Bonn, Februar 2016 Stellungnahme zur „Haltung, Ausbildung und Nutzung von Tieren im Zirkus“ Schätzungsweise existieren in Deutschland rund 300 Zirkusunternehmen. Wie viele davon Tiere wildlebender Arten mitführen, ist unklar. Nach Recherchen des Deutschen Tierschutzbundes sind es aber an die 50 Zirkusse, die eine breite Palette an unterschiedlichen Wildtieren halten, während der überwiegende Teil vor allem domestizierte Arten oder auch gar keine Tiere im Programm hat. Mit einer zentralen Erfassung von Behördenseite wurde mit dem sogenannten Zirkusregister erst seit 2008 begonnen, doch konnte dieses über Jahre hinweg keine hinreichenden Daten liefern. Aus Sicht des Deutschen Tierschutzbundes ist eine artgerechte Haltung von Heimtieren bzw. landwirtschaftlich genutzten Tieren in Zirkusbetrieben in der Praxis nur ausnahmsweise möglich und die artgerechte Haltung von Wildtieren gänzlich ausgeschlossen. Die Folgen für die Tiere sind schwerwiegend und zeigen sich in Verhaltensstörungen, Erkrankungen oder sogar in frühzeitigen Todesfällen. Diesem Problem kann nur begegnet werden, indem die Tierhaltung in Zirkusbetrieben auf gesetzlichem Wege eingeschränkt und insbesondere bei Wildtieren grundsätzlich verboten wird. Rechtliche Situation in Deutschland 1. Tierschutzgesetz Zentrale und allgemein gültige Rechtsvorschrift zur Haltung von Tieren im Zirkus in Deutschland ist der § 2 TierSchG, in welchem u.a. eine verhaltensgerechte Unterbringung der Tiere gefordert wird. Hinsichtlich der Ausbildung und Nutzung von Tieren im Zirkus sind neben dem generellen Grundsatz des § 1 TierSchG, - dass niemand einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen darf - die einschlägigen Verbote des § 3 TierSchG zu beachten. Danach dürfen einem Tier, außer in Notfällen, keine Leistungen abverlangt werden, denen es nicht gewachsen ist (§ 3 Nr. 1), die Zurschaustellung selbst darf nicht mit Schmerzen, Leiden oder Schäden verbunden sein (§ 3 Nr. 6), Ausbildung oder Training dürfen nicht mit erheblichen Schmerzen, Leiden oder Schäden verbunden sein (§ 3 Nr. 5). Gewerbsmäßige Zirkusbetriebe unterliegen der Erlaubnispflicht nach § 11 Abs. 1 Nr. 3 TierSchG (näheres siehe auch Allgemeine Verwaltungsvorschrift zur Durchführung des Tierschutzgesetzes) und der Aufsicht der zuständigen Behörde nach § 16 Abs. 1 Nr. 4 TierSchG. In Deutschland kann grundsätzlich jede Tierart im Zirkus mitgeführt werden. Von der Möglichkeit des § 13 Abs. 3 TierSchG, die Haltung von Tieren wildlebender Arten durch Rechtsverordnung zu verbieten, wurde bislang kein Gebrauch gemacht. Der bei der 2012/2013 erfolgten Novellierung des Tierschutzgesetzes neu eingefügte §11 (4) beinhaltet zwar eine Ermächtigung zur Einschränkung der Wildtierhaltung im Zirkus, doch eingegriffen werden soll künftig erst, wenn Haltung und Transport „nur unter erheblichen Schmerzen, Leiden oder Schäden“ möglich sind. Gegenüber den bis dato auch für Wildtiere im Wanderzirkus geltenden Schutzbestimmungen - wie sie etwa in § 2 TierSchG zum Ausdruck In der Raste 10 53129 Bonn Tel: 0228/60496-0 Fax: 0228/60496-40 E-Mail: [email protected] Internet: www.tierschutzbund.de Seite - 2 - der Stellungnahme vom Februar 2016 kommen - ist dies ein deutlicher Rückschritt und aus Sicht des Deutschen Tierschutzbundes mithin ein Verstoß gegen das Verschlechterungsverbot des Staatziels Tierschutz. 2. Gutachten und Leitlinien Es existieren keine konkreten rechtlichen Vorgaben für in Zirkusbetrieben gehaltene Tierarten. Als Entscheidungsgrundlage für das Zirkusunternehmen, insbesondere dem Verantwortlichen sowie den Überwachungsbehörden und den Justizorganen, hat das zuständige Bundeslandwirtschaftsministerium (BMEL) für einige Tierarten Gutachten und Leitlinien veröffentlicht: „Leitlinien für die Haltung, Ausbildung und Nutzung von Tieren in Zirkusbetrieben oder ähnlichen Einrichtungen“ (2000) Für Tiere, die nicht täglich beschäftigt werden, oder Tierarten, die von den Zirkusleitlinien nicht erfasst werden, ist das Gutachten über „Mindestanforderungen an die Haltung von Säugetieren“ (2014) bzw. andere einschlägige BMEL-Gutachten, (z.B. zur Haltung von Reptilien oder Papageien) maßgeblich. Für die Haltung von Hunden in Zirkusbetrieben gelten die Vorschriften der TierschutzHundeverordnung (2001) Aus Sicht des Deutschen Tierschutzbundes sind die rechtlichen Regelungen zur Haltung und Nutzung von Tieren in Zirkusbetrieben völlig unzureichend, um ein akzeptables Maß an Tierschutz in der Praxis zu gewährleisten. So ist das Tierschutzgesetz zwar rechtsverbindliche Grundlage, jedoch in den Anforderungen der Tierhaltung sehr allgemein abgefasst und bietet dem kontrollierenden Amtstierarzt in der täglichen Praxis kaum eine hinreichende Orientierung. In