Sozialer Raum« und Felder

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Boike Rehbein
»Sozialer Raum« und Felder
Mit Bourdieu in Laos
Im Folgenden möchte ich einen Widerspruch und zwei blinde Flecken
in Bourdieus theoretischem Programm erörtern, auf die ich in der empirischen Arbeit gestoßen bin. Die blinden Flecken – internationale bzw.
transnationale Zusammenhänge (siehe Hermann Schwengel in diesem
Band) und nicht auf Kämpfe zu reduzierende zwischenmenschliche Beziehungen (siehe den Schluss von Steffani Englers Beitrag in diesem
Band) – werde ich nur am Material illustrieren. Den Widerspruch –
zwischen der Konzeption des Feldes und der des sozialen Raums – hoffe
ich hingegen theoretisch aufzulösen.
In einem Interview mit Beate Krais, das in Soziologie als Beruf abgedruckt ist, hat Bourdieu gesagt: »Mit meiner Analyse eines historischen
Falls liefere ich ein Programm für andere empirische Analysen unter anderen Verhältnissen als den von mir untersuchten. Sie ist eine Aufforderung zur schöpferischen Lektüre und zur theoretischen Induktion, die
von einem gut konstruierten besonderen Fall ausgehend verallgemeinert.« (1991a: 278) Dieser Aufforderung bin ich gefolgt. Ich habe Bourdieus Buch Die feinen Unterschiede (im Folgenden: FU) als Programm
gelesen, auf dessen Grundlage die Auswirkungen der Globalisierung in
Laos untersucht werden können. Die Untersuchung sollte sich nicht
sklavisch an Bourdieus Begriffe ketten, sondern versuchen, einen hermeneutischen Prozess in Gang zu bringen, der Theorie und Empirie
gleichermaßen aufschließt, kritisch hinterfragt und entwickelt. Auch
wenn einige Exegeten Bourdieu schon zum Klassiker erstarren lassen,
dessen Begriffe nur noch Explikation fordern und selbst nicht mehr in
den Forschungsprozess einbezogen werden dürfen, scheint mir die zitierte Aufforderung genau auf einen derartigen hermeneutischen Prozess
zu zielen.1
1
Ähnlich scheinen viele Wissenschaftler Bourdieus Ansatz zu lesen (vgl. beispielsweise Rolf-
Dieter Hepp in diesem Band). Die Möglichkeit dieser Auslegung könnte dafür verantwortlich
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Mit Bourdieus Begriffen im Gepäck bin ich nach Laos gereist, um die
traditionale Gesellschaft auf dem Land mit der modernen Gesellschaft
in der Stadt zu vergleichen. Ziel war es, für beide Gesellschaftsformen
nach Bourdieus Vorbild einen »sozialen Raum« zu konstruieren (vgl.
Bourdieu 1982c: 212f). Die in diesen Konstruktionen ermittelten sozialen Positionen sollten mit den Dispositionen wirtschaftlichen Denkens und Handelns in Beziehung gesetzt werden. Es erwies sich jedoch
als unmöglich, reine Formen traditionaler und moderner Gesellschaft zu
finden. Um die aufgefundenen verschiedenen Gesellschaftsformen und
ihre Übergänge fassen zu können, wurde es notwendig, die Außenbeziehungen der Gesellschaft und den sozialen Wandel begrifflich zu fassen.
Die FU aber liefern lediglich eine isolierte Momentaufnahme einer Gesellschaft, noch dazu einer höchst modernen. Um die Konzeption des
»sozialen Raums« und der sozialen Positionen dennoch für die Erforschung der Globalisierung in Laos einzusetzen, versuchte ich, Bourdieus
Begriff des Feldes so zu revidieren, dass er Dynamik in die Momentaufnahme bringen würde. Bei dieser Arbeit zeigte sich, dass die Lösung in
der entgegengesetzten Richtung zu suchen war, nämlich in einer Revision der Vorstellung des »sozialen Raums«.
In den folgenden Ausführungen will ich zunächst die Konzeption des
sozialen Raums und die Schwierigkeiten referieren, die sich bei ihrer
Anwendung auf das ländliche Laos ergaben. Sodann werde ich versuchen, die Schwierigkeiten auf einen zentralen Widerspruch zwischen
Bourdieus Begriffen des Feldes und des sozialen Raums zurückzuführen
und sie durch den des Feldes aufzulösen. Schließlich möchte ich skizzieren, wie der Feldbegriff innerhalb von Bourdieus Ansatz weiterentwikkelt werden könnte, um auf ein Problem zu antworten, für das er gar
nicht entworfen wurde, nämlich die historische Entwicklung von Laos.
sein, dass der Umgang mit Bourdieu nicht – wie bei anderen Klassikern – so leicht in philologischer Haarspalterei erstarrt. Natürlich besteht auch bei Bourdieu die Gefahr, aus seinen Begriffen eine abgeschlossene Theorie zu zimmern, indem man die Begriffe vom empirischen
Material trennt. Auf diese Weise kann man versuchen, eine bestimmte Zahl von Kapitalarten
festzulegen, die Eigenschaften von Klassen und sozialen Positionen eindeutig festzulegen usw.
(z. B. LiPuma 1993). Diese Deutung von Bourdieus Ansatz erscheint mir unfruchtbar.
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»Sozialer Raum« und Felder
I. Die Konzeption des sozialen Raums
Bourdieu entwickelte die Konzeption des sozialen Raums als Alternative
zur Einteilung der Gesellschaft in eine Pyramide, die der Einkommensverteilung entspricht. Er forderte, nicht nur das Einkommen, sondern
verschiedene Formen von Handlungsressourcen, die er als Kapital bezeichnet, zur Erfassung der Sozialstruktur heranzuziehen. Hauptfaktoren
der sozialen Differenzierung sind demnach verschiedene Kapitalformen,
die im Kampf um knappe Güter zum Einsatz gebracht werden. »Das besagt, daß die Struktur dieses Raums durch die Verteilung der verschiedenen Kapitalformen, d. h. die Verteilung der Eigenschaften, gegeben
ist, die in dem untersuchten Universum wirksam sind« (1997c: 107).
