Sinti und Roma 1. Einleitung Denke ich an Zigeuner, sehe ich

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Katrin Engelmann
Sinti und Roma
1.
Einleitung
Denke ich an Zigeuner, sehe ich Wohnwagen auf einem Zirkusplatz, sehe wunderschöne
Mädchen mit langen schwarzen Haaren und glänzenden Augen. Sie tanzen barfüßig um ein
Feuer. Viele Kinder laufen auf dem Platz herum und spielen. Die älteren Frauen sitzen auf
den Treppen der Wagen, und stopfen Kleider , die Männer hacken Holz oder erzählen
Geschichten und kauen Tabak. Die jungen Burschen können allerlei Kunststücke und üben
jonglieren oder Einrad fahren. Sie leben in einer eigenen Welt, immer inmitten einer
anderen. Sie sind unter ihresgleichen, sie sind eine große Familie. Morgen werden sie
weiterziehen, an einen anderen Ort. Die meisten Stadt- und Dorfbewohner sind immer
froh, wenn sie weiterziehen, sie haben Angst vor den Zigeunern. Woher sind sie
gekommen ? Was wollen sie hier ? Warum sehen sie so dunkel aus ? Es heißt sie schicken
ihre Kinder zum Klauen auf den Marktplatz. Es heißt sie sprechen unsere Sprache nicht,
sondern nur eine Gaunersprache. Man sagt , sie seien unsauber und haben Flöhe, weil sie
sich nicht waschen und dicht gedrängt unter Säcken schlafen. Aber anschauen wollen sie
sie . Um die Neugier zu stillen und etwas zum tratschen zu haben. Dann können sie im
Dorf erzählen: „ Ich habe die Zigeuner gesehen, fragt mich, ich kenne mich da aus
“.Manches weiße Mädchen verliebte sich in einen Zigeunerburschen. Sie mochte seine Art
zu tanzen, seine kleinen Zaubertricks und wie er sie zum Lachen brachte. Er konnte Gitarre
spielen und sang ihr Lieder aus seiner fernen Heimat. Sie trafen sich heimlich an einer
alten Eiche und wenn alles schlief. Sie wollte mit ihm ziehen, Abenteuer erleben, eine
Zigeunerin werden. Sie beschloß es, packte ihre wenigen Sachen zusammen und lief zu
dem Zirkusplatz am Rande der Stadt. Es war noch früh am Morgen, die rote Sonne
besäumte noch nicht ganz den Ost, als sie an dem Ort ankam, wo noch vor ein paar
Stunden ihre Wagen standen. Sie waren fort.
Das sind gängige, romantisierende Vorstellungen, wie sie in den Köpfen mancher
Menschen schlummern, wie auch anfangs in meinem. Ich möchte in dieser Arbeit auf das
Leben der Roma und Sinti zur Zeit des Nationalsozialismus aufmerksam machen, um an
diese unmenschlichen Umstände und an die Roma und Sinti zu erinnern, weil mir
manchmal scheint , als seien sie vergessen worden. Nach einer kurzen Einführung zur
Herkunft, verweile ich bei den Ursachen der Ablehnung und komme dann zum Kern, den
Lebensumständen der Roma und Sinti als Minderheit im Dritten Reich.
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Gekommen sind sie um das Jahr 1000, aus dem Nordwesten Indiens, dem Punjab. Von
dort sind sie vermutlich aufgrund von Invasionen und Kriegen mohammedanischer
Truppen aufgebrochen und verdienten ihren Lebensunterhalt als Schmiede, Werkzeugmacher, Kesselflicker, Scherenschleifer, Korbflechter, Musikanten und Künstler.
„Rom“ heißt im Romani „Mensch“, „Roma“ ist die Mehrzahl, so nennt sich diese
Volksgruppe selbst. Als Sinti bezeichnen sich die Roma, die in Westeuropa leben. Der
Begriff Zigeuner wird häufig mit „ziehende Gauner “ assoziiert, in der Vorstellung, daß
alle Zigeuner sich ausschließlich und schon immer von Raubüberfällen und Betteleien
ernährten ( Vgl.Wippermann 1986:16 ).
Etwa ab dem 16.Jahrhundert wurden in ganz Europa „Zigeuner“ - feindliche Gesetze
erlassen ( Vgl.Wippermann1986: 13 ).Während des Dritten Reiches erreichte die
menschenverachtende Behandlung der Sinti und Roma ihren Höhepunkt. Mehr als eine
halbe Million von ihnen, darunter zehntausende Kinder wurden während des
Nationalsozialismus in Deutschland und in den Staaten deutscher Besatzung umgebracht.
Bereits zu Beginn der 30 er Jahre wurden sie in sogenannte „Zigeunerlager“ deportiert.
1938 wurde der Runderlaß zur „Bekämpfung der Zigeunerplage“ herausgegeben. Dieser
Himmler – Erlaß hatte zum Ziel, die Regelung der Zigeunerfrage aus dem Wesen dieser
Rasse heraus in Angriff zu nehmen. 1942 wurde im sogenannten Auschwitz – Erlaß die
Deportation aller „ zigeunerischen Personen“ in die Vernichtungslager nach Polen
angeordnet. Bereits Anfang 1940 waren erste Deportationen von Sinti und Roma von
verschiedenen grenznahen Regionen aus in das Generalgouvernement Polen erfolgt
(Vgl.Wippermann1986 : 22-27 )
Sie teilten das Schicksal der Juden, wurden in den Konzentrationslagern vergast, durch
Arbeit und Nahrungsentzug zu Tode gequält, zwangssterilisiert oder von Medizinern bei
Menschenversuchen mißbraucht und getötet. Anders als die NS – Verbrechen am
jüdischen Volk, wurde der Völkermord an den Sinti und Roma nach Ende des Dritten
Reiches bei uns bis 1979 verleugnet ( Kenrick / Puxon 1981 : 53 – 65,130, 131 ).
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2.Vorurteile, Urteile -wie kam es dazu ?
2.1 Ursprung und Funktion
Die Einwanderung der Roma ist vergleichbar mit einem Migrationsprozeß, wodurch
Hunderttausende von Arbeitsemigranten aus den verschiedensten Ländern nach Europa
kamen. Die Roma zogen in kleinen Familiengruppen in Länder mit bereits ansässigen
Bevölkerungen, um dort Arbeitsmöglichkeiten im Handel oder Handwerk zu finden. Die
Territorien waren schon abgegrenzt und von anderen Völkern in Besitz genommen, so daß
sie als späte Einwanderer keine Möglichkeit mehr hatten, ihre eigenen Niederlassungen zu
gründen. So mußten sie den Platz am Rande der schon etablierten Gesellschaften
einnehmen und sich dort ihr Leben einrichten.
Kirchen- und Stadtbücher berichten vom Auftauchen bunt gekleideter und exotischer
Menschen , die Neugier und Erstaunen hervorriefen und anfänglich freundlich
aufgenommen wurden. Mittelalterliche Zunftordnungen erlaubten jedoch nicht, daß sich
die Roma als Handwerker niederließen. Jeder Neuankömmling wurde als Konkurrenz und
Bedrohung empfunden. Zu diesen ökonomischen Gründen der Ablehnung, gesellten sich
bald Vorurteile über „ mysteriöse, dunkelhäutige Menschen“ , die stehlen, Kinder
entführen und spionieren. Innerhalb kürzester Zeit wurde von der Mehrzahl der
europäischen Nationen ihnen der Status eines Volkes zweiter Klasse zugewiesen
(Vgl.Kenrick/ Puxon 1981: 26 – 38 , 41- 49 , Vgl.Wippermann 1986: 22-27 )
Das Phänomen war ein gesamteuropäisches, an dessen Entstehung die verschiedenen
sozialen Gruppen ( Bauern, Klerus, Adel ) beteiligt waren. Es kam die Überzeugung auf,
daß die dunklere Haut der Roma nichts Gutes bedeuten kann. Sie kennzeichnete für die
Menschen etwas Minderwertiges und Böses. Die Assoziation von „schwarz“ und
„Zigeuner“ verwurzelte fest, schwarz war der Teufel, das Böse, der Feind, das Verderben,
Dreck.
