Daoismus - Gesellschaft der Chinafreunde eV

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Der Vortrag über den Daoismus wurde gehalten am 13.11.2007 in der Melanchthon
Akademie Köln von Herrn Dr. Döhrn für die Gesellschaft der Chinafreunde e.V.,
Partnerschaftsverein Köln-Peking (GdCf e.V.)
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oder Veröffentlichung bedarf der schriftlichen Zustimmung des Autors und
Referenten. Anschriftennachfrage über die GdCf e.V. (www.Chinafreunde.de )
„Daoismus“
Betrachtungen und Reflektion
Sehr geehrte Damen und Herren,
ich freue mich sehr, hier und heute einen kleinen Vortrag über den Daoismus halten zu
können. Da die Zeit für die Vorbereitung immer knapper wurde, überdachte ich das Thema
noch einmal und zum Glück für mich heißt es im Untertitel „Betrachtungen und Reflektion“.
Erwarten Sie also keine ausführliche Beschreibung dieser beiden Richtungen, die im Westen
als Daoismus bekannt sind - dafür habe ich eine Literaturliste zusammengestellt -, sondern
ich werde nur Schwerpunkte hervorheben, die im letzten Teil des Vortrages ihre
Begründung finden sollen. Zudem ist meine Redezeit beschränkt, so dass es heißt, sich auf
spezielle Dinge zu beschränken.
Der Daoismus ist in China sowohl als eine philosophische Lehre, genannt Daojia, als auch
als eine Religion, Daojiao, bekannt. Die Grundlagen dazu wurden in einer Zeit gelegt, die
Karl Jaspers eine Achsenzeit nennt, die aber streng genommen nur einen Paradigmenwandel
in der Geistesgeschichte darstellt, also eine Wendezeit ist:
Es ist die Zeit der Frühling-Herbst-Annalen und der Zeit der Streitenden Reiche, nach
unserer Zeitrechnung das 6. bis 3. vorchristliche Jahrhundert. Es ist die Zeit, da man in China
von den „100 Philosophenschulen“ berichtet.
Der Daoismus ist eine dieser Schulen.
Mein Vortrag besteht aus 4 Teilen, die ich hier kurz nenne:
1. Die Väter des Daoismus
2. Die beiden Erscheinungsformen des Daoismus
3. Der Einfluss des Daoismus auf den Mahâyâna-Buddhismus
4. Die religionsgeschichtliche Bedeutung des Daoismus
Ich hoffe, der Vortrag wird nicht zu abgehoben, was bei einem solchen Thema leicht
geschehen kann, und die unerlässlichen Zitate aus verschiedenen Werken ermüden nicht.
Allein, sie zeigen, wie man den Daoismus in China selbst charakterisiert und was
europäische Übersetzer und Interpreten darunter verstehen.
Ich beginne also mit den Vätern.
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1. Die Väter des Daoismus
Der Daoismus geht im Großen und Ganzen auf zwei Gestalten und zwei Werke zurück.
Da ist zum einen Laozi, der „Alte Meister“, dessen Lebensdaten nicht bekannt sind, ja man
weiß sogar nicht einmal, ob er überhaupt gelebt hat. Die Tradition aber gibt 571-480 v. Chr.
an. Ihm wird das Buch DaoDeJing zugeschrieben.
Zum anderen ist da Zhuangzhou, 369-286 v. Chr., von dem das Buch Zhuangzi stammt, auch
„Das wahre Buch vom südlichen Blütenland“ genannt.
Das Buch DaoDeJing ist das Buch vom „Dao“ und seinem Wirken „De“, ein kleines Werk
mit ca. 5.000 Schriftzeichen. Das Zhuangzi ist umfangreicher, es enthält 31 Kapitel, auch
Bücher genannt, wobei unsicher ist, ob die letzten 4 Kapitel authentisch sind.
Dao ist der zentrale Begriff des Daoismus, er hat seinen Namen davon.
Was bedeutet nun dieses Dao?
Das ist hier die entscheidende Frage und sehr viele Übersetzer haben es verschieden
interpretiert.
So übersetzt es der bekannte deutsche Sinologe Richard Wilhelm mit „SINN“ und erklärt –
ich zitiere Wilhelm deshalb, weil er sich als ehemals christlicher Missionar in China, mit die
meisten Gedanken gemacht hat, und es schön zusammenfasst - : (Tao te king, S. 24f.)
„Die ganze Metaphysik des Taoteking ist aufgebaut auf einer grundlegenden Intuition, die
der streng begrifflichen Fixierung unzugänglich ist und die Laotse, um einen Namen zu
haben, „notdürftig“ mit dem Worte TAO bezeichnet. In Beziehung auf die richtige
Übersetzung dieses Wortes herrschte von Anfang an viel Meinungsverschiedenheit. „Gott“,
„Weg“, „Vernunft“, „Wort“, „λογος“ sind nur ein paar der vorgeschlagenen Übersetzungen,
während ein Teil der Übersetzer einfach das „Tao“ unübertragen in die europäischen
Sprachen herübernimmt. Im Grunde genommen kommt auf den Ausdruck wenig an, da er
ja auch für Laotse selbst nur sozusagen ein algebraisches Zeichen für etwas
Unaussprechliches ist. Es sind im wesentlichen ästhetische Gründe, die es wünschenswert
erscheinen lassen, in einer deutschen Übersetzung ein deutsches Wort zu haben. Es wurde
von uns durchgängig das Wort SINN gewählt. Dies geschah im Anschluss an die Stelle im
Faust I, wo Faust vom Osterspaziergang zurückkehrt, sich an die Übersetzung des Neuen
Testaments macht und die Anfangsworte des Johannesevangeliums u.a. mit: „Im Anfang
war der Sinn“ wiederzugeben versucht. Es scheint das die Übersetzung zu sein, die dem
chinesischen „Dau“ in seinen verschiedenen Bedeutungen am meisten gerecht wird. Das
chinesische Wort geht von der Bedeutung „Weg“ aus, von da aus erweitert sich die
Bedeutung zu „Richtung“, „Zustand“, dann „Vernunft“, „Wahrheit“.
