Vorlesung zur Arithmetik • V1 18./19.04. • V2 -./26.04. • V3 02./03.05. • V4 09./10.05. • V5 16./17.05. • V6 23./24.05. • • • • V7 V8 V9 V10 30.05./31.05. 06./07.06. 20./21.06. 27./28.06. • • • V11 04./05.07. V12 11./12.07. V13 18. 07. Arithmetik in der Grundschule Die Entwicklung des Zahlbegriffs beim Kind Natürliche Zahlen im Anfangsunterricht Die Grundrechenoperationen Addition und Subtraktion Die Grundrechenoperationen Multiplikation und Division Natürliche Zahlen und ihre Eigenschaften Rechengesetze und Rechenstrategien Rechenfakten automatisieren Schriftliche Rechenverfahren Rechenschwäche und Rechenbegabung Aufgabenformate und Übungsangebote Zusammenfassung und Überblick Klausur 1 V 1.2 Entwicklung mathematischer Kompetenzen (1) Einflussfaktoren auf die Entwicklung mathematischer Kompetenzen (2) Modelle zur Entwicklung mathematischer Kompetenzen • • • Krajewski u. a. 2001 Fritz, Ricken, Gerlach u. a. 2007 Karen Fuson 1988 (Erwerb der Zahlwortreihe) (3) Die Zählfähigkeiten (4) Die Aspekte des Zahlbegriffs 2 1 Einflussfaktoren auf die Entwicklung mathematischer Kompetenzen (Quellen: Krajewski; Padberg; Moser-Opitz) – Mengenvorwissen • Subitizing (simultanes Erfassen) – Fähigkeit von Geburt an • Qualitatives Vergleichen, Klassifizieren, Reihenfolgen erkennen, Eins-zu-eins-Zuordnungen herstellen (s. OTZ, Merkmale 1-4) – Zahlenvorwissen Wahrnehmungsfähigkeiten • Zahlenkenntnis • Zählfähigkeiten (s. Punkt 3) 3 Entwicklungspsychologische Gesichtspunkte, die auf den Arbeiten Piagets beruhen kardinale Invarianz: Aussagen wie „mehr als“ oder „weniger als“ beziehen sich auf die Anzahl der Elemente nicht auf räumliche Ausdehnung. Die Operation, die zu dieser Einsicht führen soll, ist der Mengenvergleich durch Eins-zu-eins-Zuordnung. 4 Invarianzversuche mit Mengen n. Piaget (Mengenvergleich durch Eins-zu-Eins-Zuordnung) Gibt es für jedes Ei einen Eierbecher? (im oberen Bild? im unteren Bild? ) 5 Aufgaben zur kardinalen Invarianz Kinokasse/Anstehen: An welcher Kasse stehen mehr Kinder an, oder stehen überall gleich viele Kinder an? (Krajewski 2003) Suche den Indianer, der so viele Federn hat, wie der im Kasten. (OTZ 6 2001) weiteres Mengenvorwissen (s. auch Vorlesung 1) 7 Weitere Einflussfaktoren (Krajewski 2005) • Bedeutsame Einflüsse auf die späteren Mathematikleistungen konnten von der Gedächtniskapazität und der Zahlenverabeitungsgeschwindigkeit (Zahlenspeed) abgeleitet werden. Das räumliche Vorstellungsvermögen konnte nicht als mathematische Vorläuferfertigkeit identifiziert werden. • Zahlenspeed Die Schnelligkeit spielt eine Rolle, mit der Zahlen zunächst wahrgenommen und im Gehirn verarbeitet, also ins Langzeitgedächtnis übertragen werden können . • Gedächtniskapazität Außerdem ist es für diese Übertragung ins LZG und auch für die Fähigkeit im Umgang mit Mengen bedeutend, wie viele Zahlen, Laute und Objekte in kürzester Zeit aufgenommen und verarbeitet werden können. Mengen- und zahlenbezogenes Wissen ist durchaus trainierbar. (MZZ: Mengen, Zählen, Zahlen. Cornelsen) Krajewski 2005 2 Modelle zur Entwicklung mathematischer Kompetenzen 2.1 Krajewski 2001 2.2 Fritz/Ricken/Gerlach 2007 2.3 Fuson (1988) 10 2.1 Entwicklungsmodell früher mathematischer Kompetenzen Krajewski 2001 Erstklässler zu Schulbeginn können Differenzen zwischen Zahlen vielfach noch nicht als Anzahlen repräsentieren. 