Immer mehr Verdächtigungen, die von Bauern, Klerus und Adel ausgingen wurden
erhoben und konstruiert, so daß der Degradierungsprozeß bald eskalierte. Die Menschen
konnten die fremde Sprache nicht verstehen und meinten es sei eine „Gaunersprache“. Sie
dachten daß die Roma absichtlich Kauderwelsch redeten, um alle hinters Licht zu führen.
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Die Fremdartigkeit und das Unwissen über die Ursprünge der Romanes boten genug Anlaß
mit Mißtrauen und offener Ablehnung zu reagieren.
Ein weiterer Faktor im Degradierungsprozeß war, daß die Roma heimatlos, ohne Bindung
an ein bestimmtes Territorium waren (Vgl.Hohmann1981 ).
Den Roma und Sinti wurde somit eine Existenz als eigenständige ethnische Gruppe
abgesprochen.
Auch
die
Tatsache,
daß
die
Roma
kein
bestimmtes,
eigenes
Glaubensbekenntnis praktizierten, machte sie angreifbar und zu Außenseitern. Ein
ausschlaggebender Punkt der Kirche, die Roma nicht in ihre Gemeinde aufzunehmen, war
die Tatsache, daß sie einen nachhaltigen Einfluß auf Menschen unterschiedlichster Klassen
ausübten. Durch Wahrsagerei und Magie lösten die Zigeuner eine starke Faszination aus,
so daß sie zeitweilig in fast offene Konkurrenz mit den priesterlichen Postulaten traten
( Vgl.Hohmann 1981 )
Bald verfestigte sich Mißtrauen und Abneigung der drei Machtblöcke ( Zünfte, Kirche,
Staat )im mittelalterlichen Europa, zu einer Position unnachgiebiger Gegnerschaft. Man
erließ immer härtere Anti - Roma – Gesetze und Einschränkungen, so daß sich ihre Lage
verschlimmerte( Vgl.Zimmermann 1989:18 – 24 )
Ein permanenter Druck drängte die Roma ab in Kleinkriminalität und Betrügerei. Es
kümmerte sich niemand darum, wie sich die Roma auf rechtmäßige Weise ihren
Lebensunterhalt verdienen und ein normales Familienleben führen sollten. Um die
sogenannte Zigeunergefahr zu bekämpfen, wurden die Gesetzgebungen von Land zu Land
einfach übernommen, ohne Konsequenzen für die Roma in Betracht zu ziehen. Meist war
Vertreibung oder Tod die einzige Alternative. Das Mißtrauen wurde durch Verbreitung
von Geschichten, die die Missetaten der Roma illustrierten und auch die Schuldhaftigkeit
ein Roma zu sein, verstärkt ( Vgl.Kenrick/Puxon 1981 : 23 ff.)
Vielleicht war es die Unerreichbarkeit, die anders lebende Menschen veranlaßt hat, die
Roma mit Verleumdungen und Vorurteilen zu verunglimpfen.
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2.2 „Minderwertige Gene“, „ Minderwertige Menschen“ ?
Vorurteile, fanatische Ablehnung und Intoleranz fanden einen fruchtbaren Boden und
bereiteten den Weg in den Holocaust. Nach dem Deutsch – Römischen und dem Bismarck
– Reich entstand das Dritte Reich, in dem 1933 die NSDAP die Macht übernahm. Der
Nationalsozialismus war kein geschlossenes Gedankensystem, sondern eine irrationale
Weltanschauung. Im Mittelpunkt standen unverrückbar Antisemitismus und Führerprinzip.
Als die NSDAP die Macht übernahm, existierten bereits zahlreiche Anti – Roma – Gesetze
( Vgl. Bertelsmann Geschichtslexikon ).
Die öffentliche Meinung war seit langem schon von Mißtrauen und Ablehnung geprägt,
und die Nationalsozialisten brachten den Roma mit Sicherheit keine romantischen Gefühle
entgegen. Schon im gleichen Jahr machte eine SS-Forschungsgruppe den Vorschlag, alle
Roma aufs Meer zu verfrachten und dann die Schiffe zu versenken. Die Nationalsozialisten
konstruierten innerhalb kürzester Zeit eine Rassenhierarchie, in der die „arischen“
Deutschen an der Spitze standen. Auf dem Reichsparteitag in Nürnberg wurden das
Reichsbürgergesetz und das Blutschutzgesetz verkündet ( Vgl.Zimmermann 1989: 20 ).
Darin degradierte man Personen „ artfremden Blutes “ zu Staatsangehörigen zweiter
Klasse. Dazu gehörten neben den Juden auch die Roma. Obwohl das Romanes eine
indoarische Sprache ist, wurden die Roma nie als Arier anerkannt. In Experimenten sollte
nachgewiesen werden, daß die deutschen Roma eine andere Blutzusammensetzung und
Schädelform haben, als die deutschen Arier. Die Roma wurden von Beginn an als Nicht –
Arier kategorisiert, nicht als „Asoziale“, nur um das Problem der arischen Abstammung zu
umgehen. Die sogenannte „Zigeunerforschung“ setzte mit dem rassisch motiviertem
Interesse der Nationalsozialisten an den Roma ein. In verschiedenen Institutionen
( „ Reichskriminalpolizeiamt zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“, „Reichsstelle für
Sippenforschung“, „Rassenhygienische und Bevölkerungsbiologische Forschungsstelle“)
bearbeiteten die Mitarbeiter Anfragen der NS über die Genealogien bestimmter Roma, die
bis zu acht Urgroßeltern zurückverfolgt werden sollten. Es wurden zahlreiche Artikel zur
sogenannten „ Zigeunerplage“ veröffentlicht und Lösungsvorschläge zu diesem
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sogenannten Problem konzipiert. Teil der Forschung war die Aufstellung genealogischer
Tabellen deutscher Roma und deren Klassifizierung als „ stammechte Zigeuner “ oder
„Zigeunermischlinge “. Es sollten lückenlose Genealogien aller deutschen Roma
aufgestellt werden. Die systematische Aufarbeitung begann nach dem „ Erlaß zur
Bekämpfung der Zigeunerplage“ 1938 ( Vgl. Kenrick/ Puxon 1981: 54 ).
Von 1944 an wurde von den maßgeblichen Behörden davon ausgegangen, daß an alle
Roma Bescheinigungen über ihre Klassifikation ausgehändigt worden waren. Die
Rassenforscher behaupteten, die Roma seien kriminell, arbeitsscheu, nicht erziehar und es
würden Geschlechtskrankheiten unter ihnen grassieren. Sie können unter diesen
Umständen nicht in die Gesellschaft integriert werden. ( Vgl. Kenrick / Puxon 1981: 56 ).
2.2.1 Logik der Rassenhygiene ( allgemein )
In der Logik des rassenhygienischen Lehrgebäudes bezogen sich die Wertungen
„erbgenetisch minderwertig“ oder „ erbuntüchtig “, auf die Erbsubstanz, die erblichen
Anlagen, in der Pragmatik des rassenhygienischen Argumentierens nahmen sie aber bezug
auf deren Träger, sprich auf den Menschen. Der angeführten biologischen Logik zufolge
haben „ minderwertige Anlagen “ ihre phänotypische Entsprechung in der physisch –
geistigen und sozialen Existenz der Menschen. Und selbst im Falle rezessiver Vererbung,
nach der jemand Träger „ minderwertigen“ Erbgutes sein kann, ohne selbst als
„minderwertig“ zu gelten ( zu sein ), entspricht der rezessiven Veranlagung ein
phänotypisches Erscheinungsbild, wenn auch nicht in der Gestalt des Trägers dieser
Veranlagung.
Es lag nun in der Logik der Sache, daß eine rassenhygienische Funktionalisierung der
Sozialhygiene und der Sozialen Fürsorge deren Mitwirkung an der Entwertung ihrer
Klienten zwangsläufig zur Folge haben mußte. Es konnte nicht ausbleiben, daß die
Sozialhygiene und Sozialfürsorge, die den „ Minderwertigen “die Existenz ermöglichte,
zur „ Minderwertigen – Fürsorge “entwertet wurden ( Vgl.Reyer 1991 : 49 – 51 ).
