1 Vom Doing Gender zum Doing Culture. Die Sozialtheorie

Werbung
Auf journalismustheoretischer Ebene stellt die Bearbeitung dieser Fragen einen Beitrag zur
Vom Doing Gender zum Doing Culture.
Die Sozialtheorie Bourdieus als Analyseperspektive für die kultursoziologische
Journalismusforschung.
Weiterentwicklung der kulturorientierten Journalismusforschung dar. In dieser ForschungsWiebke Schoon
Paper für die Tagung:
GENDER, QUEER UND MEDIEN – GEGENWÄRTIGE ANSÄTZE UND PERSPEKTIVEN.
5.-7. November 2009, Universität Hamburg
richtung lässt sich insbesondere auf Ebene der journalistischen Produktion und der Verschränkung dieser Ebene mit der Inhaltsebene eine Lücke konstatieren. Mein Vorschlag ist es,
diese Lücke durch die Integration der Sozialtheorie Bourdieus etwas zu verkleinern. Ich ver-
___________________________________________________________________________
Das Berufsfeld Journalismus ist in Deutschland – ebenso wie in anderen industrialisierten
suche zu zeigen, dass der Bourdieu’sche Ansatz eine erkenntnisgewinnende Perspektive ist,
um die komplexen Zusammenhänge zu systematisieren, zu rekonstruieren und in einen gesellschaftstheoretischen Rahmen einzubetten.3
Ländern – geschlechtshierarchisch strukturiert: Deutlich wird diese Strukturierung an empirischen Daten zum sinkenden Frauenanteil auf höheren Hierarchiestufen und im zeitlichen Kar-
Aus dieser Perspektive ist davon auszugehen, dass die genannten geschlechtsbezogenen Un-
riereverlauf sowie an geschlechtsgebundenen Einkommensunterschieden. Weitere Differen-
gleichheiten nicht als Sonderfall zu sehen sind. Stattdessen stellt das Gendering ein prägnan-
zen lassen sich in einer höheren Qualifikation von den mehrheitlich weiblichen Berufsanfän-
tes Beispiel für die prozesshafte Ausgestaltung von Machtverhältnissen dar. Diese Sichtweise
gern ausmachen. Andere Daten zeigen hingegen, dass sich Journalistinnen von ihren männli-
eröffnet Chancen in zweierlei Hinsicht: Erstens ist sie eine Basis dafür, geschlechtsbezogene
chen Kollegen weder in ihren Karriereambitionen noch in ihren Wünschen bzgl. der Ressort-
Ungleichheiten nicht in einem wissenschaftlichen Spezialgebiet ‚abzuhaken’ ohne umliegen-
zugehörigkeit unterscheiden.
1
de Forschungsfelder zu tangieren. Zweitens bietet sie einen fruchtbaren Ausgangspunkt für
Erklärungen für die ungleiche Situation von Journalistinnen und Journalisten hat die
die Erforschung von Macht- und Herrschaftslogiken insgesamt.
gendersensible Kommunikatorforschung herausgearbeitet. Sie beziehen sich auf strukturelle
und informelle Diskriminierungen und lassen sich mit folgenden Schlagworten umreißen:
Die Analyse des Gendering im Berufsfeld Journalismus ist nicht im engen Sinne spezifisch
Konstruktion einer ‚männlich’ konnotierten journalistischen Persönlichkeit, Selbstverständnis
für den Journalismus, sind doch in anderen gesellschaftlichen Feldern ähnliche Prozesse der
der unbegrenzten zeitlichen Verfügbarkeit, Konkurrenzkultur, ‚männlich’ dominiertes Ar-
ungleichen Machtverteilung zu beobachten. Dennoch ist dieses Feld besonders relevant, weil
beitsklima, intransparente Karriereschritte, homosozial geprägte Netzwerke und ein mehr oder
die Prozesse, die im journalistischen Feld ablaufen, Auswirkungen auch auf andere soziale
minder subtiler Sexismus, der sich in Erwartungen zum vermeintlich ‚weiblichen’ Sozialcha-
Felder haben: Durch Themenauswahl, Darstellungsweisen, aber auch Nicht-Thematisierung
rakter und in sexueller Belästigung äußert. Mit Blick auf das Gendering in den journalisti-
bestimmter Ereignisse und Prozesse übt Journalismus Macht aus. Denn Journalismus ist – als
schen Inhalten ist eine Wirklichkeitskonstruktion zu konstatieren, die ebenfalls geschlechts-
wesentlicher Bereich gesellschaftlicher Bedeutungsproduktion und -zirkulation – eine zentrale
hierarchisch strukturiert ist.2
Klassifikationseinrichtung der Gesellschaft. Ebenso wie die Wissenschaft kann Journalismus
als eine ‚normalisierende Wahrheitsinstanz’4 bezeichnet werden. Beide Gesellschaftsbereiche
Im Folgenden möchte ich der Frage nachgehen, wie die fortdauernden geschlechtsspezifi-
stellen Ressourcen für die Gestaltung der (unter anderem geschlechtlichen) Differenzierungen
schen Ungleichheiten im journalistischen (Berufs-)Feld theoretisch kohärent erfasst werden
bereit und fungieren als normierende Diskursvermittler und -gestalter.
