Kapitel 9 Die komplexen Zahlen • Der Körper der komplexen Zahlen • Die Gauß’sche Zahlenebene • Algebraische Gleichungen • Anwendungen Der Körper der komplexen Zahlen Die Definition der komplexen Zahlen Definition Die Zahl i mit i2 := −1 heißt imaginäre Einheit. Die Menge C := {z = x + i · y | x, y ∈ IR} bezeichnet die Menge der komplexen Zahlen. Man nennt x = Re z den Realteil, y = Im z den Imaginärteil der komplexen Zahl z = x + i · y. Mathematik kompakt 1 Der Körper der komplexen Zahlen Beispiel Die komplexe Zahl z = 5 − 7i hat den Realteil Re z = 5 und den Imaginärteil Im z = −7 (und nicht den Imaginärteil −7i). Die imaginäre Einheit i = 0 + 1 · i selbst hat den Realteil Re i = 0 und den Imaginärteil Im i = 1. Komplexe Zahlen werden gewöhnlich mit z, reelle Zahlen mit x oder y bezeichnet. Die imaginäre Einheit heißt übrigens in den technischen Disziplinen oft j, in Mathematikerkreisen“ wird sie hingegen im” mer mit i abgekürzt. Mathematik kompakt 2 Der Körper der komplexen Zahlen Reelle und komplexe Zahlen Zahlbereichserweiterung Die komplexen Zahlen, deren Imaginärteil 0 ist, kann man mit den reellen Zahlen identifizieren. In diesem Sinne ist IR eine Teilmenge von C. Komplexe Zahlen, deren Realteil 0 ist, nennt man rein-imaginär. Beispiel √ Die komplexe Zahl 2 + 0 · i entspricht der reel√ len Zahl 2. Die (komplexe) Zahl −5/7 i ist reinimaginär. Die imaginäre Einheit i ist ebenfalls reinimaginär. Mathematik kompakt 3 Der Körper der komplexen Zahlen Gleichheit komplexer Zahlen Zwei komplexe Zahlen sind genau dann gleich, wenn sowohl ihr Realteil als auch ihr Imaginärteil übereinstimmen: x1 + i · y 1 = x 2 + i · y 2 ⇐⇒ x1 = x2 und y1 = y2. Beispiel Von den komplexen Zahlen z1 z2 z3 z4 = = = = 8/5 − 3/10 i, 8/5 √ − 4/10 i, 3 − 0.3i, 1.6 − 0.3i sind nur z1 und z4 gleich. Mathematik kompakt 4 Der Körper der komplexen Zahlen Die Grundrechenarten Definition (x1 + i · y1) + (x2 + i · y2) := (x1 + x2) + i · (y1 + y2) (x1 + i · y1) − (x2 + i · y2) := (x1 − x2) + i · (y1 − y2) (x1 + i · y1) · (x2 + i · y2) := (x1x2 − y1y2) + i · (x1y2 + x2y1) (x1 + i · y1)/(x2 + i · y2) := x1 x2 + y 1 y 2 x2 y 1 − x 1 y 2 + i · x22 + y22 x22 + y22 (Division nur im Falle von x2 + i · y2 6= 0) Mathematik kompakt 5 Der Körper der komplexen Zahlen Die Grundrechenarten Merkregeln Die Definition der Summe bzw. Differenz zweier komplexer Zahlen ist jedenfalls straightforward“: Man ” addiert bzw. subtrahiert jeweils sowohl die Real- als auch die Imaginärteile getrennt. Die Definition der Multiplikation sieht kompliziert aus, folgt aber einfach aus den üblichen (aus dem reellen Rechnen bekannten) Regeln, wie man Klammern ausmultipliziert: (x1 + i · y1) · (x2 + i · y2) = = x1 · x 2 + x1 · i · y 2 + i · y 1 · x 2 + i · y 1 · i · y 2 = x 1 x2 + i · x 1 y 2 + i · x 2 y 1 − y 1 y 2 = (x1 x2 − y1y2) + i · (x1 y2 + x2y1), dabei wurde nur i2 = −1 und das Umsortieren in Real- und Imaginärteil benutzt. Mathematik kompakt 6 Der Körper der komplexen Zahlen Die Grundrechenarten Merkregeln (Fortsetzung) Auf die Formel für die Division komplexer Zahlen kommen wir durch folgende Umformungen: x1 + i · y 1 (x1 + i · y1) · (x2 − i · y2) = x2 + i · y 2 (x2 + i · y2) · (x2 − i · y2) = (x1x2 + y1y2) + i · (x2y1 − x1y2) . 2 2 x2 + y 2 Man erweitert also mit (x2 − i · y2) und stellt fest, dass beim Ausmultiplizieren der Nenner reell wird. Das ist schon der ganze Trick! Mathematik kompakt 7 Der Körper der komplexen Zahlen Die Grundrechenarten Beispiele Beispiel Für Addition und Subtraktion betrachten wir: (3 + 4i) + (1 − 2i) = = (3 + 4i) − (1 − 2i) = = (3 + 1) + (4 − 2)i 4 + 2i, (3 − 1) + (4 − (−2))i 2 + 6i. Für die Multiplikation ergibt sich durch Ausmultiplizieren der Klammern: (3 + 4i) · (1 − 2i) = =3 · 1} + 3 · (−2i) + 4i · (−2i) | {z | {z· 1} + 4i | {z } | {z } 3 −6i 4i −8i2 = 3 − 6i + 4i + 8 = (3 + 8) + (4 − 6)i = 11 − 2i . Mathematik kompakt 8 Der Körper der komplexen Zahlen Die Grundrechenarten Beispiele (Fortsetzung) Und für die Division erhält man durch Erweitern mit (1 + 2i): (3 + 4i)(1 + 2i) 3 + 4i = 1 − 2i (1 − 2i)(1 + 2i) (3 − 8) + (4 + 6)i = 1 + 22 = Mathematik kompakt −5 + 10i = −1 + 2i . 