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2.2.2 Die rassischen Untersuchungen
Die
mit
Rassenkunde
beschäftigten
Wissenschaftler
parallelisierten
die
völlig
verschiedenen Ethnen der Juden und Zigeuner. Rassenforscher stellten fest, daß es
eigentliche Rassenprobleme nur durch die Angehörigen zweier fremdartiger Völker gäbe,
der Juden und der Zigeuner. Zu den Trägern der spezifisch faschistischen Rassenpolitik
gehörten vor allem die NS- Wissenschaftler Krämer ( promovierte 1937 mit seinen
Rassischen Untersuchungen an den Zigeunerkolonien Lause und Altengraben in Münster ),
Ritter ( trat mit seinen rassenbiologischen und rassenpsychologischen Untersuchungen der
„Zigeunerfrage“ hervor ) und Eva Justin ( dachte noch 1944 über die „ Lebensschicksale
artfremd erzogener Zigeunerkinder und ihrer Nachkommen “, ganz im Sinne des
Nationalsozialismus nach ) ( Vgl. Reyer 1991 )
Sie sahen im Zigeuner „ Fremdrassige“, die sie bestenfalls zu „ fahrenden Arbeitstrupps für
Erdarbeiten „ formieren wollten.
Wer
als Zigeuner galt wurde bei Ritter nach fünf Kriterien festgestellt : nach dem
Abstammungsnachweis, den „ typisch“ zigeunerischen körperlichen Merkmalen, der
Zugehörigkeit der Zigeunersprachgemeinschaft, der Gebundenheit an die traditionellen
Stammesgesetze und nach Form und Grad der Asozialität und Kriminalität. Ritter kam zu
dem Schluß, daß es in Deutschland kaum mehr reinrassige Zigeuner gäbe. Es vollzog sich
ein rassenideologischer Kurzschluß, denn da Blutsvermischung im Dritten Reich ein
verabscheuungswürdiges Verbrechen war, das als Staatsdelikt betrachtet wurde, mußte
auch die Vermischung zwischen ursprünglich reinrassigen Zigeunern und Menschen
anderer rassischer Herkunft einem Rassenverrat gleichkommen. Nur Zigeuner, die sich
innerhalb ihrer eigenen Rasse vermehrt haben, sprach Ritter zunächst davon frei, asozial
und erbminderwertig zu sein ( Vgl. Kenrick/ Puxon 1981: 53 – 60 ).
Ähnlich wie Justin sah der Gaumatsleiter des Rassenpolitischen Amtes der NSDAP in der
Geschichte der Zigeuner den „ untrüglichen Beweis dafür, daß sich nicht nur die
körperlichen, sondern auch die geistig – seelischen Rassenmerkmale fast unberührt von
zeit und Raum in der Anlage vererben “.
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Kranz schlug in einem dreibändigem Buch über Asoziale ein Gesetz zur Erfassung der
Asozialen
vor,
welches
1943
eintrat.
Das
kriminalbiologische
Institut
der
Sicherheitspolizei begann, neben dem Zigeunerarchiv auch ein Archiv der Asozialen und
kriminellen Sippen anzulegen. In einem 1838 erschienenen Werk ( „ Der nichtseßhafte
Mensch “ ) wurden zu den nichtseßhaften Bevölkerungsanteilen des Deutschen Reiches
sowohl Zigeuner , als auch Vagabunden , ambulante Kleinhändler, Schausteller, Asoziale
und Kriminelle gerechnet. Je mehr sich die Diskussionen um das Problem der
Nichtseßhaften intensivierten, desto weniger wurde nach dem sozialen Weshalb , nach den
Motiven des Wanderns oder Umherziehens gefragt ( Vgl.Kenrick/ Puxon 1981: 64 – 65 ).
Viele Forscher mischten mit, bei den menschenverachtenden Rassenuntersuchungen,
widersprachen sich, stellten Schlußfolgerungen auf, boten Lösungsvorschläge an. Die
nationalsozialistische Regierung versuchte die Zigeuner seßhaft zu machen, schränkte sie
in ihren Möglichkeiten und Rechten ein, verfolgte sie, verjagte sie, sperrte sie ein,...
Es scheint, es gab nichts Wichtigeres zu erforschen, es gab nichts anderes, was verändert
hätte werden können, als die Minderheiten, die nicht zum arischen Volk paßten.
( Vgl.Kenrick / Puxon 1981 ).
3. Theorien als Grundlagen der Zukunftspolitik
Unter den Rassenforschern gab es erstaunlich wenige Meinungsverschiedenheiten zum
Thema Roma. Alle stimmten darin überein, daß die Roma indischer Abstammung sind,
sich auf ihren Migrationen vermischt haben. Man sah eine Gefahr in der hohen
Geburtenrate der Roma, aufgrund ihrer außergewöhnlichen Fruchtbarkeit ( die
Zigeunergesetze verboten eine Geburtenregelung ). Auch eine Vermischung mit deutschen
sollte unbedingt vermieden werden.
Rassentheoretiker stellten Schlußfolgerungen zu ihren Forschungsergebnissen auf und es
entstanden dazugehörige Lösungsvorschläge, wie zum Beispiel die Einweisung der Roma
in städtische Zigeunerkolonien, Deportationen in andere Länder, jegliche Einstellung von
Schul- und Erziehungsmaßnahmen von Roma – Kindern, Sterilisierung, gesetzliches
Verbot des sexuellen Kontaktes zu Deutschen, geschlossene Arbeitskolonien für Roma und
ein begrenztes Gebiet Bewegungsfreiheit für „ reinrassige “ Zigeuner. Alle Zigeuner
sollten als erbminderwertig betrachtet werden und erbminderwertige Elemente hieß es
auszumerzen. „ Es hätte keinen Sinn primitive Nomaden seßhaft zu machen und sie
umständlich zu schulen “( Vgl. Zimmermann 1989 ).
Von 1943 an konnten die Roma aufgrund ihrer Klassifikation als „ Zigeunermischling“
nach Auschwitz geschickt werden. Sie wurden als eine Gefahr für die Gesellschaft
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dargestellt. Als Mischlinge wurden schon die definiert, die nur zu einem achtel Roma –
Abstammung in sich trugen, d.h. Zigeunermischling war ein Mensch, wenn nur zwei seiner
16 Urgroßeltern Roma waren. Im Gegensatz dazu war ein Mensch mit einem jüdischen
Großelternteil ( vier Urgroßeltern ) im allgemeinen nicht von den anti – jüdischen
Gesetzen betroffen.
Viele Roma versuchten zu bestreiten, ein „ Zigeunermischling“ zu sein , aus Angst. Sie
legten zum Beweis Dokumente vor, wie zum Beispiel die Mitgliedschaft in der
Reichsmusikkammer oder traten in die NSDAP ein, lebten als Kaufleute in der Stadt.
Später wurden die deutschen Bürger aufgefordert, Roma bei der Polizei zu melden.
Neue Gesetze wurden erlassen und bestehende Gesetzgebungen verschärft. Zahlreiche
Maßnahmen gegen die Roma wurden ohne jegliche gesetzliche Grundlage durchgeführt –
selbst in dieser von den Nazis errichteten totalitären Diktatur.
1933 , im Jahr der Machtergreifung, wurde ein „Gesetz zur Verhütung erbkranken
Nachwuchses “ erlassen, auf dessen Grundlage sterilisiert werden konnte, außerdem „
Maßregeln zur Sicherung und Besserung“, in bezug auf „ asoziale “ Personen. 1943 folgte
das „ Gesetz über Reichsverweisungen “, mit dem unerwünschte Ausländer des Landes
verwiesenen werden konnten. Die deutsche Regierung war weit davon entfernt, den Roma
die Gelegenheit zur Einordnung und Arbeit zu geben. Als Nicht – Arier wurden sie nicht
als Beamte zum Staatsdienst zugelassen und später auch vom Wehrdienst ausgeschlossen.