können und welche Mechanismen der Absicherung dieser Hierarchie dienen. Darüber hinaus
möchte ich thematisieren, welche Veränderungspotenziale ausgemacht und durch kritische
Die Auseinandersetzung mit der Sozialtheorie Bourdieus hält für die allgemeine Geschlech-
Beiträge aus der Wissenschaft forciert werden können.
terforschung, die kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung und die geschlechtssensible Journalismusforschung weiterführende Anregungen bereit. Dies möchte ich
1
2
im Folgenden mit Schwerpunkt auf den theoretischen Konzepten des Habitus, des Feldes so-
vgl. Scholl/Weischenberg 1998, Weischenberg/Malik/Scholl 2006, Schwenk 2006
vgl. zusammenfassend Klaus 2005
3
4
1
für eine ausführliche Herleitung und Bearbeitung dieses Ansatzes siehe Schoon 2009
Villa 2006: 138
2
wie des Kapitals skizzieren und zur Diskussion stellen. Besonderer Fokus soll daran anschlie-
Die vom Habitus generierte Praxis findet in einem strukturierten Rahmen statt, den Bourdieu
ßend auf dem analytischen Potenzial des Konzepts der symbolischen Macht liegen. Ich bezie-
als soziales Feld bezeichnet. Zwischen Habitus und Feld besteht Bourdieus Auffassung nach
he mich damit also nicht auf Bourdieus eigene Analyse zum Geschlechterverhältnis, da die
ein Komplementärverhältnis. Dabei stehen die internen Habitusstrukturen auf der einen Seite
von ihm diskutierte „männliche Herrschaft“5 zu Recht als überhistorisch, dualistisch und uni-
und die externen, objektiven Strukturen des Feldes auf der anderen Seite. Beide stabilisieren
versales Konstrukt kritisiert wird.
6
oder modifizieren einander gegenseitig. Dieses Komplementärverhältnis zwischen Habitus
und Feld erklärt, wie die Selbstverständlichkeit und Natürlichkeit der alltäglichen Wahrneh-
Das Habituskonzept erlaubt eine Vorstellung vom vergesellschafteten Individuum, dessen
mung und des Denkens zustande kommt (Bourdieu nennt dies ‚Doxa’). Diese ‚Komplizen-
Handeln nicht nur situationsspezifisch, sondern prozessual erfasst wird. Das soziale Subjekt
schaft’ zwischen Habitus und Feld erklärt auch die generelle Trägheit des habituellen Wan-
wird nicht als Träger mehrerer funktional gegliederter Rollen gedacht, sondern es hat ledig-
dels (den Bourdieu ‚Hysteresis’ nennt). In ausdifferenzierten, pluralistischen Gesellschaften
lich einen Habitus, der in verschiedenen sozialen Kontexten wirksam wird und so dem Han-
ist es jedoch wahrscheinlich, dass der Habitus unter Verhältnissen zur Anwendung kommt,
deln des Individuums eine systematische Kohärenz verleiht. Dieser Habitus ist in unserer Ge-
die sich sehr von seiner ursprünglichen Genese unterscheiden. Wenn die habituellen Erwar-
sellschaft vergeschlechtlicht, aber nicht nur das: In ihm verflechten sich Dimensionen der
tungsstrukturen enttäuscht und damit die herkömmlichen Denkschemata fragwürdig werden,
sozialen Geschlechterordnung mit Dimensionen der Klassenlage, der ethnischen Zugehörig-
kann statt der Reproduktion gesellschaftlicher oder feldspezifischer Verhältnisse Transforma-
keit und anderen sozialen beziehungsweise kulturellen Differenzierungen. Das „soziologische
tion die Folge sein. Zudem ist es wahrscheinlich, dass bereits frühe, prägende Erfahrungen
7
Menschenbild“ , welches in diesem Konstrukt deutlich wird, ist in der sozialen Praxis veran-
und auch Erfahrungen während der sozialen Laufbahn heterogen und widersprüchlich sind. In
kert und der empirischen Realität näher als das körperlose und asexuelle Konstrukt der sozia-
diesem Fall sind sozusagen „Sprengsätze im Habitus“11 angelegt. Mit anderen Worten: Die
len Rolle. Bourdieu definiert Habitusformen sehr allgemein als „Systeme dauerhafter Disposi-
Macht des Habitus wird in Zeiten des Wandels geringer.