Verbal gebraucht heißt das Wort „reden“, „sagen“, in übertragener Bedeutung „leiten“. Das
deutsche Wort „Sinn“ hat ebenfalls die ursprüngliche Bedeutung „Weg“, „Richtung“, ferner
1. „das auf etwas gerichtete Innere eines Menschen“, 2. „das Innere des Menschen als Sitz
des Bewusstseins, der Wahrnehmung, des Denkens, des Überlegens“, vgl. „der innere Sinn“,
3. lasse ich hier aus, weil unbrauchbar, 4. „Meinung, Vorstellung, Bedeutung von Worten,
Bildern, Handlungen.“
Das Schriftzeichen Dao zeigt einen Hirschkopf und als Radikal „Bewegung“, es ist also ein
Schleichweg, der nur Menschen mit feinem Spürsinn zugänglich ist. Das Zeichen kommt
auch in der Bedeutung „Kunst“, „Methode“, „Stil“, „Lehre“ vor, vor allem in Japan als Dô.
Erst bei den Daoisten wird es zum metaphysischen Terminus für den Urgrund der Welt.
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Aussagen zu Dao:
Kapitel 1 des DaoDeJing: Das Dao, das man aussprechen kann, ist nicht das ewige Dao, sein
Name, den man nennen kann, ist nicht sein ewiger Name.
Kapitel 25: Da ist etwas, das ist unterschiedslos vollendet. Bevor Himmel und Erde waren,
war es schon da, still, unsichtbar. Allein steht es und ändert sich nicht, kreisend gefährdet es
sich nicht. Man kann es die Mutter des Welt nennen. Ich weiß nicht seinen Namen, ich
bezeichne es als Dao. Es ist mühsam ihm einen Namen zu geben, so nenne ich es „Das
Große“.
Vom Dao geht alles aus, zu ihm kommt alles zurück, aber es ist nicht fassbar. Ja, man kann
nicht einmal sagen, es ist oder es ist nicht. Es ist unsichtbar, unhörbar, unergründlich, ewig
und unveränderbar. (Kapitel 14 des DaoDeJing). Es wirkt spontan, d.h. heißt von uns nicht
durchschaubar, sein Handeln ist ohne Aktion und ohne Absicht. Das ist das berühmte Wu
Wei (Nicht tun).
Im 22. Kapitel des Zhuangzi heißt es dazu - ich zitiere nach dem Buch Metaphysik,
Erkenntnis und Praktische Philosophie im Chuang-Tzu von Prof. Dr. Dr. Chang, Tsung-tung,
meinem Doktorvater:
„Ohne es, wäre nicht hoch der Himmel, nicht weit die Erde, Sonne und Mond blieben
stehen, und die Dinge gediehen alle nicht. Dieses ist wohl das Dao. Abgrundtief ist es wie
das Meer. Hervorragend, wie es dort immer wieder beginnt, wo es aufhört! Alle Dinge
schöpfen aus ihm, doch bleibt es unerschöpflich. Dieses ist wohl das Dao.“
Es ist der Urgrund allen Seins und identisch mit dem Zen-Begriff „Nichts“, denn im 12.
Kapitel des Zhuangzi heißt es – ich zitiere nach Chang, Tsung-tung:
„Am Uranfang war das Nichts, das weder Sein noch Namen hatte. Es war das, aus dem das
Eine hervorging. Dann war das Eine, das noch nicht geformt war, aus dem aber die Dinge
entstehen konnten. Dies sei genannt ‚Urtugend’. Das Ungeformte schied sich, doch blieben
die geschiedenen (Substanzen) vorerst (dicht beisammen) ohne Zwischenraum. Dies sei
genannt ‚Schicksal’ (=Notwendigkeit). Durch Verharren und Bewegung erzeugten sie die
Dinge. Die Regeln, nach denen die Dinge sich bildeten und entstanden, seien genannt
‚Formen’.“
In der phänomenalen Welt zeigt sich Dao durch seine Wirkkraft, das De. Dies ist, was alle
Dinge von Dao erhalten und wodurch sie zu dem werden, was sie sind. De wird heute auch
mit „Tugend“ übersetzt.
Es ist das Ziel des daoistischen Adepten, mit Dao eins zu werden – erinnern Sie sich bitte
daran im 3. Teil des Vortrages – und dies wird man, indem man in sich selbst die Einheit,
Einfachheit und Leerheit von Dao verwirklicht. Dies erfolgt durch intuitive Erkenntnis.
Im Zhuangzi heißt es dazu (Kap. 22) – ich zitiere nach Prof. Chang:
„Nichts denken, nichts in Erwägung ziehen! Erst dann kann man das Tao erkennen.
Nirgends sich niederlassen und keine Regel befolgen! Erst dann kann man im Tao ruhen.
