Physik 1, WS 2015/16 — Musterlösung — 8. Aufgabenblatt (KW 50) Aufgabe 2 (Bleistift) Ein dünner Bleistift der Masse m und der Länge L steht zunächst mit der Spitze nach oben zeigend senkrecht auf einer Tischplatte. Nach einem leichten Stoß fällt er um. Mit Hilfe des Energieerhaltungssatzes bestimme man die Geschwindigkeit und die Winkelgeschwindigkeit der Bleistiftspitze im Moment des Aufpralles auf die Unterlage! Lösung zu Aufgabe 2 Die potenzielle Energie eines räumlich ausgedehnten Körpers im Schwerefeld der Erde ist durch die Lage seines Schwerpunktes gegeben, Epot = mgh, wobei h die Höhe des Schwerpunktes über der Referenzebene angibt. Im Falle des lotrecht stehenden Bleistiftes beträgt die Höhe des Schwerpunkts h = 12 L, falls wir davon ausgehen, dass der Bleistift eine homogene Massendichteverteilung hat. Also hat der Stift vor dem Umfallen die potenzielle Energie Epot,0 = 12 mgL. Da der Bleistift anfangs ruht, ist seine kinetische Energie vor dem Umfallen gleich Null, Ekin,0 = 0, so dass die Gesamtenergie vor dem Umkippen Eges,0 = Epot + Ekin,0 = 21 mgL beträgt. Im Augenblick des Aufpralles auf die Tischplatte befindet sich der Schwerpunkt des Bleistiftes in der Höhe Null, die potenzielle Energie ist dann also ebenfalls Null, Epot,1 = 0. Die kinetische Energie setzt sich aus Translationsenergie und Rotationsenergie zusammen, wobei deren Anteile von der Wahl der Rotationsachse abhängen. Die Wahl der Rotationsachse ist prinzipiell beliebig, aber es empfielt sich, entweder eine ruhende Rotationsachse (in dieser Aufgabe wäre dies der unterste Punkt des Bleistiftes) oder eine Rotationsachse durch den Schwerpunkt (Mitte des Bleistiftes) zu nehmen. Im ersten Fall verschwindet der Anteil der Translationsenergie, aber das Trägheitsmoment muss über den Steinerschen Satz berechnet werden. Im zweiten Fall gibt es einen nichtverschwindenden Anteil an Translationsenergie, aber man kann das Trägheitsmoment bezüglich des Schwerpunktes nehmen, welches dem Tafelwerk direkt entnommen werden kann. Natürlich kommt in beiden Fällen dasselbe Ergebnis heraus! Wir wählen als Rotationsachse den Auflagepunt des Bleistiftes und berechnen zunächst das Trägheitsmoment des Stiftes bezüglich dieses Punktes. Dabei nehmen wir an, dass wir den Bleistift näherungsweise als langen dünnen Stab mit homogener Dichteverteilung betrachten können, dann beträgt das Trägheitsmo1 mL2 . Das Ende des Bleistiftes befindet ment bezüglich seines Schwerpunktes JS = 12 1 sich 2 L vom Schwerpunkt entfernt, also ist das Trägheitsmoment bezogen auf eine Achse durch diesen Endpunkt durch JA = JS + m( 21 L)2 = 13 mL2 gegeben. Die Rotationsenergie beim Aufprall berechnen wir also zu Erot,1 = 21 JA ω 2 = 16 mL2 ω 2 und somit folgt für die Gesamtenergie beim Aufprall Eges,1 = Epot,1 +Ekin,1 = 0+Erot,1 = 1 mL2 ω 2 . Wenn wir die Luftreibung vernachlässigen, gilt Eges,0 = Eges,1 und somit 6 q 2 2 1 1 mgL = 6 mL ω ⇐⇒ |ω| = 3 Lg . 