tionen“ und als „Erzeugungs- und Strukturierungsprinzip von Praxisformen und Repräsentationen“8. Zentral ist, dass jeder Akteur – beziehungsweise sein Habitus – gesellschaftlich und
Als theoretisches Kriterium zur Differenzierung der Felder und als Verbindung zwischen den
gruppenspezifisch prädeterminiert ist. Durch diese gesellschaftliche Bedingung gewährleistet
Begriffen des Habitus und des Feldes fungiert der Kapitalbegriff. Die Struktur eines Feldes ist
der Habitus „die aktive Präsenz früherer Erfahrungen, die sich in jedem Organismus in Ges-
durch den momentanen Stand der Verteilungsstruktur des spezifischen Kapitals zwischen den
9
talt von Wahrnehmungs-, Denk- und Handlungsschemata niederschlagen“ . Ein Aspekt des
Akteuren und Gruppen bestimmt. Die Kapitalarten fungieren als „Verfügungsmacht im Rah-
Habitus ist damit seine Eigenschaft als „eine Art psychosomatisches Gedächtnis“10: Bourdieu
men eines Feldes“12, die sozialen Akteure als Kapitalbesitzer sind die Strukturelemente. So
bezeichnet die Haltung des Körpers, das leibliche Bewegen in der sozialen Welt als ‚Hexis’.
entstehen um die kapitalstarken Akteure Kraft- und Machtzentren. Dynamisch und im Wandel
Damit meint er, dass die soziale Ordnung im Körper gleichzeitig symbolisiert und verwirk-
begriffen sind die Felder aufgrund des Kampfes um die Kapitalverteilung und um die Legiti-
licht ist und die soziale Vergangenheit in ihm fortlebt. Der Fokus liegt dabei für Bourdieu
mität der feldspezifischen Regeln. Die grundlegenden Formen des Kapitals sind neben dem
nicht auf individuellen Handlungen, sondern auf gruppenspezifischen Handlungsformen.
ökonomischen Kapital, das kulturelle Kapital (zum Beispiel Bildung) und das soziale Kapital
(wie beispielsweise Netzwerke). Das symbolische Kapital, dessen Wirksamkeit auf der gesellschaftlichen Anerkennung beruht, ist zu verstehen als – unter anderem auch medial vermittelte – Wertschätzung und als anerkannte Form der anderen Kapitalarten. Eine wichtige
Rolle spielt das symbolische Kapital bei der Legitimation gesamtgesellschaftlicher und feld-
5
Bourdieu 2005
vgl. Rademacher 2002, Kröhnert-Othmann/Lenz 2002; zur weiterführenden Kritik siehe auch Feministische
Studien 2002, Heft 2: 281-300
7
Schwingel 2005: 61
8
Bourdieu 1976: 165. Sofern nicht anders in der jeweiligen Fußnote vermerkt, sind die Kursivsetzungen und
andere Hervorhebungen in Zitaten aus der Originalquelle übernommen.
9
Bourdieu 1987: 101
10
Rehbein 2006: 90
6
spezifischer Macht- und Herrschaftsverhältnisse.
11
12
3
Krais 2004: 104
Bourdieu 1985: 10
4
Eng verknüpft mit dem symbolischen Kapital ist das Konzept der symbolischen Macht. Damit
spezifischer Habitus generiert sowie eine von den Akteuren geteilte so genannte ‚Illusio‘, das
beschreibt Bourdieu eine anerkannte, legitimierte Form von Macht, deren Willkürlichkeit
heißt der feldspezifische Glaube an die Regeln und deren Sinnhaftigkeit.