den genannten Gutachten und Leitlinien sind die Haltungsanforderungen zwar konkretisiert, aber zum einen sind sie nicht rechtsverbindlich und damit nur schwer durchsetzbar bzw. entfalten keine präventive Wirkung, zum anderen entsprechen die dort vorgeschlagenen Haltungsanforderungen bei vielen Tierarten nicht dem Stand der Wissenschaft. Die Anforderungen der Zirkusleitlinie können die Grundbedürfnisse der Tiere nicht einmal ansatzweise sicherstellen (siehe auch KLUGE1) und unterschreiten die Haltungsvorgaben des „Säugetiergutachtens“ in drastischem Maße. Nachdem das Säugetiergutachten im Mai 2014 in überarbeiteter Form veröffentlicht wurde, steht eine Neuauflage der Zirkusleitlinien durch das BMEL noch aus. 3. Zulässigkeit eines Verbots der Wildtierhaltung In einer Entschließung vom 20.08.2003 (Bundesrats-Drs. 595/03) hatte der Bundesrat bereits Haltungsverbote für Menschenaffen und Affen, Großbären und Elefanten sowie die Einführung eines Zirkuszentralregisters gefordert. Lediglich letzteres wurde im Jahr 2008 umgesetzt, aus Tierschutzsicht ist dieses Instrument aber völlig unzureichend und war auch Jahre nach Beginn des Projektes noch immer nicht vollständig nutzbar. Die für den Tierschutz-Vollzug zuständigen Städte und Landkreise stehen vor dem Problem, dass einerseits kommunale Verbote von Wildtieren in Zirkussen schwierig zu realisieren sind und sie andererseits aber immer wieder mit eklatanten Verstößen gegen das Tierschutzgesetz durch Zirkusbetriebe konfrontiert sind. Dies hat zu einer Fleckenlandschaft unterschiedlichster kommunaler Lösungsansätze und Aktivitäten geführt (vgl. u.a. Erding, Chemnitz, Potsdam, Heidelberg, Köln, München, Schwerin, Kassel, Worms, Ludwigshafen, Speyer, Stuttgart, etc.). Gleichwohl sind diese Überlegungen und Reglementierungsversuche 1 Kluge, H.-G. (Hrsg.): Kommentar zum Tierschutzgesetz, Kohlhammer, 2002. Seite - 3 - der Stellungnahme vom Februar 2016 notwendig und zu begrüßen, zeigen sie doch dem Gesetzgeber, den dringenden Handlungsbedarf eindeutig auf. Auch deswegen unternahm im Herbst 2011 daher mit Hamburg ein Bundesland einen weiteren Anlauf und stellte einen Antrag, dass bestimmte wildlebende Tierarten in Zirkussen nicht mehr mitgeführt werden dürfen2. Am 25. November 2011 sprach sich das Plenum des Bundesrates dann mehrheitlich für diese Entschließung aus. Nach dem Willen des Bundesrats soll die Bundesregierung unverzüglich eine Rechtsverordnung gemäß § 13 Abs. 3 Satz 1 des Tierschutzgesetzes erarbeiten, die das Halten von Tieren wildlebender Arten in Zirkusbetrieben verbietet. Das Verbot soll insbesondere für Affen, Elefanten, Großbären, Giraffen, Nashörner und Flusspferde gelten. Für bereits vorhandene Tiere soll unter Berücksichtigung deren Lebensdauer eine Übergangsfrist vorgesehen werden. Da die Problematik nach Einschätzung des Deutschen Tierschutzbunds jedoch auch für alle anderen Wildtiere wie Großkatzen, Krokodile oder Robben gilt, sollte ein solches Verbot aus Tierschutzsicht zu einem späteren Zeitpunkt noch um weitere Tierarten ergänzt werden. Zwischenzeitlich hat die Bundesregierung bei der Novellierung des Tierschutzgesetzes im §11 Abs. 4 eine Formulierung für eine Ermächtigungsgrundlage eingefügt, nach welcher eine entsprechende Verordnung grundsätzlich möglich wäre. Leider ist die vorgenommene Ergänzung auf Vorschlag der Bundesregierung nicht nur aus rechtlicher Sicht bedenklich, sondern auch nach Auffassung des Bundesrates unzureichend3. Dennoch wurde der Gesetzesentwurf mit den Stimmen der Regierungskoalition Mitte Dezember 2012 vom Bundestag verabschiedet. Grundsätzlich wäre ein Wildtierverbot sowohl mit dem Eigentumsgrundrecht als auch der Berufsfreiheit vereinbar4. Das Eigentumsgrundrecht (Art. 14 GG) enthält eine Bestandsgarantie, die den Bestand an konkreten vermögenswerten Rechten in der Hand des jeweiligen Eigentümers gewährleistet. Dies ist jedoch nicht tangiert, da der Betrieb eines Zirkus auch ohne Wildtiere ohne weiteres möglich ist. Ein Verbot der Wildtierhaltung im Zirkus kollidiert auch nicht mit der Berufsfreiheit (nach Art. 12 GG) der Zirkusbetreiber, denn es handelt sich nicht um ein Verbot der Berufswahl, sondern allenfalls um eine Berufsausübungsregel. Diese ist bei Vorliegen vernünftiger Gründe des Gemeinwohls und bei Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zulässig. Die Bundesregierung hat dies in ihrer Begründung zur Novellierung des Tierschutzgesetzes mittlerweile ebenfalls bestätigt. Angesichts der Leiden von Wildtieren unter den Bedingungen der Zirkushaltung besteht keinerlei Grund zur Annahme, bei einem Verbot der Haltung von Wildtieren im Zirkus könnte das Vorliegen vernünftiger Gründe des Gemeinwohls in Abrede gestellt