5. HFM-Woche der Kammermusik „Brahms, der Fortschrittliche“ Kammermusik von Johannes Brahms und Arnold Schönberg 13. bis 17. Juni 2012 Hochschule für Musik Saar PROGRAMM ___________________________________________________ 5. HFM-Woche der Kammermusik „Brahms, der Fortschrittliche“ D ie 5. Woche der Kammermusik an der Hochschule für Musik Saar widmet sich der Musik zweier Komponisten, die sich nie begegnet sind, obwohl sich ihre Lebensdaten um immerhin 24 Jahre überschneiden: Johannes Brahms und Arnold Schönberg. Die Begeisterung für Brahms rührt belegbar aus jungen Jahren Schönbergs und manifestiert sich kompositorisch beispielsweise in der 1939 erstellten Orchestrierung des Klavierquartetts in g-moll op. 25. In einigen aufschlussreichen Texten, vor allem in dem Artikel von 1947 „Brahms der Fortschrittliche“, entstanden aus einem Beitrag Schönbergs für den Rundfunk aus dem Jahr 1933, zeigt sich der jüngere der beiden Komponisten auch in seinen späteren Jahren noch immer als glühender Verehrer des älteren. Vergleichsweise dynamisch verlief Schönbergs erst im Jahre 1913 erwachte Begeisterung für Gustav Mahler, wie er sie 1913 nach der Uraufführung von Mahlers vierter Symphonie geradezu überschwänglich notiert: „Ich glaube fest und unerschütterlich daran, dass Gustav Mahler einer der größten Menschen und Künstler war.“ Den ersten drei Symphonien Mahlers war er noch mit Spott und Unverständnis begegnet. In welchen Diskurs sich Schönberg mit seinem Artikel über Brahms begibt, wird deutlich, wenn man die Gegenpositionen vergleicht, - etwa diejenige des Musikwissenschaftlers Alfred Einstein, der in einem Text über Liszt und Brahms beide Komponisten (in diesem Fall in Hinblick auf Wagner) kontrastierend positioniert: „Brahms: sich der Johannes Brahms Vorbildlichkeit der Vergangenheit immer mehr bewusst werdend und (1833 - 1897) immer weiter in sie zurückgreifend; Liszt der Rhapsode; Brahms, der Anhänger gegebener fester Form von Anfang bis zum Ende.“ Im weiteren Verlauf der Ausführungen über Brahms diagnostiziert Einstein dem Werk des Komponisten immer deutlicher die Lenkrichtung in die stilistische Sackgasse - er liest dessen Musik als die einer nachempfundenen Klassik, allerdings mit der Verbindlichkeit „neuer Gefühle“. Mit diesen teilweise unbelegten Thesen zeichnet Einstein mitverantwortlich für manches bis ins 20. Jahrhundert dauernde Klischee über Brahms und seine Musik. Obwohl Schönbergs Text früher datiert, könnte er auch als Gegenposition zu Einstein gelesen werden. So erklärt er in Hinblick auf ungradtaktige Phrasen bei Brahms: „Es ist wichtig, sich klarzumachen, dass Brahms, ohne auf Schönheit und Gefühl zu verzichten, zu einem Zeitpunkt, als alle an ‚Ausdruck‘ glaubten, sich auf einem Gebiet als fortschrittlich erwies, dass seit einem halben Jahrhundert brach gelegen hatte.“ Auch Wilhelm Furtwängler sieht bei Brahms - vor allem in seinem Alterswerk - die Tendenz zur „Schlichtheit in der Empfindung“ und meint damit wohl nichts anderes, als dass dieser Komponist sich bestimmte Affekte absparte, um seiner Musik das Gewand einer vergangenen Zeit anzuziehen. 2 „Brahms, der Fortschrittliche“ _______________________________________________________ An diesem Punkte verbinden sich die Kompositionen Brahms‘ und Schönbergs auch im Programm: Dessen frühes Streichsextett „Verklärte Nacht“ beispielsweise entstand nur zwei Jahre nach dem Tod von Johannes Brahms und zeigt innerhalb der jugendlich-hypernervösen und spannungsreichen Faktur doch in jedem Takt die enge Verbundenheit mit dem alten Brahms; mit der Idee der „entwickelnden Variation“, mit den bereits erwähnten ungradtaktigen Phrasenkonstruktionen. Im Zentrum dieser Woche der Kammermusik stehen verschiedene repräsentative Werke zweier Komponisten, die sich jeweils auf der anderen Seite einer imaginären Trennlinie zwischen Romantik und Moderne befinden. Man könnte Brahms noch Reger und Schönberg Arnold Schönberg (1874 - 1951) noch Berg zur Seite stellen und hätte die wichtigsten deutschsprachigen Kammermusikkomponisten dieser ereignisreichen „Fin de siècle“-Zeit versammelt. Das Bindeglied zwischen den einzelnen von Professoren und Studenten der HFM dargebrachten Werken ist die Verbundenheit und Vertrautheit Schönbergs mit der Musik Brahms‘ - in der aktuellen Diktion würde man eher von einer Kompatibilität sprechen. Diese vermag den Zuhörer über bestimmte stilistische Adaptionen zu erreichen, die man auch in den später entstandenen, atonalen Werken Schönbergs wieder finden kann - freilich nicht nach den Kriterien der Harmonielehre. Prof. Dr. Jörg Abbing (HFM) Ausstellung innerhalb der Woche der Kammermusik Begleitend zur Kammermusik-Woche werden in der HFM vom 12. bis 20. Juni 2012 Bildtransformationen zur Musik Arnold Schönbergs ausgestellt, die der Künstler Nikola Dimitrov geschaffen hat. Die Abbildungen in diesem Programmheft sind Dimitrovs Bilderzyklus „Pierrot Lunaire“ entnommen, welcher im Mittelpunkt der Ausstellung steht. Impressum Herausgeber: Hochschule für Musik Saar - Bismarckstr. 1, 66111 Saarbrücken Texte des Programmheftes (soweit nicht anders gekennzeichnet): Eva Karolina Behr Abbildungen: Nikola Dimitrov Redaktion und Gestaltung: Thomas Wolter (HFM-Pressestelle) Künstlerische Leitung der Kammermusikwoche: Prof. Tatevik Mokatsian www.hfm.saarland.de 3 ___________________________________________________ 5. HFM-Woche der Kammermusik Mittwoch, 13. Juni 2012 | 18.00 Uhr (FuF-Konzert) Johannes Brahms Sonate für Klavier und Klarinette Es-dur op.120 Nr. 2 Allegro amabile Allegro appassionato Andante con moto - Allegro Tatevik Mokatsian, Klavier Johannes Gmeinder, Klarinette Wie Mozart ließ sich auch Brahms von einem berühmten Musiker zu seinen Kompositionen für Klarinette inspirieren: von Richard Mühlfeld – damaliger Klarinettist des Meininger Hoforchesters, mit dem Brahms eine lange Freundschaft verband und den er selbst als „Nachtigall des Orchesters“ bezeichnete. Im Jahr 1894, also ein Jahr bevor die Klarinettensonate entstand, wollte Brahms mit seinen Volksliedern (WoO 33) eigentlich seine kompositorische Laufbahn abschließen. Obwohl die Klarinettensonate also nicht mehr für die Öffentlichkeit bestimmt sein sollte, hat Brahms mit diesem Werk entscheidend zur Emanzipation der Klarinette beigetragen; denn er führte sie in den Bereich der Duo-Sonate ein. Bisher war sie nur in kompositorisch freieren Formen in Erscheinung getreten, doch mit dieser Komposition verschaffte Brahms erstmals einem Blasinstrument den Eintritt in die Sonaten-Gattung und stellte die Klarinette somit an die Seite von Violine und Cello. Die Klarinettensonate Es-dur ist die zweite der beiden Sonaten op. 120 und steht vom Charakter her im Gegensatz zur ersten. Sie ist serenadenartig und sehr weich im Klang. Die „amabile“-Bezeichnung des 1.Satzes scheint für das gesamte Stück zu gelten. Ist das Menuett des 2. Satzes noch durch eine starke Verinnerlichung des Tons geprägt, so ist in dem darauf folgenden Trio ein drängendes Aufbegehren hörbar. Ist das Menuett geprägt von der weichen Mittellage der Klarinette, verbindet sich im Trio der erdige Klang ihres tiefen Registers innig mit dem Klavier. Mit dem Finale hat Brahms wohl einen seiner vielschichtigsten Sätze geschrieben. Aus einem schlichten Andante-Thema heraus entstehen fünf Variationen mit Coda. Bis Variation 3 beschleunigt Brahms das thematische Material, was nicht heißt, dass er das Tempo erhöht. Er verkürzt lediglich die Notenwerte, sodass beim Hörer der Eindruck einer Beschleunigung entsteht. Diese bricht ab und Variation 4 stellt den langsamsten Abschnitt dieser Variationsfolge dar. So als wolle Brahms den Schluss herauszögern und Spannung erzeugen, schließt sich nach dieser Retardierung die fünfte Variation mit sprudelnden Sechzehnteln an. Die Coda greift alle Bewegungsarten nochmals auf und fasst - wie so oft bei Brahms´schen Schlusssätzen - alles Charakteristische noch einmal zusammen. 