verkannt wird und die in ihrer Anwendung gemeinhin nicht als Nötigung wahrgenommen
Das analytische Konzept des Habitus‘ ermöglicht grundlegend andere Einsichten als
wird. Bourdieu zufolge vollziehen sich Legitimationsprozesse vorrangig stillschweigend und
das soziologisch und journalismustheoretisch dominante Konzept der sozialen Rolle: Eine
unbemerkt auf der Ebene des Erkennens und Anerkennens. In diesem Sinne handelt es sich
Gegenüberstellung von Gesellschaft und Individuum – oder konkreter – eine Gegenüberstel-
bei der Ausübung symbolischer Macht um eine subtile Form der Herrschaft. Sie manifestiert
lung von äußerer gesellschaftlicher Bezugsebene und innerem journalistischen Funktions- und
sich vorrangig in sozialen Klassifizierungen, die mit spezifischen Bedeutungen verknüpft
Rollenzusammenhang14 ist aus dieser Perspektive nicht denkbar. Mittels der Bourdieu’schen
werden. Ein zentrales Medium der symbolischen Macht ist damit die Sprache, mittels der
Konzepte lassen sich die sozialen Praktiken der Journalisten und der Journalistinnen als posi-
Menschen, Ereignisse und Eigenschaften sozial getrennt und eingeordnet werden. Am wirk-
tionsbedingte Strategien und Mechanismen des sozialen Feldes veranschaulichen, welche
samsten (weil am subtilsten und ‚verkanntesten’) ist diese Macht dann, wenn der Habitus –
nicht auf einer rationalen Logik beruhen, sondern auf dem oftmals unbewussten, aber strategi-
die subjektiven und kognitiven Strukturen – mit den objektiven Verhältnissen im Einklang ist,
schen sozialen Sinn. Zentral für den feldspezifischen Erfolg ist die Umwandlung von kulturel-
wenn inkorporiert (auch im Sinne von somatisiert) ist, ‚was sich gehört’. Wenn die Wahr-
lem und sozialem Kapital in feldspezifisches symbolisches Kapital (das heißt in Anerken-
nehmungs- und Teilungsprinzipien im Habitus der Akteure verinnerlicht sind, sind die sozio-
nung). In der Genese des journalistischen Feldes und der Entwicklung von feldspezifischen
kulturellen Begebenheiten nicht Gegenstand bewusster Reflexion, sondern werden fraglos als
sozialen Praktiken lässt sich eine wechselseitige Konstitution von traditionell männlichem
selbstverständlich akzeptiert und von den Akteuren verkörpert und reproduziert. Damit sind
Habitus und feldspezifischer Anerkennung aufzeigen. Unter bisherigen Bedingungen erfährt
die Habitūs differenziert und wirken gleichzeitig differenzierend. In dieser Logik sieht Bour-
das kulturelle Kapital von Journalistinnen mehrheitlich einen Transformationsverlust, denn
dieu den Schlüssel für die Erklärung der Beharrlichkeit der sozialen Ordnung. Um die Me-
höhere Bildung und Qualifikation bei Berufseintritt führen nicht zu besseren Karrierechancen.
chanismen dieser modernen Herrschaftsform zu verstehen und letztlich ihre Logik zu durch-
Außerdem geht der traditionelle beziehungsweise zugeschriebene weibliche Habitus nicht
13
brechen, ist es seiner Meinung nach „das politisch Allerdringlichste“ , eine allgemeine Theo-
konform mit der Illusio des Feldes und dem Habitus der erfolgreichen Akteure. Erkennbar ist
rie der symbolischen Herrschaft zu konstruieren. Die Analyse der hierarchisierenden Ge-
dies beispielsweise am redaktionellen Ethos der unbegrenzten zeitlichen Verfügbarkeit und
schlechterklassifikationen als symbolische und somatisierte Herrschaftsverhältnisse betrachtet
der weit verbreiteten Auffassung des Berufs als Lebensform. Unschwer lässt sich der Trans-
er dafür als den adäquaten Ausgangspunkt.
formationsverlust auch an der abwertenden Beschreibung zur ‚Feminisierung’ bestimmter
Allerdings fokussiert Bourdieu auf die Formen und Mechanismen der dauerhaften, in-
Teile des Berufsfeldes erkennen. Historische Analysen zeigen, dass die vergeschlechtlichte
stitutionalisierten Machtausübung im Sinne von Herrschaft. In Bezug auf das Gendering ist es
Logik des Feldes eine Verbindung von anerkannten Tätigkeiten mit mehrheitlich von Män-
hingegen angebracht, stärker zwischen Herrschaft – Macht – und Gewalt zu differenzieren.
nern besetzten Positionen gewährleistet. Welche thematischen Bereiche von diesen Positionen
Nötig wird dies, damit nicht nur die Konstanz, sondern auch die derzeitigen Wandlungspro-
aus bearbeitet werden, variiert im Laufe der Zeit. Recht stabil bleibt aber bislang die Verbin-
zesse zu erfassen sind. In diesem Punkt ist eine theoretische Weiterentwicklung des Konzepts
dung von dem, was gesellschaftlich und im journalistischen Feld als ‚guter Journalismus’ gilt
der symbolischen Macht wünschens- und lohnenswert.
mit den jeweils vorherrschenden Definitionen von Männlichkeit.15
Wie wirkt sich die symbolische Macht im Feld Journalismus konkret aus?
