Zweikörper-Problem und Kepler’sche Gesetze (zu MATHE3 im WS12/13) Prof. Dr. Th. Risse 2. Dezember 2012 Newton1 sche Bewegungsgleichungen Gegeben zwei Himmelskörper mit Massen m1 und m2 in den Punkten p1 (t) und p2 (t). Das System der beiden Himmelkörper hat die Gesamtmasse m = m1 + m2 . Die zugehörigen Newton’schen Bewegungs(differential)gleichungen ’Masse mal Beschleunigung = einwirkende Kraft’ lauten (G ist die Gravitationskonstante) p2 − p1 m1 p̈1 = F und m2 p̈2 = −F mit F(t) = Gm1 m2 |p2 − p1 |3 Das System erfüllt Anfangsbedingungen p1 (0) = p1o und p2 (0) = p2o (hinsichtlich des Ortes) sowie ṗ1 (0) = v1o und ṗ2 (0) = v2o (hinsichtlich der Geschwindigkeit). Für den Schwerpunkt p(t) = m1 (m1 p1 (t) + m1 p2 (t)) des Systems aus diesen beiden Massen und den Gesamtimpuls P(t) = m ṗ(t) gilt wegen der ’Erhaltung des Gesamtimpulses’ P = const bzw. Ṗ(t) = mp̈(t) = 0. Also folgt p(t) = p(0) + tṗ(0). Der Schwerpunkt bewegt sich also gleichmäßig gleichförmig, d.h. mit konstanter Geschwindigkeit ṗ(0) = m1 (m1 v1o + m2 v2o ) und befindet sich z.Zt. 0 in p(0) = m1 (m1 p1o + m2 p2o ). Zurückführen auf Einkörper-Problem Man bezieht nun alle Bewegungen auf den Schwerpunkt, indem man zu den Relativbewegungen q1 = p1 −p und q2 = p2 −p bezüglich des Schwerpunktes q2 − q 1 m1 q̈1 = F und m2 q̈2 = −F mit F(t) = Gm1 m2 |q2 − q1 |3 und zur Relativbewegung q = q2 − q1 = p2 − p1 der beiden Himmelskörper zueinander übergeht. Dann gilt q m2 q̈ = −Gmm2 3 mit q(0) = p2o − p1o und q̇(0) = v2o − v1o |q| 1 Isaac Newton (1643-1727) www-history.mcs.st-andrews.ac.uk/Biographies/Newton.html 1 Es handelt sich hier also um ein Einkörper-Problem für einen Körper der Masse m2 im Gravitationsfeld eines Köpers der Masse m. Kennt man die Lösung q(t), so rekonstruiert man m2 q= m m1 q= p2 = p + m p1 = p − m1 p1 + m m1 p1 + m m2 p2 − m m2 p2 + m m2 (p2 − p1 ) = p1 m m1 (p2 − p1 ) = p2 m Energie- und Drehimpuls-Erhaltung Energie ist die Summe aus kinetischer Energie 12 mv 2 und potentieller Energie, d.h. die Arbeit, die geleistet werden muß, um die Masse m2 gegen die 2 . Gravitation etwa in den Abstand q(0) zur Masse m zu bringen, hier − Gmm |q(t)| Es gilt Energie-Erhaltung: ’es wird keine Energie gewonnen und es geht keine Energie verloren’ – insofern ist es auch unsinnig, davon zu sprechen, daß etwa Strom verbraucht wird! Also ist die Energie z.Zt. 0 dieselbe wie diejenige z.Zt. t, d.h. E= m2 Gmm2 Gmm2 m2 2 2 = = const (q̇(t)) − (q̇(0)) − 2 |q(t)| 2 |q(0)| Zugleich bleibt auch der (vektorielle) Drehimpuls N erhalten, d.h. N = m2 q(t) × q̇(t) = m2 q(0) × q̇(0) = const Bewegung in der Ebene Man wählt das Koordinatensystem so, daß die Bewegung in der x-y-Ebene erfolgt (der Drehimpuls steht darauf