4 „Brahms, der Fortschrittliche“ _______________________________________________________ Johannes Brahms Zwei Gesänge op. 91 für Altstimme, Viola und Klavier Gestillte Sehnsucht (Friedrich Rückert) Geistliches Wiegenlied (Emanuel Geibel nach Lope de Vega) Rosemarie Bühler-Fey, Alt Jone Kaliunaite, Viola Matthias Wierig, Klavier „Brahms ist ein ganz ausnahmsweises Kompositionstalent und eine Natur, wie sie nur in der verborgensten Zurückgezogenheit sich in vollster Reine entwickeln konnte; rein wie Demant, weich wie Schnee.“, so schrieb Joseph Joachim über Brahms. Seit dem ersten Treffen 1853 entwickelte sich zwischen dem Geiger Joachim und Brahms eine tiefe Freundschaft, vor allem eine lebenslange künstlerische Beziehung. So schenkte Brahms Joachim und seiner Frau Amalie zur Taufe ihres Kindes 1864 das Geistliche Wiegenlied (op.91/2). 20 Jahre später, heißt es, habe Brahms mit dem Stück Gestillte Sehnsucht (op. 91/1) versucht, Einfluss auf die bereits zum Scheitern verurteilte Ehe zwischen Joachim und seiner Frau Amalie, einer Altistin, zu nehmen. Gerade in diesem 1.Satz vereinen sich die instrumentale und vokale Altstimme über der Klavierbegleitung in innigster und kunstvollster Verwebung. Aus einem einfachen Motiv heraus entwickelt die Bratsche ein ausgedehntes Vorspiel, das durch seine dunkle Färbung und ausdrucksstarke, aber ruhige Melodieführung fasziniert. Dieser Charakter wird im kompletten A-Teil beibehalten. Erst als im Mittelteil die Frage gestellt wird, wann das Wünschen und Sehnen im Herzen endlich zur Ruhe kommt, verändert sich die Tonart nach d-Moll und das rastlose Herz findet seine erregte Expressivität in einer scheinbaren Beschleunigung der Instrumentalstimmen. Der dritte Formteil wiederholt den A-Teil. Das zweite Stück Geistliches Wiegenlied basiert auf einem alten Weihnachtslied aus dem 14.Jahrhundert: Joseph, lieber Joseph mein, hilf mir wieg´n mein Kindlein fein. Doch die ursprüngliche Melodie taucht nur einmal im Vorspiel der Bratsche auf. Der weitere Verlauf des Stückes zeigt Brahms´ spezielle motivisch-entwickelnde Kompositionsweise in besonderem Maße. Er spaltet verschiedene Motive ab und entwickelt daraus den Altpart und die Klavierstimme. Textlich greift er nicht auf das Weihnachtslied zurück; hier verwendet er einen Text des spanischen Dichters Lope de Vega Die ihr schwebet unter Palmen. Trotz der expressiven Zuspitzung im Mittelteil ist dieser Satz durch den wiegenden 6/8 - Rhythmus gänzlich von der Volksliednähe geprägt. 5 ___________________________________________________ 5. HFM-Woche der Kammermusik Arnold Schönberg „Verklärte Nacht“ für Streichsextett op.4 (in einem Satz) nach einem Gedicht von Richard Dehmel Felix Wulfert und Lorenz Blaumer, Violine Ji-Soo Park und Friederike Kurth, Viola Hyun-Mi Kim und Woolee Jang, Violoncello „Gestern Abend hörte ich die ‚Verklärte Nacht‘, und ich würde es als Unterlassungssünde empfinden, wenn ich Ihnen nicht ein Wort des Dankes für Ihr wundervolles Sextett sagte. Ich hatte mir vorgenommen, die Motive meines Textes in Ihrer Composition zu verfolgen; aber ich vergaß das bald, so wurde ich von der Musik bezaubert.“, so schrieb Richard Dehmel im Dezember 1912 an Schönberg. Dehmels Gedicht „Verklärte Nacht“ besteht wie alle anderen Gedichte seines Zyklus´ Weib und Welt aus drei wesentlichen Aspekten. Zwei Menschen – eine Sie und ein Er – und die Naturwelt. Sie befreien sich von alten Konventionen und werden in ihrer Triebhaftigkeit eins mit der Natur. Erotik und Sexualität werden um die Jahrhundertwende zum Thema von Kunst, Literatur und Forschung; Persönlichkeiten wie Gustav Klimt, Sigmund Freud oder Arthur Schnitzler sind prägende Zeitgenossen Schönbergs und Dehmels. „Ihre Gedichte haben auf meine musikalische Entwicklung entscheidenden Einfluß ausgeübt. Durch sie war ich zum ersten Mal genötigt, einen neuen Ton in der Lyrik zu suchen.“, so Schönberg gegenüber Dehmel. Es entstand daraufhin ein einsätziges, dennoch in fünf Abschnitte unterteiltes Stück „Programmmusik“, zwei musikalische Monologe und drei Naturstrophen. Im Rahmen einer Schallplatteneinspielung hat Schönberg 1950 Programm-Anmerkungen formuliert, die sich explizit an eine breite Hörerschaft richten. In Anlehnung daran sollen folgende Erläuterungen einen groben Abriss des Werkes darstellen. Zwei Menschen gehn durch kahlen, kalten Hain; der Mond läuft mit, sie schaun hinein. Der Mond läuft über hohe Eichen; kein Wölkchen trübt das Himmelslicht, in das die schwarzen Zacken reichen. Die Stimme eines Weibes spricht: Ich trag ein Kind, und nit von Dir, ich geh in Sünde neben Dir. Ich hab mich schwer an mir vergangen. Ich glaubte nicht mehr an ein Glück und hatte doch ein schwer Verlangen nach Lebensinhalt, nach Mutterglück und Pflicht; da hab ich mich erfrecht, da ließ ich schaudernd mein Geschlecht von einem fremden Mann umfangen, und hab mich noch dafür gesegnet. Nun hat das Leben sich gerächt: nun bin ich Dir, o Dir, begegnet. 6 Tiefe Streicher gestalten orgelpunktartig die „kalte“, „kahle“ Stimmung, die als Metapher für die emotionale Isolation der beiden Menschen steht. Darüber entfaltet sich das melodische Hauptmotiv, das durch seine abwärtsgerichtete Linie die Beklemmung dieser Situation zum Ausdruck bringt. Das erste Thema beginnt etwas stockend in der Viola, der die erste Violine zur Seite tritt. Die zweite Violine zeigt das Thema als Kontrapunkt. Der weitere Verlauf dieses „Satzes“ ist von dynamischer Zurückhaltung, vielen Ritardandi, chromatischem Abstieg und stockenden Einsätzen geprägt.Verzweiflung, Selbstanklage und Ernüchterung sind zu spüren. Aber auch Erregung klingt mit, wenn sich die Satzstruktur verdichtet und sich eine „drängende“ und „etwas unruhigere“ Stimmung breit macht. So als entfalte sich eine Tragödie, steuert der melodische Verlauf „rascher“ auf einen Höhepunkt zu, retardiert „sehr breit“ und findet in der nachklingenden Chromatik ihren katastrophalen Ausgang. „Brahms, der Fortschrittliche“ _______________________________________________________ Sie geht mit ungelenkem Schritt. Sie schaut empor; der Mond läuft mit. Ihr dunkler Blick ertrinkt in Licht. Die Stimme eines Mannes spricht: „Schwer betont“ sind zwar die Schritte der beiden, doch die Natur legt sich still über die vorangegangene Erregung und Verzweiflung. Das Kind, das Du empfangen hast, sei Deiner Seele keine Last, o sieh, wie klar das Weltall schimmert! Es ist ein Glanz um alles her; Du treibst mit mir auf kaltem Meer, doch eine eigne Wärme flimmert von Dir in mich, von mir in Dich. Die wird das fremde Kind verklären, Du wirst es mir, von mir gebären; Du hast den Glanz in mich gebracht, Du hast mich selbst zum Kind gemacht. Er faßt sie um die starken Hüften. Ihr Atem küßt sich in den Lüften. Zwei Menschen gehn durch hohe, helle Nacht. Der Monolog des Mannes beginnt in D-Dur, wendet sich bald nach Fis-Dur. Weit entfernt also von der bisherigen durch b-Tonarten geprägten Stimmung. Zarte Flageolett-Klänge deuten bereits auf das selbstlose Verständnis des Mannes hin. Obwohl in diesem Abschnitt durchaus Motive des Schmerzes aus vorherigen Themenbereichen erklingen, verwandelt sich die Nacht des Schmerzes und der Verzweiflung hier in die Verklärte Nacht. Die Ruhe des ersten Teils kehrt wieder ein. Thematische Motive des Anfangs werden wieder aufgegriffen. Beide hängen in Gedanken dem eben Erlebten nach. - PAUSE - Johannes Brahms Ausgewählte Lieder An eine Äolsharfe (Eduard Möricke), op. 19, Nr. 5 Es hing der Reif (Klaus Groth), op. 106, Nr. 3 Die Mainacht (Ludwig Hölty), op. 42, Nr. 2 Rosemarie Bühler-Fey, Alt Matthias Wierig, Klavier An eine Äolsharfe Die Liebeslieder des Opus 19 sind von der zögerlichen und letztendlich entsagenden Neigung des jungen Brahms zu der Göttinger Professorentocher Agathe von Siebold inspiriert und zeichnen sich insbesondere durch einen resignierenden Unterton aus. „An eine Äolsharfe“ ist ein melancholischer Nachklang und gibt dem Zwiespalt von Frühlingslaut