All die subtilen Ausschlussmechanismen, die die geschlechtssensible Kommunikationswis-
Journalismus lässt sich aus dieser Perspektive als ein Feld begreifen, welches gekennzeichnet
senschaft herausgearbeitet hat, sind als Erhaltungsstrategien zu verstehen und können vor der
ist durch spezifische Regeln und Ressourcen (Kapitalsorten). Innerhalb dieses Feldes wird ein
Folie der Sozialtheorie Bourdieus re-interpretiert werden. Die einander entgegengesetzten
Konstruktionen von journalistischer Professionalität und traditioneller weiblicher Identität
14
13
15
Bourdieu 1997b: 220
5
vgl. Keuneke/Kriener/Meckel 1997
vgl. Djerf-Pierre 2007
6
führen dazu, dass Journalistinnen oftmals eine fragmentiertere Identität als ihre männlichen
schlechtergruppen können aus dieser Perspektive analysiert werden. Damit geraten die kon-
Kollegen entwickeln. Die darauf aufbauende Diskussion um das Spannungsfeld zwischen
textabhängige Flexibilität und Wirksamkeit der vergeschlechtlichten Habitūs in den Blick.
Anpassungsdruck an ‚männliche’ Standards und Abweichung durch ‚weibliches’ Agieren
Fragen, die sich aus diesem Blickwinkel stellen lassen und in empirischer Analyse beantwor-
lässt sich vor dem Hintergrund symbolischer Macht explizieren: Journalistinnen können sich
tet werden können, sind dementsprechend: In Bezug auf welche feld- und kontextbezogenen
16
gemeinhin weniger als Journalisten einfach „wie Fische im Wasser bewegen“ . Dies ist das
Tätigkeiten, Arbeitsteilungen und Hierarchien werden Klassifikationen nach Geschlecht,
Bild, das Bourdieu für die vollständige Übereinstimmung von feldspezifischen und habituel-
Klasse, Ethnizität etc. eingesetzt und mit welchen ab- oder aufwertenden Bedeutungen wer-
len Strukturen verwendet. Die identitäre Verunsicherung kann dazu führen, dass Frauen stär-
den sie dabei versehen? Unter welchen Bedingungen lässt sich ökonomisches, kulturelles und
ker an sich und ihren Fähigkeiten zweifeln. Aus ihr kann aber auch eine bewusste, weil dis-
soziales Kapital in feldspezifische Anerkennung, in symbolisches Kapital umwandeln? Wo-
tanzierte Auseinandersetzung mit den Regeln und dem feldspezifischen Glauben erfolgen.
durch zeichnen sich Situationen aus, in der eine solche Umwandlung nicht gelingt? Anzu-
Eine solche kritische Auseinandersetzung (vom Rand des Feldes aus) ist natürlich nicht nur
nehmen ist aus dieser Perspektive beispielsweise, dass Ausschlussmechanismen, die Migran-
Frauen möglich, sondern all jenen, denen die dominante Kultur und die Illusio nicht behagen
tInnen im journalistischen Berufsfeld betreffen19, nicht auf einen Mangel an ökonomischem,
– all jenen, deren Habitus nicht so sehr mit der Illusio des Feldes verschmolzen ist. Demnach
kulturellem, sozialem Kapital zurückzuführen sind, sondern vielmehr auf eine Nicht-
handelt es sich um positionsgebundene und nicht um geschlechtsgebundene Praktiken. Lang-
Konvertierbarkeit dieser (weiter zu differenzierenden)20 Kapitalsorten in feldspezifisches
fristig angelegte empirische Analysen zur Weiterentwicklung dieser Konzeptionalisierung
symbolisches Kapital. Das bedeutet: Verweigerung der Anerkennung durch diejenigen Akteu-
sollten Aufschluss darüber geben, wie die Inkorporierung feldspezifischer Strukturen vonstat-
re im Feld, die mit großer symbolischer Macht und damit mit dominierender Deutungsmacht
ten geht und wie andersherum feldspezifische Strukturen durch soziale Praktiken der Akteure
ausgestattet sind.21
verändert werden. Schließlich sind Frauen nicht mehr nur am Rand des Feldes und nehmen
marginalisierte Positionen ein, sondern rücken in die Mitte des journalistischen Feldes und
Erfassen lässt sich aus dieser Perspektive aber auch, dass langfristig gesehen das Potenzial
gestalten es von den erlangten kapitalstärkeren Positionen aus mit. In diesen oberen Hierar-
besteht, dass sich durch neue Akteure, die dem Feld Journalismus beitreten, die Kräftever-
chieebenen verlieren die geschlechtsspezifischen Unterschiede bezüglich des kulturellen Ka-
hältnisse innerhalb des Berufsfelds ändern. Das liegt insbesondere daran, dass der Habitus der
pitals, die noch bei Berufseintritt von Bedeutung sind, an Gewicht – das zeigen empirische
Akteure nicht nur durch die feldspezifische Sozialisation geprägt ist, sondern im Habitus auch
Daten. Stattdessen zeichnen sich Frauen, die es an die Spitze der Medienelite geschafft haben,
Erfahrungen zusammenfließen, die Akteure in verschiedenen anderen Feldern sammeln. Das
durch eine große Ansammlung sozialen Kapitals aus.17 Die steigende Bedeutung des sozialen
bedeutet: Durch die zunehmende Teilnahme und Gestaltung des ‚journalistischen Spiels’
Kapitals leuchtet unmittelbar ein, wenn man bedenkt, wie sehr das Berufsfeld durch unkalku-
durch Journalistinnen kann sich das gesamte Feld samt seiner Regeln und Einsätze verändern.
