Ludwig-Maximilians-Universität München Institut für Deutsche Philologie Lehrstuhl für Didaktik der deutschen Sprache und Literatur Prof. Dr. Klaus H. Kiefer Zulassungsarbeit zum Ersten Staatsexamen Werbefilme im Deutschunterricht am Beispiel des Porsche-911-Commercials Vorgelegt von: Wolfgang Melchior M.A. Lehramt Gymnasium Deutsch, Geschichte, Ethik/Philosophie (EW) Abgabetermin: 1. Oktober 2008 Inhaltsverzeichnis 1. Gegenstand und Problem: Medien-didaktisch ......................................... 2 1.1 Film, Werbung und Werbefilm im Lehrplan ................................................... 4 1.2 Kurze didaktische Rechtfertigung des Gegenstands: die Klafkischen Kriterien .. 7 1.3 Der Werbefilm als Kulminationspunkt der Mediennutzung Jugendlicher........... 7 2. Der theoretische Rahmen: Film – Werbung - Werbefilm ......................... 9 2.1 Sehen und Bild – Idolatrie ...................................................................... 9 Zwei Konsequenzen ................................................................................................. 13 2.2 Film und seine eigene Sprache: Film ist kein Text ................................... 15 Didaktische Konsequenzen ...................................................................................... 20 2.3 Werbung ............................................................................................. 21 2.2.1 AIDA-Modell ....................................................................................................25 2.2.2 Modernes Kundenbindungsmodell .....................................................................28 2.2.3 Vergleich der Modelle.......................................................................................32 Didaktische Konsequenzen ...................................................................................... 32 2.3.3 Werbung und Bildung – Fragen der Rechtfertigung und Behandlung ...................33 3. Der Werbefilm am Beispiel des Porsche 911 Commercials .................... 36 3.1 Der Porsche 911 Commercial .................................................................... 36 Zeitstruktur ............................................................................................................... 37 Räume....................................................................................................................... 39 Figurenkonstellation und -charakterisierung............................................................ 40 Botschaft/Message ................................................................................................... 41 3.2 Unterrichtsentwürfe.................................................................................. 41 3.2.1 Beispiele für Lernziele: Erzählweise, Bauformen, Zeichentypen und rhetorische Mittel von Filmen erkennen .................................. Fehler! Textmarke nicht definiert. 3.2.2 Technische Voraussetzungen ............................................................................42 4. Anhang................................................................................................... 49 4.1 Literaturverzeichnis und Quellen................................................................ 49 4.1.1 Sekundärliteratur .............................................................................................49 4.1.2 Werbespotverzeichnis.......................................................................................53 4.1.3 Filmverzeichnis ................................................................................................60 4.2 Materialien .............................................................................................. 61 4.2.1 Filmprotokoll zum Werbespot Porsche 911 Commercial (997) „Business Card“ .....62 4.2.2 Unterrichtsmaterialien ......................................................................................76 4.2.2.1 Arbeitsblätter.................................................................................................... 76 Arbeits-/Infoblatt 1: Filme verstehen - Grundbegriffe der Films ............................ 77 Arbeitsblatt 2: Erzählschritte angeben ..................................................................... 80 Arbeitsblatt 3: Werbung - Markenimage ................................................................. 81 Arbeitsblatt 4: Image und „relevant set“ – ein kleiner Test ..................................... 82 4.2.2.2 Folien................................................................................................................ 83 4.2.2.3 Screenshots (Abbildungen) .............................................................................. 84 _________________ -1- 1. Gegenstand und Problem: Medien-didaktisch Medienkompetenz und Medienbildung im Allgemeinen sowie Werbung und Filmanalyse im Besonderen sind Bereiche, um die jeder Deutschlehrer1 heute immer noch recht weite Bögen schlägt. Zwar erfreuen sich Filme nach wie vor großer Beliebtheit in Freistunden und der berüchtigten Letzten Woche (vor Ferien), doch einer fachlichen und didaktischen Herangehensweise stehen viele Hindernisse im Weg. Die Hauptgründe dafür sind: - das Fehlen einer echten medienphilologischen2 Ausbildung. Eine fundierte fachwissenschaftliche Behandlung der Gegenstände Film und Werbung weicht freilich den absoluten, im klassischen Bildungsbegriff noch tief verwurzelten Vorrang von Texten auf und muss sich neben dem gängigen produkt- und rezeptionsgeschichtlichen Methodenrepertoire auch produktionsorientierten und wirkungsästhetischen Verfahren öffnen. - der vage Begriff von Medialität während der Lehrerausbildung, mit dem sehr disparate Gegenstände bezeichnet werden (vom Unterrichtsmaterial als didaktischem Hilfsmittel, über die Massenmedien als Lerninhalt bis zum Recherche-Instrument für Schüler). - der mangelnde Rückhalt durch Lehrpläne und ein dünnes Angebot von Unterrichtsmaterialien. Wie ich weiter unten zeigen werde, sind zwar die Erziehungsziele Medienkompetenz gut in den Lehrplänen verankert, jedoch fehlt es sowohl an konkreten Lerninhalten und –zielen. Dem entspricht dann der Materialbestand in Schulbüchern. - das Fehlen eines technischen Grundverständnisses und einer technischen Grundausstattung, welche für die Analyse und unterrichtliche Behandlung von Filmen unentbehrlich sind. Werbefilme, also alle Arten von Filme, in denen ein Produkt, eine Organisation, eine Kampagne oder eine Firma ins rechte Licht gerückt und mit positiven Einstellungswerten belegt wird, werden in verschiedenen Kanälen wirksam. Im Fernsehen und heute auch im 1 Die vorliegende Arbeit verwendet für Personen beiderlei natürlichen Geschlechts das grammatische Genus des Maskulinums, um den Lesefluss nicht unnötig zu stören. Mit den Begriffen „Lehrer“ und „Schüler“ sind sowohl Lehrerinnen als auch männliche Lehrer, Schülerinnen und männliche Schüler gemeint. 2 Zwar ist in den letzten Jahrzehnten mediendidaktisch einiges auf den Weg gebracht worden, jedoch darf Didaktik als Vermittlungswissenschaft nicht mit der Sachwissenschaft Medienphilologie verwechselt _________________ -2- Internet sind sie meist in Form von Werbespots, auch Werbeclips genannt, zu finden und wenden sich an offene Benutzergruppen, die als Konsumenten betrachtet werden (BtCModell). Das Internet gibt dabei nicht nur den primären, sondern meist auch sekundären Verbreitungskanal (wie Youtube und andere Videoplattformen) ab, in dem oft auch andere Fassungen eines Fernseh-Werbespots zu finden sind.3 Allgemein sind Spots oder Clips dabei abzugrenzen von Lang- und Kurzfilmen, die zusammen zunächst nur relative Markierungen auf einer Filmlängenskala darstellen, ohne dass damit schon das Genre4 desselben festlegt ist.5 Zwar gibt es gesetzliche oder durch Vereinbarungen, Selbstverpflichtungen oder Satzungen stipulierte länderspezifische Werberichtlinien, die die Länge wie den Ausschluss bestimmter Inhalte von Werbespots in verschiedenen Medien wie Fernsehen6, Kino7 oder auf Webseiten festlegen, jedoch hat sich ein einheitliches formales, stilistisches wie dramaturgisches Verständnis darüber, was als Werbespot anzusehen sei, noch nicht herausbildet. Daneben können sich Werbefilme auch an einen geschlossenen Rezipientenkreis wenden, entweder an die eigene Belegschaft oder an andere Unternehmungen wie Zulieferer (BtBModell). Die Unterschiede dieser zu den massenwirksamen Werbespots im Fernsehen und werden. In der Medienphilologie stehen vor allem nicht-textuale Produkte und ihre ästhetische Wirkung im Vordergrund. 3 Neben länderspezifischen Fassungen sind dort auch oft Langversionen von Fernsehspots zu finden. Dies ist auch bei dem weiter unten zu besprechenden Porsche-Spot der Fall, dessen vorliegende Version nur in den USA im Fernsehen lief. 4 Genre bezeichnet nicht die Funktion eines Films, sondern seine Kategorie. Faulstich fasst ein Genre als „spezifisches Erzählmuster mit stofflich-motivlichen, dramaturgischen, formal-strategischen, stilistischen, ideologischen Konventionen und einem festgelegten Figureninventar“ (Faulstich: Filmanalyse, S. 28f) auf. Neben den Problemen des Genrebegriffs, die seine Zirkularität betreffen (siehe hierzu: ebd., S. 26) – Kriterien eines Genres lassen sich aus konkreten Filmen gewinnen, die jedoch vorgängig-intuitiv bereits einem Genre zugeordnet werden –, stellt sich hier die Frage, ob die nicht bereits schon die Länge eines Films einige, wenn nicht alle, der vorgenannten Konventionsmerkmale so beeinflusst, dass jeweils von einem eigenen Ober- oder Metagenre gesprochen werden kann. Denn mit abnehmender Länge muss sich auch notwendig das Erzählmuster und das Figureninventar ändern. 5 Der Kurzfilm bezeichnet dabei, nimmt man sich die Festlegungen der Berlinale und der Motion Picture Awards Academy zum Vorbild, Filme bis zu einer Länge von 30 bzw. 40 Minuten. Alle Filme darüber wären demnach Langfilme („abendfüllend“), jedoch hat sich als Orientierungsmarke das 90-MinutenFormat herausgebildet, deren Gründe hier nicht weiter untersucht werden sollen. Spots oder Clips übersteigen in der Regel, meist aus Kostengründen, nicht die Länge von zwei bis drei Minuten. In Deutschland ist die Länge des einzelnen Spots selbst nicht gesetzlich geregelt. Es existieren allein Bestimmungen zum Anteil von Werbespots relativ zur Gesamtsendezeit (15% der täglichen bzw. 20% der stündlichen Sendezeit; siehe dazu: LFK - Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (Hg.): Rundfunkstaatsvertrag, auf: http://www.lfk.de/gesetzeundrichtlinien/rundfunkstaatsvertrag/main.html, Abruf 22.04.2008, hier §45). Theoretisch könnte damit ein Werbespot im deutschen Privatfernsehen also 12 min lang sein. 6 So gibt es in Deutschland die „Deutschen Werberichtlinien“, die im Rundfunkstaatsvertrag (RStV, §§ 15-18 für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, §§ 44-46a für private Rundfunkanstalten) festgehalten sind. Siehe dazu: LFK - Landesanstalt für Kommunikation Baden-Württemberg (Hg.): Rundfunkstaatsvertrag, auf: http://www.lfk.de/gesetzeundrichtlinien/rundfunkstaatsvertrag/main.html, Abruf 22.04.2008. 7 Im Kino unterliegt die Werbung in Deutschland hauptsächlich dem Jugendschutzgesetz und den Selbstverpflichtungen der FSK (Freiwillige Selbstkontrolle) der Filmwirtschaft. _________________ -3- Radio liegen vor allem in den unterschiedlichen Verbreitungskanälen, in der Länge und der werblichen Ausrichtung. Diese zweite Art von Werbefilmen findet oft auf Messen, in firmeneigenen Veranstaltungen oder als CD- oder DVD-Beilagen von zielgruppenaffinen Zeitschriften Verbreitung. Die Länge solcher Werbefilme überschreitet dabei bei Weitem die gängige Spotlänge von max. 1 min, und kann das Format von Kurzfilmen (ca. 10-30 min) erreichen. Konzipiert sind sie zumeist als Imagekampagnen.8 Im Folgenden möchte ich unter dem Begriff Werbefilm vor allem für das Fernsehen konzipierte Werbespots verstehen und untersuchen, wie eine Behandlung im Deutschunterricht aus einer medienphilologischen Perspektive aussehen sollte. Die Arbeit will dabei sowohl das theoretische Rüstzeug wie einen konkreten Anwendungsfall liefern. Dazu möchte ich folgende Fragenkomplexe abgehen: In welcher Weise ist das Thema Werbefilm Teil des Lehrplans (in Bayern)? In welcher Weise sind Werbespots Teil jugendlicher Lebenswirklichkeit? Welche fachlichen Voraussetzungen ergeben sich aus der Behandlung von Werbefilmen im Fach Deutsch. Dieser Teil wird sich den Problemfeldern Sehen, Filmanalyse und Werbung widmen. Im Anschluss daran werden die zuvor gewonnen Ergebnisse auf einen Werbespot angewendet und beispielhaft für die unterrichtliche Praxis aufbereitet. 1.1 Film, Werbung und Werbefilm im Lehrplan9 In den Lehrplänen aller Schultypen (in Bayern) sind die Begriffe Medienkompetenz, Mediennutzung gut verankert. Medienkompetenz wird im Realschullehrplan R6 sogar eigens nach fünf Dimensionen hin erläutert: „Wirkung, Botschaften verstehen und beurteilen“, „Medien gestalten“, „Medien auswählen und auswerten“, „Medien im gesellschaftlichen Zusammenhang“. Dort taucht „Medienerziehung“ (ME) als eine eigenständige fächerübergreifende Bildungs- und Erziehungsaufgabe10 auf. In der Hauptschule ist jeweils der zweite Themenbereich jeder Jahrgangsstufe (Fachlehrplanebene 3 für das Fach Deutsch) mit „Lesen und Mediengebrauch“ 8 Zum Begriff des Images siehe weiter unten im Kapitel Werbung. Lehrpläne sind ständig im Fluss. Gerade mit den Umstellungen der letzten Jahren (M-Zug, R4 auf R6, G9 auf G8) gibt es in Bayern eine kaum mehr überblickbaren Fülle von Lehrplänen (Entwürfe, gültige). Ich beziehe mich im Folgenden auf die an der ISB-Homepage angebotenen Fassungen unter der Adresse: http://www.isb.bayern.de/isb/index.asp?MNav=0&QNav=4&TNav=0&INav=0, Abruf 20.9.2008. 10 Genehmigter Lehrplan Realschule Bayern vom 14. Juni 2001, Lehrplanebene 2, S. 35. _________________ -49 überschrieben, in der Realschule der vierte Themenbereich unter der Überschrift „Mit Texten und Medien umgehen“ und im Gymnasium mit „Medien nutzen und reflektieren“. Der Begriff „Medien“ ist in allen bayerischen Lehrplänen recht vage, da darunter sowohl die Kanäle und Mittler der Informationsvermittlung (kommunikationswissenschaftliches Sender-Empfänger-Modell: Radio, Fernsehen, Internet, Printmedien), die stoffliche Seite und deren Träger (Art der übertragenen Zeichen: audiovisuelle, akustische, visuelle Medien; Trägerformate: CD, DVD, Druck etc.) als auch deren konkrete Produkte (inhaltlicher Medienbegriff: Texte, Bilder, Filme, Musik) verstanden werden. Die Trennung der Begriffe Text und Medien („Mit Texten und Medien umgehen“ etwa in der Realschule; die Trennung der Themenbereiche Text und Medien im Gymnasium), legt zwar den verwirrenden Schluss nahe, dass Medien alle nicht-textuellen Erzeugnisse betreffen sollen11, allerdings ergibt eine Übersicht über die jeweiligen Lerninhalte der Klassenstufen, dass damit vor allem die Massenmedien Zeitungen, Zeitschriften, Fernsehen und Internet12 gemeint sein sollen. Ganz offensichtlich sollen „die Medien“ als Kanäle von einzelnen Texten (vor allem journalistische Gebrauchstexte) abgegrenzt und gesondert behandelt werden. Medien dienen den Lehrplänen zufolge hauptsächlich der Informationsvermittlung und –beschaffung einerseits oder der Unterhaltung andererseits.13 Einen eigenen ästhetischen Wert scheint man ihren Produkten (noch) nicht zuzubilligen, da die zu erlernenden Methoden sich entweder auf die Informationsbeschaffung oder aber Einstellungen beziehen.14 So gesehen bedeutet Medienkompetenz einmal, zu wissen, wo man sich welche Information wie beschafft, und zum anderen ein reflektiertes Verhältnis zum eigenen „Medienkonsum“ (Lehrplanbegriff) zu entwickeln. In diesem Rahmen bewegen sich die beiden Inhalte Werbung und Film. Werbung als Lerninhalt wird in allen Lehrplänen unter dem Themenbereich der Medien abgehandelt. Sie nennen die Fachlehrpläne der 7. Jahrgangsstufe der meisten Schultypen.15 Im Lehrplanentwurf des G8 wurde allerdings das ohnehin als nicht obligatorisch klassifizierte 11 Natürlich bestände hier noch die Interpretation, dass die Lehrpläne die Produkt- von der Kanalseite trennen wollten. In diesem Fall müssten Texte auf ihre Vermittlung (Kanal) bezogen sein. Dies ist jedoch nicht der Fall. 12 Massenmedien sind geprägt von einem Vorherrschen der Unidirektionalität und einem One-to-manyModell (ein Sender wendet sich an viele Empfänger). „Das“ Internet allerdings bietet neben diesem klassischen Modell auch noch One-to-one- sowie Many-to-many-Kommunikation (Communities, Foren, Chats) an. 13 Den verwendeten Begriffen nach werden sie „konsumiert“ („Medienkonsum“). 14 So heißt im Lehrplan der Realschule: „Der selbstbestimmte Umgang mit Medien fördert die Entwicklung einer Medien eigenständigen und reflektierten Einstellung zu ihnen und verhilft Schülern dazu, deren Angebote und Möglichkeiten verantwortungsbewusst, sachgerecht, sinnvoll und kreativ zu nutzen.“ 15 Hauptschule: „Werbebotschaften und Unterhaltungswert kritisch untersuchen“; „Realschule: Mittel und Ziele der Werbung untersuchen und sich kritisch damit auseinander setzen“. _________________ -5- Thema „Auseinandersetzung mit der Werbung“ im nun gültigen Lehrplan ersatzlos gestrichen. In späteren Klassenstufen taucht dieser Lerninhalt nicht mehr explizit auf, kann jedoch unter „Massenmedien“, „medienspezifische Mittel“ (G8, Deutsch 10. Jahrgangsstufe) oder „Diskutieren von Fragen der ästhetischen Wertung medialer Darstellungen“ (G8, Deutsch 12. Jahrgangsstufe) subsumiert werden. Wer den Lerninhalt Film in den bayerischen Lehrplänen für das Fach Deutsch sucht, wird noch herber enttäuscht. Die Hauptschule sieht in der 7. Klassenstufe vor, „Verfilmungen anzusehen“, während der übergreifende Lerninhalt Film dem Kunstunterricht vorbehalten bleiben soll. In der Realschule darf man in der 7. Jahrgangsstufe „den Inhalt von Texten, evtl.(!) auch von Filmen zusammenfassen“ und in der 10. Klasse ist der „Besuch(?) einer Literaturverfilmung“ vorgesehen. Einzig im Gymnasium soll man in der 10. Jahrgangsstufe „medienspezifische Mittel“ untersuchen und dabei das „Verhältnis von Bild, Ton und Wort analysieren und bewerten“. Während der Lehrplanentwurf des G8 dort noch schamhaft auf den Kunstunterricht verwies und appositiv „z.B. im Film“16 ergänzte, ist dieser Zusatz im gültigen Lehrplan ersatzlos gestrichen worden. Resümierend kann man Folgendes feststellen: 1.) Die doch recht „Medienkompetenz“ großspurig (in der anmutende Ankündigung Realschule sogar als des Bildungsziels fächerübergreifende Bildungsaufgabe) endet im Fach Deutsch mit kleinlauten Zusätzen wie „evtl.“, „z.B.“ oder recht allgemeinen und vagen Formulierungen von Lernzielen. 2.) Es fällt auf, dass im neuen G8 sämtliche Inhalte, die den Bereichen Werbung, Film und Bild entstammen, den unter „Verschlankungen“ und „Entschlackungen“ politischem 17 Druck entstandenen des Lehrplans zum Opfer gefallen sind. 3.) Die Inhalte Film und Bild werden lieber im Kunstunterricht als im Fach Deutsch gesehen, dort aber auch nicht systematisch behandelt. Damit fehlt eine echte medienphilologische Behandlung dieser Gegenstände. 4.) Dem Medienbegriff der Lehrpläne eignet ein etwas antiquiertes Modell von Medialität, das eine kaum nachzuvollziehende Trennung von Text und Medien vornimmt. 16 Wörtlich zitiert: „Untersuchen medienspezifischer Mittel: Verhältnis von Bild, Ton und Wort analysieren und bewerten [→ Ku 10.2], z. B. Film“. 17 Wie in der Wirtrtschaft haben sich auch im Bildungsbereich mittlerweile Euphemismen durchgesetzt. Statt von Massenentlassungen spricht man ja dort lieber von lean production. Ich schlage deswegen vor, von lean education zu sprechen, wo ganze Bildungsbereiche der „Entrümpleung“ zum Opfer fallen. _________________ -6- Insgesamt bleibt festzuhalten, dass sich Lehrer, die sich mit Werbung und Filmen an bayerischen Schulen auseinanderzusetzen gedenken, entweder auf das übergeordnete Bildungsziel der Medienkompetenz berufen oder es in Lernzielen der Art „Verhältnis von Bild, Ton und Wort analysieren und bewerten“ aufspüren sollten. Die Behandlung von Werbefilmen ist jedenfalls durch die Lehrpläne gedeckt. 1.2 Kurze didaktische Rechtfertigung des Gegenstands: die Klafkischen Kriterien Wolfgang Klafki hat in mehreren Schriften18 seine berühmten fünf Leitlinien der Unterrichtsplanung von Lerninhalten und –zielen entwickelt. Diese können auch als Kriterienkatalog für Rechtfertigung von Unterrichtsgegenständen verwendet werden. Daraus ergibt sich eine teilweise Rechtfertigung für die Verwendung von Werbefilmen. Die Gegenwartsbedeutung (Bedeutung des Gegenstandes im Leben der Schüler, auch im Sinne von Stellenwert) darf als „gesichert“ gelten und wird im folgenden Kapitel noch ausführlich durch Zahlenmaterial untermauert. Werbung spielt vor allem im Rahmen der Identitätsbildung Jugendlicher heute eine sehr große Rolle. Die Zukunftsbedeutung kann ähnlich gesehen werden. Hinzutritt hier die Tatsache, dass Unterrichtsgegenstände wie Werbung und Werbefilm heute vielfach fast berufsvorbereitend sind. Werbefilme sind ebenso gut fasslich und strukturierbar, weil sie oft, trotz bisweilen verwirrender Schnittfrequenz und Kameraführung, relativ kurz und in ihrer Oberflächenstruktur schnell zu erfassen sind. Die etwa für einen einzelnen Werbespot entwickelten Lernziele sind leicht auch auf andere übertragbar. Damit lässt sich auch das Kriterium der exemplarischen Bedeutung begründen. 1.3 Der Werbefilm als Kulminationspunkt der Mediennutzung Jugendlicher Die Mediennutzung (Kanäle) Jugendlicher gilt heute im Allgemeinen als empirisch gut untersucht.19 Private Fernsehkanäle (PRO-7 mit 42% bei Jungen und 31% bei Mädchen an erster Stelle) liegen in dieser Zielgruppe weit an der Spitze der Beliebtheitsskala der Fernsehsender. Lediglich 2% der Jugendlichen betrachten die weitgehend werbefreien 18 19 Hier vor allem Klafki: Didaktische Analyse als Kern der Unterrichtsvorbereitung, 1958. Vgl. dazu die jährlich erscheindenden JIM-Studien. Den folgenden Aussagen liegt die JIM-Studie 2006 (Jugend, Information, (Multi-)Media). Basisuntersuchungen zum Medienumgang 12-19-Jähriger, hg. v. Medienpädagogischen Forschungsverband Südwest, 2006 zugrunde. _________________ -7- öffentlich-rechtlichen Sender ARD und ZDF als ihre Favoriten.20 Das gilt auch unabhängig vom Schultyp (Gymnasium, Realschule, Hauptschule). Daily Soaps wie GZSZ und Sitcom-Formate wie TV-Total rangieren ganz oben auf der Liste der beliebtesten Formate.21 Interessant in diesem Zusammenhang ist das Konsumverhalten. Befragt danach, ob sie während des Fernsehens noch etwas „nebenbei“ machen, bejahen dies mehr die Hälfte (59%) der Jugendlichen. Das Erledigen der Hausaufgaben und Lernen stehen dabei an oberster Stelle (49% bei Mädchen, 33% bei Jungen). Der durchschnittliche Fernsehkonsum liegt bei 70 Minuten werktags und 101 Minuten am Wochenende. Zusammen mit der Tatsache, dass Privatsender ca. 15-20 Minuten Werbung pro Stunden senden (dürfen), kann geschlossen werden, dass fast alle Jugendlichen (nur Privatfernsehen) bis zu 20 Minuten Werbespots täglich (das entspricht ca. 20-30 Spots pro Tag) konsumieren, wobei diese bei der Hälfte nur nebenbei und unbewusst genossen werden. Schätzungen gehen davon aus, dass Kinder zwischen 6 und 16 Jahren ungefähr 900 Werbesports pro Monat ansehen.22 Doch hier ist Vorsicht geboten, denn andere Studien zeigen auch, dass Jugendliche bei Werbung im Fernsehen immer häufiger abschalten und sich statt dessen dem Internet zuwenden.23 Viele Jugendliche bevorzugen nach wie vor Fernseh- und Radiosendungen mit wenigen Werbeunterbrechungen.24 Dagegen muss eingewendet werden, dass die Studien lediglich die sog. Werbeblöcke einbeziehen. Werber und Fernsehen haben darauf reagiert und neue Werbeformate kreiert, die ein Ab- oder Umschalten unmöglich machen.25 Wenn die Zahlen der Menge konsumierter Werbung auch nicht in allen Studien übereinstimmen, eines scheint doch klar zu sein: Die quantitative Nutzung und der Konsum von Werbung, ob bewusst oder „nebenbei“, ist unter Jugendlichen enorm. Der Akzeptanzgrad, also die qualitative Nutzung von Werbung unter Jugendlichen wird durchaus unterschiedlich beurteilt, wie wir ja bereits gesehen haben. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Werbung heute unter Jugendlichen „gehandelt“ wird wie früher 20 Ebd., S. 24. Ebd. S. 26. 22 Vgl. die Kids Verbraucheranalyse 2003. 23 Youngcom Studie von 2008. Siehe dazu http://www.golem.de/0708/54063.html, Abruf 01.05.2008. Andere Erhebungen zeigen allerdings, dass die Abschalt- bzw.Umschaltrate nur bei ca. einem Drittel liegt und mit höherem Alter abnimmt. Vgl. dazu die nicht-repräsentative Umfrage an einer Realschule in Gaukert: Jugend, Werbung und Konsum, S. 6. Zudem: Auch im Internet stoßen Jugendliche auf Werbung und dies in wesentlich höherer Frequenz, wenn auch geringerer Dauer, als im Fernsehen. 24 Auf die offensichtliche „Spannung“ weist kaum eine Studie hin. Viele Jugendliche wollen zwar keine Werbung, nehmen diese aber für das gewollte Programm in Kauf. 25 Gemeint ist die Interstitial-Werbung, bei der sich ein Werbebild über das Fernsehbild legt und die nur einen Werbespot dauert. Zudem wird die Werbung natürlich immer vor Szenen eingeblendet, bei der unmittelbar danach eine Entscheidung oder die Auflösung zu erwarten ist. _________________ -821 Klebebildchen oder Matchboxautos. Wer den neuesten Clip auf dem Handy hat, wird von allen Seiten bedrängt und umlagert. YouTube ist die dazu passende Plattform. Dort werden täglich Tausende von Clips heraufgeladen und die Kommentare lassen darauf schließen, dass es vor allem Jugendliche sind, die sie einstellen und sich ansehen. Der Grad der Beeinflussung Jugendlicher durch Werbung darf als recht hoch angenommen werden. Dafür spricht nicht allein die hohe Akzeptanz26, sondern der Umstand, dass Shoppen in steigendem Maße zu den Lieblingsbeschäftigungen von Jugendlichen, deren Kaufkraft in den letzten Jahren enorm zugenommen hat, zählt. Dabei lassen sich Jugendliche durch Werbespots schon allein deswegen mehr beeinflussen als Erwachsene, weil ihnen die Produkterfahrung (product involvment) fehlt. 2. Der theoretische Rahmen: Film – Werbung - Werbefilm Eine Didaktik und Theorie des Films ist – naturgemäß – auch eine Didaktik wie Theorie des Sehens und des Bildes. Ich will zunächst zeigen, mit welchen ideologischen Schwierigkeiten und Mythen eine solche Didaktik und „Bildwissenschaft“ zu kämpfen hat. Anschließend sollen die zwei Teilbereiche Film und Werbung unter fachwissenschaftlichen wie auch didaktischen Gesichtspunkten beleuchtet werden. Dabei wird nach einem Gang durch verschiedene Theorien und Analysemodelle des Films die These erhärtet werden, dass Filme nicht als audio-visuelle Texte analysiert werden können. Anschließend wird im Kapitel Werbung das gängige AIDA-Werbewirkungsmodell einer Kritik unterzogen und durch ein neues Modell ersetzt. 2.1 Sehen und Bild – Idolatrie Wer sich mit Filmen beschäftigen will, ist zunächst mit einem so selbstverständlichen Phänomen konfrontiert, dass es kaum auffällt: dem Sehen. Das objektive Gegenstück des Sehens ist das Bild. Bilder, bewegte insbesondere, sind selbstverständlich, nicht nur weil 26 Eine monokausaler und direkter Schluss von der Akzeptanz auf die Beeinflussung, wie dies in den Diskussionen um ein Verbot von Gewaltspielen oft der Fall ist, muss logisch unterstellen, dass die Jugendlichen das in Werbespots Dargestellte für wahr (nicht wirklich!) halten. Denn man kann in der Regel nur etwas für wahr Gehaltenes zur Grundlage seines Handelns machen. Besser argumentiert hier die Habitualisierungshypothese, wonach Gewöhnungseffekte die Unterschiede zwischen dargestelltem und eigenem Handeln zunehemend aufweichen. _________________ -9- sie uns tagtäglich mit buchstäblich offenen Augen begleiten, sondern weil wir uns so bereitwillig von ihnen manipulieren lassen. Dabei haben wir uns seit jeher von Abbildmetaphern leiten lassen. Der erkenntnistheoretische Mythos, wonach die Wirklichkeit ein passives Haben von Bildern sei und diese Bilder in unserem Kopf nichts anderes seien als Abbilder der Wirklichkeit „draußen“, korrespondiert dabei mit der Forderung, Kunst habe sich mit der Nachahmung von Wirklichkeit zu beschäftigen. In beiden Modellen haben wir es mit einer seltsamen und falschen Verdopplung der Wirklichkeit zu tun. Dagegen gilt es, das Bild (wieder) in sein Eigenrecht zu setzen. Interessanterweise laufen in der Erkenntnistheorie Idealismus und Empirismus auf dasselbe Resultat hinaus: die Annahme einer ein für allemal fertigen Wirklichkeit27 und der Glaube, unsere Gedanken seien irgendwelche Kopien von etwas. Platons Begriffsidealismus sah die wirklichen, unvollkommenen Dinge als Abbilder von vollkommenen Ideen (Höhlengleichnis). Deswegen galt ihm der Künstler nur wenig, da er nur die ohnehin unvollkommene Wirklichkeit noch einmal abbilde (Abbild zweiter Stufe). Im Empirismus ist Sehen nichts anderes sei als das schlichte wie passive Haben von Eindrücken bzw. Impressionen (impressions) des Geistes, die durch äußere wie innere Reize (sensations) hervorgerufen werden.28 Vorstellungen seien nichts anderes als Abbilder von Sinneseindrücken.29 Diese müssten als unmittelbare Anschauungen (imaginations), so nahm man an, die selbstgewisse und unzweifelhafte Basis aller Vorstellungen (ideas) und Überzeugungen (beliefs) sein.30 Diese Vorstellung hielt sich bis zum modernen Empirismus, der im Rahmen seiner Abbildtheorie31 glaubte, es gebe sog. Protokoll- oder Basissätze. Auch wenn der Empirismus mit einigen idealistischen 27 Nach Putnam kann man diese Auffassung als metaphysischen Realismus bezeichnen. Locus classicus dieser Auffassung ist nach wie vor David Humes [An] Enquiry Concerning Human Understanding von 1748. Unverkennbar reicht diese empiristische Tradition hinauf bis in den Verifikationismus (Reichenbach), logischen Empirismus (Wiener Schule um Carnap) und Behaviorismus des 20. Jahrhunderts. 29 „Or, to express myself in philosophical language, all our ideas or more feeble perceptions are copies of our impressions or more lively ones. “(Hume: An Enquiry Concerning Human Understanding, S. 13; Herv. v. mir). 30 So meint Hume zur unmittelbaren Gewissheit der Sinnesreize und Eindrücke: „On the contrary, all impressions, that is, all sensations, either outward or inward, are strong and vivid: the limits between them are more exactly determined: nor is it easy to fall into any error or mistake with regard to them.” (Hume: An Enquiry Concerning Human Understanding, S. 17; Herv. v. mir). 31 Bekanntlich propagierte Wittgensteins Tractatus noch eine Abbildtheorie von Wahrheit („Die Welt ist alles, was der Fall ist“, Wittgenstein: TLP, §1). Der Tarskischen Konvention-T (Convention T) muss ein Semiotiker stauend gegenüberstehen. Tarkis Kniff bestand darin zu behaupten, dass eine Aussage ‚x ist der Fall’ genau dann wahr ist, wenn x der Fall ist (vgl. Tarski: Der Wahrheitsbegriff in den formalisierten Sprachen, 1935, S. 261–305). Hier ist deutlich die mythische Kraft des unmittelbare Gegeben zu spüren; Denn wie anders soll man feststellen, ob x der Fall ist, wenn nicht selbst schon in einem Urteil darüber? _________________ - 10 28 Vorurteilen und Abstrusitäten32 aufräumen könnte, so schuf er doch einen neuen Mythos: den des unzweifelbar sinnlich Gegebenen, des Unmittelbaren.33 Doch dass Sehen nichts Unmittelbares ist, wissen wir nicht erst seit Kants Kritik der reinen Vernunft und seinen Verdikten, dass unsere sinnliche Erfahrung nicht einfach gegeben, sondern auf den Bedingungen von Anschauungsformen beruht34 und Erfahrungsurteile nicht einfache, sondern zusammengesetzte Urteile sind, die den Verstandesleistungen der Synthesis entspringen.35 Und auch nicht erst die Neurowissenschaften müssen uns heute bestätigen, dass wir Filme nur deswegen als bewegte Bilder wahrnehmen, weil unserem Wahrnehmungsapparat eine spezifische Trägheit innewohnt, denn das wussten bereits antike Forscher und die Brüder Lumiere um 1900.36 Für Kunst bedeutet dies, dass auch sie nur Abbilder produziert. Die Vorstellung von der Abbildfunktion der Kunst geht bekanntlich auf den Aristotelischen Mimesisbegriff37 zurück und zieht sich über Winckelmanns „Gedanken über die Nachahmung“, Lessings und Goethes „Laokoon“-Abhandlungen, Fontanes Betrachtung zum „Poetischen Realismus“ bis hin zu Arno Holzens Manifest. Allen gemeinsam ist die Auffassung, dass Kunst etwas Wirkliches abbilde oder abzubilden habe. 32 Man erinnere sich nur an den Irrwitz des platonistischen Begriffsrealismus in der Scholastik, der sich mit der Frage herumschlug, wie viele Engel, die per definitionem nicht zur Welt der Körper gehören sollten, auf einen Stecknadelkopf passen, sowie Leibnizens Märchen der „fensterlosen“ Substanzen, der Monaden. 33 Damit hatte bereits Descartes in den Medtitationes de Prima Philosophia begonnen. Erkenntnis sollte auf ein unverbrüchliches Fundament gestellt werden, sodass nur das als wahr erkannt werden solle, woran man e negativo nicht zweifeln könne oder was clare et distincte (klar und eindeutig) eingesehen werde. 34 Vgl. dazu Kant in der Kritik der reinen Vernunft (Kap. Transzendentalen Ätshetik), die Anschauungsformen von Raum und Zeit. „Die Zeit ist kein empirischer Begriff, der irgend von der Erfahrung abgezogen werden kann.“ (Kant: KrV, B46/A31). 35 Kants steht hier in direktem Gegensatz zu Humes Aufassung: „Erfahrungsurteile [also das Reden über Erfahrung], als solche sind insgesamt synthetisch.“ (Kant, KrV, B12/A8). 36 Vgl. dazu Kiefer: Sekunde durch Hirn, S. 55 und die dort angegebene Literatur. Der heute im Deutschen Museum in München zu bewundernde Cimeatograph der Nr. 66 (Inv.-Nr.: 1909/21114) war in der Lage 16 Bilder pro Sekunde (fps = frames per second) aufzunehmen. Vgl. dazu Deutsches Museum (Hg.): Der „Cinématographe“ der Gebrüder Auguste und Louis Lumière, auf: http://www.deutschesmuseum.de/sammlungen/ausgewaehlte-objekte/meisterwerke-v/cinematograph/. Heutige Aufnahmeverfahren arbeiten mit 24 fps. 37 Für eine in ihrer Kürze wie Treffgenauigkeit hervorragende Kritik der Mimesis siehe Kiefer: Sekunde durch Hirn, S. 44-50. Ohne auf die heiße, bisweilen heftig aufflackernde Mimesisdebatte in der Literaturgeschichte eingehen zu wollen, ist der Vater des Mimesis-Begriffs Aristoteles, der für diese falsche Verdopplung der „Realität“ gerne beschuldigt wird, selbst nicht eindeutig. Einserseits scheint Aristoteles einem recht platten Abbildrealismus das Wort zu reden, bei dem es auf reines Wiederkennen ankomme („syllogizetai ...oion oti outos ekeinos“; Arist., Poet. 1448b,15-20). Allerdings unterscheidet er Mimesis an anderen Stellen von dieser Mimikry, also einem Sichangleichen ans oder Gleichmachen mit dem Objekt der Natur, indem er etwa die Dichtung von Geschichtsschreibung abgrenzt. Während diese die Wirklichkeit darzustellen habe, müsse jene das „nach den Regeln der Wahrscheinlichkeit und Notwendigkeit Mögliche“ mitteilen (Arist., Poet. 1451a,35ff). Es darf vermutet werden, dass bereits Aristoteles der Gedanke vorschwebte, dass jede menschliche Tätigkeit, ob schaffend oder rezipierend, auf ganz spezifischen subjektiven Leistungen beruht. _________________ - 11 - Im Film jedoch ist die Suggestion von Wirklichkeit auf ihrem vorläufigen Höhepunkt angekommen. Wir lassen uns so bereitwillig von bewegten Bildern täuschen und hinterfragen sie nicht mehr, weil sie uns erstens alltägliche Wirklichkeit vorgaukeln und damit zweitens dieselben Selektionsmechanismen auslösen wie das alltägliche Sehen. Im Film glauben wir ganz bei uns zu sein. Ebenso wenig wie wir alltäglich darauf reflektieren, was wir sehen, ergeht es uns im Film, weil er uns Alltäglichkeit vorspiegelt. Genau hier liegt nach Kiefer der fatale Irrtum: „Das menschliche Bewusstsein ist nicht durch den Film gleichsam ‚zu sich’ gekommen. Vielmehr ist die filmische Wahrheit – gerade wegen der scheinbar perfekten Nachahmung – zum Automatismus verkommen.“38 Daraus muss gefolgert werden, dass in Filmen gleichsam eine Verkehrung wirksam ist, die uns das Dargestellte nicht mehr als absichtsvolle Fiktion durchschauen lassen.39 Bewusst eingesetzte filmische Zeichen verkommen zum (Spezial)Effekt und subtile Botschaften werden zwar reflexartig verstanden, um aber sofort aus dem Bereich des Bewussten verdrängt zu werden und zu verschwinden.40 Verfremdungen, Analogien, Ähnlichkeiten und indexikalische wie symbolische Beziehungen werden nur oberflächlich-affektiv als seltsam, schief oder „abstoßend“ wahrgenommen. Damit bleiben aber auch ihre syntaktischen und semantischen Dimensionen unzugänglich. Wie sehr Verstandesleistungen durch das bewegte Bild verdrängt werden, zeigt sich schon bei Jugendlichen. Legt man Schülern Stills, unbewegte Gemälde, Zeichnungen oder Illustrationen vor, so fangen sie an zu entdecken. Es scheint heute unnormal zu sein, wenn ein Bild plötzlich „steht“, vergleichbar vielleicht mit dem „stehenden Text“. Der Grad an rezeptiver Selbstverständlichkeit und Passivität nimmt mit der Bewegung und deren Anzahl der Bilder zu.41 Das kann offenbar nicht mit der Rezeptionsgeschwindigkeit und den psychologischen Selektionsmechanismen selbst zusammenhängen, da Schüler selbst die Filmsequenzen mit den abstrusesten Darstellungen, Montagen und Texten noch als normal wahrnehmen, während die gewöhnlichsten Einzelbilder einer bisweilen 38 Kiefer: Sekunde durch Hirn, S. 49. Die neuen Frontlinien verlaufen somit auch zwischen „Fiktionalisten“ und „Realisten“. Die Postmoderne bejubelt den Untergang der Einen Wirklichkeit, indem sie alles zu Fiktion und Schein erhebt. Dabei ist es ihr egal, ob die Fiktion durchschaut wird oder nicht: Hauptsache ist, dass die Individuen in ihrem bis zum Nietzscheanischen Geltungsdrang gesteigerten Selbstbehauptungswillen nur immer möglichst vielfältig sich selbst ständig neu erschaffen. Realisten glauben hingegen immer noch an die aufklärende Macht der Bilder. 40 Wir werden weiter unten sehen, dass in der Werbung analoge Mechanismen am Werk sind. So gesehen gehen Werbung und Film eine natürliche Partnerschhaft ein. 41 Ob dies ein angeborenes evolutives Muster ist, vermag ich nicht zu behaupten. Wahrscheinlich erscheint es mir jedoch. _________________ - 12 39 eingehenden Betrachtung und Kritik unterzogen werden.42 Selbst wenn im Film auf perzeptiver Ebene Dinge erkannt werden, erscheinen sie meist als selbstverständlich, normal und keineswegs ungewöhnlich. Die Aussage und besondere Wirkung eine Stilmittels bleibt unklar.43 Damit scheinen sich im Ergebnis für die Filmanalyse ähnliche Schwierigkeiten wie für die Textanalyse zu ergeben. Doch der entscheidende Unterschied liegt in er Habitualisierung: Während Texte erst durch den sprachlogischen Flaschenhals des Sprachzentrums wandern müssen und dort bereits Abstraktionsleistungen abrufen, laufen Filme in visuellen und akustischen Zentren ungefiltert zusammen, sodass die Abstraktionen per se erst einmal herzustellen sind. Zwei Konsequenzen Aus diesem Befund ergeben sich zwei mögliche Konsequenzen: Entweder man entzaubert das Bild durch Reflexion, indem man die Abstraktionsleistungen vollzieht, oder versagt sich ihm ganz oder verbietet es sogar. Schon die älteste Forderung des Bilderverbots im Dekalog des Alten Testaments (2. Moses (Exodus) 20,4; 5. Moses (Deuteronomium) 5,8) lässt sich nicht allein auf eine Ablehnung des Götzendienstes beziehen, also des Verbots von Abbildungen des einzigen Gottes selbst, sondern auf Bilder per se. „Etwas abbilden, heißt, es vergötzen, es zum Objekt anbetenden Begehrens zu machen. Wer sich Bilder macht, das heißt, Objekte, die etwas darstellen, der tut das, um sich vor ihnen niederzuwerfen und ihnen zu dienen“, meint der Religionswissenschaftler Assmann zum 42 So habe ich an einer Realschule eine Einführungsstunde zur Filmanalyse in einer 10. Klasse gehalten mit dem Ziel, den Schülern die wichtigsten Bauformen des Films (Montage, Kamerabewegungen, perspektiven,- größen) anhand ausgewählter Beispiele klassischer Spielfilme nahe zu bringen (10. 4 „Einflüsse der Medien erkennen“). Ich bin dabei so vorgegangen, dass ich das zu untersuchende Merkmal genannt, erläutert und an die Tafel geschrieben habe (etwa: Kamerperspektive, die extreme low [Frosch], low [look-up], normal [Augenhöhe], high [look-down] und extrem high [Vogelperspektive] sein kann). Dann nach einer 20 s Sequenz (Der Weiße Hai: erster Angriff; dort sind extreme Perspektivenwechsel in TC 14:40ff) wurde gefragt, welche Perspektiven entdeckt wurden. Nahezu alle Schüler hatten kaum einen Wechsel der Perspektive entdecken können, weil doch „alles normal war“. Ich dachte zunächst, die Schüler hätten die Begriffe nicht richtig verstanden. Erst als ich die Sequenz in Zeitlupe (1/4, teilweise frame by frame) ablaufen ließ, wurde ihnen klar, dass und wie die Kamera die Perspektive änderte. 43 Der berühmte Match-Cut in Stanley Kubricks 2001 (2001 – A Space Odyssey, USA 1968, TC 00:12:03 bis TC 00:12:08), in dem eine Überblendung von einem in der Luft kreisenden Knochen, der zuvor als erste Mordwaffe der Affen Verwendung fand, zu einem ähnlich aussehenden Raumschiff mit zwei knödeligen Enden stattfindet, wird zwar als ironisches Wirkungsmittel von Schülern erkannt und mit Schmunzeln bis Lachen begleitet, aber nicht in seiner Intention und Bildaussage erfasst. Auf Nachfrage, was dieser Schnitt hier bedeuten soll, meinen die Schüler, es sei „nur ein Gag“, um den Übergang von der alten zur neuen Zeit „anschaulicher und witziger zu gestalten“. Die Hintereinanderschaltung von Symbol und Metapher (vereinfacht: Knochen Î Mordinstrument; Knochen = Raumschiff; also Raumschiff Î Mordinstrument) entgeht ihnen vollends. Der Einwand, dass man den ganzen Film kennen müsste (HAL 9000 als Ausgeburt der bösen Technik), um diesen Zusammenhang zu verstehen, trifft nicht, da selbst Schüler, die den Film kennen, das rhetorische Mittel nicht entschlüsseln können. _________________ - 13 - alttestamentarischen Bilderverbot.44 Assmann sieht ein solches weitreichendes Bilderverbot auch als Akt der Aufklärung: „Wer sich von den Bildern lossagt, wer die Bilder zerstört, befreit sich von den falschen Göttern dieser Welt. Monotheismus bedeutet Weltentzauberung, Aufklärung im strengen Kant’schen Sinne als Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Idolatrie ist nichts anderes als selbstverschuldete Unmündigkeit, nämlich Selbstversklavung an die Mächte dieser Welt, eben avodah zarah, fremder Sklavendienst“. Eine Welt ohne künstliche Bilder wäre demnach eine befreite Welt. Doch seit der von Assmann angesprochenen Aufklärung im 18. Jahrhundert glauben wir tatsächlich, dass wir der Idolatrie trotz der Bilder entrinnen können. Jeder didaktische Zugang muss nicht den Film als Traum offen legen,45 sondern Film-Sehen als Tagträumen bewusst werden lassen und die beiden Dimensionen für das Sehen erschließen. Schritt für Schritt, Schale für Schale muss der von Kiefer treffend als Automatismus beschriebene Vorgang wieder ins Bewusstsein hereingeholt werden. Damit muss es auch das Ziel jedes Filmunterrichts sein, Affektives bzw. Instinktives als Kognitives auszuweisen. Dieses Modell beschreitet den Weg der Reflexion. Die Mächte des Unbewussten sollen durch Bewusstmachung gebannt und in ihre Schranken gewiesen werden. Letztlich geht diese Vorstellung auf die Annahme zurück, wonach eine Sache nur gründlich genug kritisiert werden müsse, um sie von ihrem magischen Ballast befreien zu können.46 So unmodern ist die Idee vom Bilderverbot keineswegs, schmiegt sie sich doch heute ans Reflexionsmodell an: Dort, wo wir annehmen, dass der Reflexionsgrad nicht mächtig genug sei, bei Jugendlichen zumal, wird freiwillig zensiert oder unmittelbar verboten. Die Altersbeschränkungen für Filme und Forderungen nach dem Verbot bestimmter Computerspiele haben letztlich darin ihre Begründung. 44 Diese interessante radikale Interpretation findet sich im Dresdner Vortrag Jan Assmanns unter dem Titel „Was ist so schlimm an Bildern“, abgedruckt im Aroumah. Journal für Poesis der Religionen auf: http://www.aroumah.net/agora/assmann2-dresdner%20vortrag.php. Sie deckt sich allerdings nicht mit der gemäßigten, heute von den abrahamitischen Religionen weitgehend vertretenen Position, wonach man sich nur kein Bildnis Gottes machen dürfe, weil dies die Einzigkeit Gottes beinträchtigen würde (Götzendienstverbot). Eine dritte, meist religionsgeschichtlich argumentierende Sichtweise bezieht das Bilderverbot allein auf Fremdgötter (Exklusivität und Monotheismusgebot; vgl. den Artikel Bilderverbot von Michaela Bauks im Wissenschaftlichen Biblelexikon im Internet auf: http://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/dasbibellexikon/details/quelle/WIBI/zeichen/b/referenz/15357///cache/d75c47a5f5/, Abruf 22.09.2008). Doch zeigt ein Blick auf die frühe Geschichte des Christentums, dass die radikale Skepsis vor jeder (ab)bildenden Kunst dort tiefverwurzelt war. Dabei berief man sich stets auf das alttestamentarische Bilderverbot. Unabhängig von heutigen fachwissenschaftlichen Positionen kann man also sagen, dass das Bilderverbot in seiner radikalisierten Form eines allgemeinen Kunstverbots manchen Christen durchaus plausibel erschien. 45 So etwa der psychoanalytische Ansatz von Faulstich: Grundkurs Filmanalyse, S. 26 ff. 46 In diesem Sinne sind auch Kants Kritiken zu verstehen. _________________ - 14 - Doch das Verbot muss letztliche die wörtliche ultima ratio bleiben. Wer eine Didaktik des Verbots vertritt, beschneidet von vorneherein die Möglichkeit der entzaubernden Reflexion. 