Von nirgendwo ausgehen, keinen bestimmten Weg einschlagen! Erst dann kann man das
Tao erlangen.“
Und im DaoDeJing heißt es, Kapitel 16, ich zitiere nach Chang, Chung-yuan, Tao, Zen und
schöpferische Kraft:
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„Gib dich hin der äußersten Leere; versenke dich inbrünstig in Stille. Alle Dinge sind
zusammen in Aktion, doch schaue ihre Nichtaktion. Denn die Dinge sind stets in Bewegung,
ruhelos, und doch kehrt ein jedes zurück in seinen Ursprung. Zum Ursprung zurückkehren,
das ist Stille.“
Aus Zhuangzi, Kap. 6 geht hervor, dass Dao nur persönlich erlangt werden kann, aber nicht
lehrbar ist. Das wiederum lehrt auch der Zen.
Damit will ich diesen Teil beenden und zum zweiten übergehen.
Doch halt! Ein Wort sei noch zitiert für alle, die von all dem nichts verstanden haben und
diese Worte für zu schwer oder unpassend fanden, aber auch um mich auf den Boden
zurückzubringen:
Im letzten Kapitel, Kapitel 81, des DaoDeJing heißt es:
„Wahre Worte sind nicht schön, schöne Worte sind nicht wahr. ... Der Weise ist nicht gelehrt,
der Gelehrte ist nicht weise.“
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2. Die beiden Erscheinungsformen des Daoismus
Der philosophische und der religiöse Daoismus.
Im Westen nennt man zwei unterschiedliche Strömungen Daoismus. Es ist der
philosophische Daoismus, die Daojia, und der religiöse Daoismus des Volkes, deshalb auch
Vulgärdaoismus genannt, die Daojiao. Beide beziehen sich auf Laozi und Zhuangzi, wenn
auch mit unterschiedlichen Ergebnissen.
Daojia, so charakterisiert das Lexikon der östlichen Weisheitslehren, stelle eine mystische
Lehre dar, die um die Begriffe des Dào und des Wúwèi zentriert ist, während im Mittelpunkt
der verschiedenen Spielarten des religiösen Daoismus, Daojiao, das Streben nach
Unsterblichkeit steht.
Nun stand ich vor dem Problem, welche Literatur ich heranziehe und gegebenenfalls zitiere.
Mir lagen 3 Quellen vor:
1. die beiden Artikel über Daojia und Daojiao aus den Lexikon der östlichen
Weisheitslehren,
2. ein Buch von Anton Kielce über Daoismus
3. die beiden Artikel aus Geldsetzer/Hong: Chinesisch-deutsches Lexikon der Klassiker
und Schulen der klassischen Philosophie.
Die 3. Quelle bringt Übersetzungen aus chinesischen Quellen, was zum einen sehr
interessant wäre, zum anderen aber auch viele Details bringt, die äußerst spezifisch sind,
und somit eigentlich nur eingefleischte Sinologen interessieren mögen. Ich bringe somit
hieraus nur das Zitat über die Daojiao.
Zum religiösen Daoismus, Daojiao.
Damit Sie einmal sehen, wie die Chinesen selbst diese Richtung historisch betrachtend
schildern, hier das Zitat aus Geldsetzer/Hong. Chinesisch-deutsche Lexikon: (S. 42f.)
(Bem.: a ist a im 1., ebenen Ton, á – a im 2., steigenden Ton, â- a im 3., fallend-steigenden Ton, à – a
im 4., fallenden Ton, im Sanskrit und Japanischen bezeichnet ^ die Länge des Vokals)
„Dào Jiào (Daoismus als Religion). Die eigentliche Religion des chinesischen Han-Volkes. Sie
stammt aus altertümlichen Orakeln. Im ersten Jahr (der Regierungsperiode) Hàn An (142 n.
Chr.) des Kaisers Shùn aus der Dynastie der Östlichen Han wurde sie von Zhang Dàolíng
aus dem Hé Míng Berg (...in Sichuan) begründet. Wollte man dieser Religion beitreten, so
musste man 5 Dôu (5 Zentner) Reis geben. Daher heißt sie „Wû dôu mî dào“ (5 Zentner Reis
Dao). Das war der Anfang der Konsolidierung des Daoismus. Weil der Daoismus Zhang
Dàolíng als „Himmelslehrer“ verehrt, heißt er auch „Himmelslehren-Dao“. Der Daoismus
verehrt Lâozî als Oberhaupt und gibt ihm den Ehrennamen „Tài Shàng Lâo Jun“ (etwa der
alte Herr über allem). Seine Hauptklassiker sind das Lâozî wù qian wén (die fünftausend
Sätze von Laozi – das ist die damalige Bezeichnung des DaoDeJing), das „Zheng Yi Jing“
(Klassiker vom Eins als Prinzip) und das „Tài píng dòng jí jing“ (Vornehmster Klassiker aus
der Höhle des Großen Friedens). Am Ende der Zeit der Östlichen Han (um 220 n.Chr.) gibt
es das Tài píng dào (Dao des Großen Friedens) von Zhang Jiâo und das Wû dôu mî dào von
Zhang Lû, die in dieser Zeit zum Banner von Bauernaufständen wurden. In der Zeit der
Östlichen Jin schrieb Gê Hóng im ersten Jahr der Regierungsperiode Jìan wû (317 n. Chr.)
das „Bào pu zî nèi pian“ (etwa. Esoterische Abhandlung des Bào Puzî, d.h. Gê Hóngs), worin
er die Dao-Methode und die Dao-Theorie ordnete und darstellte. ... „
Das muss als Einblick genügen. Jedenfalls kamen später weitere Werke über Methoden und
Riten hinzu. Es bildeten sich verschiedene Sekten mit Priestern, die zum Teil in Tempeln
leben.
