Das bildungsorientierte Konsumverhalten der

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Das bildungsorientierte
Konsumverhalten der
Mittelklasse
Technische Universität Chemnitz
Institut für Soziologie
Allgemeine Soziologie I
Sommersemester 2007
Makrosoziologie II : Neue Theorien (Übung)
Dozent:
Dr. O. G. Schwenk
Name:
Anne Keßler
Studiengang:
Bachelor Soziologie
Matrikelnummer:
165440
Kontakt:
[email protected]
Anschrift:
Ulmenstraße 38
09112 Chemnitz
Abgabetermin:
31.August 2007
Gliederung:
1. Einleitung………………………………………………………………………...Seite 3
2. Der soziale Raum nach Bourdieu………………………………………………...Seite
2.1 Soziale Positionen……………………………………………………………Seite
2.2 Lebensstile…………………………………………………………………....Seite
2.3 Habitus………………………………………………………………...……..Seite
4
4
6
7
3.Die Bildungsbeflissenheit der Mittelklasse……………………………………….Seite 7
4.Bildung als Forschungsgegenstand in der Soziologie……………………….........Seite 8
4.1 Studierendenmilieus in den Sozialwissenschaften…………………………...Seite 8
4.1.1 Die Studierendentypen der
facharbeiterischen Traditionslinie………………………………………Seite 9
4.1.2 Die Studierendentypen aus der
ständisch-kleinbürgerlichen Traditionslinie…………………………….Seite 11
4.2 PISA………………………………………………………………………….Seite 13
4.3 Schulempfehlung und Leseleistung in Abhängigkeit von
Bildungsherkunft und kulturellem Kapital…………………………………...Seite 14
4.3.1 Die Schulempfehlung in Abhängigkeit von der
Bildungsherkunft und der Ausstattung mit kulturellem Kapital……….Seite 14
4.3.2 Die Lesekompetenz in Abhängigkeit von der
Bildungsherkunft und der Ausstattung mit kulturellem Kapital……… Seite 15
5. Fazit………………………………………………………………………………Seite 16
6. Abbildungsverzeichnis……………………………………………………...........Seite 17
7. Quellen……………………………………………………………………….......Seite 19
2
1. Einleitung
Die PISA-Studie (Programm for International Student Assessment) hat die Diskussion über
die soziale Ungleichheit des deutschen Bildungssystems wieder neu entfacht. Das
Leistungsmodell, wonach die Verteilung von Bildungsabschlüssen nach Fähigkeiten und
Leistung erreicht werden, scheint zu einseitig und unvollständig um es zu 100 Prozent in die
Realität umzusetzen. Hierbei steht die soziale Segregation im Vordergrund der Diskussionen.
Untersuchungen haben ergeben, dass nicht nur Leistung allein ausreicht um einen hohen
Bildungsabschluss zu erlangen, sondern auch leistungsunabhängige Faktoren eine Rolle
spielen. Die soziale Herkunft steht dabei im Mittelpunkt. Bildung als Allgemeingut muss
jedem Menschen zugänglich sein, unabhängig von sozialem oder finanziellem Hintergrund.
Der französische Soziologe Pierre Bourdieu entwickelte ein Modell des sozialen Raumes, in
welchem er die Gesellschaft in drei Klassen einteilt und diesen jeweils einen bestimmten
Lebensstil, verbunden durch den Habitus, zuordnet. Der Mittelklasse schriebt er einen hohen
Grad an Bildungsbeflissenheit zu formuliert jedoch gleichzeitig, dass es nicht möglich ist den
Habitus, der einem verinnerlicht wurde, zu verändern.
Diese zwei Gegensätze, Bildung als Allgemeingut auf der einen Seite und der Versuch der
Mittelklasse durch Anhäufung von Bildung der oberen Klasse nachzueifern auf der anderen
Seite, sollen beleuchtet werden. Dabei soll festgestellt werden, ob die Ergebnisse der zwei
Studien auf Bourdieus Theorie zutreffen. Im ersten Teil wird der soziale Raum nach Bourdieu
vorgestellt, in welchem Soziale Positionen, Klassen sowie Habitus und Lebensstil erklärt
sowie in Zusammenhang gebracht werden. Danach wird genauer auf das bildungsorientierte
Konsumverhalten der Mittelklasse eingegangen.
Im Anschluss werden zwei Studien vorgestellt. Die Studie, Studierendentypen in den
Sozialwissenschaften, beschäftigt sich mit der sozialen Herkunft von Studierenden der
Sozialwissenschaften. Die zweite Untersuchung, Schulempfehlung und Leseleistung in
Abhängigkeit von Bildungsherkunft und kulturellem Kapital, verwendet die Daten der PISA –
Studie um den Zusammenhang zwischen Sozioökonomischer Stellung der Eltern und
Bildungskompetenz der Kinder zu beleuchten.
3
2. Der Soziale Raum nach Bourdieu
In seinem Werk “Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilsfähigkeit“
entwickelt Pierre Bourdieu ein Modell, welches das Klassenmodel von Karl Marx sowie die
Unterscheidung von Klasse und Stand nach Max Weber aufgreift und in eigenständiger Form
weiterführt, „als auch Lebensstile als einen zentralen Bestandteil integriert“.1
Bei Marx gibt es in der kapitalistischen Gesellschaft zwei antagonistische Klassen, die
Bourgeoisie und das Proletariat. Die Bourgeoisie bildet die herrschende Klasse und der
Besitzer von Produktionsmitteln. Das Proletariat, sind die Besitzlosen und somit die
beherrschte Klasse. Das entscheidende Differenzierungsmerkmal bei Marx ist ökonomisch,
der Besitz.
