Kapitel IV Euklidische Vektorräume §1 Elementargeometrie in der Ebene Sei E die Zeichenebene“. In der Schule lernt man: ” (1.1) Satz des Pythagoras: Sei ∆ ⊆ E ein Dreieck mit den Seiten a, b und c, und sei γ der c gegenüberliegende Winkel. Genau dann ist γ = π2 wenn a2 + b2 = c2 . γ b a c Elementargeometrische Begründung: Sei etwa b ≥ a. (i) Sei γ = π2 . Da die Winkelsumme im Dreieck gleich π ist, kann man das Quadrat mit Kantenlänge c wie folgt zerlegen: a b c 1 Das schraffierte Viereck ist dann ebenfalls ein Quadrat, mit Kantenlänge b − a. Es folgt: c2 = Fläche des großen Quadrats = Fläche des kleinen Quadrats +4 mal Fläche von ∆ = (b − a)2 + 4( 12 ab) = b2 + a2 . (ii) Sei a2 + b2 = c2 . Konstruiere ein rechtwinkliges Dreieck ∆ mit den Katheden a und b. Dann gilt nach (i) für die Hypothenuse c′ von ∆′ : c′2 = a2 + b2 . Es folgt c = c′ und somit sind ∆ und ∆′ kongruent. Also ist auch γ = π2 Kartesische Koordinaten in der Ebene E: Lege in E ein Koordinatensystem und indentifiziere so E mit R2 . x2 a pb = b . b . a x1 a Ein Punkt P ∈ E wird mit seinem Ortsvektor identifiziert. b Skalarprodukt und Abstand: x1 y1 .. .. Das Skalarprodukt hx, yi von Elementen x = . und y = . des Rn yn xn 2 ist die Zahl hx, yi := x1 y1 + x2 y2 + . . . + xn yn Man kann hx, yi auch alsMatrizenprodukt auffassen: y1 .. hx, yi = (x1 , . . . , xn ) . = xt y yn (1.2) Eigenschaften: a) hx, yi = hy, xi (Symmetrie) b) Für x, y, z ∈ Rn und λ, µ ∈ R ist hλx + µy, zi = λhx, zi + µhy, zi hx, λy + µzi = λhx, yi + µhx, zi (Bilinearität) c) Positive Definitheit: hx, xi ≥ 0 für alle x ∈ Rn ; Gleichheit gilt nur für x = 0 d) hAx, yi = hx, At yi für alle A ∈ M(n × n, R) Beweis: b) Die Regeln für die Matrizenrechnung ergeben hλx + µy, zi = (λx + µy)tz = (λxt + µy t )z = λ(xt z) + µ(y t , z) = λhx, zi + µhy, zi Die zweite Regel folgt aus der ersten mit Hilfe von a). c) hx, xi = x21 + . . . + x2n ≥ 0. Gleichheit gilt nur, falls x1 = . . . = xn = 0. d) hAx, xi = (Ax)t y = (xt At )y = xt (At y) = hx, At yi p p Definition: |x| := hx, xi = x21 + . . . + x2n heißt Betrag des Vektors + + x1 .. x = . ∈ Rn . xn 3 Wir betrachten nun den Fall n = 2 und identifizieren E mit R2 . Sind x und y Punkte in E, so ist der elementargeometrische Abstand zwischen x und y definiert als die Länge der Strecke xy, welche x und y verbindet. Schreibe dafür d(x, y). (1.3) Bemerkung: d(x, y) = |y − x|. Insbesondere ist |x| = d(0, x) der Abstand zwischen den Punkten 0 und x. Beweis: x2 . . x1 x= x2 . d = d(x, y) x2 − y2 . y = y1 y1 − x1 y2 . . x1 2 2 Nach Pythagoras (1.1) ist d2 = (y 2 − x2 ) + (y1 − x1 ) . p y − x1 Andererseits ist y − x = 1 , also |y − x| = (y1 − x1 )2 + (y2 − x2 )2 y2 − x2 √ und |y − x| = d2 = d. (1.4) Korollar: Vektoren im R2 addiert man wie Kräfte: Die Punkte 0, x, x+ y und y bilden ein (“Kräfte“–)Parallelogramm. 