereich.
Trost, Mitgefühl und Anerkennung durch die Therapeutin können ebenso wesentlich zur
Heilung beitragen. Auch wenn wir das Geschehene nicht ungeschehen machen können,
so können wir aber gemeinsam mit den Klienten das Unrecht benennen und so das oft
Unvorstellbare, das diesen Menschen widerfahren ist, anerkennen. Nicht selten geschieht
dies in einer Therapiesituation zum ersten Mal.
Man kann also von 4 Phasen der Traumabehandlung sprechen:
der Stabilisierungsphase
der Ressourcenorganisation
der Traumaexposition und
der Neuorientierung
Die Dynamik von Trauma
Trauma entsteht dann, wenn ein plötzliches überwältigendes Ereignis auf den
Organismus trifft und weder Flucht noch Kampf möglich sind. Die ersten Reaktionen bei
Trauma sind instinktiv, im Hirnstamm wird eine außergewöhnliche Energiemenge frei, die
uns manchmal unvorstellbare körperliche Leistungen ermöglicht und oft lebenserhaltend
ist.
Ist es dem Organismus aber nicht möglich diese Ladung an Energie aufzubrauchen, weil
die natürlichen Reflexe keinen Ausdruck finden, weil flüchten oder kämpfen nicht möglich
sind, so kommt es zu einem Zustand höchster Erregung gekoppelt mit gleichzeitiger
Erstarrung. Die geballte Ladung an Energie kann nicht in Handlung, Bewegung, Kampf
oder Flucht umgesetzt werden und kann über Jahre zu den vielfältigsten Symptomen
führen. Unruhe, chronische Verspannungen, Angst und Panik, Herzrasen, Aggression,
chronische Schmerzen, Schlafstörungen, Amnesien, Depression und vieles mehr können
dann die Folge sein. Starke Traumata gehen auch häufig mit der Abspaltung von den
eigenen Gefühlen (Dissoziation) einher. Viele psychiatrische Erkrankungen wie zum
Beispiel die Borderline Störung, die Essstörung u.a. haben häufig ihre Wurzel in einem oft
über Jahre traumatisierenden Umfeld und das von frühester Kindheit an.
Peter Levine ist der Frage nachgegangen, warum Tiere in freier Wildbahn so gut wie nie
traumatisiert werden, obwohl sie ständigen Gefahren ausgesetzt sind und er konnte
dabei folgende Beobachtung machen: Ein Beutetier, das Gefahr wittert, wird zuerst
einmal flüchten. Erst wenn der Jäger seine Beute erreicht, also unmittelbar vor dem
herannahenden Tod fällt das Tier in eine Erstarrung, die einerseits die allerletzte
Überlebensstrategie darstellt, denn tote Beute ist im Tierreich oft uninteressant und
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andererseits das Tier in einen veränderten Bewusstseinszustand bringt, in dem es keinen
Schmerz spürt, sollte es dennoch gefressen werden (Levine 1998).
Die Traumadynamik beim Menschen unterscheidet sich nicht wesentlich davon. Die
unwillkürlichen, instinktiven Bereiche des menschlichen Gehirns sind faktisch identisch
mit den betreffenden Arealen bei den Säugetieren und Reptilien. Der Schlüssel zur
Heilung von Traumasymptomen liegt daher in unserer Physiologie, ähnlich einem
wildlebenden Tier, ist es auch für den Menschen von großer Wichtigkeit nach dem
Abklingen der akuten Traumasituation wieder aus der Immobilität und Erstarrung heraus
zu kommen und seine volle Bewegungs- und Handlungsfähigkeit wieder zu gewinnen.
Ein Tier, das der Gefahr entkommen ist, schüttelt sich heftig ab und geht dann seinen
üblichen Tätigkeiten wieder nach. Durch die meist unbewusste Einmischung unseres
Bewusstseins werden diese natürlichen Reaktionen unterbunden und die Traumareaktion
kann keinen positiven Abschluss finden.
