Ludwig-Maximilians-Universität München Institut für Deutsche Philologie Fachteil: Germanistische Linguistik SS 2006 Hauptseminar: Die Vorgänge des Sprachwandels Seminarleiterin: Doz. PD. Dr. Christiane Wanzeck Andreas Hauser Syntaktischer Wandel innerhalb der Nominalphrase im Frühneuhochdeutschen August-Kühn-Str. 2 80339 München E-Mail: [email protected] Computerlinguistik 12.03.2006 1 Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung 3 2 Die Nominalphrase im Neuhochdeutschen 5 3 Wandel in der Frühneuhochdeutschen Zeit 3.1 Umfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Stellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Die präpositive Gruppe . . . . . . . . 3.2.2 Die postpositive Gruppe . . . . . . . 3.2.3 Präpositionen . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Der Artikel . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Pronomina . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.6 Die attributive Adjektivgruppe . . . 3.2.7 Genitiv . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.8 Dativ . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.9 Akkusativ . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.10 Nominativ . . . . . . . . . . . . . . . 4 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 7 7 9 10 10 11 12 12 13 15 15 16 17 2 1 Einleitung In den letzten Jahrzehnten hat sich bei der Einteilung der zeitlichen Sprachstufen des Deutschen die Stufe des Frühneuhochdeutschen einen weitgehend anerkannten Platz erarbeitet. Es kristallisierten sich die Unterschiede zu der vorhergehenden Stufe des Mittelhochdeutschen und der nachfolgenden Stufe des Neuhochdeutschen heraus. Die zeitlichen Grenzen sind wohl, wenn auch bei einem eher evolutiven Prozess, wie dem Sprachwandel, immer nur sehr unscharfe gezogen werden können, zumal regionale, technologische und kulturelle Fluktuationen gerade beim Frühneuhochdeutschen stark hervortreten, um 1350 bis um 1650. Was die regionalen Einflüsse angeht, so spielen die Dialekte eine große Rolle, auch bzw. gerade weil, die Sprache sich zu Beginn dieser Periode fast ausschließlich auf das gesprochene Wort beschränkt. Das geschriebene Wort noch weitgehend dominiert von (romanischen) Fremdsprachen, wobei diese auch bis zum Ende der Periode einen großen Anteil halten, jedoch ihre Dominanz weitgehend einbüßen. Die geschriebene deutsche Sprache hingegen dehnt ihren Anteil im gleichen Maße aus, bzw. erobert dies Anteile. Als führendes Beispiel mögen die Bibelübersetzungen gelten. Aber darüber hinaus wird ihr Anteil dominierend im Wachstumsbereich der Druckerzeugnisse, den der technologische Fortschritt mit der Druckerpresse ermöglicht. Die Masse an schriftlichen Erzeugnissen, die zu erzeugen möglich wird, die neuen Märkte, die sich dadurch erschließen und die damit verbundene Verbreitung bei weiten Teilen der Bevölkerung, stellt alle vorangegangenen schriftlichen Erzeugnisse in den Schatten, sowie dadurch das Deutsche als Schriftsprache in den deutschsprachigen Gebieten andere Sprachen ebenso. Ebenso aber umgekehrt, um diese neuen Märkte zu erreichen und in diesen Verbreitung zu finden, war es nötig, die Sprache in der weitesten Verbreitung zu drucken, also auf Deutsch, der Sprache des Volkes. Dadurch wird die Sprache nun zusätzlich zum Hörverstehen immer mehr vom Leseverstehen geprägt. Zum anderen ergeben sich auch sehr große Unterschiede zwischen den Anteilen, für die die geschriebene Sprache gebraucht wird und von wem. Die