12 2.2 Kompetenzmodell nach Fritz/Ricken/Gerlach 2007/2008 – stützt sich auf Resnick (1983) und Fuson (1988) Stufe 1 • Säuglinge unterscheiden Mengen mit 2 und 3 Objekten; mit ca. einem halben Jahr können Mengenveränderungen (im Zahlenraum 1 bis 3) wahrgenommen werden. • Mit dem Beginn des Sprechens erlernen Kinder Zahlworte, die sie zunächst ohne Mengenverständnis anwenden. • Mit der Zeit entsteht ein Verständnis dafür, dass die Zahlworte in einer bestimmten Reihenfolge angeordnet sind (Seriation). • Das Zählen wird sicherer, flüssiger und vollständiger, wird aber noch nicht eingesetzt, um Objekte zu zählen. Der Vergleich von Mengen erfolgt über eine 1-zu-1-Zuordnung. n. Thiel 2008 ca. 30% der Fünfjährigen 13 Stufe 2 • Die Sequenzwörter (sequence-words) werden zu Zählwörtern (countingwords). Das Zählen kann genutzt werden, um Objekte zu zählen. • Die Kinder begreifen, dass die Zahlwortreihe eine feste Abfolge hat, auf jede Zahl eine bestimmte Nachfolgerzahl folgt und diese Zahl größer ist. Die Zahlwortreihe weist die ‚steigende Menge‘ aus. • Die Kinder vergleichen Zahlen aufgrund ihrer Position in der Zahlwortreihe. • Das wachsende Verständnis von Vermehren und Vermindern wird mit der Zahlenstrahlvorstellung verknüpft. Dies versetzt sie in die Lage einfache sachbezogene Rechnungen auszuführen. Die Bewältigung der Aufgaben erfolgt zählend - orientiert am inneren Zahlenstrahl. • Die Aufgaben werden in der Regel gelöst, ohne dass die Kinder schon über eine kardinale Mengenvorstellung verfügen. ca. 40% der Fünfjährigen 14 Foto Thiel Stufe 3 ca. 20% der Fünfjährigen • Erwerben des kardinalen Verständnisses: Die Kinder betrachten die Zahlen nicht mehr ausschließlich nach ihrer Position auf dem Zahlenstrahl (also rein ordinal), sondern beginnen zu verstehen, dass Zahlen auch für die Anzahl der in ihnen enthaltenen Objekte stehen (‚Enthaltensein‘: Die Zahl 4 enthält auch die Zahlen 1, 2 und 3.) • Es muss beim Rechnen nicht mehr alles ausgezählt werden, es kann von der ersten Rechenzahl aus weitergezählt werden. • Aus einer Gesamtmenge heraus kann eine Teilmenge bestimmt werden. • Vorgänger und Nachfolger von Zahlen können genannt werden, ohne sie zählend ermitteln zu müssen. 15 Stufe 4 weniger als 10% der Fünfjährigen • Integration der Zahlenstrahlvorstellung und Mengenbedeutung von Zahlen wird weiter vertieft. • Teil-Ganzes-Konzept wird erworben: Zahlen können in Teilmengen zerlegt und aus Teilmengen zusammengesetzt werden. • Der ordinale und kardinale Zahlbegriff wird um den relationalen Zahlbegriff erweitert: Mit einer Zahl wird auch ein Abschnitt auf dem Zahlenstrahl bezeichnet. Die Zahl 5 kann z.B. für den Abschnitt 1-2-3-4-5 aber auch für den Abschnitt 4-5-6-7-8 stehen. Die sich allmählich entwickelnden relationalen Kenntnisse gestatten es, dass die Kinder eine Differenz zwischen zwei Mengen bestimmen können. 