Im menschlichen Organismus bleibt dann eine Überladung im Nervensystem und das oft
über Jahre und Jahrzehnte.
So gesehen ist die Traumasymptomatik keine Erkrankung, sondern ein Versuch des
Organismus mit dieser Überladung fertig zu werden. Die Traumatherapie unterstützt den
Organismus dabei, diesen unvollständigen Prozess zu Ende zu bringen.
Gehirnfunktionen und Trauma
Das limbische System
Neuere Ergebnisse der Gehirnforschung haben interessante Erkenntnisse gebracht, die in
Bezug auf das Verständnis von Trauma von großem Wert sein könnten. Dabei haben sich
vor allem Amygdala und Hippokampus, zwei Regionen des limbischen Systems als
interessant erwiesen. Im limbischen System werden Erlebnisinhalte affektiv bewertet und
emotionale Reaktionen ausgelöst. Es ist der Sitz der Überlebensinstinkte und Reflexe und
beeinflusst unter anderem das autonome NS, das die glatte Muskulatur und die Reaktion
der Organe auf Stress und Entspannung steuert und zwar auch auf traumatischen Stress:
Kampf, Flucht und Erstarren (Rothschild 2002).
Amygdala und Hippokampus sind für das Verständnis von Traumaerinnerungen
besonders wichtig. Die Amygdala verarbeitet Emotionen und Reaktionen auf stark
affektive Erlebnisse und ermöglicht deren anschließende Speicherung. Der Hippokampus
verarbeitet Informationen im Kontext einer Zeitlinie in der jeweiligen persönlichen
Geschichte, sowie den genauen Ablauf des Erlebten selbst.
Während die Amygdala zum Zeitpunkt der Geburt reif ist, entwickelt sich der
Hippokampus bis zum 3. Lebensjahr (Nadel und Zola-Morgan 1984). Dies könnte eine
Erklärung dafür sein, dass wir uns an unsere frühe Kindheit meist nicht bewusst erinnern.
Unsere ersten Jahre werden von Amygdala zwar verarbeitet und deren emotionaler und
sensorischer Inhalt auch gespeichert, da der Hippokampus aber noch nicht funktionsfähig
ist, ergibt sich keinerlei Aufschluss über den Kontext oder die genaue Ereignisfolge.
Gespeichert werden lediglich die mit den Ereignissen verbundenen Gefühle und
Körperempfindungen. Dies ist auch der Grund, warum wir zu Ereignissen aus der
Säuglingszeit eine andere Form des Kontakts herstellen müssen als über Erinnerung.
Nur wenn Amygdala und Hippokampus voll funktionsfähig sind, können wir Ereignisse
ausreichend verarbeiten, insbesondere gilt dies für traumatische und sehr belastende
Ereignisse. Bei großem Stress wird allerdings die Hippokampus Aktivität durch eine
längere Kortisolausschüttung unterdrückt, während die Amygdala unbeeinflusst bleibt.
Dies könnte für die mit der PTBS einhergehenden Erinnerungsverzerrungen die Ursache
sein. Auch die Größe des Hippokampus wurde in den neueren Forschungen untersucht
und man kam zu dem Ergebnis, dass der Hippokampus bei Menschen mit PTBS kleiner ist
als beim Bevölkerungsdurchschnitt. Allerdings konnte nicht festgestellt werden, ob der
Hippokampus auf Grund der traumatischen Belastungen geschrumpft ist oder ob dieser
von Anfang an kleiner war.