Das von Weber entwickelte Modell ist nicht nur auf die Ökonomie beschränkt, sondern, im
Gegensatz zu Marx, differenzierter und mehrdimensionaler. Weber unterscheidet zwischen
Klassen und Ständen. Klassen sind zwar auch hier rein ökonomisch definiert jedoch
unterscheidet er zwischen verschiedenen Besitz-, Erwerbs- und sozialen Klassen. Nach Weber
ist ein Stand „durch spezifische Formen der Lebensführung gekennzeichnet, denen jeweils
bestimmte subjektive Wertpräferenzen und Anerkennungsverhältnisse zugrunde liegen.“2
2.1 Soziale Positionen
Bourdieu führte seinen Untersuchungen in den sechziger Jahren in Frankreich durch. daran
ergaben sich anhand von Korrespondenzanalysen drei Hauptklassen. Zum einen die
„herrschende Klasse“3, hier können zwei unterschiedliche Gruppen ausgemacht werden, zum
einen diejenigen die überwiegend ökonomisches Kapital besitzen, zum Beispiel Unternehmer
und zum anderen diejenigen die überwiegend kulturelles Kapital besitzen, zum Beispiel
Intellektuelle. Die „Mittelklasse“4 lässt sich in drei Gruppen aufteilen. Zu dem absteigenden
Kleinbürgertum gehören zum Beispiel Handwerker und kleinere Händler. Volksschullehrer
und Büroangestellte können dem exekutiven Kleinbürgertum zugeordnet werden. Im neuen
Kleinbürgertum sind neure Berufe, wie zum Beispiel Spezialisten für Public Relations.5 Die
1
Aus : Burzan, N.(2005). Soziale Ungleichheit eine Einführung in die zentralen Theorien. 2. Auflage
Wiesbaden: Vs-Verlag. Seite 138
2
Aus: Schwingel, M. (2000). Pierre Bourdieu zur Einführung. 3. Auflage Hamburg: Junius Seite 103
3
vgl.: Bourdieu, P. (1992): Die feinen Unterschiede. Kritik einer gesellschaftlichen Urteilsfähigkeit. 6. Auflage
Frankfurt am Main: Suhrkamp
4
vgl.: Bourdieu, P. (1992): Die feinen Unterschiede. Kritik einer gesellschaftlichen Urteilsfähigkeit. 6. Auflage
Frankfurt am Main: Suhrkamp
5
vgl.: Bourdieu, P. (1992): Die feinen Unterschiede. Kritik einer gesellschaftlichen Urteilsfähigkeit. 6. Auflage
Frankfurt am Main: Suhrkamp Seite 531-584
4
„Volksklasse“6 wird auch als die beherrschte Klasse bezeichnet. Hier sind im unteren Bereich
Berufsgruppen wie zum Beispiel Hilfsarbeiter oder Landarbeiter vertreten.
Eine weitere Besonderheit von Bourdieus Arbeiten bildet die Ausweitung des
Kapitalbegriffes. Außer dem „ökonomischen Kapital“7 verwendet er noch das kulturelle und
soziale Kapital.
Das ökonomische Kapital umfasst das persönliche Eigentum und Vermögen wie zum
Beispiel Wohnungseigentum, materieller Besitz, Durchschnittseinkommen. Laut Bourdieu
besitz jeder Mensch ökonomisches Kapital, wie viel, beziehungsweise wie wenig er besitz
hängt von seiner sozialen Position ab.
Auf das „kulturelle Kapital“8 soll an dieser Stelle etwas genauer eingegangen werden, weil
es später noch eine zentrale Rolle spielen wird. Laut Bourdieu nimmt das kulturelle Kapital
drei Formen an. Die erste Form bildet das inkorporierte Kulturkapital, es meint verschiedene
Wissens- und Bildungsformen, sowie bestimmte Fähig- und Fertigkeiten. Aber es wird nicht
nur auf dem akademischen Weg (z.B. Schule, Universität) erworben, sondern auch die
Erziehung in der Familie ist hierbei von Bedeutung. Diese Kapitalart muss sich persönlich
durch Lernaufwand angeeignet werden. Das heißt sie ist nicht, wie ökonomisches Kapital, auf
andere übertragbar. Das objektivierte Kulturkapital ist unter anderem in Form von Gemälden,
Büchern oder Instrumenten vorhanden. Es ist nicht grundsätzlich personengebunden, da man
diese materiellen Dinge an andere weitergeben kann, aber inkorporiertes Kulturkapital ist
notwendig um den eigentlichen Wert, nicht nur den materiellen Wert, dieses Gegenstandes zu
erkennen. Anders kann diese Kapitalart nicht an Bedeutung gewinnen. Das institutionalisierte
Kulturkapital existiert in Form von (schulischen) Titeln. Inhaber dieses Kapitals
unterscheiden sich von Autodidakten. Sie können zwar ein höheres inkorporiertes Kapital
besitzen, aber nicht über legitimes Kulturkapital, also keine rechtlich gesicherten Zeugnisse
ihrer Fähigkeiten vorlegen können.
Mit „sozialem Kapital“9 meint Bourdieu, die sozialen Netzwerke die eine Person besitzt.
“Dieses Kapital ist erheblich von der von der familiären Herkunft abhängig, es bedarf aber
auch einer dauerhaften Beziehungsarbeit, um dieses Kapital aufrechtzuerhalten.“10
6
vgl.: Bourdieu, P. (1992): Die feinen Unterschiede. Kritik einer gesellschaftlichen Urteilsfähigkeit. 6. Auflage
Frankfurt am Main: Suhrkamp
7
vgl.: Bourdieu, P. (1992): Die feinen Unterschiede. Kritik einer gesellschaftlichen Urteilsfähigkeit. 6. Auflage
Frankfurt am Main: Suhrkamp
8
vgl.: Bourdieu, P. (1992): Die feinen Unterschiede. Kritik einer gesellschaftlichen Urteilsfähigkeit. 6. Auflage
Frankfurt am Main: Suhrkamp
9
vgl.: Bourdieu, P. (1992): Die feinen Unterschiede. Kritik einer gesellschaftlichen Urteilsfähigkeit. 6. Auflage
Frankfurt am Main: Suhrkamp
10
Aus : Burzan, N. (2005). Soziale Ungleichheit eine Einführung in die zentralen Theorien. 2. Auflage
Wiesbaden: Vs-Verlag. Seite 139
5
Die soziale Position einer Person bestimmt sich nun durch die drei Dimensionen
Kapitalvolumen, Kapitalstruktur und sozialer Laufbahn.
Die vertikale Dimension ist durch das Kapitalvolumen bestimmt. Dieses meint die Summe
von Ökonomischen, Kulturellen und sozialen Kapital. Auf der horizontalen Dimension stellt
sich die Kapitalstruktur dar. Sie meint das Verhältnis in dem ökonomisches und kulturelles
Kapital zu einander stehen. Das soziale Kapital bleibt allerdings hierbei unbeachtet. (siehe
Abbildung 1)
Die dritte Dimension bezeichnet die soziale Laufbahn. „[…] bei der sozialen Laufbahn wird
die Kombination der Kapitalarten im Zeitverlauf betrachtet.“11 Sie zeigt also an wie sich die
soziale Position einer Person im Laufe der Jahre verändert. Ob es sich um einen „Aufsteiger
oder einen Absteiger“12 handelt.13
2.2 Lebensstile
Wie schon am Anfang erwähnt, ergänzt Pierre Bourdieu das klassische Klassenmodell um
weitere Dimensionen. Jeder der Klassen wird ein unterschiedlicher Lebensstil zugeordnet.