16 Jan und Paula bauen mit Legosteinen. Jan steckt 5 Steine zusammen. Paula baut mit 7 Steinen. Wie viele Bausteine hat Paula mehr? Patrick gehört zu den 22% der Schulanfänger, die mit dem relationalen Zahlaspekt schon arbeiten können. 17 Stufe 5 (in der Schule) • Wissen über Beziehungen zwischen Mengen entwickelt sich: Zahlen können in unterschiedliche Teilmengen zerlegt werden, ohne, dass man ihre Mächtigkeit verändert (8=3+5 oder 8=4+4). • Kommutativgesetz (3+9 kann umgedreht werden zu 9+3) und effektive Zerlegungsstrategien können genutzt werden (5+8=5+5+3). 18 • Die Kompetenzen der 5 Stufen bilden sich allmählich heraus, z. B. in Abhängigkeit vom Zahlenraum. Siegler (1987) benutzte den Begriff der „sich überlappenden Wellen“. Das bedeutet, dass Kompetenzen nicht sofort und vollständig da sind, sondern sich entwickeln müssen. Während sich die Kompetenz noch entwickelt, kann das Kind die nächste Kompetenz schon vorbereiten. 19 1. Niveaustufe Ganzheitsauffassung der Zahlwortreihe (string level) • Die Zahlwortreihe wird als Ganzes unstrukturiert eingesetzt, wird wie ein Lied oder ein Gedicht rezitiert: „einszweidreivierfünfsechs“. • Die Zahlwortreihe kann nur mit Einschränkungen zum Zählen eingesetzt werden. • Eindeutigkeitsprinzip noch nicht sicher. Die Zahlwörter haben noch keine kardinale Bedeutung. 20 2. Niveaustufe Unflexible Zahlwortreihe (unbreakable chain level) • Die einzelnen Zahlwörter können klar unterschieden werden, jedoch muss die Reihe immer als Ganzes aufgesagt werden (von 1 an). Durch Zählen kann eine Anzahl bestimmt werden. 21 3. Niveaustufe Teilweise flexible Zahlwortreihe (breakable chain level) • Die Zahlwortreihe kann von einem beliebigen Zahlwort aus aufgesagt werden. • Vorgänger- und Nachfolgerzahlen können genannt werden. • Rückwärtszählen gelingt zum Teil. Kardinale Kompetenz (Bestimmen einer Anzahl) deutlich gestiegen. 22 4. Niveaustufe Flexible Zahlwortreihe (numerable chain level) • Von jeder Zahl aus kann eine bestimmte Anzahl Schritte weiter gezählt werden: Zähle von 14 aus drei Schritte vorwärts, rückwärts. • Entsprechende Fertigkeiten im Rückwärtszählen entwickeln sich etwas später. Rechenkompetenzen werden erworben. 23 5. Niveaustufe Vollständig reversible Zahlwortreihe (bidirectional chain level) • Es kann von jeder Zahl aus vorwärts und rückwärts gezählt werden. • Richtungswechsel erfolgen schnell und ohne Schwierigkeiten. Erkenntnisse zum Aufbau unseres Zahlsystems können abgeleitet werden. 24 3 Die Zählfähigkeiten Hasemann, Anfangsunterricht 2003;Padberg, Arithmetik 2005; Krajewski 2003) (1)Altersbezug (2)Zählprinzipien (3)Stufen der Zählentwicklung Björn, 2 Jahre 25 (1) Altersbezug • Der Erwerb der Zahlwortreihe beginnt im Alter von etwa zwei Jahren und kommt in der ersten Klasse zu einem gewissen Abschluss. • Es gibt große individuelle Unterschiede. Manche Dreijährige beherrschen längere Abschnitte als manche Fünfjährige. n. Padberg 2005 26 • „Die Zeit der Konsolidierung der Zählkompetenz ist zeitlich sehr individuell; unsere Untersuchung deutet auf einen Zeitrahmen vom 4. bis zum 6. Lebensjahr hin.