Als der SS – Reichsführer Heinrich Himmler zum Chef der deutschen Polizei ernannt
wurde, wurden die Maßnahmen gegen die Roma verstärkt ( Vgl. Zimmermann 1989 ).
Im Juli 1936 wurden 400 Roma aus Bayern nach Dachau geschickt, der erste der
Transporte von denen, die noch folgen sollten. In einigen Orten wurden die Roma in ein
Sammellager eingewiesen. Weitere Lager wurden in den Jahren 1937 / 1938 errichtet. Man
verbot den Roma sich vom Lager zu entfernen. Im September 1937 wurde in Frankfurt /
Main in der Dieselstraße ein Roma – Lager errichtet. Die Polizei wies nomadisch lebende
Roma in dieses Lager ein, auch einige seßhafte Roma, über die sich die Nachbarn
beschwert hatten. Zwei Jahre später wurden alle Roma aus der Frankfurter Gegend in das
Lager eingewiesen. Zu der Situation der Roma anhand des Frankfurter Lagers im nächsten
Kapitel.
Inzwischen wurden sowohl die seßhaften, als auch die nomadisch lebenden Roma vom
Volk abgesondert. Aufgrund des „ Erlasses zur vorbeugenden Verbrechensbekämpfung “,
wurden Zigeuner und „ nach Zigeunerart umherziehende Personen “ verhaftet.
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Es sollten, wie es von der Regierung in einem Schnellbrief angeordnet wurde, in jedem
Kriminalpolizeistellenbezirk mindestens 200 männliche, arbeitsfähige Personen in
Vorbeugehaft genommen werden und in das KZ Buchenwald überführt werden.
Vermutlicherweise war das tatsächliche Ziel dieser Verhaftungsaktion die Beschaffung
von Arbeitskräften für den Bau von KZ` s. Einige Personen wurden auch in andere KZ `s
interniert ( Vgl. Kenrick / Puxon 1981 ).
Aufgrund dieses Gesetzes wurden alle männlichen Bewohner , auch Jugendliche aus dem
Roma – Lager in der Frankfurter Dieselstraße in KZ` s geschickt.
Im Juli 1938 wurden die Roma von den Westgrenzen des Deutschen Reiches nach Berlin
deportiert, im August wurden sie wieder zurückgeschickt, was ein wenig konfus erscheint.
Die Berliner Behörden versuchten, ihre eigenen Roma loszuwerden und wollten keine
zusätzlichen aufnehmen. Ende 1938 wurde in gezielter Kooperation von Polizeiexperten
und Rassenforschern das erste, direkt gegen die Roma gerichtete Gesetz ausgearbeitet. Den
rassistischen Charakter dieses Gesetzes möchte ich in einigen Auszügen aufzeigen :
„ Bekämpfung der Zigeunerplage
A.I. ( 1 )
Die bisher bei der Bekämpfung der Zigeunerplage gesammelten Erfahrungen und die
durch die rassenbiologischen Forschungen gewonnenen Erkenntnisse lassen es angezeigt
erscheinen, die Regelung der Zigeunerfrage aus dem Wesen der Rasse heraus in Angriff zu
nehmen... . Es erweist sich deshalb als notwendig, bei der endgültigen Lösung der
Zigeunerfrage die reinrassigen und die Mischlinge getrennt zu behandeln.
(2)
Zur Erreichung dieses Zieles ist zunächst erforderlich, die Rassenzugehörigkeit der
einzelnen im Deutschen Reich lebenden Zigeuner und der nach Zigeunerart
umherziehenden Personen festzustellen.
(3)
Ich ordne deshalb an, daß alle seßhaften und nicht seßhaften Zigeuner, sowie alle nach
Zigeunerart umherziehenden Personen beim Reichskriminalpolizeiamt – Reichszentrale
zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens – zu erfassen sind .“ ...
Im März 1939 werden Ausführungsanweisungen zum Zigeunergrunderlaß erlassen, die das
rassistische Unterdrückungssystem noch verschärfen.
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Ausländische Roma erhielten Aufenthaltsverbot für das Deutsche Reich, ansonsten wurden
sie
ausgewiesen.
Ein
Unterscheidungsmerkmal
zwischen
den
Roma
waren
verschiedenfarbige Ausweise. In der Politik der Nationalsozialisten gegenüber den Roma
lassen
sich
verschiedene
möglicherweise
beim
Phasen
Beginn
der
feststellen.
Ein
möglicher
Deportationsmaßnahmen,
Wendepunkt
die
dann
in
war
eine
Ausrottungspolitik einmündeten ( Vgl. Kenrick / Puxon ).
4. Das Frankfurter Lager in der Dieselstraße und seine Menschen
So wie in anderen Städten Deutschlands, wie in Köln, Düsseldorf – Lierenfeld oder Berlin
Marzahn, hatten die Nationalsozialisten auch in Frankfurt Internierungslager für Sinti und
Roma geschaffen.
Aus Frankfurt und anderen Städten , wo Sinti und Roma gelebt und auch ihren festen
Wohnsitz gehabt hatten, waren sie von der Polizei zusammengekarrt, mit Lastwagen
wegtransportiert worden und mußten dann auf engstem Raum in umzäunten Lagern
hausen. Sie wurden auf unmenschliche Art aus ihren Lebenszusammenhängen und Berufen
herausgerissen, ihr Besitz wurde ihnen weggenommen. Aus den ihnen zwingend
zugewiesenen neuen Arbeitsplätzen bekamen sie nur sehr geringen Lohn und immer
wieder gingen vom Lager aus Transporte in den Tod ins KZ Auschwitz – Birkenau. Nur
wenige haben das Grauen überlebt.
Ich fasse im Folgenden Berichte von Betroffenen zusammen. Es sind Berichte von Anna
Steinbach; geboren 1901, ihrer Tochter Rosa Steinbach; geboren 1925, Eduard Gross;
geboren 1921, Jakob Müller ; geboren 1928 , Anna Böhmer ; geboren 1921.
Die Steinbachs berichten, wie die anderen auch, eines Morgens von der Polizei aus ihrer
bisherigen Wohnumgebung heraus befohlen und in das Lager nach Frankfurt befördert
worden zu sein. Sie konnten nur das Nötigste mitnehmen und alles ging sehr schnell. Die
Polizisten sagten ihnen, sie kämen an einen Ort, wo es Arbeit gibt und sie sich Häuser
bauen könnten. Im Lager angekommen, wurden sie in Möbelwagen gepfercht, bis zu drei
Familien in einen. Das Gelände des Lagers war umzäunt und wurde von Polizeiaufsichten
bewacht. Als besonders kalt und brutal galt Polizeimeister Himmelheber. Er schrie
Gefangene an, schlug sie und stellte Transporte nach Auschwitz, Sachsenhausen –
Oranienburg, Dachau, Ravensbrück, Buchenwald oder Birkenau fertig, meist nach
Auschwitz.
Die arbeitsfähigen Roma und Sinti arbeiteten für geringen Lohn in verschiedenen Werken
außerhalb des Lagers ( Papierfabrik, Asbestwerk, Schuhfabrik, Weinhandlung, bei der
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Katrin Engelmann
Bahn o.ä. ). Sie sollten zu Fuß zur Arbeit gehen, da sie in der Straßenbahn unerwünscht
waren. Alle Zigeuner im Lager mußten sich zu täglichen Zählapellen aufstellen, meistens
morgens und abends. Beim Verlassen des Lagers mußten sie sich abmelden, bei der
Rückkehr wieder anmelden. Wer zu spät kam, wurde vermerkt und bestraft.
Zuspätgekommene wurden zur Kriminalabteilung beordert, verwarnt und ins sogenannte
Rapportbuch eingetragen. Männer hatten Sonntags von neun bis eins Ausgang, Frauen, die
nicht arbeiteten, weil sie kleine Kinder hatten, durften von neun bis elf zum Einkaufen in
zwei Läden außerhalb der Stadt, Kirchgänge waren verboten.
