Reihe, DUALE REIHE Duale Reihe Physiologie Bearbeitet von Jan Behrends, Josef Bischofberger, Rainer Deutzmann, Heimo Ehmke, Stephan Frings, Stephan Grissmer, Markus Hoth, Armin Kurtz, Jens Leipziger, Frank Müller, Claudia Pedain, Jens Rettig, Charlotte Wagner, Erhard Wischmeyer, Alexander Bob, Konstantin Bob 1. Auflage 2009. Taschenbuch. ca. 830 S. Paperback ISBN 978 3 13 138411 9 Format (B x L): 19,5 x 27 cm Weitere Fachgebiete > Medizin > Vorklinische Medizin: Grundlagenfächer > Physiologie, Pathophysiologie Zu Inhaltsverzeichnis schnell und portofrei erhältlich bei Die Online-Fachbuchhandlung beck-shop.de ist spezialisiert auf Fachbücher, insbesondere Recht, Steuern und Wirtschaft. Im Sortiment finden Sie alle Medien (Bücher, Zeitschriften, CDs, eBooks, etc.) aller Verlage. Ergänzt wird das Programm durch Services wie Neuerscheinungsdienst oder Zusammenstellungen von Büchern zu Sonderpreisen. Der Shop führt mehr als 8 Millionen Produkte. 689 19.4 Zentrale Hörbahn und kortikale Repräsentation zahl von Nervenzellen aktiviert. Dieses Prinzip ermöglicht die Erfassung von verschiedenen Schalldruckpegeln über einen so breiten Bereich, wie es das menschliche Ohr gewährleistet (s. S. 676). Richtungsinformation: Sie wird ermöglicht, indem Unterschiede zwischen auditorischen Signalen aus dem rechten und linken Innenohr zentral verglichen werden (binaurale Wechselwirkung, s. S. 692). Ein Prinzip der auditorischen Verarbeitung im Gehirn ist, dass diese Informationen nicht in separaten Kanälen getrennt verarbeitet werden. Vielmehr ist die zentrale Hörbahn so angelegt, dass viele Aspekte eines Geräuschs gleichzeitig analysiert und als komplexe Information zur nächsten Verarbeitungsebene weitergegeben werden. Letztlich führt diese Art der Informationsverarbeitung dazu, dass ein einzelnes Neuron in der Hörrinde nur dann aktiviert wird, wenn ein Geräusch gleichzeitig eine Reihe unterschiedlicher Kriterien erfüllt (z. B. eine bestimmte Frequenz, Lautstärke und Richtung). Für die Analyse komplexer Geräusche – wie Sprache – ist diese Art von integrierter Informationsverarbeitung vermutlich unbedingt erforderlich. 19.4.2 Stationen der Hörbahn 19.4.2 Stationen der Hörbahn Von der ersten Ebene der Hörbahn an ist das Prinzip der Zusammenführung von unterschiedlichen Informationen erkennbar: Die Axone der etwa 20 afferenten Neurone, mit denen eine einzelne innere Haarzelle Synapsen ausbildet (s.o.), ziehen im Hörnerv (akustischer Anteil des N. vestibulocochlearis = VIII. Hirnnerv) zu verschiedenen Kochleariskernen (Ncll. cochleares anterior und posterior). Dies ist der Beginn eines neuronalen Netzes im Hirnstamm (Abb. 19.10). Einen Überblick über die verschiedenen Funktionen der einzelnen Stationen der Hörbahn gibt Tab. 19.4. Die im Hörnerv (akustischer Anteil des N. vestibulocochlearis = VIII. Hirnnerv) verlaufenden afferenten Axone enden in den Kochleariskernen des Hirnstamms (Abb. 19.10). Zu den Funktionen der Hörbahn-Stationen siehe Tab. 19.4. 19.10 Anatomischer Aufbau der Hörbahn 19.10 Corpus geniculatum med. Insel Radiatio acustica Sulcus lateralis primäre HörrindeArea 41, Gyri temporales transversi (Heschl) Gyri temporales transversi (Heschl) Radiatio acustica Temporallappen Brachium colliculi inferior Nucleus corporis geniculati Colliculus inferiormedialis Nucleus colliculi inferioris Mittelhirn Kommissur der Colliculi inferiores Gyri temporales transversi (Heschl) Ncl. lemnisci lateralis Lemniscus lateralis Nuclei lemnisci lateralis Lemniscus lateralis Nucleus cochlearis posterior 200 Hz 20 000 Hz Striae indirekte Hörbahn Ncl. cochlearis posterior cochleares posteriores