und Todestrauer, der Moerickes Gedicht erfüllt, wohllautenden Ausdruck. Es hing der Reif Das Opus 106, aus dem das Lied „Es hing der Reif“ entnommen ist, gehört zu den letzten Liedvertonungen Johannes Brahms und darf als musikalische Nachlese angesehen werden. „Es hing der Reif“ nimmt in diesem Sinne das alte Thema der Liebesklage wieder auf. 7 ___________________________________________________ 5. HFM-Woche der Kammermusik Die Mainacht „Die Mainacht“ nach einem Gedicht von Ludwig Hölty ist ein Bekenntnis unerfüllbarer Dichtersehnsucht nach der idealen Geliebten. Auch dieses Lied weist eine Dreiteiligkeit auf. Der Mittelteil ist von Moll-Klange überschattet, die wiederkehrende Hauptmelodie wird in eine großartige Schlußsteigerung geführt. (Texte: Prof. Matthias Wierig) Johannes Brahms Quintett für Klarinette, zwei Violinen, Viola und Violoncello h-moll op. 115 Allegro Adagio - piu lento Andantino - presto non assai, ma con sentimento Con moto Johannes Gmeinder, Klarinette Lena Neudauer, Violine Velislava Taneva, Violine Benjamin Rivinius, Viola Mario Blaumer, Violoncello Das Klarinettenquintett op. 115 ist eine weitere der vier Klarinettenkompositionen, die Brahms für Richard Mühlfeld geschrieben hat. Ebenso wie die Klarinettensonate op. 120 beginnt der erste Satz mit einer langsamen Einleitung, die keineswegs nur eröffnende Funktion hat, sondern bereits wesentliches thematisches Material vorstellt. Die Motive entwickeln sich stetig aus sich selbst heraus und bilden die Basis für den weiteren Verlauf des Satzes. Die Gestalt jeder melodischen Linie übernimmt unentwegt neue Funktionen. War sie zunächst noch Begleitung, tritt sie einige Takte später als Hauptstimme hervor oder wird als Umkehrung erkennbar. Auch in den beiden Mittelsätzen verfolgt Brahms stringent sein variierendes Formprinzip. Ist dies im 2. Satz durch Variation im Klang der Klarinette erkennbar – indem Brahms alle Möglichkeiten der klanglichen Entfaltung ausschöpft – so ist die Variation der Form charakteristisch für den 3. Satz. Der 4. Satz fasst als strenge Variationsfolge alle Motive noch einmal zusammen und umschließt das Werk als Ganzes. Versuchten Komponisten der Wiener Klassik eine Gegensätzlichkeit der Sätze zu erreichen so „sehen wir Brahms bemüht, die vier Sätze in leisen Stimmungsübergängen einander zu nähern.“ (Eduard Hanslick). Und diese Annäherung spiegelt auch die Besetzung wider: Zu Beginn des ersten Satzes ebnen die Streicher im kanonischen Einsatz der Klarinette den Weg; sie scheint geradezu aus deren Klang emporzusteigen. 8 „Brahms, der Fortschrittliche“ _______________________________________________________ Donnerstag, 14. Juni 2012 | 18.00 Uhr Johannes Brahms Trio für Klavier, Violine und Violoncello c-moll op.101 Allegro energico Presto non assai Andante grazioso Allegro molto Tatevik Mokatsian, Klavier Lena Neudauer, Violine Mario Blaumer, Violoncello Auch wenn Brahms in Bezug auf die kammermusikalische Besetzung viele Neuerungen schuf, galt es für ihn, auch tradierte Formen wie Streichquartett und Klaviertrio zu erhalten. Anders als seine Kammermusik für Streicher, die meist bestimmten Schaffensphasen zuzuordnen ist, bestimmte die Trio-Kammermusik sein gesamtes Oeuvre - vom Klaviertrio op. 8 bis hin zum Klarinettentrio op. 114. Das Klaviertrio op. 101 ist das dritte von insgesamt drei Klaviertrios und entstand während des Sommeraufenthaltes 1886 am Thuner See. Es kann als eine Art Zusammenfassung der Brahms‘schen Klaviertrio-Tradition gesehen werden. Standen sich op. 8 mit seiner jugendlichen Leichtigkeit und op. 87 mit meisterlicher Reife gegenüber, so vereint op. 101 beides in sich. Gerade der 1. Satz ist stürmisch und expressiv, aber dennoch formal aufs Äußerste verknappt. Der 2. Satz – eindeutig als Scherzo einzuordnen, auch wenn Brahms den Satz nicht so überschrieb – bildet mit seiner verhaltenen Zartheit einen starken Kontrast zum leidenschaftlichen 1. Satz; er mutet an als Überleitung zum 3. Satz. Das Andante grazioso des 3. Satzes spielt auf wirkungsvolle Weise mit dem Wechsel zwischen Drei-und Zweitaktigkeit. Das Hauptthema des Finales fasziniert durch seine energetische Leidenschaftlichkeit, gepaart mit sprudelnden Rhythmen. Doch diese Impulsivität wird immer wieder durch klangliche Eintrübungen unterbrochen, was für Brahms´ Spätstil charakteristisch ist. Erst die Coda schafft Versöhnung und endet nach einer Schlusssteigerung in C-Dur. Über op. 101 schrieb Clara Schumann im Juni 1887 in ihr Tagebuch: „Welch ein Werk ist das! Genial durch und durch in der Leidenschaft, der Kraft der Gedanken, der Anmut, der Poesie! Noch kein Werk von Johannes hat mich so ganz und gar hingerissen, so sanft auch bewegt der zweite Satz, der ganz wunderbar poetisch ist. Wie glücklich war ich heute Abend wie lange nicht.“ 9 ___________________________________________________ 5. HFM-Woche der Kammermusik Johannes Brahms Sextett für zwei Violinen, zwei Violen und zwei Violoncelli G-dur op. 36 Allegro non troppo Scherzo, allegro non troppo, presto giocoso Poco adagio Poco allegro Yuki Janke und Valentina Pilny, Violine Jone Kaliunaite und Indre Zelenyte, Viola Gustav Rivinius und Theresia Rosendorfer, Violoncello Brahms sagte einem Freund in der Zeit, als das Streichsextett entstand: „Da habe ich mich von meiner letzten Liebe losgemacht.“ Die Rede war von Agathe von Siebold, einer jungen Sängerin, in die sich Brahms nach seiner schmerzhaften Trennung von Clara Schumann Hals über Kopf verliebte und die er sogar heiraten wollte. Auch wenn die Widmung nicht im Titel des Werks vermerkt ist, so ist sie deutlich im Seitenthema des 1. Satzes als Motiv erkennbar: a-g-a-h-e. Doch wäre es zu banal, Opus 36 ausschließlich darauf zu reduzieren. Die Besonderheit des Werks ist eine vorherrschende Introvertiertheit - weit weg von den sehr orchestralen Tönen, die noch im ersten Streichsextett angeschlagen wurden. Brahms nutzt den instrumentalen Klang lediglich zur Verwirklichung seiner motivischen Ideen und Variationen. Und diese sind auf Vereinheitlichung und Konzentration hin angelegt. Das Ende des 1. Satzes bereitet den Themenkopf des Scherzos vor, seine Anfangsphrasen tauchen als motivische Varianten zu Beginn des 3. Satzes wieder auf. Eine zentrale Rolle spielt auch der Kontrapunkt, der in Form einer Fuge sowohl im 2. als auch im 4. Satz in Erscheinung tritt. Die polyphone Technik lässt Brahms auch im 3. Satz nicht aus, wie die dritte Variation zeigt: Sie ist als mehrstimmiger Kanon gesetzt. Bedeutend - vor allem für den 1. Satz - ist der harmonische Farbenreichtum, der seinen Ursprung bereits in den ersten Takten findet. Die mediantische Wendung G-Es-G ist der Impuls für die auslandend harmonische Verarbeitung in der Durchführung. Der 2. Satz – von Brahms als Scherzo bezeichnet – steht entgegen aller Tradition im 2/4 Takt und zeigt eher Intermezzo-Charakter. Erst das Presto weist einen Scherzo-Gestus auf. Das Finale wirkt entzweit und hebt sich von den ersten drei Sätzen ab; die einzelnen Stimmen wirken wie in einem heftigen Wettstreit: Polyphone Verzahnungen und rhythmische Verwirrungen treiben diesen zum Höhepunkt. Bedenkt man, dass zwischen der Entstehung des Poco Allegro und den ersten drei Sätzen neun Monate lagen und in dieser Zeit Brahms´ Mutter verstarb, mag die Struktur dieses letzten Satzes nachvollziehbar erscheinen. - PAUSE - Podiumsgespräch: Prof. Dr. Stefan Litwin (Hochschule für Musik Saar) und Dr. Andreas Bayer (Hochschule der Bildenden Künste Saar) über „Pierrot Lunaire“ 10 „Brahms, der Fortschrittliche“ _______________________________________________________ Arnold Schönberg „Pierrot Lunaire“ Dreimal sieben Gedichte aus Albert Girauds »Pierrot lunaire« (1912 - Übers.: Otto Erich Hartleben) für eine Sprechstimme, Klavier, Flöte (auch Piccolo), Klarinette (auch Bassklarinette), Geige (auch Bratsche) und Violoncello op.21 Mondestrunken - Columbine - Der Dandy -Eine blasse Wäscherin - Valse de Chopin - Madonna