2 Die Geschwindigkeit der Bleistiftspitze erhält man über die Beziehung v = ωr, wobei r den Abstand des Punktes von der Drehachse bezeichnet. Da sich die Spitze im Abstand L vom Drehzentrum befindet, erhalten wir für deren Geschwindigkeit q p v = ωL = L 3 Lg = 3Lg . Jens Patommel <[email protected]> Seite 1 von 6 Physik 1, WS 2015/16 — Musterlösung — 8. Aufgabenblatt (KW 50) Aufgabe 3 (JoJo) Ein massiver Zylinder mit einem Radius r = 0.27 m und einer Masse m = 2.20 kg hängt an einem Seil, das um den Zylinder aufgespult ist. Während der Zylinder fällt, wickelt sich das Seil ab ( JoJo“). ” (a) Wie groß ist die Beschleunigung des Schwerpunktes des Zylinders? (b) Berechnen Sie die Zugkraft im Seil! Vernachlässigen Sie die Seilmasse und den Luftwiderstand und wählen Sie die Richtung nach oben als positiv! Lösung zu Aufgabe 3 (a) Auf den Zylinder wirken die Schwerkraft F~g = −mg ~ez und die Seilkraft F~S = FS ~ez , wobei ~ez den nach oben orientierten Einheitsvektor bezeichnet. Die Schwerkraft greift im Schwerpunkt des Zylinders an, so dass für den Abstandsvektor zwischen Schwerpunkt und Angriffspunkt ~rg = ~0 gilt. Die Seilkraft hingegen greift am äußersten Rand des Zylinders an, für den Abstandsvektor zwischen Schwerpunkt und Angriffspunkt der Seilkraft gilt somit ~rS = r ~ex , wobei ~ex den horizontal gerichteten Einheitsvektor bezeichnet. Das Drehmoment bezogen auf den Schwerpunkt des Zylinders beträgt dann ~ S = ~rg × F~g + ~rS × F~S = ~0 × F~g + r ~ex × FS ~ez = rFS ~ex × ~ez . M Wenn nun die drei Einheitsvektoren ~ex , ~ey , ~ez ein rechtshändiges Dreibein bilden (paarweise senkrecht und rechte Handregel“), dann gilt ~ex × ~ez = −~ey und daher ” ~ S = −rFS ~ey . M ~ S = JS α Dieses Drehmoment bewirkt eine Winkelbeschleunigung α ~ , die sich gemäß M ~ berechnet. Es folgt daher ~ S = −rFS ~ey . JS α ~ =M Wenn der Zylinder im Schwerpunkt fixiert wäre, wäre der Schwerpunkt unbeschleunigt und der momentane Angriffspunkt der Seilkraft erführe eine Beschleunigung ~a 0 nach oben, die mit der Winkelbeschleunigung über die Abrollbedingung verknüpft wäre, ~a 0 = α ~ ×~rS . Da der Schwerpunkt aber nicht fixiert ist, ist es genau umgekehrt. Der Scherpunkt wird mit ~a = −~a 0 nach unten beschleunigt, während der momentane Angriffspunkt des Seiles dieselbe Beschleunigung hat wie das bereits ausgewickelt Seil, nämlich Null. Damit folgt für die Beschleunigung des Schwerpunktes ~a = −~a 0 = −~ α × ~rS = rFS r 2 FS r2 ~ ~ey × ~ex = − ~ez = − FS . JS JS JS Jens Patommel <[email protected]> (3.1) Seite 2 von 6 Physik 1, WS 2015/16 — Musterlösung — 8. Aufgabenblatt (KW 50) Andererseits muss die Beschleunigung des Schwerpunkts dem zweiten Newtonschen Gesetz gehorchen, wonach diese proportional zur Gesamtkraft ist. Die Gesamtkraft ist die Summe aus Schwer- und Seilkraft, also gilt m~a = F~ges = F~g + F~S ⇐⇒ F~S = m~a − F~g = m (~a + g ~ez ) . (3.2) Wir setzen nun Gleichung (3.2) in (3.1) ein und bekommen für die gesuchte Beschleunigung den Ausdruck r2 ~ FS JS r2 (3.2) m (~a + g ~ez ) =⇒ ~a = − JS mr2 mr2 1+ ~a = − g ~ez JS JS −1 g ~ez ⇐⇒ ~a = JS +1 mr2 (3.1) ⇐⇒ ⇐⇒ ~a = − heraus. In diesen braucht man nur noch das Trägheitsmoment eines Vollzylinders (JS = 21 mr2 ) einzusetzen und erhält schließlich ~a = −1 −2 2 g ~ e = −6.54 m s ~ez g ~ e = − z z 2 3 1 mr + 1 2 2 mr (3.3) bzw. |~a| = 6.54 m s−2 . (b) Die Seilkraft ergibt sich unmittelbar aus Gleichung (3.2), indem man dort (3.3) einsetzt: (3.2) F~S = m (~a + g ~ez ) (3.3) F~S = m − 23 g ~ez + g ~ez F~S = 13 mg ~ez = − 13 F~g F~S = (7.19 N) ~ez ⇐⇒ =⇒ ⇐⇒ ⇐⇒ bzw. |F~S | = 7.19 N . Alternativer Lösungsweg zu 3(a) Man kann die Beschleunigung des Schwerpunktes auch aus dem Energieerhaltungssatz ableiten. Dazu führen wir die z-Koordinate ein, welche die vertikale Lage des Schwerpunktes bezüglich einer willkürlich gewählten Nullhöhe angibt (z. B. Fußboden). Die Gesamtenergie des Zylinders ist die Summe aus potenzieller Energie im Schwerefeld der Erde und kinetischer Energie. Die kinetische Energie setzt sich aus der Rotationsenergie des Zylinders um dessen Schwerpunkt und der Translationsenergie des (fallenden) Schwerpunktes zusammen. Die Gesamtenergie beträgt dann in der Höhe z Eges (z) = Epot (z) + Erot (z) + Etrans (z) = mgz + 12 JS ω 2 + 12 mvz2 . Jens Patommel <[email protected]> Seite 3 von 6 Physik 1, WS 2015/16 — Musterlösung — 8. Aufgabenblatt (KW 50) Der Zusammenhang zwischen Geschwindigkeit des Schwerpunktes und Winkelgeschwindigkeit des Zylinders ist durch die Rollbedingung gegeben. Wenn das Seil ohne Schlupf abrollen soll, muss nämlich |vz | = |ω|r gelten. Über die Vorzeichen von vz und ω braucht man sich hier keine Gedanken zu machen, weil ω nur quadratisch vorkommt und dessen Vorzeichen somit keine Rolle spielt. Es folgt nun also JS 1 + m vz2 . Eges (z) = mgz + 2 r2 Nach dem Energieerhaltungssatz muss die Gesamtenergie konstant sein, d. h. Eges (z) muss in jeder Höhe z denselben Wert haben. Damit muss die Ableitung von Eges (z) nach h gleich Null sein, es folgt also aus dem Energieerhaltungssatz unmittelbar die Bedingung d Eges (z) = 0 . dz Wir berechnen nun die Ableitung der Gesamtenergie und setzen sie gleich Null, d d JS 1 Eges (z) = mgz + 2 + m vz2 dz dz r2 d 1 JS d [mgz] + + m vz2 = dz dz 2 r2 JS dvz2 1 = mg + 2 +m · r2 dz dvz2 dvz JS Ketten+ m · · = mg + 21 regel r2 dvz dz JS dvz2 dvz dt Ketten1 · = mg + 2 + m · · regel r2 dvz dt dz dvz2 dvz dz −1 JS 1 = mg + 2 + m · · · r2 dvz |{z} dt dt |{z} |{z} az vz 2vz JS = mg + 21 + m · 2vz · az · vz−1 r2 JS ! = mg + + m az = 0 . 2 r Dies löst man jetzt nach der z-Koordinate der Beschleunigung auf und erhält das bereits bekannte Ergebnis JS −mg −1 −1 mg + + m az = 0 ⇐⇒ az = JS = JS g = 1 mr2 g = − 23 g . 