Die Position im sozialen Raum wird nicht durch eine absolute Menge an
Kapital festgesetzt. Vielmehr bestimmen sich die sozialen Positionen
nach der relativen Verfügung über Handlungsressourcen. Diese definiert
sich durch den Gesamtbesitz an Kapital, die Struktur des Kapitals (sowie
die Wichtigkeit der entsprechenden Komponenten in der jeweiligen Gesellschaft) und die Entwicklung des Kapitals im Laufe der Zeit (1994a:
32). In den FU strukturiert Bourdieu den sozialen Raum nach den Parametern kulturelles und ökonomisches Kapital (1982c: 212f; vgl.
1994a: 19f). Sie hält er an dieser Stelle für die Ressourcen, auf denen alle
wesentlichen sozialen Differenzen beruhen. Mit der Verfügung über die
Ressourcen verknüpft er charakteristische Formen des Denkens, Wahrnehmens und Handelns. Sie beruhen Bourdieu zufolge auf den Möglichkeiten, die durch die Ressourcen eröffnet werden, und bestimmen
sich konkret durch die im sozialen Raum benachbarten Formen, genauer: durch Differenz und Differenzierung.
II. Die Dorfgemeinschaft
Diese Konzeption des sozialen Raums wollte ich nun auf die laotische
Gesellschaft der Gegenwart anwenden. Laos eignet sich gut für soziologische Untersuchungen, weil auf engstem Raum verschiedene ethnolinguistische Gruppen mit unterschiedlichen Gesellschaftsformen zusammenleben und das Land sehr ungleichmäßig entwickelt ist. Etwa
150 Gruppen, die mindestens fünf Sprachfamilien zuzuordnen sind,
verteilen sich auf eine Fläche von etwa der Größe der alten Bundesrepu-
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blik.2 In einigen Gebieten hat jedes Dorf eine andere Sprache. Die Lao,
auf die sich meine Untersuchung konzentrierte, bilden die zahlenmäßig
größte ethno-linguistische Gruppe.3 Die meisten von ihnen bauen Nassreis an und leben in Dorfgemeinschaften (die tatsächlich an das erinnern, was Marx unter diesem Begriff beschrieben hat). In der für asiatische Verhältnisse winzigen Hauptstadt mit etwa einer halben Million
Einwohnern dagegen hat die Moderne Einzug gehalten, seit die Franzosen 1893 Laos zu ihrem Protektorat erklärten. Die Kolonialmacht konzentrierte sich auf die Städte und vernachlässigte das Hinterland. Seit
1975 hat Laos eine sozialistische Staatsform, seit 1986 wird die Wirtschaft langsam liberalisiert, ähnlich wie in China. In den abgelegenen
Gebieten haben sich ältere Formen der Politik, Wirtschaft und Kultur
erhalten.4 In ihnen ist auch heute noch das Dorf die wichtigste soziale
und politische Einheit. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass die Vorfahren der Lao keine größeren Einheiten kannten, denn Südostasien war
vor der Entstehung des laotischen Staates sehr dünn besiedelt (siehe z. B.
die Beiträge in Smith/ Watson 1979).
Die Dorfgemeinschaften der Lao bestehen im Wesentlichen aus
Kleinfamilien, die zugleich die Produktions- und Konsumtionseinheiten
sind. Lediglich in Zeiten der Not und bei größeren Aufgaben arbeiten
die Familien zusammen. Sie verfügen über ein ähnliches ökonomisches
und kulturelles Kapital. Alle Untersuchungen über die Dorfgemeinschaft der Lao und verwandter Ethnien haben eine äußerst geringe Varianz dieser Parameter ergeben.5 Wenn auch die Familien einander ähnlich sind, so gilt das nicht unbedingt für die Individuen. Die Dorfgemeinschaften scheinen eine innere soziale Differenzierung aufzuweisen,
zum einen nach Alter und Geschlecht, zum anderen nach sozialen
2
Siehe beispielsweise Laurent Chazée (1995). Etwas mehr als die Hälfte der Bevölkerung von
Laos spricht als Muttersprache Laotisch oder eine damit verwandte Tai-Sprache. Diese Menschen leben zumeist in Flusstälern, wo sie als Hauptnahrung Nassreis anbauen. Die anderen
ethno-linguistischen Gruppen besiedeln großenteils höhere Lagen und werden von den TaiVölkern politisch und wirtschaftlich dominiert. (Vgl. hierzu die schöne und klassische Untersuchung von Edmund Leach.)
3
Es hat sich eingebürgert, zwischen Lao und LaotInnen zu unterscheiden. Erstere sind die
größte ethnische Gruppe im Staatsgebiet von Laos, während alle StaatsbürgerInnen von Laos
als Laoten bzw. Laotinnen bezeichnet werden.
4
Allerdings nicht unverändert – weshalb es unmöglich ist, eine traditionale Gesellschaft einer
modernen gegenüberzustellen.
5
Vgl. hierzu und zu allen anderen Ausführungen über Laos Rehbein (2004), wo auch die Lite-
ratur und das empirische Material aufgeführt werden.
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»Sozialer Raum« und Felder
Funktionen, die mit Ansehen verbunden sind. Es gibt eine dörfliche
Führungsschicht, der neben den alten Männern (den Familienoberhäuptern) die lokalen WürdenträgerInnen angehören (Abt, LehrerIn,
SchamanIn, VertreterInnen der Massenorganisationen) (UNICEF 164).
Heute schwächt sich diese Differenzierung ab, früher aber muss sie weit
ausgeprägter gewesen sein. Darauf deutet das reich entwickelte Vokabular für Verwandtschaftsbeziehungen hin, die heute gesellschaftlich und
individuell kaum noch eine Rolle spielen (Rehbein/ Sayaseng 2003). Es
ist also wahrscheinlich, dass es sich bei den Dorfgemeinschaften um
Clans handelte. Innerhalb der Clans waren hohes Alter und männliches
Geschlecht wertvoller als ihr relatives Gegenstück. Da mit ihnen keine
nennenswerten Unterschiede im ökonomischen und kulturellen Kapital
verknüpft sind, kann das Kapital – zumindest in diesen Formen – bei
den Lao nicht am Ursprung der sozialen Differenzierung liegen.