Anteile von Kanzleisprache, Religiösen Texten, wis3 senschaftlichen Arbeiten und humanistischer Literatur bestimmen einen großen Teil. Ein Reihe von Benutzern haben also eine gewisse Bildung und wollen zu größeren Teilen kompliziertere Sachverhalte kommunizieren. Dies verlangt nach mehr Attributen, mehr Präzision und weniger Ambiguität. Auch müssen jetzt sowohl ältere, wie auch neuere, komplexe Gedanken in aufkommenden Bereichen, wie etwa der Humanismus, Aufklärung, Wissenschaft, Bibelübersetzungen, Beamtentum und Rechtswesen (Kanzleisprache) im Deutschen ihren Ausdruck finden. Das Lateinische wirkt seinen Einfluss auf die deutsche Sprache als beispielgebende Größe aus, sh. Admoni (1964). Dass es sich dabei nicht um eine Anpassung des deutschen wieder seiner Natur handelt, ergibt sich aus der oft nur indirekten Übernahme des lateinischen Vorbilds, bzw. dass bei der direkten Übernahme, wie etwa Partizipialkonstruktionen, eher Potentiale des Deutschen genutzt werden, denn fremde Formen aufgezwungen werden. Auch ist ja das Latein, das zu dieser Zeit in Gebrauch ist, durch mangelnde Kompetenz der Sprecher verändert und diese Veränderung wohl auch durch das Deutsch beeinflusst. Dies alles führt zu einem Wandel in der Sprache, dessen Auswirkungen auf die Syntax der Substantivgruppe im folgenden erläutert werden soll. Grundlage hierzu bilden vor allem Ebert u. a. (1993), Ebert (1999), Admoni (1990), Nübling (2006), Hartweg u. Wegera (2005) und Besch u. a. (1998), speziell Band II. Es wurde nach Möglichkeit versucht die Quellenzitate um Beispiele aus Bote (1540) anzureichern, da dieser Text digital und samt Suchmaschine im WWW allen zur Verfügung steht 1 . Grundsätzlich sollte man im Hinterkopf behalten, dass die Erforschung der Syntax des Frühneuhochdeutschen und ihres Wandels noch nicht sehr weit fortgeschritten ist, auch wenn das Frühneuhochdeutsche in den letzten Jahren in den Fokus der Wissenschaft geraten ist. 1 http://eulenspiegel.is.guad.de/ 4 2 Die Nominalphrase im Neuhochdeutschen Um die Veränderungen im Frühneuhochdeutschen besser zu verstehen hier ein grober Überblick über die Nominalphrase im Neuhochdeutschen, sh. dazu auch Dudenredaktion (2005). Die Nominalphrase kann aus folgenden Teilen bestehen: Kern Nomen, Substantivierung oder Pronomen Artikel z.B. der, die, das, ein, eine sowie Attributen, die den Kern näher Beschreiben wie: attributive Adjektivgruppe z.B. großes, gelbes Haus Partizipgruppe z.B. die erkältete Lehrerin attributiver Genitiv Nomen im Genitiv z.B. des Vaters Haus adnominaler Dativ Nomen im Dativ z.B. dem Vater sein Haus adnominaler Akkusativ Nomen im Akk. z.B. die Sitzung letzen Montag Präpositionalattribute mit Präposition Freundin aus Tokio Das zentrale Element der Gruppe ist der Kern. Diesen füllt in der Nominalphrase in der Regel ein Nomen bzw. ein Pronomen, dem Kernnomen 2 . Der Kern teilt die Gruppe in den präpositiven bzw. pränominalen Teil und den postpositionalen bzw. postnominalen Teil. Zusammen mit dem Artikel bildet der Kern oft eine Klammer, dadurch teilt sich die Gruppe in Vorfeld, öffnende Klammer, Mittelfeld, schließende Klammer, Nachfeld. 2 In wie weit man Nominalphrasenkerne, die weder Nomen, Pronomen noch Nominalisierungen sind, auch als Kernnomen bezeichenen kann, scheint nicht ganz geklärt zu sein. In diesem Text werden wir alle Kerne so bezeichnen und so auch nicht zwischen präpositiv und pränominal unterscheiden. 