Highlight 468 Qualifizierte Target-Findung mittels hochauflösender Proteomics-Technologien Petra Weingarten1*, Petra Lutter1,2, Helmut Jonuleit3, Edgar Schmitt4, Sonja Bailey1, Helmut, E. Meyer1,2, Christoph Hüls1 1 Protagen 4 AG, Dortmund, 2 Medizinisches Proteom-Center, Ruhr-Universität Bochum, 3 Hautklinik der Universität Mainz, Institut für Immunologie, Universität Mainz Zur Auffindung von besseren Targets werden neue Technologien benötigt. Von den heute auf dem Markt befindlichen Medikamenten wirken 98% auf Proteine als Target[1]. 45 % modulieren dabei Rezeptor-Ligand-Interaktionen, 28 % wirken auf Enzyme. Die Welt der Therapeutika hat also die Proteine im Fokus. Nur 2 % der Medikamente haben direkt oder indirekt mit der DNA zu tun. Zur Zeit gibt es keine Anzeichen dafür, dass dieses Verhältnis in der Zukunft eine Änderung erfahren wird. DNA- und RNA-Therapeutika konnten bisher keine breite Anwendung in der Therapie von Erkrankungen finden. Zusätzlich hat die Genom-Ära eine Flut von neuen potentiellen Targets gebracht, die jetzt durch den R&D Prozess der pharmazeutischen Industrie geschleust werden müssen. Technologien, die auf Functional Genomics basieren, müssen nun eingesetzt werden, um die potentiellen Targets auf ihre Relevanz hin zu überprüfen. Da Proteomics die Proteine und damit die funktionellen Äquivalente der mittels Genomics als Target-Kandidaten identifizierten Gene untersucht, wird dieses Technologiegebiet zunehmend Bedeutung in der Medikamentenentwicklung gewinnen. Gleichzeitig benötigt die pharmazeutische Industrie dringend neue gut validierte Targets, die im Idealfall neue Wirkprinzipien für die zu entwickelnden Medikamente ermöglichen. Solche „New Modes of Action“ führen zu einer besseren Abgrenzung von der Konkurrenz und zu einem stärkeren Patentschutz. Darüber hinaus erhofft man sich die Reduktion von Nebenwirkungen bei diesen neuen Medikamenten. Ziel der hier beschriebenen Untersuchungen war daher, in verschiedenen biologi- schen Systemen die Möglichkeit zur effizienten Detektion von Target-Kandidaten zu untersuchen. Dafür wurde die Large-GelTechnologie (LGT), die von Joachim Klose schon 1975 entwickelt wurde, eingesetzt[2]. Das volle Potenzial dieser Technologie kann aber erst heute genutzt werden, da die Erstellung der Genomdatenbanken, die Fortschritte der Massenspektrometrie und die Bereitstellung geeigneter Bioinformatik effiziente Proteomanalysen ermöglichen. Untersuchungen zur differentiellen Proteinexpression in T-Zell-Populationen Chronische Krankheiten mit inflammatorischem Hintergrund wie Rheumatoide Arthritis, Multiple Sklerose oder Morbus Abb. 1: A: Hochauflösende 2D-Gele der stimulierten CD4+ T-Zellen (blau umrandet) und der stimulierten CD25+CD4+ Treg-Zellen (orange umrandet). B: Vergrößerte Ansicht der beiden exemplarischen Gelausschnitte a und b, die differentiell exprimierte Proteine enthalten. BIOspektrum · Sonderausgabe · 8. Jahrgang Highlight 470 Crohn sind durch eine Gemeinsamkeit charakterisiert: Alle diese Krankheiten sind sehr wahrscheinlich Autoimmunerkrankungen, die durch eine fehlgeleitete Reaktion einer zentralen Zellpopulation des Immunsystems, der T-Zellen, verursacht werden. TZellen spielen außerdem eine entscheidende Rolle bei allergischen Erkrankungen, der Abstoßung von Transplantaten und der Bekämpfung von Tumorzellen. In den letzten Jahren ist in diesem Zusammenhang eine T-Zellsubpopulation in den Fokus des Interesses gerückt, die sogenannten regulatorischen T-Zellen (Treg)[3]. Diese Zellpopulation ist entscheidend an der Aufrechterhaltung der peripheren Toleranz und damit der Verhinderung autoimmunologischer Erkrankungen beteiligt. Zusätzlich können Treg-Zellen Transplantationsabstoßungsreaktionen limitieren. Andererseits sind sie vermutlich aber auch für die Suppression von tumorreaktiven T-Zellen verantwortlich. CD4+ und CD25+CD4+1) Treg-Zellen können mittels immunomagnetischer Partikel aus Blutprodukten isoliert werden. Die Proteome solcher konventionellen CD4+ beziehungsweise der CD25+CD4+ Treg-Zellen nach polyklonaler Stimulation wurden miteinander verglichen. Diese Proteomanalyse dient zur Identifizierung von Proteinen, die an dem Mechanismus der Suppression durch CD25+CD4+ Treg-Zellen beteiligt sind. Da ruhende Treg-Zellen keine inhibitorische Aktivität besitzen, mußten die Zellen vor der Proteomanalyse zunächst in vitro stimuliert werden. Stimulierte CD4+ und CD25+CD4+ TregZellen von zwei unterschiedlichen Spendern standen zur Verfügung. Von den vier Proben wurden jeweils hochauflösende 2D-Gele angefertigt (siehe Abb. 1). Die Proteome der beiden Zellpopulationen (CD4+ T-Zellen und CD25+CD4+ Treg-Zellen) der Spender wurden unabhängig voneinander Softwaregestützt miteinander verglichen. Nur diejenigen differenziell exprimierten Proteine, die sowohl bei Spender A als auch bei Spender B auftraten, wurden als relevant bewertet. Insgesamt wurden 12 solcher differenziellen Proteinspots lokalisiert. Diese in Treg-Zellen differentiell exprimierten Proteine können Ausgangspunkt einer Medikamentenentwicklung mit dem Ziel sein, diese Zellen anhand solcher Proteine in vivo zu identifizieren und spezifisch zu aktivieren (z. B. bei Autoimmunerkrankungen). Ebenso ist es denkbar, ihre suppressiven Eigenschaften im Verlauf einer anti-Tumorbehandlung zu unterdrücken und damit die Effizienz von immunologi- 1 Marker“ auf der Oberfläche der Treg-Zellen Abb. 2: Detailansichten in Fehlfarbendarstellung von LGT-Gelen nach Silberfärbung und Bearbeitung mit dem ProteomWeaver-Auswertungsprogramm. Die Gelausschnitte zeigen die unterschiedliche Expression der Spots a, b und c nach Inkubation von EA.hy926-Zellen für acht Stunden mit GSNO in unterschiedlichen Konzentrationen in serumhaltigem Medium. A: Kontrolle, B 125 µM GSNO, C: 250 µM GSNO und D: 500 µM GSNO. E: Die Diagramme zeigen die Verteilung der relativen Intensitäten der Spots a, b und c nach Quantifizierung mit dem ProteomWeaver-Auswertungsprogramm. Es zeigte sich eine signifikante Abhängigkeit der Expressionsrate von der Konzentration an GSNO. schen Vakzinen bei Tumorerkrankungen zu erhöhen. Untersuchungen zum Einfluss von pharmakologisch wirksamen Substanzen auf das Proteom von Endothelzellen Das Endothel, welches das größte endokrine Organ darstellt, ist zwischen dem Blutkom- partiment und den glatten Gefäßmuskelzellen lokalisiert und spielt eine Schlüsselrolle bei der Regulation der Gefäßfunktionen. Zu seinen metabolischen und regulatorischen Funktionen gehören unter anderem die Erhaltung des physiologischen Gefäßtonus, die Regulation des Blutdrucks über die Beeinflussung der Kontraktilität der glatten Muskelzellen, die Kontrolle des GeBIOspektrum · Sonderausgabe · 8. Jahrgang Highlight 472 rinnungssystems, sowie die Interaktion von Blutplättchen und Leukozyten mit der Gefäßwand. Das Endothel spielt aufgrund dieser vielfältigen Funktionen bei zahlreichen Erkrankungen wie beispielsweise HerzKreislauf-Erkrankungen, Krebserkrankungen und Entzündungsprozessen eine wichtige Rolle. Endotheliale Zellkulturen sind somit ein wertvolles Modell für die Erforschung endothelialer Funktionen und der damit im Zusammenhang stehenden Erkrankungen. Im Gegensatz zu stabilen Zelllinien unterliegen Primärzellkulturen spenderspezifischen Variationen, die durch Alter, Geschlecht oder Polymorphismen hervorgerufen sein können. Neben humanen Nabelschnurvenenzellen (HUVEC) wurde die Zelllinie EA.hy926, die durch Fusion von HUVEC mit der Lungenepithelzelllinie A549 erzeugt wurde[4], verwendet. Die Wirkung von vasoaktiven Substanzen mit nachgewiesener in vivo Aktivität wurde mit Hilfe der Proteomanalyse dieser Zellmodellsysteme in vitro untersucht. 1980 wurde erstmals von Furchgott die Bedeutung des Endothels als Quelle einer Substanz, die die Acetylcholin-vermittelte Vasorelaxation von isolierten Aortenringen vermittelt, beschrieben. Diese instabile Substanz, endothelium-derived relaxing factor (EDRF), wurde 1987 von Palmer als Stickstoffmonoxid (NO) identifiziert. NO ist ein potenter Vasodilator, der in Endothelzellen durch das Enzym eNOS gebildet wird. Um den Einfluss von NO auf die Endothelzellen zu untersuchen, wurden diese mit dem NO-Donor S-Nitrosoglutathion (GSNO) inkubiert[5]. In den EA.hy926 Zellen führte diese Behandlung zu einer Expressionsänderung von verschiedenen Proteinen. Die Expressionsänderung zeigte eine signifikante Abhängigkeit von der eingesetzten GSNO-Konzentration (siehe