Der kranke Mond - Nacht - Gebet an Pierrot - Raub - Rote Messe - Galgenlied - Enthauptung - Die Kreuze Heimweh - Gemeinheit - Parodie - Der Mondfleck - Serenade - Heimfahrt (Barcarole) -O alter Duft Stefan Litwin, Leitung Nadja Steinhardt, Sprechstimme Henrike von Heimburg, Klavier Elisabeth Hartschuh, Flöte (auch Piccolo) Antonia Uerschels, Klarinette (auch Bassklarinette) Marie Pospichalova, Violine Andre Généreux, Bratsche Thomas Auner, Violoncello Die Commedia dell´arte - auch als italienische Stehgreifkomödie bekannt – war gerade im 16. Jahrhundert äußerst populär. Figuren wie Harlekin, Pantalon und Colombine repräsentieren durch ihre standardisierten Kostümierungen und Maskierungen bestimmte Charaktere. Eine der bekanntesten Figuren ist wohl Pierrot. Nach dem Niedergang der Commedia dell´arte gab es im 18. Jahrhundert in Frankreich erste Bemühungen, gerade die Figur des Pierrot zurück auf die Bühne zu holen. In Komödien Molières, der Opéra comique, in zahlreichen Theaterstücken oder als Figur der Pantomime konnte sich Pierrot allmählich etablieren. Kennt man ihn heute als eine Figur mit melancholischen Zügen, so interpretiert ihn Albert Giraud als ambivalenten Typus für seinen1884 erschienenen Gedichtszyklus Pierrot lunaire: Rondels bergamasques. Auf Anregung der Schauspielerin Albertine Zehme machte sich Schönberg daran, 21 – genau genommen drei mal sieben – Gedichte des Zyklus´ zu vertonen. Schönberg baute erstmals eine melodramatische Sprechstimme in eine seiner Kompositionen ein, weil sich laut Albertine Zehme „die Singstimme nicht zu starkem Gefühlsausbruch eignet.“ Die Sprechkunst stand gerade in diesen Jahren als Symbol für Bereiche des Traums, des Übersinnlichen und Metayphysischen. Girauds Gedichte stehen außerdem in der tradierten Rondelform, in der sich der 1. Vers als 7. und 13. wiederholt und der 2. Vers an 8. Stelle wiederkehrt. Diese besondere Strophenform lässt zahlreiche Bezugsmöglichkeiten zu, gerade weil die Besetzung von fünf „autonomen“ Instrumentengattungen eine gewisse Vielfalt bietet. „Die Klänge werden hier ein geradezu tierisch unmittelbarer Ausdruck sinnlicher und seelischer Bewegungen.“ Die „Farbe ist alles, die Noten gar nichts.“ (Schönberg). So repräsentieren die Melodieinstrumente nicht nur klangliche Bereiche, sondern stehen auch für bestimmte inhaltliche Sphären. Die Flöte beispielsweise ist eng mit dem Bereich des Mondes verbunden, das Piccolo mit Handlungen des Pierrot, das Cello hingegen mit melancholischen und sentimentalen Äußerungen. Inhaltlich ist Schönbergs Plan so angelegt, dass er 11 ___________________________________________________ 5. HFM-Woche der Kammermusik drei große Abteilungen schafft, wobei die erste für die Thematik des Künstlers und die Gleichsetzung des Mondes mit dessen innerer Gedankenwelt steht. Der zweite Teil trägt schaurige Züge, was durch den ausgiebigen Gebrauch polyphoner Formen zum Ausdruck kommt. Im dritten Teil fasst Pierrot in der Erinnerung an seine Heimat neuen Mut und das Werk schließ mit der „Heimfahrt“ nach Bergamo. Wegen des „historischen“ Stoffs bricht Schönberg die Atonalität des Stücks und nimmt Bezüge auf tradierte Formen wie Fuge, Passacaglia, Kanon, Variation, Barcarole, Polka und Walzer. Doch nicht nur im Formbereich greift Schönberg auf alte Muster zurück; auch im melodischen, harmonischen und rhythmischen Bereich kristallisieren sich semantische Bezüge heraus. Diese Mischung aus tradierten Mustern und neuen Techniken verhalf dem Werk von Anfang an zu enormem Erfolg. Jedoch erinnert sich Eduard Steuermann, Pianist bei der Uraufführung schmunzelnd an die Proben mit Albertine Zehme: „Was mich betrifft, so werde ich nie diese Wochen und Monate vergessen, wenn alle paar Tage die Acht-Uhr-Post mir handgeschriebene Blätter eines neuen Stückes von dem Werk brachte. Fieberhaft probierte ich es am Klavier und eilte in das Studio von Frau Zehme mit der ziemlich schwierigen Aufgabe, es mit ihr zu studieren. Sie war eine intelligente und künstlerische Frau, aber von Beruf Schauspielerin und nur so musikalisch wie die gut erzogenen deutschen Damen dieser Zeit. Ich erinnere mich, wie ich sie manchmal, verzweifelnd, ob ich ihr jeden genauen Unterschied zwischen Dreiviertel- und Vierviertelrhythmus beibringen würde, bat, ein paar Takte eines Walzers und dann einer Polka zu tanzen, in immer kürzeren Abständen zwischen beiden wechselnd und schließlich die ersten Takte des ‚Dandy‘ versuchend.“ Freitag,15. Juni 2012 | 18.00 Uhr Johannes Brahms Trio für Horn, Violine und Klavier Es-dur op.40 Andante - poco animato Scherzo. Allegro Adagio mesto Allegro con brio Marius Meisterjahn, Horn Marie Pospichalova, Violine Young-Wha Jeon, Klavier Über die Entstehung des Horntrios ist so gut wie nichts bekannt, was angesichts der ungewöhnlichen Besetzung durchaus verwundert. Wahrscheinlich ist Brahms Motivation beim Instrument als solchem zu suchen: Durch seinen warmen, vollen Klang und seine Fähigkeit Nähe und Entfernung zum Ausdruck zu bringen, galt das Horn als die musikalische Stimme romantischer Weltanschauung und fand nicht nur unter den Musikern viele Bewunderer. In zahlreichen Gedichten Eichendorffs steht das Horn als Metapher für Fernweh, Tod, Sehnsucht und Naturverbundenheit. Vielleicht waren solche Topoi der Grund dafür, dass Brahms solch eine ungewöhnliche Besetzung wählte, war doch drei Monate vor der Entstehung des Werkes Brahms´ Mutter verstorben. Um dem weichen Hornklang nahe zu kommen, forderte Brahms in der Partitur auch ein Naturhorn statt des modernen Ventilhorns. Brahms geht es 12 „Brahms, der Fortschrittliche“ _______________________________________________________ in op. 40 nicht vorrangig um das virtuose Spiel, sondern um den besonderen, sich von den anderen Instrumenten abhebenden Klang, der die Trauer um einen geliebten Menschen zum Ausdruck bringt. Besonderheiten weist vor allem der 1. Satz auf. Grundsätzlich stützen sich Brahms‘sche Kopfsätze bis dahin auf eine stabile Formkonzeption, wie die der Sonatenform. Doch hier ist die Tendenz zur Formauflösung klar erkennbar: Brahms nimmt von der Sonatenform Abstand und schafft eine Art Reihungsform: Mit seiner locker gefügten Struktur hat dieser Satz Ähnlichkeit mit einer Fantasie. Ungewöhnlich ist auch der ausschließlich auf die Begleitfunktion begrenzte Klavierpart. Das Scherzo als dreiteilige Form mit Trio, das schwermütige Adagio als Trauergesang und das Finale in Sonatenform wirken im Gegensatz zum ersten Teil wesentlich vertrauter. Schon zu Zeiten Brahms´ stellte dieses Trio höchste Anforderungen an den Hornisten, sodass Clara Schumann 1866 nach einer Aufführung an Brahms schrieb: „ Dein Trio hatten wir schön einstudiert, und der Hornist war vortrefflich! Ich glaube er hat nicht einmal gekiekst, und das will doch viel sagen; freilich hatte er das Ventilhorn, zum Waldhorn war er nicht zu bringen!“ Johannes Brahms Quartett für Klavier, Violine, Viola und Violoncello c-moll op. 60 Allegro non troppo Scherzo. Allegro Andante Finale. Allegro comodo Et Arsis-Quartett Hristina Taneva, Klavier Velislava Taneva, Violine Ainis Kasperavičius, Viola Diego Hernández Suárez, Violoncello Obwohl bei Brahms‘schen Kompositionen eine lange und komplizierte Entstehungsgeschichte keine Seltenheit ist, ist sie beim Klavierquartett op. 60 dennoch außergewöhnlich. Die erste Fassung entstand bereits mit den ersten beiden Quartetten in den 1850er Jahren. Die abgeschlossene Komposition schickte er 1874 einem Freund mit folgenden Worten: „Das Quartett wird bloß als Kuriosum mitgeteilt! Etwa eine Illustration zum letzten Kapitel vom Mann im blauen Frack und gelber Weste.“ Gemeint es Goethes Werther. Dieser Hinweis verwundert, da Brahms so gut wie nie außermusikalische Bilder zum besseren Werkverständnis gebraucht und wenn, sind diese eher humorvoll zu betrachten. Aber gepaart mit den Zeilen an Simrock wird offensichtlich, wie ernst es Brahms meint. „Außerdem dürfen sie auf dem Titelblatt ein Bild anbringen - nämlich einen Kopf - mit der Pistole davor. Nun können sie sich einen Begriff von der Musik machen!