Die sozialen Positionen der Würdenträger, die historisch sicher später
als die Clans entstanden, könnte man am ehesten auf symbolisches Kapital zurückführen. Bourdieu ist bei der Untersuchung algerischer
Dorfgemeinschaften zum Ergebnis gekommen, sie seien nach »Ehre«
differenziert (1958: 23; 1964a: 88ff). Ansehen und Ehre führte er später
auf symbolisches Kapital zurück (1987b: 202, 257). Es scheint nahe liegend, die Differenzierung der laotischen Dorfgemeinschaft genauso zu
fassen. Auf die herausragende soziale Bedeutung der Ehre bzw. des Ansehens im laotischen Dorf hat beispielsweise Carol Ireson hingewiesen
(1996: 73). Wenn die algerische und die laotische Dorfgemeinschaft
aber nach Alter, Geschlecht und Ehre differenziert sind, so würde daraus
folgen, dass ökonomisches und kulturelles Kapital ihre beherrschende
Rolle in der Gesellschaft erst im Laufe der Geschichte erhalten. Die
Funktionsweise der Ressourcen, ihr Einsatz, der Begriff des symbolischen Kapitals und die Herausbildung anderer Kapitalformen müssten
vor diesem Hintergrund untersucht werden.
Eine weitere Schwierigkeit besteht darin, dass die Mehrheit der laotischen Dorfbewohner keine Verbesserung der sozialen Position anzustreben scheint, sondern die geringen Ungleichheiten einfach hinnimmt.
Die innere Struktur der Dorfgemeinschaft ähnelt am ehesten der einer
Familienfeier, bei der es zwar Ungleichheiten und unterschiedliche Rollen gibt, wo aber die Positionen wegen der festgefahrenen Rollen nicht
Gegenstand von Kämpfen werden (können). Es fragt sich ohnehin, ob
alle Handlungen nach Differenzierung, Gewinn, Ausnutzung, also nach
der Verbesserung der sozialen Position durch Vermehrung von Kapital
trachten (1997c: 107f). Ist es zum Beispiel sinnvoll, Akte der Freundschaft, Liebe, Höflichkeit, Muße, Ruhe usw. nur unter dem Aspekt der
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Rehbein
Kapitalsteigerung zu sehen? Um die Entstehung von Kapital und von
Kämpfen um soziale Positionen erklären zu können, wäre es vielleicht
fruchtbarer, diese Begriffe der Analyse moderner Gesellschaften vorzubehalten und eine allgemeinere Kategorie der »Ressourcen« einzuführen
– die beispielsweise als Kapital und in Kämpfen eingesetzt werden können, aber eben nicht immer so eingesetzt werden müssen.
Auch wenn man die Dorfgemeinschaft nicht unter den Aspekten des
Kampfes um ökonomisches und kulturelles Kapital betrachtet, ließe sich
sehr schön ein sozialer Raum konstruieren, geordnet allerdings nach den
Parametern Geschlecht, Alter und Ansehen. Mit den jeweiligen Koordinaten im Raum ließen sich überdies die beobachtbaren Praktiken verbinden, die ein/e Lao mit einem bestimmten Geschlecht, Alter und Ansehen eben ausführt, und das mit einer sehr hohen Wahrscheinlichkeit.
Wenn es nach Bourdieu also zulässig ist, den sozialen Raum auch nach
anderen Parametern als kulturellem und ökonomischem Kapital zu konstruieren (was er an einer Stelle in den FU nahe legt: 1982c: 359),
scheint sich das Konzept des sozialen Raums zunächst auch auf Dorfgemeinschaften übertragen zu lassen.
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»Sozialer Raum« und Felder
III. Eindeutige Positionen und Veränderung
In einer Dorfgemeinschaft ist sozialer Wandel die Ausnahme, Reproduktion die Regel. Kämpfe um Kapital scheinen ebenfalls eine Ausnahme zu sein, nicht nur wegen des traditional geordneten Lebens, sondern
schon allein wegen der geringen Größe dieser Gemeinschaften. Wenn es
heute jedoch Kämpfe und verschiedene gesellschaftlich relevante Kapitalsorten gibt, so müssen sie irgendwann entstanden sein. Bourdieus
Konzeption des sozialen Raums (der nach den Dimensionen ökonomisches und kulturelles Kapital organisiert ist) erfasst interne Verschiebungen in der Sozialstruktur, Auf- und Abwertungen verschiedener Praktiken und Veränderungen in der Zusammensetzung des Kapitals. Unklar
aber ist, wie gänzlich andere Kapitalsorten bestimmend werden können
und wie Kämpfe überhaupt entstehen. Anders gefragt: Wie ist Veränderung hier überhaupt denkbar? Wenn Kämpfe und die herausragende
Rolle von kulturellem und wirtschaftlichem Kapital keine notwendigen
Komponenten der Konzeption des sozialen Raums sind und die Konzeption für Dorfgemeinschaften modifiziert werden kann, so verweist
die Schwierigkeit, soziale Veränderung mit dieser Konzeption zu fassen,
doch auf ein tieferliegendes Problem. Das Problem besteht kurz gesagt
darin, Nichträumliches zu verräumlichen.
Der soziale Raum bildet den Zusammenhang des Kapitals mit den
sozialen Positionen sowie in erweiterter Form mit den Dispositionen des
Handelns ab. Man sieht sozusagen auf einen Blick, wie unterschiedliche
Verfügungen über Kapital mit unterschiedlichen Dispositionen einhergehen. Die sozialen Positionen und Dispositionen markieren Punkte in
einem Raum, der Bourdieu zufolge dem physischen Raum analog ist
(2001c: 128). Dieser Vergleich suggeriert eindeutige Positionen und Abstände. Sicher unterscheiden sich die Positionen durch unterschiedliches
Kapital deutlich voneinander, aber sie lassen sich meines Erachtens nicht
als eindeutige Anordnung definieren. Menschen, die durch die meisten
Dimensionen des Kapitals voneinander getrennt sind, können einander
(etwa durch die gemeinsame Zugehörigkeit zu einer Subkultur, durch
eine gemeinsame Krankheit, durch ähnliche Vorstellungen) sehr nahe
sein. Das lässt sich mit der räumlichen Vorstellung nicht erfassen – obwohl es doch gerade eine der Pointen von Bourdieus Forschung zu sein
scheint.
Bourdieus sozialer Raum kann auch so interpretiert werden, dass er
aufzeigt, welche Dispositionen durch welche Vorgaben an Kapital wahrscheinlich werden. Das erscheint zwar plausibel, aber durch die klare
Zuordnung wird das Wesentliche, nämlich die Aneignung und der Ein83
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satz von Kapital als Prozess, verdeckt. Wirklich problematisch ist der
substanzialistische Zug, den das Schema nahe legt – als gäbe es tatsächlich einen einheitlichen sozialen Raum, der nach ganz bestimmten (am
Ende überhistorischen) Parametern geordnet ist.