werden. Anstatt eines Verbots könnte der Gesetzgeber die Wildtierhaltung im Zirkus aber auch durch Positiv- bzw. Negativlisten reglementieren. Im Februar 2016 unternahm das Bundesland Hessen einen neuen Anlauf und brachte erneut einen Antrag in den Bundesrat ein. Es ist bereits der dritte Versuch, ein Verbot auch in Deutschland umzusetzen. Der Antrag ist inhaltlich an die Initiative Hamburgs von 2011 angelehnt. Das Verbot soll insbesondere für 6 Gruppen von Wildtieren, nämlich Affen, Großbären, Elefanten, Nashörner, Flusspferde und Giraffen gelten. Des Weiteren fordert der Antrag auch, dass eine Rechtsverordnung erlassen wird, die die Haltung von Tieren im Zirkus 2 Antrag der Freien und Hansestadt Hamburg. Entschließung des Bundesrates zum Verbot der Haltung bestimmter wildlebender Tierarten im Zirkus. Drucksache 565/11 vom 20.09.2011. 3 Deutscher Bundestag: Drucksache 17/10572 vom 29.08.2012. Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Tierschutzgesetzes. S.47. 4 Wollenteit, U., Pietsch, T.: Verbot der Wildtierhaltung Wildtierhaltung in Zirkusunternehmen. Zeitschrift für Rechtspolitik 2010, Hamburg. 97 ff. Seite - 4 - der Stellungnahme vom Februar 2016 klar regelt. Und schließlich sollen Zirkusbetriebe gemäß Antrag über ein festes Winterquartier verfügen, in welchem die Tiere in der kalten Jahreszeit bzw. spielfreien Zeit untergebracht sind. All dies ist aus Tierschutzsicht überfällig und dringend notwendig. Rechtliche Situation in Europa In Europa existieren nach Schätzungen des EU-Parlamentes zwischen 600 und 1000 Zirkusse, nach Ansicht des Deutschen Tierschutzbundes sind es vor allem in Anbetracht der Anzahl deutscher Unternehmen wohl erheblich mehr. Frankreich, Deutschland und Italien sind dabei die Mitgliedsländer, in denen mit Abstand die meisten Zirkusbetriebe zu verzeichnen sind. Vermutlich werden in den zahlreichen Betrieben einige Tausend Wildtiere gehalten. Gerade bei vielen kleineren Unternehmen handelt es sich um Wanderzirkusse ohne ein festes Stammquartier, obwohl dies zumindest in Deutschland rechtlich vorgeschrieben wäre. Nach einer Recherche von EUROGROUP (2005)5 haben alle Mitgliedsländer der EU (EU der 15) tierschutzrechtliche Bestimmungen, welche Tierschutzstandards festlegen, auch wenn sie sich zum großen Teil nicht direkt auf Zirkustiere beziehen und insgesamt ähnlich unbefriedigend sind wie in Deutschland. Allerdings hat eine ganze Reihe von europäischen Ländern und EU-Mitgliedsstaaten das Mitführen bestimmter Wildtierarten in Zirkussen bereits untersagt oder rechtsverbindlich eingeschränkt: 5 Österreich: Verbot aller Wildtierarten (seit 2004) Griechenland: Verbot aller Tiere im Zirkus (2012) Slowenien: Verbot aller Wildtiere im Zirkus (2013) Malta: Verbot aller Tiere im Zirkus (2014) Zypern: Verbot aller Tiere im Zirkus (2013) Belgien: Verbot aller Wildtiere (2013) Niederlande: komplettes Verbot von Wildtieren ab dem 15.09.2015 Bulgarien: Generelles Verbot von Wildtieren (Übergangsfristen bis 2015) Dänemark: Verbot aller Wildtierarten (seit 1991, im Einzelfall Ausnahmen möglich) Finnland: Verbot von Affen, Raubtieren, Wildformen von Wiederkäuern & Pferdeartigen, Beuteltieren, Robben, Elefanten, Flusspferden, Nashörnern, Greifvögeln, Straußen, Krokodilen (seit 1996) Schweden: Verbot v. Affen, Raubtieren, Robben, Nashörnern, Flusspferden, Giraffen, Rot- & Damwild, Kängurus, Raub- & Straußenvögeln, Riesenechsen (seit 1998) Tschechische Republik: Verbot neugeborener Affen, Flossenfüsser, Cetacea (mit Ausnahme von Delfinen), Nashörnern, Flusspferden und Giraffen. Bosnien und Herzegowina: Verbot von Wildtieren (2009) Ungarn: Verbot von Elefanten, Nashörnern und Primaten, keine neuen Wildfänge Estland: Verbot aller in freier Natur geborenen Wildtiere (Wildfänge) Polen: Verbot aller in freier Natur geborenen Wildtiere (Wildfänge) Slowakei: Verbot von Tierarten, welche bei CITES gelistet sind Portugal: Verbot von Menschenaffen (seit 2009), keine Neuanschaffungen von anderen Wildtieren Kroatien: Verbot aller Wildtiere Mazedonien: Wildtierverbot (2014) Galhardo, L. (2005): Animals in circuses; legislation and controls in the EU. Eurogroup for Wildlife and Laboratory Animals. Seite - 5 - der Stellungnahme vom Februar 2016 Nur wenige Länder wie Deutschland und Frankreich haben bisher keine nationalen Regelungen: Deutschland (2000) Bisher nur Empfehlung: Delfine, Pinguine, Menschenaffen, Greifvögel, Flamingos, Nashörner, Wölfe. Aber: keine Platzvergabe mehr an Zirkusse mit Wildtieren in mehreren Gemeinden/Städten. Norwegen: Verbot von Elefanten, Großkatzen, Seelöwen, Zebras war geplant (Beschluss 2009), mit Übergangsfrist bis 2015. Ende 2012 kündigte Ministerium statt dessen strengere Haltungsauflagen an. Irland: Lokalverbote