Dieser ist gesellschaftlich, durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse, geprägt.
„man wählt ihn keinesfalls so frei, wie man es vielleicht angenommen hatte.“14
Laut Bourdieu gibt es drei verschiedene Lebensstile. Der legitime Geschmack, den er der
herrschenden Klasse zuschreibt. Dieser zeichnet sich durch den „Sinn für Distinktion“ und sie
haben eine Vorliebe für Luxusartikel .Außerdem gehen sie Vertraut mit Kultur und Bildung
um, da ihnen dies schon durch ihre Erziehung angeeignet wurde. Bei den Personen wo das
ökonomische Kapital überwiegt ist festzustellen, dass sie eine Vorliebe für Boulevardtheater,
Boutiquen und Luxuswagen besitzen. Die Personen welche überwiegend über kulturelles
Kapital verfügen ist festzustellen, dass klassische oder avantgardistische Theaterstücke,
Museen und klassische Musik bevorzugen. Der mittlere bzw. prätentiöse Geschmack, den er
der mittleren Klasse zuordnet. Hier ist besonders auffällig, dass diese Klasse versucht der
herrschenden Klasse nachzueifern. Dies zeigt sich besonders im Bereich der Bildung, wo das
Kleinbürgertum auffällig viel Eifer zeigt, sich so viele Titel wie nur möglich zu erarbeiten.
Die Wohnungseinrichtung des absteigenden Kleinbürgertums ist eher am pflegeleichten Stil
11
Aus: Burzan, N. (2005). Soziale Ungleichheit eine Einführung in die zentralen Theorien. 2. Auflage
Wiesbaden: Vs-Verlag. Seite 141
12
Aus: Burzan, N. (2005). Soziale Ungleichheit eine Einführung in die zentralen Theorien. 2. Auflage
Wiesbaden: Vs-Verlag. Seite 140-141
13
vgl.: , P. (1992): Die feinen Unterschiede. Kritik einer gesellschaftlichen Urteilsfähigkeit. 6. Auflage Frankfurt
am Main: Suhrkamp
14
Aus: Burzan, N. (2005). Soziale Ungleichheit eine Einführung in die zentralen Theorien. 2. Auflage
Wiesbaden: Vs-Verlag. Seite 143
6
orientiert. Wohingegen das exekutive Kleinbürgertum seine Möbel in Kaufhäusern kauft und
das neue Kleinbürgertum phantasievolles Inventar bevorzugt. Der populäre bzw.
Notwendigkeitsgeschmack, den Bourdieu der Volksklasse zuteilt. Dieser zeichnet sich durch
die Orientierung am Praktischen aus. Er ist auch, besonders durch das fehlende ökonomische
Kapital, durch die Anpassung am Mangel gekennzeichnet. Wohnungseinrichtung und
Kleidung dieser Klasse müssen zum Beispiel preiswert und pflegeleicht sein. 15
2.3 Habitus
Der Begriff Habitus (lat. habere: gelten, besitzen) beschreibt in den Sozialwissenschaften das
Aussehen und die Haltung einer Person. In Bourdieus Modell verbindet der Habitus den
Raum der sozialen Positionen mit dem Raum der Lebensstile. (Abbildung 2) Im Habitus
kommen
die
Besonderheiten
des
Persönlichen
Verhaltensstils
beziehungsweise
Verhaltensmuster zum Ausdruck. Laut Bourdieu kann man daraus auf bestimmte
Einstellungen, Meinungen, Handlungen etc. schließen. Also auf die gesamte Persönlichkeit
eines Menschen. Der Habitus einer Person bzw. einer bestimmten sozialen Klasse ist nicht
erlernbar. Er wird durch Sozialisation vermittelt.
3. Die Bildungsbeflissenheit der Mittelklasse
Das überdurchschnittliche anhäufen vom kulturellen Kapital in Form von Bildung ist bei den
jungen Menschen des exekutiven Kleinbürgertum, zum Beispiel mittlere Führungskräfte oder
Büroangestellte, besonders stark ausgeprägt. Dies zeigt sich besonders in der Anhäufung von
Zeugnissen. Der junge exekutive Kleinbürger ist der legitimen Kultur der herrschenden
Klasse, der er versucht nachzueifern, völlig ergeben. Bourdieu bringt an dieser Stelle den
Bergriff Allodoxia hinein. Dieser Begriff meint, dass der Kleinbürger über seine (kulturellen)
Verhältnisse lebt, er versucht etwas haben zu wollen wovon er keine Ahnung hat. Sie besitzen
nicht die gelassene Umgangsweise mit Bildung, wie es die herrschende Klasse hat. Ziel dieses
Bildungswahns ist der unbedingte Aufstiegswille. Bourdieu charakterisiert diese Einstellung
als asketisch. Der soziale Aufstieg ist für sie zwingend und dem ordnen sie sich mit totaler
Gefügigkeit unter. Dem entsprechend ist auch ihr Weltbild progressive geprägt. Es stützt sich
auf den Glauben der Aufklärung, Belehrung, Erkenntnis und einem gemäßigten Reformismus.
Hierarchien definieren sie über Unterschiede in Kompetenzen und Bildungstitel. „Der
Bildung verdanken sie alles, was sie erreicht haben, und von ihr erwarten sie alles, was sie
15
vgl.: Bourdieu, P. (1992): Die feinen Unterschiede. Kritik einer gesellschaftlichen Urteilsfähigkeit. 6. Auflage
Frankfurt am Main: Suhrkamp
7
erreichen möchten.“16 Das junge exekutive Kleinbürgertum ist fest davon überzeugt, dass es
seine Position nur seinem Ehrgeiz, seinem Streben und seinem Fleiß zu verdanken hat. Er lebt
nach dem Prinzip, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied. Aber der Aufstieg ist schwer,
dafür müssen Opfer gebracht werden. Laut Bourdieu setzt ein Aufstieg immer ein Bruch
voraus. Ein Bruch mit der Familie, mit der vertrauten Werteordnung mit allem was dem
persönlichem Aufstieg im Weg steht. Aber auch sie stoßen an ihre Grenzen, Bourdieu bringt
hier als Beispiel die Unkenntnis von Algebra, ihr intensiver und hilfloser Bildungseifer
verlangt von ihnen eine Arbeitsweise die durch Präzision, Exaktheit, Ernsthaftigkeit, Eifer
und Hingabe gekennzeichnet ist. Dadurch verfügen sie eigentlich mehr über guten Willen als
über kulturelles Kapital.17
4. Bildung als Forschungsgegenstand in der Soziologie
An dieser Stelle sollen zwei Studien vorgestellt werden. Andrea Lange-Vester und Christel
Teiwes Kügler beleuchten die sozialen Hintergründe und Motivationen von Studierenden der
Politikwissenschaft, Soziologie, und Sozialpsychologie.