5 9 Der Körper der komplexen Zahlen Übung a) Gegeben seien die komplexen Zahlen z1 := −1 − 8i und z2 := −2 − 3i. Berechnen Sie 2z1, 2z1 + z2, z2 − z1, z1 · z2, z12 (:= z1 · z1) und z1 : z2. b) Berechnen Sie die folgenden Potenzen von i: i2, i3, i4, i5, i6 und i27 . Mathematik kompakt 10 Der Körper der komplexen Zahlen Lösung a) 2z1 = −2 − 16i, 2z1 + z2 = −4 − 19i, z2 − z1 = −1 + 5i, z1 · z2 = −22 + 19i, z12 = −63 + 16i, z1 : z2 = 2 + i. b) i2 = −1, i3 = i2 · i = (−1) · i = −i, i4 = i3 · i = (−i) · i = −i2 = −(−1) = 1, i5 = i, i6 = −1, i27 = i6·4+3 = i3 = −i. Mathematik kompakt 11 Der Körper der komplexen Zahlen Der Körper der komplexen Zahlen Die komplexen Zahlen bilden bezüglich der Addition und Multiplikation einen Körper (C, +, ·). Genau wie in IR sind also in C die Körperaxiome (z.B. gewisse einfache Rechenregeln wie die Kommutativgesetze) erfüllt. Man rechnet mit anderen Worten wie gewohnt. Mathematik kompakt 12 Der Körper der komplexen Zahlen Keine Größer-/Kleiner-Beziehung in C ! Anders als in IR gibt es aber keine Größer-/KleinerBeziehung in C. Man kann also zwei komplexe Zahlen nur auf Gleichheit/Ungleichheit untersuchen, nicht aber sinnvoll sagen, welche von beiden die größere ist. Mathematik kompakt 13 Der Körper der komplexen Zahlen Keine positiven oder negativen Zahlen in C ! Außerdem gibt es keine positiven oder negativen komplexen Zahlen. Es wäre also falsch zu sagen, dass +i positiv sei. Ebensowenig ist +i negativ. Auch −2i ist weder positiv noch negativ! Bedenken Sie dazu, dass das Produkt zweier positiver oder zweier negativer Zahlen stets positiv ist: Das Produkt von i mit sich selbst ergibt aber −1, also eine negative Zahl! Mathematik kompakt 14 Der Körper der komplexen Zahlen Die konjugiert-komplexe Zahl Definition Die komplexe Zahl z := x + i · (−y) = x − i · y heißt die zu z = x+i·y konjugiert-komplexe Zahl. Für die konjugiert-komplexe Zahl z ist auch die Abkürzung z ∗ gebräuchlich. Mathematik kompakt 15 Der Körper der komplexen Zahlen Beispiel Die zu z1 = −7−8i konjugiert-komplexe Zahl lautet z1 = −7 + 8i. Für z2 = 4i = 0 + 4 · i gilt z2 = −4i = −z2. Für z3 = −17 = −17 + 0 · i ist z3 = −17 = z3. Mathematik kompakt 16 Der Körper der komplexen Zahlen Merkregel für die Division komplexer Zahlen Man dividiert, indem man durch Erweitern mit dem Konjugiert-Komplexen des Nenners diesen Nenner reell macht. Mathematik kompakt 17 Der Körper der komplexen Zahlen Rechenregel für konjugiert-komplexe Zahlen Mit z = x + i · y und z = x − i · y gilt für konjugiert-komplexe Zahlen die folgende Rechenregel: z · z = x2 + y 2 ist stets reell und ≥ 0. Dies kann man durch einfaches Nachrechnen zeigen: z·z = = = = (x + iy) · (x − iy) x · x + x · (−iy) + iy · x + iy · (−iy) x2 − ixy + ixy − i2y 2 x2 + y 2 . Mathematik kompakt 18 Der Körper der komplexen Zahlen Übung a) Gegeben sei die komplexe Zahl z0 = 1 − 2i. Geben Sie an bzw. berechnen Sie: Re (z0), Im (z0), z0, Re (1/z0), Im (i · z0), Im (z0), i · Re (z0). b) Bestimmen Sie alle komplexen z = x + i · y mit Im (2z + z) = 1. Mathematik kompakt Zahlen 19 Der Körper der komplexen Zahlen Lösung a) Re (z0) = 1, Im (z0) = −2, z0 = 1 + 2i, Re (1/z0 ) = 1/5, Im (i · z0) = 1, Im (z0) = −2, i · Re (z0) = −i. b) Alle komplexen Zahlen z = x + i · y mit Imaginärteil y = −1. Mathematik kompakt 20 Der Körper der komplexen Zahlen Rechenregeln für konjugiert-komplexe Zahlen Mit z = x + i · y und z = x − i · y gilt: a) Genau für reelle z ist z = z . b) Das Bilden der konjugiert-komplexen Zahl ist mit allen vier Grundrechenarten vertauschbar: z1 + z 2 = z 1 + z 2 , z1 − z 2 = z 1 − z 2 , z1 · z 2 z1 = = z 1 · z2 , z1 z2 z2 (Division nur im Falle von z2 6= 0). Mathematik kompakt 21 Der Körper der komplexen Zahlen Übung Beweisen Sie: z1 · z2 = z1 · z2. Lösung Mit z1 = x1 + iy1 und z2 = x2 + iy2 ist: z1 · z2 = (x1 + iy1) · (x2 + iy2) = (x1 x2 − y1y2) + i(x1 y2 + x2y1) = (x1 x2 − y1y2) − i(x1 y2 + x2 y1) . Umgekehrt gilt: z1 · z2 = (x1 − iy1) · (x2 − iy2) = (x1x2 − y1y2) − i(x1y2 + x2y1). Mathematik kompakt 22 Die Gauß’sche Zahlenebene Die Gauß’sche Zahlenebene als Briefmarke Mathematik kompakt 23 Die Gauß’sche Zahlenebene Die Gauß’sche Zahlenebene Jeder komplexen Zahlz = x+i·y entspricht x genau ein Vektor bzw. genau ein Punkt y (x, y) der Ebene und umgekehrt. imaginäre Achse z=x+i .y y 0 x reelle Achse In der Technik spricht man anstelle von Ortsvektoren häufig von Zeigern auf komplexe Zahlen. Mathematik kompakt 24 Die Gauß’sche Zahlenebene Beispiel a) Der komplexen Zahl z = −3 + 4i entspricht der Punkt (−3, 4); z = 1 entspricht der Punkt (1, 0); z = i entspricht der Punkt (0, 1); z = 0 entspricht der Punkt (0, 0), der Ursprung des Koordinatensystems. Im(z) -3+4i 3+4i 4 1 -3 0 Re(z) 1 3 b) Genau für reelle Zahlen z gilt Im z = 0; sie werden durch die Punkte der reellen Achse dargestellt. Rein-imaginäre Zahlen (Re z = 0) werden durch die Punkte der imaginären Achse veranschaulicht. Mathematik kompakt 25 Die Gauß’sche Zahlenebene Beispiel a) Den zur konjugiert-komplexen Zahl z = x − i · y gehörigen Ortsvektor findet