Abb.2). Vergleichende Untersuchungen an HUVEC konnten diese Expressionsunterschiede teilweise bestätigen und gleichzeitig weitere Unterschiede in der Proteinexpression aufdecken. weiteren Schritte der Medikamentenentwicklung: Target-Validierung, Lead-Findung und Optimierung der Lead-Substanzen. Der enorme Vorteil der Target-Findung mit Hilfe von Proteomics liegt in der besseren Qualität der Aussage: Die funktionellen Einheiten, die Proteine, werden betrachtet. Die durch Proteomics detektierten Targets haben also einen höheren Wert als Targets, die zum Beispiel mittels mRNAProfiling gefunden wurden. Mit Hilfe von Proteomics gefundene Targets können als vor-validiert bezeichnet werden, da sicher gestellt ist, dass diese Proteine in einem relevanten biologischen System funktionell unterschiedlich in zwei physiologischen Zuständen detektiert worden sind. In einem mRNA-Profiling Projekt muss genau diese Aussage als nächster Schritt erst getroffen werden. Literatur: [1] Drews, J. (2000). Drug discovery: a historical perspective. Science 287:1960-1964 [2] Klose, J. (1999): Large-gel 2-D electrophoresis. Methods Mol. Biol. 112: 147-172 [3] Jonuleit H., Schmitt E., Kakirman H., Stassen M., Knop J., Enk A.H. (2002): Infectious Tolerance: Petra Weingarten geboren 1971, 1990– 1995 Studium der Chemie an der Universität Konstanz und Diplomarbeit bei Prof. Dr. Dr. h.c. W. Pfleiderer auf Zusammenfassung und Ausblick Die dargestellten Untersuchungen zeigen eindrucksvoll das Potenzial der Proteomanalyse, mit der Unterschiede in der Proteinexpression effizient aufgedeckt werden können. Wichtige Voraussetzung ist allerdings die Bereitstellung gut validierter biologischer Systeme. Der Vorteil solcher in vitro Kulturen oder in vivo Modelle liegt nicht nur in einer validierten Qualität der Proben, sondern auch in der Verfügbarkeit von Test- und Validierungssystemen für die Die Limitationen der Proteomanalyse mittels LGT liegen zur Zeit noch im begrenzten Durchsatz und in der verglichen zum mRNA-Profiling benötigten großen Probenmenge. Entwicklungen zur Automatisierung von LGT und den nachfolgenden Schritten wie Ausstechen der Protein-Spots aus dem Gel, Verdau und Elution der Proteine und Peptide aus dem Gel, Probenpräparation, massenspektrometrische Analyse und anschließende bioinformatische Prozessierung der Rohdaten bis zur Identifizierung des Proteins haben begonnen und tragen deutlich zu einer Steigerung des Durchsatzes an Proben und zur Reproduzierbarkeit der Ergebnisse bei. Christoph Hüls Jahrgang 1962, Studium der Biologie an der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, 1994 Promotion bei Prof. Dr. Erwin Rüde am Institut für Immunologie in Mainz auf dem Gebiet der T-Zell-Regulation und –Differenzierung , 1994–1996 Postdoktorand bei der Disease dem Gebiet der Nukleinsäurechemie. 1996– 1999 Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Chemische Mikrobiologie bei Prof. Dr. W. Piepersberg Universität GH Wuppertal und 2000 Promotion auf dem Gebiet der Antibiotikabiosynthese. 1999 Mitgründung der Protagen AG und seitdem Projektleiterin Target Discovery bei der Protagen AG. Human CD25+ Regulatory T Cells Convey Suppressor Activity to Conventional CD4+ T Helper Cells. J. Exp. Med. 196 (2): 255-260 [4] Edgell, C-J. S. (1983): Permanent cell line expressing human factor VIII-related antigen established by hybridization. Proc. Natl. Acad. Sci. USA 80: 3734-3737 [5] Ignarro L.J., Napoli C., Loscalzo J. (2002): Nitric oxide donors and cardiovascular agents modulating the bioactivity of nitric oxide: an overview. Circ. Res. 90 (1): 21-28 Korrespondenzadresse: Dr. Petra Weingarten Protagen AG Emil-Figge-Str. 76 A D-44227 Dortmund Tel.: 0231-9742-890 Fax: 0231-9742-891 [email protected] Group Rheumatologie der Hoechst AG in Frankfurt (heute Aventis SA), 1996–1999 verschiedene Positionen im Forschungsmanagement in der Aventis Research & Technologies GmbH & CoKG in Frankfurt (ehemalige Zentralforschung der Hoechst Gruppe), 1999–2001 Leiter Projektmanagement und Portfoliosteuerung bei dem deutschen Generikahersteller der NovartisGuppe in Gerlingen (Azupharma GmbH & CoKG), seit 2001 Geschäftsführer der Protagen AG. BIOspektrum · Sonderausgabe · 8. Jahrgang