“. Diese Musik ist düster, schmerzerfüllt und melancholisch. Brahms hält mit außergewöhnlicher Stringenz an der Tonart c-moll fest. Der 1. Satz beginnt mit Seufzermotiven in den Streichern. Das Klavier gibt immer wieder neue Impulse, die die erschütternde Dramatik vorantreiben: Der pochende Schmerz wird durch das liebliche Seitenthema zwar für einen Moment unterbrochen, doch in der Reprise wirkt auch dieses wehmütig und nimmt im abschließenden Fugato geradezu beklemmende Züge an. Das Scherzo kann durch jagende Rhythmen, Akzentuierungen und weitreichende Dynamik als Steigerung des ersten Satzes gelten. Der 3. Satz schließt sich dem in unendlicher Schönheit an. Transzendental entrückt scheinen die Streicher zu schweben. Doch angesichts der vorangegangenen Tragödien und der bevorstehenden „Katastrophe“ weckt auch das Andante keine Hoffnung auf Erlösung, sondern verstärkt den 13 ___________________________________________________ 5. HFM-Woche der Kammermusik Schmerz bis an die Grenze des Erträglichen. Erinnert man sich beim Finale an die Werther-Reminiszenz, ist die entgegen jeder musikgeschichtlichen Tradition geradezu „scheiternde“ Form nachvollziehbar. So heißt es im letztes Kapitel: „Er lag gegen das Fenster entkräftet auf dem Rücken, sein Gesicht schon wie eines Toten, er rührte kein Glied. Die Lunge röchelte noch fürchterlich, bald schwach, bald stärker; man erwartete sein Ende.“ - PAUSE - Arnold Schönberg Quartett für zwei Violinen, Viola und Violoncello D-dur (1897) Allegro molto Intermezzo. Andantino grazioso Andante con moto Allegro - Presto Theresa Clauberg, Violine Daniel Stoll, Violine André Généreux, Viola Mario Blaumer, Violoncello „Meine Originalität kommt daher, daß ich alles Gute, das ich gesehen, sofort nachgeahmt habe.“ (Schönberg). Schönbergs erstes Streichquartett D-Dur steht noch unverkennbar in der Tradition der großen Streichquartette des 19. Jahrhunderts. Doch von einer reinen Nachahmung zu sprechen, wäre nicht angebracht. Obwohl Schönberg in dieser Zeit Mozart, Brahms, Beethoven und Dvorák zu seinen Vorbildern zählte und das Quartett D-Dur nach eigener Aussage unter dem Einfluss Dvoráks und Brahms´ steht, ist man dennoch keineswegs einer Analyse enthoben. Mit beschwingtem Gestus eröffnen die Streicher im unisono den Kopfsatz, der rein formal betrachtet ein Musterbeispiel eines Sonatenhauptsatzes darstellt. Auf kleinerer Ebene sind jedoch Prinzipien erfassbar, die eng mit der Brahms´schen motivisch-thematischen Verarbeitungstechnik verbunden sind, welche Schönberg später als „entwickelnde Variation“ bezeichnen wird. Melodisch findet man Anklänge an Dvoráks „Amerikanisches Streichquartett“. Schönberg stellt gerade in der Exposition viele thematische Gruppen nebeneinander, die er durch motivische Entwicklung miteinander verbindet. Dieses Prinzip legt Schönberg auch allen anderen Sätzen zu Grunde. Der 2. Satz - ein Intermezzo - greift vor allem die Klangfarbe Brahms´ auf. Alle Streicher spielen mit Dämpfer, was den verhaltenen Klang und schwebenden Charakter dieses Satzes unterstreicht. Das Thema des 3. Satzes ist einzigartig in der Variationstradition. Völlig unbegleitet gestaltet das Cello das erste Thema, wodurch die harmonische Ausrichtung des Satzes völlig in der Schwebe bleibt. Das harmonische Fundament klärt sich erst mit dem Hinzutreten der Bratsche, die eine kontrapunktische Linie zum Cello gestaltet. Diese stark polyphone Technik setzt sich im gesamten Satz durch. Das mitreißende Hauptthema des Finalsatzes hat aufgrund seiner folkloristischen Elemente ebenso wie der 1. Satz Gemeinsamkeiten mit Dvoráks Streichquartett. Das überschäumende Sonatenrondo gibt dem Werk einen fulminanten Abschluss. So kann man dieses Streichquartett ambivalent betrachten: Zum einen steht es für Schönbergs Verständnis der Traditionen Brahms´ und Beethovens, zum anderen ist die Tendenz, sich von diesen Konventionen zu lösen und etwas Neues zu schaffen, ganz deutlich zu spüren. 14 „Brahms, der Fortschrittliche“ _______________________________________________________ Johannes Brahms Quintett für Klavier, zwei Violinen, Viola und Violoncello f-moll op.34 Allegro non troppo Andante, un poco Adagio Scherzo. Allegro Allegro non troppo Kristin Merscher, Klavier Yuki Janke, Violine Lorenz Blaumer, Violine Jone Kaliunaite, Viola Gustav Rivinius, Violoncello Opus 34 ist eines der üppigsten Kammermusikwerke Brahms: Seine orchestrale Klanggestaltung übertrifft bei Weitem alles, was man bisher von ihm kannte. Vor allem im ersten Satz fallen die häufigen Unisono-Passagen der Streicher auf, die ein eigenartiges Klangbild ergeben, so als solle eine bestimmte Aussage unterstrichen werden. Im Gegensatz zum expressiven 1. Satz klingt der 2. verhalten, fast verschleiert. Das thematische Material ist durch kontrapunktische Stimmgestaltung und besondere Rhythmik nicht beim ersten Hören zu fassen. Der im Dreivierteltakt gehaltene Satz wirkt wie ein bruchstückhafter Walzer. Brahms war in diesen Jahren gerade erst nach Wien gekommen, nicht selten spricht man vom „Wiener Gestus aus Sicht des Norddeutschen.“ Das Scherzo triftet nicht wie andere Scherzi bei Brahms vom eigentlichen Charakter ab, sondern kann als Paradebeispiel gelten; bohrende Rhythmen im Klavier, zahlreiche Synkopen in den Streichern und expressive Thematik, die durch Akkordpassagen immer mehr gesteigert werden. Im Anschluss daran wirkt die langsame Einleitung des Finalsatzes geradezu kontemplativ und ihr lamentohafter Charakter prägt den gesamten Rondosatz. Opus 34 ist somit ein wahres Feuerwerk an klanglicher Vielfältigkeit. Vielleicht erklärt dies die lange Unentschlossenheit Brahms in Bezug auf die Besetzung. Zuerst als Streichquintett mit zwei Celli konzipiert, schrieb er es später zur Sonate für zwei Klaviere um. Doch bald wird er den weichen Streicherklang vermisst haben und fand nicht zuletzt auf Anraten Clara Schumanns zur endgültigen Besetzung. 15 ___________________________________________________ 5. HFM-Woche der Kammermusik Samstag, 16. Juni 2012 | 18.00 Uhr Johannes Brahms Sonate für Klavier und Violoncello F-dur op. 99 Allegro vivace Adagio affettuoso Allegro passionato Allegro molto Henrike von Heimburg, Klavier Thomas Auner, Violoncello Brahms´ zweite Cellosonate gehört zu seinen meist gespielten KammermusikWerken und wird auf Grund ihres pathetischen Charakters und ihrer Formstrenge oftmals in die Nähe Beethoven‘scher Kompositionen gerückt. Trotz ihrer klaren formalen Struktur stellt diese Sonate hohe Anforderungen an die Auffassungsgabe des Hörers. Gerade der 1. Satz repräsentiert das entwickelnde Formprinzip Brahms´ in besonderem Maße. Arnold Schönberg hat sich in einem Rundfunkbeitrag über seine eigenen Orchestervariationen op. 31 auf das Hauptthema dieses 1.Satzes bezogen. „Als Beispiel eines rasch entwickelnden Themas – Sie erwarten gewiß nun, daß ich Ihnen ein extrem modernes Thema nennen werde, aber Sie irren – ich nenne Brahms, F-Dur-Cellosonate. Und dieses Thema entwickelt sich zu allem Unglück zu rasch, und seine Motivik ist fast nicht durch das Ohr, sondern erst auf dem Papier zu enträtseln.