Multipuls -NMR in der Organischen Chemie Das NMR-Experiment in der Vektordarstellung Kerne mit einer Spinquantenzahl I = ½ (1H, 13C) können in einem äußeren statischen homogenen Magnetfeld B0 (Vektorfeld) zwei Energiezustände einnehmen: +½ und -½. Die Kerne präzedieren um die z-Achse (Richtung von B0) mit einer Winkelgeschwindigkeit ω0 (Vektor), der Larmorfrequenz: z ω0 = -γ · B0 (Larmor-Beziehung) B0 γ ist das magnetogyrische Verhältnis, eine chaα rakteristische Stoffkonstante für jeden Kern; γ(1H) ≈ 4 · γ(13C). B1 Im realen Experiment bewegen sich sehr viele µ Einzelkerne auf beiden Kegelmänteln, die alle y mit der gleichen ω0, aber unterschiedlichen Phasen rotieren. Sie sind gleichmäßig verteilt. Detektor Aufgrund des geringen Energieunterschieds x β (angeregter der beiden Zustände α und β ist α nur geringZustand) fügig überpopuliert (Boltzmann-Verteilung). NMR-1 – Vektordarstellung 1 Multipuls -NMR in der Organischen Chemie Strahlt man ein elektromagnetisches Wechselfeld B1 mit der Larmorfrequenz ν0 in der transversalen Ebene (x,y) ein, kann Energieabsorption erfolgen (α → β), sodass sich die Populationen zugunsten β verändern. Nach Abschalten von B1 stellt sich das ursprüngliche Boltzmann-Gleichgewicht unter Energieabgabe wieder ein (longitudinale Relaxation, T1; à). z Das experimentell nachweisbare magnetische MoB0 ment ist das Gesamtmoment M als Vektorsumme aller µ. Es liegt – vor dem Einschalten von B1 – in zRichtung, weil M α - der α-Zustand (geringfügig) überpopuliert und damit die Summe aller longitudinalen Komponenten µz positiv ist und y - weil sich sämtliche transversalen Komponenten µx und µy zu Null kompensieren. x Merke: Vor Einschalten gibt es keine Magnetisierung β NMR-1 – Vektordarstellung in der transversalen Ebene (wo der Detektor ist). 2 Multipuls -NMR in der Organischen Chemie Wir gehen nun vom Laborkoordinatensystem zum rotierenden Koordinatensystem (RSK) über, das um die z-Achse mit der Frequenz ν1 des Senders B1 dreht. Damit wird B1 im RSK zu einem statischen Magnetfeld! Die transversalen Achsen bezeichnen wir dann mit x´und y´. Die gleichmäßige Verteilung der transversalen Komz B0 ponenten der µ (und damit ihre gegenseitige Kompensation) wird durch die Energieabsorption gestört, d.h., der Vektor M verlässt die z-Achse, und es entα M B1 steht transversale (Quer-)Magnetisierung M xy. Gleichzeitig wird die Mz-Komponente gegenüber dem Ausgangszustand (M z = M0) verkleinert. y´ Wegen der Kürze des Anschaltens von B1 (normalerweise nur einige µs) können in einem größeren Rex´ sonanzbereich alle Kerne mit der gleichen Pulsfreβ quenz ν1 angeregt werden (à Puls). Während des Pulses präzediert M um die Richtung von B1 (x´) und erreicht bis zum Pulsende den sog. Flipwinkel α (im Bogenmaß; tp ist die Pulsdauer): NMR-1 – Vektordarstellung 3 Multipuls -NMR in der Organischen Chemie α = γ · B1 · tp Ist die Pulsdauer so gewählt, dass α = π/2 (900; π/2-Puls), liegt M gerade auf der y´-Achse, d.h. es liegt eine maximale Quermagnetisierung vor, aber keine longitudinale Magnetisierung mehr; die beiden Energiezustände sind dann gleich populiert! Bei entsprechend doppelter Pulsdauer ist α = π (1800; π-Puls). Es gibt keine Quermagnetisierung mehr, und das Boltzmannsche Spinverteilung ist umgekehrt worden; der β-Zustand ist überpopuliert. Nach Abschalten des Puls setzen zwei Relaxationsprozesse ein, deren Zeitentwicklung erheblich langsamer ist als der Puls, bei 1H