Fehlerhaftes Benehmen und Verstöße gegen die Lagerordnung wurden in das Rapportbuch
getragen, bei mehrfachen Einträgen wurde derjenige Roma ins KZ gebracht. Auch
Zigeuner, die gegen nichts verstießen kamen ins KZ, unklar blieben die Gesichtspunkte
und Gründe. Alle Überlebenden berichteten von einem Erlebnis des Graben Aushebens.
Hausfrauen, die nicht zur Arbeit gingen, wurden angehalten einen Graben von enormer
Tiefe, Breite und Länge auszuheben. Später stellte sich heraus, daß dieser ihr eigenes Grab
werden sollte, nachdem die Aufseher sie erschießen wollten. Der Befehl wurde kurz vor
der Ausführung zurückgezogen. Strom gab es für die Sinti und Roma nicht, Nur Lampen
und Kerzen, Wasser aus einem Gemeinschaftsbrunnen. Für bis zu 300 Menschen standen
acht Toiletten zur Verfügung. Die meisten jungen Zigeuner die im Lager blieben, wurden
zwangssterilisiert, Mädchen bereits ab 14 Jahren.
Das Lager wurde im März 1943 zu 50 % aufgelöst. Die Hälfte Menschen kam nach
Auschwitz, die anderen blieben im Lager ( Vgl. Von Hase – Mihalek/ Kreuzkamp 1990 ).
5.Konzentrationslager Auschwitz
In fast allen Konzentrationslagern waren Roma interniert. Nur in Auschwitz galt eine Art
Sonderregelung für Roma. Familiengruppen wurden nicht auseinandergerissen, um Ruhe
zu behalten. 1940 wurde das KZ Auschwitz errichtet, im Juni kamen die ersten Häftlinge
hinein. Als SS- Reichsführer Himmler das Lager besichtigte, ordnete er an das Lager
auszubauen und ein zweites Lager zu errichten ( Birkenau ). Auf diesen Befehl hin, war
das Lager Birkenau Sonderlager und es trafen Transporte aus allen Teilen Europas ein.
Entgegen einigen Ausführungsbestimmungen kam es zu Einweisungen von Personen, die
keineswegs zu dem Kreis der zu Internierenden gerechnet werden konnte. Man hatte
Fronturlauber verhaftet, die hohe Auszeichnungen hatten oder mehrfach verwundet waren,
deren Vater oder Mutter oder Großelternteil Zigeunermischling war. Unklar ist, ob die
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Roma zur direkten Vernichtung nach Auschwitz geschickt wurden. Die Arbeitsunfähigen
wurden bei der Ankunft nicht sofort vergast und nur wenige Roma mußten während der
ersten Monate arbeiten ( es war also keine Vernichtung durch Arbeit angedacht ).
Andererseits ist es nicht denkbar, daß die Roma bis Kriegsende in Auschwitz lediglich
interniert und dann freigelassen werden sollten, wie behauptet wurde. Möglicherweise
sollten sie interniert bleiben, um an ihnen Experimente durchzuführen, bis sie ausgestorben
waren. Denn die Gaskammern waren zur Vernichtung von Juden überlastet und die Roma
konnten als Demonstrationsobjekte des Roten Kreuzes zur Verfügung stehen. Viele
assimilierte Gefangene hatten Verwandte außerhalb des Lagers und eine gezielte
Vernichtung hätte negative Auswirkungen auf die Bevölkerung gehabt. Es sollten auch
keine Berichte über die Bedingungen im Lager nach außen dringen. Diese waren
unmenschlich und katastrophal. Es gab große Baracken mit Löchern, die als Türen dienten.
Auf einzelnen Pritschen, großen Holzkisten lagen fünf bis sechs Mann. Die menschen
wateten in Schlamm, es gab keine Farbe an den Wänden, die Baracken waren ehemalige
Pferdeställe. Bei ihrer Ankunft wurden den Gefangenen ihre Lagernummern auf den Arm
tätowiert und die Köpfe geschoren. Zum Lager gehörten ein Krankenbau, eine
Quarantänebaracke und eine gesonderte Baracke für kranke Kinder, in der aber keine
anderen Bedingungen herrschten. Die Mehrheit der Roma war nicht im Arbeitseinsatz ,
einige
jedoch
wurden
sofort
abkommandiert
,
zum
Steine
schleppen,
zu
Kanalisationsarbeiten oder Holzfällerarbeiten im Wald. Alle Zigeuner waren unterernährt,
meist gab es nur Wassersuppe mit Graupen. Aufgrund der unzureichenden Ernährung und
der unhygienischen Zustände im Lager grassierten Krankheiten, wie Typhus, Skorbut,
Hungerdurchfall, Wasserkrebs, Pocken und Beulenpest. Mehrere tausend Gefangene
starben an den Krankheiten.
I n der Krankenbaracke lagen Patienten in ihren eigenen Exkrementen, auf engstem Raum.
Vom Dach tropfte Regenwasser auf die Pritschen. Als Krankenschwestern arbeiteten
unausgebildete Roma – Frauen, die nur die Temperatur messen und das Essen austeilen
sollten. Die Hauptaufgabe der Ärzte war es, die zahl der Toten zu registrieren und
nachzuprüfen, ob der Patient wirklich tot war. Jeden Tag starben 20 – 30 Häftlinge. Ihre
Leichen stapelte man bis zur Abholung in einer Ecke.
Der Anteil der Kinder im Lager war sehr groß. Eine der großen Plagen war der ständige
Durst. Nachts krochen die Kinder von ihrem Lager und krabbelten heimlich auf allen
Vieren zu den Kübeln mit Aufwaschwasser und tranken es aus. Die meisten Kinder litten
an der Kinderseuche Noma, erinnerten an Leprakranke, mit großen Löchern in der
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Backenhaut, durch die man durchsehen konnte. Sie waren nur noch Haut und Knochen und
die pergamentartige Haut scheuerte auf den Kanten des Skeletts überall durch und
entzündete sich.
Ein gewisser Doktor Mengele richtete im Roma – Lager einen Experimentierblock ein.
Forschungsopfer waren Zwillinge, Liliputaner, auch Großwüchsige. Er hielt es für
wichtiger mit den Menschen zu experimentieren, als die kranken Roma zu versorgen.
Mehr als 300 Roma – Frauen waren schwanger, als sie in das Lager Auschwitz
transportiert wurden und mußten im Lager entbinden. In den ersten acht Monaten
(26.02.43 – 25.10.43 ) wurden 297 Geburten registriert und in den letzten acht Monaten
(26.10.43 – 24.06.44 ) nur 64. Gründe für den rapiden Geburtenrückgang war die
körperliche Schwäche der Frauen, die geringer werdende Zahl der jungen Männer im
Lager und außerdem waren viele Fehl- und Totgeburten die Folge unzureichender
Ernährung und epidemischer Krankheiten. Viele Neugeborene wurden getötet. Die
Säuglingssterblichkeit war extrem hoch und die meisten starben nach ein paar Wochen.
Neben der Vernichtung durch den Entzug elementarster Lebensgrundlagen wurden im
Roma – Lager gezielte Grausamkeiten und Morde verübt, trotz einer offiziellen
Anweisung, daß Roma nicht wie Juden behandelt werden sollten. Der Morgenappell
dauerte zum Beispiel zwei Stunden, aber manchmal auch den ganzen Tag. Dann mußte
strafexerziert werden , die Häftlinge nannten es „ Sport“. Auf Kommando mußten sie
Leibesübungen machen, wurden dabei geschlagen und verprügelt. Während des zweiten
Teils der Sportübungen starben 7 bis 8 Menschen. Eine besonders schwere Strafe waren
die Übernachtungen in der Stehzelle oder die Prügelstrafe, bei der die eigentlich
verabreichten Schläge mit bis zu 30 Schlägen mehr erteilt wurden. Einmal im Monat
kamen die Roma in eine Sauna zur Entlausung. Bei einer Temperatur von 50 oder 60 Grad
erlitten viele Herzanfälle oder starben.