2.2 Film und seine eigene Sprache: Film ist kein Text Filme sind weder auf Zelluloid gebannte Visualisierungen eines Drehbuch-Texts noch ahmen sie mimetisch die Wirklichkeit nach.47 Vielmehr sind sie absichtsvolle, auf Wirkung angelegte Kompositionen, die eine eigene Welt entwerfen. Das zielt nicht nur auf ein Gegenmodell der oben angesprochenen mimetischen Abbildtheorie von Kunst, sondern betont auch die Eigenständigkeit des Mediums. Im Folgenden sollen Fragen im Zentrum stehen, die das Besondere des Films klären sollen: Was ist eigentlich ein Film im Gegensatz zu anderen medialen Darstellungsformen, vor allem aber dem Text? Dabei soll es weniger um Definitionen als um die Analyseinstrumente gehen, die bei einer Behandlung von Filmen in Stellung zu bringen sind. Ich will dazu vier Modelle vorstellen und am Ende didaktisch würdigen. Mehrere Betrachtungsweisen zum Film stehen in der Diskussion bis dato recht unvermittelt und bezugslos nebeneinander. Sie hängen zum Teil vom filmischen Gegenstand, meist aber vom einzelwissenschaftlichen Rahmenparadigma ab. Medienwissenschaftliche Modelle nähern sich dem Phänomen Film als medialem Produkt und unterscheiden es in erster Linie vom Print-Text in Zeitschriften oder Büchern sowie von verschiedenen Fernsehformaten. Ihr Horizont wird vom Verhältnis Produktion- Distribution-Rezeption eingefangen. Das Produkt des Films selbst taucht dabei nur als ein „Medienfaktor“ unter vielen anderen48 oder als völlig getrennt von der Dreiheit49 auf. Die zentrale Frage solcher Modelle sind die empirisch feststellbaren Umstände, unter denen Filme entstehen, vermarktet und konsumiert werden. Film wird hier vor allem als Produkt 47 Die falsche Alternative läge darin anzunehmen, dass Filme nur auf sich selbst verwiesen. Abbildtheoretische Referenz der Mimesis und reine Selbstreferenz von Werkimmanenz oder l’art pour l’art sind jedoch nur die zwei Seiten derselben falschen Medaille: Total- und Nullreferenz. Während die Nullreferenz jedes ästhetische Zeichen zum Schöpfungsakt ex nihilo/nemini und ad nihilum/neminem stilisiert und somit einem Zugriff entzieht, unterwirft es die Totalreferenz sofort der Herrschaft eines Anderen. In diesen Verhältnissen spiegeln sich die tautologische Selbstidentität eines a=a und der falschen Gleichung a=b. 48 Paradigmatisch steht hierfür Gasts medienkommunikative – ein seltsamer Zwitterbegriff – Auffassung mit seinem Begriff „Medienfaktor Film“. Siehe dazu Gast: Filmanalyse, 1996. Gast nennt noch die Faktoren Produzent und Rezeption. 49 Siehe dazu etwa Faulstich: Grundkurs Filmanalyse, S. 9-15. Faulstich spricht in diesem Zusammenhang von zwei getrennten Verfahren der Medien- und Produktanalyse (siehe ebd., S. 9). _________________ - 15 - im Rahmen des ökonomischen Verwertungsprozesses verstanden. Deswegen ist mit dem Begriff der Rezeption auch nicht eine wirkungsästhetische oder rezeptionsgeschichtliche Dimension, sondern eine konsumtive gemeint.50 In kommunikationswissenschaftlichen Modellen hingegen steht das Produkt Film zwar selbst im Zentrum, wird jedoch flankiert von Fragen der Entstehung und Wirkung. Meist wird dabei der Film als Instanz visueller Kommunikation im Rahmen eines SenderMedium-Produkt-Empfänger-Modells den drei Verfahren von Produktions-, Produkt- und Wirkungsanalyse unterworfen.51 Produktions- und Wirkungsanalyse ähneln zwar den entsprechenden Termini des medienwissenschaftlichen Modells, auch hier wird empirisch, teilweise mithilfe sozialwissenschaftlicher Methoden vorgegangen, sie legen jedoch das Gewicht mehr auf die kommunikative und semantische Ebene. Dabei beschäftigt vor allem die Frage, wie der filmische Akt diese oder jene Bedeutung in bestimmten Empfängern evoziert. Wesentliches Interesse haben solche Modelle daran, wie bildliche und filmische Produkte entstehen (Produktionsseite: Grund, Intention, Auswahl Akteure, Autoren), welche Bedeutungen sie schaffen und mit welchen Mitteln dies geschieht (Produktseite: Medium, Kanäle, Techniken, Motive) und wie sie wirken (Wirkungsseite: wahrnehmungsoder handlungsrelevant). Beide vorgenannten Modellgruppen können wichtige Fragen zur Klärung des Unterschieds zwischen Text und Film aufbereiten und beantworten, sowie die besondere Beziehung aufdecken, die zwischen der ökonomischen Verwertungskette und dem fertigen Produkt besteht. Zu nennen wären hier auf Produktionsseite die für Filme komplexe Frage von Urheber- und Autorenschaft52, auf Distributions53 unterschiedlichen Vertriebswege von Filmen 50 und Kanalseite die völlig sowie auf der Rezeptionsseite die Es ist hier nicht – im doppelten Sinne des Wortes – der Platz, diesen wie die anderen Begriffe des medienwissenschaftlichen Modells genauer zu untersuchen. Deswegen mögen die Andeutungen oben genügen. 51 Siehe dazu wie im Folgenden Müller: Grundlagen der visuellen Kommunikation, 2003. 52 Im Rahmen der Entstehung eines Films sind derart viele Personen als auctor tätig, dass sich etwa bis heute noch kein einheitliches und plausibles Zitiersystem für Filme entwickelt hat. Drehbuchautor, Produktionsgesellschaft oder Filmstudio, Regisseur, vor allem aber der Produzent (siehe zum Einfluss des Produzenten Gast: Filmanalyse, S.17), der Finanzier, Geldbeschaffer (fund raiser) und/oder Träger jedes Langfilms, all diese Personen sind als Urheber verantwortlich für das Endprodukt. Bekannt ist die starke Prägung, die Kameraleute, nicht deswegen oft auch Bildregisseure genannt, vielen Filmen gegeben haben (siehe dazu Prümm: Kamerastile im aktuellen Film, 1999). Michael Ballhaus etwa hat durch seinen oft inszenatorisch-gestalterischen, im Bildaufbau dem Theater entlehnten Kamerastil die meisten FassbinderFilme sowie als fester Chefkameramann von Martin Scorsese auch dessen Thriller nicht unwesentlich mitbestimmt. Weitgehend unerforscht ist auch noch der große Einfluss der im Deutschen Cutter, im Englischen interessanterweise editor (Urbedeutung: jemand, der etwas herausgibt) genannten Personen, wie überhaupt der gesamte Bereich der sog. Postproduction (siehe zum letzten Bereich Monaco: Film verstehen, S. 116-126). 53 Filme besitzen neben dem Internet, das ja eigentlich kein echtes Medium, sondern lediglich einen technischen Meta- und Universalkanal darstellt, vor allem drei Vermarktungsformen: Kino, Fernsehfilm _________________ - 16 - mittlerweile gut untersuchten Erwartungshaltungen und das Verhalten von Filmkonsumenten.54 Kommunikations- und medienwissenschaftliche Modelle sind auch dazu in der Lage, die vorgenannten Einflussgrößen in eine Beziehung mit den tatsächlichen Inhalten eines Films zu setzen. Filme als ästhetische Artefakte belieben jedoch in kommunikations- und medienwissenschaftlichen Modellen weitegehend ausgeblendet, sofern sie nicht von der prozeduralen Auffassung dort eingefangen werden. Hier besitzt eine dritte Gruppe von Modellen ihre Berechtigung, die ich aufgrund ihrer starken Anlehnung an die Philologie wie Literatur- und Sprachwissenschaft literaturwissenschaftliche Modelle nennen möchte. Dort werden Filme zunächst nach literaturwissenschaftlichen Methoden (Handlungsanalyse, Figurenanalyse, Motivanalyse, rhetorische Analyse, Gattungstheorie) analysiert.55 Begleitet und ergänzt werden die Analysen von den bekannten Interpretationsansätzen (biografische, strukturalistische, psychoanalytische, immanente usw.).56 Da Filme jedoch nicht nur natursprachlich, sondern vor allem mit bildlichen Verfahren „erzählen“, tritt eine Theorie der „Bauformen“ (Faulstich) hinzu, auch Theorie der „filmischen Codes“ (Beicken) oder schlicht „Filmsprache“ (Gast) genannt. Diese filmischen Codes beziehen sich vor allem auf die technisch-apparative Seite jedes Films und sind in diesen Modellen in der Regel die conditio sine qua non für jede Filmanalyse:57 - Einstellungsgrößen - Kamerabewegungen - Blenden - Perspektiven - Montage und Schnitt - Ton/Atmo - Musik und DVD. Print-Texte hingegen werden – ebenfalls neben dem Internet – vor allem textsortensortiert vertrieben. 54 Hier muss zwischen der quantitativen Sozialforschung, wie sie etwa durch die GfK (=Gesellschaft für Konsumforschung) und ihre Ermittlung der Einschaltquoten durchgeführt wird, und der mit den Verfahren von Feldprotokollen und offenen Interviews vorgehenden qualitativen Sozialforschung unterschieden werden, die sich auch mit wirkungspsychologischen Zusammenhängen beschäftigt. Siehe dazu Mayring: Einführung in die Qualitative Sozialforschung, 1990. 55 Vgl. dazu Beicken: Wie interpretiert man einen Film?, 2004. Immer noch federführend: Kanzog: Grundkurs Filmrhetorik, 2001. 56 Peter Beicken führt diese Ansätze als „Methoden der Filmanalyse“ an (Beicken: Wie interpretiert man einen Film, S. 64-130). Ich möchte an dieser Stelle nicht auf den uralten Streit um den Unterschied zwischen Analyse und Interpretation eingehen. Als Minimaldefinition sehe ich Interpretation als sinngebenede Synthese von eigentlich Unverbundenem in einem Referenzrahmen im Gegensatz zur Analyse als Zerlegung eines Ganzen nach einer regelgeleiteten Methode. 57 So sieht das auch Gast (Gast: Filmanalyse, S. 18) völlig zurecht. _________________ - 17 - - Licht Zum anderen berührt der Begriff der Bauformen auch folgende weniger technischen, sondern eher (bild- und ton)ästhetischen und erzählerischen Bereiche: - Mise en scène (Maske, Raumaufbau, Kleidung, Ausstattung) - Ton-Bild-Wort-Relation - Dramaturgie - Erzählstruktur Vielen Vertretern literaturwissenschaftlicher Modelle gelten deswegen Filme, wen wunderts, als „audio-visuelle Texte“58 (Gast) in einer eigenen Filmsprache oder gar als „Medientexte“59 (Schörkhuber). Man könnte sie deswegen Literatur-plus-Konzepte nennen. Die literaturwissenschaftlichen Ansätze, so attraktiv sie dem Deutschlehrer auch erscheinen mögen, erwecken Verdacht gewisser Betriebsblindheit, weil im Anderen (Film) immer nur das Eigene (Texte als Grundlage der Ausbildung) entdeckt wird. Sie evozieren Fragen, die wir oben eigentlich schon beantwortet zu haben glaubten: Wenn Filme in einer anderen Sprache erzählen als Texte, wie können dann die für Texte entwickelten Verfahren auch auf diese Sprache passen? Funktioniert und wirkt ein rhetorisches Stilmittel wie etwa der Parallelismus60 filmisch nicht völlig anders als in Texten? Verlangt etwa die Untersuchung einer Mise en scène nicht völlig andere Analyseinstrumente als sie der Literaturwissenschaft zur Verfügung stehen? Muss nicht vielmehr schon der Zeichenvorrat des filmischen Codes in die Betrachtung einbezogen werden? Liegt nicht, in Abwandlung 58 Hervorhebungen von mir. Siehe dazu Schörkhuber: Film im Deutschunterricht, S. 12. Dort schreibt er: „Filme sind Texte, und zwar Medientexte. Sind sind Teile eines kommunikativen Prozesses,...“. Den dabei recht sinnfreien Begriff vom „Medientext“ kann auch die Wortblase vom kummunikativen Prozess nicht mehr retten. Entweder meint Medium hier schlicht und einfach Film, so ist die Definition tautologisch (Filme sind Texte, und zwar Filmtexte). Oder das Explikans des Mediums soll irgendetwas Obskures bedeuten, von dem uns Schörkhuber nichts sagen kann. Dann ist die Definition leer. Abgesehen von solchen in der Debatte reihenweise auftretenden begrifflichen Luftbuchungen wollen diese „Definitionen“ eine konnotative Aura des Films schaffen, die sie eigentlich als Texte ausweisen soll. 60 Hier sei etwa die irrige wie naheliegende Annahme zu nennen, der Parallelismus sei gleichzusetzen mit der Parallelmontage. Das ist deswegen falsch, weil der Parallelismus ein syntaktische Ähnlichkeitsbeziehung herstellt (Satzgliedstellung im Text, Funktionen wechselnder Bilder im Film), während die Parallelmontage das Geschehen nur narrativ organsiert (etwa: Gleichzeitigkeit simuliert). Siehe dazu: Kanzog: Filmrhetorik, S. 89. Um die klassische Paralelmontage zu nennen: Wenn z.B. ein Einbruch mit fahrenden Polizeiautos gegengeschnitten wird, so liegt besitzen die Bilder beider Sequenzen nicht dieselbe Funktion, weil sie erst im Bezugsrahmen des Zuschauers klimatisch wirken: Die einen brechen ein, die anderen brausen dorthin. Damit liegt eine Parallelmontage vor, da die Funktion der Klimax (Spannung) nicht den Bildern selbst innewohnt. Hitchcock hat seine Zuschauer mit solchen Montagen oft in Irre geführt. Beim Parallelismus hingegen erfüllen zwei Bilder dieselbe Funktion, etwa indem gezeigt wird, wie unterschiedlich zwei Personen auf dasselbe Ereignis reagieren (Signal oder Gestus). Schon die korrekte Anwendung des Begriffs filmischer Paralleismus zeigt, wie schwierig eine bildbezogene Analyse sein kann, weil die Begriffe Bildfunktion und Bildsyntagma erst einmal „übersetzt“ werden müssen. _________________ - 18 59 des Wittgensteinschen Axioms, die Bedeutung eines Wortes oder Zeichens in seinem bestimmten Gebrauch?61 Solche und ähnliche Fragen beantworten nur semiotische Modelle, wie sie etwa von Kanzog im Rahmen seiner Filmsemiotik, zum Teil aber auch seiner Filmrhetorik entworfen werden.62 Demnach muss zunächst geklärt werden, was als filmisches Zeichen gelten, wie es typologisiert und wie es erkannt werden kann. Kanzog greift dazu etwa auf die universalistische Theorie der Zeichentypen Posners zurück.63 Ebenfalls von Posner übernimmt er die Postulate der zehn Kompetenzfelder der Bildsemiotik.64 Darüber hinaus müssen zweitens den nunmehr identifizierten filmischen Zeichen bestimmte Funktionen zugewiesen werden. So unterscheidet Kanzog hier, Peirce’ triadischer Zeichentheorie von Zeichen-Objekt(Representamen)-Interpretant folgend, auf der Objektebene (zweite Ebene) zwischen Ikon, Index und Symbol, um diese in die besondere Verwendung von Filmen einzubeziehen. Ein Ikon existiert aufgrund einer Ähnlichkeitsbeziehung zu etwas anderem, ein Index aufgrund von natürlichen kausalen oder finalen Beziehungen (Ursache-Wirkung, Motiv-Zweck, Teil-Ganzes), ein Symbol hingegen aufgrund einer Konvention oder Gebrauchsregel („law“).65 Jeder Zeichentyp ruft dabei andere Fähigkeiten und Verstandesleistungen in uns ab. Ein Ikon wird wiedererkannt aufgrund von assoziativen Schlüssen (es bedarf lediglich des Bildvergleichs und einer Erinnerungsleistung), ein Index verlangt einen kausalen Schlusses vom Bild auf einen damit natürlich verbundenen Zusammenhang (vor allem Detailaufnahmen, in denen 61 Die hier angesprochene und abgewandelte sog. Gebrauchstheorie der Bedeutung kulminiert in der berühmten Stelle: „Die Bedeutung eines Wortes ist sein Gebrauch in der Sprache.“ (Wittgenstein: Philosophische Untersuchungen, § 43; siehe auch § 560). Der bestimmte Gebrauch wird jedoch nach Wittgenstein durch das Sprachspiel festgelegt, womit die besonderen Regeln des Gebrauchs in konkreten Zusammenhängen gemeint sind (§23). Das Benennen und das Zeigen von Gegenständen etwa sind dann zwei verschiedene Sprachspiele, die unterschiedlichen Regeln unterliegen. Siehe dazu etwa das Bedeuten von Bildzeichen in § 454 (Zeigen). 62 Siehe dazu und im Folgenden Kanzog: Grundkurs Filmrhetorik, 2001 sowie ders.: Grundkurs Filmsemiotik, 2007. 63 Posner: Sprachphilosophie und Semiotik, 1996. Demnach gibt es folgenden Zeichentypen: Signal, Anzeichen, Ausdruck und Geste/Gestus. Zeichen ist dabei alles, was ein reaktionsauslösendes Verhalten bewirkt. Signale lösen unmittelbaren Vollzug aus (Vollzugsbeziehung: ein Ereignis führt zu einer Reaktion). Die weiteren Zeichentypen stellen immer mehr kaskadierte Glaubensbeziehungen dar. Davon getrennt existiert als Nicht-Zeichen die bloße Ursache. Siehe dazu Kanzog: Grundkurs Filmsemiotik, S. 12ff sowie deren Anwendung am Filmbeispiel Asphalt Jungle (John Huston (Reg.), USA 1950) auf S. 1417. 64 Kanzog: Grundkurs Filmsemiotik, S. 21ff. Sie alle bezeichnen einerseits basale, angeborene Kompetenzen der Gestaltwahrnehmung, stellen aber auch einfachste Analyseinstrumente der Bildbeschreibung dar. So bezeichnet Posners signitive Kompetenz die notwendige Fähigkeit, Zeichen wahrzunehmen, die auf etwas anderes verweisen. Gleichzeitig, so legt es Kanzogs Darstellung nahe, sind wir in der Lage, ebensolche Zeichen zu finden. 65 Ebd., S. 39-48 mit ausführlichen Zitaten von Peirce Collected Papers. _________________ - 19 - Teil-Ganzes-Beziehungen vorkommen, sind hier zu nennen), ein Symbol bedeutet jedoch erst durch den Verweis auf einen ideellen Zusammenhang. Und drittens müssen rhetorische Mittel mithilfe der identifizierten und funktional ausgewiesenen filmischen Zeichen auf derselben Ebene ermittelt werden. Vereinfacht gesagt: Ein filmisches Zeichen denotiert und konnotiert anders als ein Text. So können, auf der untersten Zeichenobjektebene, dem Ikon, ikonische Ähnlichkeitsbeziehungen (Ikonizität) Vorstellungsschichten aktivieren, die den Zuschauer lenken. Sie können damit aber auch zum Index oder Symbol werden. Dies soll nur Schlaglichter werfen auf ästhetische Theorie, die sich nicht allein mit der platten Anwendung rhetorischer Stilmittel auf Filme, ergänzt durch einige apparativtechnische Details, begnügt, sondern die semiotisch ernst macht mit der Besonderheit filmischer Zeichen. Didaktische Konsequenzen Was lässt sich didaktisch aus dem Vorigen gewinnen? Zunächst sollte sich jeder Lehrer bewusst sein, in welchem Modellrahmen er sich bewegt – im medien-, kommunikations-, literaturwissenschaftlichen oder im filmsemiotischen Paradigma. Zwar sind Verweise und Sprünge vom einen zum anderen nicht eo ipso verboten, allein sollte klar sein, dass sie stets konzeptionell und begrifflich eingebunden sein müssen. Wer etwa vom Einfluss von Produzenten auf den „Stil“ eines Filme redet, sollte den Begriff des Filmstils zuvor irgendwie geklärt haben. Zweitens erfordern die Modelle unterschiedliche kognitive und affektive Fähigkeiten und ziehen so verschiedene Methoden nach sich. Medien- und kommunikationswissenschaftliche Ansätze kommen oft ohne filmästhetische Dimension aus, können Apercus oder Making-ofs der Entstehung und Geschichte eines Films narrativ darbieten. Literaturwissenschaftliche, semiotische Ansätze zumal, verlangen ein hohes Maß an Fachwissen und Seherfahrung (Lehrer zu überfragten Schülern: „Was war da jetzt filmrhetorisch besonders in der Einstellung/Szene/Sequenz?“). Auch der abgerufene Grad an Abstraktionsvermögen sowie Verbalisierungs- und Sprachkompetenz darf nicht unterschätzt werden. So locker und lässig Gasts „Typologie didaktischer Filmanalyse“66 auch daherkommt, allein die ersten vier Typen, die im Wesentlichen ohne „medienanalytische Funktionen“ auskommen, sind für die Sekundarstufe I geeignet. Wer 66 Siehe Gast: Filmanalyse, S.22f. Interessanterweise steht bei Gast die Methode in der Spalte vor der didaktischen Funktion. _________________ - 20 - Schülern das Verfassen von Drehbüchern, Sequenzplänen oder gar Transskriptionen verlangt (Typus 8, 12 und 19), der vermittelt, Handlungsorientierung hin oder her, eher den Eindruck, er wolle für Schüler ein vorbereitendes Praktikum zur Aufnahmeprüfung auf die Filmakademie veranstalten, als ihnen grundlegende Kompetenzen im Umgang mit bewegten Bildern vermitteln. Ein guter Start ist sicher, wenn man die Besonderheiten der „Filmsprache“ zunächst einmal über die gut fasslichen und visuell belegbaren apparativ-technischen Besonderheiten des Films nahebringt.67 In einem zweiten Schritt können dann bildästhetische und filmrhetorische Fragen einbezogen werden, die auch den Umgang der apparativtechnischen Mittel nochmals einübt. Semiotische Analysen schließlich, obwohl sie entscheidend bleiben für eine Filmästhetik sui generis, sollten sich auf wenige Konzepte beschränken, etwa den Unterschied von Ikon, Index und Symbol. Andrerseits sind sie auch hervorragend dafür geeignet, Botschaften zu entschlüsseln. Selbst einfache Bildbeschreibungen können so den Zusammenhang zwischen bestimmten Zeichen (etwa einem Blickgestus und einem Ereignis) und seiner Bedeutung erfahrbar machen. 2.3 Werbung Allgegenwart wie Mannigfaltigkeit der Werbung sind unbestritten und evident. Aber was ist eigentlich Werbung? Was unterscheidet Werbung von Nicht-Werbung? Früher wollte Werbung schlicht und einfach ein Produkt verkaufen. Das dafür passende AIDA-Modell wird uns weiter unten beschäftigen. Dafür eigneten sich die klassischen Werbeformate und –mittel von Litfaßsäulenplakat, Zeitungsanzeige, Radio- oder Fernsehspot. Doch heute soll es sogar Werbung geben, die nichts verkaufen will. In der Imagewerbung stehen nicht mehr Produktvorteile (die sog. benefits) im Vordergrund, sondern (Firmen)Werte (die values). Das Modell wie die praktische Umsetzung solcher nicht unmittelbar handlungs-, vulgo verkaufsauslösenden Werbung werden wir weiter unten kennen lernen. Noch weit verwirrender ist die Verschmelzung von Werbung mit dem, was einst ihr Gegenteil war – zweckfreie Unterhaltung und Information. Was ist, um nur beim bewegten Bild zu bleiben, mit Musiksendungen wie dem Musikantenstadel oder werktägig auf die Werktätigen abgestimmten Talkformaten wie TV Total, deren offensichtlich einziger Zweck darin besteht, den eingeladenen Gästen eine Plattform zur Vermarktung ihrer meist 67 Wie dies zu geschehen hat, das wurde allgemein in Kap. 1.2 bereits behandelt, wird uns jedoch auch an konkreten Beispiel beschäftigten. _________________ - 21 - bis zur Dumpfbackigkeit degenerierten, nur noch mühsam als Kunst kaschierten, meist aber schon offen eingestandenen Halbfertigware zu geben? Werbung wird hier wenigstens ja gerade noch erkennbar, obwohl man eigentlich nur „informieren“ oder „unterhalten“ will. Doch heute lassen sich Produzenten ihre Filme durch On-Set-Placements (Marken als Requisiten) und Creative Placements (Marken als in die Story eingebaute Requisiten) schon teilfinanzieren. Was früher platt Schleichwerbung hieß, nennt sich heute im Jargon der Marketingexperten Branded Entertainment, unterscheidet sich jedoch nicht im Geringsten davon. Was fürs Fernsehen gilt, hat den Alltag erreicht: Ist Werbung nicht bereits derart in unseren Alltag diffundiert, dass ihr Unterschied zum Leben, das sie früher einmal als Vorbild nahm, kassiert wird? Oder, um es in der Diktion eines Spots zu sagen: Sind wir nicht alle ein bisschen Bluna? Aber wo liegt dann, so darf man fragen, der Unterschied zur Nicht-Werbung, Film hin, Text her? Ist es nur der geschickte Einsatz einer Überredungskunst, die souverän wie gewitzt über die Mittel der Rhetorik und psychologischen Lenkung verfügt? Das muss wundern. Denn besitzt nicht auch die „Hohe Kunst“ der Literatur im Kompendium der Rhetorik bereits solche Manipulationsstrategien? Auch Heines „Wintermärchen“ lenkt doch seinen Leser durch geschickte äußere Gestaltungsmittel, Reim und Versmaß, Wortwahl und rhetorische Kniffe auf die ganz offenbar von vornherein feststehende wie zementierte Aussage (Titel!), dass Deutschland rückständig, konservativ, bigott und intolerant sei. Und weit schlimmer: Ist Rhetorik nicht selbst schon der Sündenfall der Sprache, in der sie ihre Unschuld buchstäblich zu Markte getragen hat? Soll nicht die rhetorische Figur das kaschieren und verdecken, was der argumentatio und a fortiori gar der Sache selbst vielleicht an Plausibilität abgeht? Hatte nicht Sokrates schon vor den Sophisten gewarnt, indem er selbst sich als Überzeuger (lat. convincere) und jene als Überreder (lat. persuadere) hinstellte, obwohl selbst sein eigenes maieutisches Verfahren nur oberflächlich sich im Rahmen einer reductio ad absurdum bewegte?68 Ist es nicht 68 Siehe dazu Platons Gorgias, in dem Sokrates im Gespräch mit Gorgias meint, die Redekunst bewirke nur Glauben nicht Einsicht: „Die Redekunst also, Gorgias, ist wie es scheint (455) Meisterin in einer glaubenmachenden nicht in einer belehrenden Überredung in Bezug auf Gerechtes und Ungerechtes.