IV. Feld
Der Begriff des Raums fasst die sozialen Positionen zwar relativ zueinander, ordnet aber einer bestimmten Kapitalkomposition einen bestimmten Ort zu. Damit bleibt seine Relation zu anderen Orten (besser:
Örtern) für alle Eigenschaften gleich. Ein Individuum hätte also seinem
Ort gemäß zu anderen Individuen in allen Bereichen der Praxis die gleichen Relationen. Bourdieu spricht hier von Homologie. Diese Vorstellung leuchtet leicht ein, wenn sie am Material illustriert wird. Beispielsweise hat ein laotischer Bauer nicht nur weniger Kapital als ein Regierungsmitglied, sondern er spricht zu diesem auch unterwürfig, er muss
Befehle von ihm entgegennehmen, er kleidet sich erkennbar einfacher
usw. Wenn man jedoch genauer nachfragt, erfährt man, dass kein Bauer
genau diese und alle dieser Eigenschaften aufweist. Eben in dieser Hinsicht eignen Bourdieus Konzeption substanzialistische und statische
Tendenzen – die sich innerhalb von Bourdieus Begrifflichkeit überwinden lassen, nämlich durch den Begriff des Feldes.6
Loïc Wacquant liefert eine allgemeine Definition des Feldes, die der
des sozialen Raums ähnelt: »Ein Feld besteht aus einem Ensemble objektiver historischer Relationen zwischen Positionen, die auf bestimmten
6
Es ist zwar problematisch, sich in einem einzigen Aufsatz auf Werke Bourdieus zu beziehen,
die in einer Spanne von nahezu einem halben Jahrhundert entstanden sind. Die Spannung zwischen statischen und dynamischen Tendenzen scheint mir jedoch das ganze Werk Bourdieus
zu durchziehen. Allerdings wies er dem Feldbegriff im Rahmen seiner Untersuchungen eine
immer größere Bedeutung zu. Gleichzeitig vermehrte er sowohl die Felder als auch die Kapitalsorten, indem er jedem Feld eine bestimmte Kapitalsorte zuzuschreiben schien (2001c: 34,
52ff). In den früheren Werken gab es nur drei Kapitalsorten, der Begriff des Feldes war noch
nicht klar als analytisches Instrument herausgearbeitet. Das Konzept des sozialen Raums entspricht eher dem Determinismus und Strukturalismus, zu dem der frühe Bourdieu neigte.
Dennoch kann nicht der Begriff des sozialen Raums prinzipiell dem frühen, der des Feldes
prinzipiell dem späten Bourdieu zugeordnet werden. Bourdieu schwankte je nach Thema, intellektuellem Klima und vorgestelltem Gegner. Ja, er scheint sich, wie ich meine, eines Widerspruchs nicht bewusst gewesen zu sein. Die Entscheidung für den Feld- oder für den Raumbegriff wurde nie zu einem expliziten Thema.
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»Sozialer Raum« und Felder
Formen von Macht (oder Kapital) beruhen« (in Bourdieu 1996b: 36).
Der Unterschied zwischen Feld und sozialem Raum besteht nun darin,
dass auf einem Feld jeweils spezifische Formen des Kapitals und des
Handelns (bzw. von Dispositionen) relevant sind. Bourdieu charakterisiert das Feld auch als einen Markt für jeweils eine Gattung von Gütern
(1982c: 120). Im Funktionieren legt dieser Markt stets selbst und erneut
fest, was auf ihm Wert hat, was relevant ist und was als Kapital »und daher als Erklärungsfaktor« fungiert (1982c: 194). Die Struktur des Feldes
besteht im Verhältnis zwischen den auf dem Feld Agierenden bzw. in
der Verteilung des spezifischen Kapitals (1980b: 114). Die soziale Position der AkteurInnen auf einem Feld bestimmt sich nach den Kapitalsorten, die auf dem jeweiligen Feld hoch im Kurs stehen. Der Wert des
Kapitals hängt, so Bourdieu, von der jeweiligen Konjunktur des Feldes
ab (1976: 170). Und die ändert sich, manchmal sogar sehr schnell.
Wenn die soziale Position vom Kapital abhängt und der Wert des
Kapitals von der Konjunktur auf verschiedenen Feldern, kann die soziale
Position nur als eine einzige im sozialen Raum bestimmt werden, wenn
die Konjunktur auf allen Feldern gleich (also homolog) ist. Von einer
derartigen Homologie scheint Bourdieu auszugehen. Sie ist allerdings
nur auf der Basis einer Determiniertheit denkbar. Bourdieu tendiert in
der Tat an verschiedenen Stellen zum Determinismus. Eine entgegengesetzte Tendenz verfolgt er, wenn er auf eine Verwandtschaft von Feld
und Spiel aufmerksam macht (2001c: 44). Kapital vergleicht er dabei
mit Chips, die die Teilnehmer eines Spiels erhalten, aber in der Gesellschaft sehr unterschiedlich verteilt sind (1992c: 38). Auf jedem Feld
gelten andere Spielregeln (besser gesagt: jedes Feld ist ein anderes Spiel),
sind andere Arten des Kapitals wertvoll und funktional. Um innerhalb
eines Feldes eine Position zu erlangen, muss ein Mensch ein Kapital erwerben, das ihm innerhalb dieses Feldes die Handlungsmöglichkeiten
verschafft, die für diese Position erforderlich sind (1994a: 152f). Wer in
ein Feld eintritt, erkennt die Spielregeln an.7 Wenn sich nun tatsächlich
– um in der Metapher zu bleiben – die Spiele und Spielregeln der ein7
Bourdieu polemisiert stets gegen den Begriff der Regel – und stellt ihm die Strategie und den
Habitus entgegen. Woran aber orientiert sich die Strategie, wie bildet sich der Habitus? Nur
durch Regelmäßigkeit? Und wie kommt die zustande? Nur durch die Konstanz des Habitus?