man durch Spiegelung des zu z = x + i · y gehörigen Ortsvektors an der reellen Achse: Im(z) y 0 -y z x Re(z) z b) Punkte in der Gauß’schen Zahlenebene und folglich die komplexen Zahlen kann man nicht linear anordnen (keine Größer-/Kleiner-Beziehung!). Mathematik kompakt 26 Die Gauß’sche Zahlenebene Rechenoperationen in IR × IR Wenn wir z = x + i · y = (x, y) setzen und Addition und Multiplikation umschreiben, so erhalten wir für die Rechenoperationen + und · auf IR × IR = {(x, y)|x, y ∈ IR} die folgende Darstellung: (x1 , y1) + (x2, y2) = (x1 + x2, y1 + y2), (x1 , y1) · (x2 , y2) = (x1x2 − y1y2, x1y2 + x2y1). Die erste der beiden obigen Gleichungen besagt, dass die Addition komplexer Zahlen wie die Addition von Vektoren in der Ebene (Kräfteparallelogramm!) vorgenommen wird. Mathematik kompakt 27 Die Gauß’sche Zahlenebene Polarkoordinaten Die Lage eines Punktes der Ebene lässt sich durch seinen Abstand r ( Radius“) vom Ko” ordinatenursprung und, wenn r > 0, durch den Winkel ϕ des Ortsvektors mit der positiven x-Achse ( Polarwinkel“) kennzeichnen. ” (Im Fall r = 0, am Koordinatenursprung also, lässt sich ϕ nicht definieren.) imaginäre Achse z=(x,y) bzw. z=x+i.y y r 0 Mathematik kompakt x reelle Achse 28 Die Gauß’sche Zahlenebene Winkel Winkel werden meist in Bogenmaß angegeben. Das bekannte Gradmaß ϕ̂ (Einheit: Grad) und das Bogenmaß ϕ (Einheit: Radiant) hängen dabei wie folgt zusammen: ϕ̂ ϕ = . 360◦ 2π Da der Winkel nur bis auf Vielfache von 2π (bzw. 360◦ ) bestimmt ist, legt man willkürlich ein Intervall fest, in dem der Winkel angeben wird, z.B. −π < ϕ ≤ +π . Mathematik kompakt 29 Die Gauß’sche Zahlenebene Umrechnungsformeln Die Umrechnungsformeln zwischen kartesischen Koordinaten und Polarkoordinaten lauten: sowie r= x = r · cos ϕ q 2 x +y 2 (Vorzeichen von y ≥ 0 oder y < 0.) und und ϕ y = r · sin ϕ x ϕ = ± arccos . r je nachdem ob Man könnte hier auch die Beziehung tan ϕ = y/x verwenden, müßte aber bei der Umkehrfunktion arctan(y/x) vier Fallunterscheidungen, je nach Quadrant, in dem (x, y) liegt, durchführen. Mathematik kompakt 30 Die Gauß’sche Zahlenebene Beispiel Aus den kartesischen Koordinaten x = −3 und y = 4 der komplexen Zahl z = q −3 + 4i ergeben sich die Polarkoordinaten r = (−3)2 + 42 = √ 25 = 5 und ϕ = + arccos(−3/5) ≈ 2.214 (bzw. ϕ̂ ≈ 126.87◦ ). Aus den Polarkoordinaten r = 4 und φ = −π/6 (ϕ̂ = −30◦) erhält man die kartesischen Koordi√ √ naten x = 4 · cos (−π/6) = 4 · 1/2 3 = 2 3 und y = 4 · sin (−π/6) = 4 · (−1/2) = −2 der √ komplexen Zahl z = 2 3 − 2i. Mathematik kompakt 31 Die Gauß’sche Zahlenebene Übung a) Geben Sie die Polarkoordinaten r und ϕ der folgenden komplexen Zahlen an: z1 = 7, z2 = 4i, z3 = −6, z4 = −3i, z5 = 1 − i. b) Berechnen Sie die kartesischen Koordinaten der komplexen Zahl z6 mit den Polarkoordinaten r = 2, ϕ = π/3. Mathematik kompakt 32 Die Gauß’sche Zahlenebene Lösung a) r1 r2 r3 r4 r5 b) x6 = 1, y6 = Mathematik kompakt = 7, = 4, = 6, = 3, √ = 2, √ ϕ1 ϕ2 ϕ3 ϕ4 ϕ5 = 0; = π/2; = π; = −π/2; = −π/4. 3. 33 Die Gauß’sche Zahlenebene Betrag einer komplexen Zahl Anstelle vom Radius und Polarwinkel bei Polarkoordinaten wird im Zusammenhang mit komplexen Zahlen meist vom (Absolut-) Betrag und vom Argument (oder Arcus oder Phase oder Winkel) einer komplexen Zahl gesprochen: Definition Unter dem Betrag einer komplexen Zahl z = x + iy versteht man s √ 2 2 |z| = |x + i · y| := x + y = z · z Mathematik kompakt 34 Die Gauß’sche Zahlenebene Beispiel Der Betrag der komplexen Zahl z = −3 + 4i ist gleich 5 und das Argument von z ist ungefähr 2.214. Mathematik kompakt 35 Die Gauß’sche Zahlenebene Veranschaulichung Der Betrag einer komplexen Zahl ist anschaulich gesprochen die Länge ihres Ortsvektors bzw. ihr Abstand vom Nullpunkt. Der Term |z1 −z2|, der Betrag von z1 −z2 also, steht für den Abstand der beiden Zahlen (d.h. Punkte im IR × IR) z1 und z2. Mathematik kompakt 36 Die Gauß’sche Zahlenebene Rechenregeln für den Betrag a) |z| ≥ 0; |z| = 0 ⇐⇒ z = 0, b) |z| = |z|, c) |z1 + z2| ≤ |z1| + |z2| (Dreiecksungleichung), d) |z1 · z2| = |z1| · |z2|, e) |z1/z2| = |z1|/|z2| falls z2 6= 0. Mathematik kompakt 37 Die Gauß’sche Zahlenebene Übung a) Zeigen Sie: |z| = |z|. Was bedeutet dies geometrisch? b) Was besagt die Dreiecksungleichung anschaulich? Mathematik kompakt 38 Die Gauß’sche Zahlenebene Lösung a) Es sei z := x + i · y. Dann ist |z| = q q q x2 + y 2 und |z| = x2 + (−y)2 = x2 + y 2. Die Ortsvektoren von |z| und |z|, welche durch Spiegelung an der x-Achse auseinander hervorgehen, sind gleich lang. b) Die Länge des Vektors von z1 + z2 (Hypotenuse des Dreiecks in Abb.) ist kleiner/gleich