“ (Grg 454f, 455a, übers. v. Schleiermacher) „Eine Kunst aber leugne ich, daß es sei; sondern nur eine Übung, weil sie keine Einsicht hat von dem was sie anwendet, was es wohl seiner Natur nach ist, und also den Grund von einem jeden nicht anzugeben weiß; ich aber kann nichts Kunst nennen, was eine unverständige Sache ist.“(Grg 464a, übers. von Schleiermacher). Schon die im Modalverb daherkommende insinuatio des Satzes ist schlagend: „Einen Redner also müssen wir dich nennen?“ (Grg 449a, übers. v. Schleiermacher) Eigentlich kennen wir die Sophisten nur aus wenigen Fragmenten (hg. v. Capelle, Diels/Kranz), dem „Leben und Meinungen berühmter Philosophen“ des Diogenes Laertios und den platonischen Dialogen. Warum sie bei Platon wirklich so schlecht wegkamen, kann mit den Sokratischen Argumenten der Wortverdrehungskunst, des Geldnehmens für Lehre, Bildung und Beratung (was dem endemisch über Unterbezahlung klagenden Lehrer selbstverständlich ist) sowie dem aristokratischen Standesdünkel Platons _________________ - 22 - verwunderlich, dass die Rhetorik erst in einer Gesellschaft Bedeutung erlangte, in der es auf öffentliche Selbstdarstellung und –inszenierung ankam und in der das Volk durch Geschenke69 einerseits und durch geschickte Ansprachen andrerseits als Stimmvieh gefügig gehalten werden sollte?70 In welchem anderen oder weitergehenden Sinne „betrügt“ uns Werbung, wenn uns die Allgegenwart der Rhetorik in Film, Fernsehen, Zeitungen und eben auch der Literatur nicht schon andauernd übers Ohr hauen will? Und haftet nicht schon der Sprache selbst, auch ohne rhetorische Intention, etwas Werbliches an? „Die Allgegenwart von Werbung macht freilich aufmerksam darauf, daß schon immer auch der persönlichste Kommunikationsakt und Zeichengebrauch nicht ohne ‚Appellfunktion’ auskommt und persuasive Strategien verfolgt“71, meint Kiefer in Anlehnung an Bühlers Sprachtheorie. Dafür sprechen auch weitere moderne Sprachtheorien, etwa Austins oder Searles Sprechakttheorie, innerhalb der jungen linguistischen Disziplin der Pragmatik. Gerade in Letzterer soll je nahezu jede Äußerung einen handlungsauslösenden Effekt besitzen. Nicht mehr auf die Wahrheit der Propositionen, sondern das Gelingen eines Aktes, der schon immer auf andere bezogen ist, kommt es an. Doch sind dies alles nicht vielleicht universalistische Fehlschlüsse? Nur weil in einer bestimmten historischen Phase der Menschheitsentwicklung Werbung total wird und wir von allen Seiten davon umstellt sind, werden ex post Sprache und ihre altehrwürdige Rhetorik als solche zur Werbung umdeklariert. Nur weil Menschen aus dem Verblendungszusammenhang von Verkauf und Werbung nicht ausbrechen können, in dem sie das selbstgeschaffene System in Atem hält, werden ihnen selbst die unschuldigsten Akte der Kommunikation schon verdächtig. So hatten es Adorno und Horkheimer schon 1944 beschrieben.72 Wir kennen diesen Zusammenhang als Verdinglichung oder nur unzureichend erklärt werden (siehe dazu Giovanni Vittorio Hoesle: Platons 'Protreptikos'. Gespraechsgeschehen und Gespraechsgegenstand in Platons Euthydemos, S. 258, in: Rheinisches Museum für Philologie 147 (2004), S. 247-275). Vielleicht hatten sie im Wettstreit nichtsnutziger Weisheitsanbieter einfach das bessere Marketing. Bekannt ist ihr „Direktmarketing“ auf der Agora, dem Marktplatz, wo sie jedem Vorbeilaufenden das Blaue vom Himmel versprachen. Der Topos vom wortverderhenden Betrüger hat sich ja bis in die Neuzeit gehalten. 69 Die Frumentarien (frumentaria) begannen mit der Lex Frumentaria des Gaius Gracchus 123 v.Chr. und sollten ursprünglich die Getreideversorgung der stadtrömischen Plebs sicherstellen (Liv. Epit. 60; Appian, B. C. I.21; p549Plut. C. Gracchus, 5; Vell. Pat. II.6; Cic. pro Sext. 48). In der Kaiserzeit wurden sie dann regelmäßig als Wahlgeschenk (congiarium) missbraucht (Suet. Octav. 40ff). 70 Es verwundert nicht, dass sich Cicero, der homo novus, also Nicht-Aristokrat, in Ermangelung des Seins (Geld, Ansehen, Ruhm = dignitas) voll und ganz auf der Schein seiner Redekunst verlassen musste. 71 Kiefer: Werbung und Bildung, S. 3. 72 Siehe Horkheimers und Adornos Argumentation in der Dialektik der Aufklärung: „Die Art, in der ein junges Mädchen das obligatorische date annimmt und absolviert, der Tonfall am Telephon und in der vertrautesten Situation, die Wahl der Worte im Gespräch, ja das ganze nach den Ordnungsbegriffen der heruntergekommenen Tiefenpsychologie aufgeteilte Innenleben bezeugt den Versuch, sich selbst zum _________________ - 23 - Entfremdung. So gesehen prolongiert und verschleiert die Rede von der Ubiquität und Universalität von Werbung die Ideologie dessen, wessen sie eigentlich habhaft werden will. Nur weil das Besondere der Werbung alles auf Appell und Überredung bezieht, muss nicht heißen, dass auch das Allgemeine, dessen sie sich bedient – Wort und Bild –, eo ipso bereits davon affiziert sind. Auch bei Luhmann findet sich noch der Adornosche Topos vom Betrug durch das zugleich als Betrug Durchschaute: „Die Werbung sucht zu manipulieren, sie arbeitet unaufrichtig und setzt voraus, dass das vorausgesetzt wird.[...] Die Werbung deklariert ihre Motive. Sie raffiniert und verdeckt sehr häufig ihre Mittel.“73 Werbung ist bei Luhmann freilich nicht bloßer Ausdruck eines allgemeinen gesellschaftlichen Verblendungszusammenhangs, sondern bedient sich spezifischer Mittel, die nur ihr eignen und die sie noch von Kunst und guter Rhetorik unterscheiden. Ihren Betrug vollzieht sie dabei nicht nur auf psychologischer, sondern vor allem auf sprachlich-rhetorischer wie bildrhetorischer und inhaltlicher Ebene. Luhmann nennt im Wesentlichen drei Strategien: - fehlende „Intertextualität“ oder das Gesetz der Unterbrechung - Opakisierung oder Paradoxierung - Stabilisierung des Verhältnisses von Redundanz und Varietät. Für den Werbefilm gilt dies insbesondere. Es ist nicht allein die Suggestivität rascher Schnitte, die im Stil Werte wie Agilität und Sportlichkeit ins Produkt hinüberretten wollen, sondern die dauernde Unterbrechung von Kontinuität, die die Aufmerksamkeit ständig neu zu lenken vermag. Erinnern bedeutet, das Frühere vergessen. Dadurch wird, so Luhmann, erst der Schein dauernder Neuartigkeit geschaffen. Auch die Technik der Paradoxierung der Werbung zielt nach Luhmann darauf ab, die Motive des Umworbenen unkenntlich zu machen, diesmal aber nicht durch Unterbrechung, sondern durch Verschleierung, die bis zur „Vorenthaltung des Objekts“ reichen kann. Ich sehe dies weniger als eine rhetorischen Trope uneigentlichen Sagens und Zeigens, denn als doppelte Verkehrung von Intention und Darstellungsebene (Sprache, Bild, Ton), die das Verkaufsziel selbst verschleiern soll. Der Fernsehzuschauer, der, um das Luhmannsche erfolgsadäquaten Apparat zu machen, der bis in die Triebregeungen hinein dem von der Kulturindustrie präsentierten Modell entspricht. Die intimsten Reaktionen der Menschen sind ihnen selbst so vollkommen verdinglicht, daß die Idee des ihnen Eigentümlichen nur in äußerster Abstraktheit noch fortbesteht: personality bedeutet ihnen kaum mehr etwas anderes als blendend weiße Zähne und Freiheit von Achselschweiß und Emotionen. Das ist der Triumph der Reklame in der Kulturindustrie, die zwanghafte Mimesis der Konsumenten an die zugleich durchschauten Kulturwaren.“ (Horkheimer/Adorno: Dialektik der Aufklärung, S. 176; Herv. v. mir). 73 Luhman: Die Realität der Massenmedien, S. 85. _________________ - 24 - Beispiel zu nehmen, durch Kauf eines Produkts „sparen“74 kann, weiß genauso gut wie die Sender der Botschaft, dass die Logik unsinnig ist (1. Verkehrung: Durchschauen des Tricks). Genau dieser distraktive Moment lenkt die Aufmerksamkeit auf den eigentlich propagierten benefit des Produkts, der ganz offenbar in seinem niedrigen Preis liegen soll (2. Verkehrung: Rationalisierung des Paradoxons). Man spart zwar nicht durch Kauf überhaupt („Wer könnte so einen Unsinn auch nur glauben!“), aber rationalisiert das Paradox doch gleich im nächsten Moment durch die Einsicht in einen Vorteil, der vor vornherein propagiert werden sollte. Die Paradoxierung wird uns im PORSCHE-Spot als Differenz von Heute und Später sowie im Paradoxon der Exklusivität der Massenware Auto wieder begegnen. Die Stabilisierung des Verhältnisses von Redundanz und Varietät schließlich bezeichnet die Absicht von Werbung, das eigentlich Selbe mehrmals verkaufen zu können, indem sie seine Neuheit betont. Das Neue unterscheidet das Produkt eben nicht nur von seinen Wettbewerbsprodukten, sondern auch von seinem Vorgänger. Dadurch werden die natürlichen Produktzyklen, die ja an der relativen Marktsättigung ihre Grenze haben, künstlich verlängert.75 Es darf hinzugefügt werden, dass das Alte im Neuen aufgehoben (im dreifachen Hegelschen Sinne von conservare, elevare und negare) bleibt. 2.2.1 AIDA-Modell Das AIDA-Modell hatte der Amerikaner Elmo Lewis bereits 1889 entwickelt.76 Gedacht war es als normatives und nicht als deskriptives Stufenmodell für Verkaufsgespräche: Das heißt, ein Verkäufer sollte es anwenden, um zu einem Verkaufsabschluss zu gelangen. Heute jedoch bezeichnet es ein Werbewirkungsmodell, das uns Auskunft über die Wirkungsweisen von Werbung gibt oder geben soll. AIDA ist ein Akronym, dessen Anfangsbuchstaben Attention = Aufmerksamkeit Interest = Interesse 74 75 Das ist etwa die Standardtechnik auf Verkaufskanälen wie H.O.T. Perfektioniert hat dies sicherlich die IT-Branche durch ihren Fachjargon. Neue Versionen von Windows müssen nicht nur deswegen gekauft werden, weil neue Programme auf alten Versionen nicht mehr funktionieren – das ist der bekannte platte Upgradezwang (Sprachspiel: „Du musst...“), der auch mit dem Entzug von Serviceanageboten (Supportentzug) einhergeht –, sondern weil man die Vorteile des Neuen nur dann nutzen kann, wenn man dieselbe Marke kauft. Dass es daneben noch Produkte wie Linux gibt, die diese Vorteile schon längst enthalten, wird verschwiegen. _________________ - 25 - Desire = Verlangen, Wunsch Action = Kauf bedeuten. Das Modell formuliert die vier Phasen relativ rigide. Es besagt, dass jeder Kunde, der ein Produkt aufgrund von Werbung kauft, diese vier Phasen durchlaufen muss bzw. hat. Dahinter liegt die Vorstellung, dass Werbewirksamkeit als linearer Reiz-Reaktions-Prozess verstanden werden kann, der sich affektiv steigert und mit der Gewinnung von Aufmerksamkeit beginnt, über das Schaffen von Interesse am und Verlangen nach einem Produkt fortschreitet, und schließlich zu dessen Kauf (action) als Handlungsreaktion führt. Aufmerksamkeit (awareness) bezeichnet dabei die noch passive, aber gerichtete Aufmerksamkeit auf ein Produkt oder eine Marke. Das Interesse meint die gezielte aktive Aufmerksamkeit. Wunsch bedeutet nichts anderes als den konkreten Kaufwunsch und Aktion die tatsächliche Kaufhandlung. Der einzige wie primäre Zweck der Werbung liegt damit darin, möglichst unmittelbar Produkte zu verkaufen. AIDA behauptet, dass zum Kauf ein direkten Weg von der Werbung führe. Es existieren mittlerweile ähnliche fünfstufige Modelle77, die jedoch mit dem AIDA-Modell dieselbe linear-stufenweise Handlungsorientierung gemeinsam haben. Vorbild des AIDA-Modells war das, was Werbesprache Above-the-line-Werbung (ATL) nennt.78 Die „line“ soll dabei den Grad an Wahrnehmbarkeit und Massenwirksamkeit sowie den Schnitt zwischen neu und alt kennzeichnen. Die Sender-Empfänger-Struktur entspricht dabei dem one-to-many: Eine Firma wendet sich an eine Masse potenzieller Käufer. Unter die klassischen Werbeformen des ATL fallen die Zeitschriftenanzeige, das Werbeplakat, der TV-und Radiospot, auch wenn selbst dieser Bereich mit TV-Interstitials (=Unterbrecherwerbung im TV), Splittscreen-Werbung im Fernsehen und Dauerwerbesendungen (H.O.T., RTLShop) neue Formate geschaffen hat. Heute steht das AIDA-Modell unter starker Kritik und gilt als weitgehend empirisch falsifiziert wie zu einfach durch die lineare Ausrichtung und seinen Reiz-Reaktions- 76 Zum AIDA-Modell siehe die Darstellung des Lehrangebots Teachsam (Hg.): Werbewirkung. AIDAModell, auf: http://www.teachsam.de/pro/pro_werbung/werbung_u_marketing/pro_werbung_mark_6_2.htm. 77 Etwa das Modell von Schweiger/Schrattenecker, das zwischen Ausgangslage (Nullstufe), Aufmerksamkeit, Verstehen, Einstellung, Handlung und Handlungswiederholung unterscheidet. Vgl. Schweiger/Schrattenecker: Werbung, S. 84. 78 Der Begriff wird nicht immer konsistent verwendet. _________________ - 26 - Schematismus. Durch die empirische Konsumforschung belegten Hauptkritikpunkte aus einzelwissenschaftlicher Sicht des Marketings sind:79 - Die behauptete Linearität ist empirisch nicht nachzuweisen bzw. empirisch widerlegt. Meist ist das aktive Interesse der Grund für die Aufmerksamkeit an Werbung und nicht umgekehrt.80 - Werbewirkung entsteht auch ohne Aufmerksamkeit. Heute wird umgekehrt behauptet, dass die effizienteste Werbung gerade dann vorliegt, wenn sich Käufer nicht der Motive bewusst sind. - Bei sog. Low-Involvement-Produkten, also Produkten, bei denen dem Käufer die Marke u.a. wegen des geringen Preises, der geringen Preisunterschiede oder eines niedrigen Kaufrisikos egal ist, wird das Interesse weit überschätzt.81 - Unterschätzt wird ebenfalls, dass Kunden selbst nach dem Sehen von Werbung, bereits oft langjährige Erfahrungen mit den Produkten besitzen. Wer einmal, wie ich selbst, einen Lexmark-Drucker nach zwei Monaten auseinanderfallen sah, der kauft sich keinen zweiten, und wenn die Werbung noch so viel Aufmerksamkeit erheischt. - Zudem ist das Modell unvollständig, da heute als wesentlich erachtet Merkmale wie das Image, Markenbekanntheit und Markeneinstellung fehlen. So ist bekannt, dass Jugendliche wesentlich markenbewusster sind als Erwachsene und dass Konsumorientierung stark bildungsabhängig ist. Generell kritisiert wird die extreme Unmittelbarkeit und Produktkauffixierung (Fixierung auf den Kaufakt). Werbung soll möglichst schnell zum Kauf eines Produktes durch viele potenzielle Kunden führen. Viele Werbeformen heute intendieren solche Reaktionen nicht mehr, sondern versuchen bestehende Kunden an eine Marke zu binden (Markentreue) oder potenzielle Kunden für zukünftige Kaufentscheidungen vorzubereiten. Ziel ist es, dass potenzielle Käufer nicht sofort das neue Produkt erwerben, sondern dann, wenn sie einen neuen Artikel dieses Typs benötigen, sich an diese Marke so erinnern, dass sie eben dieses Produkt wählen. Dieser Strategie bedient sich auch der PORSCHE-Clip auf eine ganz 79 Siehe dazu die Kritik am AIDA-Modell von J. Lürssen: AIDA – reif für das Museum, auf: absatzwirtschaft online, http://www.absatzwirtschaft.de/Content/default.aspx#26734170103336896687. Vgl. auch Schierl: Text und Bild in der Werbung, S. 80ff. 80 Ich achte nicht auf die Porsche-Werbung, wenn ich nicht bereits ein Interesse an Autos oder sogar an deren Kauf besitze. 81 Das gilt vor allem für manche, aber nicht alle (Nutella!) Güter des täglichen Bedarfs. Bei Erdnüssen z.B. hat es die Firma Ültje trotz jahrelanger Kampagnen nicht geschafft, ein echtes brand image zu schaffen. Kunden ist es einfach egal, welche Nuss sie kauen. _________________ - 27 - besondere Weise (er macht sie nämlich selbst zum Thema!), wie wir weiter unten sehen werden. 2.2.2 Modernes Kundenbindungsmodell Die Kritik am AIDA-Modell richtet sich, wie wir oben gesehen haben, gegen ihre zu grobe Vereinfachung, Unvollständigkeit, empirische Falsifiziertheit sowie ihre Fixierung auf den Kaufakt selbst. Heute existieren jedoch eine Reihe von Werbeformen, deren Zweck nicht mehr der Produktverkauf, sondern die Kundenbindung (CRM = Customer Relationship Management) sind. Betrieben wird CRM oft durch sog. Below-the-Line-Kampagnen (abgk. BTL). Diese Kampagnen bedienen sich meist eines zielgruppenabgestimmten 1-to1-Marketings (auch Direktmarketing genannt), also der direkten, persönlichen Ansprache und Bindung von Kunden, wie sie etwa bei personalisierten Werbesendungen, im Couponing82 oder anderen sog. Mehrwertaktionen83 stattfinden. Anstatt unmittelbare Verkaufsreaktionen auslösen zu wollen, soll dieser Werbetypus einen bestehenden Kunden an eine Marke84 binden. Markentreue ist dafür der Zielbegriff. Der ökonomische Grund dahinter ist, dass erstens Verdrängungswettbewerb immer teurer und aufwändiger als Markterschließungswettbewerb85 und zweitens ist das Halten eines Kunden stets billiger ist, als neue Kunden dazuzugewinnen. Am teuersten ist jedoch, einen Bestandskunden zu verlieren. Aus diesen Tatsachen ergibt sich eine Verschiebung von der Kundengewinnung zur Kundenbindung.86 Daneben findet noch ein weiterer Hiatus zwischen Werbung und Verkauf statt. Viele moderne Märkte prägt eine relative Marktsättigung, die zunehmende Konkurrenz zur Folge hat. Zudem wird die Marktkenntnis der Anbieter untereinander immer höher.87 Konkurrenz und Informiertheit der Anbieter wirken sich in zweierlei Hinsicht aus: Es wird in vielen bestehenden Märkten für Anbieter immer schwerer, ein Alleinstellungsmerkmal (Unique Selling Point =USP) zu finden. Zum anderen werden dadurch die Unterschiede zwischen 82 Couponing bedeutet nichts anderes als Gutschein-Werbung. Der Mehrwert (value add) bezeichnet dabei das, was ein Kunde über die Produktwerte hinaus erhält. Dies können die bereits genannten Dinge sein, aber auch Serviceleistungen wie Support, Hotlinemöglichkeit, Teilnahmeberechtigungen an Gewinnspielen u.v.m. 84 Marken (brands) sind rechtlich gesehen geschützte sensorische Zeichen (farblich, schriftlich, olfaktorisch, bildlich usw.). Ökonomisch stehen sie für alle oder eine Gruppe von Produkten eines Anbieters. 85 Markterschließung ist der Versuch, einen neuen Markt mit eigenen Marken zu besetzen, Verdrängung meint, in einem bestehenden „gesättigten“ Markt Kunden von anderen Marken auf die eigene „abzuziehen“. 86 Vgl. dazu M. Stolpmann: Kundenbindung im E-Business, Bonn 2000. 87 Firmen wissen immer schneller und immer genauer, was die Konkurrenz macht. _________________ - 28 83 Konkurrenzprodukten für Kunden immer schwerer durchschaubar.88 Das ist die ökonomische Seite. Die andere Seite besteht darin, dass zwischen tatsächlichen Produktwerten und wahrgenommenen Werten eine Lücke klafft, die teilweise der Komplexität der Produkte entspringt – wer versteht schon wirklich den wirklichen technischen Unterschied zwischen zwei Autos –, teilweise von der Nutzung 89 unterschiedlicher Informationsquellen herrührt. Um einer Ausfransung der Produktwerte entgegenzutreten, also sich in der Kundenwahrnehmung von Konkurrenzprodukten stärker abzugrenzen, werden nicht nur, wie oben gesehen, Mehrwerte angeboten, sondern künstliche über die Produktvorteile hinausgehenden Werte geschaffen: Mit Beck’s kauft man sich nicht einfach ein Bier, sondern die Freiheit („sail away“). Krombacher ist nicht einfach ein Hopfensaft, sondern „eine Perle der Natur“. Als drittes Moment moderner Werbung, dem das AIDA-Modell ebenso wenig gerecht wird, ist der Rückgriff auf Ergebnisse von Wahrnehmungs- und Verhaltenspsychologie sowie der quantitativen Konsumforschung. Marktforscher haben heute ein wesentlich differenzierteres und genaueres Bild vom Konsumverhalten, als dies noch vor 50 Jahren der Fall war, sodass man heute mit Fug und Recht behaupten kann: Viele Firmen wissen schon früher, was ihre Kunden wollen, bevor diese selbst es wollen und wissen. In dieselbe Kerbe haut ein Marketing-Sprichwort, wonach man seinen Kunden kennen sollte, bevor der einen kennt. Von entscheidender Bedeutung ist dabei die Kenntnis der Einstellungen der Zielgruppe. Meffert definiert Einstellungen wie folgt: Einstellungen sind innere Bereitschaften (Prädispositionen) eines Individuums, auf bestimmte Stimuli der Umwelt konsistent positiv oder negativ zu reagieren. Objekte der Einstellung können Sachen, Personen oder Themen sein. Der Einstellungsbegriff ist somit weiter gefaßt als der Begriff der Motivation, da die Einstellung zusätzlich eine „Gegenstandsbeurteilung“ vornimmt.90 Einstellungen werden in der Marketingforschung oft als synonym zum Imagebegriff gesehen.91 Dabei wird eine direkte Korrelation zwischen positiven Einstellungen gegenüber einer Firma, Marke oder einem Verkäufer und der Kaufwahrscheinlichkeit angenommen. Interessant dabei ist, dass Einstellungen nicht irgendwelche Prädispositionen, sondern auf das Objekt bezogene Werturteile sind: Sie beurteilen ein Kaufobjekt. 88 Bestes Beispiel ist der Mobilfunkmarkt und dessen Tarif-Wirrwarr, den ein Normalsterblicher nur nach mehrtägigem Studium zu durchschauen in der Lage ist. 89 Vgl. dazu Meffert: Marketingforschung, S. 58. 90 Meffert: Marketingforschung, S. 55. 91 Vgl. ebd., S. 56. _________________ - 29 - In den drei genannten Zusammenhängen Kundenbindung, Produktdifferenzierung und Schaffung von Einstellungen spielen Imagekampagnen eine besondere Rolle. Sie dienen nicht wie im klassischen Marketing dazu, Nutzen und Vorteile eines Produkts möglichst glaubwürdig darzustellen, sondern ihn mit einem Image anzureichern. Ein Produkt wird zur Marke, nicht weil es oft verkauft wird, sondern weil es ein Image besitzt, also eine Menge positiver Einstellungen auf sich vereint. Und weil es dieses positive Image besitzt, wird es überhaupt gekauft, selbst wenn es sich der Sache nach kaum von Konkurrenzprodukten unterscheidet. Dies gilt etwa für viele Produkte der Mode. Der Produktnutzen eines Adidas- und eines Nikeschuhs ist vollauf vergleichbar und nahezu identisch92, ihre Images sollen jedoch eine erheblich Trennschärfe aufweisen.93 Ebenso wenig ist mir bekannt, dass ein T-Shirt der Firma Chiemsee eine bessere Qualität aufwiese als ein No-Name-Leibchen. Ein Audi RS6 oder Audi TT ist von seinen Beschleunigungswerten und Sportlichkeit durchaus mit einem Porsche Carrera vergleichbar94, aber wer würde denn, so frage sich jeder, einen Porsche ernsthaft mit einem Audi95 vergleichen wollen? Produktdifferenzen werden also in enger werdenden Märkten immer mehr durch Images geschaffen. Neben der Menge von Einstellungen ist ein Image jedoch noch mehr: „Ein Image ist ein Pseudo-Ideal. Es ist künstlich, glaubwürdig, passiv, lebendig, vereinfacht und ambivalent“, definiert Müller ein Image.96 Images sind nicht einfach da, sondern sie werden geschaffen. Dabei müssen sie sich nach zwei Seiten hin orientieren: Sie müssen auf das Produkt und die intendierte Zielgruppe passen. Ein Porsche will nicht an jedermann, ein VW Polo nicht nur an die Oberen Zehntausend verkauft werden. Deswegen muss ein Porsche sich schon 92 Man möge mich eines Besseren belehren. Die Imagekampagnen, die beide Firmen vor Sportgroßereignissen (Fußball-WM, Olympiade) „fahren“, sollen diese Differenzierungen erreichen. Mittlerweile sind sie jedoch zu Star- und Fanwettbewerben verkommen: Ronaldinho (Nike) versus Ballack (Adidas), Barsilien (Nike) versus Frankreich und Deutschland (Adidas). Die Themen und Motive, die dabei bemüht werden, gleichen sich ebenfalls und besitzen fast schon Formatcharakter: (1) Wir sind street soccer (Location: Straßenfußball oder Hinterhofkicks); (2) Wir machen high professionals (Zeigen von Kunststückchen mit Bällen); (3) eine Kombination aus beiden. Beispiele für (1) Nike street soccer by predator (inoffizieller Spot; Nr. 42, Anhang Werbespotverzeichnis) und Adidas Soccer Commercial (Nr. 3, Anhang Werbe). Beispiele für (2): Ronaldinho – Nike Commercial (Nr. 46, Anhang Prinmärquellen) oder Nike Freestyle Ronadlinho (Nr. 45, Anhang Werbespotverzeichnis). Beispiel für (3) ist auf YouTube: der äußerst bekannte Nike „Ländermatch“-Spot (mit dem Elvis Theme-Song: A little less conversation) mit Spielern der brasilianischen, französischen und portugiesischen Nationalmannschaft, der zur WM 2002 lief (A little less conversation, Nr. 47, Anhang Werbespotverzeichnis). 