Das wäre ein Zirkelschluss. Es scheint mir eher, als verfestigten sich Strategien nicht nur zu
Regelmäßigkeiten, sondern auch zu so etwas wie Richtlinien oder eben Regeln, also zu Konstanten, die nicht nur empirischen, sondern auch normativen Charakter haben. Um den unbewussten Charakter zu verdeutlichen, der Bourdieu so wichtig ist, spreche ich hier lieber von
Handlungsmustern als von Regeln.
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Rehbein
zelnen Felder voneinander unterscheiden, können die Felder einander
nicht völlig homolog sein. Ich glaube, mit dieser Annahme wird man
dem Handeln weit eher gerecht als mit der deterministischen Vorstellung, die den Habitus zu einem Mechanismus und die soziale Position
zu einer Koordinate im Raum macht.
Eine Pointe von Bourdieus Feldbegriff ist es gerade, dass eine Handlung (oder Eigenschaft) auf verschiedenen Feldern, zu verschiedenen
Zeiten und gegenüber verschiedenen Adressaten einen unterschiedlichen
Sinn haben kann (1994a: 17f). Die Konstruktionen des sozialen Raums
in den FU werden diesem Umstand nicht gerecht (siehe v. a. 1982c:
212f). Es ist kaum zu bestreiten, dass das Trinken von teurem Whisky
ein Distinktionsversuch sein kann, aber die Zuordnung des Whiskytrinkens zu einer bestimmten sozialen Position verfehlt meines Erachtens
das Entscheidende an Bourdieus eigener Sichtweise: dass sich der Sinn
des Whiskytrinkens in der Relation zu anderen Menschen erst bestimmt, also auf einem Feld mit einer momentan geltenden Konjunktur.
Die Vielfältigkeit des Sinns einer identischen Handlung hat Wittgenstein, auf den sich Bourdieu in diesem Zusammenhang öfters beruft, für
Sprachspiele deutlich gemacht. In den Philosophischen Untersuchungen,
Paragraph 23, schreibt er: »Wieviele Arten der Sätze gibt es aber? Etwa
Behauptung, Frage und Befehl? Es gibt unzählige solcher Arten: unzählige verschiedene Arten der Verwendung alles dessen, was wir ‘Zeichen‘,‘Worte‘,‘Sätze‘ nennen. Und diese Mannigfaltigkeit ist nichts Festes, ein für allemal Gegebenes; sondern neue Typen der Sprache, neue
Sprachspiele, wie wir sagen können, entstehen und andre veralten und
werden vergessen.« (Wittgenstein 1984: 250) Und wie es viele Verwendungsweisen von Sätzen gibt, so gibt es viele Verwendungsmöglichkeiten von Handlungen. Beide hängen vom »Spiel« ab, in dem sie eingesetzt werden, also vom jeweiligen Feld. Und die Ressourcen – also die
»Chips« oder die Komponenten des Kapitals – haben auf jedem Feld eine andere Verwendungsweise, einen anderen Wert und eine andere Erscheinungsform.
Joseph Jurt hebt in einem Aufsatz über das literarische Feld hervor,
dass das symbolische Kapital, das auf einem und für ein Feld erworben
wurde, schwer auf ein anderes Feld zu übertragen sei, es habe seinen
Wert fast ausschließlich auf einem bestimmten Feld (Jurt 2001: 46).
Daher tendierten Individuen dazu, nach Möglichkeit auf dem Feld zu
verbleiben, für das ihr Kapital erworben wurde, und dort um die Vermehrung oder eine verstärkte Anerkennung ihres Kapitals zu kämpfen.
Diese Argumentation erscheint mir so plausibel, dass sie eigentlich
schon genügte, die räumliche und homologe Vorstellung der Felder zu
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»Sozialer Raum« und Felder
widerlegen. Wenn man jedoch von einer Homologie der Felder und des
sozialen Raums abrückt, verschwinden auch die augenfälligen Parallelen
zwischen Handlungsweisen auf verschiedenen Feldern, die doch gerade
der Konzeption des sozialen Raums ihre Plausibilität verleihen. Wie ließen sie sich ohne deterministische Vorannahmen erklären? Und wie
könnte man sich dann die Vielfalt und Einheit der Felder vorstellen?
V. Ziele und Relationen
Was als umfassender sozialer Raum erscheint, lässt sich meines Erachtens zurückführen auf dominante Felder. Der scheinbar unhintergehbare soziale Raum ist allenfalls als das Feld einer einzelnen Gesellschaft zu
deuten, das nur verständlich wird aus seinen Relationen zu anderen Gesellschaften und zur Natur. Bourdieu spricht in den FU selbst einmal
vom Gesamtfeld der sozialen Positionen (1982c: 33). Wir haben die
Vorstellung im Kopf, die Gesellschaft sei eine Art Behälter, dessen
Grenzen mit denen des Staates identisch sind. Und innerhalb des Behälters kommt den Individuen je nach Titel und/ oder Besitz ein bestimmter Ort zu. Diese Vorstellung wird in der Konzeption des sozialen
Raums reproduziert, durch die Lehre der Felder aber aufgelöst.
Eine bestimmte Position auf einem bestimmten Feld erfordert ein bestimmtes Kapital oder, wie ich lieber sagen würde, bestimmte Ressourcen – für eine bestimmte Zeitdauer. Diese Ressourcen aber können auf
anderen Feldern wertlos sein und ermöglichen daher keine ähnliche
(homologe) Position. Beispielsweise nimmt ein bekannter Rockmusiker
auf dem Feld der Rockmusik sicher eine beherrschende und zentrale Position ein. Seine Fans sind ihm vielleicht sogar stärker unterworfen als
dem Staatsoberhaupt. Aber auf anderen Feldern spielt der Rockstar nur
in Ausnahmefällen eine wichtige Rolle. In Laos hatten die Ressourcen
von Musikern bis vor wenigen Jahren soziologisch noch keinen Wert.