5 In der Nominalphrasen finden sich folgende grammatische Merkmal: Person Erste, zweite oder dritte Numerus Einzahl, Mehrzahl Genus Maskulinum, Femininum, Neutrum Kasus Nominativ, Genitiv, Akkusativ oder Dativ sein. Diese Merkmale beschränken sich nicht nur auf das Kernnomen, sondern kongruieren bei Artikel, Adjektiv und dem Kern, wobei der Kern die anderen Teile regiert, so dass sie die Merkmale von ihm übernehmen. Der Kasus wird wiederum dem von ausserhalb der Nominalphrase auf den Kern übertragen. 6 3 3.1 Wandel in der Frühneuhochdeutschen Zeit Umfang Der Umfang der Nominalphrase nimmt stark zu. Bei den anwachsenden Gruppen fällt vor allem auf, dass präpositive Gruppen sehr frequent sind, ihr Umfang tendenziell jedoch nicht so groß ist, meist sind es weniger als vier Wörter. Die postpositiven Gruppen hingegen sind weniger frequent, ihr Umfang ist dafür jedoch umso größer, bis zu acht Wörter. Beide Gruppen nehmen an insgesamt an Häufigkeit zu. Aufzählungen, wie etwa bei Titeln, können einen enormen Umfang annehmen, dreißig Wörter sind dabei noch nicht extrem, sh. Admoni (1990). Die Nominalgruppe wird durch neben- und untergeordnete Glieder erweitert, wobei die zweigliedrigen Ketten den weit größten Anteil haben, Kettmann in Kettmann u. Schildt (1976) gibt hier 83-84% an. Hier ein Beleg mit mehreren zweigliedrigen Ketten, auch auf unterschiedlichen Ebene, aus dem Eulenspiegel Bote (1540): Also hab ich mich nach wenig meiner verstentnuß angenomen mit Gottes hilff / vnd mit fleiß angefangen / vnd wil mich gegen jederman entschuldigt haben / das mein schreiben niemants zu widerdrieß beschehen ist / Nun allein vmb ein froelich gemuet zu machen / vnnd dem lesenden vnd zu hoerenden moegen kurtzweilige schwenck darauß fabulieren. 3.2 Stellung Die Stellung wird im Laufe dieser Periode innerhalb der Nominalgruppe immer mehr fixiert, wohl um die fortschreitendenen Informationsdefizite an anderer Stelle auszugleichen, und erlangt so immer mehr grammatikalische Ausdrucksfähigkeit. Zum einen fordert der wachsende Umfang, sh. 3.1, eine bessere Organisation der Gruppe damit die Kommunikation sichergestellt und Ambiguitäten vermieden werden können. Zum anderen flektiert die Nominalphrase weniger. Nullflexionen und grammatikalisch nicht ausdrucksfähige Flexionen, wie das sehr produktive -en Suffix, lösen, z.B., Genitivflexionen ab und tragen zum 7 Trend der Monoflexion bei. Dabei verliert die Flexion ihre grammatikalische Information, was ausgeglichen werden muss. Wie schon beim Umfang unterscheiden sich hierbei die präpositive und die postpositive Gruppe. Die präpositive wird sehr streng organisiert, die postpositive hingegen weniger. Auch wird die kongruierende Gruppe wird allmählich auf den präpositiven Bereich beschränkt. Nachgestellte Adjektive, Partizipien und Determinativa treten nur noch in poetischen Texten und erstarrten Formeln auf, z.B. mein Vater seliger oder Vater unser, bzw. in Texten mit Lateinbezug. Im postpositiven Bereich finden sich dann vor allem die nicht kongruierenden Gruppen. Der attributive Genitiv wird selten. Relativsätze, Nebensätze und Infitivsätze, die das leitende Nomen erweitern, sowie Präpositionalattribute nehmen dagegen an Häufigkeit zu. Die Determitiva werden von bestimmten Konstruktionen gefordert und bilden, in Konkurrenz mit den Präpositionen, mit dem Kernnomen zusammen einen Rahmen, die Nominalklammer. n o V orf eld + Klammer auf : Artikel Demonstrativpron. Indef initpron. Interrogativpron. n o Klammer zu : +N achf eld + + M ittelf eld Kernnomen Eine Reihe von Veränderungen in der Frühneuhochdeutschen Zeit stärkt diese Klammerkonstruktion, sh. dazu auch Nübling (2006). Selten stehen aber auch noch Adjektive vor dem Determinans. Bis zum Neuhochdeutschen wird diese mittelhochdeutsche Stellung ganz aufgegeben. 