in mehreren Grafschaften Luxemburg: Verbot aller Wildtiere in Luxemburg-Stadt (bestand bis 2011) England: Verbot bereits in über 200 Städten/Gemeinden, generelles landesweites Wildtierverbot nach Beschluss der brit. Abgeordneten im Juni 2011 war bereits mehrfach auf der TO des Abgeordnetenhauses, Diskussionen dauern an. Spanien: Wildtierverbot bisher in ca. 30 Städten, komplettes Verbot in Katalonien Im Jahr 2005 wurde ein Vertragsverletzungsverfahren gegen das österreichische Verbot von Wildtieren im Zirkus initiiert, welches von der Europäischen Kommission 2006 eingestellt wurde. Nach Protesten des Europäischen Zirkusverbandes (ECA) bekräftigte die EUKommission ihre Position ein weiteres Mal in einem Schreiben an den EU-Bürgerbeauftragten Nikiforos Diamandouros am 18.09.2009. Aus Sicht der Kommission sollen sich die EUMitgliedsstaaten in Eigenregie darum kümmern, wie sie Wildtiere im Zirkus angemessen schützen können. Darüber hinaus klagte der deutsche Zirkus Krone gegen das österreichische Wildtierverbot und ging damit bis vor den Verfassungsgerichtshof. Dieser bestätigte jedoch in seinem Urteil vom 01.12.2011, dass dieses nicht verfassungswidrig sei und somit aufrechterhalten wird. Dies unterstreicht, dass eine solche Regelung auch in Deutschland möglich wäre. Wildtierverbote existieren auch in vielen Ländern außerhalb Europas. So haben z.B. die meisten südamerikanischen Länder mittlerweile sogar sämtliche Tierdarbietungen untersagt, nachdem Ermittler und Tierschutzorganisationen gemeinsam erschütternde Zustände in der Tierhaltung aufgedeckt hatten. Auch in anderen Teilen der Welt sind weitere Länder dem Beispiel mittlerweile gefolgt. Haltung von Wild- und Haustieren in Zirkussen Laut § 2 Tierschutzgesetz müssen Tiere ihrer Art und ihren Bedürfnissen entsprechend ernährt, gepflegt und verhaltensgerecht untergebracht werden. Den Schutz dieser Grundbedürfnisse hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vom 6.7.1999 (Legehennenurteil) ausdrücklich bestätigt. Es ist grundsätzlich für alle Tierhaltungen zu gewährleisten. Unter diesem Gesichtspunkt ist die reine Heimtierhaltung (ohne Dressur) im stationären Zirkusbetrieb grundsätzlich möglich. Jedoch muss auch hier den Bedürfnissen der Tiere ausreichend Rechnung getragen werden. Im Reisebetrieb bzw. bei Wanderzirkussen können die Grundbedürfnisse für die meisten Heimtierarten aber kaum erfüllt werden. Bei amtstierärztlichen Kontrollen wird selbst die Haltung von Haustieren in Zirkussen regelmäßig beanstandet. Die tierschutzgerechte Haltung von Wildtieren ist im Reisebetrieb schon aus prinzipiellen Gründen ausgeschlossen: Wildtiere haben im Gegensatz zu Haustieren keine Seite - 6 - der Stellungnahme vom Februar 2016 entwicklungsgeschichtliche Anpassung an das Leben in der Obhut des Menschen durchlaufen und stellen daher besonders hohe Ansprüche an ihre Haltung und Unterbringung (u.a. spezielle Klima- und Platzansprüche, Sozialverhalten, Ernährung). Neben erheblichen Einschränkungen ganz wesentlicher artspezifischer Verhaltensweisen (bspw. Sozial-, Sexual-, Mutter-Kind-, Bewegungs- und Territorialverhalten) kann eine tolerierbare Qualität der Haltung wegen des ständig wechselnden Standortes des Zirkusbetriebes nicht erreicht werden. Als Auslegungskriterium in konkreten Einzelfällen wird häufig das „Bedarfsdeckungs- und Schadenvermeidungskonzept“ herangezogen. Nach diesem Konzept ist eine Tierhaltung dann tiergerecht, wenn es dem Tier ermöglicht, in Morphologie, Physiologie und Ethologie alle diejenigen Merkmale auszubilden und zu erhalten, die von Tieren der gleichen Art und Rasse unter natürlichen Bedingungen (bei Wildtieren) bzw. unter naturnahen Bedingungen (bei Haustieren) gezeigt werden. Auch wenn Wildtiere sich in bestimmten Grenzen in menschlicher Obhut an restriktive Haltungen adaptieren können, ist insbesondere der Forderung des §2 Tierschutzgesetz, indem u.a. eine verhaltensgerechte Unterbringung gefordert wird, vom Gesetzgeber hinreichend Rechnung zu tragen. Hierzu hat das Oberverwaltungsgericht Schleswig in einem Urteil (OVG Schleswig, 1994)6 ausgeführt: „Verhaltensgerecht ist eine Unterbringung nur dann, wenn sie sich … soweit wie möglich an die natürlichen Lebensverhältnisse und Lebensräume der jeweiligen Art annähert.“ Und im Umkehrschluss: „Verhaltensgerecht ist eine Unterbringung … nicht, wenn das Tier zwar unter dem ihm angebotenen Bedingungen überleben kann und auch keinen Leiden, Schmerzen oder Schäden davonträgt, dass Tier aber seine angeborenen Verhaltensmuster soweit ändern und an seine Haltungsbedingungen anpassen muss, dass es praktisch mit seinen wildlebenden Artgenossen nicht mehr viel gemeinsam hat.