Vom Sinn und Zweck einer generellen Folsäure-Prophylaxe

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IRRUNGEN UND WIRRUNGEN
Schweiz Med Forum Nr. 13 27. März 2002
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Vom Sinn und Zweck einer
generellen Folsäure-Prophylaxe
O. Tönz
Mehr IV-Fälle und Alterskranke – oder mehr Folsäure im Mehl?
Eigentlich kein schwieriges Dilemma – oder doch?
Zum heutigen Stand des Wissens über ein modernes «Wundermittel».
THF
= Tetrahydrofolsäure
MTHF(R) = Methyltetrahydrofolsäure(reduktase)
Korrespondenz:
Prof. Dr. med. O. Tönz
Schlösslihalde 26
CH–6006 Luzern
[email protected]
Abbildung 1.
Biochemische Struktur der
«reinen» Folsäure = Pteroylglutaminsäure oben; unten die
aktivierte Speicherform 5-MTHF
mit 5 Glutaminsäureresten.
Seitdem es ruchbar geworden ist, dass sich mit
Folsäure Spaltbildungen des Neuralrohrs und
weitere embryonale Missbildungen partiell verhindern, sich ausserdem der Homocysteinspiegel auf ein gesundes Mass absenken und einige
Krebsarten und kindliche Leukämien verhüten,
eventuell sogar Depressionen aufhellen und
möglicherweise die Zahl mongoloider Kinder
reduzieren liessen, seither steht diese Substanz,
die lange Zeit im Schatten ihrer grossen
Vitaminschwestern ein Aschenbrödeldasein fristete, diese Folsäure steht nun plötzlich – fast
wie ein «Deus ex machina» – im Rampenlicht
einer präventiv-medizinischen Gala [1–5].
Ihre Wunderkraft scheint so bedeutend, dass
auch in der Schweiz die Frage laut wird, ob eine
generelle Folsäureprophylaxe durch Anreicherung eines Grundnahrungsmittels sinnvoll
wäre. Die USA, Kanada und Ungarn haben eine
obligate Mehlanreicherung schon vor Jahren
eingeführt und in England steht dies unmittel-
bar bevor. In Australien und Neuseeland wird
diese Massnahme vom öffentlichen Gesundheitsdienst auf freiwilliger Basis propagiert. In
der Schweiz wurde 1997 im Parlament von
Nationalrat R. Wiederkehr ein entsprechendes
Postulat eingereicht. Eine Expertengruppe ist
gegenwärtig daran, einen Bericht zuhanden
des Bundesrates auszuarbeiten.
Bevor auf die verschiedenen Aspekte einer solchen Massnahme eingegangen werden kann,
müssen ein paar Fakten zur Folsäure und ihren
biologischen Wirkungen in Erinnerung gerufen
werden.
Folsäure, ein Vitamin der B-Reihe
Die Folsäure (in der französischen Literatur
auch B9 genannt) ist Pteroylglutaminsäure
(Abb. 1). In der Natur kommen über 100 verschiedene Arten vor. In Gemüse, Getreideprodukten, Früchten (und Leber) liegt rund die
Hälfte als Polyglutamate vor, d.h., es sind bis
zu 6 Glutaminsäurereste am Pteroylmolekül
gebunden, die im Verdauungstrakt zunächst
enzymatisch abgespalten werden müssen. Die
Bioverfügbarkeit dieser Polyglutamate ist deshalb schlechter als jene des «freien» Monoglutamats. Nahrungsfolat wird zu 55–60% resorbiert; zur Nahrung zugesetzte, synthetische
Folsäure zu 90–95%, Folsäure in galenischer
Form zu fast 100%.
Im Gewebe, d.h. im Zellinnern (v.a. in Leber,
Erythrozyten usw.) wird Folsäure in ihrer aktiven Form als 5,10-Methylen-THF oder 5-Methyl-Tetrahydrofolsäure gespeichert.
Ihre biologische Wirksamkeit beruht auf der
Abgabe freier Methylgruppen bzw. von C-1Bruchstücken, welche zur Bildung von DNS unentbehrlich sind. Andrerseits wird dadurch
auch Homocystein zu Methionin remethyliert,
eine Funktion, die durch die Methioninsynth(et)ase, zusammen mit Vitamin B12 als Kofaktor vollzogen wird (Abb. 2). Folsäure senkt
demnach den Homocystein-Spiegel im Blut.