Thomas Hinz und Jochen Groß
untersuchen mit Hilfe der PISA – Daten inwieweit der Bildungshintergrund der Eltern und
deren sozioökonomische Stellung im Zusammenhang mit der Schulempfehlung und der
Leseleistung der Kinder im Zusammenhang stehen. Beide Studien untersuchen inwieweit der
Zusammenhang zwischen Elternhaus und schulischer Leistung der Kinder aussagekräftig ist.
4.1 Studierendenmilieus in den Sozialwissenschaften
Die Untersuchung, Die Symbolische Gewalt der legitimen Kultur, zur Reproduktion
ungleicher Bildungschancen in den Studierendenmilieus, wurde an der Universität in
Hannover durchgeführt. Es wurden 139 Studierende der Sozialwissenschaften befragt. Sie
studieren Politische Wissenschaft, Soziologie und Sozialpsychologie im Diplomstudiengang
oder
eines
dieser
Hauptfächer
im Haupt-
oder
Nebenfach
des
Magister
oder
Lehramtsstudiums. Diese Studie liegt Bourdieus Habitustheorie zugrunde. Dabei werden
Bildungsentscheidungen
sowie
Bildungsprozesse
als
„Ergebnis
oder
Station
des
18
Zusammenwirkens von milieu- und habitusspezifischen Schemata“ verstanden. Das Abitur
16
Aus: Bourdieu, P. (1992): Die feinen Unterschiede. Kritik einer gesellschaftlichen Urteilsfähigkeit. 6. Auflage
Frankfurt am Main: Suhrkamp Seite 550
17
vgl.: Bourdieu, P. (1992): Die feinen Unterschiede. Kritik einer gesellschaftlichen Urteilsfähigkeit. 6. Auflage
Frankfurt am Main: Suhrkamp Seite 501-540
18
Aus: Lange-Vester, A./ Teiwes-Kügler, C. (2006): Die symbolische Gewalt der legitimen Kultur. Zur
Reproduktion ungleicher Bildungschancen im Studierendenmilieu. in: Georg, W. (Hg.), Soziale Ungleichheit im
Bildungssystem. Konstanz: UVK Seite 56-57
8
ist meistens die einzige gemeinsame Vorraussetzung der Studierenden. Doch ob dieser
Abschluss unter großem Lernaufwand und hoher psychischer Belastung oder mit Leichtigkeit
und geringem Lernaufwand, erreicht wurde bleibt offen. Die Abbildung 3 zeigt den Überblick
über die Typologien, die sich bei der Auswertung der Studie ergaben. Hierbei wurden
„vorrangig die Habitusmuster, die im spezifischen Feld der Universität zu Geltung kommen“
19
erfasst. Zu einem Typus werden Studierende zusammengefasst,“[…] die in grundlegenden
Haltungen und Abgrenzungen bei der Bewältigung des Studiums übereinstimmen und sich
darin von anderen Studierenden deutlich unterscheiden.“20
Es soll jetzt nicht auf jeden einzelnen Typus genauer eingegangen werden, sondern das
Hauptaugenmerk auf die Studientypen aus der gesellschaftlichen Mitte gerichtet werden.
Diese lässt ich in zwei Gruppen unterteilen. Zum einen in die „[…]Traditionslinie der
Facharbeit und praktischen Intelligenz [und zum anderen die] ständisch-kleinbürgerlichen
Traditionslinien21.
4.1.1 Die Studientypen der Facharbeiterischen Traditionslinie
Hier konnten zwei Fraktionen unterscheiden werden, die „Ganzheitlichen“22 und die
„Effizienzorientierten“23. Die Gemeinsamkeit zwischen den beiden Gruppen besteht in der
Selbstständigkeit, die sie bei der Durchführung ihres Studiums vorweisen. Die Studierenden
legen Probleme im Studium oft als persönliches Versagen aus, das liegt daran, dass sie einen
hohen Anspruch an Eigenverantwortlichkeit aufweisen. Sie möchten ihre soziale Herkunft
nicht verleugnen sondern sind ihr sehr verbunden, dennoch eignen sie sich die Bedingungen
und Inhalte ihrer akademischen Umgebung an.
19
Aus: Lange-Vester, A./ Teiwes-Kügler, C. (2006): Die symbolische Gewalt der legitimen Kultur. Zur
Reproduktion ungleicher Bildungschancen im Studierendenmilieu. in: Georg, W. (Hg.), Soziale Ungleichheit im
Bildungssystem. Konstanz: UVK Seite 66
20
Aus: Lange-Vester, A./ Teiwes-Kügler, C. (2006): Die symbolische Gewalt der legitimen Kultur. Zur
Reproduktion ungleicher Bildungschancen im Studierendenmilieu. in: Georg, W. (Hg.), Soziale Ungleichheit im
Bildungssystem. Konstanz: UVK Seite 67
21
Aus: Lange-Vester, A./ Teiwes-Kügler, C. (2006): Die symbolische Gewalt der legitimen Kultur. Zur
Reproduktion ungleicher Bildungschancen im Studierendenmilieu. in: Georg, W. (Hg.), Soziale Ungleichheit im
Bildungssystem. Konstanz: UVK Seite 74
22
Aus: Lange-Vester, A./ Teiwes-Kügler, C. (2006): Die symbolische Gewalt der legitimen Kultur. Zur
Reproduktion ungleicher Bildungschancen im Studierendenmilieu. in: Georg, W. (Hg.), Soziale Ungleichheit im
Bildungssystem. Konstanz: UVK Seite 75
23
Aus: Lange-Vester, A./ Teiwes-Kügler, C. (2006): Die symbolische Gewalt der legitimen Kultur. Zur
Reproduktion ungleicher Bildungschancen im Studierendenmilieu. in: Georg, W. (Hg.), Soziale Ungleichheit im
Bildungssystem. Konstanz: UVK Seite 75
9
Bei den „Ganzheitlichen“ lassen sich noch mal zwei verschiedene Gruppen unterscheiden, die
„Anspruchsvollen“24 und die „Genügsamen“25. Beide haben einen sehr vertrauten Umgang
mit Bildung. Ihr Ziel ist es durch das Studium einen Beruf zu finden sowie sich persönlich
und Bildungstechnisch weiterzuentwickeln. In dem Studium legen sie besondern Wert darauf
theoretisches Wissen auch anwenden zu können und ein Gleichgewicht zwischen Theorie und
Praxis herzustellen. Das Studium stellt für sie kein Selbstzweck dar. Sie sind sehr engagiert,
was aber nicht mit wahnsinnig strebsam gleichzusetzen ist. Kennzeichnend für
die
„Ganzheitlichen“ ist, dass sie sozial und politisch motiviert sind sowie als aufgeschlossen und
kompromissfähig gelten. Die vorherrschenden Bedingungen an den Universitäten nehmen sie
mit einer großen Portion Gelassenheit entgegen. Sie wünschen sich zwar eine übersichtlichere
Struktur, sehen aber die Zeit, die sie zur Orientierung benötigen, nicht als Verschwendung an.