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Kortex
Interessant ist auch die Verbindung von Amygdala und Hippokampus zum Kortex
(Großhirnrinde). Der rechte Teil des Kortex ist für die Speicherung von sensorischem
Input zuständig und eng mit der Amygdala verbunden, alle sensorsichen Informationen
passieren auf ihrem Weg in den Kortex die Amygdala. Der linke Teil des Kortex dagegen
hängt stark mit dem Hippokampus zusammen und die Verarbeitung von Informationen
ist hier sprachabhängig. Van der Kolk (van der Kolk, McFarlane & Weisaeth 1996) hat
festgestellt, dass die Aktivität des Brocaschen Zentrums, das in der linken Kortexhälfte
angesiedelt ist und für den sprachlichen Ausdruck zuständig ist, während traumatischer
Ereignisse ebenso wie der Hippokampus unterdrückt wird. In Momenten höchster Gefahr
sind wir meist sprachlos, es fehlen die Worte oder der Sprechapparat ist so angespannt,
dass es nur sehr mühsam ist, Worte herauszubringen. Diese oder ähnliche Reaktionen
sind auch häufig, wenn Traumaenergie auftritt und deshalb ist die Kommunikation über
die Empfindungsebene, das Machen von Angeboten etc. hier besonders wichtig. Man
kann von einem traumatisierten Menschen gar nicht erwarten, dass er differenzierte
klare Aussagen vielleicht auch noch in der zeitlich korrekten Reihenfolge macht. Dies ist
nicht nur für die Therapie von Bedeutung, sondern auch bei Zeugenaussagen vor Gericht
geht.
Affektregulierung durch sichere Bindung
Shore (1994) und Perry (1995) haben untersucht wie sehr die Entwicklung früher
Bindung bei Kindern den Umgang mit belastenden Erlebnissen im gesamten weiteren
Leben beeinflusst.
Das Neugeborene ist nach der Geburt einer Flut von Reizen ausgesetzt auf die es erst nur
schlecht vorbereitet ist, denn im Mutterleib sind diese stark gedämpft. Geräusche,
Gerüche, Kälte, Hitze, Hunger, Durst oder Schmerz lösen eine große Menge intensiver
Empfindungen aus und zunächst hilft die Mutter dem Kind, diese zu regulieren, indem sie
das Kind in den Arm nimmt und beruhigt, es füttert usw. Diese Regulation findet vor
allem durch Berührung und durch beruhigende Geräusche statt. Doch schon bald
entwickeln Mutter und Kind ein Interaktionsmuster, das für die Affektregulierung von
großer Bedeutung ist. Sie lernen auch durch Blickkontakt einander zu stimulieren und
das Kind gewöhnt sich an immer höhere Grade der Stimulation und Erregung.
Diese Entwicklung findet in der rechten Gehirnhälfte statt, der linke Kortex ist zu diesem
Zeitpunkt noch unreif. Nach ca. einem Jahr verändert sich die Beziehung zwischen Mutter
und Kind. Das Kind beginnt zu krabbeln, später zu gehen, es wird unabhängiger. Auch
die Rolle der Mutter verändert sich. Während sie im 1. Jahr vor allem für das Ernähren,
beruhigen, bestätigen zuständig war, steuert sie nun auch die Sozialisation des Kindes,
indem sie Grenzen setzt, „nein“ sagt und Missfallen ausdrückt. Wie Mutter und Kind mit
dieser Veränderung fertig werden, hängt von 3 Faktoren ab:
1.)
2.)
3.)
von der Tragfähigkeit der bereits entstandenen Bindung
von der Fähigkeit der Mutter, das Kind auch zu lieben, wenn sie über sein
Verhalten wütend ist
ob die Mutter in der Lage ist auf angemessene Art und Weise Grenzen zu
setzen
Etwa um diese Zeit entwickelt sich die Sprechfähigkeit, das Kind beginnt seine
sprachlichen Fähigkeiten zu nutzen, um Ereignisse zu beschreiben und seine emotionalen
und sensorischen Erfahrungen zu verstehen.
Frühe Vernachlässigung, Misshandlungen und Missbrauch, sowie Defizite in der
Entwicklung einer Bindung sind für Perry u.a. ein wesentlicher Grund dafür, dass diese
Menschen später mit Stress und traumatischen Ereignissen schlechter fertig werden als
andere. Die verringerte Aktivität des Hippokampus könnte dafür die Ursache sein.