Sowohl bei der Methioninsynthase wie bei der
vorgeschalteten MTHF-Reduktase kommen
genetische Enzymvarianten mit geringerer
Aktivität vor. Bei letzterer ist es vor allem die
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relativ weit verbreitete, thermolabile Mutante
677C→T, die zu einer Erhöhung des Homocysteins im Serum führt. Sie kommt bei 10–15%
der normalen Bevölkerung vor, bei Müttern
von Kindern mit Spina bifida noch häufiger
[6] – ein Hinweis, dass erhöhtes Homocystein
für Neuralrohrdefekte einen möglichen Kausalfaktor darstellt. In der Tat haben Mütter
mit Neuralrohrdefekt-Kindern durchschnittlich ein höheres Homocystein – wenn auch
nur wenige infolge einer der bekannten Enzymmutanten oder eines eindeutigen Folsäure-Mangels [7]. Jedenfalls erleiden Vogelembryonen, denen Homocystein zugesetzt
wird, einen unvollständigen Verschluss des
Neuralrohrs, was mit gleichzeitiger Zufuhr
von Folsäure wieder verhütet werden kann
[8]. So einfach ist es beim Menschen allerdings nicht!
Der Folsäurebedarf wurde früher mit
200 µg/d veranschlagt, wobei nicht näher umschrieben wurde, ob es sich dabei um Gesamtfolat oder freie Folsäure handle. Diese, im EU-
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Raum und in der Schweiz heute noch gültigen,
legalen Werte beruhen auf dem Bedarf, der zur
Ausreifung der Blutzellpräkursoren notwendig
ist. Die modernen, wissenschaftlichen Dosisempfehlungen basieren hingegen auf jenen
Mengen, die zur Absenkung des Homocysteins
auf «normale» Werte benötigt werden [9]. Und
schon hier wird es verwirrend: um die unterschiedliche Resorption zu berücksichtigen,
wurden Folsäureäquivalente definiert:
1 Folsäure-Äquivalent = 1 µg Nahrungsfolat
= 0,6 µg zugesetzte Folsäure = 0,5 µg reine
Folsäure in galenischer Form
Mit andern Worten: zur Nahrung zugesetzte
Folsäure wird mit einem Faktor 1,7 dazuberechnet, und reine Folsäure mit Faktor 2. Ein
Beispiel: 260 µg Nahrungsfolat plus 200 µg zugesetzte Folsäure ergibt 600 Folsäure-Äquivalente (260 + [200 1,7 = 340]).
Tabelle 1. Referenzwerte (empfohlene tägliche Zufuhr) für Folsäure
EU und CH (lt. NwV 3 1995)
Schwangere
Stillende
200
200
200 µg/d
1
Natl Acad Sci USA (1998)
400
600
500 Folsäure-Äquivalente
D – A – CH2 (2000)
400
6001
600 Folsäure-Äquivalente
1
2
3
Ohne Berücksichtigung der zusätzlichen 400 µg Folsäure zur perikonzeptionellen
Neuralrohrdefekt-Prävention.
Deutsche, österreichische und schweizerische Gesellschaften für Ernährung(-sforschung).
Nährwertverordnung
FOLSÄURE: Homocystein-Methionin-Stoffwechsel
COO –
––
––
COO –
H 3N – C – H
––
––
H 3N – C – H
CH3
–
H2 – C – S – CH3
CH2
––
CH2
––
Abbildung 2.
Vereinfachtes Stoffwechselschema
der Homocystein«remethylierung»,
d.h. der Umwandlung von
Homocystein zu Methionin. Dieser
Stoffwechselschritt wird durch die
Methioninsynthase mit 5-MTHF als
Methyldonator und Vit. B12 als
Kofaktor vollzogen. Wichtige Voraussetzung für diesen Schritt ist
die intakte Funktion des vorgeschalteten Enzyms MTHF-Reduktase, von welchem genetische
Mutanten mit geringerer Aktivität
relativ stark verbreitet sind, und
die zu einer Erhöhung des Homocystein-Spiegels im Serum führen.
Ein weiterer Stoffwechselweg zur
Reduktion des Homocysteins läuft
über den Abbau zu Cystathionin,
unter Mitwirkung von Vitamin B6
[4].
Erwachsene
H2 – C – S – H3
Vit. B6
Vit. B12
METHIONIN
HOMOCYSTEIN
MethioninSynthetase
THF
Cyst.-Synth.
5-MethylTHF
5,10-MTHF-Reduktase
5,10-MethylentetrahydroFOLSÄURE
Serin
CYSTATHIONIN
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Und wie präsentiert sich die Realität? Des
Schweizers tägliche Folsäure-Aufnahme wird
auf durchschnittlich 260 µg eingeschätzt [10],
Vegetarier mögen es auf 350 µg bringen, aber
viele jüngere Frauen (potenziell Schwangere!)
sollen nach einer Zürcher Studie nur auf 122
µg (!?) kommen [11]. Für die späteren Abschätzungen dürfen wir wohl davon ausgehen,
dass Frauen etwa 230, Männer 290 µg verzehren.