8 Beispiele aus Bote (1540): • der alt Ulnspiegel unflektiertes, attributives Adjektiv im Mittelfeld der Nominalklammer • was hastu mir grosses schades gethon Verb mit Genitivobjekt • dem er den schaden gethon het gleiches Verb, diesmal mit modernerem Akkusativobjekt • ein stuck goldtes postnominaler attributiver Genitiv • Ulnspiegels muter pränominaler attributiver Genitiv 3.2.1 Die präpositive Gruppe Nach Ebert u. a. (1993) kann die folgende Reihenfolge bis auf einige Ausnahmen angenommen werden. Alle Elemente sind optional und nicht alle Kombinationen sind möglich. all(−) + beide− Artikel Demonstrativpron. Indef initpron. Interrogativpron. P ossessivpron. + +Adjektivgruppe Genitivattribut 9 3.2.2 Die postpositive Gruppe Nach Ebert (1999) finden wir in der postnominalen Gruppe folgende Glieder: • Possessivpronomina • einfache Adjektive und Partizipien • erweiterte Adjektive und Partizipien • attributive Genitive • attributive Dative und Akkusative • Relativsätze • Nebensätze und Infinitivsätze als Ergänzungen des Kernnomens • Infinitivergänzungen des Kernnomens • Präpositionalattribute • verschiedene, mit pränominalen Gliedern kongruierende, Glieder Im Nachfeld finden sich also komplexere und umfangreichere Konstruktionen als im Mittelfeld. Dies mag der Grund sein warum das Nachfeld noch weniger gut erforscht ist, so dass sich noch nicht viel darüber sagen lässt. 3.2.3 Präpositionen Die Präpositionen sind zahlreich und werden meistens vor die Nominalgruppe gestellt. Folgende Präpositionen treten in Bote (1540) auf: am an auf auff auffs aus auß bei bey beyd beyde biß durch fuer fur gegen gehn gen hinder hindersich im in inn jnn mit mitt mitten myt nach neben on sonder sunder uber ueber umb vber vff vm vmb vnder vnnder vom von vonn vor wider willen willenn zu zum zwischen Ein Beispiel: • vnnd legt den holen steyn mitt dem treck zwischen die wandt 10 Präpositionen werden konsequent genutzt, wechseln aber ab und an den geforderten Kasus. Bei manchen Verben fällt es offenbar schwer, sich auf eine Präposition fest zu legen, was man auch heute noch bei manchen Verben beobachten kann. Postpositionen gibt es nur wenige. Laut Ebert u. a. (1993): halb, halben, willen. In Bote (1540) findet man z.B.: ewers hauß halben. 3.2.4 Der Artikel Wo im Mittelhochdeutschen noch kein Artikel gefordert war, teilweise konnte er jedoch schon dort stehen, braucht es im Verlauf des Frühneuhochdeutschen immer mehr den bestimmmten und auch den unbestimmten Artikel. An vielen Stellen bleiben sie jedoch optional und kommen selbst in ein und demselben Text in vergleichbaren Konstruktionen beliebig vor oder auch nicht. Bestimmte Verwendungen kommen allerdings später nicht mehr vor. Beide Arten des Artikels treten nur zusammen mit einem Nomen auf. Beispiel aus Bote (1540): • Als nun Ulenspiegel inn dem Dorf ein Meßner ward → Als nun Eulenspiegel in dem Dorf Mesner wurde Folgende Gründe spielen wohl unter anderem eine gewisse Rolle. Wegen der Schrumpfung der Felexionsendung musste der Artikel deren grammatische Leistung übernehmen. Dafür spricht, dass altgerm. Dialekte eine große Zahl von mehrdeutigen Kasusformen besitzen, besonders bei schwachen Adjektiven