Natürlich könnten PTBS auch bei Menschen mit einer glücklichen Kindheit entstehen und
die frühe Kindheit ist nicht die einzige Chance, gesunde Bindungen zu entwickeln.
4
Langzeitstudien haben gezeigt, dass auch andere protektive Faktoren oder Ressourcen
einen Ausgleich für in der frühen Kindheit Versäumtes schaffen können (Petzold 1993),
wie z.B. Lehrer, Freunde, eine erfüllte Liebesbeziehung oder die sichere Bindung in einer
therapeutischen Beziehung.
Erinnerung und Trauma
Das Gehirn verarbeitet Wahrnehmung und speichert sie als Gedanken, Emotionen, Bilder,
Empfindungen und Verhaltensimpulse. Dafür sind mehrere Schritte notwendig: die
Kodierung ist der Prozess der Einprägung von Information, die Speicherung entscheidet
darüber wie und wie lange die Information bereit gehalten wird und die Reaktivierung
macht die Information dem Bewusstsein wieder zugänglich. Je wichtiger eine Information
ist und je stärker der mit ihr verbundene Affekt, umso eher wird sie gespeichert werden.
Erst 1960 fingen Wissenschaftler an über die Existenz mehrerer Gedächtnissysteme zu
spekulieren und man begann zwischen Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis zu
unterscheiden.
Ende der 80er Jahre setzte sich eine weitere Idee durch, nämlich die Unterscheidung
zwischen implizitem und explizitem Gedächtnis.
Normalerweise sprechen wir vom expliziten Gedächtnis: es speichert Fakten, Konzepte
und Ideen, es ist von der sprachlichen Äußerung abhängig, es ermöglicht eine
Rechenaufgabe zu lösen, von Ereignissen zu erzählen und aus Geschehnissen einen Sinn
abzuleiten oder diese in einer zeitlich richtigen Abfolge einzuordnen.
Man spekuliert derzeit darüber, ob die Entstehung von PTBS auch deshalb geschieht, weil
die Speicherung eines traumatischen Ereignisses im expliziten Gedächtnis aus
irgendeinem Grunde verhindert wird.
Das implizite Gedächtnis kommt ohne Sprache aus, es speichert Verhaltensweisen und
bleibt meist unbewusst. Ohne das implizite Gedächtnis wären alltägliche Dinge wie
gehen, essen, Fahrrad fahren etc. nur äußerst mühsame Tätigkeiten, es ist für die
Bewältigung des Alltags von großer Wichtigkeit.
Allerdings ergeben sich Probleme, wenn es um das Erinnern von traumatischen
Ereignissen geht, sofern diese nicht mit dem expliziten Gedächtnis verbunden sind. Es ist
offenbar leichter, Trauma im impliziten Gedächtnis aufzuzeichnen, da die Amygdala nicht
jenen Stresshormonen unterliegt wie der Hippokampus. Bei Trauma sind daher häufig
belastende Körperempfindungen und verwirrende Verhaltensimpulse im impliziten
Gedächtnis gespeichert, ohne dass zwischen ihnen und dem Kontext, in dem sie
entstanden sind, Kontakt besteht. Aus diesem Grunde ist es in der Traumatherapie auch
von äußerster Wichtigkeit, dass über die Dynamik und Wirkungsweise von Trauma
informiert wird, weil dadurch auch ein besseres Verstehen der oft nicht nachvollziehbaren
Reaktionen möglich wird. Viele PTBS treten ohne unmittelbaren Auslöser auf und dies
macht wiederum große Angst, weil ein Gefühl der Hilflosigkeit oft die Folge ist.