Mit der Verbreitung von Cassetten entstand eine Gruppe von Musikkonsumenten und damit ein Gefälle zwischen Stars und Fans. Auf anderen Feldern haben die Stars mit ihren spezifischen Ressourcen noch keine höhere Position als andere Menschen. Sie können in Zukunft wahrscheinlich auf dem Feld der Wirtschaft Bedeutung erringen, wenn sie
viel Geld verdienen, mächtige Unternehmen gründen oder sich an ihnen
beteiligen. Dabei werden die spezifischen Ressourcen von Musikern in
ökonomisches Kapital verwandelt. Wie nun wird die soziale Position des
Rockstars ermittelt? Reicht es etwa, sein kulturelles und ökonomisches
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Rehbein
Kapital miteinander ins Verhältnis zu setzen? Dann geriete seine soziale
Position in die Nähe von Medienbossen, Fußballspielern, Maklern und
Politikern. Was haben diese gemeinsam? Ein geringes, dafür stark fokussiertes kulturelles und ein großes ökonomisches Kapital. Tatsächlich
aber sind die Handlungsmöglichkeiten, die Macht und die gesellschaftliche Stellung dieser Gruppen völlig verschieden, eben weil die Felder, auf
denen sie sozusagen zu Hause sind, sich von Grund auf unterscheiden
und gesellschaftlich einen ganz anderen Stellenwert haben.
Bourdieu schreibt, jedes Feld setze dem Handeln bestimmte Ziele:
»Verzerrungen, die an die Zugehörigkeit zu einem bestimmten Feld und
an die Zustimmung zu der innerhalb der Grenzen dieses Feldes einhellig
gebilligten doxa – sie ist es ja, die das Feld recht eigentlich definiert –
gebunden sind. In diesem Fall besteht das Implizite in dem, was die
Teilnahme am Spiel impliziert, nämlich in der dieser Teilnahme inhärenten illusio als dem grundlegenden Glauben an den Sinn des Spiels
und den Wert dessen, was auf dem Spiel steht. [...] Für jedes Feld ist
nämlich die Verfolgung eines spezifischen Ziels charakteristisch, das geeignet ist, alle (und nur die), die über die erforderlichen Einstellungen
verfügen [...] dazu zu bringen, sich voll und ganz dafür einzusetzen.« Für
Außenstehende sind diese Ziele uninteressant. »Die spezifische Logik eines Feldes nimmt als spezifischer Habitus Gestalt an, genauer genommen in einem gewöhnlich als [...] ‘Geist‘ oder ‘Sinn‘ bezeichneten Sinn
für das Spiel, der praktisch niemals explizit artikuliert oder vorgeschrieben wird. Die für die Zulassung zu dem Spiel und den Erwerb des spezifischen Habitus erforderliche [...] Umwandlung des ursprünglichen
Habitus vollzieht sich unauffällig« (2001f: 19f). Über die Ziele kann das
Feld auch Handlungen anderer Felder leiten und sie damit usurpieren.
Jedes Feld enthält Elemente der anderen Felder, tendiert über den Habitus der AkteurInnen dazu, andere Felder zu durchdringen oder gar zu
usurpieren. Der Rockstar steigert seine Position umso mehr, je wichtiger
das Feld der Rockmusik in der Gesellschaft wird: Er wird auf dem Feld
der Medien bekannt, verdient auf dem Feld der Wirtschaft viel Geld,
wird auf dem Feld der Mode gefeiert. Er hat damit keine punktförmige
Position im Raum, sondern ist an die Konjunktur auf und von Feldern
gebunden.
Das wirft die Frage nach der Abgrenzung der Felder gegeneinander
auf. Wie bei Wittgenstein gefragt wird, wo die Grenze des Sprachspiels
sei, so wird bei Bourdieu gefragt, wo die Grenze eines Feldes zu ziehen
wäre. Diese Frage ist nicht zu beantworten. Eine Handlung kann nicht
eindeutig einem einzelnen Feld (oder einem Sprachspiel) zugeschlagen
werden, denn es geschieht stets Mehreres zugleich. Man kann mehrere
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»Sozialer Raum« und Felder
Spiele gleichzeitig spielen, ja das geschieht beim Spielen wahrscheinlich
immer: Man spricht nebenher über andere Themen, spinnt vielleicht
Intrigen oder knüpft Beziehungen, begleicht Rechnungen auf anderem
Gebiet usw. Ebenso können mehrere Spieler dasselbe Spiel mit unterschiedlichen Zielen spielen, ohne das Spiel zu zerstören; der eine spielt,
um zu gewinnen, der andere zur Ablenkung. Es lässt sich schwer trennen, welche Handlung welchem Spiel und welchem Ziel zuzuordnen ist,
und zwar sowohl aus der Perspektive des Spielers wie aus der des Beobachters. Die unscharfe Grenze der Felder scheint mir eine ihrer wichtigsten Eigenschaften zu sein. Metaphorisch gesprochen ist der soziale
Raum Bourdieus euklidisch, während die Lehre von den Feldern einen
dynamischen, relationalen und mehrdimensionalen Begriff nach sich
zieht, der sich schwerlich auf den eines Raums reduzieren lässt (vgl. hierzu auch Gerhard Fröhlich in diesem Band, Fußnote 3).
Beim Denken und Handeln trennt man meines Erachtens nicht zwischen den Feldern der Wirtschaft, der Kultur, des Geschmacks, zumindest nicht bewusst. Man denkt und handelt eben so, wie die Situation es
zu erfordern scheint. Und man handelt in verschiedenartigen Situationen oder auf verschiedenen Feldern gleich, weil man Bourdieu zufolge
in dieser Hinsicht eine identische Disposition hat. (Wittgenstein würde
sagen, weil man es so gelernt hat.) Die identischen Dispositionen begründen das, was Bourdieu als Habitus bezeichnet: AkteurInnen handeln auf jedem Feld analog, weil sie ihrem Habitus entsprechend handeln (1982c: 281f) – wie auch sonst?8 Auf jedem Feld aber treffen sich
andere AkteurInnen auf unterschiedliche Weise, weil die Strukturen und
Ziele für jedes Feld spezifisch sind. Daher generiert die Identität des
Habitus zugleich Differenz.
Die Momentanschauung, die der soziale Raum bietet, kann nur als
Illustration einer Analyse dienen, die Ressourcen, Habitus und Feld
miteinander in Beziehung setzt.9 Interessant wäre es daher, mehr über
8
Zentral für Bourdieus Sichtweise auf die Gesellschaft ist daher der Begriff des Habitus. Dass
sich die meisten Beiträge im vorliegenden Band mit diesem Begriff auseinandersetzen, ist sicher
kein Zufall.
9
Auch die Weiterentwicklung von Bourdieus Schema des sozialen Raums in Vester et al.