lierbare Karriereschritte und informelle Beziehungsnetzwerke bestimmt ist und welche gerin-
Symbolische Macht ist also nicht nur in negativer Bestimmung als Gewalt oder Herrschaft,
ge Bedeutung systematische Weiterbildung hat.18
sondern auch als positiv zu deutende Gestaltungsmacht zu verstehen.
Eine verfeinerte Analyse der Kapitalstruktur der journalistischen Akteure kann ein Ausgangs-
Darüber hinaus lässt sich aus dem Konzept der symbolischen Macht auch eine Aufgabe für
punkt für die Analyse anderer Dominanzverhältnisse sowie komplexer Verschränkungen ver-
die geschlechtssensible Wissenschaft ableiten: Da die symbolische Herrschaft ihre Macht
schiedener Differenzkategorien sein. Nicht nur die Unterschiede in der Kapitalstruktur zwi-
19
schen Journalistinnen und Journalisten, sondern auch die Unterschiede innerhalb der Ge-
16
17
18
Bourdieu 1992: 115
vgl. Djerf-Pierre 2005
vgl. Lünenborg 1997: 183, Robinson 2005: 68
7
vgl. Röben 2008
beispielsweise lässt sich kulturelles Kapital differenzieren in objektiviertes, inkorporiertes und institutionalisiertes Kapital, ferner in gesamtgesellschaftliches, gruppen- und feldspezifisches Kapital; soziales Kapital ließe
sich differenzieren in berufliche Netzwerke und familiär-freundschaftliche Unterstützung
21
Auch die spezifische Körperlichkeit des sozialen Handelns kann mit dem Habituskonzept erfasst werden. Eine
Analyse der Körpersprache wäre deshalb besonders interessant und ein möglicher Erklärungsfaktor für die Beharrlichkeit der Geschlechterhierarchie. Auch die Wahrnehmung und oftmals stereotype Deutung von Unterscheidungen bezüglich anderer kategorialer Zuschreibungen wie Ethnizität und Alter sind auf zentrale Art und
Weise an die Körperlichkeit gebunden.
20
8
unter anderem aus der Verkennung zieht, sie zu einem großem Teil auf unreflektierten Denk-
und empirischer Ebene Beachtung verdient, lautet: Unter welchen Bedingungen wird aus dem
schemata beruht, ist die Entschleierung der Machtverhältnisse und der Mechanismen nötig,
Doing Gender, Doing Difference oder Doing Culture nicht gleichzeitig ein Doing Hierarchy?
um den zirkulären Prozess der Reproduktion der symbolischen Ordnung zu durchbrechen.
Zu diskutieren wäre also, wann aus Unterschieden Ungleichwertigkeiten werden und ob,
Aufgabe der Wissenschaft ist es demnach, den in der Praxis unhinterfragten Selbstverständ-
wann und wo ‚egalitäre Differenz’24 denkbar und empirisch nachweisbar ist.
lichkeiten ihren konstruierten Charakter wiederzugeben und Möglichkeiten zur Veränderung
aufzuzeigen. Bezüglich des Gendering im Journalismus bedeutet dies beispielsweise eine um-
Fazit
fassende Sensibilisierung dafür, wie sich das hierarchische Geschlechterverhältnis unter dem
Die Soziologie Bourdieus eröffnet eine Perspektive, die den Akteur als vergesellschaftet be-
Deckmantel vermeintlich geschlechtsneutraler, professioneller Normen (wie zum Beispiel
trachtet, die Körperlichkeit berücksichtigt und nach der das soziale Handeln nicht auf einer
dem Objektivitätspostulat) reproduziert und welche qualitativen Vorteile eine geschlechterge-
rationalen Logik beruht, sondern auf dem unbewussten, aber strategischen sozialen Sinn. Das
rechte Berichterstattung hat.