und Nomina der n-Deklination. Dagegen spricht allerdings, dass der genaue auslösende Mechanismus nicht klar ist. Gegenbeispiele wären auch der griechische Artikel, der schon vor Schrumpfung ausgebildet wurde, ebenso im Gotischen. Weiter ist die Unterscheidung zwischen starken und schwachen Adjektiven schwache Form → bestimmt, starke Form → unbestimmt (germ. Denkmäler) Es gibt bei den schwachen Adjektiven jedoch auch Ausnahmen, die Komparative, Ordinalzahlen und begrenzt bei adjektivischen Part. Präs. und die Superlative. 11 Die mittelhochdeutsche Konstruktion unbestimmter + bestimmter Artikel + Adjektiv im Superlativ verschwindet. 3.2.5 Pronomina Die Pronomina können in der frühneuhochdeutschen Zeit nun auch schon ohne Nomen stehen. Beispiel aus Bote (1540): • das keiner on schaden daruon kame Als Demonstrativa treten in Nominalgruppen der, dieser, jener, derjenige, derselbe, derselbig auf. Und bei den Interrogativa welch ein und was für. Possesiva wie mein, dein, sein stehen meist pränominal und werden flektiert. Es bleiben aber auch noch Reste der postnominalen Stellung bis in die heutige Zeit in verfestigten Ausdrücken erhalten, z.B. vater unser, was sich vielleicht gerade durch die Analogie zum lat. pater noster als so starr erwiesen hat. Im Frühneuhochdeutschen gibt es von diesen allerdings noch eine weit größere Anzahl. Des öfteren werden eigentlich geforderte Pronomina laut Ebert u. a. (1993), S. 345, in bestimmen Textsorten ausgelassen. In Bote (1540) kommt dies nur häufig in verbundenen Teilsätzen vor, bei denen das vorhergehende Nomen, bzw. Pronomen, nicht mehr wiederholt wird: • sein Meister zuernet mit dem auß gon / vnd wolt Ulnspiegel verwaren / sehen • da verspoert jn der bader / vnd wolt jn also erschrecken 3.2.6 Die attributive Adjektivgruppe War die Stellung der Adjektive im Ahd. noch sowohl prä- als auch postnomnal möglich, so stehen sie seit dem Mhd. in der Regel pränominal und im Frühneuhochdeutschen verfestigt sich diese Regel weiter. Wie bei den Pronomina kommen auch hier noch Reste von postnominaler Stellung vor. 12 • hoher stein und fester • zwey gulden rheinisch In der pränominalen Stellung stehen die Adjektive dabei zwischen dem Determinans, sofern es eines gibt, und dem Nomen, also im Mittelfeld der Nominalklammer. Diese Stellung stärkt somit das Nominalklammerkonstrukt. In seltenen Fällen steht das Adjektiv noch wie in mittelhochdeutschen Konstruktionen vor dem Determinans. Die attributiven Adjektive flektieren oft mit dem Kern aber oft auch nicht, gerade wenn ein unbestimmter Artikel vorkommt. Aus Bote (1540): • ein feindlistig Pfaff • ein boeß geschrey 3.2.7 Genitiv Die Entwicklung des Genitivs ist in großen Teilen seiner Ausprägungen, wenn auch nicht allen, von einem Schwund betroffen, der in den vorausgegangenen Perioden seinen Anfang nahm und sich bis in die heutige Zeit fortsetzt. Zwar gibt es noch eine eine gewisse Produktivität, aber sie kann sich dem kaum widersetzen. Der adverbiale Genitiv im Frühneuhochdeutschen im Gegensatz zum Mittelhochdeutschen nicht mehr sehr frequent. Auch seine verschiedenen Funktionen verlieren sich. So verschwindet der kausale Genitiv fast völlig. Er überlebt nur noch bei bestimmten Verben, wie z.B. sterben, etwa in starb des Schwertes und in den neutralen Pronomina des ‘deshalb’ und wes ‘weshalb’. Sehr häufig findet man jedoch noch den temporalen Genitiv, der erst nach der frühneuhochdeutschen Periode von den Temporaladverbien, wie