“ Caluori: Die numerische Kompetenz von Vorschulkindern 27 • Von dreieinhalb Jahren aufwärts können die Kinder zunehmend Zahlwortfolgen bis 10 aufsagen und sind im Begriff, die Zahlwortfolge bis 20 zu erwerben. • Zwischen viereinhalb und sechseinhalb Jahren erkennen die Kinder allmählich die analogen Bildungsgesetze der Zahlwortfolge innerhalb der einzelnen Dekaden zwischen 20 und 100. n. Padberg 2005 28 • Beim Gebrauch der Zahlwortreihe fällt auf, dass die Kinder Zahlwörter gegen Nichtzahlwörter scharf abgrenzen können. • Rückwärtszählen entwickelt sich zum Teil erst zwei Jahre nach dem Vorwärtszählen. n. Padberg 2005 29 (2) Zählprinzipien nach Gelmann & Gallistel 1978 1. Das Eindeutigkeitsprinzip (Jedem der zu zählenden Elemente wird genau ein Zahlwort zugeordnet.) 2. Das Prinzip der stabilen Ordnung (Beim Zählen kommt jede Zahl genau einmal und stets an der gleichen Position vor.) 3. Das Kardinalzahlprinzip (Die letzte Zahl beim Zählen einer Menge gibt deren Anzahl an.) 4. Das Abstraktionsprinzip (Jede Art von Objekten ist zählbar.) 5. Das Prinzip von der Irrelevanz der Anordnung (Die Reihenfolge beim Zählen der Objekte ist beliebig.) vgl. auch Padberg, 2005, S.8/9; Krajewski 2003 30 1. Prinzip: Eins-zueins-Zuordnung 3. Prinzip: Kardinalität •30% der Dreijährigen, •90% der Vierjährigen, •100% der Fünfjährigen weisen Verstöße gegen das Eindeutigkeitsprinzip beim Zählen zurück. Fuson 1988: „last-word response“ (Reaktion auf das letzte Wort) Für das kardinale Verständnis muss die dahinterstehende Menge als solche begriffen werden. 31 Diskussion: Principle-Before und Principle-After-Theorie • Steuern die Zählprinzipien das Erlernen des Zählens? (Sind Zählprinzipien auch angeboren?) • Oder werden die Zählprinzipien erst durch das Zählen erworben? Fuson 1988; Karmiloff-Smith 1992: Kinder erwerben erst durch die Erfahrung mit dem Zählen die zahlrelevanten Zählprinzipien. 32 • Erwerb der Zahlwortreihe gehört nach E. Stern (1998) zum sogenannten privilegierten Wissen (ähnlich wie sprachliche Bausteine als Module im Menschen angelegt). 33 Zu erwartende mathematische Leistungsfähigkeit lässt sich häufig von der Zählfähigkeit zu Schulbeginn ableiten: • Kinder, die bis 100 vorwärts und schon recht gut rückwärts zählen können (in der Regel ab 20),... • Kinder, die ungefähr bis 39 (49) vorwärts und schon rückwärts (evtl. von 10 an) zählen können,... • Kinder, die höchstens bis 20 vorwärts und noch nicht (kaum) rückwärts zählen können,... Vorsicht! Nur Richtwerte. 34 Zählfähigkeiten und Rechenfähigkeiten stehen in einem engen Zusammenhang Fallbeispiel Sascha, Kl. 1, März 35 Zählfähigkeiten Sascha 36 Rechenfähigkeiten Sascha 37 Tim und Paul haben zusammen 30 Legosteine. Tim hat 6 mehr als Paul. Wie viele hat Tim? Wie viele hat Paul? Sascha in Klasse 4 beim Lösen anspruchsvoller Textaufgaben Ca. 1/3 der Viertklässler konnte die Aufgabe ohne Hilfe lösen. 38