Darüber hinaus besteht ein Teil des impliziten Gedächtnisses aus Verhaltensweisen, die
durch Konditionierung erlernt worden sind und sie bilden mit hoher Wahrscheinlichkeit
die Grundlage für Traumaauslöser (Trigger). Eine Uniform oder nur eine bestimmte Farbe
können traumatischen Stress auslösen und sofern es keine Verbindung zum expliziten
Gedächtnis gibt kann es zu ganzen Ketten konditionierter Stimuli kommen.
Außerdem werden Verhaltensweisen auf vielfältigste Art auch durch operante
Konditionierung beeinflusst: was erwünscht ist wird belohnt, diese Verhaltensweisen
werden häufiger ausgeführt als solche, die unerwünscht sind. Wenn z.B. ein Kind dafür
bestraft wurde, weil es selbstsicher seine Bedürfnisse einforderte, so wird dieser Mensch
später mit hoher Wahrscheinlichkeit eher zurückhaltend sein in diesem Punkt und sollte
sie mit einem Partner zusammen sein, der von ihr erwartet dass sie ihre Bedürfnisse
auch ausdrückt, so kann dies zu großem Stress führen bis hin zur Panikattacke.
Menschen, die in der Kindheit Misshandlungen ausgesetzt waren, können später wieder
mit Gewalt in Kontakt kommen, weil ihre natürlichen Impulse sich zu schützen gelöscht
worden sind.
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Verhaltensweisen, die während traumatischer Ereignisse konditioniert wurden, scheinen
jedenfalls beständiger zu sein als solche, die unter geringerem Stress entstanden sind.
Schon das einmalige Scheitern oder die einmalige Bestrafung einer Überlebensstrategie
während einer traumatischen Situation kann das betreffende Verhalten aus dem
Repertoire eines Menschen löschen. Dies mag eine Erklärung dafür darstellen, warum
Opfer von physischer oder psychischer Gewalt oft jahrelang in der traumatisierenden
Situation bleiben.
Auch zustandsabhängiges Erinnern spielt in Zusammenhang mit Trauma eine wichtige
Rolle. Durch einen äußeren Trigger kann ein innerer Zustand erinnert werden, der mit
einer traumatischen Situation verbunden ist und erinnert wird (Beschleunigung der
Herzfrequenz, Atemnot etc). Auch eine bestimmte Körperhaltung kann zustandsbedingte
Erinnerungen aktivieren. Dies wird in einigen Therapieformen auch als
Interventionstechnik verwendet, bei traumatisierten Klienten sollte dies allerdings mit
großer Behutsamkeit eingesetzt werden.
Somatische Techniken zur Gewährleistung eines sicheren Verlaufs von
Traumatherapien
Duales Gewahrsein
ist die Fähigkeit das Gewahrsein auf mehrere Erfahrungsaspekte gleichzeitig zu richten
und Voraussetzung für die sichere Durchführung einer Traumaexposition.
Es verhindert, dass sich zu starkes Arousal aufbaut und gewährleistet eine Situation
unter Kontrolle zu halten.
Die meisten von uns können die vielen inneren und äußeren Sinnesreize miteinander in
Einklang bringen. Bauchschmerzen z.B. werden mit anderen zur Verfügung stehenden
Informationen verbunden, dem Betroffenen fällt zum Beispiel ein, er hat zu viel
gegessen.
Bei PTBS wird den inneren Reizen unverhältnismäßig viel Aufmerksamkeit geschenkt.
Empfindungen werden oft mit früheren Erlebnissen assoziiert, die aktuelle Situation wird
aufgrund beschränkter Informationen beurteilt. Die inneren Reize stehen so sehr im
Vordergrund, dass die Außenwahrnehmung eingeschränkt ist und der Ausgleich zwischen
dem was wir im Körper empfinden und dem was wir außerhalb des Körpers wahrnehmen,
entfällt.