“ Dies bedeutet, dass bei der Bewertung einer Haltung von Wildtieren in menschlicher Obhut die Natur grundsätzlich als Referenzwert herangezogen werden muss. Wie eklatant bereits die Gutachten und Leitlinien des BMEL von diesem Grundsatz abweichen, zeigt sich beispielsweise an den vorgeschlagenen Mindestmaßen von Außengehegen bei Großbären, die für 1-2 Tiere folgendes vorgeben: Braunbär DTSchB, STS BMELV BMEL BMELV BMELV Größe natürlicher Lebensraum Empfehlung Tierschutz Wildgehegegutachten, 1995 Säugetiergutachten, 2014 Säugetiergutachten, 1996 Zirkusleitlinie, 2000 20-100 km2 5000 qm 1500 qm 500 qm 150 qm 75 qm Wie wichtig allein die den Tieren in Gefangenschaft zugebilligte Haltungsfläche ist, belegen auch neuere wissenschaftliche Untersuchungen. Insbesondere gilt dies für Beutegreifer, die in freier Natur über große Reviere verfügen: „Among the carnivores, naturally wide-ranging species show the most evidence of stress and/or psychological dysfunction in captivity [...]. Husbandry of these species in captivity is 6 OVG Schleswig (1994): Urteil vom 28.06.1994 – 4 L 152/92, zit. in: Natur und Recht, 1995, Heft 9, 480 ff. Seite - 7 - der Stellungnahme vom Februar 2016 therefore in need of improvement, such as provision of extra space.“ (vgl. CLUBB & MASON, 2003)7 Doch auch unabhängig von den für die Tiere vorgesehen Flächen, sind die Gehege aufgrund der ständigen Mobilität der Unternehmen, weder ausreichend strukturiert bzw. eingerichtet, noch so gestaltet, dass die Tiere ihren artgemäßen Bedürfnissen nachkommen können. Bei der Haltung von Wildtieren im Reisebetrieb bzw. in Wanderzirkussen sind grundsätzlich folgende Schwierigkeiten zu nennen: die notwendige Einrichtung von ausreichend großen, ausbruchsicheren und artgerecht ausgestatteten Gehegen kollidiert mit der Notwendigkeit zur fortwährenden Mobilität; u.a. gilt dies für Tierarten, die auf das Mitführen großer und ausreichend tiefer Wasserbecken angewiesen sind (z.B. Robben, Flusspferde). Tiere werden Zeit ihres Lebens unter Transportbedingungen gehalten; da jeder Zirkus im Jahr bis zu 50 oder 60 mal den Gastspielort wechselt, ist von einer hohen Belastung für die Tiere auszugehen. Für Tiere mit außergewöhnlichen Körpermaßen, wie Giraffen, ist der Transport besonders belastend. erhebliche Einschränkungen ganz wesentlicher artspezifischer Verhaltensweisen (Sozialkontakt, Bewegung, etc.). die Haltung ist qualitativ und quantitativ (die Tiere werden nur wenige Minuten am Tag durch den Auftritt in der Mange beschäftigt) reizarm. Einige Wildtierarten können aufgrund ihrer Biologie und ihres Verhaltens nicht für bestimmte Vorführungen ausgebildet werden. Sie werden als Schautiere mitgeführt (z.B. Giraffe, Nashorn, Flusspferd). Eine tierärztliche Kontrolle von Großbären und Großkatzen findet nur oberflächlich statt, da zu einer genauen Untersuchung eine Immobilisierung der Tiere notwendig wäre nur wenige größere Zirkusunternehmen werden von einem entsprechend spezialisierten Tierarzt am Gastspielort betreut. Permanenter Zeitdruck der kontrollierenden Behörden und mangelnde Transparenz: Zirkusse bleiben meist nur wenige Tage an einem Ort; bei Ortswechsel ändert sich auch die Zuständigkeit der Behörden. Bei festgestellten Mängeln durch die Behörde ist eine Wegnahme der Tiere oft nicht möglich, da es keine Auffangstationen hierfür gibt. Daneben werden durch die amtstierärztlichen Kontrollen weitere Probleme und Mängel offenbar: 7 nur wenige Zirkusse verfügen über ein festes Stammquartier (Winterquartier), so wie es in der Zirkusleitlinie gefordert wird, d.h. dass auch in den Wintermonaten keine geeigneten Quartiere für die Tiere zur Verfügung stehen. häufig werden sozial lebende Tiere wie Elefanten oder Affen einzeln oder in unzureichenden Gruppengrößen gehalten, demgegenüber müssen Einzelgänger wie Tiger ständig in Kontakt mit Artgenossen leben nicht mit allen Tieren wird regelmäßig gearbeitet; die Haltung dieser Tiere müsste nach den Regelungen der Zirkusleitlinie (mangelnde Kontrolle) den höheren Anforderungen des Säugetiergutachtens genügen; dies wird in der Praxis zumeist nicht umgesetzt viele Tiere sind durch die Lebensbedingungen verhaltensgestört oder krank und versterben schließlich frühzeitig Clubb, R. & Mason, G. (2003): Captivity effects on wide-ranging carnivores. In: Nature, Vol. 425, pp. 473-474. Seite - 8 - der Stellungnahme vom Februar 2016 Anbindehaltung von Pferden und Elefanten über längere Zeiträume sind noch immer an der Tagesordnung Fehlende Außengehege am Gastspielort, d.h. die Tiere werden ausschließlich im Transportwagen gehalten Zu kleine Gehege Hygieneverhältnisse, Pflege und Ernährung der Tiere sind nicht immer tiergerecht die Herkunft der Tiere ist häufig unbekannt (freie Wildbahn, Tierparks, Privathalter) das