(1993) scheint analytisch ebensoviel zu verdecken, wie sie aufschließt. »Milieus« zeigen momentane Allianzen, Ähnlichkeiten und Wahlverwandtschaften zwar besser an als drei Klassen,
dürften aber ein Verständnis und eine Voraussage neuer Gruppenbildungen nur dann ermöglichen, wenn sie mit einer Analyse der Felder verknüpft werden. Welchem Milieu beispielsweise
ist eine Universitätssekretärin zuzurechnen, die typischerweise mit einem Arbeiter verheiratet
ist? Sie hat wahrscheinlich mehr Kontakt mit Akademikern als mit Arbeitern und kennt sich in
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Rehbein
die Wirkungsweise des Habitus, über die Beziehung zwischen Ressourcen, Habitus und Feld sowie über das Verhältnis der Felder untereinander zu erfahren. Ich will hier nur kurz auf den letztgenannten Punkt
eingehen.
VI. Von der Dorfgemeinschaft zur Globalisierung
Während die Konstruktion eines »sozialen Raums« der Dorfgemeinschaft plausibel wirkt, stellt sie dem Verständnis der historischen Entwicklung kaum überwindbare Hindernisse entgegen. Empirisch deutet
alles darauf hin, dass sich die Dorfgemeinschaften in Südostasien nur
infolge des Kontakts mit anderen Gesellschaften verändert haben, und
zwar durch Konflikte um natürliche Ressourcen, um Menschen und
durch den Handel. Wo dabei die Grenzen eines sozialen Raums gezogen
werden, ist willkürlich. Die Globalisierung schafft eine ähnlich komplexe Ausgangslage. Die jüngste Entwicklung der laotischen Gesellschaft
wird keinesfalls aus sich selbst heraus verständlich, sondern nur mit
Rücksicht auf ihre regionalen Verflechtungen, auf die Präsenz internationaler Organisationen und die Interessen äußerer Mächte. Das Außen
der Gesellschaft ist hier gerade entscheidend, also das Außen des sozialen
Raums. Bourdieus Konzeption sieht aber kein Außen vor.10
Die Geschichte von Laos lässt sich als Entstehung und Zusammenspiel von Feldern erklären – sofern die Felder nicht auf isolierte Nationalstaaten beschränkt werden. Die Entstehung der ersten Felder kann
der Universitätswelt gut aus. Dennoch ist sie ‘selbstverständlich‘ nicht dem Milieu der Akademiker zuzurechnen, sondern dem der Kleinbürger – oder auch dem »hedonistischen Milieu«
oder dem »neuen Arbeitnehmermilieu« (siehe ebd. 22f). Ihre Lebensumstände und Einstellungen würden durch diese Zuordnung jedoch verdeckt. Der Feldbegriff schließt sie hingegen auf:
Die Sekretärin nimmt auf dem Feld der Universität eine bestimmte Position ein, auf dem Feld
der Wirtschaft eine andere, auf dem der Familie wieder eine andere usw. Erst die Gesamtheit
dieser verschiedenen Positionen (also der Ressourcen) und die Konjunktur der Felder machen
die Universitätssekretärin soziologisch verständlich.
10
In Bezug auf Südostasien hat der Sozialwissenschaftler Georges Condominas (1980: 11ff)
einen Begriff des sozialen Raums (»espace social«) entwickelt, der den hier angeführten Kriterien weit eher gerecht wird als der Bourdieus: Es handelt sich um die Umgebung der Gesellschaft. Leider definiert Condominas den Begriff vor allem geographisch, als natürliche Umwelt. Reichert man den Begriff mit soziologischen und politischen Komponenten an, könnte
ein interessantes Konzept entstehen, das allerdings mit Bourdieus Begriff nur noch bedingt zu
tun hätte.
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»Sozialer Raum« und Felder
mit dem Kontakt zwischen Dorfgemeinschaften und nomadischen
Gruppen und/ oder Händlern angesetzt werden.11 Aus dem Kontakt
entwickelten sich Unterschiede zwischen den Haushalten. Kaufleute
und Krieger waren die ersten Spezialisten, deren Tätigkeiten eigene Felder begründeten. Möglicherweise hatte es auch schon vorher Spezialisierungen gegeben, denen man eigene Felder zuordnen kann, aber sie lassen sich heute nicht mehr mit Gewissheit rekonstruieren. Aus dem
Handel und dem Krieg, der selbst wahrscheinlich zuerst um ökonomische Ressourcen geführt wurde, erwuchsen Unterschiede in den sozialen
Ressourcen, die jedoch relativ zum jeweiligen Feld blieben. Welche Art
von Ressource (also beispielsweise Alter, Kriegskunst, Reichtum) mehr
galt als andere, hing von der Konjunktur ab, die stark durch die Umgebung bestimmt wurde: beispielsweise ob es sich um ein kleines Dorf
handelte, ob Krieg herrschte, ob reichlich Platz und natürliche Ressourcen vorhanden waren.
Im 13. und 14. Jahrhundert existierten in Laos unmittelbar nebeneinander städtische Zentren mit einer immer differenzierteren Sozialstruktur, Dorfgemeinschaften und Nomadengruppen (vgl. Evans 2003).
Die Herrscher über die Städte dehnten ihre Macht aus, um schließlich
einen absolutistischen Staat zu gründen, der Wittfogels orientalischer
Despotie ähnelte. Zuvor hatten sich verschiedene Felder herausgebildet,
die noch eine gewisse Unabhängigkeit gegeneinander gehabt haben
könnten. Im absolutistischen Staat wurden sie von der Politik usurpiert.
Jeder Bewohner des Staates Laos (wahrscheinlich jeder erwachsene
Mann) erhielt von der Verwaltung eine bestimmte Rangstufe zugeteilt,
die eine gewisse, aber nicht ausschließliche Verbindung zum Landbesitz
hatte. Wohlgemerkt aber standen an der Spitze der Rangordnung nicht
die Großgrundbesitzer, sondern die soldatischen Gefolgsleute des Herrschers, denen entsprechend ihren Leistungen und ihrem Rang eine
Menge Land zugeteilt wurde. Die Macht des Staates war in Südostasien
allerdings weit geringer, als Wittfogel annahm. Die Dorfgemeinschaften
außerhalb der unmittelbaren Umgebung von Herrschaftszentren gerieten kaum unter den Einfluss des Staates. Und nur im Zusammenhang
mit dem Staat hatten politische Ressourcen einen Wert. Diese Gesellschaftsform bestand mit geringen Veränderungen bis zum Einmarsch
der Franzosen fort. (In Thailand sind Reste davon noch heute erhalten.)