senkrecht). Dann gilt q(t) = x(t)ex + y(t)ey . Nun geht man zu Polar-Koordinaten x = r cos ϕ und y = r sin ϕ über (begleitendes Dreibein), d.h. zu veränderlichen Einheitsvektoren er (radial) und eϕ (transversal) mit er = cos ϕ ex + sin ϕ ey und eϕ = − sin ϕ ex + cos ϕ ey Es gilt |er | = 1 = |eϕ | sowie er ◦ eϕ = − cos ϕ sin ϕ + sin ϕ cos ϕ = 0, d.h. er ⊥ eϕ . Wegen ϕ = ϕ(t) gilt auch er = er (t) sowie eϕ = eϕ (t). Da die beiden polaren Einheitsvektoren Zeit-veränderlich sind, gibt es auch deren Ableitungen ėr = d (cos ϕ ex dt + sin ϕ ey ) = − sin ϕ ϕ̇ ex + cos ϕ ϕ̇ ey = ϕ̇ eϕ 2 und ėϕ = d (− sin ϕ ex dt + cos ϕ ey ) = − cos ϕ ϕ̇ ex − sin ϕ ϕ̇ ey = −ϕ̇ er . Aus der Bahngleichung q(t) = r(t)er (t) folgt also per Produkt-Regel q̇(t) = ṙ(t)er (t) + r(t)ϕ̇(t)eϕ . Damit gilt für das Skalar-Produkt q̇2 = (q̇)2 = |q̇|2 q̇2 = (ṙer + rϕ̇eϕ )2 = ṙ2 e2r + 2ṙer rϕ̇eϕ + r2 ϕ̇2 e2ϕ = ṙ2 + r2 ϕ̇2 Damit formuliert sich die Energie- und Drehimpuls-Erhaltung (N hat verschwindende x- und y-Komponenten, so daß nur die z-Komponente und damit nur |N| interessiert! und |N| entspricht gerade dem m2 -fachen des Flächeninhalts des durch q = rer und q̇ = ṙer + rϕ̇eϕ aufgespannten Parallelogramms, also m2 r2 ϕ̇) durch m2 (ṙ2 + r2 ϕ̇2 − 2Gm r ) = 2E und m2 r2 ϕ̇ = |N| Bem. Kegelschnitte werden in Polar-Koordinaten durch r = r(ϕ) = 1+εpcos ϕ dargestellt. Der Pol liegt dabei in einem Brennpunkt und Winkel werden gegen die positive x-Achse gemessen. Seien a und b die Halbachsen mit a > b. √ 2 Der Abstand e = a − b2 der Brennpunkte vom Mittelpunkt des Kegelschnittes heißt lineare Exzentrizität. Der Parameter ε = ae heißt numerische 2 Exzentrizität. Der Parameter p = ba heißt Halbparameter. ◦ p löst das System von 1+ε cos ϕ q 2 2 N Differentialgleichungen mit den Parametern p = Gmm und ε = 1 + G2EN 2 2 m2 m3 . 2 2 Rϕ 2 m2 Dabei hängt die Zeit t vom Winkel in der Form t = |N| r (φ) dφ ab. • o Satz Die Kegelschnitt-Gleichung r = r(ϕ) = Bew. Drehimpuls-Erhaltung impliziert unmittelbar die zweite Aussage – die Differentialgleichung ist trennbar. dr dt = ddtr dϕ , m.a.W. ṙ = Wie in [2] berechnet man dϕ gleichung, die zunächst nach ṙ2 + r2 ϕ̇2 − dr ( dϕ ) 2 |N|2 m22 r4 + 2Gm r |N|2 m22 r2 = − 2E m2 2Gm r dr ϕ̇ dϕ aus der Differential- dr 2 dϕ ( ) aufzulösen ist. Mit ϕ̇ = ⇐⇒ = 2E m2 |N| m2 r 2 dr 2 2 = ( dϕ ) ϕ̇ + r2 ϕ̇2 − 2Gm r ⇐⇒ dr 2 ( dϕ ) = m22 r4 |N|2 2E m2 gilt ⇐⇒ 2 − m|N| ( m2E2 + 2Gm 2 r2 ) r 2 2 dr Der Ausdruck für ( dϕ ) ist ein Polynom in r. In diesen Ausdruck setzt man p p ε sin ϕ dr r = r(ϕ) = 1+ε cos ϕ mit dϕ = (1+ε ein und führt einen Koeffizientenvercos ϕ)2 gleich durch. Dazu ist dr 2 ( dϕ ) = = p2 ε2 sin2 ϕ (1+ε cos ϕ)4 r4 p2 = dr 2 ( dϕ ) zunächst als Polynom in r auszudrücken. r4 