Die populäre Religion gründet sich auf ein ganzes Pantheon von Gottheiten, die auf Himmel,
Erde und Hölle aufgeteilt sind: an ihrer Spitze steht der Jade-Kaiser, die höchste Autorität.
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Darauf folgen der Gott des Polarsterns, die Heilige Mutter des Himmels, Ling Bao, das
himmlische Juwel, das die Bewegung von Yin und Yang darstellt, dann Lao-Jun, die
Erhebung Laozis zum Gott und andere, wie Vorfahren und Wächter, Schutzgeister und
Dämonen, deren Zahl auf 36.000 festgelegt wurde. Inmitten dieser unzähligen Gottheiten hat
jede den Platz inne, der ihr in der Hierarchie zukommt.
Zu der religiösen Praxis schreibt Kielce schön zusammenfassend: (S. 160)
„Unter den Praktiken, zu denen sich die Anhänger der neuen Religion bekannten, war die
spektakulärste wohl die Suche nach Unsterblichkeit, die halbwegs als mystisch zu
bezeichnen war und subtile alchimistische sowie mit dem Yoga verwandte Verfahren ins
Leben rief. Ziel war der Erwerb übersinnlicher Kräfte, um das irdische Leben so weit wie
möglich zu verlängern. Jede Schule und selbst jede Sekte entwickelte zu diesem Zweck ihre
eigenen Methoden, ihre Formeln, ihre Übungen, stellte ihre eigenen Pillen her, deren
Zubereitung streng geheimgehalten wurde; wir können diese Methoden jedoch in vier
übergreifende Kategorien einteilen:
1. Das Einnehmen von alchimistisch hergestellten Pillen
2. Fasten und Heilmittel
3. Steuerung der Atemtechnik
4. Übungen zur Kontrolle der Energie und der Beherrschung des Sexuallebens.
Eine Abhandlung aus dem 3. Jahrhundert fasst sie noch einmal anders zusammen:
Wer den Zinnober schluckt und die Einheit bewahrt wird mit dem Himmel zugleich ein
Ende finden. Wer hingegen das Wesen aller Dinge in sich einfließen lässt und die
embryonale Atmung praktiziert, der wird mit einer unendlichen Lebensdauer gesegnet
sein.“
Die Grundlage der Daojia habe ich schon im ersten Teil ein wenig aufgezeigt. Das Lexikon
der östlichen Weisheitslehren schreibt dazu u.a. (S. 380), dass die „Dao-Schule“ eine der
beiden Strömungen des sogenannten Daoismus sei und sich auf die Werke von Laozi und
von Zhuangzi beruft. Der Begriff Daojia wurde zum ersten Mal während der Han-Dynastie
verwendet und weist auf den zentralen Begriff hin, das Dao. Das Dao wird als
allumfassendes Prinzip aufgefasst, aus dem alle Dinge entstehen.
Ziel der Anhänger des philosophischen Daoismus sei eine mystische Vereinigung mit dem
Dao durch Meditation und des Nachahmens des Dao im Denken und Handeln.
Das Gedankengut des philosophischen Daoismus enthalte, heißt es weiter, eine starke
politische Komponente. Eine zentrale Stellung nimmt dabei der Begriff des Wuwei (das
Nichthandeln) ein. Diese Haltung soll das Handeln der Fürsten bestimmen. Ethisch steht er
im klaren Gegensatz zum Konfuzianismus, dessen Kardinaltugenden der Menschlichkeit
(Rén) und der Rechtschaffenheit (Yì) er ablehnt, da sie seiner Meinung nach die wahre Natur
der Menschen verschleiern und das Dao stören.
Der philosophische Daoismus, so das Lexikon, spielte auch bei der Sinisierung des
Buddhismus eine wesentliche Rolle: ohne ihn ist die Entstehung der Schule des Zen
undenkbar.
Ich komme damit zum dritten Teil.
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3. Der Einfluss des Daoismus auf den Mahâyâna-Buddhismus
Als in der späteren (Östlichen) Han-Zeit (25 – 220 n. Chr.) der Buddhismus nach China kam
(offiziell im Jahre 61 n. Chr.), setzten sich hier die Lehren des „Großen Fahrzeuges“
Mahâyâna durch.
Da die Buddhisten beim Daoismus auf eine verwandte Lehre trafen, benutzten sie zunächst
daoistische Begriffe, um den Dharma, d.h. die Lehre, des Buddhismus bekannt zu machen.
Im Mahâyâna gab es aber auch eine Schule, die ausgiebig die Meditation pflegte. Von ihr
wird gesagt, dass sie mit ihrem 28. indischen Patriarchen Bodhidharma nach China kam,
allerdings erst im 6. Jahrhundert, um 520. In der Realität lässt sich diese Schule in China aber
schon früher nachweisen. Aber erst mit dem 6. chinesischen Patriarchen Hui Neng verband
sich die Meditationsschule des Mahâyâna mit einigen Lehren des Daoismus zum Chán.
Chán bedeutet Versenkung, Versenkung ins „Nichts“. Japanisch wird das Schriftzeichen
Zen gelesen, und so wurde uns diese buddhistische Schule bekannt.