Viele Gefangene versuchten aus dem Lager zu entfliehen, obwohl sie wußten, welches
Schicksal sie bei Wiederaufgreifung erwartete. Nach Wiedergefangennahme wurden sie
nach langer Folter und Haft im berühmten Bunker 11 erschossen, auch „Todesblock“
genannt. In der Brutalität und Erbarmungslosigkeit des Lebens im KZ Auschwitz gab es
für Häftlinge nur selten einen Moment der Erleichterung . Nach dem Morgenappell wurden
diejenigen, die nicht in einem Arbeitskommando arbeiten mußten, für den Rest des Tages
sich selbst überlassen, sie konnten auf der Hauptstraße zwischen den Baracken auf- und
abgehen oder sich draußen bis zum Abendappell irgendwo hinsetzen. Manchmal kamen
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die SS- Männer am Abend und holten sich Roma – Mädchen in ihre Quartiere. Durch diese
Kontakte erfuhren die Roma, daß sie vernichtet werden sollten.
Bekannt ist ein Fall, wo ein SS-Offizier wegen seiner Beziehung zu einem Roma –
Mädchen zum Tode verurteilt wurde, aber keine weiteren Einzelheiten.
Vor der endgültigen Liquidierung wurden zwei große Massaker verübt. Im März 1943
trafen 1700 polnische Roma aus Bialystok ein, die keine Lagernummern erhielten, sondern
gleich in den Blocks 20 und 22 isoliert wurden. Einige Tage später wurden sie wegen
Verdacht auf Typhus vergast. Am 25.Mai 1943 wurden 1042 Roma aus den Blocks gezerrt
und vergast. Die SS kam in jede Baracke und suchte nach einer Liste bestimmte Nummern
heraus, da diese Gefangenen schon auf die verschiedenen Baracken verteilt worden waren.
Ein weiterer Grund für diese Vernichtung war womöglich die Überfüllung des Lagers.
Nachdem im April 1944 beschlossen worden war, jüdische Häftlinge zur Arbeit
einzusetzen, wurde auch die Entscheidung getroffen, die arbeitsfähigen Roma in
Auschwitz zur Zwangsarbeit zu benutzen und die anderen zu ermorden. Von April 1944 an
wurden im Lager die gesunden Roma selektiert. Im April wurden 833 Männer nach
Buchenwald und 473 Frauen nach Ravensbrück geschickt, im Mai gingen Transporte mit
82 Männern nach Flössenbürg und mit 144 Frauen nach Ravensbrück, im August gingen
Transporte mit 918 Männern nach Buchenwald und mit 490 Frauen nach Ravensbrück.
Der letzte Tag für das Roma – Lager rückte näher. Die Roma wußten, welches Schicksal
sie erwartete, aber die Deutschen versuchten keinen Verdacht und keine Panik aufkommen
zu lassen. Jeder bekam eine Ration Salami und Brot, als sie die Blocks verließen. Die
Lastwagen fuhren zunächst in eine andere Richtung und einige Roma dachten, sie würden
in ein anderes Lager verlegt. Erst als es völlig dunkel war, fuhren sie zu den Krematorien.
Die Zahlen der Opfer des Liquidierungstages bewegen sich zwischen 2000 und 4500
ermordeten Roma.
Es folgten immer wieder Transporte nach Auschwitz oder Transfers in andere Lager,
teilweise widersprechen sich die Dokumentationen und Quellen. 1945 gab es nur noch
wenige Häftlinge in Auschwitz. Wieviele Roma es insgesamt im Lager Auschwitz gegeben
hat, ist unbekannt. Sie kamen aus Österreich, Bialystok ( Polen ),Belgien,
Tschechoslowakei, Deutschland, Ungarn, Frankreich, Holland, Litauen, Norwegen,
Jugoslawien.
Überleben konnten die Häftlinge, denen die Flucht gelang, die in der Schreibstube des
Lagers arbeiten mußten und die nicht bei der Liquidierung vergast wurden und die, die in
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andere Lager transferiert und bis ans Kriegsende überleben konnten ( Vgl. Zimmermann
1989 ).
6 Medizinische Experimente in den Konzentrationslagern
In den Konzetrationslagern wurden Roma – Häftlinge regelmäßig als menschliches
Versuchsmaterial bei pseudomedizinischen Experimenten benutzt. Die Experimente
führten oft zu Verstümmelungen, Verkrüppelungen oder zum Tode. Die unerträglichen
Schmerzen und Leiden der Patienten
wurden in den seltensten Fällen zur Kenntnis
genommen. Die Experimente hatten keinen medizinischen oder wissenschaftlichen
Erkenntniswert manchmal war es einfach nur eine andere Methode zur Vernichtung „
minderwertiger “ Menschen. Die Blocks, in denen diese Experimente durchgeführt
wurden, waren verschmutzt, Medikamente waren kaum vorhanden und somit waren es
allein die äußeren Umstände, die die Heilungschancen enorm reduzierten. Ich bringe eine
kurze Beschreibung einiger dieser Versuche, die aber nur einen geringen Teil der
insgesamt durchgeführten Experimente repräsentieren ( Vgl. Kenrick / Puxon 1989 ).
Die Entscheidung über die Versuchsverwendung von Roma lag anscheinend bei Himmler,
der zum Beispiel seine Zustimmung für serologische Experimente an den Häftlingen gab.
Es existieren keine Aussagen, daß die Genehmigungsprozedur mit irgendwelchen
Schwierigkeiten verbunden war. 1942 wurden Versuche durchgeführt, bei denen die
Versuchsopfer Meerwasser trinken mußten. Weitreichende Konsequenzen hatten die
Sterilisationsexperimente, die gezielt zur Vernichtung eingesetzt werden sollten. Es gibt
Aussagen darüber, daß dieser Eingriff teilweise ohne Betäubung durchgeführt wurde,
andere Eingriffe durch eine Injektion in den Uterus oder mit Röntgenstrahlen. 1945
sterilisierte ein Arzt ( Clauberg )etwa 140 Roma – Mädchen. Man versprach ihnen die
Haftentlassung, wenn die Mütter der Mädchen das Einwilligungsformular unterschreiben
würden. Mehrere Mädchen starben, die anderen wurden lediglich in ein anderes Lager
verlegt. Manchen wurden nicht einmal die Unterleibswunden vernäht, so daß sie
verbluteten. Die Sterilisierungspolitik wurde zu den verschiedenen Zeitpunkten und an
unterschiedlichsten Orten praktiziert. Es war eine der ersten Maßnahmen, die zur
Bekämpfung der Zigeuner vorgeschlagen wurde. Sogar in der Vorkriegszeit stellten die
Nationalsozialisten manche Roma vor die Entscheidung Internierung oder Sterilisation.
Im KZ Natzweiler wurden Experimente mit Typhus durchgeführt. Roma und Juden
wurden in dieses KZ verlegt und mit Typhus infiziert. Sie wurden mitten im Winter in
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geschlossenen Waggons transportiert. Schon vor der Ankunft in Natzweiler starben einige
oder erkrankten schwer. Sie wurden in zwei Gruppen geteilt und in überfüllte Räume
gepfercht ( Vgl. Schwarz 1990 ).
Eine Gruppe wurde gegen Typhus geimpft, dann beide Gruppen infiziert und
eingeschlossen. Auch Experimente mit Senfgas oder Antigas wurden durchgeführt. Nach
der Injektion mit Antigas wurden Häftlinge in einen gasgefüllten Raum gebracht und
beobachtet. Vier Menschen starben dabei. Dieser Versuch wurde wiederholt mit einer
Gruppe von zehn Personen, dabei erhielten zwei keine Injektion mit Antigas und starben.
Einer der Überlebenden wurde getötet, um eine Autopsie durchführen zu können. Im KZ
Buchenwald wurden Roma mit Fleckfieber infiziert, wobei sechs Personen starben. 1942
wurde ebenfalls in Buchenwald ein Versuch mit Frauen durchgeführt, die einem
Kälteschock ausgesetzt wurden. Dr. Mengele experimentierte in Auschwitz mit
Phenolinininjektionen. Sein Hauptinteresse galt der Zwillings- und Blutgruppenforschung.
Einige der Versuche sollten die rassische Minderwertigkeit im Vergleich zu den arischen
Deutschen nachweisen.