“ Zwar wird man vollends von der Leidenschaftlichkeit dieses Satzes gefangen genommen, doch auf Grund der vielen rhythmischen Verschiebungen, schwer eingängiger Intervallfolgen und variierender Zwei- und Dreitongruppierungen ist dieser Satz nur schwer verständlich. Der 2. Satz hält an der starken Expressivität des 1. Satzes fest, welche für Brahms´ Spätwerk in solcher Beharrlichkeit eher ungewöhnlich ist. Das Klavier eröffnet mit einer Kantilene, in die das Cello im warmen, tiefen Register einsetzt. Und von da an entwickelt sich ein tiefgehendes, geradezu anrührendes Intermezzo zwischen Klavier und Cello. Die Eckteile des 3. Satzes (Allegro passionato) verkörpern eine enge Verstrickung von Cello- und Klavierpart, die tragische Züge annimmt. Der kontrastierende, friedvolle Mittelteil in Dur spiegelt die andere Seite des Passionato wider. Liebe und Schmerz, Hingabe und Enttäuschung liegen in diesem Satz nicht weit auseinander. Das Hauptthema des 4. Satzes greift auf ein patriotisches Studentenlied zurück, welches Brahms bereits im Schlusssatz seiner 1. Sinfonie verarbeitet hat: „Ich habe mich ergeben, mit Herz und Hand“. Später hat Gustav Mahler dieses Thema in seine 3.Sinfonie mit aufgenommen. Wahrscheinlich wollte er damit genauso auf Brahms Bezug nehmen, wie Brahms mit diesem letzten Sinfoniesatz auf Beethovens Neunte. Auf Fragen hinsichtlich dieser Adaption äußerte er sich seinerzeit ironisch: „Jawohl, und noch merkwürdiger ist, daß das jeder Esel gleich hört!“. 16 „Brahms, der Fortschrittliche“ _______________________________________________________ Arnold Schönberg Kammersymphonie op.9 in der Fassung für Klavierquintett von Anton Webern (in einem Satz) Christoph Maisch, Flöte Nathalie Ludwig, Klarinette Inna Maslova, Violine Thomas Auner, Violoncello Grigor Asmaryan, Klavier „1906. Webern kam vom Urlaub zurück, sah Kammersymphonie, sagte er habe darüber nachgedacht, wie moderne Musik sein soll. Er sähe, daß die Kammersymphonie diesem Gedanken entspreche.“ (Schönberg). Für Anton von Webern, einem Schüler Schönbergs, ging von dem Werk solch eine Faszination aus, dass er eine Transkription für Klavierquintett verfasste. Doch was macht das Opus 9 zum „Schlüsselwerk“ der Neuen Musik? Schönberg äußerte gleich nach Fertigstellung seiner 1. Kammersymphonie: „Jetzt habe ich meinen Stil begründet. Ich weiß jetzt, wie ich komponieren muß.“ Und wahrhaftig hat Schönberg mit diesem Werk grundlegende Neuerungen geschaffen. Das Werk kann sozusagen als Schnittstelle gelten: Es steht für das letzte einsätzige Werk von Schönbergs tonaler Phase, dennoch zeigen sich in ihm erste Merkmale einer Technik, die viel später als dodekaphonische Prinzipien ausformuliert wurden. Es ist auf der einen Seite eine Symphonie, auf der anderen Seite Kammermusik. Das Werk vereint, trotz seiner Einsätzigkeit, alle Formen einer Symphonie: Mit der Folge Exposition – Scherzo – Durchführung – Adagio – Reprise weitet Schönberg die Sonatenformstruktur auf das gesamte Werk aus und verknüpft durch die Wiederholung der „Hauptthemen“ auch das Rondo indirekt mit dieser Struktur. Ausdrücklich als Werk für 15 Soloinstrumente bezeichnet, suggeriert dies die stark kammermusikalische Faktur des Werkes. Gerade die wollte Webern in seiner Transkription in der „traditionellen“ Kammermusikbesetzung des Klavierquintetts spezifisch herausarbeiten. Das mehrdimensionale Denken äußert sich außerdem in der Fülle des thematischen Materials (Alban Berg entdeckte in seiner Analyse 20 Themen) und der ausladenden Harmonik (Dur-Moll-Tonalität, Ganzton- und Quartenharmonik). Gerade diese Aspekte der „Unterschiedlichkeit in der Einheit“ unterscheiden das Werk zum einen von vielen zeitgenössischen Kompositionen dieser Zeit, die fast ausschließlich auf Kontrast hin ausgerichtet waren und zum anderen von spätromantischen Orchesterwerken. Schönberg glaubte, dass mit Opus 9 „alle Probleme gelöst wären, sodaß ein Weg aus den verwirrenden Problemen gewiesen wäre, in die wir jungen Komponisten durch die harmonischen, formalen, orchestralen und emotionalen Neuerungen Richard Wagners verstrickt waren.“ In der Tat herrschte gerade innerhalb des Schönberg-Kreises Begeisterung über das Werk, und die Uraufführung war trotz scharfer Anwürfe der konservativen Musikkritiker ein Triumph über die Gegner des Werkes. Dennoch gestaltete es sich schwierig, geeignete Aufführungsmöglichkeiten zu finden: war Schönberg doch der Überzeugung, dass das Werk erst durch häufige Proben und mehrmaliges Hören verstanden werden könne. Im Rahmen dieser Konflikte entstand der berühmte „Verein für musikalische Privataufführungen“, der die Aufführungspraxis der Neuen Musik begründete. „Das ist ja nicht ein Werk wie ein anderes. Das ist ein Markstein der Musik, genug für eine ganze Generation.“ (Alban Berg). - PAUSE - 17 ___________________________________________________ 5. HFM-Woche der Kammermusik Johannes Brahms Sonate für Klavier und Violine d-moll op.108 Allegro Adagio Un poco presto e con sentimento Presto agitato Svetlana Kosenko, Klavier Inna Maslova, Violine Mit Klaviermusik hat Brahms seine kompositorische Tätigkeit begonnen und mit dem Klavier endet sein Oeuvre. Brahms schrieb in den letzten Jahren seines Schaffens zwar keine Klaviersonaten mehr, aber in seinen Instrumentalsonaten - so auch in den Violinsonaten (alle ausdrücklich als Sonaten für Klavier und Violine betitelt) - dominiert das Klavier oder es tritt der Violine zumindest als ebenbürtiger Partner gegenüber. Die Sonate op. 108 gilt als die technisch anspruchsvollste der insgesamt drei Violinsonaten Brahms´ . Sie ist virtuos, zugleich leidenschaftlich und spannungsgeladen. Teile der Sonate sind bereits im Sommer 1886 entstanden als Brahms noch an der zweiten Violinsonate op. 100 und der Cellosonate op. 99 arbeitete. So verwundert es nicht, dass sich Bezüge zwischen diesen drei Werken herstellen lassen. Theodor Billroth, ein Freund Brahms´ bemerkte: „Sehr verwandt sind die D-mollSonate und die F-dur-Cellosonate. Brüder, fast Zwillinge, doch beide kräftig.“ Die Eröffnungstakte des 1. Satzes gründen auf Motiven aus dem 1. Satz der Cellosonate und lassen sich im 2. Satz der Violinsonate op. 100 wieder finden. Der 1. Satz weicht wie viele späten Kopfsätze Brahms´ von der festen Sonatenform ab. Extreme Veränderung erfährt vor allem der Durchführungsteil. Seine eigentliche Aufgabe liegt normalerweise in der motivisch-thematischen Verarbeitung des Expositionsmaterials und der zielgerichteten Hinführung zur Reprise. Brahms setzt diesen steigernden Verlauf gänzlich außer Kraft. Die gesamte Durchführung entfaltet sich über einem Orgelpunkt und verweigert sich so jeglicher harmonischen Entfaltung. Die beiden äußerst kurzen Mittelsätze hat Brahms wie in vielen anderen Werken vertauscht. Auf das elegische, an eine Kavatine erinnerndes Adagio, folgt ein flüchtiges Scherzo, dessen Melodien nur kurz angerissen werden. Kaum scheint sich eine gesangliche Linie zu entwickeln, wird diese durch rhythmisch unruhige Passagen unterbrochen. Dieser ständige Wechsel verleiht dem Satz einen ironischen Charakter. Doch den Höhepunkt bildet unstrittig der rhapsodische Finalsatz. Die leidenschaftliche Dramatik dominiert den gesamten Satz und bleibt auch in den wenigen lyrischen Momenten spürbar. Eduard Hanslick empfand ihn als „eine wie heiße Lava hinströmende Tonflut“. 18 „Brahms, der Fortschrittliche“ _______________________________________________________ Johannes Brahms Serenade Nr. 2 für 14 Instrumente A-dur op.16 Allegro moderato Scherzo. Vivace Adagio non troppo Quasi Menuetto Rondo. Allegro Gaby Pas-Van Riet, Christoph Maisch und Marie Puzzuoli, Flöte Stephane Egeling und Han Wang, Oboe Johannes Gmeinder und Simone Weber, Klarinette Guilhaume Santana und Soo-Yeon Kim, Fagott Ludwig Rast und Liu Yang Ma, Horn Ainis Kasperavicius, Viola Woolee Jang, Violoncello Wolfgang Harrer, Kontrabass Die Gattung der Serenade hat eine lange Tradition, die über die reinen Bläserserenaden in Freiluftoder Harmoniemusiken bis hin zu den reinen Streicherserenaden bei Beethoven (Septett) und Schubert (Oktett) reicht. Selbst wenn jene ihre Werke nicht explizit als Serenaden bezeichneten, können ihre Kompositionen dennoch zu dieser Tradition gezählt werden. In der Romantik haben Komponisten wie Strauss und Elgar diese Gattung wiederentdeckt und sich den verschiedenen Besetzungstraditionen angeschlossen. So auch Brahms: Unter dem Eindruck der hervorragenden Bläser der Hofkapelle Detmold ließ er sich zu dieser Komposition inspirieren und nutzte diese „leichtere“ Gattung, um Klangexperimente in Bezug auf die Mischung von Bläsern und Streichern zu wagen. Der Kopfsatz stellt die Bläser- der Streichergruppe antithetisch gegenüber. Mit den einleitenden Bläsern mischen sich die „dunklen“ Streicherklänge äußerst homogen, denn Brahms hat in Opus 16 keine Violinen gesetzt. Hauptgestaltungsmittel des Kopfsatzes ist die Sequenzierung des Hauptthemas. Zu dieser einfachen - aber gerade deshalb so geschickt gearbeiteten - melodischen Gestaltung kommt der Brahms´sche Einfallsreichtum im rhythmischen Bereich: So mischen sich in diesem Satz rhythmische Vielfalt und melodische Schlichtheit. Im 2. Satz - einem Scherzo mit Trio - dominiert der rhythmische Aspekt. Obwohl das Scherzo im Dreivierteltakt gesetzt ist, sind die Themen fast durchgängig hemiolisch notiert, was dem Ganzen herbe Züge verleiht. „Was soll ich Dir über das Adagio sagen? Mir ist dabei, als könnte ich kein Wort finden für die Wonne, die mir dies Stück schafft, und nun will ich recht viel hören! Es ist wunderbar schön!