Heinrich Dumoulin, ein Jesuitenpater, der sich in Japan intensiv mit Zen beschäftigte
schreibt in seiner Geschichte des Zen-Buddhismus, Band 1, auf Seite 2:
„Im Zen-Buddhismus sind überdies Yoga und Taoismus zusammengeflossen. Richtiger, in
die vom Yoga geprägte buddhistische Meditation ergoss sich ein breiter Strom aus dem
altchinesischen Weg des Tao. Äußere Abhängigkeiten gestatten nicht, eine Verbindungslinie
zwischen diesen zwei wahrscheinlich ungefähr gleich alten Wegen Asiens anzunehmen. Um
so faszinierender ist das Schauspiel ihrer Verknüpfung im Mahâyâna-Zen.“
Für mich ist dies nicht weiter verwunderlich, denn beide Lehren sind weisheitlich geprägt,
das Ergebnis der Vereinigung des philosophischen Daoismus mit der buddhistischen
Meditationspraxis ist „Weisheit pur“. Es trafen zwei gleichartige Lehren, die auch zur selben
Zeit ihren Ursprung hatten, aufeinander und verbanden sich. Sie übten dann einen
erheblichen Einfluss auf das gesellschaftliche Leben und die Kunst aus, so zum Beispiel die
Dichtkunst eines Wang Wei (699-759 oder 701-761) oder die Malerei – entsprechende Bilder
finden Sie im hiesigen Museum für Ostasiatische Kunst -, und die Weisheit des Zen
fasziniert auch Christen noch heute.
Dabei könnten wir Christen auf ähnliche Aussagen zurückgreifen. Ich verweise auf die
christliche Mystik um 1200 und später, wie sie Richard von St. Victor (gest. um 1175) und
Meister Eckehart (um 1260 – 1327) vertraten, oder auf Angelus Silesius (Johannes Scheffler,
1624-1677), der dichtete:
„ Die zarte Gottheit ist ein Nichts und Übernichts:
Wer nichts in allem sieht, Mensch, glaube, dieser sichts.“
Der Zen hatte seinen Höhepunkt in China in der Tang- und in der Song-Zeit, also grob
gesagt, zwischen 600 und 1200 nach Christus, kam nach Japan und wurde uns von dort aus
überliefert.
Beide Lehren, d.h. der Daoismus und der Yôga, übten die Meditation und sind sich darin
einig, dass man den Urgrund allen Seins nicht fassen kann, so dass man ihm allein in der
Versenkung sich nähern muss, was erreicht ist, wenn man Satori, d.h. das Erwachen zum
Geiste, erlangt hat. Darum war die Benutzung daoistischer Termini bei der Übersetzung
buddhistischer Texte sehr hilfreich.
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Dumoulin schreibt deshalb (S. 68):
„Als Verständnisbrücke zum Buddhismus diente in China vor allem die Weisheitslehre des
Lao-tzu und Chuang-tzu, ... Während des dritten Jahrhunderts entwickelte sich die geistige
Bewegung des „Dunklen Wissens“ (xuán xué), die wegen der in ihr vorwiegenden
taoistischen Ingredienzien gern als Neo-Taoismus bezeichnet wird. Doch handelt es sich
nicht um ein von Anhängern der taoistischen Weisheitslehre ins Leben gerufenes Revival,
sondern um eine Strömung bei den „literati“, die vom „Buch der Wandlungen“ (Yìjing) und
dem „Buch vom Tao und Te“ (Dàodéjing) ausgehend mit Hilfe des Chuang-tzu-Kommentars
des Hsiang Hsiu ontologisch-metaphysische Probleme durchforscht. Diese Geistesströmung
vermittelte dem Buddhismus viel chinesische Terminologie, da sie über Sein (yôu), Nichtsein
(wú) und das fundamentale Nicht-sein (bên-wú), über Substanz (ti) und Funktion (yong)
spekulierte und das “Große Eine“ (tài yi) und die Polarität von Yin und Yang neu
interpretierte. Der Buddhismus spürte eine Nähe zu eigenen Formulierungen, etwa zur
Leere, dem Nichts oder Nirvâna, sowie zu Spekulationen über die Beziehung zwischen dem
Absoluten und dem Phänomenalen. Besonders sagte den Buddhisten die Leugnung der
Zweiheit von „Sein“ und „Nicht-sein“ und die Betonung der Unaussprechlichkeit der
Wirklichkeit zu.“
In dem berühmten Gedicht, dass das Amt des 6. Zen-Patriarchen begründete, wird ein
Vergleich zu einem Spiegel gemacht. Dieser Vergleich geht auf den Daoisten Zhuangzi
zurück, z.B. Kapitel 25.
Ich zitiere das Gedicht (Döhrn, Kurzgedichte, S. 2)
„Eigentlich gibt es keinen Baum für Bodhi,
noch einen Ständer für den klaren Spiegel;
da die Natur des Buddha stets rein ist.
Worauf sollte der Staub sich sammeln?“
Es ist die Antwort auf:
„Mein Körper ist wie der Bodhi-Baum,
meine Seele gleicht dem Ständer des klaren Spiegels.
Wische ihn allzeit rein,
dass darauf nicht Staub sich sammle!“
Auch die Lehre der „plötzlichen Erleuchtung“ und die Wiedergabe der Lehre von Geist zu
Geist (jap. ishin denshin) haben daoistische Vorbilder. Und die Literaturfeindlichkeit des Zen
in der Tang-Zeit findet ihr Gegenstück bei Zhuangzi, Kapitel 13.