2 r + m + 1 +1 r2 mr2 2 mr2 Noch ein weiterer Lösungsweg zu 3(a) Anstatt die Gesamtenergie nach der Höhe z abzuleiten, kann man sie genauso gut nach der Zeit t ableiten. Da die Gesamtenergie nicht nur in jeder Höhe z, sondern Jens Patommel <[email protected]> Seite 4 von 6 Physik 1, WS 2015/16 — Musterlösung — 8. Aufgabenblatt (KW 50) natürlich auch zu jedem Zeitpunkt t den gleichen Wert hat, muss auch die Ableitung nach der Zeit gleich Null sein: d JS d 1 Eges (t) = mgz + 2 + m vz2 2 dt dt r d d 1 JS [mgz] + + m vz2 = 2 2 dt dt r dvz2 dz 1 JS +2 + m · = mg dt r2 dt dz 1 JS dvz2 dvz Ketten+2 · = mg + m · regel dt r2 dvz dt JS 1 = mgvz + 2 + m · 2vz · az r2 JS ! + m az vz = 0 . = mg + 2 r Auflösen nach az liefert wiederum das bekannte Ergebnis JS + m az vz = 0 mg + r2 JS ⇐⇒ vz = 0 ∨ mg + + m az = 0 r2 −1 ⇐⇒ vz = 0 ∨ az = JS g = − 32 g . + 1 2 mr Jens Patommel <[email protected]> Seite 5 von 6 Physik 1, WS 2015/16 — Musterlösung — 8. Aufgabenblatt (KW 50) Aufgabe 4 (Satellit) Welche Energie (in kW h) muss einem Satelliten der Masse m beim Start zugeführt werden, damit er in einer Höhe von 200 km die Erde auf einer Kreisbahn umrunden kann? (Erdrotation ist zu vernachlässigen!) m = 103 kg, g = 9.81 m s−2 , R = 6370 km Lösung zu Aufgabe 4 Die Gesamtenergie des Satelliten setzt sich aus seiner kinetischen Energie und seiner potenziellen Energie im Gravitationsfeld der Erde zusammen. Vor dem Start hat der Satellit die kinetische Energie Ekin,0 = 0, denn er ruht relativ zur Erdoberfläche und deren Rotation um die Erdachse wird vernachlässigt. Seine potenzielle Energie im , wobei m die SatelGravitationsfeld der Erde beträgt vor dem Start Epot,0 = −γ mM R litenmasse, M die Erdmasse und R den Erdradius bezeichnen. Die Gesamtenergie beträgt also vor dem Start mM Eges,0 = Ekin,0 + Epot,0 = −γ . (4.1) R Sobald sich der Satellit in der Umlaufbahn um die Erde befindet, beträgt seine kinetische Energie Ekin,1 = 12 mv 2 und seine potenzielle Energie hat sich auf den Wert mM erhöht. Somit beträgt seine Gesamtenergie in der Umlaufbahn Epot,1 = −γ R+h mM . (4.2) R+h Die Geschwindigkeit v ergibt sich aus der Bedingung, dass die Gravitationskraft zwischen Erde und Satellit als Zentripetalkraft fungieren muss, die den Satelliten auf der Kreisbahn um die Erde hält: mM mv 2 M ! γ = ⇐⇒ v 2 = γ . (4.3) 2 R+h R+h (R + h) Eges,1 = Ekin,1 + Epot,1 = 12 mv 2 − γ Wir setzen (4.3) in (4.2) ein und erhalten für die Gesamtenergie des Satelliten in der Erdumlaufbahn mM (4.3) 1 M mM mM (4.2) Eges,1 = 12 mv 2 − γ = 2 mγ −γ = −γ . (4.4) R+h R+h R+h 2 (R + h) Die Differenz muss dem Satelliten als Energie zugeführt werden: γmM γmM ∆E = Eges,1 − Eges,0 = − − − 2 (R + h) R 2 (R + h) − R R + 2h = γmM = γmM 2R (R + h) 2R (R + h) γM R + 2h R + 2h =m 2 R = mgR R 2 (R + h) 2 (R + h) 3600 s = 32.2 GJ = 32.2 GJ s−1 · s = 32.2 GW · 3600 1h = 32.2 GW · = 8.94 MW h . 3600 Jens Patommel <[email protected]> 6