und 13C üblicherweise in den Größenordnungen 102 bis 105 ms (0.1 bis 100 s). z (1) Longitudinale (Spin-Gitter-)Relaxation, T 1: M0 B1 dMz/dt = -(Mz - M0)/T1 Ein Vorgang nach 1. Ordnung mit der Zeitkonstanten 1/T1 = R1. y´ T1/R1: longitudinale (Spin-Gitter-)Relaxationszeit/ M Mz -rate x´ NMR-1 – Vektordarstellung 4 Multipuls -NMR in der Organischen Chemie Das ursprüngliche Botzmann-Gleichgewicht (M0) stellt sich langsam wieder ein. Hierbei wird die Überschussenergie an die Umgebung (Gitter) abgegeben (Enthalpie-Änderung). Dieser Vorgang ist nicht direkt beobachtbar(!), weil er in der z-Richtung, also senkrecht zum Detektor stattfindet. NMR-1 – Vektordarstellung 5 Multipuls -NMR in der Organischen Chemie (2) Transversale (Spin-Spin-)Relaxation, T 2: dMx´/y´/dt = -Mx´/y´/T2 Die durch den Puls verursachte Störung der gleichmäßigen Verteilung der Einzelspins auf den Kegelmänteln wird rückgängig gemacht. Dies geschieht durch Verlust der Phaseninformation bei Spin-Spin-Wechselwirkung. Es ist ein Vorgang, der die Ordnung des Systems verringert, also die Entropie betrifft. Damit verkleinert sich die transversale Relaxation, bis sie zu Null zerfallen ist, sprich die Gleichverteilung wieder erreicht ist; es gilt: T2 ≤ T1. Dies ist der Prozess, der gemessen und letztlich als Spektrum dargestellt wird. NMR-1 – Vektordarstellung y´ M x´ 6 Multipuls -NMR in der Organischen Chemie In der Laborpraxis wird der Zerfall der transversalen Magnetisierung aber nicht durch die Spin-Spin-Relaxation allein bewirkt. Hinzu kommt, dass das äußere Magnetfeld B0 über das gesamte Probevolumen nie 100%ig homogen sein kann. Gibt es aber Inhomogenitäten, ist die Larmorpräzession aller Einzelspins nicht exakt gleich. Einige laufen schneller um, andere langsamer, ein Prozess, der ebenfalls zum Verlust von Phaseninformation führt, der aber – im Gegensatz zur physikalischen Relaxation – rückgängig gemacht werden kann (à Spin-Echo). Die „reale“ transversale Relaxationszeit T2* ergibt sich also aus der Summe der Relaxationsraten: R2* = R2 + R2(inhom) ⇒ 1/T2* = 1/T2 + 1/T2(inhom) Beide Effekte beeinflussen die Linienform der NMR-Signale (à), indem sie diese verbreitern (w1/2: Halbwertsbreite des NMR-Signals) und damit die Auflösung und das Signal-Rausch-Verhältnis verschlechtern. w1/2 = 1/(2πT2*) Schon dies zeigt, wie wichtig eine gute Homogenisierung des B 0-Feldes ist. Man kann zwar Inhomogenitätseinflüsse minimieren, aber nie ganz eliminieren. NMR-1 – Vektordarstellung 7 Multipuls -NMR in der Organischen Chemie Das klassische PFT-Experiment wird also wie folgt grafisch dargestellt: Präparation Puls (ν1) Detektion FID t Nach einer Vorbereitungszeit (z.B. für vollständiges Ausrelaxieren oder für den Aufbau eines NOE) erfolgt ein Puls, der im Standardexperiment meist ein 300Puls ist (Ernst-Winkel), weil dies bei schneller Wiederholung und Akkumulation eine optimale Größe der transversalen und damit registrierbaren Magnetisierung verspricht. Unmittelbar danach wird die Zeitentwicklung der transversalen Magnetisierung (FID, à) aufgenommen und später mithilfe der Fourier-Transformation (FT, à) in ein Frequenzspektrum umgerechnet. NMR-1 – Vektordarstellung 8 Multipuls -NMR in der Organischen Chemie Literatur: R. Benn und H. Günther, Angew. Chem. 1983, 95, 381. H. Friebolin, Ein- und zweidimensionale NMR-Spektroskopie, eine Einführung, 2. Auflage, VCH, Weinheim, 1992, ISBN 3-527-28507-5 NMR-1 – Vektordarstellung 9