morgens, abends etc., bzw. Präposition + Dativ abgelöst wird: • des morgens stund der meister auff Bote (1540) → morgens stand der Meister auf → am Morgen stand der Meister auf 13 Der prädikative Genitiv ist in dieser Periode noch gebräuchlich und kann sehr nuanciert eingesetzt werden. So kann er den Besitzer, etwas worauf jemand Anspruch hat, ein Zugehörigkeitsverhältnis, oder eine Eigenschaft bezeichnen. Später lösen ihn Konstruktionen mit gehören + Dativ, gehören zu und von ab. Die in Oštir (2002) untersuchten frühneuhochdeutschen Texte weisen solche Konstruktionen in weniger als 5% der Fälle auf. Und auch die Verben fordern immer weniger ein Genitivobjekt, wobei dieser Prozess schon im Mittelhochdeutschen begann und zum Ende der frühneuhochdeutschen Periode sehr weit fortgeschritten ist, der größte Umbruch findet dabei im 15. Jahrhundert statt. Abgelöst wird der Genitiv dabei von Akkusativ- und Präpositionalobjekt sowie eher selten durch possessiven Dativ. Bei den von Rausch (1897) betrachteten 260 mehrstelligen Verben fordern nur etwa 11% zum Ende dieser Periode den Genitiv und bei weniger als 6% wird er später ausgebildet. Laut Ágel (2000) überleben von den 260 genitivregierten Verben aus dem Mittelhochdeutschen gerade noch 56 und diese gehören heute meist der gehobenen Stilebene an. So findet man im Eulenspiegel Bote (1540): • ich wil dein hie warten aber auch schon • Ulenspiegel wartet darauff Diesem Trend folgen auch die Adjektive, bei ihnen lösen im Laufe dieser Periode mehr und mehr Präpositionalobjekte den Genitiv ab. Das Genitivattribut bleibt relativ frei. Es kann eingeschränkt aber gleichberechtigt 3 weiter präpositiv stehen. Die postnominale Stellung baut jedoch ihre Dominanz weiter aus. Sie kommt laut Fritze etwa doppelt so oft vor Fritze (1976), wobei es große Unterschiede zwischen verschiedenen Textarten und auch gewisse lokale Schwankungen gibt. Mit der Nachstellung kann der Artikel mit dem Kernnomen kongruieren, vgl. des Vaters Haus vs. das Haus 3 Erst zu Beginn des Neuhochdeutschen kommt es zu einer Margninalisierung bzw. Markierung des pränominalen Gebrauchs, vgl. Ágel (2000) und Oštir (2002). 14 des Vaters aus Nübling (2006), wodurch die Nominalklammer gestärkt wird. Die Ähnlichkeit zwischen pränominaler Stellung und Kompositum wird bei der Nachstellung vermieden. Aus Bote (1540): • maenner des hant wercks der schneider • als es nun schlaffens zeit was 3.2.8 Dativ Der Dativ kommt häufig in Verbindung mit Präpositionen vor und ersetzt in dieser Kombination im Laufe dieser Zeit teilweise den Genitiv, sh. 3.2.7. Auch an der zweiten Valenzstelle der Verben nach einem Akkusativ ist er sehr häufig. In geringer Zahl als Konkurrenz zum Nominativ gebraucht wird, z.B. aus Bote (1540): • des morgens taget es jhm frue • der hinderst sprach / getroempt dir Der adnominale Dativ kommt in zwei Arten vor, als possessiver Dativ und als attributiver Dativ. Beide treten in der geschriebenen Sprache sehr selten auf, aber ersterer ersetzt wohl in den Mundarten schon den adnominalen Genitiv. 