So schreibt Dumoulin, um ihn noch einmal zu zitieren (S. 144):
„Das komplexe Gefüge des Mahâyâna, die genuine Form des chinesischen Buddhismus, hat
überdies die altchinesische Weisheit des Tao in sich aufgenommen. Wenn das Tao fehlte,
könnten noch so viele Ausdrücke, mit denen Mahâyâna-Buddhisten die letzte Wirklichkeit
nennen, das Herz des Chinesen nicht treffen. Die Nähe des Mahâyâna-Buddhismus zum
Taoismus schildert eindrucksvoll ein Gespräch in den Reden Shen-hui’s. Gefragt, wie es sei,
dass die buddhistischen Mönche am Hof nur von der Kausalität, nicht aber von der
Spontaneität sprechen, während die taoistischen Mönche nur die Spontaneität, nicht aber die
Kausalität zu kennen scheinen, erwidert Shen-hui: „Das Spontane ist für die Buddhisten die
Grundnatur der Dinge.“ Und er zitiert für die Taoisten das berühmte Kapitel aus dem Taote-king, in dem der Ursprung aller Dinge aus dem unaussprechlichen Tao dargetan ist. Dazu
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bemerkt Gernet treffend: „Man könnte nicht besser sagen, dass die Taoisten selbst
unbewusst Buddhisten und die Buddhisten ihre nahen Verwandten sind.“ .“
Beide Bewegungen haben eine Mystik hervorgebracht, was Alfred Forke in seinem kleinen
Büchlein „Chinesische Mystik“, 1923 für den Daoismus zeigt und ich in meiner Dissertation,
S. 178 folgende, und in der Arbeit „Mystik in China“ auch für den Zen aufzeige. Doch dies
ist ein anderes Thema.
Darum komme ich nun zum vierten und letzten Teil dieses Vortrages.
Bisher habe ich Ihnen eine ganze Reihe von Fakten und Zitaten gebracht, und ich muss
gestehen, ohne Rücksicht auf Ihr Verständnis. Aber das Thema Daoismus ist äußerst
komplex, vor allem wenn man seinen Einfluss auf buddhistische Schulen betrachtet.
Und nun komme ich im letzten Teil auch noch mit der Einordnung dieser Schule, Lehre,
Religion in die chinesische Geistesgeschichte, ja, sogar in die Geschichte der religiösen
Erkenntnis der Menschheit, nach einer Theorie, die noch nicht kennen können, da ich noch
dabei bin, sie schriftlich zu fixieren.
Allein, ich wende die „7 Stufen der Gotterkenntnis“ hier an, damit klar wird, wo wir den
Daoismus, bzw. seine beiden Spielarten, den philosophischen (Daojia) und den religiösen
(Daojiao), in der Geistesgeschichte einordnen können, und unter welchem Blickwinkel seine
Aussagen zu betrachten sind.
Also gehen wir nun frohen Mutes in den letzten Teil.
4. Die religionsgeschichtliche Bedeutung des Daoismus
Die Frage ist also:
Wie kann man den Daoismus in die Religionsgeschichte Chinas einbauen?
Nun, er geht ja auf die Wendezeit der Weisheit (800 – 200 v.Chr.) zurück, in der in Israel die
Propheten auftraten, in Griechenland die Philosophie entstand, in Indien der historische
Buddha lehrte und in China eben die „100 Philosophenschulen“ entstanden.
Karl Jaspers nennt diese Zeit, wie wir schon hörten, eine „Achsenzeit“, so wichtig erschien
sie ihm. Ich nenne sie aber nur eine „Wendezeit“, ein Begriff, den der österreichische
Physiker Frithjof Capra (Er schrieb u.a. „Das Dao der Physik“) prägte.
Denn Achsenzeiten gibt es nur alle 2000 Jahre, Wendezeiten alle 600 Jahre.
Erwin Rousselle, der Nachfolger von Richard Wilhelm in der sinologischen Professur in
Frankfurt am Main, charakterisiert diese Zeit so (S. 95):
„Im sechsten Jahrhundert vor der christlichen Zeitrechnung erwacht etwa gleichzeitig in
Asien und Europa der menschliche Geist zu sich selbst und zum Bewusstsein seiner Macht.
Es ist, als ob der Mensch aus den nächtigen Abgründen der Tiefe zum ersten Male
emportauchte und oberhalb der heiligen Wasser und Grotten im Lichte des Tages eine neue
Ordnung der Welt und seiner Stellung in ihr gewahrte. Das mythische Zeitalter, seine Kunde
der Vorzeit, sein heiliges Wissen vom Urgrunde der Welt und des Lebens werden durch ein
selbständiges und kritisches Erkennen abgelöst. Ein früher, philosophisch forschender Geist
setzt sich mit den alten religiösen Vorstellungen und Bindungen auseinander, das eiserne
Zeitalter verdrängt die golden leuchtende Bronze, die naturnachahmende Kunst beginnt,
den mythisch-magisch gebundenen Stil zu ersetzen.
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Aber an dieser Geisteswende kennt der Mensch noch die geheime Wurzel, wo die Tiefe des
Geistes und der Urgrund des Weltganzen zusammenhängen. Ja, gerade durch diese
zweiseitige Schau und Überschau wird er mächtig bewegt. Es ist, als ob aus versunkenen
Räumen das Raunen des Erdgeistes emportönte, Urältestes ins Bewusstsein höbe, aber
nunmehr zum ersten Male mit der Fähigkeit des klaren Ausdrucks, des schöpferischen
Wortes. Das gilt in China für Lau-dse und Konfuzius, in Indien für Mahâvîra und für
Gautama Buddha, im griechischen Kulturkreis für Heraklit und Hesoid.“
Von den 100 Philosophenschulen sind uns vier wichtige Schulen tradiert. Ich nenne sie in
einer ganz bestimmten Reihenfolge, geordnet nach der Art der Erkenntnis.