“, so schreibt Clara Schumann an Brahms. Die Ausgeglichenheit des 3. Satzes ist vor allem durch den formalen Aufbaus des A-Teils geprägt. Dieser basiert auf einem zweitaktigen, leichmäßig rhythmisierten Bassthema und besitzt somit eine Chaconne-artige Struktur. Gattungsabweichungen gibt es auch im darauf folgenden Quasi Menuetto und Trio, was das Wörtchen „quasi“ zu suggerieren scheint. Trotz einfacher Da-Capo-Form weist der Satz manche Eigenheiten in Bezug auf Metrik, Rhythmus, Harmonik und Thematik auf und wirkt so „eher nachdenklichlaunisch als unmittelbar tänzerisch“(Brahms-Handbuch). Das Rondo setzt auf den Dialog zwischen den einzelnen Gruppen: Instrumentale Soli heben sich immer wieder zwischen einzelnen 19 ___________________________________________________ 5. HFM-Woche der Kammermusik Tuttieinwürfen hervor. Auch der Kontrast zwischen dem vitalen, geradezu sprudelndem Refrain und den eher lyrischen Couplets macht dieses Spannungsverhältnis spürbar. Als Brahms später die Serenade op.16 für zwei Klaviere arrangierte, konnte man die Begeisterung über sein Werk in den folgenden Worten förmlich spüren: „Mit solcher Lust habe ich selten Noten geschrieben, die Töne drangen so liebevoll und weich in mich, dass ich durch und durch heiter war.“ Sonntag, 17. Juni 2012 | 11.00 Uhr Johannes Brahms Sonate für Klavier und Violine A-dur op.100 Allegro amabile Andante tranquillo - Vivace Allegretto grazioso (quasi andante) Min-Jeong Kang, Klavier Theresa Clauberg, Violine Die A-dur-Sonate ist ebenso wie Opus 99 und Opus 101 in der Schweiz am Thuner See entstanden - Brahms´ Sommerdomizil im Jahr 1886. Er scheint bei den Satzbezeichnungen Amabile, Tranquillo und Grazioso von der Schönheit und Idylle dieser Landschaft angeregt worden zu sein. Oder stehen sie eher in einem Zusammenhang mit Brahms´ Äußerung, die Sonate sei „in Erwartung der Ankunft einer geliebten Freundin“ entstanden? Eines ist jedoch offensichtlich oder besser gesagt offen „hörbar“: Die Sonate op. 100 ist introvertierter, lieblicher und lyrischer als die anderen beiden in diesem Sommer entstandenen Werke. Dies kommt nicht nur in den einzelnen Sätzen zum Ausdruck, sondern auch in der Gestaltung der Satzübergänge. „Was haben sie da Liebes und Behagliches gemacht, das ist ja eine wahre Liebkosung, das ganze Stück, und mit welcher Freude begrüßte und umarmte ich im ersten Satz die Melodie, des Klaus Groth‘schen Liedes!“, so schreibt Elisabet von Herzogenberg an Brahms. Die Melodie, die sie im ersten Satz erkannt hat, ist das Brahms‘sche Lied „Wie Melodien zieht es mir leise durch den Sinn“, welches Brahms im Seitenthema des 1. Satzes verarbeitet. Brahms hat dieses Lied für Hermine Spies geschrieben, eben jene „geliebte Freundin“, die er in Thun erwartete. Auch im Hauptthema des I. Satz sind einige Liedmotive erkennbar, nämlich Motive aus dem „Preislied“ Walther von Stoltzings aus Wagners „Meistersingern von Nürnberg“. Aber genau genommen erinnern nur die ersten drei Akkorde im 1.Takt des Klavierparts daran und es ist sehr fraglich, ob Brahms sich bewusst an Wagner orientieren wollte. Der 2. Satz lässt eine interessante Formbildung erkennen: Er verknüpft Formen des langsamen Liedsatzes und des Scherzos. Dieses Zweierpaar – deutlich unterscheidbar anhand der Taktart und des Charakters – erklingt drei Mal: Die erste Wiederholung variiert die einzelnen Formteile, in der zweiten Wiederholung werden beide stark verkürzt. Hat man den stürmisch-leidenschaftlichen Finalcharakter der meisten Brahms´schen Schlusssätze im Ohr, wundert man sich über dieses Allegretto grazioso, quasi Andante. Auch Elisabet von Herzogenberg und der Geiger Joseph Joachim wunderten sich, als sie diesen Schlusssatz das erste Mail hörten: „Mit dem Finale ging es uns ganz eigen: Joachim und ich hätten uns ja so gerne 20 „Brahms, der Fortschrittliche“ _______________________________________________________ ein zweites Thema gefallen lassen. Wir spitzten die Ohren und den Mund – da war´s vorüber, und das wirklich ganz schöne Hauptthema trat wieder auf.“ Die beiden vermissen ein zweites Thema in den Couplets der Rondoform dieses Finalsatzes. Das zwölftaktige Hauptthema ist in den Refrainteilen jedes Mal deutlich erkennbar, jedoch weisen die Couplets eher Durchführungscharakter auf. Doch gerade die Konzentration auf das liebliche Hauptthema macht den Grazioso-Charakter dieses Schluss-Satzes aus. Johannes Brahms aus dem Trio für Klavier, Violine und Violoncello h-Dur op.8 Allegro con brio Scherzo. Allegro molto Trio Invierno Rick Ginkel, Klavier Katharina Ginkel, Violine Daria Fussl, Violoncello Kurz vor Vollendung des ersten Brahms´schen Klaviertrios, erschien Robert Schumanns berühmter Artikel „Neue Bahnen“. Darin kündigt er Brahms als denjenigen an, „der den höchsten Ausdruck der Zeit in idealer Weise auszusprechen berufen wäre.“ Diese Verheißung stellte den damals noch weitestgehend unbekannten und selbstkritischen Brahms unter Druck. So schrieb er an Schumann: „Das öffentliche Lob, das sie mir spendeten, wird die Erwartung des Publikums auf meine Leistungen so außerordentlich gespannt haben, daß ich nicht weiß, wie ich denselben einigermaßen gerecht werden kann. Vor allen Dingen veranlaßt es mich zur größten Vorsicht bei der Wahl der herauszugebenden Sachen. Ich denke keines meiner Trios herauszugeben.“ Ob damit auch das Klaviertrio op.8 gemeint war, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. Es wurde zwar einige Monate nach dem Brief an Schumann veröffentlicht, jedoch begegnete Brahms diesem Werk sein Leben lang mit Zweifeln, weshalb er es 35 Jahre später grundlegend revidierte. Solch eine radikale Überarbeitung ist in Brahms´ Oeuvre einmalig. Somit steht Opus 8 als einzigartiges Zeugnis für die Verwebung alter und neuer musikalischer Gedanken. Brahms Spontaneität und Unbekümmertheit der Jugendzeit, welche sich in rhapsodischen Wendungen und einer romantisch-schwärmerischen Sprache wiederfinden, verbinden sich mit der klassizistischen Strenge der reifen Jahre. Vor allem der I. Satz unterlag grundlegenden Änderungen. Das impulsive Hauptthema der ersten Fassung trifft in der Überarbeitung auf ein neues Seitenthema. Gerade durch diese Gegenüberstellung wird die Janusköpfigkeit des Werkes deutlich. Das Scherzo hat Brahms unverändert in die zweite Fassung übernommen. Sein Hauptthema leitet sich aus dem Hauptthema des ersten Satzes ab, doch durch die rasenden melodischen Konturen und die scharfe Artikulation ist das nicht beim ersten Hören erkennbar. Das versonnene Trio schließt sich dem bedrohlichen A-Teil in starkem Kontrast an. Es „schwelgt in seiner betörend schönen Melodie im Volkston so unverhohlen, wie es sich Brahms später kaum noch gestattet hat.“ (Reclam). Obwohl laut Brahms dem H-dur-Trio „die Haare ein wenig gekämmt und geordnet“ wurden, lässt es den stürmisch-aufrührenden Charakter der Jugendjahre nicht missen und gelangt zu einem geschlossen Ganzen. 