Doing Gender beziehungsweise das Doing Culture ist damit begreifbar als Handeln des Individuums und als gesamtgesellschaftlich und feldspezifisch vorstrukturierte und veränderbare
Deutlich wird damit die ‚Wahlverwandtschaft’22 zwischen der gesellschaftstheoretisch ausge-
soziale Praxis. Die diachron-dynamische Perspektive der Konzepte des Feldes und des Habi-
richteten Geschlechterforschung und der Sozialtheorie Bourdieus: Der Fokus liegt hier wie da
tus’ erweisen sich als fruchtbar, um die zeitliche Entwicklung und sowohl Kontinuitäten als
auf den Mechanismen der Hervorbringung von kategorialen Identitäten und den konkreten
auch Veränderungen im Feld Journalismus zu analysieren. Das Konzept der symbolischen
Entstehungs- und Anwendungsbedingungen sozialer Praxis. Zentral bei beiden Perspektiven
Macht bietet einerseits Erklärungsmuster für die Beharrlichkeit hierarchisierender Machtver-
sind die Analyse von Differenzierungsprozessen sowie Prozessen der Herstellung von
hältnisse und eröffnet andererseits eine Perspektive auf Veränderungen und Machtverschie-
Ungleichheits- und Machtverhältnissen. Beide Perspektiven sind zudem gesellschafts- und
bungen. Inwiefern die Geschlechts- und andere Zugehörigkeiten in konkreten Situationen und
wissenschaftskritische Projekte in dem Sinne, dass sie Machtverhältnisse nicht nur analysie-
Zusammenhängen in dem Berufsfeld wirken, ist in der jeweiligen sozialen Praxis festge-
ren, sondern auch die ihnen zugrunde liegenden Denk- und Sichtweisen offenlegen und Kate-
schrieben und bedarf aktueller empirischer Untersuchungen. Ich habe zu zeigen versucht, dass
gorisierungen infrage stellen. Beide betonen, dass Erkenntnismittel zu Erkenntnisgegenstän-
die Begrifflichkeiten und die theoretische Perspektive Bourdieus dafür einen geeigneten, in-
den gemacht werden sollten und beide Ansätze treffen sich in dem Anspruch, die Logiken der
tegrierenden Rahmen bieten.
Wissensproduktion, den eigenen Standpunkt und die Grenzen der Erkenntnismöglichkeiten zu
reflektieren. Sowohl die Sozialtheorie Bourdieus als auch die Geschlechterforschung zeichnen
sich aus durch ein hohes Maß an (Selbst-)Reflexivität.23
Literatur
Das Doing Gender kann in diesem theoretischen Rahmen als Ausgangspunkt für die Analyse
Bock, Ulla/Dölling, Irene/Krais, Beate (Hg.) (2007): Prekäre Transformationen. Pierre Bourdieus Soziologie der
Praxis und ihre Herausforderungen für die Frauen- und Geschlechterforschung. Querelles. Jahrbuch für Frauenund Geschlechterforschung Göttingen.
andersartiger Differenzierungen und Dominanzverhältnisse sowie komplexer Verschränkungen dieser Kategorisierungen dienen. Die Differenzierungen habe ich im Vortragstitel unter
dem Sammelbegriff Doing Culture zusammengefasst, weil Differenz ein selbstverständlicher,
Bourdieu, Pierre (1976): Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen
Gesellschaft. Frankfurt am Main.
Bourdieu, Pierre (1985): Sozialer Raum und Klassen. Frankfurt am Main.
Bourdieu, Pierre (1987): Sozialer Sinn. Frankfurt am Main.
alltäglicher und konstitutiver Bestandteil von Kultur im Allgemeinen darstellt. Dies wird un-
Bourdieu, Pierre (1992): Rede und Antwort. Frankfurt am Main.
ter anderem in den soziologischen Konzepten zum Kosmopolitismus und in kulturtheoreti-
Bourdieu, Pierre (1997a): Ein alltägliches Spiel. Eine sanfte Gewalt. Pierre Bourdieu im Gespräch mit Irene
Dölling und Margarete Steinrücke. In: Dölling, Irene/Beate Krais (Hg.): Ein alltägliches Spiel: Geschlechterkonstruktion in der sozialen Praxis. Frankfurt am Main: 218-230.
schen Arbeiten zur Trans- und Plurikulturalität verfolgt. Eine Frage, die ich in diesem Zusammenhang gerne zur Diskussion stellen möchte und die meines Erachtens auf theoretischer
22
23
Krais 2002, s. weiterführend auch Bock/Dölling/Krais 2007
vgl. z.B. Hark 2009, Bourdieu 1997a
24
9
Kröhnert-Othmann/Lenz 2002: 168
10
Bourdieu, Pierre (1997b): Eine sanfte Gewalt. Pierre Bourdieu im Gespräch mit Irene Dölling und Margarete
Steinrücke. In: Dölling, Irene/Beate Krais (Hg.): Ein alltägliches Spiel: Geschlechterkonstruktion in der sozialen
Praxis. Frankfurt am Main: 218-230.