1. Die Rújia, d.h. die Konfuzianer, nach Kongzi, latinisiert Konfuzius, 551-479 v. Chr.
und als zweiten Philosophen Mengzi, latinisiert Menzius, um 372 bis um 289 v. Chr.,
Die Erkenntnisart, die Erkenntnisstufe, ist die Ordnung.
2. Die Fâjia, d.h. die Gesetzesschule, oder Legalisten, nach Sheng Yang, um 390 bis 338
v. Chr., und als zweiten Hanfeizi, um 280 bis 233 v. Chr., Erkenntnisstufe ist der
Wille.
Eine Bemerkung dazu: Wilhelm rechnet Hanfei zu den Daoisten, andere eben zu den
Legalisten. In Wahrheit war er ein Eklektiker, der aus allen etwas nahm und
versuchte, am Hofe des Teilstaates Qin eine Stelle zu bekommen. Sein Buch Hanfeizi
ist darum aber auch eine Quelle für sonst nicht mehr greifbare Philosophenschulen.
3. Die Dàojia, d.h. die Daoisten nach Laozi, möglicherweise 571 bis 480 v. Chr. und
Zhuangzi, 369 bis 286 v. Chr., Erkenntnisstufe ist die Weisheit.
4. Die Mòjia, d.h. die Mohisten, nach Mo Di, um 480 bis um 400 v. Chr., Erkenntnisstufe
ist die Liebe, wenn auch weisheitlich begründet, da in der Zeit der weisheitlichen
Erkenntnis entstanden.
Wie wir sehen, existierten in dieser für China kritischen Zeit, eine Zeit der Kriege, der
Spaltung und Unsicherheit,
mehrere Erkenntnisarten, bzw. Erkenntnisstufen neben
einander.
Der philosophische Daoismus (Daojia) nun, wie ich es dargestellt habe und wie es sich aus
den beiden genannten Büchern ergibt, die vom philosophischen Daoismus tradiert wurden,
und der sich somit mit den Weisheitslehren des Buddhismus verbinden konnte, hat somit
eine Gotterkenntnis aus der Weisheit, weshalb der Daoismus auch zu den Weisheitslehren
zählt.
Dazu kommt, wie Wilhelm es ausdrückt (Tao te king, S. 154):
„Bei Laotse haben wir einen Wendepunkt der Geschichte des chinesischen Denkens. Das
Gesetz [Bem.: das ist Erkenntnis aus dem Willen] wurde durch ihn aufgelöst und damit die
Ethik auf eine ganz neue Basis gestellt. Konfuzius hat den prinzipiellen Standpunkt des
Laotse durchaus übernommen. ... Nur hat er eine andere Methode. Die verschiedenen
Begriffe haben in seinem System eine ganz andere Stelle. Die Sitte, die für Laotse als äußere
Schale verächtlich ist, ist für Konfuzius das Mittel, ... den Einzelnen zum Guten zu leiten und
ihm seine sinngemäße Stellung im Zusammenhang des menschlichen Organismus
anzuweisen.“
Das eine (Daoismus) ist eben aus der Weisheit, das andere (Konfuzianismus) ist an der
Ordnung orientiert. Darum muss Konfuzius auch Beziehungen zwischen Fürst und
Untertan, zwischen Vater und Sohn, zwischen den Geschlechtern definieren, damit die
Ordnung eingehalten werden kann.
Der volkstümliche Daoismus (Daojiao) machte nun eine Religion aus den vorliegenden
Lehren, indem er alte religiöse Vorstellungen übernahm, wie Ahnenverehrung und ein
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Götterpantheon, eine ordnende Hierarchie, die bestimmend ist, spezielle Riten und Magie
praktizierte. Dies ist natürlich eine Gotterkenntnis aus der Ordnung, bzw. maximal aus dem
Willen.
Um es kurz einmal allgemeiner zu sagen:
Die 7 Stufen der Gotterkenntnis orientieren sich an den 7 göttlichen Eigenschaften. Ich nenne
sie in einer speziellen Reihenfolge, die einen historischen Bezug hat.
Es sind dies Geduld, Ernst, Ordnung, Willen, Weisheit, Liebe und Barmherzigkeit. Lassen
wir die ersten beiden einmal beiseite, so ergeben sich folgende Definitionen:
Ordnung. Alles hat seinen Platz, eine festgefügte Ordnung. Im Weltlichen existiert eine feste
Stände- oder Kastenordnung. Gott ist das große Ordnungsprinzip. Seine Eigenschaften und
die Erscheinungen der Natur werden als Götter verehrt.
Wille. Gott ist der große Gesetzgeber, seinem Willen ist alles untertan und muss gehorchen.
Im Weltlichen hat der Fürst das Sagen, denn er ist – zumindest in China – der Mittler
zwischen Oben und Unten. Das Schriftzeichen für König, wàng, zeigt einen Strich oben,
einen Strich unten und ein Kreuz als Verbindung, Vermittlung zwischen beiden.
Eine Nebenbemerkung dazu: Die Xiwangmu wird immer mit „Königsmutter des Westens“
übersetzt. Nun bedeutet wang aber auch Ahne. Somit muss es heißen „Ahnmutter im
Westen“, und das ist, meiner Meinung nach, niemand anderes als Eva, die Urmutter des
heutigen Menschen.