Die Gründe für diese Gelassenheit sind verschieden. Die „Anspruchsvollen“, deren Eltern
meist schon einen Bildungsaufstieg durchgeführten, haben durch ihre soziale Herkunft und
Position in der Gesellschaft genügend „Selbstgewissheit und Optimismus“26. Die
„Genügsamen“ sind meistens die ersten in ihrer Familie welche einen akademischen
Abschluss anstreben, aber durch ihre überschaubaren Ziele und Ansprüche nur einen geringen
sozialen Aufstieg anstreben. Sie erhoffen sich im späteren Berufsleben mehr Eigenständigkeit
und freiheitlichen Handlungsspielraum. Sie schließen sich während des Studiums häufig
Arbeitsgruppen an um durch weitere Bezugspersonen den theoretischen Ansprüchen des
Studiums gewachsen zu sein.
Die Eltern der „Effizienzorientierten“ profitierten häufig von der Bildungsexpansion in den
1960er Jahren, dennoch bestehen selten Erfahrungen mit einem geisteswissenschaftlichen
Studiengang. Die Studierenden organisieren ihr Studium sehr methodisch sowie
berufsorientiert und zielstrebig. „ Ihr Habitus ist insgesamt strebender, die Bewältigung ihres
Studiums wirkt angestrengter.“27 Ihre Leistungsfähigkeit und Eigenverantwortlichkeit ist
ihnen im Studium besonders wichtig. Sie wollen ihr Studium möglichst schnell beenden. Dies
führt aber oft auch zu Verunsicherung und Überforderung. Auch sind sie häufig von Zweifel
24
Aus: Lange-Vester, A./ Teiwes-Kügler, C. (2006): Die symbolische Gewalt der legitimen Kultur. Zur
Reproduktion ungleicher Bildungschancen im Studierendenmilieu. in: Georg, W. (Hg.), Soziale Ungleichheit im
Bildungssystem. Konstanz: UVK Seite 75
25
Aus: Lange-Vester, A./ Teiwes-Kügler, C. (2006): Die symbolische Gewalt der legitimen Kultur. Zur
Reproduktion ungleicher Bildungschancen im Studierendenmilieu. in: Georg, W. (Hg.), Soziale Ungleichheit im
Bildungssystem. Konstanz: UVK Seite 75
26
Aus: Lange-Vester, A./ Teiwes-Kügler, C. (2006): Die symbolische Gewalt der legitimen Kultur. Zur
Reproduktion ungleicher Bildungschancen im Studierendenmilieu. in: Georg, W. (Hg.), Soziale Ungleichheit im
Bildungssystem. Konstanz: UVK Seite 76
27
Aus: Lange-Vester, A./ Teiwes-Kügler, C. (2006): Die symbolische Gewalt der legitimen Kultur. Zur
Reproduktion ungleicher Bildungschancen im Studierendenmilieu. in: Georg, W. (Hg.), Soziale Ungleichheit im
Bildungssystem. Konstanz: UVK Seite 77
10
geplagt, ob sie die richtigen Veranstaltungen besuchen. Sie definieren sich selbst fast
ausschließlich nur über ihre Leistung, demzufolge sind gute Noten für sie meistens die einzige
Annerkennung und Bestätigung. Sie kritisieren die Unübersichtliche Struktur und
Organisation der Universität sowie die geringe Praxisorientierung. Das entspricht nicht ihren
Effizienzansprüchen.28
4.1.2 Die Studierendentypen aus der ständisch-kleinbürgerlichen Traditionslinie
Die Angehörigen dieses Typus achten besonders auf gute schulische Ausbildung, aber immer
mehr wird auch in eine akademische Laufbahn investiert. Es werden aber keine beständigen
Strategien zum Bildungsverlauf, wie in der facharbeiterischen Traditionslinie üblich,
praktiziert.
Auch hier können wieder zwei
Fraktionen unterschieden werden. Zum einen die
„Prestigeorientierten“29 und zum anderen die „Aufstiegsorientierten“30. „Sie unterscheiden
sich nach ihrem Habitus und nach der vertikalen Position im sozialen Raum. Gleichzeitig
scheint es eine Differenzierung nach Geschlecht zu geben. Die „Prestigeorientierenten“ sind
fast ausschließlich weiblich, bei den „Aufstiegsorientierten“ überwiegen männliche
Studierende.“31 Die Grundhaltung der Beiden Studierendentypen ist eher mehr durch
hierarchische Vorstellungen gekennzeichnet, als dies in der facharbeiterischen Traditionslinie
üblich ist. Ihre Leistungen und Motivationen sind durch äußere Einflüsse geprägt. Diese
Einflüsse können von unterschiedlichen Richtungen kommen, von Dozenten oder auch
zukünftigen Arbeitgebern.
Die
Eltern
der
„Prestigeorientierten“
haben
in
der
Regel
mittlere
bis
höhere
Bildungsabschlüsse. Den meist weiblichen Studierenden sind verbindliche Richtlinien und
Strukturen sehr wichtig. Deshalb sind sie mit dem momentanen Universitätsbetrieb sehr
unzufrieden. Das Ziel ihres Studiums liegt in dem Erweb des akademischen Titels. Durch ihn
erhoffen sie sich einen sozialen Aufstieg, sie streben einen gehobenen Lebensstandart an,
sowie gesellschaftliche Anerkennung. „Die Frauen verfügen über einen arrivierten und
28
vgl.: Aus: Lange-Vester, A./ Teiwes-Kügler, C. (2006): Die symbolische Gewalt der legitimen Kultur. Zur
Reproduktion ungleicher Bildungschancen im Studierendenmilieu. in: Georg, W. (Hg.), Soziale Ungleichheit im
Bildungssystem. Konstanz: UVK Seite 75-78
29
Aus: Lange-Vester, A./ Teiwes-Kügler, C. (2006): Die symbolische Gewalt der legitimen Kultur. Zur
Reproduktion ungleicher Bildungschancen im Studierendenmilieu. in: Georg, W. (Hg.), Soziale Ungleichheit im
Bildungssystem. Konstanz: UVK Seite 79
30
Aus: Lange-Vester, A./ Teiwes-Kügler, C. (2006): Die symbolische Gewalt der legitimen Kultur. Zur
Reproduktion ungleicher Bildungschancen im Studierendenmilieu. in: Georg, W. (Hg.), Soziale Ungleichheit im
Bildungssystem. Konstanz: UVK Seite 79
31
Aus: Lange-Vester, A./ Teiwes-Kügler, C. (2006): Die symbolische Gewalt der legitimen Kultur. Zur
Reproduktion ungleicher Bildungschancen im Studierendenmilieu. in: Georg, W. (Hg.), Soziale Ungleichheit im
Bildungssystem. Konstanz: UVK Seite 79
11
individualisierten Habitus mit relativ viel Selbstbewusstsein. Dieses Selbstbewusstsein stützt
sich auf den bereits vorhandenen sozialen Status der Herkunft.“32 Ein kleiner Teil der
„Prestigeorientierten“ Fraktion zeigt mehr Verunsicherung. Sie setzten mit ihrem Studium
mehr auf Sicherheit, eine Berufsstellung die lebenslängliche Sicherheit bringt wie zum
Beispiel Lehramtsstudiengänge finden sich hier besonders häufig.