der Summe der Längen von z1 und z2 (Katheten des Dreiecks in Abb.). z2 z1 Mathematik kompakt * z1 + z 2 39 Die Gauß’sche Zahlenebene Die Polarform komplexer Zahlen Die bisher in kartesischer Normalform gegebene komplexe Zahl z = x + i · y lässt sich bei Verwendung von Polarkoordinaten in der Polarform schreiben: z = |z| · (cos ϕ + i · sin ϕ) Die Umrechnung erfolgt gemäß den Formeln für die Transformation zwischen kartesischen Koordinaten und Polarkoordinaten. Mathematik kompakt 40 Die Gauß’sche Zahlenebene Beispiel Es gilt: z = −3 + 4i ≈ 5 · [cos(2.214) + i · sin(2.214)] . Dabei ist −3 + 4i die Normalform und 5 · [cos(2.214) + i · sin(2.214)] die Polarform der komplexen Zahl z. Umgekehrt: 4 · [cos(−π/6) + i · sin(−π/6)] √ 3/2 + i · (−1/2) = 4· √ = 2 3 − 2i. In diesem Fall wurde ausgehend von der Polarform auf die Normalform der komplexen Zahl umgerechnet. Mathematik kompakt 41 Die Gauß’sche Zahlenebene Weitere Beispiele Weitere Beispiele für die Polarform komplexer Zahlen sind: i = 1 · [cos(π/2) + i · sin(π/2)] , √ 1+i = 2 · [cos(π/4) + i · sin(π/4)] , −7 = 7 · [cos π + i · sin π ] . Dabei sieht die Polarform von −7 nur auf den ersten Blick erstaunlich aus! Mathematik kompakt 42 Die Gauß’sche Zahlenebene Übung Geben Sie die Polarform der folgenden komplexen Zahlen an: z1 = 7, z2 = 4i, z3 = −6, z4 = −3i, z5 = 1 − i. Mathematik kompakt 43 Die Gauß’sche Zahlenebene Lösung z1 = 7 = 7 · [cos 0 + i · sin 0] , z2 = 4i = 4 · [cos(π/2) + i · sin(π/2)] , z3 = −6 = 6 · [cos π + i · sin π ] , z4 = −3i = 3 · [cos(−π/2) + i · sin(−π/2)] , z5 = 1 − i = Mathematik kompakt √ 2 · [cos(−π/4) + i · sin(−π/4)] . 44 Die Gauß’sche Zahlenebene Multiplikation und Division komplexer Zahlen Die Polarform erlaubt nun eine sehr prägnante Beschreibung der Multiplikation und Division komplexer Zahlen: Für die Zahlen z1 := |z1|·(cos ϕ1 +i·sin ϕ1) und z2 := |z2| · (cos ϕ2 + i · sin ϕ2) gilt: z1 · z2 = |z1| · |z2| · (cos(ϕ1 + ϕ2) + i · sin(ϕ1 + ϕ2)), z1/z2 = |z1|/|z2| · (cos(ϕ1 − ϕ2) + i · sin(ϕ1 − ϕ2)) (Division nur im Falle von z2 6= 0). Mathematik kompakt 45 Die Gauß’sche Zahlenebene Multiplikation und Division komplexer Zahlen Der Beweis dieses Satzes ist schlichtweg trivial; man benötigt nur die aus der Schule bekannten Additionstheoreme von Sinus und Cosinus: z1 · z2 = |z1|(cos ϕ1 + i · sin ϕ1) ·|z2|(cos ϕ2 + i · sin ϕ2) = |z1||z2| · (cos ϕ1 cos ϕ2{z − sin ϕ1 sin ϕ2 )} | =cos(ϕ1+ϕ2) + i · (cos ϕ1 sin ϕ2 + sin ϕ1 cos ϕ2)} . | {z =sin(ϕ1+ϕ2) Mathematik kompakt 46 Die Gauß’sche Zahlenebene Multiplikation und Division komplexer Zahlen Komplexe Zahlen werden multipliziert (dividiert), indem man ihre Beträge multipliziert (dividiert) und ihre Winkel addiert (subtrahiert) — und den resultierenden Winkel evtl. auf das Intervall (−π, +π] reduziert. Mathematik kompakt 47 Die Gauß’sche Zahlenebene Multiplikation und Division komplexer Zahlen Drehstreckung Geometrisch kann die Multiplikation komplexer Zahlen als Drehstreckung beschrieben werden: Multipliziert man eine komplexe Zahl z1 mit einer komplexen Zahl z2, so wird der Betrag von z1 um den Faktor |z2| gestreckt“ (oder ” gestaucht“), der Winkel von z1 wird um den ” Winkel von z2 weitergedreht“. ” Mathematik kompakt 48 Die Gauß’sche Zahlenebene Beispiel Multiplikation einer Zahl z1 mit der Zahl z2 = 1 + i √ √ bedeutet (wegen |z2| = 2, ϕ2 = arccos(1/ 2) = √ ◦ π/4 = 45 ): Der Ortvektor der Zahl z1 wird um 2 gestreckt und um 45◦ (im mathematischen, also im Gegenuhrzeigersinn) gedreht. Im(z) z1 (1+i) 45 0 0 Mathematik kompakt z1 Re(z) 49 Die Gauß’sche Zahlenebene Übung Gegeben seien die komplexen Zahlen z1 = 1 + i und z2 = −1 + 2i. a) Führen Sie zunächst z1 und z2 in Polarform über und berechnen Sie z1 · z2. b) Berechnen Sie z1 ·z2 in Normalform und führen Sie dann das Ergebnis in Polarform über. c) Interpretieren Sie z1 · z2 als Drehstreckung in der Gauß’schen Zahlenebene. Mathematik kompakt 50 Die Gauß’sche Zahlenebene Lösung a) z1 z2 √ π π , = 2 · cos + i sin 4 4 √ = 5 · (cos 2.034 + i sin 2.034), z1 · z 2 √ √ π π = 2· 5· cos( 4 + 2.034) + i sin( 4 + 2.034) √ = 10 · (cos 2.819 + i sin 2.819). b) z1 · z2 = (1 + i) · (−1 + 2i) = −3 + i √ = 10 · (cos 2.819 + i sin 2.819). c) Multiplikation mit z2 entspricht Streckung um √ Faktor 5 und (ungefähre) Drehung um Winkel 2.034. Mathematik kompakt 51 Die Gauß’sche Zahlenebene Die Euler’sche Beziehung Für den Term cos ϕ + i · sin ϕ bietet sich eine Abkürzung an. Wir benutzen dazu die folgende Gleichung, die so genannte Euler’sche Beziehung: eiϕ = cos ϕ + i · sin ϕ Obige Gleichung ist zunächst als bloße Abkürzung zu sehen; es steckt aber noch