Die Folge können schwere Realitätsverzerrungen sein. Wird z.B. eine Empfindung mit
dem Erleben von Gefahr assoziiert, so können ähnliche Empfindungen zu dem Schluss
veranlassen, dass eine Gefahr in der Umgebung vorhanden sei. Reize und Informationen
anderen Inhalts werden nicht beachtet, die Folge können Angst- und Panikzustände sein.
Begriffe, die die Aufspaltung der Wahrnehmung innerer und äußerer Sinnnesreize
beschreiben sind z.B. das erfahrende Selbst (experiencing self) und das beobachtende
Selbst (observing self).
Entwicklung dualen Gewahrseins
ist notwendig für die Heilung von Trauma und für eine gefahrlose Durchführung einer
Traumatherapie.
Klienten müssen sich zumindest intellektuell im Klaren sein, dass ein Trauma der
Vergangenheit angehört, selbst wenn es sich anders anfühlen mag.
Das Risiko einer Retraumatisierung oder eines Ausbruchs von Flashbacks ist hoch, wenn
ein Klient zu dualem Gewahrsein nicht in der Lage ist und man an einer traumatischen
Erinnerung arbeitet.
Erst durch die Entwicklung von dualem Gewahrsein kann sich der Klient mit einem
Trauma auseinandersetzen und erkennen, dass es in seiner augenblicklichen realen
Umgebung keine Gefahr gibt!
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Nutzung des dualen Gewahrseins bei Panikattacken und Angstzuständen
Durch Anerkennung beider Selbstanteile (erfahrendes und beobachtendes Selbst),
können Klienten mit Situationen, in denen sie Gefahr laufen in Angst und Panik zu
verfallen, fertig werden.
Indem beide Anteile hörbar zum Ausdruck gebracht werden, erkennen Betroffene beide
Realitäten an.
Z.B: „ich empfinde hier starke Angst“ UND „ich bin im Augenblick in keiner echten
Gefahr“ Dabei vergewissert sich der Klient, indem er sich umschaut und die reale
Situation einschätzt.
Die Konjunktion UND als Verbindungsglied ist dabei wichtig, ein ABER würde eine
Negation der ersten Aussage beinhalten.
Durch das Akzeptieren beider Perspektiven lässt sich Angst oft schnell verringern, wobei
die Situation leicht eskaliert, wenn man jemandem lediglich vermittelt, es gäbe nichts,
wovor man Angst zu haben bräuchte (Rothschild 2002).
Anwendung des dualen Gewahrseins auf Flashbacks
Flashbacks kann man nicht voraussagen, sie können überall und in jeder Situation (auch
in der Therapiesituation) ausgelöst werden.
Zunächst ist es wichtig, Klienten beizubringen, ihre Flashbacks zu stoppen, bzw. deren
Ausbruch zu verhindern.
Nachdem die Flaschbacks unter Kontrolle gebracht sind, kann man den Klienten mit den
Ressourcen ausstatten, die er braucht, um die traumatischen Erinnerungen in
verdaulichen Portionen, eine nach der anderen zu verarbeiten.
Sollte ein Flashback während einer Therapiesituation auftreten, so ist es wichtig, das
beobachtende Selbst des Klienten aufzuwecken. Klare, Autorität vermittelnde
Aufforderungen des Therapeuten sind dabei unter Umständen notwendig. Z.B. „sehen
Sie, wo Sie jetzt sind“
Folgendes Protokoll kann danach dem Klienten gegeben werden:
Im Augenblick empfinde ich ....................(Emotion)
und ich spüre in meinem Körper ...............(Empfindungen, mindestens 3)
weil ich mich erinnere an ...................(Art des Traumas, keine Einzelheiten)
Gleichzeitig sehe ich mich um und stelle fest, wo ich jetzt bin im Jahr...........
hier in ................(Ort)
und ich sehe .................(einige Dinge an diesem Ort beschreiben)
und deshalb weiß ich dass ......................(Art des Traumas)
jetzt nicht/ nicht mehr geschieht.
Durch das Protokoll soll es gelingen, die Vergangenheit von der Gegenwart zu trennen
(Rothschild 2002).