21 ___________________________________________________ 5. HFM-Woche der Kammermusik Johannes Brahms aus dem Trio für Klavier, Violine und Violoncello A-dur op. posth Moderato Vivace Wenzel Gummel, Klavier Eva Csizmadia, Violine Dimitris Karagiannakidis, Violoncello Hinter der Urheberschaft des vorliegenden A-dur-Trios steht ein gewisses Fragezeichen. Eine 1924 gefundene und 1938 schon wieder verlorene Abschriftensammlung enthielt es. Ein Vermerk auf den Komponisten fehlte jedoch auf den Notenblättern. Nicht einmal die Person des Abschreibers konnte ermittelt werden. Man war also gezwungen, die musikalische Analyse zur Bestimmung des Autor heranzuziehen, und ordnete das Werk schließlich dem jungen Brahms zu. Es soll um 1853 entstanden sein, als ein Vorläufer des H-dur-Trios op. 8, zu dem es einige Parallelen aufweist. Für einen echten Brahms sprechen außerdem der Klaviersatz, sowie der Motivaufbau aus kleinen Motivzellen. So perfektionistisch Brahms seine Musik konstruierte, so akribisch war er bei der Vernichtung der Werke, die er die Öffentlichkeit nicht hören lassen wollte. Mit hoher Wahrscheinlichkeit haben wir hier das Glück, eine Ahnung von den Schätzen zu bekommen, die Brahms dem Feuer überantwortet hat. Der erste Satz, Moderato, kontrastiert weite Kantilenen mit rhythmisch zuckenden Passagen. Das düstere Vivace rankt sich um einen idyllischen Kern. Der unbewegte Beginn des Lento steht einer grandiosen Entwicklung offen. Das überschwängliche Finale, Presto, kommt trotz allen Ringens um Erlösung nicht zur Ruhe. Der Herausgeber des Trios, Karl Hasse, lenkt in seinem Vorwort das Augenmerk aus die Satzfolge „langsam, schnell, langsam, schnell“, die an diejenige der „von Bach vertieften und individualisierten Kammersonate erinntert, deren Nachfolge Brahms zugleich mit der von Beethovens Sonatenart antritt“. (Text: Wenzel Gummer ) - PAUSE - 22 „Brahms, der Fortschrittliche“ _______________________________________________________ Arnold Schönberg Fantasie für Violine und Klavier op. 47 Ah-Ra Ko, Violine Yo-Han Yu, Klavier Auf Anregung des Geigers Adolf Koldofsky schrieb Schönberg im März 1949 sein letztes Kammermusikwerk, die Fantasie op.47. Die Gattung der „Fantasie“ war ihm geläufig. War Opus 47 zwar seine erste und letzte Fantasie, ordnete er sie jedoch in seinem Lehrwerk Formbildende Tendenzen der Harmonie der Rubrik „sogenannte freie Formen“ zu. Das Wort „sogenannt“ suggeriert die Unentschlossenheit über die tatsächliche „Freiheit“ dieser Form. Doch nicht nur in Bezug auf die Gattungsfrage beschäftigte sich Schönberg während der Entstehung dieses Werks spezifisch mit Titelüberlegungen. Äußerst aussagekräftig ist auch die Besetzung: Im Deutschen wird meist die gebräuchliche Übersetzung „für Violine und Klavier“ gebraucht, doch eigentlich hat Schönberg das Werk „for Violin with Piano accompaniment“ komponiert, also für Violine mit Klavierbegleitung, was einen bedeutenden semantischen Unterschied macht. Und tatsächlich ist autographen Schriften zu entnehmen, dass Schönberg zuerst den reinen Geigenpart schrieb, bevor er die Klavierbegleitung hinzu komponierte. Zwar hat Schönberg das Werk von einer horizontalen Linie ausgehend konstruiert, was für einen in einem dodekaphonischen und so durch und durch kontrapunktischen Satz durchaus ungewöhnlich ist, jedoch wird dem Klavierpart dadurch eine ganz außergewöhnlich Rolle zugesprochen: Das Klavier verdeutlicht das, was in der Violine durch schnelle Wechsel kaum hörbar war oder nimmt eine kommentierende Instanz ein. Das Stück lässt sich grob in vier Teile gliedern, die Umrisse einer Sonatenform aufweisen. Der erste motivbildende Teil stellt den sechstaktigen Hauptgedanken vor, der spiegelsymmetrisch angelegt ist. Zentral ist das rhythmisch geprägte Motiv der Geige im ersten Takt: eine Achtel mit Achtelpause und anschließender Viertelnote. Dieses taucht im Verlauf des Stückes – wenn auch teilweise variiert – immer wieder auf. Darauf folgt nach einer Überleitung zu einem vierteiligen 2.Teil der in einer Sonate den langsamen Satz darstellen würde. Es schließt sich ein Scherzando-Teil an, gefolgt von einer Coda. Schönbergs Werk besitzt kein Thema im eigentlichen Sinne und somit auch keine Entwicklung motivisch-thematischen Materials. Das harmonische und rhythmische Verhältnis der „zwölf nur aufeinander bezogenen Töne“ der Reihenstruktur lässt gerade im Rahmen der Gattung „Fantasie“ „unbegrenzte“ klangliche Möglichkeiten zu. Somit repräsentiert dieses Werk Schönbergs geistige Vorstellung von „Unbegrenztheit“ in ihrer klanglichen Realisierung. „Wenn man sich fragt, warum wir überhaupt für die Musik die Zeit messen, so kann darauf nur geantwortet werden: weil wir sie sonst nicht darstellen können. Wir messen sie, um sie uns ähnlicher zu machen, um sie zu begrenzen. Wir können nur das Begrenzte wiedergeben. Aber die Phantasie kann sich das Unbegrenzte oder wenigstens scheinbar Unbegrenzte vorstellen. Wir geben also in der Kunst immer ein Unbegrenztes durch ein Begrenztes wieder.“ (Schönberg, Harmonielehre) 23 Johannes Brahms Klarinettentrio a-moll op.114 in der Fassung für Klavier, Viola und Violoncello Allegro Adagio Go-Yun Jung, Klavier Indre Zelenyte, Viola Dae-Youn Kim, Violoncello in der Original-Fassung Andantino grazioso Allegro Torun-Trio Sara Derman, Klavier Simone Weber, Klarinette Anna Catharina Nimczik, Violoncello „Brahms Spätliebe für die Klarinette scheint zu förmlicher Brautschaft gediehen. Carl Maria von Weber und Brahms begegnen sich in der Liebe für dieses Organ schwärmerischer Romantik; sogar die Tatsache persönlicher Anregung durch einen idealen Klarinettisten. Weber hatte ihn in Baermann, Brahms in Herrn Richard Mühlfeld gefunden.“, so der Kritiker Eduard Hanslick. Richard Mühlfeld, damaliger Klarinettist der Meininger Hofkapelle, hat Brahms zu insgesamt vier Kompositionen für Klarinette angeregt. „Man kann nicht schöner Klarinette blasen, als es der hiesige Mühlfeld tut.“, verlautete Brahms gegenüber Clara Schumann und gab ihm liebevoll den Kosenamen „Fräulein Klarinette“. Diese Liebe zur Klarinette spürt man vor allem in Opus 114. Brahms gelingt eine faszinierend heterogene Mischung aus dem warmen Timbre der Klarinette und dem sanften Klang des Cellos. Zunächst beginnt das Trio erst einmal „gewöhnlich“: Ein aufsteigender Molldreiklang im Cello führt schließlich zum Grundton zurück. Dann tritt die Klarinette hinzu und dieser Anfang bekommt eine ganz andere Wendung. Mit dem gleichen Motiv wie im Cello begonnen, entwickelt sich das Motiv nun weiter und wird durch Wiederholung intensiviert. Diesmal kehrt es nicht zum Anfangspunkt zurück, sondern steigt in die Tiefen hinab, wo es langsam verklingt. Dennoch empfindet man keinen wirklichen Abschluss. Es bleibt die Frage im Raum, was nun folgen mag. Und diese wird sogleich durch eine rhythmische Bewegung im Klavier beantwortet, welche den Anstoß für die weitere Entwicklung dieses ersten Satzes gibt. Kernstück des Trios ist aber der 2. Satz, indem sich über der figurativen Thematik des Klaviers ein geradezu beseeltes Intermezzo zwischen Klarinette und Cello entwickelt. Das Andante grazioso mit seinem volkstümlichen Charakter wirkt danach fast trivial. Die ersten Takte des letzten Satzes scheinen ein stürmisches Finale zu verheißen. Doch so schnell wie sich diese sprudelnde Bewegung entfaltet, so plötzlich kommt sie auch wieder ins Stocken und das nun einsetzende zweite Thema im Cello ist durch und durch von Zurückhaltung geprägt. Wie von weit her erklingen Motive aus Brahms 4. Sinfonie. Doch diese milden Töne sind nicht von langer Dauer: In äußerster Verknappung, ohne die Themen recht zu verarbeiten, bringt Brahms diesen Satz zu einem hastigen Ende. Man spürt gerade bei diesem letzten Satz Brahms´ Zwiespältigkeit der späten Jahre. „der Mut, auf einem solchen Zweifel zu beharren, ist der eines älteren Mannes, vieles andere könnte auch von einem jungen, etwas mutwilligen Komponisten stammen. Aber dieser melancholische Schluss, gelassen wiederholte Zweifel, das ist Brahms 1891.“ (Jan Reichow)