ein tiefer liegender mathematischer Sachverhalt dahinter: s.Reihen. Mathematik kompakt 52 Die Gauß’sche Zahlenebene Exponentialform von komplexen Zahlen Die bisher in Polarform gegebene komplexe Zahl z = |z| · (cos ϕ + i · sin ϕ) lässt sich unter Verwendung der Euler’schen Beziehung nun in der Exponentialform schreiben: z = |z| · eiϕ . Der Anteil |z| beschreibt dabei die Länge des Ortsvektors von z, der Anteil eiϕ allein den Winkel: |eiϕ| = 1. Mathematik kompakt 53 Die Gauß’sche Zahlenebene Beispiel −3 + 4i ≈ 5 · (cos 2.214 + i · sin 2.214) √ 2 3 − 2i = 4 · (cos(−π/6) + i · sin(−π/6)) i = 1 · (cos(π/2) + i · sin(π/2)) i = √ = 7 1 + −7 Mathematik kompakt 2 · (cos(π/4) + i · sin(π/4)) · (cos π + i · sin π ) 54 Die Gauß’sche Zahlenebene Übung Geben Sie die Exponentialform der folgenden komplexen Zahlen an: z1 = 7, z2 = 4i, z3 = −6, z4 = −3i, z5 = 1 − i. Lösung z1 z2 z3 z4 z5 = = = = = Mathematik kompakt 7 4i −6 −3i 1−i = = = = = 7 · e0i, 4 · eiπ/2, 6 · eiπ , 3 · e−iπ/2, √ 2 · e−iπ/4 . 55 Die Gauß’sche Zahlenebene Satz von Moivre Die Abkürzung“ eiϕ hat den großen Vorteil, dass ” man mit ihr wie mit einer richtigen Potenz“ rechnen ” kann: eiϕ1 · eiϕ2 = ei(ϕ1+ϕ2), (eiϕ )n = ei(nϕ) Mathematik kompakt eiϕ1 i(ϕ1−ϕ2 ), = e eiϕ2 (Satz von Moivre) 56 Die Gauß’sche Zahlenebene Potenzen komplexer Zahlen Die Exponentialform komplexer Zahlen ist besonders hilfreich, wenn man etwa Potenzen komplexer Zahlen berechnen will. Beispiel 6 (1 − i) = =8·e = 8i. √ i( − π 2e 4 ) −i 3π 2 6 = √ 6 2 i − 3π 2 +2π =8·e Mathematik kompakt ·e i 6 (− π 4) =8·e iπ 2 57 Die Gauß’sche Zahlenebene Übung √ 6 Berechnen Sie (1 − 3i) und (1 + i)4. Benutzen Sie dazu die Darstellung komplexer Zahlen in Exponentialform! Lösung 6 √ 6 6π i(− π ) 1 − 3i = 2 · e 3 = 26 · ei(− 3 ) = 26 · ei(−2π) = 26 · ei0 = 64, (1 + i)4 = √ 2·e 4 iπ 4 = 4 · eiπ = −4. Mathematik kompakt √ 4 i4 π = 2 ·e 4 58 Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Lösbarkeit quadratischer Gleichungen Die Gleichung a2 z 2 + a1z + a0 = 0 mit den Koeffizienten a2 6= 0, a0 , a1, a2 ∈ IR lässt sich zunächst normieren: z 2 + (a1 /a2 )z + a0/a2 = 0, wofür wir z2 + p · z + q = 0 schreiben. Durch quadratische Ergänzung erhält man p2 p2 2 z +p·z+ = −q + 4 4 oder p 2 p2 z+ = −q . 2 4 Der Term D := p2/4 − q heißt Diskriminante, da sich an ihm festmachen lässt, ob zwei Lösungen, eine oder keine (reelle) Lösung vorliegen. Mathematik kompakt 59 Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Lösbarkeit quadratischer Gleichungen (Fortsetzung) Im Einzelnen gilt: • Für D > 0 gibt es zwei verschiedene reelle Lösungen: p √ z1/2 = − ± D . 2 • Für D = 0 gibt es eine (man sagt: doppelt auftretende) reelle Lösung: p z=− . 2 • Für D < 0 existiert bekanntlich keine reelle Lösung. Aber da wir mit Hilfe der imaginären Einheit i inzwischen auch Gleichungen der Form z 2 + 1 = 0 oder z 2 = −1 lösen können, da also i mit anderen Worten Wurzel aus der negativen Zahl −1 ist, können wir nun auch Wurzeln aus negativen Zahlen ziehen und finden Lösungen für D < 0: Für D < 0, d. h. −D > 0, gibt es zwei konjugiert-komplexe Lösungen: √ p z1/2 = − ± i · −D . 2 Mathematik kompakt 60 Beispiel a) z 2 + z − 12 = 0 : 2 1 Diskriminante: D = 4 − (−12) = 1 4 + 12 = 12.25 > 0 =⇒ 2 Lösungen verschiedene reelle q q z 1 − (−12) = − 1 ± 49 = −1 ± 1/2 2 4 2 4 =⇒ 1 7 = −2 ± 2, also Lösungen: z1 = 3, z2 = −4, und es gilt: z 2 + z − 12 = (z − 3) · (z + 4) . Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Mathematik kompakt Lösbarkeit quadratischer Gleichungen 61 Beispiel b) z 2 + 14z + 49 = 0 : Diskriminante: also Lösungen: und es gilt: 2 D = 14 4 − 49 = 49 − 49 = 0 =⇒ 1 (doppelt auftretende) reelle Lösung √ =⇒ z1/2 = − 14 2 ± 0 = −7, z1 = z2 = −7, z 2 + 14z + 49 = (z + 7) · (z + 7) . Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Mathematik kompakt Lösbarkeit quadratischer Gleichungen 62 Beispiel c) z 2 + 4z + 13 = 0 : Diskriminante: 2 D = 44 − 13 = 4 − 13 = −9 < 0 =⇒ 2 konjugiert-komplexe Lösungen z 1/2 = =⇒ −4 2±i· q = −2 ± i · 3, √ −(−9) = −2 ± i 9 also Lösungen: z1 = −2 + 3i, z2 = −2 − 3i, und es gilt:z 2 + 4z + 13 = (z − (−2 + 3i)) · (z − (−2 − 3i)) . Die Probe liefert: (z − (−2 + 3i)) · (z − (−2 − 3i)) = ((z + 2) − 3i) · ((z + 2) + 3i) = (z + 2)2 − (3i)2 = z 2 + 4z + 4 − (−9) = z 2 + 4z + 13. Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Mathematik kompakt Lösbarkeit quadratischer Gleichungen 63 Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Übung Lösen Sie die folgenden quadratischen Gleichungen in C: a) b) c) d) z 2 + 6z + 9 2z 2 + 9z − 5 4z 2 + 8z + 29 4z 2 + 17 = = = = 0, 0, 0, 0. Lösung a) b) c) d) z1 z1 z1 z1 = −3, =1 2, = −1 √ + 5/2i, = 17i/2, Mathematik kompakt z2 z2 z2 z2 = −3, = −5, = −1 √− 5/2i, = − 17i/2. 