Bourdieu, Pierre (2005): Die männliche Herrschaft. Frankfurt am Main.
Djerf-Pierre, Monika (2005): Lonely at the top. Gendered media elites in Sweden. In: Journalism 6, 3: 265-290.
Djerf-Pierre, Monika (2007): The Gender of Journalism. The Structure and Logic of the Field in the Twentieth
Century. In: Nordicom Review, Jubilee Issue: 81-104.
Feminstische Studien 2002, Heft 2
Hark, Sabine. (2009). Was ist und wozu Kritik? Über Möglichkeiten und Grenzen feministischer Kritik heute.
Feministische Studien, 27, 1: 22-35.
Keuneke, Susanne/Markus Kriener/Miriam Meckel (1997): Von Gleichem und Ungleichem. Frauen im Journalismus. In: Rundfunk und Fernsehen 45, 1: 30-45.
Klaus, Elisabeth (2005): Kommunikationswissenschaftliche Geschlechterforschung. Zur Bedeutung der Frauen
in den Massenmedien und im Journalismus. Aktualisierte und korrigierte Neuauflage. Wien.
Krais, Beate (2002): Die feministische Debatte und die Soziologie Pierre Bourdieus: Eine Wahlverwandtschaft.
In: Knapp, Gudrun-Axeli/Angelika Wetterer (Hg.): Soziale Verortung der Geschlechter: Gesellschaftstheorie
und feministische Kritik. 2. Auflage. Münster: 317-338.
Krais, Beate (2004): Habitus und soziale Praxis. In: Steinrücke, Margareta (Hg.): Pierre Bourdieu. Politisches
Forschen, Denken und Eingreifen. Hamburg: 91-106.
Kröhnert-Othmann, Susanne/Ilse Lenz (2002): Geschlecht und Ethnizität bei Pierre Bourdieu. Kämpfe um Anerkennung und symbolische Regulation. In: Bittlingmayer, Uwe H. et al. (Hg.): Theorie als Kampf? Zur politischen Soziologie Pierre Bourdieus. Opladen: 159-178.
Lünenborg, Margreth (1997): Journalistinnen in Europa. Eine international vergleichende Analyse zum Gendering im sozialen System Journalismus. Opladen.
Rademacher, Claudia (2002): Jenseits männlicher Herrschaft. Pierre Bourdieus Konzept einer Geschlechterpolitik. In: Bittlingmayer, Uwe H. et al. (Hg.): Theorie als Kampf? Zur politischen Soziologie Pierre Bourdieus.
Opladen: 145-157.
Rehbein, Boike (2006): Die Soziologie Pierre Bourdieus. Konstanz.
Röben, Bärbel (2008): Migrantinnen in den Medien. Diversität in der journalistischen Produktion - am Beispiel
Frankfurt/Main. In: Wischermann, Ulla; Thomas, Tanja (Hg.): Medien - Diversität - Ungleichheit. Zur medialen
Konstruktion sozialer Differenz. Wiesbaden: 141–159.
Robinson, Gertrude J. (2005): Gender, journalism, and equity. Canadian, U.S., and European experiences.
Cresskill, NJ.
Scholl, Armin/Siegfried Weischenberg (1998): Journalismus in der Gesellschaft. Theorie, Methodologie und
Empirie. Opladen.
Schoon, Wiebke (2009): Gendering im Berufsfeld Journalismus. Ein Überblick über Empirie und Theorie sowie
die Integration der Sozialtheorie Pierre Bourdieus. Münster u.a.
Schwenk, Johanna (2006): Berufsfeld Journalismus. Aktuelle Befunde zur beruflichen Situation und Karriere
von Frauen und Männern im Journalismus. München.
Schwingel, Markus (2005): Pierre Bourdieu. Zur Einführung. Hamburg.
Villa, Paula-Irene (2006): Sexy Bodies. Eine soziologische Reise durch den Geschlechtskörper. 3., aktualisierte
Auflage. Wiesbaden.
Weischenberg, Siegfried/Armin Scholl/Maja Malik (2006): Die Souffleure der Mediengesellschaft. Report über
die Journalisten in Deutschland. Konstanz.
11
Herunterladen