94 Nicht natürlich mit einem 911 (997) GT3. 95 Das Beispiel Audi zeigt im Übrigen, wie eine Marke einen Imagewechsel geschafft hat. Vor Jahren als „Opa-Auto“ verschrieen, wurde Audi durch eine konsequente Imagekampagne: „Vorsprung durch Technik“ (Nr. 6, Anhang Werbespotverzeichnis) oder „Schanzensport“ (Nr. 5, Anhang Werbespotverzeichnis) zum Manager-Auto. 96 Müller, Grundlagen, S. 27. Vgl. ebd., S. 27ff im Folgenden. _________________ - 30 93 über den Preis differenzieren und um 100.000 € kosten, selbst wenn er aus Schrotteilen gebaut worden wäre und eigentlich nur mehr Wegwerfwert besäße.97 Eben das bedeutet es, wenn man von Glaubwürdigkeit eines Produktes spricht. Images leben, wenn sie funktionieren, als tatsächliche Imaginationen und Trugbilder in den Köpfen der Menschen, die stärker sein können (und es meist auch sind) als harte Verkaufsargumente. Das Marketing spricht hier vom relevant set98 eines Produkts – der Menge relevanter Werteigenschaften, die ein Kunde für eine mögliche Verkaufsentscheidung heranzieht. Schreibt man etwa in einer Deutschstunde zur Werbung (7. Klasse) vier Automarken an die Tafel (Mercedes, VW, Porsche und BMW) mit der Bitte an die Schüler, diesen spontan Eigenschaften zuzuweisen, so erreicht die Übereinstimmung unter den Schülern eine überraschend hohe Quote: VW ist „normal“ und „billig“, Porsche „sportlich“ und „teuer“, Mercedes „gediegen“ und „langlebig“, BMW „sportlich“ und „sicher“.99 Interessant ist dies um so mehr, als Schüler sich noch nie mit dem Kauf eines Autos beschäftigt haben. D.h. ihre Wertzuweisungen stammen aus keiner irgendwie sicher zu nennenden Quelle und sind keineswegs als rational zu bezeichnen, sondern speisen sich allein aus der Werbung und dem, was sie von Erwachsenen aufgeschnappt haben. Umgekehrt kann man dies auch testen, indem man nicht die Alleinstellungsmerkmale, sondern Zuordnungsmerkmale von Marken zu Produktklassen prüft, die, wie unten zu sehen, objektiv vom Satzsinn natürlich unsinnig sind (die Leerstellen müssen die Schüler selbst ausfüllen; Übereinstimmung nahezu 100%: die freien Schülerantworten100 in Klammern): Fast Food ist ________? (McDonalds), Betriebssystem ist ____________? (Windows), Internetauktion ist __________ ? (eBay), Internetsuche ist _______________? (Google), Taschentücher ist _______________ (Tempo).101 97 Im dazu passenden Spot eines Schokoriegel-Anbieters wird ein Porsche nach dem Genuss der Süßware locker von der Straße ein den Abgrund geschoben. Porsche hat diesen Spot offensichtlich verbieten lassen, da er auf YouTube unter „Banned Commercial-Porsche-Chocolate bar“ firmiert (siehe Nr. 35, Anhang Werbespotverzeichnis). Geldmacher und Kiefer haben mich auf diesen Spot aufmerksam gemacht. 98 Eine übersichtliche Darstellung der Typen von Kaufentscheidungen findet sich in Meffert: Marketingforschung, S. 39-45. Siehe auch das Modell der selektiven Markenauswahl von Brisoux und Laroche. Die Sets bezeichnen hier nicht die Werteigenschaften, sondern die bei einer Kaufentscheidung relevanten Marken. Eine Kaufentscheidung wird demnach unter einer Menge bekannter (available), bewusster (aware), verarbeiteter (processed) und relevanter (relevant) Marken getroffen. 99 Dieser wie der folgende Test wurde von mir mit jeweils zwei 7. Klassen in Jahren 2006 und 2008 durchführt. Die Differenzen zwischen den Klassen wie über die Jahre sind verschwindend gering. 100 In der Kosumforschung nennt man Tests mit Antwortvorgaben aided (=gestützt) und ohne vorgebenen Antworten unaided (=ungestützt). Die didaktischen Entsprechungen sind bekannt: Man kann Schülern aus Antworten auswählen lassen (Zuordnungsaufgaben) oder sie müssen diese selbst wissen. 101 Siehe dazu Anlage 3 (Kopiervorlage und Folie). Interessanterweise wurden nur Abweichungen beim Begriff Taschentücher festgestellt. Das kann sicher durch den Generationenunterschied erklärt werden und zeigt, dass Marken der Dauerhaftigkeit von Werbung bedürfen. Tempo hat ganz offensichtlich an Markenwert eingebüßt. _________________ - 31 - Welcher Paradigmenwechsel hat sich nun vom AIDA- zum Kundenbindungs-Modell vollzogen? Wollen Firmen nichts mehr verkaufen? Werden jetzt nur noch Luftschlösser gebaut, aber keine „Zahlen mehr geschrieben“? Ja und nein, lautet die Antwort. Sehen wir uns die zentralen Kategorien dazu nochmals an drei Thesen an: (1) Leitsatz: Der Kunde steht im Zentrum des Interesses und nicht mehr das Produkt. (2) Kundenbindungsmodell: Es ist wichtiger (und/weil billiger), Kunden zu binden und zu halten, als andauernd neue dazuzugewinnen. (3) Kaufprozess: Kaufentscheidungen werden nicht nur von Nutzenerwägungen zum Produkt (benefit und reason why), sondern (vor allem) auch durch und auf Basis von Images einer Marke (brand image) im Sinne künstlich geschaffener Einstellungen bestimmt. 2.2.3 Vergleich der Modelle Um es auf den Begriff zu bringen: Moderne Werbung und damit die Werbewirkungen zielen nicht mehr auf direkte Reiz-Reaktionen ab, sondern gehen den Umweg über Images. Der Wandel, der dabei in der Beschreibung von Käuferverhalten stattfand, vollzog sich parallel zum Paradigmenwechsel von der behavioristischen S-R-Theorie über den Neobehaviorismus (S-O-R-Theorie) zum kognitiven Forschungsansatz102, den ja auch die Didaktik in den 80er Jahren vollzogen hat. Während das AIDA-Modell noch den behavioristischen Anschauungen von Stimulus und Verhaltensreaktion weitgehend entsprach, ergab sich durch die kognitiven Forschungen ein anderes Bild, das neue Werbetypen nach sich zog. Das betraf nicht nur die kognitive Seite im engeren Sinne, sondern auch die konitiven (wertenden) und affektiven Aspekte des Kaufs. Werbung und ihre Wirkung wird dadurch schwerer zu durchschauen. Man kann dies durchaus mit der von Luhmann beschriebenen Opakisierung (siehe oben) vergleichen. Moderne Werbekonzepte wollen nicht mehr einmalige, vorübergehende und kurzfristige Verhaltensreaktionen auslösen (One-time-Buyer), sondern langfristige Bindungen an eine und „Lerneffekte“ mit einer Marke erzielen. Didaktische Konsequenzen Welche Konsequenzen sollten didaktisch daraus gezogen werden? Zum einen sollte das an Schulen beliebte AIDA-Modell wegen seiner teilweise offensichtlichen Mängel und Unzulänglichkeiten aufgegeben werden. Es erfreut sich zwar wegen seiner Linearität und _________________ - 32 - Einfachheit (Fasslichkeit, Strukturierbarkeit) großer Beliebtheit, muss aber als fachwissenschaftlich falsifiziert betrachtet werden. Das bedeutet für Deutschlehrer, dass sie viele, wenn nicht gar die meisten Werbewirkungen nicht richtig dechiffrieren können, da das Handwerkszeug, das ihnen AIDA an die Hand gibt, schlichtweg zu klobig ist und die Dimensionen der Werbewirkungen meist nicht erfasst. Schon bei Anzeigenwerbung versagen oftmals konsistente und nachvollziehbare Erklärungen. Damit lassen sich auch keine exemplarischen Bedeutungen aus dem Modell ziehen. Im Zentrum der Betrachtung von Werbung sollte der oben vorgestellte Begriff des Markenimages und der Kundenansprache stehen. Erst im Rahmen des Imagebegriffs können Bilder, Texte sowie das Text-Bild-Verhältnis richtig entschlüsselt werden. Und erst im Rahmen dieses Modells können Werbebotschaften, wie wir sie weiter unten im Porsche-Spot kennen lernen, richtig erkannt werden. 2.3.3 Werbung und Bildung – Fragen der Rechtfertigung und Behandlung Bevor ich mich dem Anwendungsteil dieser Arbeit widme, in dem die bisherigen Ergebnisse auf einen Werbespot und dessen unterrichtlicher Aufbereitung angewendet werden sollen, erscheint es mir nicht unwichtig, die Frage nach der Rechtfertigung des Gegenstands Werbung abschließend unter einem anderen als dem unterrichtsdidaktischen Gesichtspunkt (wie Kapitel 1 oben geschehen) noch einmal aufzugreifen. Mit Kiefer stellt sich hier das Problem, ob die Allgegenwart von Werbung (für Jugendliche insbesondere) bereits ihre Bedeutung im Bildungsprozess junger Menschen rechtfertigt und sichert.103 Die Frage ist mehrdeutig, dies sieht auch Kiefer. Wenn wir unter Bildung Menschenbildung, also Identitätsbildung, verstehen, spielt Werbung zweifellos eine bedeutende Rolle, sowohl unter Jugendlichen wie auch Erwachsenen. Dies wurde oben bereits festgestellt. Wer aber die Frage nach der Rechtfertigung stellt, will wissen, ob Werbung dies auch soll. Die Orte, an dem sich solche Frage stellen, sind die Institutionen der (Aus)Bildung, also Universitäten und Schulen. Für den akademischen Betrieb ist die Frage leicht zu beantworten: Wer sich mit Werbung beschäftigen will, muss sich lediglich für Fächer wie Marketing (Betriebswirtschaft) oder Medien- oder Kommunikationswissenschaft einschreiben. Dort werden allerdings (noch) 102 103 Siehe dazu Meffert: Marketingforschung, S. 22-30. Siehe Kiefer: Bildung und Werbung, S. 3. _________________ - 33 - keine Lehrer ausgebildet. Und dort sucht man auch einen ästhetischen Zugang zur Werbung vergeblich. Der allein wird allenfalls vereinzelt in Sprach-Fachstudiengängen wie Germanistik, Englisch oder Französisch oder didaktischen Studiengängen wie Deutsch-Didaktik angeboten. Die sog. Medienkompetenz ist jedoch in allen Lehrplänen als übergeordnetes pädagogisches Bildungsziel verankert, wie wir sahen. Lehrer sind also gezwungen sich mit Werbung zu beschäftigen, könnte man antworten. Wozu da noch die Frage nach der Berechtigung stellen? Doch so einfach kann es sich der Lehrer nicht machen. Erstens geht es um die Auswahl der Unterrichtsgegenstände, zweitens um die didaktische Aufbereitung derselben und drittens um die einzelnen Lernziele, die man damit verfolgt. Zwar geben auch die Lehrpläne einzelne Lernziele wie „Medienkonsum überdenken“ oder „den selbstverantwortlichen Umgang“104 vor, aber diese müssen mit Leben und Inhalten gefüllt werden. Letztlich muss jeder Lehrende eine wesentliche Frage beantworten, die für viele seiner Lehrgegenstände gilt105: Beschäftigt er sich mit einem Gegenstand, weil er eine wirkmächtige Praxis, eine Konvention, etwas Bestehendes – Hegelisch gesprochen – auf den Begriff bringen will oder sind es theoretische oder ethische Gründe, wie Emanzipation, Aufklärung oder andere Metawerte der Bildung, die eine Praxis anleiten und beurteilen sollen? Die Frage lautet kurz und platt gesagt: Muss ich mich mit Werbung beschäftigen, weil sie allgegenwärtige Praxis ist, oder muss ich dies tun, weil ich gegenüber dieser Praxis Werte oder andere Annahmen hochhalten will? Der Unterschied liegt in der methodischen Richtung und hat selbst erhebliche (lehr-)praktische Konsequenzen. Wer den ersten Weg von der Praxis zur Theorie einschlägt, für den ist Werbung zunächst ein beliebiges Modell von Praxis; er neigt zu systematischen, induktiven und affirmativen Verfahren. Er will entweder Werte in einem Wittgenstein’schen Sinne nur zeigen oder über sie sprechen, wobei Werte lediglich auf der Objektebene der Werbung selbst auftauchen dürfen. Die Orte solcher Herangehensweisen an Werbung sind kommunikationswissenschaftliche, medienwissenschaftliche oder betriebswirtschaftliche (Marketing-) Theorien und Modelle. Wer den zweiten Weg von der Theorie zur Praxis einschlägt, für den ist Werbung lediglich eine Instanz für eine – meist schlechte, unkritische, unreflektierte und mimetische, aber auch vorteilhafte, befreiende – Praxis; für ihn rangieren Lernziele und Fähigkeiten wie 104 Vgl. Lehrplan Realschule Bayern Ebene 2, Medienerziehung [ME]. In einem pragmatischen Sinne muss sich ein Lehrer nicht mit dieser Frage herumschlagen, weil viele glauben, der Lehrplan gebe die Gegenstände weitgehend vor. Diese Annahme ist praktisch wie theoretisch falsch, weil bereits die Auswahl der Exempla solche Vorüberlegungen erfordern. _________________ - 34 - 105 Urteil, Kritik, Reflexivität an oberster Stelle. Er will an Werbung etwas demonstrieren – im positiven Sinne etwa die Wahlfreiheit, die (Meinungs)Vielfalt oder den Nutzen von Wettbewerb, im negativen Sinne Manipulation, Verdummung und Effekthascherei. Traditionell hat sich in BRD, philosophisch wie pädagogisch, das Emanzipationsmodell für eine solche kritische Haltung etabliert, für den der Begriff der Aufklärung zentral steht. In seiner vehementesten Form wurde sie von der Frankfurter Schule vertreten, die die „Kulturindustrie“ ja bekanntlich mit einer „Aufklärung als Massenbetrug“ gleichsetzte.106 Zwei möglichen Einwänden sei an dieser Stelle sofort begegnet. Sie bestreiten die Gegensätzlichkeit der beiden Verfahren, demgegenüber sie auf ihre Komplementarität oder gegenseitige Bedingtheit hinweisen. Der erste – dialektische – Einwand, beide Verfahren seien notwendig sich ergänzende Verfahren, mag zutreffen, entscheidend ist jedoch, dass die unterschiedlichen Methoden sich nicht in einem Lehrkonzept zusammenbinden lassen. Ich kann nicht gleichzeitig wertneutral und wertend vorgehen. Entweder lasse ich die von Werbung vermittelnden Verfahren und Werte darstellend stehen oder ich will sie kritisch hinterfragen. So entscheiden sich die Lehrpläne ganz klar für die zweite Alternative. Der zweite Einwand ist didaktischer Natur. In der Taxonomie von Lernzielen, wie sie etwa in Blooms Taxonomy of Educational Objectives auftaucht, steht Wissen und Kennenlernen von etwas nicht in einem Gegensatz zu dessen Beurteilung und Bewertung, sondern innerhalb eines Kontinuums von stufenweise abzugehenden Schritten. Der Einwand ist ernst zu nehmen, jedoch steht er quer zu unserer oben getroffenen Unterscheidung. Die entscheidende Frage ist nämlich nicht, ob etwas beurteilt wird, sondern wie und aus welcher Perspektive. Wer mit der Praxis beginnt, kann höchstens zu immanenten Beurteilungskriterien gelangen, es sei denn er führt – deus ex machina – ethische Maßstäbe nachträglich ein. Wer mit der Theorie von Werbung als falscher Praxis beginnt, kann die zu vermittelnden Wertmaßstäbe von Kritikfähigkeit und Reflexion sofort ins Spiel bringen. Probleme der Entzauberung Reflexionen sind anstrengende Verfahren, die bestenfalls in einem Aha-Effekt, meist jedoch in Enttäuschung münden. Reaktionen der Schüler, die den Lehrer bald als „Spaßverderber“ oder „Spaßbremse“ ausmachen, sind die Folge. Sich bewusst zu werden, wo man hereingelegt wurde, wenn der Betrug auch nichts kostet und darüber hinaus so viel Amüsement bereit, ist zunächst einmal extrem langweilig. Der Erkenntnisgewinn von „Enthüllungsarien“, in denen filmische Codes als absichtsvolle Gestaltungsmittel entlarvt 106 Horkheimer/Adorno: Dialektik der Aufklärung, S. 128-176 (Kap. „Kulturindustrie“). _________________ - 35 - werden, steht direkt gegen das affektive „geile“ Erleben des Effekts, was Schüler meist mit einem enttäuschten „Na und, wird der Effekt jetzt dadurch besser?“ quittieren.107 Die Manipulation des Sehens muss deswegen erstens auf derselben Ebene erfahrbar gemacht werden wie das filmische Zeichen selbst, weil (ja selbst wenn) sie dann selbst zum effektvollen Novum wird. Zweitens müssen die Schüler das Neue selbst erfahren und herausfinden können. Damit ist nicht nur die didaktisch-pädagogische Forderung von Rezentrierung auf den Lerner angesprochen,108 sondern die Forderung, dass Sehen durch reflektierendes Sehen im selben Medium korrigiert werden kann 3. Der Werbefilm am Beispiel des Porsche 911 Commercials Im Folgenden will ich am Beispiel des Porsche-Werbespots Porsche 911 Commercial (997) die in den vorigen Kapiteln zur Werbung und zum Film erarbeiteten Ergebnisse zur Anwendung bringen. Im zweiten Teil dieses Kapitels werden sie dann didaktisch und methodisch aufbereitet. Dies bedeutet, dass konkrete Lernziele abgeleitet werden, die dann am Porsche-Werbespot demonstriert werden. 3.1 Der Porsche 911 Commercial Der über drei Minuten lange Werbespot Porsche 911 Commercial (997), der 2005 in den USA, 2007 im deutschen Fernsehen lief und in englischer Original-Fassung auf YouTube zu finden ist109, ist ein typisches Beispiel für einen Werbespot im Rahmen einer Imagekampagne.110 Gezeigt wird ein Junge namens William, der in der Schule während des Geographieunterrichts durch einen am Klassenzimmer vorbeifahrenden Porsche abgelenkt wird. Nachdem er seine Strafe in der Schulbibliothek abgesessen hat, rast er mit seinem BMX-Rad zielstrebig zum nächsten Porsche-Zentrum111, um sich den neuesten 107 Dahinter steckt die Freudsche Vorstellung von der Lustversagung durch Rationalität und Ich-Kontrolle. Dass mit der Rationalisierung und Affektkontrolle nicht nur die Lust auf der Strecke bleibt, sondern ein neuer Popanz geschaffen wurde, durchzieht die Werke Foucaults. 108 Welche heutige Didaktikkonzeption hat sich dies nicht auf ihre Fahnen geschrieben? 109 Siehe http://www.youtube.com/user/clio3000v6 (eingefügt 2. Mai 2006, gesehen 01.04.2008). Es existieren auch noch andere Fassungen (siehe Literatur unten). Weitere Angaben siehe Kiefer: Bildung und Werbung, S. 13 (Fußnote). 110 Dies bestätigt auch die Marketing-Leiterin, die Kiefer zitiert (Kiefer: Bildung und Werbung, S. 6). 111 Woher weiß er nur, wo das liegt? Es wird weder gezeigt, wie er jemanden nach dem Weg fragt, noch, dass er einen Stadtplan zu Rate zieht. Fraglich ist, ob dies lediglich eine Nachlässigkeit des Drehbuchs darstellt, proleptisch ausgelassen wird oder Teil der Story sein soll. Im letzten Fall ergibt sich eine interessante Wendung. William muss nämlich dann bereits vorher mit dem Phänomen Porsche (wie weiß er sonst, wo das Porsche-Zentrum liegt?) vertraut gewesen sein bzw. es bereits früher kennen. Dann jedoch würde der vorbeifahrende Porsche lediglich diesen Gedächtsnisinhalt reaktivieren – William erinnert sich. Der ganze Spot wiese damit eine Doppelung auf: Er zeigt nicht nur den Konsumenten, wie dieser zu einem Porsche_________________ - 36 - „911er“ zeigen zu lassen. Der lässig gekleidete und etwas süffisant reagierende Verkäufer ist dann auch nicht wenig überrascht, als der Junge ihm nach einer Sitzprobe im Wagen eröffnet, er würde auf jeden Fall nochmals in ungefähr 20 Jahren vorbeischauen („See you in about 20 years“). Beschlossen wird der Spot mit der Präsentation des neuen Porsche 911 Carrera (997) durch einen Sprecher aus dem Off, der den Porsche als purest expression of who we are vorstellt und das Verhalten des Jungen als funny thing kommentiert.112 Zeitstruktur Der Porsche 911 Commercial (997) zeigt in fast schon prototypischer Weise den Unterschied von Produkt- und Imagekampagne. Nicht die Vorteile eines Produkts stehen im Vordergrund, sondern die damit transportierten Werte. Verschärft wird dieser Umstand dadurch, dass der Held und die Reflektorfigur des Spots, der junge William, oberflächlich betrachtet wohl kaum als Vertreter der zahlungsfähigen Zielgruppe potenzieller PorscheKäufer dienen kann. Unmöglich zu glauben, dass der Spot sich an Jugendliche wendet, damit diese in 20 Jahren auch wirklich einen Porsche kaufen! Kiefer weist deswegen völlig treffend darauf hin, dass dabei auf den Puer-senex-Topos zurückgegriffen wird113, der zwar bei Technik-Gütern, Autos zumal, durchaus üblich ist114, aber hier in einer besonderen Weise, weil in einer Verkehrung desselben, ins Spiel gebracht wird. Der Mann von heute soll sich in und mit William daran erinnern, dass er auch damals als kleiner Junge einmal einen Traum hatte. Bei Platon erfassen die Menschen die Ideen durch Erinnerung der Seele an das zuvor Geschaute, der Zuschauer unseres Spots erfährt die Botschaft bereits jetzt durch das Schauen eines Erinnerungsbildes. Die 20 Jahre, in denen William wiederkommen will, sind für den potenziellen Konsumenten eben jetzt bereits gekommen. Wenn man William auf 12 Jahre schätzt, dann wären das 32-jährige Männer, und damit exakt die von Porsche anvisierte zahlungskräftige Zielgruppe. Und eben jetzt muss der große William (=der Zuschauer) keinem Traum mehr nachhängen, sondern kann ihn in die Wirklichkeit umsetzen. Das ist die irgendwie befreiende Wirkung Fahrer wird, sondern lehrt auch die Marketiers dieser Welt, wie Werbung erst ihre Wirkung entfaltet. Das Objekt der Begierde muss nämlich bereits vor jeder möglichen Aktion (Information, Kauf) als Marke bekannt sein, um im availabe set, also der Menge bei einer Kaufentscheidung zu berücksichtigenden Marken, zu landen. Dass der Spot sich mit diesem Erinnerungstopos beschäftigt, werden wir im Folgenden sehen. 112 Ein ausführliches Filmprotokoll findet sich im Anhang. 113 Kiefer: Bildung und Werbung, S. 9. So auch im Folgenden. 114 Zum Vergleich: Zurzeit (Mai 2008) läuft auf allen Kanälen ein neuer VW-Passat-Spot, der das Kind im Manne bildlich unmittelbar zeigt. In der Schlusszene wird der neue Parkassistent des Passat vorgestellt. Dabei ist ein Paar im Wagen zu sehen: Der Homo faber am Steuer – männlichen Geschlechts, obwohl doch dem landläufigen Vorurteil nach Frauen nicht einparken können – ist völlig verzückt vom neuen Spielzeug, während die Frau völlig entnervt von dieser Fixierung aufs große Spielzeug die Augen verdreht. _________________ - 37 - des Spots, in dem William zwar mit einem selbstgewissen und schon fast frechen Lächeln seine Wiederkehr ankündigt, aber eben limitiert ist, weil er den 911er weder fahren noch kaufen kann.115 Dieser umgekehrte Puer-senex-Topos, in dem sich Erwachsene an etwas Kindliches erinnern sollen, um daraus Konsequenzen für die Gegenwart zu ziehen, ist zwar neu für Werbespots, demonstriert jedoch den zuvor angesprochenen Hiatus, den Images schaffen. Es sollen Einstellungen verfestigt werden und nicht Verkaufsargumente angeboten werden. Damit kalkuliert der Spot bereits mit den Wünschen und Gedanken des Zuschauers, der als wesentliche Konstituente in der Figur Williams anwesend ist. Trotzdem bleibt die Identifikation mit einem Erinnerungsbild, für das die filmische Figur William nur den Auslöser bilden soll, unüblich für Werbung, in der das Wünschbare auch realisiert sein muss. Im klassischen Werbespot muss der Genuss des Bieres genau so gezeigt werden wie das fahrende Auto. Das „Ding“ muss in dem Zusammenhang auftauchen, wofür es gemacht ist: Der Wunsch muss als bereits realisiert dargestellt werden. Der Porsche-Werbespot jedoch nimmt den Umweg über die Erinnerung an einen Kaufwunsch, um ihn sogleich wirksam werden zu lassen. Die Überbrückung des Zeitraumes wird jedoch bereits umgangssprachlich von William und später durch den Off-Sprecher zurückgenommen. Letzterer redet im Epilog von „a decade or two“, also fast der halben Zeitspanne. Weit aufschlussreicher sind die Worte, mit denen sich William vom Verkäufer verabschiedet. „See you“ bedeutet übersetzt „bis bald“.116 Der Zusatz „in about 20 years“ macht das Ganze, will man dem Off-Sprecher glauben, angeblich zu einem „funny thing“, in Wahrheit aber natürlich zu einer contradictio in adiecto. William redet als Verkörperung des Zuschauers mit zwei Zungen: Als Erinnerungsbild des Zuschauers kommt er gleich wieder („see you“), als William, die Filmfigur, kann dies leider erst in 20 Jahren geschehen („in about 20 years“). Dass ein, nein, dasselbe Produkt noch in zwanzig Jahren zu kaufen sein wird, stellt ein doppeltes Versprechen in einer wunderbaren Dialektik dar. Nicht nur soll das Alte neu werden – der Porsche 911 soll sich über einen Zeitraum von 20 Jahren auf dem Markt halten und dies zudem auf dem neuesten Stand der Technik, wie die technischen Daten am Ende des Spots nahe legen sollen – das Neue muss auch alt bleiben, schließlich will William genau den „getesteten“ 911er und nicht irgendein Hybridfahrzeug kaufen. Und genau das verspricht argumentatio am Ende des Spots: Was sind schon 10 oder 20 Jahre 115 Seine Grenzen, aber auch sein Ehrgeiz – er zieht sich am Lenkrad empor – werden uns sieben Sekunden in der Szene vor Augen geführt, als er im neuen 911er Probe sitzt (TC 01:33:01 bis 01:40:01). 