3.2.9 Akkusativ Sehr häufig und immer häufiger treten Akkusativobjekte auf. Die Hauptmuster sind hierbei laut Ebert u. a. (1993): 1. einstellig subjektlos, z.B mich hungert 2. zweistellig subjektlos, mit Akkusativ und Genitiv/Präpositionalobjekt 3. zweistellig, mit Nominativ und Akkusativ 4. dreistellig, mit Nominativ und doppelter Akkusativ 15 5. Nominativ, Akkusativobjekt und prädikativer Akkusativ 6. dreistellig, mit Nominativ, Akkusativobjekt und Genitivobjekt 7. dreistellig, mit Nominativ, Akkusativobjekt und Präpositionalobjekt 8. dreistellig, mit Nominativ, Akkusativobjekt und Richtungsbestimmung 9. dreistellig, mit Nominativ, Dativobjekt und Akkusativobjekt 10. vierstellig, mit Nominativ, Akkusativ- und zwei Präpositionalobjekten 11. vierstellig, mit Nominativ, Dativ-, Akkusativ- und Präpositionalobjekt Das 3. Muster ersetzt dabei oft Nominativ mit Genitivobjekt, sh. 3.2.7. Das 4. Muster ist im Frühneuhochdeutschen frequenter als im Neuhochdeutschen, aber gegenüber dem Mittelhochdeutschen wurde bei dieser kleinen Gruppe eher abgebaut. Der adnominale Akkusativ hingegen tritt sehr selten auf, etwa bei deverbalen Nomen um den Genitiv zu ersetzen. 3.2.10 Nominativ Die Prädikate mit Ergänzungen fordern meistens einen Nominativ. Bei machen Verben kommt normalerweise ein es statt eines Subjektes vor. Aus Bote (1540): die Magt langt jm die wurst / dem Pfarrer schmeckt sie als wol / das er sie gar fraß / vnnd sprach zu jm selber / gesegen mirs got es hat mir wol geschmeckt 16 4 Zusammenfassung Während der frühneuhochdeutschen Zeit kommt es zu einem Nebeneinander verschiedener Strukturen, die miteinander konkurieren. Manche Strukturen des Mittelhochdeutschen lösen sich auf und Strukturen, die im heutigen Neuhochdeutsch eine große Rolle spielen bilden sich heraus. Dabei ist ein großer Umbruch an vielen Stellen im 15. Jahrhundert zu beobachten. Der Abschluss vieler solcher Entwicklungen scheint sich zu Beginn der nachfolgenden Neuhochdeutschen Periode abzuspielen. Aber sie sterben nicht ganz aus. So hat die Nominalphrase in dieser Zeit Veränderungen durchgemacht, die ihren Anfang in früheren Perioden hatten. Die neuen Formen verfestigten sich teilweise jedoch so stark, dass sie grammatikalisiert wurden. Viele dieser Prozesse passen sich in die Entwicklung der syntaktischen Nominalklammer ein. Die Verschiebung des Genitivs nach rechts in die postnominale Gruppe bzw. dessen Ablösung durch andere Konstrukte, so dass der Artikel mit dem Kern kongruieren konnte. Der Artikel selbst, so dass er die öffnende Klammer bilden kann. So konnte die in der frühneuhochdeutschen Zeit grammatikalisierte Klammernkonstruktion in der nachfolgenden Neuhochdeutschen Zeit eine starke Struktur bilden, die die Nominalphrase bestimmt. Leider ist die Erforschung sowohl der Sprache der frühneuhochdeutschen Periode, als auch der Sprachwandelprozesse, die während dieser Zeit stattgefunden haben, noch in einem frühen Stadium. Es wird zwar schon versucht einiges zu erklären, aber eben noch unzureichend und auf Teilebereiche fokusiert. So scheint die Erforschung des Genitivs einen gewissen Forschsprung zu haben, wohingegen andere Gebiete noch kaum angegangen wurden. Es werden auch noch viele Fragen nicht beantwortet, bzw. es schleichen sich bei manchen Erlärungen Zweifel ob deren Richtigkeit ein. Warum z.B. gibt es den Genitiv immer noch? Ist die Entwicklung der Nominalklammer ein Ziel, das angesteuert wurde, so dass die Entwicklungen, die sie brauchte, entstehen mussten, oder war es z.B. vielmehr so, dass diesen Entwicklungen, die aus anderen Gründen stattfanden, die Syntax zur Nominalklammer zwangen? 17 Literatur [Admoni 1964] Admoni, Wladimir: Die umstrittenen Gebilde der deutschen Sprache von heute. In: Muttersprache 74 (1964), S. 321–332 [Admoni 1990] Admoni, Wladimir: Historische Syntax des Deutschen. 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