Ductus cochlearis direkte Hörbahn Ncl. cochlearis anterior N. vestibulocochlearis Nucleus olivaris Ganglion cochleare superior Nucleus corporis trapezoidei Corti-Organ Corti-Organ innere Haarzellen Kerne des Corpus Ganglion spirale trapezoideum N. cochlearis Ncll. olivares superiores Nucleus Rautenhirn cochlearis anterior Verlauf der Hörbahn vom Innenohr über den Hirnstamm bis zur Großhirnrinde. aus: Behrends u. a., Duale Reihe Physiologie (ISBN 9783131384119) © 2010 Georg Thieme Verlag KG 690 19 Auditorisches System, Stimme und Sprache 19.4 19.4 Wesentliche Funktionen der einzelnen Stationen der Hörbahn Station der Hörbahn Ncll. cochleares anterior und posterior Ncll. olivares superiores Ncl. lemniscus lateralis Colliculus inferior Corpus geniculatum mediale primäre Hörrinde sekundäre Hörrinde ▶ Klinik. physiologische Funktion Aufnahme des über den auditorischen Anteil des N. vestibulocochlearis geleiteten afferenten Signals aus dem Ganglion spirale der ipsilateralen Kochlea erste Musteranalyse Analyse der zeitlichen Verzögerung und der Intensitätsunterschiede zwischen den Signalen aus beiden Kochleae v. a. Weiterleitung der Axone zu den Colliculi inferiores Ortung von Schallquellen Integration auditorischer mit visuellen und somatosensorischen Informationen Weiterleitung zum Thalamus Weiterleitung zur primären Hörrinde mehrdimensionale Verarbeitung der akustischen Information Verknüpfung mit kognitiven Inhalten wie Bedeutung, Erinnerung oder Zusammenhängen ▶ Klinik. Schädigungen im Bereich der Hörbahn bezeichnet man als retrokochleäre Hörstörungen. Die häufigste erkennbare Ursache ist ein sog. Akustikusneurinom. Hierbei handelt es sich um einen gutartigen Tumor, der von den Schwann-Zellen des VIII. Hirnnervs ausgeht. Durch Kompression des Hörnervs kommt es dabei entweder plötzlich (Hörsturz) oder langsam fortschreitend zur einseitigen Schallempfindungsstörung. Auch das Auftreten von auditorischen Empfindungen ohne äußeren Reiz (Tinnitus) ist möglich. Zusätzlich kann es zu vestibulären Symptomen wie Schwindel oder Gleichgewichtsstörungen kommen. Diagnostisch findet man meist neben den für eine Schallempfindungsstörung typischen pathologischen Befunden bei subjektiven Hörprüfungen (s. S. 678) auch eine Latenzverlängerung bei der Ableitung akustisch evozierter Potenziale (s. S. 692). Mittels MRT (Magnetresonanztomografie) lässt sich die Lage des Tumors im inneren Gehörgang oder Kleinhirnbrückenwinkel nachweisen (Abb. 19.11 a). Je nach Größe des Tumors ist in der Regel eine operative Entfernung angezeigt (Abb. 19.11 b). A. cerebelli inferior anterior N. facialis (VII. Hirnnerv) Hirnnerven IX-XI Akustikusneurinom a b 19.11 MRT-Befund (a) und Operationssitus (b) eines Akustikusneurinoms a Typischer MRT-Befund eines Akustikusneurinoms: ein im rechten Kleinhirnbrückenwinkel gelegener, stark kontrastmittelaufnehmender Tumor (Pfeil), der dem Felsenbein anliegt. b Beim Blick durch das Operationsmikroskop zeigt sich ein scharf begrenzter, kugelförmiger Tumor des VIII. Hirnnervs, der von einer Kapsel umgeben wird und dem N. facialis unmittelbar anliegt. aus: Behrends u. a., Duale Reihe Physiologie (ISBN 9783131384119) © 2010 Georg Thieme Verlag KG 691 19.4 Zentrale Hörbahn und kortikale Repräsentation Während die Axone nachgeschalteter Neurone aus dem hinteren Kochleariskern alle auf die Gegenseite kreuzen, ziehen aus dem vorderen Kochleariskern sowohl Fasern zu den ipsilateralen als auch zu den kontralateralen oberen Olivenkernen (Ncll. olivares superiores, Abb. 19.10). Bereits hier werden also Informationen aus beiden Ohren zusammengefasst – die Voraussetzung