Viele der Überlebenden waren von den Versuchen gezeichnet, die Sterilisiertenn konnten
keine Kinder mehr bekommen. Die Geburtenrate sank nicht nur aufgrund dessen, sondern
auch weil viele junge Männer von ihren Familien getrennt wurden ( Vgl. Schwarz 1990 ).
6.1 Sterilisierung, Rechtsbestimmungen, Opferzahlen
Mit der Zwangssterilisierung von Zigeunern setzten sich die Täter eindeutig über geltendes
recht hinweg. Es gab einen Paragraphen ( § 224 Strafgesetzbuch ), mit der Aussage, daß
der Verlust der Zeugungsfähigkeit als schwere Körperverletzung gilt, bei beabsichtigter
Folge sogar schwerste Körperverletzung. Es lag also offensichtlicher Rechtsbruch vor,
manche Opfer wurden nicht einmal darüber unterrichtet, was man mit ihnen getan hat oder
tat. Auf schwerste Körperverletzung standen im Zuchthaus strafen von zwei bis zehn
Jahren, mildernde Umstände waren nicht zulässig. In Österreich lag das Strafmaß mit fünf
bis zehn Jahren Kerker deutlich höher. Danach waren auch Eingriffe in den menschlichen
Sexualapparat, auch nach ausdrücklichem Verlangen des Patienten strafbar. Noch
deutlicher wurde der Rechtsbruch bei den Eingriffen, die ohne das Wissen der Opfer
(durch versteckte Röntgengeräte ) oder bei Kindern vorgenommen wurden.
Für die Zigeuner, die vor die Wahl gestellt waren, Konzentrationslager oder Sterilisierung
und vorläufige Freiheit war die Situation ausweglos.
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Katrin Engelmann
Es gibt Indizien, daß es in den Anfängen des Dritten Reiches zumindest eine Anzahl von
Gegnern dieser Vernichtungsmethoden gab, wie von christlicher Ethik geleitete Autoren
der dreißiger Jahre beweisen.
Ein Ausschuß des preußischen Landgesundheitsrates brachte aber im Juli 1932 den
Entwurf eines Sterilisierungsgesetzes heraus, in dem die freiwillige Sterilisierung aus
eugenischer Indikation vorgesehen war. Dieser Entwurf fand in den Kreisen der Inneren
Mission der Evangelischen Kirche starke Beachtung.
Die Sterilisierungen auf der Grundlage des Reichserbhofgesetzes ( 09 / 1933 ), das Gesetz
zur Verhütung erbkranken Nachwuchses ( 07 / 1933 ), das Ehegesundheitsgesetz ( 10 /
1935 ), das Blutschutzgesetz und das Reichsbürgergesetz widersprachen ebenso, wie auf
der Basis der Erbpflegeverordnung ( 08 / 1939 ) vorgenommene Eingriffe dem BGB.
Daran änderte sich auch nichts, als das Reichsbürgergesetz die Rechte von Juden und
Zigeunern als völkische Minderheiten einschränkte oder gar teilweise aufhob. Der
Tatbestand schwerer und schwerster Körperverletzung als Folge der Sterilisierung bleibt
erhalten.
Es wurden dennoch im Jahr 1934 über 62000 Sterilisierungen durchgeführt, im Jahr 1935
über 70000 und bis 1945 wurden zwischen 200000 und 350000 Personen sterilisiert.
Etwa 5000 Kinder wurden auf Verlangen des Reichsausschusses zur wissenschaftlichen
Erfassung erb – und anlagebedingter schwerer Leiden mit Rauschmitteln oder
Nahrungsentzug getötet. Dabei handelte es sich um schwerst
körperlich- und geistig
behinderte Kinder und um Kinder deren „ Krankheit“ in ihrer Rassenzugehörigkeit
bestand. Der im Dritten Reich durchgeführten Euthanasie fielen ca. 120000 psychisch
Kranke, geistig und / oder körperlich Behinderte, sowie homosexuelle, Kommunisten und
Zigeuner zum Opfer. Die Vernichtung unwerten Lebens wurde insgeheim auch dann
fortgesetzt, als das Programm auf den Widerstand der Bevölkerung oder Kirchenvertreter
stieß. Neben Vergasen, Todesspritzen und dem Einschläfern mit schweren Rauschmitteln
wurde Verhungernlassen eingesetzt. Eine Grundlage für das Verhungernlassen lieferte der
1941 eingetretene Halbierungserlaß (Halbierung der Pflegesätze). Das war eine
unauffällige Methode, die keine Spuren hinterließ und keinen großen technischen Aufwand
erforderte.
Die Ermordung der Zigeuner und Juden kann man in direkten Zusammenhang mit der
Ermordung der psychisch Kranken bringen. Sie alle fielen unter den Erlaß vom September
1939, durch den Hitler „ namentlich zu bestimmende Ärzte “ mit der Befugnis ausstattete,
„ unheilbar Kranken bei kritischster Beurteilung ihres Krankheitszustandes “ den
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„Gnadentod “ zu gewähren. Es ist klar, daß auf dieser Grundlage der Tod Zehntausender
durchaus gesunder Menschen herbeigeführt wurde ( Vgl. Kenrick / Puxon 1981 ).
7 Schulbildung
Sinti- und Romakinder mit deutscher Staatsbürgerschaft unterlagen genauso der
Schulpflicht wie deutsche Kinder. Heinrich Himmler wies im Juni 1936 die Behörden an,
festzustellen , ob die Zigeunerkinder dieser Pflicht unterliegen. Für Zigeunerkinder anderer
Staatsangehörigkeit oder keiner Staatsangehörigkeit galt die Schulpflicht nicht. Diese
Kinder, selbst wenn sie in Deutschland geboren waren, ihre Eltern aber anderswo, wurden
vom Unterricht ausgeschlossen. Den Nationalsozialisten war es nicht recht, daß
Zigeunerkinder und deutsche Kinder zusammen unterrichtet wurden. es hieß, die Kinder
sollen getrennt werden, wie es auch bei den Judenkindern geschehen war. Es wurde
behauptet, Zigeunerkinder würden unnötig viel Zeit in Anspruch nehmen, die
Klassenleistung herunterdrücken und im „ Zeitalter des erwachenden Rassegedankens “
wäre die Anwesenheit einer „ Fremdrasse“ unzumutbar. Die nationalsozialistischen
Behörden fanden auch in diesem Belange einen Weg, die Roma auszuschließen und das
Bildungsrecht
einzuschränken
oder
ganz
aufzuheben.
Die
nationalsozialistische
Staatsführung legte besonders in den oberen Klassen der Grundschule Wert auf die
Festigung des Rassenstolzes und wollte eine gemeinsame Benutzung von Schulräumen,
Lehrmitteln und sozialer Einrichtungen vermeiden. Zunächst gab es keine gesetzlichen
Grundlagen dafür, Roma von der Schule zu verweisen. Einen Ausweg sah man in einem
nicht veröffentlichtem Erlaß des Reichsministers für Wissenschaft, Erziehung und
Volksbildung. Darin heißt es, daß Romakinder von der Schule verwiesen werden können,
wenn sie „ in sittlicher oder sonstiger Beziehung für ihre deutschblütigen Mitschüler eine
Gefahr bilden “. Lehrer übten Druck auf die deutschen Kinder aus, um entsprechende
„Gefährdungen “ festzustellen und die Entfernung der Romakinder aus der Einrichtung zu
bewirken. Nationalsozialistisch gesinnte Eltern unterstützten die Lehrer in diesen Belangen
und schrieben Beschwerdebriefe an die Schule. In Frankfurt wurden Zigeunerkinder
offiziell wegen Verringerung des Lehrerpersonals ausgeschlossen ( Vgl. Krausnick 1995 ).