Die
„Aufstiegsorientierten“
kennzeichnet
„Prestigeorientierten“. Auch ihnen sind
das
gleiche
Habituskonzept
wie
die
gesellschaftliche Anerkennung, sozialer Aufstieg,
und akademische Titel sehr wichtig. Ihr Ziel ist es ebenso zu den, ihn ihren Augen,
Wohlhabenden, gesellschaftlich Angesehenen und Erfolgreichen, oberen Teil der Gesellschaft
aufzusteigen. Nur den Weg dahin bestreiten sie auf unterschiedliche Art und Weise. Die
„Aufstiegsorientierten“ versuchen den Aufstieg über ihre individuellen Leistungen zu
erreichen „und nicht den arrivierten Habitus der Prestigeorientierten verfügen.“33 Sie nehmen
ihr Studium sehr ernst, sind ehrgeizig und investieren deswegen sehr viel Zeit und
Anstrengung. Nicht selten absolvieren sie nebenbei, oder nach dem ersten Abschluss, noch
ein weiters Studium im Bereich der Wirtschaftswissenschaften. Ihre Eltern haben meistens
nur niedrige bis mittlere Bildungsabschlüsse. Was ihnen, herkunftsbedingt, keine besonders
guten Vorrausetzungen für eine akademische Laufbahn ermöglicht. „Sie eignen sich [deshalb]
relativ schnell und beflissen die akademische Sprache, die Gepflogenheiten und Regeln des
Feldes an, um zu zeigen, dass sie im Feld mithalten können.“34 Von der Universität erwarten
sie ein hohes Ausbildungsniveau, welches sehr berufsorientiert sein sollte. Da dies leider nicht
immer gegeben ist, müssen sie sich stärker als manch anderer mit ihren Zukunftsaussichten
auseinandersetzen.
Die
„Aufstiegsorientierten“
sind
besonders
durch
ihre
hohe
Leistungsbereitschaft gekennzeichnet. Bildung ist für sie eher Mittel zum Zweck um den
sozialen Aufstieg zu bewältigen. Sie können aber nicht verbergen, dass sie nur durch extreme
Anstrengungen, Umstellungen und Anpassungen ihr Habituskonzept verändern können. Auch
bei ihnen treten Zweifel und Verunsicherungen auf. 35
32
Aus: Lange-Vester, A./ Teiwes-Kügler, C. (2006): Die symbolische Gewalt der legitimen Kultur. Zur
Reproduktion ungleicher Bildungschancen im Studierendenmilieu. in: Georg, W. (Hg.), Soziale Ungleichheit im
Bildungssystem. Konstanz: UVK Seite 80
33
Aus: Lange-Vester, A./ Teiwes-Kügler, C. (2006): Die symbolische Gewalt der legitimen Kultur. Zur
Reproduktion ungleicher Bildungschancen im Studierendenmilieu. in: Georg, W. (Hg.), Soziale Ungleichheit im
Bildungssystem. Konstanz: UVK Seite 83
34
Aus: Lange-Vester, A./ Teiwes-Kügler, C. (2006): Die symbolische Gewalt der legitimen Kultur. Zur
Reproduktion ungleicher Bildungschancen im Studierendenmilieu. in: Georg, W. (Hg.), Soziale Ungleichheit im
Bildungssystem. Konstanz: UVK Seite 84
35
vgl.: Lange-Vester, A./ Teiwes-Kügler, C. (2006): Die symbolische Gewalt der legitimen Kultur. Zur
Reproduktion ungleicher Bildungschancen im Studierendenmilieu. in: Georg, W. (Hg.), Soziale Ungleichheit im
Bildungssystem. Konstanz: UVK Seite 79-85
12
4.2 PISA
An dieser Stelle soll es nicht um das seit Jahren immerwiederkehrende Missverständnis
zwischen der Stadt in Italien und der Bildungsstudie gehen. Sondern hier soll ein einfacher
kurzer Überblick erfolgen, was die PISA – Studie ist und wie sie aufgebaut ist.
Durchgeführt wir die PISA – Studie von der OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development). Getragen und verantwortet wird sie von den teilnehmenden
Staaten. In Deutschland ist es die Kultusministerkonferenz und das Bundesministerium für
Bildung und Forschung. Das Ziel ist es festzustellen inwieweit 15-Jährige Schülerinnen und
Schüler ihre erworbenen Kenntnisse und Fähigkeiten in alltäglichen Situationen umsetzen und
anwenden können. Lesekompetenz (Reading Literacy), mathematische Grundbildung
(Mathematical Literacy) und naturwissenschaftliche Grundbildung (Scientific Literacy) sind
die drei Bereiche die PIAS erfasst. Sie werden nicht über den ausschließlich über den
vorgegebenen Lehrplan definiert, sondern, wie schon erwähnt, zielen darauf ab die
Anwendung der Kenntnisse und Fähigkeiten in alltagsähnlichen Situationen zu erfassen.
Es werden außerdem noch Fragen zu der Schule, welche vom Schulleiter beantwortet werden,
und zum persönlichen Leben der Schüler, welche von einmal von den Schülern selbst und in
Deutschland zusätzlich einmal von ihren Eltern beantwortet, gestellt. Ansonsten beinhaltet der
Test Multiple Choice Aufgaben sowie aus Fragen, in dessen die Schüler selbst Antworten
formulieren müssen. Die Datenerhebung erfolgt in einem Dreijahreszyklus, wobei es in jedem
Zyklus einen andern Schwerpunkt gibt der intensiver und umfangreicher getestet wird als die
anderen. Im Jahr 2000 fand die erste Erhebung, mit dem Schwerpunkt Lesekompetenz, statt.