für das binaurale Hören und die Ermittlung der Richtung einer Schallquelle. Die Richtungsinformation wird anhand von Laufzeitunterschieden berechnet (s. u.). Nach unterschiedlichem Faserverlauf (z. T. über die Ncll. lemnisci lateralis als „Zwischenstation“) sind die unteren Hügel (Colliculi inferiores) der Vierhügelplatte im Mittelhirn die nächste obligate Umschaltstelle der Hörbahn. Diese Strukturen gehören zum auditiven Reflexzentrum, wo Körperbewegungen gesteuert werden, die durch Geräusche ausgelöst werden. In jedem Colliculus inferior übernehmen Neurone das Hörsignal und leiten es ohne Überkreuzung zum Thalamus, wo sie im ipsilateralen mittleren Kniehöcker (Corpus geniculatum mediale) enden. Da aber die beiden Colliculi inferiores miteinander verbunden sind, wird auch auf dieser Verschaltungsebene dafür gesorgt, dass jede Hemisphäre Hörinformation aus beiden Ohren erhält. Aus den thalamischen Kernen, die als Verschaltungszentrum der Sinnesinformation auf dem Weg zur Großhirnrinde (und damit zum Bewusstsein) dienen, ziehen die Axone der Hörbahn als Radiatio acustica zur primären Hörrinde in den Gyri temporales transversi des Schläfenlappens. Wie schon eingangs erwähnt, zeigen die Neurone in der primären Hörrinde eine komplexe Spezialisierung (Abb. 19.12). Tonotopie (räumliche Anordnung gemäß der Frequenzselektivität, s. S. 688) ist dabei nur eines von mehreren Kriterien. Manche Neurone werden von Signalen aus beiden Ohren aktiviert (EE-Zellen), andere werden nur vom ipsilateralen Ohr aktiviert, vom kontralateralen aber gehemmt (EIZellen, → binaurale Wechselwirkung, s. S. 692). Auch nach ihrer Reaktionsempfindlichkeit (→ Aktivierungsschwelle) und -geschwindigkeit (→ Latenz) können die Neurone der Hörrinde klassifiziert werden. 19.12 Von dort laufen Fasern nachgeschalteter Neurone u. a. sowohl zu den ipsi- als auch zu den kontralateralen oberen Olivenkernen (Abb. 19.10), wo die Richtungsinformation aus Laufzeitunterschieden berechnet wird. Die Hörbahn verläuft z. T. über die Schleifenkerne zu den Colliculi inferiores der Vierhügelplatte im Mittelhirn. Hier werden schallinduzierte motorische Reflexe gesteuert. Über die mittleren Kniehöcker (Corpus geniculatum mediale) des Thalamus erreicht die Hörbahn die primäre Hörrinde im Schläfenlappen. Die Neurone der primären Hörrinde zeigen neben Tonotopie weitere Spezialisierungen (Abb. 19.12), z. B. binaurale Wechselwirkung, Aktivierungsschwelle und Latenzzeit. Primäre Hörrinde I II hoch niedrig Reaktion auf Signale vom kontralateralen Ohr (binaurale Wechselwirkung) EE III und IV Empfindlichkeit (Aktivierungsschwelle) EI primäre Hörrinde lang sekundäre Hörrinde kurz eng Latenzzeit Frequenzspektrum breit V VI a tiefe Frequenzen hohe Frequenzen Selektivität für bestimmte Frequenzen (Tonotopie) b a Lage der primären Hörrinde im oberen Teil des Schläfenlappens. b Schematische Darstellung der sechs Schichten der Hörrinde. Die Eingänge aus dem Thalamus münden in den Schichten III und IV, die hier weit auseinandergezogen dargestellt sind. Die Neurone dieser Schichten erhalten komplexe Informationen aus der Hörbahn. Mehrere Parameter kennzeichnen die Eigenschaften dieser Neurone und sind hier grafisch getrennt dargestellt: Empfindlichkeit (Aktivierungsschwelle), Reaktion auf Signale vom kontralateralen Ohr (erregend: EE; inhibierend: EI), Latenzzeit, Breite des Frequenzspektrums, Frequenzselektivität (Tonotopie). Die Funktion eines jeden Neurons in einer Kolumne ist durch eine Kombination dieser fünf Parameter gekennzeichnet. aus: Behrends u. a., Duale Reihe Physiologie (ISBN 9783131384119) © 2010 Georg Thieme Verlag KG