4 Beweis: V = (0, x, x + y, y) ist ein Parallelogramm, weil gegenüber liegende Seiten von V gleich lang sind. y. . x+y . .x 0 Nach (1.3) ist d(0, x) = |x|, d(y, x + y) = |x + y − y| = |x| und d(0, y) = |y|, d(x, x + y) = |x + y − x| = |y| (1.5) Orthogonalität und Skalarprodukt. Die Strecken 0x und 0y stehen genau dann senkrecht aufeinander, wenn hx, yi = 0. Beweis: y |x − y| |y| 0 α x |x| Nach (1.1) ist α genau dann ein rechter Winkel, wenn |x|2 + |y|2 = |y − x|2 , d.h. hx, xi + hy, yi = hy − x, y − xi = 5 = hx, xi − 2hx, yi + hy, yi, d.h. wenn hx, yi = 0. Daher definiert man generell: Vektoren x, y ∈ Rn heißen orthogonal zueinander, wenn hx, yi = 0. Schreibe dafür x ⊥ y“ ” (1.6) Die Cauchy–Schwarzsche Ungleichung |hx, yi| ≤ |x| · |y| Gleichheit gilt genau dann, wenn (x, y) linear abhängig ist. x1 y Beweis: Seien x = , y = 1 . Zeige allgemeiner, dass x2 y2 (∗) hx, yi2 = |x|2 · |y|2 − det(x, y) Daraus folgt: |hx, yh| ≤ |x|·|y|; Gleichheit gilt genau dann, wenn det(x, y) = 0, d.h. wenn (x, y) linear abhängig ist. Beweis von (∗): hx, yi2 + det(x, y)2 = (x1 y1 + x2 y2 )2 + (x1 y2 − x2 y1 )2 = x21 y12 + x22 y22 + x21 y22 + x22 y12 = (x21 + x22 )(y12 + y22 ) = |x|2 |y|2. (1.7) Dreiecksungleichung: |x+y| ≤ |x|+|y|. Ist (x, y) linear unabhängig, so ist |x + y| < |x| + |y|. Beweis: |x + y|2 = |x|2 + 2hx, yi + |y|2 ≤ |x|2 + 2|x||y| + |y|2 = = (|x| + |y|)2, also |x + y| ≤ |x| + |y|. Dabei gilt nach 1.6 die Ungleichheit, falls (x, y) linear unabhängig ist. 6 Geometrische Bedeutung von (1.7): Sei (a, b, c) ein nicht ausgeartetes Dreieck. Setze x = c − a, y = b − c c |y| |x| a |x + y| b Nach Voraussetzung sind die Vektoren x und y linear unabhängig. Aus 1.7 ergibt sich d(a, b) = |b − a| = |x + y| < |x| + |y| = d(a, c) + d(c, b) In einem (nicht ausgearteten) Dreieck ist also jede Seite kürzer als die Summe der zwei anderen. 7 Winkel und Skalarprodukt: Führe in E = R2 Polarkoordinaten ein (siehe III.4). x2 x1 x= x2 r ϕ Dann ist x1 r = cos ϕ und x2 r x2 x1 x1 cos ϕ = sin ϕ, d.h. x = r , wenn r = |x| und sin ϕ ϕ = Arg x wie in III.4. In der Analysis lernt man: cos ϕ cos ψ cos(ϕ − ψ) = cos ϕ cos ψ + sin ϕ sin ψ = , . sin ϕ sin ψ cos ϕ cos ψ Sind also x = |x| · und y = |y| · von Null verschiedene sin ϕ sin ψ Vektoren des R2 , Arg x= ϕund Arg y = ψ, so gilt cos ϕ cos ψ hx, yi = |x| · |y| · h , i = |x||y| · cos(ϕ − ψ) nach (1.2). sin ϕ sin ψ 8 x2 Θ=ϕ−ψ x. Θ .y ψ x1 Ist also Θ der Winkel zwischen 0x und 0y, so gilt cos Θ = hx, yi |x| · |y| Es folgt der (1.8) Cosinussatz: |x − y|2 = |x|2 + |y|2 − 2|x||y| · cos Θ, wenn Θ der von 0x und 0y eingeschlossene Winkel ist. Beweis: hx, yi = |x||y| · cos Θ und |x − y|2 = hx − y, x − yi = hx, xi + hy, yi − 2hx, yi Für Θ = π2 erhält man den Satz des Pythagoras zurück: Wegen cos π2 = 0 folgt aus 1.8 |x − y|2 = |x|2 + |y|2. 9