2003 lag der Schwerpunkt auf der mathematischen Grundbildung. Folglich entsteht somit ein
Profilbild welches die Kenntnisse und Fähigkeiten von Schülern gegen Ende ihrer
Pflichtschulzeit abbildet. Weiterhin erhält man „Kontextbezogene Indikatoren, mit denen ein
Zusammenhang zwischen den Ergebnissen und den Merkmalen von Jugendlichen und
Schulen hergestellt wird.“36 Außerdem wird deutlich, wie sich bestimmte Ergebnisse im
Zeitverlauf entwickeln.
36
Aus: Baumer, J./Artelt, C./Carstensen, C./Sibberns, H./Stanat, P. (2002) Untersuchungsgegenstand,
Fragestellungen und technische Grundlagen der Studie. in: Baumer, J./Artelt, C./Kleime, E./Neubrand,
M./Prenzel, M./Schiefele, U./Schneider, W./Tillmann, K.-J./Weiß, M. (Hg.), PISA 2000. Die Länder der
Bundesrepublik Deutschland im Vergleich. Opladen: Leske + Budrich Seite 13
13
4.3 Schulempfehlung und Leseleistung in Abhängigkeit von Bildungsherkunft und
kulturellem Kapital
Durch die PISA - Studie ist die Soziale Selektion im deutschen Bildungssystem wieder ein
aktuelles Diskussionsthema geworden. Die Auswertungen der Daten haben ergeben, dass ein
Ursache für einen Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungskompetenzen die
frühen Selektionsmechanismen sind. Außerdem macht man auch die Undurchlässigkeit des
Bildungssystems dafür verantwortlich. Die Bildungswege sind, wenn überhaupt, nur nach
unten hin geöffnet. Somit wird bei einem Wechsel in das dreigliedrig gestufte System,
Hauptschule,
Realschule,
Gymnasium,
welcher
meist
durch
die
so
genannte
Bildungsempfehlung institutionell gesteuert wird, der Lebensweg vorherbestimmt.
Der Beitrag von Thomas Hinz und Jochen Groß geht der Frage nach, „inwieweit die
Schulempfehlung
mit
der
sozialen
Herkunft
der
Kinder
festgemacht
an
der
sozioökonomischen Stellung der Eltern und deren Bildungshintergrund, zusammenhängt.“37
Selbiges wird auch anhand der Leseleistung 15-Jährigen, mit Hilfe der Daten aus der PISA –
Studie, untersucht. Eine dominierende Rolle bei den Analysen spielt das kulturelle Kapital
einer Familie und die Frage inwieweit es sich mit der sozialen Herkunft ergänzt oder dessen
Wirkung erklärt. Der Ausgangspunkt ist die Bildungsempfehlung und ob sie im
Zusammenhang mit der sozialen Herkunft und kulturellem Kapital steht, außerdem inwiefern
das kulturell Kapital und die soziale Herkunft in Bezug auf die gesamte Bildungskompetenz
einen Zusammenhang aufweist, und wenn ja wie stark sich die Einflussfaktoren von
leistungsschwachen und leistungsstarken Schülern und Schülerinnen unterscheiden.
4.3.1 Die Schulempfehlung in Abhängigkeit von der Bildungsherkunft und der
Ausstattung mit kulturellem Kapital
Im Mittelpunkt der Untersuchung steht die Schulempfehlung (auch Bildungsempfehlung
genannt), dabei beurteilt ein Lehrer welche Schule ein (meistens) 10-Jähriges Kind in Zukunft
besuchen soll. Entweder eine Hauptschule eine Realschule oder ein Gymnasium. Die
Schulempfehlung setzt sich aus zwei Teilen zusammen, zum einen aus den schulischen
Leistungen, besonders in den Fächern Mathematik und Deutsch, und zum anderen aus einer
pädagogischen Einschätzung.
Als Ergebnis der Untersuchung, mit den Daten der PISA – Studie von 2000, entstanden drei
Modelle. In Modell 1 wird nur die soziale Herkunft der Kinder berücksichtigt. Es zeigt sich,
37
Aus: Hinz, T./Groß, J. (2006): Schulempfehlung und Leseleistung in Abhängigkeit von Bildungsherkunft und
kulturellem Kapital. in: Georg, W. (Hg.), Soziale Ungleichheit im Bildungssystem. Konstanz: UVK Seite 199
14
dass die Wahrscheinlichkeit für eine Empfehlung des Gymnasiums steigt, je höher der
sozioökonomische Status und je höher die Bildung der Eltern ist. Während bei niedrigem
sozioökonomischen Status und niedriger Bildung der Eltern die Wahrscheinlichkeit steigt eine
Empfehlung für die Hauptschule zu bekommen. Im Modell 2 wird außer der sozialen
Herkunft
zusätzlich
betrachtet welchen
Einfluss
das
kulturelle Kapital
auf
die
Schulempfehlung hat. Hierbei stellte sich heraus, dass das kulturelle Kapital der Eltern
besonders bei der Entscheidung zwischen Gymnasium und Realschule am bedeutendsten
ist.“[…], die Wahrscheinlichkeit für eine Empfehlung für die niedrigste Bildungsstufe ist am
wenigsten vom Vorhandensein (oder Nicht- Vorhandensein) kulturellen Kapitals berührt.
Und: Kulturelles Kapital ist zweifellos eine intervenierende Variable, aber die direkte
Wirkung des sozioökonomischen Hintergrunds bleibt dennoch erhalten. Dies spricht für eine
kumulative Wirkung der beiden Faktoren.“38 Im Modell 3 wird ein so genannter
Interaktionsterm
einbezogen, dieser soll nachweisen ob das „kulturelle Kapital in
Deutschland die Schulempfehlung in Anhängigkeit des sozioökonomischen Status der Eltern
beeinflusst.“39 Nach den Untersuchungen ist die aber nicht der Fall.
Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass die Schulempfehlung von der
sozioökonomischen Herkunft und dem Umfang von kulturellem Kapital beeinflusst wird.