Die beiden unterschiedlichen Referenzwerte
sorgen für zusätzliche Verwirrung: Der legale
hat zur Konsequenz, dass Lebensmittel nur
soweit angereichert werden dürfen, dass der
Tagesbedarf (200 µg) in einer Tagesportion des
betreffenden Nahrungsmittels nicht überschritten wird (Nährwertverordnung), und der
wissenschaftliche fordert soviel Folsäure,
wie mit einer üblichen Ernährung nicht – oder
höchstens von einem vegetarischen Kranzschwinger – erreicht wird. Die Folgerung
heisst – unabhängig von der Folsäure-Prophylaxe gegen Neuralrohrdefekte: Anreicherung
von Lebensmitteln. Die Privatwirtschaft hat
die Konsequenz bereits gezogen. Im Rahmen
einer «Folsäure-Offensive» wird in der
Schweiz eine Palette von Lebensmitteln angeboten, die mit Folsäure-reichen Weizenkeimen, z.T. mit zusätzlicher Folsäure in geringer, d.h. physiologischer Dosis angereichert
sind.
Abbildung 3.
Lumbale Spina bifida (Myelomeningozele) beim Neugeborenen.
Die fehlende Einziehung des Analgrübchens ist ein untrügliches
Zeichen für eine bereits bestehende Beckenbodenlähmung, die zu
einer lebenslänglichen Stuhl- und
Urininkontinenz (nebst motorischer
und sensibler Lähmung der Beine)
führen wird.
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Folsäure-Prophylaxe:
individuell oder generell?
Die obgenannten Bemühungen bringen für eine
Prävention gegen Spina bifida quantitativ zu
wenig. Schon 1995 wurde auch in der Schweiz
gefordert, dass alle Frauen, die schwanger
werden möchten oder könnten, d.h. alle
Frauen im gebärfähigen Alter ohne sicheren
Konzeptionsschutz täglich 0,4 mg Folsäure in
galenischer Form zu sich nehmen sollten [3].
Diese, von vielen medizinischen Fachgesellschaften und vom BAG unterstützte Aufforderung wurde aber nur ungenügend umgesetzt;
es wären dazu sehr kostenintensive, kontinuierliche Motivationsfeldzüge in allen erdenklichen Medien notwendig. Selbst dann ist keine
sehr hohe Compliance zu erwarten; das individuelle Risiko von etwa 1‰ wird von der Zielgruppe subjektiv offensichtlich als zu gering
empfunden, obwohl es objektiv grösser ist als
manche andere Affektion, gegen welche seit
Jahrzehnten Präventivstrategien (Neugeborenenscreening, Impfungen usw.) durchgeführt
werden.
Viel erfolgversprechender präsentiert sich eine
generelle Prophylaxe durch Anreicherung
eines Grundnahrungsmittels. Da sich diese Art
der Prävention nicht nur gegen die Neuralrohrdefekte richtet, sondern vielseitige positive
Auswirkungen (s. unten) haben dürfte, wird
der Einwand, dass die Zielgruppe im Vergleich
zur Gesamtpopulation unverhältnismässig
klein sei, entkräftet. Gefragt ist nicht mehr
Solidarität von seiten der Bevölkerung mit
den wenigen potentiellen Patienten, vielmehr
könnten grosse Risikogruppen von einer solchen Massnahme profitieren. Insbesondere
profitieren auch Frauen aus der sozialen
Grundschicht (Immigrantinnen!), die mit
einem höheren Risiko für Neuralrohrdefekte
belastet sind, sowie RaucherInnen, deren Folsäure-Bedarf erhöht ist.
Diese Prophylaxe ist fast unglaublich billig:
Die Kosten für die Folsäure betragen pro Kopf
und Jahr weniger als 2 Rappen! Mit einem einzigen verhüteten Fall von Spina bifida wären
die Präventiv-Kosten auf Jahre hinaus gedeckt!
Was kann von einer generellen
Folsäure-Prophylaxe erwartet
werden?
Verschluss des Neuralrohrs
Klar und unzweifelhaft bewiesen von allen
eingangs erwähnten Wundertaten ist die Verhütung von Neuralrohrdefekten (Abb. 3),
sowohl in der Sekundärprophylaxe, d.h. bei
Frauen, die bereits ein Kind mit Spina bifida ge-
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boren haben [12], wie auch in der Primärprophylaxe. In der «Ungarn-Studie» mit 5 450 beobachteten Schwangeren hatte die eine Hälfte
ein Multivitaminpräparat mit 0,8 mg Folsäure
erhalten, die andere ein Plazebo mit einigen
Spurenelementen. Sechs Kindern mit Neuralrohrdefekt in der Plazebo-Gruppe stand kein
einziges aus der Verum-Gruppe gegenüber
[13].