116 Vgl. Pons (Collins): Wörterbuch für Schule und Studium, Teil 1: Englisch-Deutsch, S.1063, Sp. 1. Der Zusatz „soon“ wird in der Umgangssprache meist weggelassen. _________________ - 38 - gegenüber den 40 Jahren, die der 911 existiert? „And now, once again, it[= Porsche]’s poised to redefine what’s possible – introducing the new 911 Carrera.” (TC 02:40:00) Die konservative Botschaft an den prospektiven Konsumenten dahinter kann nur lauten: Mit einem Porsche kaufen Sie ein werterhaltendes Produkt. Auch wenn Sie sich wie William vor 20 Jahren für einen Porsche interessierten, das heutige Modell entspricht genau Ihren damaligen Wünschen. Neben dieser grundlegenden Zeitstruktur weist der Filme eine Reihe von Rhythmisierungen auf, die in einem Konzert von Bild- und Tonkompositionen umgesetzt werden. Der 911er erscheint zum ersten Mal bildfüllend in slow motion, während ein prägnantes Pianothema zu hören ist (E10 ff; ab TC 00:22:12). Ebenfalls durch den Ton, Kameraschwenks und die Wahl der Kameraperspektive wird die rasante fluchtartige Fahrt Williams’ zum Porsche-Zentrum betont. Räume Alle Räume des Films sind vollkommen durchsemiotisiert. Die beherrschende Raumstruktur wird durch eine Hauptopposition dargestellt: Schule versus PorscheVerkaufszentrum. Sie verweist auf den Gegensatz von Traum und Wirklichkeit, die in Williams Entrückung im Klassenzimmer, dem verträumten Zeichnen des Porsche beim Nachsitzen einerseits und der Wirklichkeit im Porsche andrerseits seinen Ausdruck findet. Das Dazwischen (vom Schlussläuten bis zur Ankunft im Porsche-Zentrum) ist geprägt von extrem schnellen Bewegungen auf Kamera- wie Handlungsebene, die bis hin zu Fluchtsignalen reichen. Die Botschaft dahinter ist klar: Verwirklichen Sie schnell ihre Träume. Bestimmend sind die Kontraste zwischen Innen und Außen: Zwei Stangen vor dem Fenster (Symbol, Abb. 2, Anhang Screenshots), aus dem William dem Porsche nachsieht, trennen die unfreie und bedrückend-langweilige Innenwelt des Klassenzimmers von der Freiheit und Mobilität versprechenden Außenwelt, in der sich der 911er bewegt. Der Kontrast von dunklem Schulgebäude und lichtdurchfluteter Außenwelt (siehe Abb. 10, Anhang Screenshots) konnotiert auch einen wertenden Unterschied. Der dritte Kontrast besteht zwischen dem Innenraum des Porsche 911 und der Außenwelt, der ausschließlich musikalisch durch das Einsetzen des Pianothemas signalisiert wird. Das musikalische Zeichen verweist auf zwei Umstände: dass ein Porsche in eine andere Welt versetzen kann (Konnotat), jedoch dies für die Filmfigur noch unverwirklicht bleiben muss (Denotat). William darf im Porsche nur weiterträumen. _________________ - 39 - Neben den räumlichen Gegensätzen werden auch einzelne Räume klar denotiert und mit Raumzeichen versehen: Das Porsche-Zentrum liegt kameraperspektivisch „oben“ als entrückter Ort (Abb. 7, Anhang Screenshots). Den Verkaufsraum umgeben Glasfronten (Abb. 12, Anhang Screenshots), die zum Besuch, wenigstens aber zum Hineingucken einladen. Der Weg, den William zum Porsche-Zentrum auf seinem BMX-Rad zurücklegt, gleicht einer Rennstrecke (Abb. 6, Anhang Screenshots), obwohl es sich um einen Bürgersteig handelt. Die Raumzeichen, Begrenzungen, die Hell-dunkel-Kontraste und der Ton machen dies offenkundig. Figurenkonstellation und -charakterisierung William trägt sämtlichen Merkmale der amerikanischen Mittelklasse: weiß, sportlich gekleidet, mit einem BMX-Rad ausgestattet. Er ist gewitzt, aber nicht sehr fleißig, jedenfalls im Unterricht leicht ablenkbar. Ihm stellt der Spot zwei Erwachsene gegenüber, deren Welten sich diametral voneinander unterscheiden. Die mit einem Zeigestock, der gestisch zu einem Symbol der Repression (Abb. 1, Anhang Screenshots) umgedeutet wird, ausgestattete schwarze Geographie-Lehrerin arbeitet mit dem Prinzip von Anpassung und Strafe.117 Wer nicht folgt, wird bloßgestellt und muss nachsitzen, scheint ihre Maxime zu lauten. Sie ist adrett gekleidet, trägt eine Brosche und hat ihr Haar zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden. Ganz anders wird Verkäufer im Porsche-Zentrum gezeichnet. Dieser trägt durchaus väterliche Züge und lässt William im Porsche sogar ein wenig „spielen“. Zu Beginn trägt er einen Block oder andere Geschäftsunterlagen als Symbol geschäftsmäßiger Macht und signalisiert keine große Gesprächsbereitschaft. Der anfängliche Blick- und Körpergestus (befremdlich und erstaunt, zwar stehen bleibend, aber William nur halb zugewandt, Abb. 8 und 9, Anhang Screenshots) wie seine Bewegung im Raum sollen zeigen, dass er eigentlich Besseres zu tun hat.118 Er trägt einen grauen Anzug ohne Krawatte, wie auch seine ganze Körperhaltung etwas Lässiges, wenn auch notgedrungen Professionelles, ausstrahlt. Er beendet Williams „Spielzeit“ im Porsche, indem er die Fahrertür öffnet und William so signalisiert auszusteigen. Bis dahin weisen alle Zeichen auf seine Überlegenheit hin. Erst als William auf die zündende Idee kommt, ihn nach seiner Visitenkarte zu fragen, ändert sich sein Verhalten und das Verhältnis zu William. Die Änderung wird durch den Blickgestus Williams vorbereitet, der die Visitenkarte des 117 Es mag hier spekuliert werden, ob es als grundsätzlich fortschrittlich gesehen werden soll, wenn eine schwarze Lehrerin den WASP-Jungen mit einem Stock zurechtweist. _________________ - 40 - Verkäufers zunächst kurz prüft (Abb. 13, Anhang Screenshots), um sich dann dafür mit demselben unverbindlich-geschäftsmäßigen Lächeln beim Verkäufer zu bedanken (Abb. 14, Anhang Screenshots), das er zuvor an diesem beobachten konnte. Damit soll klar werden: Mit dem Besitz der Visitenkarte ist William vom unliebsamen Gast oder Spielkind zum potenziellen Käufer aufgestiegen. Wenn Marketiers davon reden, den Kunden dort „abzuholen“, wo seine Neigungen und Interessen liegen, dann hat dies nicht der Verkäufer getan, sondern William, der nicht nur seinen Gegenüber, sondern vor allem den Zuschauer an das erinnert, worum es hier überhaupt geht: das Geschäft. William wird anschließend wie jeder „vollwertige“ Kunde hinausbegleitet, als ob er bereits einen Porsche gekauft hat. Auch die Kameraperspektiven bestätigen diesen Wandel und machen ihn erst sinnlich verstehbar. Während beim Schnitt-Gegenschnitt-Verfahren zuvor die Kameraperspektive den Größen- und Machtverhältnissen der beiden treu geblieben ist und William in Aufsicht (Abb. 13 und 14, Anhang Screenshots), den Verkäufer stets in Untersicht gezeigt hat, ändert sich jetzt diese „Hierarchie“, als William seinen Schlussstatement „I see you in about twenty years“ abgibt. Denn William wird jetzt in Normalsicht gezeigt, obwohl er bereits auf seinem Rad Platz genommen hat (Abb.15, Anhang Screenshots). Er hat sich nun zum potenziellen Kunden und gleichberechtigten Gesprächspartner des PorscheAngestellten aufgeschwungen, auch wenn dessen ungläubiges, etwas gekünsteltes Auflachen die Hierarchie noch zwanghaft aufrecht erhalten will. Botschaft/Message Wie jeder Film119 enthalten Werbespots eine Message. Zentraler Begriff der Message des Porsche-Werbespots ist die Verzauberung und Entrückung, die zur Passion wird. Dargestellt wird sie an der Reflektorfigur des Jungen. Von einem Traum lässt man nicht ab, wenn man eine Passion verspürt. Diese Botschaft wird gestützt durch das Markenimage Porsches, das als dauerhaft und innovativ vorgestellt wird. 3.2 Unterrichtsentwürfe Der vorliegende Porsche-Spot eignet sich in besonderer Weise für eine Behandlung im Unterricht. In erster Linie ist die narrative Struktur zu nennen. Der Sport erzählt eine Geschichte in weitgehend linearer Weise. Zweitens bietet er Jugendlichen mit dem Schüler William eine Identifikationsfigur. Die Botschaft „Vom verlachten und unaufmerksamen 118 Vielleicht ist er auf dem Weg zu einem wichtigen Verkaufsgespräch, das im Verlauf der Szene im Hintergrund zu sehen ist. _________________ - 41 - Schüler zum erfolgreichen ‚Porsche-Fahrer’“ vermittelt zudem noch ein erhebendes Gefühl. Schließlich lassen sich am Porsche-Clip Bauformen des Films und die Wirkung moderner Werbung geradezu prototypisch ermitteln. Das Hauptlernziel muss darin bestehen, die Beziehung zwischen filmischen Mitteln und der/den Botschaft/en zu ermitteln. Leitend muss dabei die den Schülern immer wieder vorzuhaltende Tatsache sein, dass im Film jedes Bild absichtsvoll geplant und eingesetzt wird, was filmische Zeichen sind und dass jedes filmische Zeichen Bedeutung besitzt. 3.2.1 Dreischritt-Modell Die Schwierigkeit, die einer didaktisch wertvollen Behandlung von Filmen entgegensteht, liegt darin, schon fast „angeborene“ Gewohnheiten zu hinterfragen. Das ist das, was der Kiefersche Automatismus oben bezeichnete. Es thematisiert im weiteren Sinne das Rezeptionsverhalten Jugendlicher. Gelingen kann ein Aufbrechen des Automatismus nur, wenn Schüler dazu gezwungen werden, erstens alles, was sie sehen, in Worte zu fassen, zweitens dieses auf Arbeitsblättern zu fixieren und drittens sich darüber in der Gruppe oder dem Klassenverband auszutauschen. Produktive oder kreative Verfahren (Drehbuch schreiben, Szene fortsetzen, Szene nacherzählen) können sich vertiefend anschließen, sind aber für den genannten Zweck, wir bewegen uns hier auf der Ebene von Grundfertigkeiten, noch nicht entscheidend. Der Dreischritt Verbalisierung-Fixierung-Austausch sollte eine Orientierung bei der Behandlung jedes filmischen Syntagmas (Bild, Schnittwechsel, Fahrt, Sequenz, Szene, Episode) sein. Das fordert ein hohes Maß an Konzentration und manchmal Selbstüberwindung von den Schülern. Auch wenn’s unbeliebt in der Spaßgesellschaft macht: „Filme gucken kann echt anstrengend sein.“120 3.2.2 Technische Voraussetzungen Den Schülern sollte wenigstens gruppenweise und ab und zu ein Arbeitsplatz zur Verfügung stehen, auf dem sie bestimmte Film-Sequenzen abrufen und untersuchen können.121 Unentbehrlich ist der Einsatz von sog. stills122 (Standbild: ein Bild wird 119 So Faulstich: Grundkurs Filmanalyse, S. 15. Zitat einer Schülerin von mir nach einer Filmstunde über verschiedene News-Fernsehformate (Nachrichten, Reportagen, Dokumentationen). Die Gefahr, der Spaßverderber zu sein, hatten wir ja schon oben angesprochen. Ob dies ebenfalls ein Motiv für die Filmabstinenz vieler Kollegen darstellt, kann nur spekuliert werden. 121 Dem Einwand, dass sei zu bzw. sehr aufwändig, gebe ich recht. Trotzdem: Kein moderner Deutschlehrer würde nur annähernd auf die Idee kommen, die Erschließung eines Textes lediglich mit einer OHP-Folie in Angriff zu nehmen. Wer ernst machen will mit der Handlunsgorientierung in der Filmdidaktik, der sollte sich also schon einmal mit dem für das IT-Netzwerk und die technische Ausstattung Zuständigen _________________ - 42 120 eingefroren) und des Frame-by-Frame-Verfahrens (Bild für Bild fortschreiten) immer verbunden mit dem Auftrag, ein Einzelbild oder die Veränderungen beim Übergang von Bild zu Bild zu beschreiben123. Dafür ist jedoch auch die entsprechende technische Ausstattung erforderlich.124 Moderne DVD-Player, ob als Stand-alone oder als vorinstallierte und mitgelieferte Software-Player von PCs (PowerDVD©, InterVideo©) reichen für solche Zwecke oft nicht aus, da die Standbilder beim Drücken der Pause-Taste oft verzerrt sind oder kein echter bildweiser Fortschritt vorgenommen werden kann. Die Tasten „step forward“ oder „Schritt vorwärts“ überspringen meist drei Frames, was dazu führen kann, dass etwa der entscheidende Frame mit dem wichtigen Schnitt schlichtweg fehlt. Auch sind, wenn man mit Ausdrucken von stills arbeiten will (auf Folie oder Papier zum Anzeichnen), die Kopier- und Aufzeichnungsverfahren der Standard-Player qualitativ nicht hochwertig genug, um damit anschaulich arbeiten zu können. Und schließlich sollten Player zur Verfügung stehen, die einen sog. Time Code (TC) enthalten. Danach und nichts anderem wird nämlich im Film zitiert.125 Auch Schüler sollten an solche Formalia durchaus gewöhnt werden. 3.2.3 Beispiele für Lernziele und eine Unterrichtssequenz Die folgenden Betrachtungen sollen nur Schlaglichter werfen, wie Werbefilme und der Porsche 911 Commercial im Unterricht umgesetzt werden können. Oben habe ich bereits eine Reihe von Bauformen vorgestellt und sie in zwei Gruppen eingeteilt: technisch-apparative und erzählerische. Grundlegend für eine Filmanalyse sind sicherlich die technisch-apparativen Bauformen und dort die Kameraeinstellungen und Perspektiven. Sie machen das Spezifische des Films aus. In Werbespots, die nur mit wenigen Bildfolgen erzählen können, werden diese Bauformen um so wichtiger. Darauf aufbauend kann auch der filmische Zeichenvorrat vorgestellt und anschaulich gemacht werden. Neben den Zeichen für Figuren, Objekte Handlungen und Räume, müssen auch die unterschiedlichen Zeichentypen voneinander geschieden werden. kurzschließen. Gute Beziehung zu Vertretern solcher Schlüsselpositionen sind ohnehin von Vorteil und sollen schon manche Lehrprobe gerettet haben. 122 Vom still zu unterscheiden ist das filmisch einfache Gestaltungsmittel des freeze frame, bei dem zwischen bewegten Bildern ein Bild eine zeitlang „angehalten“, also mehrfach hintereinander kopiert wird. 123 Das sollte nicht frei geschehen, sondern nur auf Basis eines Struktogramms oder einer Tabelle, in das die Schüler von filmischen Kategorien (Licht, Farbe, Raum, Einstellungsgröße etc.) geleitet, ihre Erfahrungen eintragen. 124 Ohne hier einer Methodenfixierung das Wort reden zu wollen, ist vielen Lehrern diese technischapparative Seite nicht klar. 125 So pingelig und streng viele Lehrer beim Zitieren literarischer Texte sind, so nachlässig darf die Zitierhaltung bei Filmen eingestuft werden. _________________ - 43 - Vorschlagsweise sollte dies wenigstens die zweite Peircesche Zeichentrichotomie auf der Objektebene von Ikon, Index und Symbol miteinbeziehen. Posners Theorie der elementaren Zeichentypen, die zwischen Ursache, Signal, Anzeichen, Ausdruck und Geste unterscheidet, liefert zwar für die Filmsemiotik große Vorteile, scheint mir jedoch zu weit zu führen. Erst jetzt können bei Bedarf filmrhetorische Analysen folgen, in denen bestimmte Verweisstrukturen in den Filmzeichen und ihren Konstellationen aufgespürt werden. Denkbar sind die folgenden Unterrichtsvorschläge für Schüler ab der 9. oder 10. Klassenstufe der Realschule oder des Gymnasiums. Grob gesagt bietet sich für den Porsche-Commercial (wie für jeden anderen Werbespot) folgende Unterrichtssequenz an. Die vorangestellten Begriffe entsprechen nicht den klassischen Unterrichtsphasen 1. Einstimmung und Hinführung: Unterrichtsgespräch über die Message des Spots 2. Erarbeitung: Erzählschritte und die erzählerischen Merkmale finden und klären 3. Filmsprache entschlüsseln a. Erarbeitung: Technische Bauformen und ihre Wirkung entdecken b. Filmische Zeichen erkennen c. Evtl. filmrhetorische Mittel entschlüsseln Nach einer ersten Vorführung des Spots sollte ein Unterrichtsgespräch geführt werden, das spontane Äußerungen der Schüler zulässt, sich jedoch an der Leitfrage „Was ist die Botschaft dieses Spots?“ orientieren sollte. Dafür sollte die Werbeaussage des OffSprechers auf OVP-Folie oder Powerpoint-Folie nochmals in Erinnerung gerufen werden.126 Eine weitere Leitfrage könnte das Problem der Zeitspanne („funny thing“) thematisieren: „Welche Leute sollen jetzt einen Porsche kaufen – wirklich Jungen wie William?“ Dies kann allerdings nur im Vergleich zu gängigen Auto-Werbespots gelingen.127 An dieser Stelle können auch Frage des Markenimages von Porsche128 eingeschoben werden, indem die Schüler nach dem Spot etwa aufgefordert werden, einen 126 TC 02:15:13-02:49:08 (E57): “It’s a funny thing about a Porsche. There is moment you know you want one, there’s the moment you first own one and for the truly afflicted there’s the decade or two that passes in between. From its first days on the road over 40 years ago the 911 has ignited the kind of passion in drivers that only a Porsche can. And now, once again, it’s poised to redefine what’s possible – introducing the new 911 Carrera. It is, quite simply, the purest expression of who we are.” 127 Hier bietet sich als Vergleich der Spot VW – Das Auto II (Nr. 54, Anhang Werbespotverzeichnis). Dort wird tatsächlich ein zum Kind mutierter Fahrer gezeigt, der Freude an den technischen Details seines Fahrzeugs zeigt. 128 Diese Frage kam bisher zu kurz. Interessant ist der Imagewechsel, den Porsche in den letzten Jahren vollzogen hat. Nicht mehr der alerte und junge Raser, sondern der qualitätsbewusste Mitdreißiger mit Familie steht jetzt im Vordergrund. Einen Einblick in den Wandel des Porsche-Images und – fahrzeugs gibt A. Hunger, u. D. Landenberger: Das Porsche-Calendarium 1931-2006, 2006. _________________ - 44 - typischen erwachsenen Porsche-Kunden zu charakterisieren (Wie sieht er aus?, welchen sozialen Status hat er?, wie verhält er sich gegenüber dem Verkäufer?). Ein geeigneter Ausgangspunkt einer Erarbeitung könnte sein, zunächst die Erzählschritte des Werbespots abzugehen. Hier wird bereits klar, dass sich eine Grobstruktur durch die filmischen Räume und die in ihnen agierenden Figuren ergibt. Ein Arbeitsblatt (siehe Arbeitsblatt 2 im Anhang) kann die Kopfstruktur der Orte wie unten gezeigt vorgeben und den Rest von den Schülern ausfüllen lassen (Lösungen in eckigen Klammern). Hinter den jeweiligen Unterpunkten werden die Figuren und die Handlung am betreffenden Ort eingetragen (siehe Arbeitsblatt 2 im Anhang): 1.) Schule: a) [Klassenzimmer] b) [Allee] c) [Bibliothek] d) [Schulgang] 2.) [Straße] 3.) Porsche-Zentrum: a) [Am Fuße des Porsche-Zentrums] b) [Verkaufsraum] c) [Porsche-Innenraum] d) wie in a): [Verkaufsraum] e) Vor dem Porsche-Zentrum 4.) „Epilog“ (Off-Sprecher) Die Oberpunkte geben die semantischen Räume an, denen im nächsten Schritt die einzelnen Bedeutungen zugewiesen werden sollen. Dabei müssen auch die einzelnen Darstellungsebenen voneinander geschieden werden. 1. Darstellungsebene: Erzählebene Schule: Raumzeichen: gefangen; Figurenzeichen: entrückt, abgelenkt Schulgang und „Rennstrecke“: schnelle Verwirklichung Porsche-Zentrum: Wirklichkeit als unerfüllter Traum 2. Darstellungsebene: Kommentar „Epilog“ (Off-Sprecher) Die folgende Stunde(n) können sich dann mit den Figuren- und Raumcharakterisierungen beschäftigen. Dabei sollen die Schüler die jeweiligen wesentlichen filmischen Zeichen wie auch die dafür eingesetzten Bauformen finden und beschreiben. Die Begriffe _________________ - 45 - Einstellungsgröße, Kamerabewegung und Perspektive können entweder durch Angabe einer Internetadresse oder ein Infoblatt (siehe Arbeitsblatt 1 im Anhang) geklärt werden. Ein Beispiel muss exemplarisch durchgesprochen129 und als Hilfestellung Hinweise gegeben werden, wo weitere wesentliche bedeutende Einstellungen oder Wechsel liegen. Grundsätzlich sollten folgende zwei Fälle am Porsche-Werbespot untersucht werden: - die Kameraperspektiven von und auf William, - der Suspense-Effekt, der durch die Detailaufnahme des herunterrollenden Bleistifts und den Schnittwechsel auf William erzielt wird. Die Aufgaben können mit Hilfe eines reduzierten Film- oder Sequenzprotokolls erarbeitet werden, wie es im Anhang zu finden ist. Dabei kann die Lehrkraft genau dort Lücken lassen, wo die Kameraperspektiven einzutragen sind. Entscheidend ist jedoch der Wirkungsbezug der technischen Mittel. Dieser soll, auf Basis der Ergebnisse, im Unterrichtsgespräch geklärt werden. Zudem sollten die Bedeutungen mindestens folgender filmischer Zeichen beleuchtet werden, die exemplarisch für ihren Typus in vielen Filmen stehen: - die Darstellung der zwei Stäbe vor Williams Schulfenster und sein Bedeutungswandel zum Symbol des Gefangenseins, - die Symbole der Macht (Insignien), mit denen Lehrerin und Verkäufer ausgestattet sind. Das erste Filmzeichen eignet sich eher für eine beispielhafte Erklärung und eine gemeinsame Behandlung. Beim zweiten kann den Schülern der Arbeitsauftrag gegeben werden, zunächst ohne filmische Vorlage eine Beurteilung der jeweiligen Figur abzugeben und diese schriftlich festzuhalten. Plakativ können sie dabei mit den Sätzen „Ich mag die Lehrerin (nicht), weil ....“ beginnen. Anschließend müssen sie ihre Urteile am Film unter der Leitfrage: „Warum ist die Lehrerin xy?