2 (ε p2 + 1 + 2ε cos ϕ − 1 − 2ε cos ϕ − ε2 cos2 ϕ) ((ε2 − 1) + 2(1 + ε cos ϕ) − (1 + ε cos ϕ)2 ) = 3 ε2 −1 4 r p2 + p2 r3 − r2 Andererseits ist dr 2 ( dϕ ) = m22 r4 |N|2 2 − m|N| ( m2E2 + 2Gm 2 r2 ) = r 2 2Em2 |N|2 + 2Gmm22 3 r |N|2 Vergleicht man die Koeffizienten zu r3 , ergibt sich p = − r2 |N|2 ; Gmm22 vergleicht man q 2 2 diejenigen zu r4 , ergibt sich ε2 − 1 = G2E|N| 1 + G2E|N| 2 m2 m3 und damit ε = 2 m2 m3 . 2 2 √ 2 Die Jacobi -Methode erlaubt eine elegantere Herleitung der Lösung. Kepler3 sche Gesetze Erstes Kepler’sches Gesetz 2 2 p + yb2 = 1 mit a = 1−ε Satz Die Planeten bewegen sich auf Ellipsen (x+εa) 2 a2 p , in deren einem Brennpunkt sich die Sonne befindet. • und b = √1−ε 2 Bew. In der Ellipse mit Achsen-parallelen Halbachsen a und b mit a > b gilt (x, y) r2 r1 ϕ e a b laut Definition r1 + r2 = 2a. Pythagoras liefert r12 = (e − x)2 + y 2 = e2 − 2ex + x2 + y 2 r22 = (e + x)2 + y 2 = e2 + 2ex + x2 + y 2 Subtraktion liefert r22 − r12 = 4ex = (r2 + r1 )(r2 − r1 ) = 2a(r2 − r1 ) und so r2 − r1 = 2ex/a. Zusammen mit r1 + r2 = 2a ergibt sich r1 = a − ex/a und r2 = a + ex/a 2 3 Carl Gustav Jacob Jacobi (1804-1851) Johannes Kepler (1571-1630) www-history.mcs.st-andrews.ac.uk/Biographies/Jacobi.html www-history.mcs.st-andrews.ac.uk/Biographies/Kepler.html 4 Der Ausdruck für r1 liefert nun den Übergang zu Polar-Koordinaten. r = r1 = a − ae x = a − ae (e + r cos ϕ) = a2 −e2 a − εr cos ϕ = b2 a − εr cos ϕ √ und damit r(1 + ε cos ϕ) = p. Zweites Kepler’sches Gesetz Satz Der von der Sonne ausgehende Leitstrahl überstreicht in gleichen Zeiten gleiche Flächen. • Bew. Sei A die von r = r(ϕ) für ϕ ∈ [ϕ1 , ϕ2 ] überstrichene Fläche. Dann gilt P P i |A| ≈ ni=1 r2 (ϕ∗i ) 21 ∆ϕi = 21 ni=1 r2 (ϕ(t∗i )) ∆ϕ ∆ti und damit im Grenzüber∆ti R t 2 2 1 gang |A| = 2 t1 r (ϕ(t))ϕ̇(t) dt. Rt Rt Im Zeit-Intervall [s, t] wird die Fläche 12 t12 r2 (t)ϕ̇(t) dt = 21 t12 |N| dt = m2 √ |N| (t − t1 ) überstrichen. 2m2 2 Drittes Kepler’sches Gesetz Satz Das Verhältnis vom Quadrat der Umlaufzeit zur dritten Potenz der großen Halbachse ist für jeden Planeten konstant. • Bew. Der Flächeninhalt der Ellipse ist πab. Die Formel des vorigen Abschnit4π 2 a2 b2 m22 4π 2 b2 m22 4π 2 pm22 |N| T2 4π 2 tes liefert πab = T2m und damit = = = = 3 = 2 a3 2a 2 a |N| |N| |N| Gm 2 4π 2 G(m1 +m2 ) 2 4π ≈ Gm = const für m2 m1 , also unabhängig vom jeweiligen 1 √ Planeten mit Masse m2 . Genauere Näherung s. [2] Literatur [1] Lew Davidowitsch Landau, Jewgeni Michailowitsch Lifschitz: Mechanik; Vieweg Uni-Text 1969 [2] http://de.wikipedia.org/wiki/Keplersche Gesetze http://en.wikipedia.org/wiki/Kepler’s laws of planetary motion [3] E. Zeidler (Hrsg.): Teubner-Taschenbuch der Mathematik; Teubner 2003 5