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8. Unbeglichene Schuld
Ein polizeiliches Dokument aus dem Jahre 1954 beurteilt nachträglich den Charakter der
Zwangslager für Sinti und Roma in Frankfurt. Darin werden mit kalter Sachlichkeit die
konkreten Lebensumstände beschrieben, die die tatsächlich gewesene Situation vom Tisch
wischt:
Die Bewachung des Lagers, ist nicht als solche genannt, die Lagerbewohner hätten die
gleiche Sozial- und Invalidenversicherung wie alle anderen werktätigen und auch dieselben
Bekleidungs- und Lebensmittelkarten wie die übrigen Deutschen bekommen. Ein
Vergleich mit einem KZ oder einem Zwangsarbeiterlager sei auf keinen Fall statthaft. Der
Ausschluß
der
Kinder
vom
Schulbesuch,
Folge
rassistischen
Drucks
von
nationalsozialistischen Eltern und Dekreten, wird als Ergebnis von „ Verringerung des
Lehrerpersonals “ umlogen. Es gab nur „ Aktionen “ und selbstverständliche
„Maßregelungen “ ( Vgl. Von Hase – Mihalek / Kreuzkamp 1990 ).
Lapidar wird über die Zusammenstellungen von Transporten nach Auschwitz geschrieben:
„ Im März 1943 erfolgte eine größere Aktion gegen die Zigeuner im Lager Kruppstraße.
Hierbei wurden alle Nicht – Vollzigeuner zusammengestellt und nach dem Osten
abtransportiert, vermutlich nach Auschwitz “.
„ Selbstverständlich “, so steht es ohne Umschweife, „ wurden auch einzelne Zigeuner
während des Aufenthaltes in den genannten Lagern außerhalb der bezeichneten Aktionen
wegen kriminellen Delikten in Vorbeugehaft genommen und einem KZ zugeführt “.
Womöglich galt ein nicht rechtzeitiges Erscheinen von der Arbeit zurück ins Lager als
kriminell und ein Ton, der den zuständigen Beamten als aufsässig erschien.
Die Behörden scheuten sich nicht, viele der Beamten die in der Zigeunerzentrale des
Reichssicherungshauptamtes ihre Erfahrungen bei der Verfolgung von Sinti und Roma
gesammelt
hatten,
nach
1945
in
das
bundesrepublikanische
System
der
Zigeunerbekämpfung zu übernehmen. In Hessen blieb das „ Gesetz zur Bekämpfung des
Zigeunerunwesens “ von 1929 noch bis 1957 in Kraft. In einem Runderlaß vom Februar
1950 aus dem Innenministerium Baden – Württemberg heißt es : „ Die Prüfung der
Wiedergutmachungsberechtigung der Zigeuner und Zigeunermischlinge nach den
Vorschriften des Entschädigungsgesetzes hat zu dem Ergebnis geführt, daß der genannte
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Katrin Engelmann
Personenkreis überwiegend nicht aus rassischen Gründen, sondern wegen seiner asozialen
und kriminellen Haltung verfolgt und inhaftiert worden ist “.
Dieselbe rassistische Aussage findet sich im Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofes vom
Januar 1956 wieder. Eduard Gross ( s.“ Das Frankfurter Lager in der Dieselstraße und
seine Menschen “ ) bekam als Antwort auf eine Entschädigungsanfrage den Bescheid, daß
wegen Vernichtung der Unterlagen nicht mehr festgestellt werden könne, ob er überhaupt
im Lager festgehalten worden wäre.
Katharina Steinbach, die ebenfalls einen Antrag stellte, erhält die Mitteilung ,daß der
Lageraufenthalt keinen haftähnlichen Charakter gehabt habe ( Vgl. Von Hase – Mihalek /
Kreuzkamp 1990 ).
8.1 Schlußbetrachtung
Wenn ich in die Vergangenheit von gestern blicke, fehlen heute die Worte, alledem einen
Ausdruck zu verleihen. Heute unglaublich und unvorstellbar und doch aber heute auch
noch Wirklichkeit. Ich frage mich, warum niemand in diesem Apparat fungierender
Personen Skrupel zeigte oder sich dessen bewußt war, daß er eine kleine aber arbeitende
Schraube ist und einen Beitrag zur Vernichtung einer Menschengruppe bringt. Konnte
denn niemand sich dem System widersetzen, waren sie hörig und voller Angst um ihr
Leben ? So voller Angst und Gehorsam, daß sie sich nicht zu rühren wagten ? Wie konnte
so ein Wahnsinn zur Normalität werden ? wie haben die Täter nachts ruhig schlafen
können, während zur selben Zeit Menschen vor Hunger starben ? War es eine Art Sog, aus
dem sie nicht mehr herauskamen oder war es ganz normaler Alltag und ein Beitrag zur
Verbesserung des Deutschen Reiches, auf den sie stolz waren ? Fanden sie Spaß und
Genugtuung an der Macht, die sie besaßen ? Es gab sicher verschiedene Begründungen
und wenn die Täter auch nach der Zeit nicht angeklagt worden sind und weitergearbeitet
haben, als sei nichts passiert, war es für sie Normalität. Es gab sicher auch andere, die zu
schwach waren, Stärke zu zeigen und ein kleines Mitleid zeigten oder nicht zu grausam zu
den Gefangenen waren, wenn es niemand bemerkte. Aber hat denn keiner nachgedacht,
wenigstens ganz für sich, im Stillen ? Wie können Menschen Menschen verachten und
verabscheuen, so sehr daß man sie ausrotten will ? was kann man so Schlimmes tun, daß
man als gesamtes Volk verhaßt wird von der Mehrheit anderer Völker ? Das was
geschehen ist, kann man nicht mehr gutmachen, man versuchte es auch gar nicht erst. Fast
vierzig Jahre hat es gedauert, bis in der Bundesrepublik Deutschland der Völkermord an
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Sinti und Roma – dem im nationalsozialistischen Europa über 500000 Angehörige dieser
Volksgruppe zum Opfer gefallen sind – offiziell anerkannt und bedauert wurde.
Nach Ende des Krieges , nachdem Hunderttausende Roma und Sinti ermordet,
Familienstrukturen zerstört und Lebenszusammenhänge zerrissen worden sind, war es für
sie schwer die Stimme zu erheben, um das Unrecht daß man ihnen antat anzuklagen. Viele
hatten durch das Verbot , in den Jahren der Verfolgung in Schulen Lesen und Schreiben zu
lernen, keine angemessene Form sich zu äußern. Und die, die sich äußerten, fanden kein
Gehör, keine internationale oder kirchliche Unterstützung, um die Tatsachen an die
Öffentlichkeit zu tragen. Ihnen schlug immer wieder der alte Rassismus entgegen. Seit
Jahren treten Roma und Sinti in deutlicher Form mit ihrer Bürgerrechtsarbeit an die
Öffentlichkeit und weisen auf die nach wie vor bestehende Diskriminierung und
Benachteiligung hin. Die Planungsunterlagen für den Völkermord, die Akten,
Stammbäume, „ rassenhygienischen “ Gutachten und Deportationslisten wurden in den
neuen Landeskriminalämtern übernommen und zur Grundlage einer bruchlos fortgesetzten
Sondererfassung von Sini und Roma benutzt. Robert Ritter und Eva Justin ( beide von der
„ Rassenhygienischen Forschungsstelle “ ), die direkt bis 1944 an der Vernichtung der
Roma und Sinti beteiligt waren, konnten nach 1945 bei der Stadt Frankfurt in der Jugendund Familienhilfe weiterarbeiten. Ihre Ermittlungsverfahren wurden eingestellt. Ein
solches Auftreten von NS- Tätern in Entschädigungsverfahren war kennzeichnend für den
schamlosen Betrug um Entschädigungsklagen. Mit einem Runderlaß waren schon 1950 die
Entschädigungsbehörden der Länder angewiesen worden, bei Wiedergutmachungsanträgen
von Zigeunern und Zigeunermischlingen, die Landfahrzentralen der neuen Kriminalämter
um „ Überprüfung “ zu bitten. So konnten Täter , die erst im Reichssicherungshauptamt
den Völkermord organisiert hatten und später in den Polizeibehörden weiter agierten,
„Stellungnahmen “ über ihre damaligen Opfer und deren Ansprüche auf Entschädigung
abgeben. Das Leugnen des Völkermordes und der rassistischen Verfolgung wurde von den
Überlebenden als zweite Verfolgung empfunden ( Vgl. Von Hase- Mihalek / Kreuzkamp
1990 ).
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