“ begründen und belegen. Dieses Vorgehen verbindet den affektiven Zugang Jugendlicher zu Filmen mit ihrer Wirkungsästhetik. Ein weiteres filmisches Zeichen, das im Porsche-Commercial verwendet wird und sich gut für den Unterricht eignet, ist der Bleistift und seine unterschiedlichen Funktionen in drei verschiedenen Einstellungen. Der Bleistift in E4 (ab TC 00:09:04) wird als Schreibgerät eingeführt. Hier schreibt ein afro-amerikanischer Junge etwas in sein Heft. Ab E19 wird der Bleistift zum Akteur, als er in Großaufnahme gezeigt wird. Seine Funktion wandelt sich hier vom bloßen Ikon (Gegenstand mit Wiedererkennungswert) zum Index, da er 129 Vielleicht böte sich hier auch eine Stunde an, in der die wichtigsten Bauformen exemplarisch eingeführt werden. _________________ - 46 - einen Hinweis darauf gibt, dass William unaufmerksam ist. Der Bleistift ist „schuld“, dass Williams Abgelenktheit auffliegt. In den Einstellungen E29ff (ab TC 00:50:04; Nachsitzen in der Bibliothek) wird er zum Malgerät, das eine Haltung Williams ausdrückt: Als William damit einen Porsche zeichnet, „verwirklicht“ er erstens einen Traum (Bleistift als Möglichkeit, andere Bildwelten zu betreten) und funktioniert diesen gleichzeitig vom Störfaktor zum Instrument seiner eigenen Vorstellungswelt um. Dadurch wird er zum Symbol einer Befreiung. Zu beachten ist dabei, dass die einzelnen Zeichentypen des Bleistifts sich einander nicht notwendig ausschließen. Als Symbol bleibt der Bleistift auch Ikon (Malgerät). Die Schüler müssen diese Analysen natürlich nicht genau so ermitteln. Es reicht vollkommen aus, wenn man ihnen das Thema „Funktionen des Bleistifts“ und die drei Szenen vorgibt. Wichtig ist dabei der Hinweis, dass mit dem Begriff Funktion immer „Funktion für jemanden“ gemeint ist. Schüler verwechseln den Funktionsbegriff allzu oft mit dem konkreteren, aber auch allgemeineren Begriff der Eigenschaften.130 4. Wozu Werbefilme? Insgesamt eignen sich Werbefilme hervorragend für eine Behandlung im Deutschunterricht. Wie wir oben gesehen haben, sind sie geradezu integrale Bestandteile der Lebenswelt Jugendlicher, bieten diesen viele affektive Anknüpfungspunkte und lassen sich gut strukturieren und exemplarisch aufbereiten. Die didaktische Hauptschwierigkeit, neben vielen technisch-methodischen und fachlichen, besteht jedoch darin, eingefahrene Sehgewohnheiten und Automatismen zu durchbrechen. Schüler müssen über ihre eigenes Sehen reflektieren lernen. Erst dadurch wird die Behandlung von Werbespots zur Bildungsaufgabe, selbst wenn ihre Inhalte in keinen klassischen Bildungskanon passen. Das Bildungsziel selbst ist diesem aufklärerischen Ansatz nach letztlich nachgeordnet und ich habe oben zwei grundsätzliche Modelle und Vorgehensweisen vorgestellt: deskriptiv-induktive und normativ-deduktive. Inhaltlich kann das Reflexivwerden nur gelingen, wenn Filme, wie ich oben gezeigt habe, 130 - als eigene semiotische Systeme entschlüsselt werden, - die eigene Mittel des Erzählens (Bauformen) einsetzen. Funktionen und Eigenschaft (Intension) einer Sache überschneiden sich zwar, sind aber keineswegs dasselbe. Funktion bezeichnet stets eine bezugnehmende Relation innerhalb einer Kontextes („Systems“), während Eigenschaften nicht unbedingt relational und kontextual sein müssen, sondern lediglich eines Trägers (Akzidenz-Substanz-Beziehung) bedürfen. _________________ - 47 - Beide Bereiche stehen nicht einfach in einer Zweck-Mittel-Relation (technische Mittel realisieren das System), sondern operieren auf verschiedenen Ebenen. Das setzt ein präzises begriffliches Instrumentarium voraus, wie es etwa die Peircesche Zeichentheorie anbietet. Es verlangt auch ein präzises und konzentriertes Vorgehen (siehe Dreischritt-Modell oben). Didaktisch bestens geeignet ist es deswegen, weil es einfach zu erfassen und verständlich zu machen ist. Neben diesem semiotischen Zugang habe ich jedoch oben auch andere methodischanalytische Bezugsrahmen vorgestellt. Sie sind im Anwendungsteil völlig vernachlässigt worden. Ihre skizzenhafte Darstellung sollte jedoch zeigen, dass sich mit Filmen auch andere Bedeutungshorizonte erschließen lassen: Kommunikative Modelle können etwa in linguistisch-pragmatischer Weise auf Bedeutungskontexte Bezug nehmen und so folgende zentrale Frage traktieren: Wie und warum verstehen wir bestimmte Sequenzen als (kausal, temporal, lokal usw.) geordnet? So lassen sich in Filmen bestimmte Konventionen herausfiltern. Auch wenn ich dies nicht ausdrücklich betont habe, sollte klar geworden sein, dass der Begriff der (Film-)Werbung in medienwissenschaftliche und kommunikationswissenschaftliche Analysen passt. Insofern können diese Analysemodelle eine vorbereitende Rolle für die semiotischen Untersuchungen übernehmen. Für die Didaktik wie im Alltag bedeutet dies schlicht, dass bereits die Zuordnung zum „Genre“ Werbung einen apriorischen Bedeutungskontext öffnet: Wenn ich weiß, dass ich einen Werbefilm sehe, dann besitze ich gewisse Erwartungen, Voreinstellungen usw. Ebenso verfüge ich über ein bestimmtes Wissen (über Produkt, Intention usw.). Deswegen wurde dem Begriff der Werbung so großer Raum gegeben. Das AIDA-Modell passt schlicht nicht mehr auf die ökonomische wie kommunikative Wirklichkeit. Es war ohnehin nur ein aus dem Gesprächsbereich entliehenes Hilfskonstrukt. Am Porsche-Spot kann man geradezu idealtypisch sehen, dass und wie das AIDA-Modell zu kurz greift. _________________ - 48 - 5. Anhang 5.1 Literaturverzeichnis und Quellen 5.1.1 Sekundärliteratur [Werbewirkung] AIDA-Modell, auf: Teachsam (Hg.), http://www.teachsam.de/pro/pro_werbung/werbung_u_marketing/pro_werbung_mark_ 6_2.htm, Abruf 20.8.2008. Assmann, Jan: Was ist so schlimm an Bildern, in: Aroumah. Journal für Poesis der Religionen, auf: http://www.aroumah.net/agora/assmann2-dresdner%20vortrag.php, Abruf 27.09.2008.. Aristoteles: Poetik, Griechisch-deutsch, hg. u. übers. v. M. Fuhrmann, Stuttgart 1982. Bauks, Michaela: s.v. Bilderverbot, www.wibilex.de - Das Wissenschaftlichen Bibellexikon im Internet auf: http://www.bibelwissenschaft.de/wibilex/das- bibellexikon/details/quelle/WIBI/zeichen/b/referenz/15357///cache/d75c47a5f5/, Abruf 22.09.2008. _________________ - 49 - Beiken, Peter: Wie interpretiert man einen Film? Für die Sekundarstufe II, Stuttgart 2004. [Die] Bibel, nach der Übersetzung Martin Luthers, hg. v. der EKD und dem Bund der evang. Kirchen in der DDR, Stuttgart 1985. 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(70) Yello Strom GmbH (Hg.): Service Markt (BRD, 2008), auf: Yellostrom, http://www.yellostrom.de/ueber-yello/yello-im-tv/index.html, Abruf: 04.05.2008. (71) Yello Strom GmbH (Hg.): Service Reinigung (BRD, 2008), auf: Yellostrom, http://www.yellostrom.de/ueber-yello/yello-im-tv/index.html, Abruf: 04.05.2008. 5.1.3 Filmverzeichnis Asphalt Jungle [Asphalt-Dschungel]: John Huston (Reg.), Ben Maddow / John Huston (Drehb.), USA 1950. Jaws [Weiße Hai, Der]: Steven Spielberg (Reg.), Peter Benchley / Carl Gottlieb (Drehb.), USA 1975. 2001 – A Space Odyssee [2001 – Odyssee im Weltraum]: Stanley Kubrick (Reg.), Stanley Kubrick / Arthur C. Clarke (Drehb.), USA 1968. _________________ - 60 - 5.2 Materialien _________________ - 61 - 5.2.1 Filmprotokoll zum Werbespot Porsche 911 Commercial (997) „Business Card“ Wolfgang Melchior – Ton und Musik bearb. v. Silke Rager Nr., E, TC Handlung/Bild Text Ton/Atmo/Musik Ort: Klassenzimmer/Allee Reihe von Lampions u. Globen (01) E 1 (00:00:00) - Raum mit schwätzenden Nahaufnahme; Parallelfahrt Personal Schülern (noch nicht zu entlang der Lampions von (Klasse) sehen) links nach rechts; Untersicht Wie in (01) Fortsetzung von 01 Wie in (01) (02) (00:04:12) (03) E 2 (00:05:18) Reihe von Lampions u. Globen (04) E 3 (00:07:21) Baumelnde Füße einer Schülerin (05) E 4 (00:09:04) Hinterer Teil eines Klassenzimmers mit … country this island is? 6 Schülern (3 Jungen, 3 Mädchen): Vordergrund: chinesisch aussehendes Mädchen u. afro-amerikanischer Junge (Nicht-WASP) (Multi-Kulti-Zeichen) Mittelgrund: JUNGE (ca. 12 Jahre, dunkelbraunes Haar) in roter Trainingsjacke u. blonder Junge (WASP) Vorort- oder Villenviertel mit einem Auto (PORSCHE), das von rechts nach links das Bild durchquert LEHRERIN (off): Ok, class, let’s quickly … … review Europe. Can anyone tell … … me … what … _________________ - 62 - Kamera (Schnitt, Einstellungsgrößen, Bewegung, Winkel) Geräusch eines Harter Schnitt; Totale; beschleunigenden Autos extreme Aufsicht (PORSCHE-Sound) (Vogelperspektive); Kameradrehung gegen den Uhrzeigersinn (in Aufnahme der Bewegung von (01) Brummendes, tiefes Harter Schnitt; Motorengeräusch mit Detailaufnahme elektronischer Hintergrundmusik (Klangteppich mit synthetischen Streichern) Motorengeräusch wie in Harter Schnitt; Halbtotale (04) mit etwas leiserer oder Halbnahaufnahme elektronischer Hintergrundmusik (piano) KameraverDauer halten/Erzähl- in Sek. verhalten 3-4 1 Auktorial (Wir) >2 Auktorial oder personal (LEHRERIN) <2 Personal (LEHRERIN) 2 (06) E 5 (00:11:05) (07) E6 (00:11:24) (08) (00:12:24) (09) E7 (00:13:09) (10) E8 (00:14:05) (11) (00:16:11) Hintergrund :ein lang- u. schwarzhaariges MÄDCHEN, das seinen rechten Arm hebt, u. ein blondes Mädchen MÄDCHEN von oben senkrecht (Oberkopf) hebt ihren Arm (in die Kamera streckend) Klasse von hinten: Vordergrund: Hinterkopf des MÄDCHENS, den Arm senkend, nachdem sie aufgerufen worden ist Mittelgrund: Teil der Klasse Hintergrund: LEHRERIN mit Weltkarte, die das MÄDCHEN mit Zeigestock aufruft Vordergrund: Hinterkopf des MÄDCHENS, das den Arm jetzt gesenkt hat Mittelgrund: Teil der Klasse Hintergrund: LEHRERIN (gespannt auf die Antwort wartend) vor Weltkarte Lehrerin von vorne: LEHRERIN tritt auf die Klasse u. Kamera zu u. deutet dabei mit einem Zeigestock Richtung Klasse u. Kamera Klasse von vorne: Vordergrund: gelangweilt, leicht frustriert wirkender JUNGE in roter Trainingsjacke Mittelgrund: braunhaariges Mädchen Hintergrund: Karten (wiederum) Vordergrund: afro-amerikanischer Junge mit aufrecht gehaltenem Bleistift Mittelgrund: JUNGE (William) mit roter Trainingsjacke mit gesenktem Kopf (resigniert) Hintergrund: braunhaariges Mädchen u. Karten (wiederum) Wie in (05) Harter Schnitt; Nahaufnahme mit Arm als Detail von hinten; extreme Aufsicht LEHRERIN (im Hintergrund; aufrufend): Nora! Wie in (05) MÄDCHEN (off): Ireland Wie in (05) Weicher Schnitt; Schuss; Großaufnahme des gehobenen Arms u. des Kopfes u. Halbtotale des Klassenzimmers mit LEHRERIN im Hintergrund (hohe Tiefenschärfe) Wie in (07) LEHRERIN (lächelnd, lobend): Wie in (05) Harter Schnitt; Gegenschuss; Nahaufnahme Ausklingende elektronische Hintergrundmusik (decrescendo) Very … ... good! LEHRERIN (off, leiser Leiser werdende Musik werdend): (decrescendo) And just and [about/above?] we have a … _________________ - 63 - Auktorial (jemand direkt hinter dem MÄDCHEN stehend) Personal (Schüler direkt hinter dem MÄDCHEN sitzend) <1 Wie in (07) 1 Personal (Klasse/MÄDCHEN) 1 Weicher Schnitt: Personal Nahaufnahme; Kamera um (LEHRERIN), 180° gedreht; Schwenk von dann auktorial oben links nach rechts unten 1 Fortsetzung des Schwenks von (10) <1 Auktorial, eigentlich personal (LEHRERIN) 1 (12) E9 (00:16:19) (13) E 10 (00:19:24) (14) (00:22:12) (15) E 11 (00:25:10) (16) E 12 (00:28:06) Von außen durchs Fenster: … continent, who knows, JUNGE hinter zwei „Gitterstäben“ what … (innerer Fensterrahmen) schaut gelangweilt u. ziellos aus dem Fenster an der Kamera vorbei (Blickzeichen der Langweile) Blick in die leere Allee vor dem Schulgebäude; noch kein Auto zu sehen Hintergrund: ein Auto (PORSCHE 911), das langsam in die Allee um die Ecke biegt (von rechts wie in (03)) u. sich, am Schulgebäude entlang fahrend, auf den JUNGEN zu bewegt Von außen durchs Fenster: Vordergrund: JUNGE (ohne Fenstergitter) reckt seinen Kopf nach oben u. wendet ihn zu Fenster u. Kamera (aufmerksam auf Auto) Hintergrund: Klasse (vor allem MÄDCHEN, das aufmerksam dem Unterricht folgt: Kontrastindiz zu JUNGEM) Von innen nach außen: Vordergrund: Kopf des JUNGEN (von hinten) folgt der Fahrbewegung des PORSCHE Mittelgrund: Der nun klar erkennbare PORSCHE 911 bewegt sich langsam am Fenster des JUNGEN vorbei (von rechts nach links). Er fährt dabei perspektivisch in den Kopf des JUNGEN hinein, bis er fast vollkommen darin verschwindet („Prägung“) Hintergrund: Gehweg u. sauber _________________ - 64 - Keine Musik; Geräusch eines beschleunigenden Autos (wie in 03) Weicher Schnitt; Nahaufnahme, Aufsicht Auktorial (von der Allee: von außen nach innen) 3 Geräusch eines Harter Schnitt; beschleunigenden Autos Kameraposition um 180°gedreht; Totale; Perspektive des JUNGEN; Aufsicht; hohe Tiefenschärfe Motorengeräusch des Wie in (12); slow motion PORSCHE Personal bis 1 ichpersonal/subjek tiv (JUNGE: von innen nach außen) Wie in (14) 3 Synthetisches Piano: Thema 1 setzt ein (00:27:05): „Entrückung in die PORSCHEWelt“; fast unhörbar im Hintergrund die Stimme der LEHRERIN in starkem Halleffekt (Traum- oder Entrücktheitszeichen) Fortsetzung Pianothema 1 Harter Schnitt; Kameraposition um 180°gedreht; Großaufnahme (Kopf des JUNGEN); leichte Aufsicht; fast slow motion Auktorial (von der Allee: von außen nach innen) 3 Weicher Schnitt; Kameraposition um 180°gedreht; Halbtotale mit Hinterkopf des JUNGEN in groß; Perspektive des JUNGEN: Aufsicht; über die Schulter; slow motion Personal (JUNGE: von innen nach außen) 3 (17) E 13 (00:31:03) gestutztes Grün Zuschauer begleitet den fahrenden PORSCHE, der sich recht langsam fortbewegt. - (18) E 14 (00:33:05) Von außen nach innen durchs Fenster: JUNGE hält einen Bleistift in der rechten Hand u. blickt zwischen zwei „Gitterstäben“ gebannt aus dem Fenster (19) E 15 (00:34:17) Von innen nach außen: PORSCHE taucht rechts im Bild hinter zwei Bäumen auf u. fährt nach links, verlässt das Bild jedoch nicht. (20) E 16 (00:35:19) Von außen nach innen: JUNGE (nicht zwischen Fenstergittern) dreht seinen Kopf, um der Bewegung des PORSCHE zu folgen: Fortsetzung des Kameraschwenks von (19), dessen Spiegelung ihm über die Stirn huscht („Illumination“) Bleistift rollt eine Schreibunterlage herunter (21) E 17 (00:36:18) (22) E 18 (00:37:16) PORSCHE fährt auf regennasser Fahrbahn langsam durchs Bild von rechts nach links u. verschwindet dann zwischen zwei Bäumen (23) E 19 (00:40:01) Bleistift rollt die Schreibunterlage herunter, erreicht deren Ende u. fällt - - _________________ - 65 - Nachhall des TerzZweiklangs von Pianothema 1; weiches brummendes Geräusch des PORSCHE 911 Nachhall wie in (17) Pianothema 1 zum zweiten Mal Harter Schnitt: Großaufnahme des PORSCHE von links vorne; Untersicht; Kamera folgt Fahrbewegung; slow motion Weicher Schnitt; Kameraposition um 180°gedreht; Zoom auf Großaufnahme des JUNGEN; extreme Aufsicht Weicher Schnitt, fast Crossfade; Kameraposition um 180°gedreht; Kameraschwenk, der dem Auto folgt; slow motion Auktorial (außen auf der Allee) 2 Auktorial (von der Allee: von außen nach innen) <1 Harter Schnitt; Detailaufnahme des Bleistifts auf der Schreibunterlage; normale Geschwindigkeit Auktorial Schnitt; Halbtotale des PORSCHE; slow motion; sehr statische Kamera Personal bis 1 ichpersonal/subjek tiv (JUNGE: von innen nach außen) Auktorial 1 Personal bis 1 ichpersonal/subjek tiv (JUNGE: von innen nach außen) Fortsetzung Pianothema Schnitt; Kameraposition um Auktorial (von 1 1; dann einsetzend das 180°gedreht; der Allee: von (künstlich verstärkte) Großaufnahme des außen nach Geräusch eines auf Holz JUNGEN; von vorne innen) rollenden Bleistifts im Hintergrund Das Geräusch eines auf Holz rollenden Bleistifts im Vordergrund (crescendo); Fortsetzung Pianothema 1 im Hintergrund (decrescendo) Wie in (21) Geräusch eines auf Holz Schnitt; Groß- bis rollenden Bleistifts im Detailaufnahme des 1 schließlich herunter (24) E 20 (00:41:05) Zunächst nur das Stuhlbein, dann der von oben ins Bild schwebende Bleistift, der auf seinen beiden Enden auf dem Boden auftrifft - (25) E 21 (00:42:20) LEHRERIN zeigt den Schülern etwas auf der Weltkarte, wendet sich dann der Klasse zu u. hebt ihren Kopf (aufmerksam nach Bleistiftgeräusch) Ansicht des hinteren Teils der Klasse wie in (05); nun hat der JUNGE jedoch sein Gesicht zum Fenster gedreht (vom Betrachter weg) - Vordergrund; Nachhall Pianothema 1 im Hintergrund; synthetisches Klopfgeräusch Elektronische Hintergrundmusik u. Geräusch des auf dem Boden zweimal aufschlagenden Bleistifts, einmal auf Spitze (hart), dann auf Radiergummi (weich), mit extremem Halleffekt Hintergrundmusik - Hintergrundmusik JUNGE von der Seite (Fenster): Vordergrund: JUNGE schaut von der LEHRERIN aus gesehen weiter nach rechts aus dem Fenster u. betrachtet den vorbeifahrenden PORSCHE, dreht dann jedoch plötzlich seinen Kopf am Betrachter vorbei der LEHRERIN zu, als er seinen Namen hört („ertappt“) Hintergrund: MÄDCHEN Hinter dem JUNGEN: Vordergrund: JUNGE, wirkt fast stehend LEHRERIN (voice-over): Ausklingende Ah, William, … Hintergrundmusik (decrescendo), die dann anlässlich der Ermahnung abrupt verstummt u. vom Kichern der Klasse abgelöst wird (26) E 22 (00:43:19) (27) E 23 (00:44:11) (28) E 24 (00:45:20) … can you tell us what’s so interesting out the … Mittelgrund: Schüler drehen sich dem JUNGEN zu Hintergrund: LEHRERIN ermahnt den _________________ - 66 - Kichernde Schüler Bleistifts; slow motion Harter Schnitt; Detailaufnahme von Stuhlbein u. Bleistift; super slow motion Wie in (23) 1 Harter Schnitt; Schuss; Nahaufnahme Personal (Klasse oder JUNGE) 1 Harter Schnitt, Gegenschuss; Zoom-in von Halbtotale bis Nahaufnahme des JUNGEN (Index: der „Schuldige“ wurde ausgemacht) Weicher Schnitt; Großeinstellung des JUNGEN von der Seite Personal (LEHRERIN) 1 Auktorial (von der Allee: von außen nach innen) Harter Schnitt; Personal 2 Nahaufnahme des JUNGEN (JUNGE oder von hinten (blondes Mädchen, das hinter dem JUNGEN sitzt) (29) E 25 (00:47:09) (30) E 26 (00:49:05) JUNGEN Vordergrund: JUNGE von links (Fenster) erwidert nichts, ist „sprachlos“ Hintergrund: hämisch lachendes MÄDCHEN LEHRERIN vor der Weltkarte (von vorne) spricht mit dem JUNGEN Ort: Schulbibliothek/Arbeitsraum (31) E 27 JUNGE sitzt an einem Tisch u. zeichnet (00:50:04) ein Auto (Porsche 911) mit seinem Bleistift (32) E 28 Vordergrund: Schwenk auf den (00:52:02) Hinterkopf eines anderen Jungen Mittelgrund: JUNGE, von vorne gezeigt, sitzt am Tisch u. zeichnet Hintergrund: Bücherregale (Raumzeichen) Ort: Schulflur (33) E 29 Betrachter sieht den Schulgang entlang (00:55:04) Richtung Rücktür, als plötzlich nach dem Schlussklingeln links Klassenzimmertüren aufgerissen werden u. die Schüler auf den Gang strömen … window!? – Ok, pay … Lachende Schüler Überblendung bis weicher Auktorial (vom 2 Schnitt; Schuss; Fenster oder Nahaufnahme des JUNGEN draußen: außen nach innen) ... attention this time, ok!? Verstummendes Lachen Schnitt; Gegenschuss; Nah- Personal bis 1 der Schüler bis Großaufnahme; leichte ichUntersicht personal/subjek tiv (JUNGE) - - - (34) E 30 JUNGE rennt schnell u. überholt andere, (00:57:16) während er seinen Schulrucksack schultert - (35) E 31 JUNGE reißt die Schultür auf u. eilt (00:59:17) hinaus, ohne die Tür den anderen - _________________ - 67 - Weiches Geräusch eines Harter Schnitt; Schuss; zeichnenden Bleistifts Großaufnahme der Zeichnung über die Schulter des JUNGEN Synthetisches Piano: Schnitt; Gegenschuss; Thema 2 („ZwischenHalbtotale; Schwenk im melodie“); zugleich Uhrzeigersinn; hinter dem Hintergrundmusik Kopf eines anderen Jungen (pianissimo) Personal (JUNGE) Laute Schulklingel; Fortsetzung Pianothema 2; Hintergrundmusik wie in (32) Neutral bis auktorial (von der Schultür aus) 2 Wie in (33) 2 Harter Schnitt; Totale; Untersicht; hohe Tiefenschärfe; leichter Zoom oder langsame Kamerafahrt in Richtung der strömenden Masse Laut durcheinander Harter Schnitt; redende (nicht Nahaufnahme des schreiende) Schüler; JUNGEN; leichter Zoom überlautes Laufgeräusch oder langsame Kamerafahrt des Jungen; Nachhall in Richtung des JUNGEN Pianothema 2; Hintergrundmusik wie in (32) Geräusch der Klinke u. Harter Schnitt; der schwätzenden Nahaufnahme des JUNGEN 2 Auktorial oder 2 personal (anderer Junge) Personal: hoher 2 Hell-Dunkel- aufzuhalten, die hinter ihm hinausströmen Schüler; Hintergrundmusik wie in (32) Ort: Vor der Schule und auf dem Weg zum Verkaufsraum (36) E 32 Vor dem Schulgebäude: Bäume, (01:01:18) Schultreppe. Vordergrund: JUNGE verlässt das Schulgelände auf einem BMX-Rad von rechts nach links das Bild durchquerend; Mittelgrund: aus dem Schulgebäude strömende Schüler Hintergrund: Schulgebäude (37) E 33 Vordergrund: Gehweg einer Allee (01:03:22) Hintergrund: radelnder JUNGEN taucht (wie der PORSCHE) hinter einem großen Baum auf (38) E 34 JUNGE radelt sehr sportlich u. schnell (01:04:23) mit seinem Helm von hinten in den Bildvordergrund wie auf einer Rennstrecke an Betonmauern entlang; links u. rechts befindet sich eine Wiese (39) E 35 Radelnder JUNGE nun von vorne, links (01: 05:17) neben Hecken (40) E 36 Von der Seite: (01:06:15) Vordergrund: Radelnder JUNGE durchquert das Bild von rechts nach links Hintergrund Wiese - (41) E 37 Ankunft am PORSCHE-Zentrum: (01:07:10) Vordergrund: Gehweg Hintergrund: PORSCHEVerkaufszentrum Zunächst ist nur das große PORSCHELogo des Verkaufszentrums sichtbar (Hintergrund), dann rauscht das - _________________ - 68 - von hinten; dann der Horde der Schüler Kontrast zwischen innen u. außen Fortsetzung Pianothema Harter Schnitt; Totale; 2; Hintergrundmusik Schwenk von Aufsicht zur wie in (32) Normalsicht Neutral, dann auktorial (Schwenk) 2 Fortsetzung Pianothema Harter Schnitt; Totale; 2; Hintergrundmusik Kamera in Höhe der wie in (32) Radposition des JUNGEN Neutral 1 Pianothema 2 ein wenig leiser; Geräusch schnellen Radelns; Hintergrundmusik wie in (32) Pianothema 2 ein wenig leiser; lauter werdendes Geräusch schnellen Radelns; Hintergrundmusik wie in (32) Pianothema 2 aus; nur noch Geräusch schnellen Radelns; Hintergrundmusik wie in (32) Bremsgeräusch des Fahrrads abruptes Ende der Musik Mehr personal: JUNGE 1 Auktorial 1 Auktorial 1 Auktorial <1 Weicher Schnitt; Nahaufnahme; Kameraschwenk um 180° u. verfolgt den JUNGEN nun von hinten; Untersicht Überblendung; Großaufnahme; Kameraposition um 180° gedreht; JUNGE nun von vorne; leichte Untersicht Weicher Schnitt; Großaufnahme; Kameraposition um 90°gedreht; JUNGEN von der Seite Harter Schnitt; zunächst Totale des PORSCHEZentrums, dann Detailaufnahme des Vorderrades; extreme Untersicht bremsende Vorderrad von links ins Bild (Vordergrund) Ort: PORSCHE Verkaufsraum (42) E 38 Mittelgrund: JUNGE (von der Seite) (01:08:17) betritt den Verkaufsraum u. blickt Richtung Kamera u. PORSCHE, dann sieht er sich um Vordergrund: Silhouette eines 911er, die gegen Ende der Einstellung etwa 2/3 des Bildes einnimmt Hintergrund: weiterer PORSCHE (43) E 39 Vordergrund: JUNGE (von hinten) (01:14:13) Mittelgrund: VERKÄUFER u. PORSCHE-Logo Hintergrund: Sitzgruppe (Tisch u. Stühle) VERKÄUFER betritt die Szene von links mit einem Block in der Hand, er bemerkt den JUNGEN (Blickkontakt), stoppt in der Bildmitte (44) E 40 Vordergrund: JUNGE (von vorne) blickt (01:16:21) in Kamera u. zum VERKÄUFER Hintergrund: BMX-Rad des JUNGEN u. Hecken (45) E 41 VERKÄUFER (von vorne) ohne (01:19:05) Krawatte scheint zunächst etwas erstaunt u. skeptisch, dann lächelt er geschäftsmäßig u. wendet sich präsentierend dem bereitstehenden PORSCHE zu (46) E 42 Vordergrund: Hinterkopf des JUNGEN (01:22:10) (von hinten) Mittelgrund: PORSCHE Hintergrund: VERKÄUFER VERKÄUFER geht zum rechts neben ihm stehenden PORSCHE, der mit der Front zum Betrachter zeigt, u. stoppt an - Hinterrundmusik (piano); Geräusch einer sich sanft öffnenden Tür (Kontrast zu Schultüren) Überblendung; Auktorial bis Halbnaheinstellung von Tür neutral u. JUNGE; Kameraposition: von der Seite (90°); Kameraschwenk über PORSCHE folgt dem JUNGEN 6 VERKÄUFER (in diagonaler Position zum JUNGEN and zur Kamera): Can I help you? Hinterrundmusik (piano) Blende bis weicher Schnitt; SCHUSS; Halbnahaufnahme des VERKÄUFERS über die Schulter des JUNGEN; Untersicht Personal (JUNGE) 2 JUNGE (recht Wie in (43) selbstsicher, fast fordernd): Yeah, do you have the new nine eleven? VERKÄUFER (ein wenig Wie in (43) süffisant lächelnd): Yeah, it’s right over here! Harter Schnitt; GEGENSCHUSS; Nahaufnahme; Aufsicht Personal 3 (VERKÄUFER ) Harter Schnitt; Personal GEGENSCHUSS; (JUNGE) Nahaufnahme des VERKÄUFERS, Untersicht 3 - Harter Schnitt; Halbnahaufnahme des VERKÄUFERS, über die Schulter des JUNGEN bis zur Nahaufnahme des POSRCHE; Kameraschwenk im 4 _________________ - 69 - Hinterrundmusik (piano); Schrittgeräusche (künstlich verstärkt) Wie in (45) dessen Beifahrerseite. Der JUNGE wendet sich der gegenüberliegenden Fahrerseite des PORSCHE zu. Dabei ist der PORSCHE bildfüllend zu sehen. JUNGE, PORSCHE u. VERKÄUFER bilden nun eine Linie (Vorder-, Mittel- u. Hintergrund) (47) E 43 Vordergrund: JUNGE wandert am (01:26:03) PORSCHE entlang u. streicht zärtlich bis neugierig über den Lack der Fahrertür Mittelgrund: PORSCHE in Großaufnahme (von links unten vorne) Hintergrund: Körperpartie des VERKÄUFERS zwischen den Scheiben des PORSCHE Uhrzeigersinn folgt beiden zum PORSCHE VERKÄUFER (off): You wanna get in? JUNGE (erstaunt): Really? VERKÄUFER (off): Sure! (48) E 44 PORSCHE (von hinten): (01:30:16) JUNGE (nun links im Bild) öffnet die Tür der Fahrerseite u. steigt ein; VERKÄUFER verlässt das Bild nach rechts vorne Ort: Innenraum des PORSCHE 911 (49) E 45 JUNGE sitzt auf der Fahrerseite u. (01:33:01) schließt die Tür, dann ergreift er das Steuer u. dreht es „testfahrend“ mit ausgestreckten Armen (50) E 46 Von außen in den Wagen: (01:37:00) Vordergrund: Oberer Teil des Kopfes des JUNGEN (Augen u. Stirn) taucht hinter der Windschutzscheibe auf, während dieser sich am Lenkrad nach oben zieht (Zeitbild) u. nach außen schaut Hintergrund: Schalensitze u. Fond des Wagens - - _________________ - 70 - Hinterrundmusik (piano) Harter Schnitt; SCHUSS PORSCHE; Großaufnahme des PORSCHE (Vorderansicht: Licht, Haube u. rechte Seite mit JUNGEN) u. Halbnahaufnahme des Jungen; große Untersicht (Wirkung des PORSCHE) Geräusch einer sich Harter Schnitt; öffnenden Autotür; GEGENSCHUSS gleichzeitiges Einsetzen PORSCHE, Großaufnahme von Pianothema 1 des PORSCHE in („Entrückung“ in die Rückansicht: Rücklicht, PORSCHE-Welt) Grill u. linke Seite mit JUNGEN in Halbnah; starke Untersicht Auktorial 4 Wie in (47) 3 Sanftes Geräusch einer sich perfekt schließenden Autotür; zugleich endet Pianothema 1 Wiederholung Pianothema 1, im Folgenden immer mit elektronische Hintergrundmusik unterlegt Harter Schnitt; Zoom-in; Nahaufnahme des JUNGEN; von der Seite; geringe Untersicht Auktorial (Beifahrerperspektive) 4 Harter Schnitt; Detailaufnahme des JUNGEN; Kameraposition um 90° gegen den Uhrzeigersinn gedreht Auktorial: außen-innen; Hell-dunkelKontrast von Gesicht u. Innenraum 3 JUNGE (seufzend) (51) E 47 Wieder im Wagen: (01:40:08) JUNGE sitzt auf der Fahrerseite u. steuert „testfahrend“ mit ausgestreckten Armen Ort: PORSCHE Verkaufsraum (52) E 48 Vordergrund: PORSCHE in Seitenansicht (01:42:22) u. Großaufnahme Mittelgrund: VERKÄUFER betritt die Szene von links (hinter dem PORSCHE) u. öffnet die Fahrertür (AussteigeZeichen) Hintergrund: Verkaufs- oder Beratungsgespräch (53) E 49 Hintergrund: VERKÄUFER steht am (01:45:22) Wagen u. hält die Tür offen (Arm u. Hand als Warte- u. Aufforderungssignal auszusteigen) Vordergrund: JUNGE ist immer noch vom Auto gefesselt (blickt sich zur hinteren Sitzreihe um) u. bemerkt zunächst nicht die geöffnete Tür; dann packt er nach einem kurzen Blick zur Seite seine Rucksack u. klettert aus dem Wagen (54) E 50 VERKÄUFER schließt die Tür; JUNGE (01:51:22) taucht hinter dem Kopf des VERKÄUFERS auf u. entfernt sich vom PORSCHE u. bleibt gegenüber dem VERKÄUFER stehen (zu ihm aufschauend) (55) E 51 VERKÄUFER (väterlich lächelnd) zieht (01:58:15) lässig eine Visitenkarte aus der Pianothema 1 endet u. Hintergrundmusik (pianissimo); Seufzer verstärkt Harter Schnitt; Zoom-out; Nahaufnahme des JUNGEN; von der Seite; geringe Untersicht Auktorial (Beifahrerperspektive) 2 - Hintergrundmusik (pianissimo) Harter Schnitt; Nah- bis Großaufnahme des PORSCHE; Untersicht Auktorial 2 - Wie in (52) Harter Schnitt; Auktorial Nahaufnahme des (BeifahrerperJUNGEN; zuerst Zoomspektive) Out, dann Zoom-In (schiebt JUNGEN aus dem Wagen) JUNGE (erst ein wenig überlegend u. zögernd, dann bestimmt u. selbstbewusst, als ob ihm eine Idee gekommen wäre): Do you have a business card? VERKÄUFER (voiceover): Sure! - Sanftes Geräusch einer perfekt schließenden Autotür; Hintergrundmusik (pianissimo) Harter Schnitt; SCHUSS; Naheinstellung des JUNGEN; Aufsicht über die Schulter des VERKÄUFERS Personal 7 (VERKÄUFER ) Hintergrundmusik (pianissimo) Fast-Überblendung; GEGENSCHUSS; Personal (JUNGE) _________________ - 71 - 6 2 Innentasche seines Jacketts reicht sie dem JUNGEN Wie in (53) (56) E 52 JUNGE ergreift die Visitenkarte, prüft sie JUNGE (mit einem fast geschäftsmäßigen Lächeln (02:00:22) mit ausgestrecktem Arm u. lächelt den VERKÄUFER an im Gesicht): Thanks! (57) E 53 JUNGE geht zum Ausgang des (02:03:23) Verkaufsraumes (indem er um den VERKÄUFER, der an seinem Jackett nestelt, herumschreitet); VERKÄUFER dreht sich um u. folgt dem JUNGEN nach draußen; PORSCHE bleibt im Vordergrund bis zum Einstellungsende Ort: Vor dem PORSCHE Verkaufsraum (58) E 54 JUNGE befestigt seinen Helm (linker, (02:05:24) heller Teil des Bildes); VERKÄUFER, dessen linke Seite nur unscharf zu sehen ist, steht vor ihm (dunkler Teil des Bildes) (59) E 55 VERKÄUFER lächelt u. hebt skeptisch (02:09:23) seinen Kopf (60) E 56 Spielfilmartiger Schluss mit Auffahrt u. (02:11:14) Zoom-out (Abschied): Mittelgrund: JUNGE radelt davon Vordergrund: VERKÄUFER blickt JUNGEN nach Hintergrund: Gehweg u. Straße mit fahrenden Autos JUNGE (erleichtert, mit Selbstvertrauen, fast frech, Siegerlächeln): I see you in about … twenty years. - - _________________ - 72 - Wie in (53); Schrittgeräusche (künstlich verstärkt) Nachhall Hintergrundmusik; nur leiser Verkehrslärm Naheinstellung des VERKÄUFERS, Untersicht; über die Schulter des JUNGEN Fast-Überblendung; GEGENSCHUSS; Naheinstellung des JUNGEN; Untersicht, über die Schulter des JUNGEN Harter Schnitt; Halbnahaufnahme von JUNGEN, PORSCHE u. VERKÄUFER Personal 2 (VERKÄUFER ) Neutral Harter Schnitt; Schuss; Auktorial Nahaufnahme des (JUNGE u. JUNGEN; normaler Winkel VERKÄUFER auf derselben Ebene) Verkehrsgeräusche im Harter Schnitt; Personal bis Hintergrund; Einsatz Gegenschuss; subjektiv Pianothema 1 deutlich Nahaufnahme des (JUNGE) im Vordergrund VERKÄUFERS; nicht so viel Untersicht wie zuvor Fortsetzung Pianothema Harter Schnitt; Zoom-out u. Auktorial 1 u. Ende; Radgeräusch Schwenk nach oben über das PORSCHE-ZentrumGelände mit Aufsicht; dann Fade-out in Black-Screen 2 4 >1 4 Ort: Studio (61) E 57 Schwarzer Screen; dann: (02:15:13) Vordergrund: Zu sehen ein silberfarbener POSRCHE Carrera 911 in Vorderansicht, der sich im Uhrzeigerzeigersinn dreht, bis er schließlich in der Seitenansicht stehen bleibt; darunter sind Wasserspiegelungen Hintergrund: schwarz; einfache, fast karge Umgebung (62) E 58 Zwei Screens (schwarz-weiß) mit den (02:49:09) technischen Daten des Carrera u. Carrera S in zwei Spalten (PS, Höchstgeschwindigkeit usw.) (63) E 59 PORSCHE-Logo (02:59:04) SPRECHER (off): It’s a funny thing about a Porsche. There is moment you know you want one, there’s the moment you first own one and for the truly afflicted there’s the decade or two that passes in between. From its first days on the road over 40 years ago the 911 has ignited the kind of passion in drivers that only a Porsche can. And now, once again, it’s poised to redefine what’s possible – introducing the new 911 Carrera. It is, quite simply, the purest expression of who we are. - Pianothema 1 erscheint dreimal u. erstreckt sich über die unterstrichenen Satzteile; parallel immer dazu Hintergrundmusik (pianissimo) Harter Schnitt; schwarz, dann Fade-in des PORSCHE in Halbnahaufnahme; leichte Untersicht Auktorial 34 (Käuferperspek tive) Hintergrundmusik (pianissimo) Harter Schnitt; von vorne - 10 Sprecher (off): Porsche, there is no substitute! (Aura-These) Wie in (62) Harter Schnitt; von vorne - 3 Erläuterungen zum Filmprotokoll 1.) TC = TimeCode: min:sec:Frame (=Bild Nr.). Der Frame oder das Bild ist die kleinste syntagmatische Einheit eines Films. Im Kinofilm besteht eine Sekunde aus 24 Frames oder Bildern (Î 24 fps = frames per second), die von 0 bis 23 gezählt werden. Videos, wie auch die _________________ - 73 - 2.) 3.) 4.) 5.) 6.) 7.) mir vorliegende Aufnahme, enthalten 25 fps, die von 0 bis 24 gezählt werden. Sie entspricht selbstverständlich nicht der TC-Zählung des Originalfilms. E=Einstellung. Als Einstellung in diesem Filmprotokoll gilt die Zeit zwischen zwei Blenden oder Schnitten. Handlung/Bild: Handlungen sind Bewegung oder Positionen von Objekten oder Figuren im Raum in Bezug auf ein Bild. Jedes Bild wird nach den Bildebenen Vorder-, Mittel- und Hintergrund beschrieben. Zur selben Einstellung gehörende Bilder oder Bildfolgen (Sequenzen), bei denen sich jedoch aufgrund von Text oder Tonunterschieden wichtige semantische Unterschiede innerhalb derselben Einstellung ergeben, werden mit gestrichelten Linien angedeutet. Ton/Atmo/Musik: Als Ton im engeren Sinne wird hier all das bezeichnet, was keinen musikalischen Charakter besitzt und keinen Handlungs- oder Textbezug aufweist. Dazu zählen also Geräusche, die nicht der Handlungsumgebung (sog. Atmo) und auch nicht Figuren (Text) zugeordnet werden können. Der Ton des fallenden Bleistifts etwa gehört dazu. Die Einstellungsgrößen: Die Anzahl der Einstellungsgrößen variieren von Handbuch zu Handbuch, je nachdem ob man Zwischengrößen wie Halbnahaufnahme oder Halbtotale zulässt oder nicht. Eine Einstellungsgröße bezeichnet man allgemein die Größe des Objekts relativ zum Bild (=Frame) und auch der Objektumgebung im Bild. Der einfachere Begriff von Einstellungsgrößen bezieht sich allein auf die Beziehung Objekt-Frame und vernachlässigt die Objektumgebung. So gibt es Detailaufnahmen, die durch hohe Tiefenschärfen oder Weitwinkel auch viel von der Umgebung des Objekts darstellen und somit auch als Totale oder Halbtotale bezeichnet werden können. Streng genommen müsste die Einstellungsgröße ein trianguläres Verhältnis von Objekt, Objektumgebung und Frame umfassen: Je weniger Raum ein Objekt in einem Frame relativ zu seiner Umgebung einnimmt, desto „größer“ („totaler“) ist die Einstellung. Da die meisten Filme Figuren (also Menschen) beinhalten, hat es sich eingebürgert, das Modell am Menschen zu entwickeln. - Detailaufnahme (Detail des Objekts; Körperteil) - Großaufnahme (Gesicht) - Nahaufnahme (Gesicht mit Schultern; Portraitaufnahme) - amerikanische Einstellung (Mensch bis zu Oberschenkeln) - Halbnahaufnahme (voller Mensch von Kopf bis zu Füßen) - Halbtotale (Menschen mit Raumumgebung) - Totale (Raum mit allen Menschen) - Weitaufnahme (gesamte Umgebung, z.B. Landschaft, in der der Mensch verschwindet) Schnitt: Ich unterscheide lediglich zwischen hartem, weichem Schnitt und Überblendung (auch: Überblende), wobei der Unterschied in der Überlagerung der Frames liegt. Die Überblendung ist eine frameweise Überblendung zweier Bildsequenzen. Prototypisch hierfür ist der Merge-Cut. Bei weichen Schnitten werden höchstens zwei Frames überblendet, sodass ein echter Übergang für den Betrachter nicht wahrnehmbar ist, der Schnitt jedoch weicher wirkt. Beim harten Schnitt findet keinerlei frameweise Überblendung statt. Kameraperspektive: Es wird lediglich zwischen extremer Untersicht (Froschperspektive), Untersicht, Aufsicht und extremer Aufsicht (Vogelperspektive) unterschieden. Nicht ausdrücklich genannt wird die Normalsicht. _________________ - 74 - 8.) Kamerabewegung: Der Zoom wird hier auch, obwohl nicht streng genommen richtig, zu den Kamerabewegungen gezählt. Vertikaler und horizontaler Schwenk und Parallelfahrt sind die typischen Bewegungsformen der Kamera. Nur wo es wichtig erschien, wurde die Änderung der Kameraposition (stille Bewegung) erwähnt, etwa wenn klare Achsensprünge vorliegen oder das Schuss-Gegenschuss-Verfahren angewendet wird. 9.) Das Kamera- oder Erzählverhalten folgt einer Mischung der stanzlschen Erzähltheorie, die ja bekanntlich zwischen auktorialer, personaler und Ich-Perspektive unterschieden hatte, und modernen Erzähltheorien, die den Begriff des Erzählverhaltens bevorzugen und zwischen neutralem, auktorialem und personalem Erzählverhalten (Petersen), differenzieren, wobei das auktoriale und personale Erzählverhalten je nach Erzählform in den Unterarten ich-personal oder ich-auktorial auftreten kann. Im Film lassen sich diese Begriffe der Erzähltechnik nicht bruchlos übernehmen, sodass ich begrifflich-konzeptionell von einem Kameraverhalten oder der Kameraführung sprechen möchte. Das Kameraverhalten umfasst dabei vor allem das Verhältnis von Kamera-, Blick- und Handlungsachse. Grundsätzlich kann die Kamera auf vier Arten eingesetzt werden. Entweder sie dient als echter Ersatz für den Blick einer Figur und folgt diesem Subjekt in kompletter Verschmelzung damit (Kameraachse = Blickachse), dann reden wir von der subjektiven Kamera, die am besten mit dem ich-personalen Erzählverhalten übereinstimmt. Ein personales Kameraverhalten liegt bei einer Kameraführung vor, die einen Bezug zu einer Figur herstellen will ohne mit dessen Blick zu verschmelzen (Kameraachse ~ Blickachse). Klassisch ist dabei das Schuss-Gegenschuss-Verfahren, bei dem der Zuschauer die eine Figur über die Schulter des jeweiligen Gegenüber wahrnehmen. Zudem gibt es noch das auktoriales Kameraverhalten, bei dem die Kamera eine aktive Rolle bei der Aufmerksamkeitssteuerung des Betrachters übernimmt und sie gezielt auf Objekte und Vorgänge richtet, ohne dass ein klarer filmischer Bezug zum Blick einer Figur herstellbar wäre (Kameraachse ≠ Blickachse). Die Kamera übernimmt hier eine aktive Rolle. Klassische Beispiele für ein solches auktoriales Kameraverhalten sind Detailaufnahmen oder andere technische Verfremdungsverfahren (slow motion).Von einem neutralen Kameraverhalten hingegen kann schließlich gesprochen werden, wenn sich die Kamera ohne Aufmerksamkeitssteuerung passiv und zurückhaltend verhält, um dem Betrachter die Auswahl des Gezeigten mehr oder weniger selbst zu überlassen (Kameraachse ≠ Blickachse ≠ Handlungsachse). Beispiele eines solchen neutralen Kameraverhaltens sind Totalen, in den Figuren und ihre Bewegungen im Raum gezeigt werden (Fußballübertragung als Paradigma). Wir haben also: - subjektive Kamera oder ich-personales Kameraverhalten: Identität von Blick- und Kameraachse - personales Kameraverhalten: Subjekt und sein Blick in einem Bild und in nicht-identischem Bezug - auktoriales Kameraverhalten: Kamera steuert gezielt und aktiv die Aufmerksamkeit - neutrales Kameraverhalten: Kamera beobachtet passiv ein Geschehen _________________ - 75 - 5.2.2 Unterrichtsmaterialien 5.2.2.1 Arbeitsblätter _________________ - 76 - Arbeits-/Infoblatt 1: Filme verstehen - Grundbegriffe der Films Filme verstehen Typischer Fehler beim Verstehen von Filmen: Die Bedeutung von Filmen verstehe man bereits, wenn man das Abgebildete wiedererkenne. Zum Filmverständnis reiche allein unser Sehapparat aus („Guck hin und du verstehst es). Dies ist falsch. Grund: Filme besitzen einen eigenen „Code“, den man knacken muss. Filme arbeiten völlig anders, nach anderen Verfahren, als unser tägliches Sehen. Beispiel zur Selbstüberprüfung: Wo zoomen wir in unserem täglichen Sehen bewusst von einer Totale (z.B. Klassenansicht) auf eine Naheinstellung (z.B. das Gesicht eines Schülers)? Grundbegriffe des Films Frame oder Bild: Jeder Film besteht aus ca. 24 Bildern pro Sekunde. Drückt man auf die Pause-Taste des DVD-Geräts, wird ein Bild eingefroren. Dieses Bild heißt im Filmjargon „Frame“. Bildaufbau: Jedes Bild/Frame kann aus verschiedenen Ebenen aufgebaut sein, man unterschiedet dabei max. drei Ebenen: Vordergrund, Mittelgrund, Hintergrund. Durch die Anordnung dieser Ebenen werden konkrete Aussagen getroffen. Bsp.: Während eine Figur im Vordergrund seine Heile-Welt-Familie lobt (Figurenrede), schlägt die Mutter im Hintergrund das Kind (Antithese zwischen Vorder- und Hintergrund bzw. zwischen Figurenrede und Handlung). Bsp.: Dreiebnige Szene in Citizen Kane von Orson Welles „Im Elternhaus des Kanes und der Besuch des Anwalts (1:15:45) Sequenz: lose Abfolge mehrer Bilder. Wird in Sekunden angegeben. Szene: Sequenzen, die einen Handlungsschritt oder Sinnabschnitt umfassen. Sie ist meist an einen Ort , eine Zeitspanne und an bestimmte Figuren gebunden („die Szene im Lokal“, „Szene in der Wohnung“). Einstellung: Eine Einstellung ist ein technischer Begriff. Sie umfasst diejenigen Sequenzen, für eine Kamera nicht umgebaut oder „getragen“ werden muss. a) Kameras können nun sogenannte Einstellungsgrößen haben: - Detailaufnahme: Nase oder Pickel im Gesicht. Ich weiß nicht, wozu das Detail gehört, wenn es nicht zuvor gezeigt wurde. - Großaufnahme: das Gesicht eines Menschen bildfüllend. Hier zeigen sich vor allem die Emotionen. _________________ - 77 - - - Nahaufnahme: Aufnahme eines Menschen „vom Gürtel aufwärts“. Man erkennt ungefähr die nächste Umgebung dieses Menschen. Amerikanische Einstellung: leicht von unten gefilmte Ansicht vom Oberschenkel aufwärts (bei Western, um den Colt zu sehen). Man sieht relativ viel von der Umgebung. Halbnaheinstellung: Mensch von Kopf bis Fuß. Der Raum wird erkennbar, in der Mensch sich aufhält. Halbtotale: zeigt den Menschen in einem Teil des Raumes, in dem er sich aufhält. Totale: alle Menschen und der ganze Raum (Platz, Straße, Zimmer; Anwesen). Weitaufnahme: Mensch wird unwichtig, der Raum wird zum Akteur: weite Landschaft, Galaxie, Häusermeer der Stadt. b) Eine Kamera besitzt je nach Position auch best. Einstellungsperspektiven: - Untersicht (extrem und Boden) - Normalsicht - Subjektive Kamera - Aufsicht: i. Von Normalperspektive ii. Vogelperspektive c) Kamerabewegungen: - Objektivbewegungen: Zoom in, Zoom out - Echte Kamerabewegungen: i. Fahrten: Parallelfahrt, Verfolgungsfahrt, Aufzugsfahrt ii. Schwenks - Relative Kameraposition/-bewegung: Objekt bewegt sich auf Kamera zu, Kamera bewegt sich auf Objekt zu. - Kombinationen zwischen allen. Paradebeispiel: In „Vertigo“ stellt Hitchcock Höhenangst und Schwindel des Helden durch eine Kombination von Zoom out und „Kamerafahrt nach unten“ dar (1:13:30 und 1:13:40). d) Einstellungslänge: Länge in Sekunden, mit der ein Objekt oder ein Mensch gezeigt wird. Je länger, desto wichtiger. Der gute Held wird uns meist etwa durch lange Groß- oder Nahaufnahmen „näher gebracht“. Schnitt/Cut: Im engeren Sinne der Übergang von einer Einstellung zur nächsten. Wichtig beim Schnitt sind a) die Häufigkeit des Schnitts: schnell, mittel, langsam: grundsätzlich gilt Höhepunkt des Geschehens hat mehr Schnitte (Actionfilm) b) Schnittwechsel: Schnitt von Groß auf Klein, Schnitt mit Perspektivenwechsel usw. _________________ - 78 - Montage: Aufbau eines Bildes oder einer Bildsequenz. Veränderung eines Bildes ohne Schnitte. Man kann zum Beispiel eine Dialog durch das Zeigen der sprechenden oder auch der zuhörenden Personen filmen. Im ersten Fall will man die Betonung auf das Gesagte legen, im zweiten Fall auf die Reaktion darauf. Wichtig sind hier die Blenden, die bestimmte feste Bedeutungen im Laufe der Filmgeschichte erhalten haben: die Unschärfeblende soll zum Beispiel ein vergangenes Ereignis zeigen (= Rückblende oder Analepse). Häufig verwendet wird die Parallelmontage: Figur/Ort A und B im Wechsel. Dadurch wird entweder Spannung erzeugt (z.B. James Bond beim Zeitzünder und die Leute, die auf die Rettung warten) oder Gegensätze zeigen (z.B. in Rambo I: Rambo und die Kleinstadt). Filmmusik: Grundsätzlich unterscheidet man zwischen Musik im On, also durch eine Figuren abgespielte oder von diesen gehörte Musik (Konzert, Radio usw.) und Musik im Off, also nur für den Zuschauer bestimmte Musik. Musik im Film kann nach Leitmotiven funktionieren (z.B. Freddy-Kruger-Motiv in Nightmare) oder nach der Stimmungstechnik, bei der die Musik eine Szene untermalen (die süßen Geigen in der Liebesszene, Metal beim Halbstarken). Sounds/Geräusche: Bei den Sounds unterscheidet man zwischen a) den handlungsbezogenen Sounds (Rascheln beim Auspacken eines Geschenks, Autogeräusch beim Fahren) b) dem atmosphärischen Sound, kurz der „Atmo“. Die Atmo umfasst alle Hintergrundgeräusche, die oft künstlich „gemischt“ werden und in der sog. „Tonmischung“ gefertigt werden. c) den eigens produzierten Sounds aus dem Off, die für eine bestimmte Sache stehen und nur der Zuschauer hört/hören soll. Manchmal können gerade Sounds aus dem Off so zentrale Bedeutung haben wie bei der Filmmusik (z.B. in der Weiße Hai von Steven Spielberg). Die klassischen Genres im Film: Western Kriminalfilm Melodrama/Romanze/Liebesfilm Science-Fiction-Film Abenteuerfilm Horrorfilm Thriller (Action-, Psycho-Thriller) Komödie Musikfilm Erotikfilm Cross- und Subgenres : Actionfilm, Literaturverfilmung _________________ - 79 - Arbeitsblatt 2: Erzählschritte angeben Erzählschritte im Film/Spot ___________________________ angeben Jeder Ort besitzt mehrere Räume, in denen ganz bestimmten Figuren handeln. Jedem dieser Räume entspricht eine Szene und mit einem Handlungs- oder Erzählschritt. Bildet Gruppen zu drei bis maximal vier Personen und sucht euch einen Arbeitsplatz. Aufgaben 1.) Seht euch den Film nochmals auf eurem Arbeitsplatz an. 2.) Tragt zunächst die fehlenden Räume ein, bestimmt dann die darin handelnden Figuren und gebt schließlich in Stichpunkten die jeweiligen Erzählschritte an. Location: „Ort“ Raum Schule Figuren und Objekte im Raum [Lehrerin, Schüler, William] Handlung/Erzählschritt b) [Allee] [Porsche 911] c) ... ... [Der Porsche fährt am Klassenzimmer vorbei] ... a) Klassenzimmer d) Straße PorscheZentrum a) Am Fuße des Porsche-Zentrums b) c) d) e) Epilog (OffSprecher) _________________ - 80 - [- Erdkundestunde - William träumt, sieht aus dem Fenster] Arbeitsblatt 3: Werbung - Markenimage _________________ - 81 - Arbeitsblatt 4: Image und „relevant set“ – ein kleiner Test _________________ - 82 - 5.2.2.2 Folien _________________ - 83 - 5.2.2.3 Screenshots (Abbildungen) Alle Screenshots: Quelle: Nr. 22 Werbespotverzeichnis Copyright: Porsche GmbH Abb. 1: Lehrerin mit Zeigestab als Machtsymbol Abb. 2: William im „Gefängnis Schule“ _________________ - 84 - Abb. 3: Bloßgestellt (Blickgestus und Hintergrund) Abb. 4: „Marken entstehen im Kopf“. Porsche wird verinnerlicht durch perspektivische Anordnung des Bildes. _________________ - 85 - Abb. 5: Rhetorische Figur: Bild im Bild. Stift in neuer Funktion. Abb. 6: „Rennstrecke“ mit Auslaufzone und Streckenbegrenzung _________________ - 86 - Abb. 7: Porsche-Zentrum als entrückter Ort Abb. 8: Abweisender Haltungsgestus des Verkäufers _________________ - 87 - Abb. 9: Blickgestus des Verkäufers: streng bis angespannt. Abb. 10: Raumzeichen: Hell-dunkel-Kontrast zw. Schule und Außenwelt _________________ - 88 - Abb. 11: Figurensignal: In 20 Jahren Abb. 12: Heller Verkaufsraum _________________ - 89 - Abb. 13: Blickgestus: Das Angebot wird geprüft. Abb. 14: Der gelernte Blick: Unverbindliches Business-Lächeln _________________ - 90 - Abb. 15: William auf Augenhöhe Abb. 16: Porsche nicht mehr entrückt, sondern im Überblick _________________ - 91 -