Die Modernisierung kann als Versuch gedeutet werden, den Einfluss der
Felder von Politik und Wirtschaft zu erweitern. Die Franzosen wollten
11
Siehe hierzu und zum Folgenden beispielsweise das Standardwerk von Charles Higham
(1989).
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Rehbein
die politische Kontrolle bis in die abgelegensten Gebiete vorantreiben,
nicht zuletzt um sie für ihre Wirtschaft nutzbar zu machen – was ihnen
nicht gelungen ist.
VII. Dominanz des wirtschaftlichen Feldes
Nach Bourdieu ist es eine Tendenz der Geschichte, dass alle Felder eine
gewisse Autonomie gegeneinander gewinnen (z. B. 2000a: 16f; 2001f:
30). In der empirischen Forschung zeigt sich die Notwendigkeit, dieses
Postulat etwas genauer zu fassen. Zweifellos differenzieren sich die Felder aus, entwickeln sich zu eigenen abgeschlossenen »Spielen« und begründen eigene Systeme sozialer Positionen, die auf anderen Feldern
keine Geltung haben. Beispielsweise nehmen in der Dorfgemeinschaft
alle DorfbewohnerInnen an musikalischen Veranstaltungen teil, viele
vermögen zu singen oder ein Instrument zu spielen, und es gibt keine
professionellen Musiker. In der modernen Gesellschaft dagegen ist die
Musik ein Feld mit verschiedensten Unterfeldern und sozialen Positionen, um die SpezialistInnen regulierte Kämpfe ausfechten.
Gleichzeitig aber scheinen die sich ausdifferenzierenden Felder in der
Geschichte ihre Unabhängigkeit verloren zu haben, da sie immer mehr
unter die Herrschaft wirtschaftlicher Ziele geraten. Vielleicht wird das
wirtschaftliche Ziel verallgemeinert, während die Felder sich gleichzeitig
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»Sozialer Raum« und Felder
ausdifferenzieren. Das würde eine gewisse Homologie der Felder zum
Teil erklären. Auf dem Dorf wird zuerst alles als Einheit gesehen, die
segmentiert ist in sinnhafte Elemente. Wenn der wirtschaftliche Druck
sich verstärkt, wird alles unter dem Aspekt der Wirtschaft gesehen. Es
trennen sich die Felder, aber die Wirtschaft hat den Primat. Ein wichtiger Punkt ist zweifellos, dass es in einer Dorfgemeinschaft gar nicht genügend Menschen für eine Ausdifferenzierung der Felder gibt. Paradoxerweise macht die Integration erst die Ausdifferenzierung möglich. Jede
Tätigkeit wird Arbeit, jedes Ding wird Ware. Die Wirtschaft war natürlich schon vor der Entstehung des Staates eines der wichtigsten Felder.
Die Sicherung des Lebensunterhalts spielte immer eine große Rolle, aber
das Streben nach Gewinn scheint früher nur einen Teil der Handlungen
angeleitet zu haben. Auch heute noch haben viele LaotInnen kein Konzept von Wirtschaft im engeren Sinne. Sie arbeiten nur soviel wie nötig,
sie haben keine Vorstellung von Profit, kaum etwas wird als Ware angesehen, bei ihnen gilt die Leitlinie, genug zu bekommen. Die reicheren
StädterInnen dagegen wollen soviel wie möglich. Immer mehr Handlungen und Gegenstände werden in Laos unter dem Aspekt des Gewinns
betrachtet. Die Veränderung könnte eben so gedeutet werden, dass die
Ziele des Handelns aus dem Feld der Wirtschaft in die anderen Felder
vordringen, und dieser Prozess beginnt das Land erst jetzt richtig zu erfassen.
Die Globalisierung in Laos kann unter anderem als Universalisierung
des Feldes der Wirtschaft gefasst werden. Auch das Feld der Politik
wurde stark ausgedehnt, vor allem durch die Franzosen und die Sozialisten. Max Weber scheint hier die unmittelbar einleuchtende Antwort zu
geben, wenn er den Staat mittels des Monopols über die Ausübung physischer Gewalt bestimmt. Es läge nahe, die dominierende Funktion der
Wirtschaft ähnlich zu fassen, weil sie das Feld ist, auf dem der Lebensunterhalt gewonnen wird. Dieser Punkt mag wichtig sein, er unterschlägt aber, dass Produktion, Konsumtion und Zirkulation vielfältig
kulturell vermittelt sind. Auf den ersten Blick ist selbstverständlich, dass
Herrschaft über die Produktionsmittel auch Herrschaft über den Lebensunterhalt anderer bedeutet. Wie und von wem aber wird diese
Herrschaft konkret errungen und verteidigt? In Laos handelt es sich bei
den ersten Kapitalisten um Ausländer (Chinesen, Vietnamesen und
Thais), die ersten Reichen sind Funktionäre. Nun muss gefragt werden,
wie ausländische AkteurInnen (KapitalistInnen, VertreterInnen internationaler Organisationen und regionaler Regierungen) mit sozialen AkteurInnen in Laos – ihrer doxa und illusio entsprechend – an der Aus-
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Rehbein
dehnung des wirtschaftlichen Feldes arbeiten. Das erörtere ich an anderer Stelle (Rehbein 2004).
VIII. Schluss
Nach der Erörterung des Widerspruchs zwischen der Konzeption des
sozialen Raums und der des Feldes konnte ich hoffentlich einige Vorzüge des Feldbegriffs verdeutlichen. Ich hoffe, darüber hinaus – sehr tentativ – skizziert zu haben, wie sich eine historische Entwicklung mit
Hilfe dieses Begriffs aufschlüsseln lässt. Ob er sich auch auf Probleme
anwenden ließe, die ganz außerhalb von Bourdieus Interesse standen, ist
schwer zu sagen. Bei denjenigen zwischenmenschlichen Beziehungen,
die nicht auf Kämpfe reduzierbar sind, könnte es schwierig werden. In
Bezug auf transnationale bzw. internationale Beziehungen erscheint es
eher möglich. Die Globalisierung erfordert eine Begrifflichkeit für das
Verhältnis von Gesellschaften untereinander, die auf der Basis von
Bourdieus Konzeption der Felder entwickelt werden könnte, seine Konzeption des sozialen Raums hingegen fragwürdig erscheinen lässt.
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