Tierbestandsbuch fehlt, ist unvollständig geführt oder Angaben sind widersprüchlich viele, überwiegend kleine Zirkusbetriebe, arbeiten am Existenzminimum oftmals mangelnde Sachkenntnis und der mangelnder Wille der Betreiber im tierschutzgerechten Umgang mit den Tieren Eine Überwachung und Kontrolle zur Einhaltung der gesetzlichen Bestimmungen ist für den Vollzug unmöglich. Aus den vorgenannten Gründen muss daher die Haltung von Wildtieren im Zirkus grundsätzlich verboten werden und zumindest dem Wunsch des Bundesrats aus dem Jahr 2011 (Affen bzw. nicht-menschliche Primaten, Elefanten, Großbären, Giraffen, Nashörner und Flusspferde) umgehend gefolgt werden. Aus Tierschutzsicht ist dies aber für auch andere Wildtiere wie Großkatzen oder Robben notwendig. Dressur und Ausbildung von Zirkustieren Das Tierschutzgesetz verbietet „ein Tier auszubilden oder zu trainieren, sofern damit erhebliche Schmerzen, Leiden oder Schäden für das Tier verbunden sind“ (TierSchG §3 Nr.5). In der Zirkusleitlinie wird die Ausbildung mittels Strafen abgelehnt, da sie nicht verhaltensgerecht sowie ineffektiv und tierschutzwidrig ist. Tiere sollen vielmehr mittels positiver Verstärker (Belohnung) lernen. Dies erfordert vom Tierlehrer Einfühlvermögen, Geduld und Konsequenz. Demgegenüber werden in Zirkusvorstellungen Darbietungen gezeigt, die ohne Leidzufügung nicht antrainiert werden können, beispielsweise das Springen von Großkatzen durch Feuerreifen oder sogenannte Kombinationsauftritte: 2006 hatte etwa der mittlerweile eingestellte Zirkus Barelli einen solchen im Programm, bei dem ein Königstiger einige Runden auf einem Pferd reitet. Hierbei handelt es sich um zwei Tierarten, die sich in der Wildnis feindlich begegnen würden. Der Dompteur hat in einem Interview eingeräumt, dass sich die Tiere bei Dressurbeginn mit Angst begegnet sind. Dies macht deutlich, dass die Dressur kaum ohne erhebliche Stressbelastung, Angst- und Leidzufügung erfolgt sein kann. Eine ähnliche Dressur gab es auch noch im Zirkus Berolina, hier mit einem Elefant und einem Tiger. In Österreich sind Kombinationsauftritte bereits seit vielen Jahren aus Tierschutzgründen untersagt (vgl. Richtlinien für die Haltung von Wildtieren in Zirkusunternehmen“, Hrsg. Wiener Umweltanwaltschaft, August 1996). Immer wieder gibt es auch viel Wirbel um den bei Zirkus Krone gezeigten Kopfrüsselstand der Elefantendame „Bara“. Bei dieser Vorführung wirken – ebenso wie beim weitaus häufiger gezeigten Hinterbeinstand - große Kräfte auf Muskulatur und Knochen des Tieres, was bei der ständigen Belastung zu unvorhersehbaren Schäden führen kann. Eine solche Dressur ist aus Tierschutzsicht grob fahrlässig und klar abzulehnen. Viele Elefanten im Zirkus leiden nach Jahren im Zirkus unter Arthrose oder Gelenkserkrankungen. Darüber hinaus ist auch in den „Leitlinien für die Haltung, Ausbildung und Nutzung von Tieren in Zirkusbetrieben oder ähnlichen Einrichtungen“ festgelegt: „Die Wertung der Dressurmethoden hat sich an den natürlichen Gegebenheiten als Bezugssystem zu orientieren.“ Der Kopf- oder Rüsselstand eines Elefanten gehört definitiv nicht zu den natürlichen Bewegungsweisen und ist daher als artwidrig anzusehen. Seite - 9 - der Stellungnahme vom Februar 2016 Grundsätzlich setzt die Haltung und Mitwirkung von Wildtieren in Zirkussen voraus, dass diese nicht-domestizierten Tiere auf direkten menschlichen Kontakt, die so genannte directcontact-Haltung, dressiert werden. Wildtiere wie Elefanten können sich daran nicht „gewöhnen“, sondern ihnen muss dazu mit Gewalt der Wille gebrochen werden, damit sie die Bezugsperson als übermächtig empfinden. Sämtliche Wildtiere im Zirkus werden daher als Jungtiere auf den Menschen geprägt oder sogar vollständig ihren Eltern weggenommen. Gegenüber der Öffentlichkeit wird dieser an sich schon tierschutzrelevante Vorgang seitens der Zirkusbetreiber und Dompteure dann meist damit begründet, dass das Muttertier den Nachwuchs nicht angenommen oder zu wenig Milch habe. Tatsächlich ist die Handaufzucht im Zirkus aber gerade bei Großkatzen nicht nur gang und gäbe, sondern Voraussetzung für die spätere Dressur und Vorführung. Zudem sollte nicht unerwähnt bleiben, dass selbst wenn die Behauptungen der Tierlehrer zuträfen, dies wiederum Rückschlüsse auf die scheinbar nicht optimalen Haltungsbedingungen zuließe, da die angeblich notwendige Handaufzucht offensichtlich derart häufig vorgenommen werden „muss“. Im Gegensatz dazu wird in den meisten wissenschaftlich geführten Zoos nunmehr eine Haltung ohne direkten Mensch-TierKontakt angestrebt: eine protected-contact oder off-hands-management-Haltung. Bei dieser Haltungsform muss der Wille des Tieres nicht gebrochen werden, weil die Bezugsperson