64 Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Komplexe Polynome Definition Für n ∈ IN und an (6= 0), an−1, . . ., a1, a0 ∈ C heißt die Funktion P : C −→ C, z 7−→ P (z) mit P (z) := anz n +an−1z n−1 +. . .+a1z +a0 komplexes Polynom n-ten Grades mit den (im Allgemeinen) komplexen Koeffizienten ak . Mathematik kompakt 65 Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Beispiel Die Funktion P (z) = z 4 + (−3 + i) z 2 − iz + 3 ist ein Polynom 4.Grades mit den Koeffizienten a4 = 1, a3 = 0, a2 = −3 + i, a1 = −i und a0 = 3. Man kann für z eine beliebige komplexe Zahl einsetzen und erhält als Funktionswert P (z) wiederum eine komplexe Zahl, z.B. P (2) = 7 + 2i und P (1 + 2i) = 3 − 40i. Mathematik kompakt 66 Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Komplexe Nullstellen und Linearfaktoren Analog zum Reellen: Definition Die (komplexe) Zahl z1 heißt Nullstelle des (komplexen) Polynoms P (z), wenn gilt: P (z1) = 0. Es gilt wie im Reellen: Ist z1 eine Nullstelle des Polynoms P (z) vom Grade n > 0, so kann man den Linearfaktor (z − z1) ohne Rest abdividieren: P (z) = (z − z1) · P1(z). Dabei ist P1(z) ein Polynom (n − 1)-ten Grades. Mathematik kompakt 67 (z 4 −z 3 +z 2 +9z −10) : (z − 1) = z 3 + z + 10 z 4 −z 3 z 2 +9z −10 z2 −z 10z −10 10z −10 0 3 und somit P (z) = (z + {z z + 10)} ·(z − 1). | =:P1(z) Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Mathematik kompakt Beispiel Das (komplexe) Polynom P (z) = z 4 − z 3 + z 2 + 9z − 10 hat (u.a.) die Nullstelle z1 = 1. Polynomdivision liefert 68 Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Übung Zeigen Sie, dass z2 = 1 + 2i Nullstelle des verbleibenden Polynoms P1 (z) = z 3 +z +10 ist. Dividieren Sie den entsprechenden Linearfaktor (z − z2) von P1 (z) ab. Mathematik kompakt 69 Lösung Polynomdivision liefert: (z 3 +z +10) : (z − (1 + 2i)) = z 2 z 3 −(1 + 2i)z 2 +(1 + 2i)z (1 + 2i)z 2 +z +10 +(−2 + 4i) (1 + 2i)z 2 +(3 − 4i)z (−2 + 4i)z +10 (−2 + 4i)z +10 0 70 Insgesamt: P1 (z) = z 3 + z + 10 = (z 2 + (1 + 2i) · z + (−2 + 4i)) · (z − (1 + 2i)). Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Mathematik kompakt Komplexe Nullstellen und Linearfaktoren Lösung Für P (z) ergibt sich damit: 2 P (z) = (z − (1 + 2i)) · (z − 1).} + (1 + 2i)z + (−2 + 4i))} · (z | {z | {z zu den Polynom 2.Grades Nullstellen z1 und z2 gehörige Linearfaktoren Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Mathematik kompakt Komplexe Nullstellen und Linearfaktoren (Fortsetzung) 71 Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Hilfssatz Folgender Hilfssatz erleichert das Auffinden von Nullstellen komplexer Polynome enorm: Sind die Koeffizienten des Polynoms sämtlich reell, so treten nämlich komplexe Lösungen stets paarweise konjugiert auf. Gegeben sei das komplexe Polynom P (z) = anz n + an−1z n−1 + . . . + a1z + a0 vom Grade n > 1. Sind alle Koeffizienten an (6= 0), an−1 , ..., a1, a0 reell, so ist mit z0 = x0 + i y0 auch z0 = x0 − i y0 eine Nullstelle. Mathematik kompakt 72 Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Beispiel Das (komplexe) Polynom P (z) = z 4 − z 3 + z 2 + 9z − 10 hat die Nullstelle z2 = 1 + 2i. Alle Koeffizienten von P (z) sind reell. Also ist auch z2 = 1 − 2i Nullstelle von P (z). Mathematik kompakt 73 Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Übung Gegeben ist das komplexe Polynom P (z) = z 3 + 11z 2 + 49z + 75. Die komplexe Zahl z1 = −4 − 3i ist Nullstelle von P (z). Wie lautet (ohne Rechnung) eine weitere Nullstelle von P (z)? Lösung Eine weitere Nullstelle von P (z) ist z2 = z1 = −4 + 3i. Dies gilt, weil P (z) ausschließlich reelle Koeffizienten besitzt. Mathematik kompakt 74 Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Fundamentalsatz der Algebra Anders als im Reellen hat im Komplexen jedes Polynom n-ten Grades genau n (nicht unbedingt verschiedene) Nullstellen. Jede algebraische Gleichung n-ten Grades (n > 0) anz n + an−1 z n−1 + . . . + a1z + a0 = 0 mit komplexen Koeffizienten an (6= 0), an−1, . . . , a1, a0 hat mindestens eine komplexe Lösung. Mathematik kompakt 75 Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Fundamentalsatz der Algebra Eine andere Formulierung des Fundamentalsatzes lautet (wenn wir nämlich sukzessive Linearfaktoren abdividieren): Jedes Polynom n-ten Grades (n > 0) P (z) = anz n + an−1z n−1 + . . . + a1z + a0 mit komplexen Koeffizienten an (6= 0), an−1, . . ., a1, a0 kann ganz in Linearfaktoren zerlegt werden: P (z) = an · (z − zn) · (z − zn−1) · . . . ·(z − z2) · (z − z1) Die komplexen Zahlen z1, z2, . . . , zn sind die (nicht unbedingt verschiedenen) Nullstellen von P (z). Mathematik kompakt 76 P (z) = 1 · (z − 1) · (z − (1 + 2i)){z· (z − (1 − 2i))} | = ((z − 1) − 2i) · ((z − 1) + 2i) = (z − 1)2 + 4 = z 2 − 2z + 5 Im Reellen wäre (x − 1)2 + 4 > 0 unzerlegbar, also P (x) = (x − 1) · (x2 − 2x + 5) · (x + 2) . ·(z + 2) . Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Mathematik kompakt Beispiel Das Polynom P (z) = z 4 − z 3 + z 2 + 9z − 10 hat die Nullstellen z1 = 1, z2 = 1 + 2i, z3 = 1 − 2i und z4 = −2. Damit lässt sich P (z) wie folgt in Linearfaktoren zerlegen: 77 Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Potenzen einer komplexen Zahl Beispiel Die ersten vier Potenzen der komplexen Zahl z0 := 1 + i lauten: √ 1 z0 = 1+i = 2 · eiπ/4 , z02 = (1 + i)2 = z03 = (1 + i)3 = 2 · eiπ/2 (= 2i), √ 3 2 · ei 3π/4 (= −2 + 2i), z04 = (1 + i)4 = 4 · eiπ (= −4). Im(z) z02 z03 z0 = 1+i i z04= - 4 0 Mathematik kompakt Re(z) 1 78 Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Beispiel Wegen z04 = −4 können wir z0 = 1 + i offenbar als vierte Wurzel aus −4 interpretieren. Wenn wir nun umgekehrt von −4 = 4eiπ ausgehen, so müssen wir als vierte Wurzel davon diejenige Zahl nehmen, deren Betrag die vierte Wurzel des Betra√ ges von −4 (also 4 4) und deren Winkel der vierte Teil des Winkels von −4 (also π 4 ) ist. Dies ist aber gerade z0 = 1 + i. Die Frage ist nun noch, ob damit alle Wurzeln gefunden sind. Das Polynom P (z) = z 4+4 hat nämlich nicht nur die Nullstelle z0 = 1+i, sondern auch die weiteren Nullstellen (insgesamt vier) z1 = −1 + i, z2 = −1 − i und z3 = 1 − i. Im z 1+i | -1+i | | /2 Re z -1-i Mathematik kompakt 1-i 79 Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Wurzeln von komplexen Zahlen Die Gleichung z n = c mit der komplexen Zahl c = |c| · eiφ 6= 0 und n ∈ IN hat genau n verschiedene Lösungen r n zk = |c| · e i φ n +k· 2π n , (k = 0, 1, 2, . . . , n − 1) die so genannten n-ten Wurzeln aus c. Mathematik kompakt 80 Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Wurzeln von komplexen Zahlen Veranschaulichung Die n-ten Wurzeln aus c = q |c| · eiφ 6= 0 liegen auf einem Kreis vom Radius n |c| um 0 und bilden die Ecken eines regelmäßigen n-Ecks, weil sich benachbarte Arcuswerte um jeweils 2π/n unterscheiden. Der Winkel zwischen der positiven reellen Achse und der ersten“ Wurzel z0 beträgt gerade φ/n: ” Im z z1 jeweils Winkel 2 | | /n | z2 z0 Winkel f/n | Re z n |c| Mathematik kompakt 81 π Die Gleichung z 3 = i = 1 · ei 2 hat die 3 Lösungen (Wurzeln) √ √ 2π ) π 3 i( π +0· i 3 + 3 z0 = 1·e 6 = 1·e6 = 2 √ √ 2π ) 5π 3 i( π +1· i 3 z1 = 1·e 6 = 1 · e 6 = − 23 + √ 3 i( π +2· 2π ) i 3π 6 3 z2 = 1·e = 1·e 2 = − 1 i, 2 1 i, 2 i. Die Wurzeln z0, z1 und z2 liegen auf einem Kreis vom Radius 1 um den Nullpunkt. Sie bilden ein gleichseitiges Dreieck. Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Mathematik kompakt Beispiel 82 Die z0 z1 z2 √ i 3π 4 Gleichung z = −1 + i = 2 · e 4 hat die 4 Lösungen (Wurzeln) q√ √ 2π ) 3π 4 8 i( 3π +0· i 4 = q 2 · e 16 = 2 · e 16 ≈ 0.907 + 0.606i, √ 2π ) 11π 4 √ 8 i( 3π +1· i 4 = q 2 · e 16 = 2 · e 16 ≈ −0.606 + 0.907i, √ 2π ) 13π 4 √ 8 i( 3π +2· −i 4 = q 2 · e 16 = 2 · e 16 ≈ −0.907 − 0.606i, √ 2π 4 √ 8 i( 3π −i 5π 16 +3· 4 ) 16 z3 = 2·e = 2·e 0.606 − 0.907i. √ Die Wurzeln z0, z1, z2 und z3 liegen auf einem Kreis vom Radius 8 2 um den Nullpunkt. Sie bilden ein Quadrat. ≈ Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Mathematik kompakt Beispiel 83 Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Übung Bestimmen Sie alle (komplexen) vierten Wurzeln der Zahl 2. Lösung Die Gleichung z 4 = 2 = 2 · ei·0 hat die 4 Lösungen (Wurzeln) √ √ √ 4 4 4 i(0+0· 2π ) i0 4 z0 = 2·e 2·e = 2, = √ √ √ π 4 4 4 ) i(0+1· 2π i 4 z1 = = 2·e 2·e2 = 2i, √ √ √ 4 4 ) i(0+2· 2π iπ 4 = z2 = 2·e 2·e = − 4 2, √ √ √ 4 4 i(0+3· 2π ) i 3π 4 2 2·e = 2·e = − 4 2i. z3 = Die Wurzeln z0, z1, z2 und z3 liegen auf einem Kreis √ vom Radius 4 2 um den Nullpunkt. Sie bilden ein Quadrat. Mathematik kompakt 84 Komplexe Zahlen — Algebr.Gleichungen Wurzeln von komplexen Zahlen (Graphiken) Im z Im z z1 z1 z0 z0 Re z Re z z2 z2 z3 z3 = i z 4 = -1+i Im z z1 z2 z0 Re z z3 z4 = 2 Mathematik kompakt 85 Anwendung: Fraktale Erzeugung von Apfelmännchen“ ” Wir wählen zunächst einen Testpunkt c := a + b · i, eine komplexe Zahl also, und erzeugen nun sukzessive eine Folge von weiteren komplexen Zahlen. Startwert ist dabei der Koordinatenursprung selbst: z0 := 0 + 0 · i. Die weiteren Elemente der Folge berechnen wir mittels folgender Vorschrift: z1 := z02 + c, z2 := z12 + c, ..., allgemein 2 zn := zn−1 + c. (Dabei sind alle zn komplexe Zahlen, und die verwandten Operationen sind die komplexe Addition und Multiplikation.) Mathematik kompakt 86 Anwendung: Fraktale Erzeugung von Apfelmännchen“ ” (Fortsetzung) Die Frage ist nun, ob einer der erzeugten Werte zn außerhalb eines Kreises vom Radius 2 um den Koordinatenursprung liegt, d.h. ob gilt: |zn| ≥ 2. Ist dies der Fall, so wird unserem Testpunkt die Farbe weiß“ zugeordnet und wir brechen die Iterati” ” on“, die Berechnung von zn+1 etc., ab. Ansonsten führen wir den Algorithmus“, die Rechenvorschrift, ” fort und berechnen das nächste Folgenglied zn+1. Mathematik kompakt 87 Anwendung: Fraktale Erzeugung von Apfelmännchen“ ” (Fortsetzung) Wir können natürlich nicht alle (das sind nämlich unendlich viele!) Folgenglieder z0, z1, z2, ... erzeugen und testen. Deshalb bricht man die Schleife z.B. bei n = 100 ab. Hat bis dahin kein Folgenglied den besagten Kreis verlassen, so erhält unser Testpunkt c die Farbe schwarz“. Insgesamt haben wir also un” serem Testpunkt c auf diese Weise eine der Farben schwarz“ oder weiß“ zugewiesen. ” ” Mathematik kompakt 88 Anwendung: Fraktale Erzeugung von Apfelmännchen“ ” (Fortsetzung) Nun ordnen wir einfach jedem (der endlich vielen) Pixel unseres Bildschirms eine komplexe Zahl c zu, wie ja schon Gauß die komplexen Zahlen durch die Gauß’sche Zahlenebene veranschaulicht hat. Wir führen dann mit jedem c den beschriebenen Algorithmus durch und färben jeden Bildschirm-Pixel entsprechend seines berechneten Farbwertes schwarz“ ” oder weiß“ ein. Ein so genanntes Apfelmännchen ” entsteht. Eine spektakulärere Version erhält man z.B., indem man die Punkte c, deren Iterierte dem Kreis entkommen, wirklich farbig einfärbt — und zwar entsprechend der Anzahl der Iterationsschritte, die bis zur Flucht aus dem Kreis durchgeführt werden müssen. Mathematik kompakt 89 Anwendung: Fraktale Erzeugung von Apfelmännchen“ ” (Graphik) Mathematik kompakt 90 Anwendung: Wechselspannungen in der Etechnik Elektrische Wechselspannung U (t) = U0 · cos(ωt + φ) Dabei bezeichnet U0 die Amplitude, ω die Frequenz und φ die Phasenverschiebung. Grob gesprochen gibt U0 an, um wieviel höher oder niedriger als 1 die Cosinusfunktion schwingt; ω gibt an, um wieviel schneller oder langsamer U (t) im Vergleich zur üblichen Cosinusfunktion schwingt; und schließlich besagt φ, um wieviel eher oder später als zur Zeit t = 0 der maximale Ausschlag erreicht wird. Mathematik kompakt 91 Anwendung: Wechselspannungen in der Etechnik Elektrische Wechselspannung komplex aufgefasst Eine derartige Wechselspannung U (t), oder viel allgemeiner jede so genannte harmonische Schwingung, kann nun aber komplex als U (t) aufgefasst werden: U (t) = U0 · (cos(ωt + φ) + i sin(ωt + φ)) = U0 · ei(ωt+φ). (In der Elektrotechnik ist es üblich, komplexe Größen durch Unterstreichung zu kennzeichnen.) U0 ei f wt f U0 Mathematik kompakt 92 Anwendung: Wechselspannungen in der Etechnik Das Ohmsche Gesetz Das Ohmsche Gesetz lautet nun bekanntlich U = R · I, es beschreibt den einfachen Zusammenhang zwischen Spannung U , Ohmschem Widerstand R und Stromstärke I und gilt sowohl für Gleich- als auch für Wechselstrom. Einen ähnlichen Zusammenhang kann man nun auch bei anderen Widerständen wie Kondensator und Spule aufstellen, man muss aber die komplexe Darstellung verwenden: U (t) = Z · I(t). (Wieder stehen U für die Spannung, I für die Stromstärke (beide komplex aufgefasst), und Z bezeichnet den i.Allg. komplexen Widerstand.) Mathematik kompakt 93 Anwendung: Wechselspannungen in der Etechnik Komplexe Widerstände Der Widerstand eines Kondensators (der Kapazität C) etwa beträgt bei Wechselstrom der Frequenz ω 1 1 ZC = = −i · ; iωC ωC und die Multiplikation von I C mit Z C zu U C spiegelt wieder, dass die Spannung UC dem Strom IC um 90◦ hinterherhinkt“. Im Komplexen wurde das ” durch die Multiplikation mit −i, durch Drehung um 90◦ im Gegenuhrzeigersinn also, ausgedrückt. Ähnliches gilt auch für so genannte Induktivitäten (Spulen also), und entsprechende Rechnungen können für kompliziertere Schaltbilder mit Reihen- oder Parallelschaltung mit Hilfe der Kirchhoffschen Regeln und der beschriebenen komplexen Rechnung ausgeführt werden. Mathematik kompakt 94 Schaltzeichen Schaltelement Widerstand Widerstand R (Ohm’scher Widerstand) Kapazität C (Kondensator) 1 iωC Induktivität L (Spule) iωL R 95 Anwendung: Wechselspannungen in der Etechnik Mathematik kompakt Schaltzeichen, Schaltelemente und komplexen Widerstände für Ohm’sche Widerstände, Kondensatoren und Spulen