Aber es konnte nicht vollständig bestätigt werden, dass das kulturelle Kapital über die
sozioökonomische Herkunft vermittelt wird. 40
4.3.2 Die Lesekompetenz in Abhängigkeit von der Bildungsherkunft und der
Ausstattung mit kulturellem Kapital
Unter Berücksichtigung des dreistufigen Bildungssystems wird nun die Leseleistung
betrachtet. Auch hierzu werden wieder die Daten der PISA – Studie 2000 verwendet. Auch
hier werden wieder drei Modelle nach dem gleichen Prinzip entwickelt. Es zeigen sich
ähnliche Ergebnisse, sodass von Langzeitwirkungen auszugehen ist. Außerdem werden die
Lesekompetenzen von Schülern aus niedrig gebildeten Elternhäusern (mindestens ein
Elternteil besitzt entweder keinen oder nur einen Förder- bzw. Sonderschulabschulss) mit der
Lesekompetenz von Schülern aus höher gebildeten Elternhäusern (mindestens ein Elternteil
besitz Abitur) getrennt nach Schulart, verglichen. Es konnte festgestellt werden, dass in allen
38
Aus: Hinz, T./Groß, J. (2006): Schulempfehlung und Leseleistung in Abhängigkeit von Bildungsherkunft und
kulturellem Kapital. in: Georg, W. (Hg.), Soziale Ungleichheit im Bildungssystem. Konstanz: UVK Seite 199
39
Aus: Hinz, T./Groß, J. (2006): Schulempfehlung und Leseleistung in Abhängigkeit von Bildungsherkunft und
kulturellem Kapital. in: Georg, W. (Hg.), Soziale Ungleichheit im Bildungssystem. Konstanz: UVK Seite 211
40
vgl.: Lange-Vester, A./ Teiwes-Kügler, C. (2006): Die symbolische Gewalt der legitimen Kultur. Zur
Reproduktion ungleicher Bildungschancen im Studierendenmilieu. in: Georg, W. (Hg.), Soziale Ungleichheit im
Bildungssystem. Konstanz: UVK Seite 209-212
15
Schulformen, die Lesekompetenz von Kindern aus höher gebildeten Elternhäusern deutlich
höher ist. Wobei auffällig ist, dass es zwischen den verschieden Schulformen nur einen
geringen Unterschied gibt.41
„[…]das kulturelle Kapital im Elterhaus befördert also im gesamten Leistungsspektrum die
Lesekompetenz. Die soziale Herkunft weist in der Untersuchung der Leseleistung
vergleichsweise geringe Effekte auf, auch deshalb, weil mit den drei gestuften
Bildungsgängen schon hoch selektierte Gruppen vorliegen.“42
5. Fazit
Die Studien belegen, dass Kinder, deren Eltern eine höhere Bildung und einen höheren
sozioökonomischen Status haben, bessere Chancen haben eine Schulempfehlung für das
Gymnasium zu erhalten, sowie besser Lesekompetenzen besitzen. Bourdieus Theorie,
demnach Kinder aus höheren Schichten vom spielerischeren Umgang mit Bildung profitieren,
konnte nicht zu 100 Prozent belegt werden. Das kulturelle Kapital kann zwar eine
vermittelnde Funktion zwischen sozialer Herkunft und Schulischer Leistung einnehmen, aber
den Zusammenhang kann es nicht vollständig erklären.
43
Die Studie über die
Studierendentypen in den Sozialwissenschaften zeigt, dass es auch langfristig immer noch
Unterschiede zwischen sozialer Herkunft und Bildungsleistung gibt. Der eigentlich
leistungsunabhängige Faktor, soziale Herkunft, wird somit zu einem leistungsabhängigen
Faktor. Bildung als Allgemeingut wird zwar jedem zugänglich gemacht, dennoch
beeinflussen soziale und finanzielle Hintergründe die Schulempfehlung am Ende der
Grundschulezeit. Bourdieus Theorie ist deswegen nicht vollkommen falsch. Denn das
kulturelle Kapital nimmt trotzdem eine starke Stellung in dem Sozialisationsprozess ein. Wer
schon frühzeitig mit Bildung in Kontakt kommt, sei es unbewusst spielerisch oder durch
gezielte Lernprogramme, hat im Schulalltag einen vertrauteren Umgang damit. Der Habitus
der höheren Klassen vermittelt so ein vertrautes Umgangsverhältnis. Dies zeigt sich auch
noch an den Universitäten. Es gibt folglich keine zeitliche Begrenzung. Ob eine Veränderung
über mehrere Generationen möglich ist, kann anhand dieser Studien nicht gesagt werden.
41
vgl.: Lange-Vester, A./ Teiwes-Kügler, C. (2006): Die symbolische Gewalt der legitimen Kultur. Zur
Reproduktion ungleicher Bildungschancen im Studierendenmilieu. in: Georg, W. (Hg.), Soziale Ungleichheit im
Bildungssystem. Konstanz: UVK Seite 213-219
42
Aus: Hinz, T./Groß, J. (2006): Schulempfehlung und Leseleistung in Abhängigkeit von Bildungsherkunft und
kulturellem Kapital. in: Georg, W. (Hg.), Soziale Ungleichheit im Bildungssystem. Konstanz: UVK Seite 219
43
vgl. Aus: Hinz, T./Groß, J. (2006): Schulempfehlung und Leseleistung in Abhängigkeit von Bildungsherkunft
und kulturellem Kapital. in: Georg, W. (Hg.), Soziale Ungleichheit im Bildungssystem. Konstanz: UVK Seite
193-194
16
6. Abbildungsverzeichnis
Abbildung 144:
Abbildung 245:
44
Aus: Schwingel, M. (2000). Pierre Bourdieu zur Einführung. 3. Auflage Hamburg: Junius Seite 106
Aus: Burzan, N. (2005). Soziale Ungleichheit eine Einführung in die zentralen Theorien. 2. Auflage
Wiesbaden: Vs-Verlag. Seite 145
45
17
18
7. Quellenverzeichnis

Baumer, J./Artelt, c./Kleime, E./Neubrand, M./Prenzel, m./Schiefele, U./Schneider,
W./Tillmann, K.-J./Weiß, M. (Hg), Pisa 2000. Die Länder der Bundesrepublik
Deutschland im Vergleich. Opladen: Leske+Budrich

Bourdieu, P. (1992): Die feinen Unterschiede. Kritik einer gesellschaftlichen
Urteilsfähigkeit. 6. Auflage Frankfurt am Main: Suhrkamp

Burzan, N. (2005). Soziale Ungleichheit eine Einführung in die zentralen Theorien. 2.
Auflage Wiesbaden: Vs-Verlag

Georg, W. (2006) Soziale Ungleichheiten im Bildungssystem. Konstanz: UVK

Hillmann, K.-H. (1994). Wörterbuch der Soziologie. 4. Auflage Stuttgart: Alfred
Körner Verlag

Schwingel, M. (2000). Pierre Bourdieu zur Einführung. 3. Auflage Hamburg: Junius
19
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