vor den Tieren immer durch Gitterstäbe oder sonstige Mittel geschützt sind. Kontrolle der Haltung von Zirkustieren Zuständig für die Kontrolle der Zirkusbetriebe sind die zuständigen Veterinärämter. Soweit möglich, kontrollieren sie den Zirkusbetrieb, sobald sie Kenntnis von seiner Anwesenheit haben. Manche Zirkusbetriebe melden sich bei der Behörde allerdings nicht an, so dass die zeitlichen Möglichkeiten der Behörde Missstände aufzudecken oder zu beheben stark eingeschränkt sind. Auch ist den meisten Behörden aufgrund der Vielzahl der ihnen übertragenen Aufgaben eine genaue Inaugenscheinnahme der Tiere aus zeitlichen oder personellen Gründen kaum möglich. Behördliche Auflagen sowie vorgefundene Missstände in der Tierhaltung können im Tierbestandsbuch eingetragen werden. Dieses ist jedoch oft von den Zirkusbetreibern nicht aufzufinden, wird nicht herausgegeben oder ist lückenhaft oder gar widersprüchlich geführt. Dieses Instrument ist daher für den tierschutzrechtlichen Vollzug nur bedingt geeignet. Eine Unterrichtung von Behörde zu Behörde auf dem „einfachen Dienstweg“, wenn der Zirkus den Zuständigkeitsbereich wechselt, ist nicht immer gegeben, so dass die Erfüllung tierschutzrechtlicher Auflagen unbefriedend ist. Die Probleme, die im amtstierärztlichen Vollzug auftreten, sind generell als erheblich einzustufen. Auf Vollzugsebene kann auch die Einführung des Zirkusregisters im Jahr 2008 nicht viel verbessern. Aus Tierschutzsicht ist vor allem zu bemängeln, dass bei der Umsetzung gravierende Forderungen, die tatsächlich zu Verbesserungen im Vollzug hätten führen können, nicht aufgenommen wurden. Zum einen hätte man bundesweit alle Veterinärämter dazu verpflichten müssen, ihre vollständigen Informationen über einzelne Zirkusbetriebe in das Zentralregister einzutragen, was aber nicht geschah. Zum anderen blieben alle bestehenden tierschutzrechtlichen Genehmigungen für die Zirkusse gültig, anstatt beispielsweise zu einem bestimmten Stichtag auszulaufen, um eine Bestandsaufnahme zu ermöglichen. So können viele Unternehmen weiterhin mit unbefristeten Genehmigungen reisen. Für die Heimatbehörde ist es dann nur schwer möglich, diese zu aktualisieren und darin strengere Auflagen an die Tierhaltung, die zum Beispiel aufgrund neuerer wissenschaftlicher Erkenntnisse oder einer neuen Gesetzgebung erforderlich wären, aufzunehmen. Insgesamt führt dies dazu, dass im Register immer große Lücken bestehen und dass Verstöße sowie Missstände ungeahndet bleiben. Seite - 10 - der Stellungnahme vom Februar 2016 Unzählige Verstöße In Zirkusbetrieben kommt es zu einer Vielzahl von Verstößen gegen das Tierschutzrecht bzw. die Zirkusleitlinien. In einer Antwort auf die Kleine Anfrage der Fraktion Bündnis 90/ Die Grünen vom 29.09.20148 teilte die Bundesregierung mit, dass im Berichtsjahr 2011 bei 895 amtstierärztlichen Kontrollen in Zirkusbetrieben 409 Verstöße gegen Haltungsanforderungen für Tiere festgestellt wurden – also bei fast jeder zweiten Kontrolle! . Eine aktuelle Antwort9 des Bayerischen Staatsministeriums für Umwelt und Verbraucherschutz zeigt, dass bei Kontrollen in Bayern in den Jahren 2010 bis 2013 bei amtstierärztlichen Kontrollen ebenfalls in der Hälfte der Fälle Verstöße gegen geltende Tierschutzbestimmungen registriert wurden. Nach einer Anfrage der Landestierschutzbeauftragten in Hessen an die Länder wurde eine Zahl von insgesamt 1077 Beanstandungen für den Zeitraum 2000-2003 ermittelt, davon bezogen sich 165 auf bestimmte Wildtierarten10. In Berlin wurden laut einer Kleinen Anfrage an das Berliner Abgeordnetenhaus von 2004-2009 insgesamt 211 Zirkusgastspiele registriert, wobei in 102 Fällen Wildtiere mitgeführt wurden. In diesem Zeitraum wurden von den zuständigen Veterinär- und Lebensmittelaufsichtsämtern etwa 144 Verstöße gegen das Tierschutzgesetz bzw. die Zirkusleitlinien festgestellt11. Nach den Erfahrungen der Landestierschutzbeauftragten und von Tierschutzorganisationen werden aber viele Missstände wie z.B. Einzelhaltungen von Elefanten oder Affen bei den Kontrollen oft gar nicht mehr beanstandet, sondern als gegeben hingenommen. Um beschlagnahmte Tiere aufnehmen zu können, müssten die Länder mit Unterstützung des Bundes Tierauffangstationen einrichten. Vor allem gilt jedoch: Es müssen klare gesetzliche Regelungen geschaffen werden, damit Wildtiere erst gar nicht in Zirkusbetreiben gehalten werden und es gar nicht erst zu den Notsituationen für die Tiere (die letztlich auch für die Behörden „Notsituationen“ darstellen) kommt. Auch wenn es einige positive Beispiele für Zoologische Einrichtungen (wie die Zoos in Heidelberg oder Osnabrück) gibt, die in den letzten Jahren teils schwerkranke Zirkuselefanten aufnahmen, so ist die