Tonisieren von Muskeln
kann bei PTBS von Vorteil sein, weil durch die Kräftigung der Muskulatur das Erlebnis im
Körper zu sein, verstärkt wird.
Gezieltes Muskeltraining ist ebenso wertvoll wie bestimmte sportliche Betätigung
(joggen, walken, Fahrrad fahren etc.)
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Entspannungsübungen sind mit Vorsicht zu genießen, sie können bei PTBS leicht eine
Traumasituation, Hyperarousal und sogar Flashbacks auslösen.
Dagegen können Entspannungsübungen in Verbindung mit Körpergewahrsein zu einer
stärkeren Erdung führen und so gesehen auch wieder Ressource sein.
Ich habe auch mit bestimmten Übungen aus dem Qigong gute Erfahrungen, vor allem
mit solchen wo es um die Stabilität des Körpers geht und wobei die innere Aufrichtung
gefördert wird.
Körpergrenzen
Interpersonelle Grenzen beschreiben den Punkt an dem die Distanz zu einem anderen
Menschen vom Angenehmen ins Unangenehme kippt.
Im Tierverhalten spricht man von kritischer Distanz, dem Punkt wo ein Tier von
vorsichtiger Wachsamkeit zum Angriff wechselt. Der genaue Verlauf einer
interpersonalen Grenze hängt nicht nur von der Person, sondern auch von der Situation
ab. Was in einer bestimmten Situation mit einer bestimmten Person als angenehm
empfunden wird, kann zu einem anderen Zeitpunkt und mit einer anderen Person als
sehr unangenehm erlebt werden.
Auch die richtige Distanz in der Therapie ist ein wichtiger Faktor für einen erfolgreichen
Verlauf. Auch hier gibt es keine konstanten Grenzen, es ist bei jedem Klienten darauf zu
achten, dass der Abstand zum Therapeuten passt. Bewährt hat sich, Klienten hinspüren
zu lassen und die Stühle so zu stellen, dass die Grenzen leicht verändert werden können.
Die Haut als konkrete Grenze
Traumata entstehen oft durch Ereignisse bei denen der Körper angegriffen und seine
Grenzen verletzt wurden. Indem das Empfinden der Haut als Grenze wieder hergestellt
wird, lässt sich Hyperarousal verringern und Kontrolle über den eigenen Körper
verstärken.
Der Klient nimmt dafür Kontakt zu verschiedenen Körperteilen auf und spürt dabei seine
Empfindungen. Dies kann durch halten, reiben etc. geschehen oder aber indem der Klient
Kontakt zu den Objekten herstellt, die den Körper berühren (Kleider, Stuhl, Schuhe)
Kann bei „dünnhäutigen“ Klienten sehr hilfreich sein, weil dadurch die Körpergrenzen
wieder klar werden.
Visuelle Grenzen
Für manche Klienten stellt es eine große Herausforderung dar, sich vom Therapeuten
beobachten zu lassen und kann zu heftigen Reaktionen führen und Schamgefühle
auslösen.
In diesem Fall ist es hilfreich für die Klienten, wenn die Therapeutin diese Grenze wahrt,
indem sie sich wegdreht und so den Klienten Erleichterung verschafft.
Übertragung und Gegenübertragung
„Zwei Erwachsene arbeiten zusammen an den Resten verbliebener Kindlichkeit“
(Fürstenau).
In der Traumatherapie kommt dem Arbeitsbündnis und der Arbeitsbeziehung große
Bedeutung zu. Der Therapeut und die erwachsenen Anteile der Patienten arbeiten
zusammen, sodass die erwachsenen Anteile lernen können, sich um abgespaltene oder
verletzte Anteile (innere Kinder) zu kümmern. Übertragungsverzerrungen werden sofort
benannt und abgebaut und die Therapeutin tut alles, um den Klienten ein Gefühl der
Sicherheit zu vermitteln.