Weisheit. Gott ist der Urgrund, nach Jakob Böhme (1575-1624) der Ungrund, nicht sichtbar,
nicht nennbar, nicht fassbar. Man kann nur einigermaßen sagen, was Gott nicht ist, oder man
muss auf paradoxe Aussagen ausweichen, wie zum Beispiel: Gott ist das Sein und Gott ist
das Nicht-sein; aber Gott ist auch beides nicht, denn würde ich das eine oder das andere
behaupten, so gäbe ich dem Merkmallosen ein Merkmal, das es aber nur für unsere
erscheinliche Welt der Illusion geben kann.
Liebe. Gott ist fassbar in der Liebetätigkeit, als der Vater, ist aber auch schaubar im
Nächsten. Ich kann diesen „Vater“ anrufen, um etwas bitten, usw. Der Nächste ist mein
Bruder, meine Schwester, denn wir alle sind Kinder desselben Vaters.
Barmherzigkeit. Diese Gotterkenntnis liegt noch vor uns, denn wir befinden uns in einer
wichtigen „Achsenzeit“, astrologisch dem Beginn des Wassermannzeitalters. Das vorige war
das Fischezeitalter der Liebe. Gott ist nunmehr Vater und Mutter (Aussage von Johannes
Paul II.), mitten unter Seinen/Ihren Kindern, die ihrerseits zur Erlösung gewillt und fähig
werden sollen. Das Motto dieser neuen Zeit lautet: Wie dient mein Handeln dem Nächsten?
Die Stellung des Daoismus in der Geistesgeschichte der Menschheit ist nun, dass er das freie
Denken nach China brachte, die weisheitliche Erkenntnis, die Möglichkeit , sich über das
„Jammertal“ der Welt zu erheben und freie Erkenntnis zu erlangen.
Zur selben Zeit entstand, als Reformbewegung des ordnungserkenntlichen Brahmaismus,
der weisheitliche Buddhismus, mit dem zusammen dann in China der Zen als reine
Weisheitslehre entstand. Zwischen den beiden Wendezeiten 600 und 1200 n. Chr. war seine
Blüte.
Der Chan/Zen wurde dann abgelöst durch eine andere Schule des Mahâyâna, der Lehre
vom reinen Land (Jîngtû, jap. Jôdo). Die Zeit nach 1200 war wiederum eine sehr bewegte Zeit
in China, denn China verlor seine Eigenständigkeit, es wurde Teil des mongolischen
Weltreiches, die Franziskaner begannen ihre christliche Mission in China, der Zen hatte sich
„todgelaufen“. Er wurde in Japan zur Lehre der Samurai. Aber auch dort setzte sich durch
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Shônin Shinran, dem „vertrauten Phönix“ (1173-1262) die Lehre vom reinen Land durch, die
gerade hier auf Glauben und Vertrauen basiert, und in der es ausreicht, den Namen des
Buddha Amida (Amitabha, chin. Amito) anzurufen, um Erlösung zu erlangen. Das ist das
„Nembutsu“. Dabei wurde aus dem geschlechtslosen Bodhisattva Avalokitéshvara eine
weibliche Gestalt, die heute als Guanyin (jap. Kannon), die Göttin der Barmherzigkeit,
verehrt wird.
Auch heute gibt es in China Daoisten, - die Informationen stammen aus dem Internet. So soll
es gemäß Wikipedia im Festlandchina ungefähr 3000 daoistische Heiligtümer geben,
bewohnt von etwa 25.000 Nonnen und Mönchen. Der Staat hat eine offizielle Version des
Daoismus durchgesetzt, die Wohlwollen, Patriotismus und den Dienst an der Öffentlichkeit
betont. Die wieder aufgebauten Tempel sind jedoch gut besucht. Man kann schließen, dass
der Daoismus auch in der Volksrepublik noch eine große Rolle spielt, was ja in Taiwan und
Südostasien durchaus der Fall ist.
Weitere Informationen dazu können Sie auf der genannten Seite finden.
Der Daoismus hat also auch heute noch seine Funktion, auch wenn seine historische
Bedeutung wesentlicher ist, da er eine bedeutende Rolle in der chinesischen
Geistesgeschichte spielte.
Ich hoffe, ich habe Ihnen mit diesen meinen Ausführungen gedient, so dass Sie nun etwas an
Wissen und vielleicht auch Erkenntnis mit nach Hause nehmen können. Jedenfalls danke ich
Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Ach, halt. Lassen Sie mich mit einem Gedicht von Wujian Xiandu (1265-1334) schließen:
„Vorzüglich ist dieser Weg zur Beruhigung des Herzens –
Jedoch ist er nicht vermittelbar unter heller Sonne! –
Und wer erkennt, dass der Mond in der Tiefe des Teiches
Doch eigentlich hoch oben über dem Dache dort am Himmel ist? –„
Danke.
Wiehl/Köln, 13.11.2007
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Literaturliste:
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Dumoulin, Heinrich: Geschichte des Zen-Buddhismus, Band I: Indien und China, Francke,
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Eigene Werke:
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Ders. : Mystik in China, Daoismus und Zen; Wiehl 2000, unveröff. Manuskript.
Ders. : Das Nichts als Ausdruck einer Gotterkenntnis: Zen und christliche Mystik im
Vergleich, Vortrag geh. am 27.5.2001 auf der Tagung „Religionen im Aufbruch“ des
Center for World Religion in Bad Münstereifel.
Ders. : Die Himmelsleiter, die 7 Stufen der Gotterkenntnis, z.Z. in Arbeit.
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