Bereitschaft von Zoos für die Aufnahme von Zirkustieren meist sehr beschränkt. Oft ist die genetische Herkunft oder Gesundheitsstatus der Tiere unklar, die sich somit nicht in ein bestehendes Zuchtkonzept eingliedern lassen. Zeigen die abzugebenden Tiere bereits Verhaltensauffälligkeiten, so ist eine Integration in eine bestimmte Tiergruppe im Zoo schwierig bis unmöglich. Schließlich fallen Kosten für die dauerhafte Unterbringung und Pflege an, die in der Regel vom Zoo selber getragen werden müssten. Es existieren nur sehr wenige Einrichtungen, die zudem auf bestimmte Tierarten spezialisiert sind. Für Affen besteht eine Auffangstation in den Niederlanden (Wartezeit bis zu 2 Jahren), zudem ist die mittelfristige Unterbringung von kleinen Arten in einigen wenigen Tierschutzzentren möglich (z.B. Tierheim Berlin), für Großbären gibt es nur einige wenige Auffangstationen in Deutschland mit beschränkten bzw. ausgeschöpften Kapazitäten (z.B. Anholter Bärenwald des Deutschen Tierschutzbundes), die allesamt von Tierschutzorganisationen getragen werden. Für Großkatzen werden ebenfalls von Tierschutzorganisationen Einrichtungen mit beschränkten Kapazitäten geschaffen. Dagegen gibt es für Elefanten und die meisten anderen Wildtierarten keine konkreten Aufnahmemöglichkeiten. Dieser Umstand kann aber nicht Rechfertigung dafür sein, die Tiere weiterhin in tierschutzwidrigen Bedingungen in den Zirkussen zu belassen. 8 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode. Drucksache 18/2690 vom 29. September 2014. Bayrischer Landtag – 17. Wahlperiode. Drucksache 17/9602 vom 29. Dezember 2015. 10 Deutscher Bundestag – 16. Wahlperiode. Drucksache 16/2220 vom 14. Juli 2006. S.16-17. 11 Abgeordnetenhaus Berlin - 16. Wahlperiode. Drucksache 16/13784 vom 25. November 2009. 9 Seite - 11 - der Stellungnahme vom Februar 2016 Gefährdung der öffentlichen Sicherheit Ein weiterer Aspekt, welcher bei der Unterbringung von Wildtieren im Zirkus von der Politik bisher nicht ausreichend berücksichtigt wurde, ist die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Ausbrüche von Zirkustieren werden hinsichtlich ihrer Häufigkeit zumeist unterschätzt, gehören aber zum Alltag. Unfälle können zudem auch Menschenleben gefährden. Allein in den letzten sechs Jahren sind mehrere Menschen durch Wildtiere im Zirkus zum Teil schwer verletzt oder in einem Fall sogar getötet worden. Der drastischste Fall ereignete sich im Juni 2015, als Zirkuselefant „Baby“ des Zirkusunternehmens Luna einen Spaziergänger tötete. Der Elefant war bereits mehrfach aufgefallen: Unter anderem im baden-württembergischen Leutkirch im September 2010, als das Tier zwei Menschen erhebliche Verletzungen zufügte wie auch ein Unfall, bei dem der Elefant Anfang Oktober 2012 einem zwölfjährigen Jungen mit einem Rüsselschlag den Kiefer brach. Zahlreiche weitere Fälle verliefen glücklicherweise glimpflich. Auch der Ausbruch eines Zirkusbären in Kassel im April 2009, welcher einen Polizisten angriff und in der Folge erschossen wurde, blieb ohne weitreichende gesetzliche Folgen. Zwar ist in den Zirkusleitlinien vermerkt, dass die Haltungssysteme ausbruchssicher sein müssen, in der Praxis ist dies aber schwer umzusetzen und schließlich bleiben Wildtiere auch in Menschenhand unberechenbar. Diesbezüglich müssen klare Regelungen geschaffen werden: Sofern fahrende Zirkusbetriebe keine sicheren und gleichzeitig tiergerechten Gehege nachweisen können, muss von einer Haltung solcher Tierarten Abstand genommen werden. Grundsätzliche Forderungen des Deutschen Tierschutzbundes • • • • • Generelles Verbot der Haltung aller Tiere wildlebender Arten in Zirkusunternehmen umgehend zumindest von Affen, Bären, Elefanten, Nashörnern, Giraffen und Flusspferden (gemäß Bundesratsbeschluss aus dem Jahr 2011 bzw. Antrag Hessens vom Februar 2016) Verbesserung der Haltungsbedingungen durch Anpassung der Zirkusleitlinie mindestens an die Vorgaben des aktuellen Säugetiergutachtens (2014) sowie auf der Grundlage neuester wissenschaftlicher Erkenntnisse Überprüfung und Ergänzung des Zirkusregisters, damit zentrale Erfassung aller Zirkusbetriebe sowie aller Tierhaltungen im Zirkus ermöglicht wird Sicherstellung einer ausreichenden Sachkunde des Tierhalters bzw. Tierpflegepersonals Überprüfungen der Tierhaltungen möglichst nur von spezialisierten Tierärzten (im Idealfall) Da der Transport von Zirkustieren bisher nicht ausreichend geregelt ist, muss seitens des BMEL umgehend Abhilfe geschaffen werden Auf kommunaler Ebene keine Platzvergabe an Zirkusunternehmen, die in den letzten 2 Jahren tierschutzrechtlich aufgefallen sind Zur Unterbringung behördlich beschlagnahmter Zirkustiere Schaffung von geeigneten Auffangstationen durch die Bundesländer