Die Vergangenheit von der Gegenwart trennen
Dies ist das Hauptziel jeder Traumatherapie und eine wesentliche Erfahrung für die
Klienten. Sätze wie „die Gefahr ist vorbei“, „Sie haben überlebt“, „Sie sind jetzt sicher“
können dabei wertvoll sein. Wenn ein Klient in der Traumatherapie erfahen kann, dass
ein Ereignis in der Vergangenheit liegt, ist dies immer mit großer Erleichterung
verbunden.
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Von besonderer Wichtigkeit ist auch die unmittelbare Zeit nach der traumatischen
Situation, die Qualität der Hilfe und des Kontakts zur Umwelt haben großen Einfluss auf
die Art und Stärke der Nachwirkungen. Die Reaktionen der Umwelt nach einem
traumatischen Ereignis können sogar belastender für den Betroffenen sein als das
Trauma selbst. In der Arbeit ist es daher ratsam zuerst die Probleme, die nach der
traumatischen Situation aufgetreten sind, zu bearbeiten.
Verbindung des Impliziten und Expliziten
Durch PTBS werden implizit erinnerte Bilder, Emotionen, somatische Empfindungen und
Verhaltensweisen von explizit gespeicherten Fakten und Bedeutungen der traumatischen
Ereignisse getrennt, egal ob eine bewusste Erinnerung daran existiert oder nicht. Trauma
zu heilen erfordert, alle Aspekte eines traumatischen Ereignisses miteinander zu
verbinden. Nur durch die Verbindung des Impliziten und des Expliziten kann eine
zusammenhängende Beschreibung jener Ereignisse entstehen, und nur so wird es
möglich, diese in der Vergangenheit des Klienten an der richtigen Stelle einzuordnen.
Implizit kodierte Empfindungen, Emotionen und Verhaltensweisen im Kontext der
traumatischen Erinnerung zu verstehen, ist ein wichtiger Bestandteil des
Heilungsprozesses.
Man muss sich dabei mit dem befassen, was sich im Körper manifestiert und mit Hilfe
von Worten das Erlebte beschreiben und ihm einen Sinn geben.
Letztendlich muss den Klienten geholfen werden, Denken und Fühlen zu synchronisieren.
So kann ein kohärentes Narrativ des traumatischen Ereignisses entstehen und dieses an
den ihm zustehenden Platz in der Vergangenheit des Klienten rücken.
Literatur
Rothschild, Babette (2002): Der Körper erinnert sich. Die Psychophysiologie des Traumas
und der Traumabehandlung.
Reddemann, Luise (2001): Imagination als heilsame Kraft. Zur behandlung von
Traumafolgen mit ressourcenorientierten Verfahren.
Levine, Peter (1998): Trauma-Heilung. Das Erwachen der Tigers. Unsere Fähigkeit
traumatische Erfahrungen zu transformieren.
Levine, Peter und Klein, Maggie (2005): Verwundete Kinderseelen heilen. Wie Kinder und
Jugendliche traumatische Erlebnisse überwinden können.
Huber, Michaela (2004): Wege der Trauma-Behandlung.
Herman, Judith (2003): Die Narben der Gewalt. Traumatische Erfahrungen verstehen
und überwinden.
Sachsse, Ulrich, Ozkan, Ibrahim, Streek-Fischer, Annette (2002): Traumatherapie – Was
ist erfolgreich?
Bessel van der Kolk, Alexander Mc Farlane Lars Weisaeth (2000): Traumatic Stress.
Grundlagen und Behandlungsansätze. Theorie, Praxis und Forschung zu
posttraumatischem Stress sowie Traumatherapie.
Bauer, Joachim (2005): Warum ich fühle, was du fühlst. Intuitive Kommunikation und
das Geheimnis der Spiegelneurone.
Petzold, Hilarion (1993): Frühe Schädigungen - späte Folgen?
9
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