Diese eindrücklichen Befunde konnten kürzlich
in einer chinesische Studie mit 0,4 mg Folsäure
als Monosubstanz an einem riesigen Kollektiv
von rund 250 000 Schwangeren erhärtet werden [14]. Dabei ergab sich in der Nordregion
mit primär hoher Inzidenz eine Risikoreduktion von 0,79 (CI 0,57–0,90), in der südlichen
mit geringer Inzidenz eine solche von 0,41 (CI
0,03–0,64) (Abb. 4). Ein geringeres Ansprechen
in Kollektiven mit niedriger Inzidenz wurde
auch schon früher befürchtet [4]. Zur Erklärung
dieses Phänomens muss die Vermutung genetisch unterschiedlicher Varianten herhalten.
Jedenfalls beruhen die Differenzen nicht einfach auf einer besseren Folatversorgung bei
Völkern mit tiefer Inzidenz.
Weitere Fehlbildungen
Schon in der «Ungarnstudie» war aufgefallen,
dass die Gesamtzahl anderer Fehlbildungen
in der Vitamin-Gruppe um die Hälfte niedriger
war als bei den Kontrollen: 20,6‰ vs. 40,6‰;
Relatives Risiko (nach Ausschluss der Neuralrohrdefekt-Fälle) 0,54 (CI 0,39–0,76) [15]. Die
Missbildungen betrafen vor allem Fehlbildungen des Herzens, der ableitenden Harnwege
Abbildung 4.
Übersicht über die Studien zur
Risikoreduktion mit Folsäure. Nur
eine sehr frühe Studie von 1981
zeigte eine zwar deutliche, aber
– wegen kleiner Anzahl – nicht
signifikante Risikoverminderung,
und eine retrospektive Fall-Kontroll-Studie wies keine nennenswerte Reduktion auf. Alle anderen
Untersuchungen ergaben ein eindeutiges Resultat (aus [1] mit der
freundlichen Genehmigung des
Verlags).
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und der Gliedmassen. Schon in früheren Studien konnte mit hohen Folsäure-Mengen (10
mg) auch eine Reduktion von Lippen-KieferGaumenspalten herbeigeführt werden [16].
Mit den üblichen Dosierungen (0,4–0,8 mg)
werden hintere Gaumenspalten signifikant vermindert [17], während es für die Reduktion von
Lippenspalten wahrscheinlich pharmakologischer Dosen bedarf [18].
Zwischen Neuralrohrdefekten und Spalten in
Gaumenbereich bestehen insofern ätiologische
Zusammenhänge, als das mediane orofaziale
Gewebe ebenfalls aus der Neuralleiste hervorgeht. Gleiches gilt für die Formation der grossen Gefässabgänge bzw. für die aorto-pulmonale Septierung [8]. Eine perikonzeptionelle
Folsäure-Multivitamin-Prophylaxe senkt das
Risiko für conotruncale Fehlbildungen des Herzens (vor allem Fallot-Tetralogie) beträchtlich:
OR 0,53 (CI 0,34-0,85) [19]. Nicht alle Autoren
finden indessen so hohe Reduktionsraten, oder
sehen sie eher bezüglich Ventrikelseptumdefekten [15].
Eine signifikante Verminderung von meist obstruktiven Fehlbildungen des Harntraktes und
von Defekt-Missbildungen der Gliedmassen
wurde von mehreren Autoren beobachtet [17,
19, 20].
Trisomie 21
Von hohem Interesse, wenn auch noch nicht
voll ausgereift, sind die Studien zur Beeinflussung einer chromosomalen Non-Disjunction.
Der Folsäurestatus könnte insofern von Bedeutung sein, als eine Hypomethylation der DNS in
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der zentromeren Region eine Non-Disjunction
begünstigt [18]. In der Ungarn-Studie zeigten 2
Kinder in der Vitamingruppe ein Down-Syndrom, bei den Kontrollen deren 5 (n.s.). Messungen von Homocystein bei Müttern von Trisomie-Kindern ergaben gegenüber Normalkontrollen signifikant höhere Werte, und Mütter mit der weniger aktiven MTHFR-Variante
C677T auf einem oder beiden Allelen zeigten
ein 2,6fach (CI 1,2–5,8) höheres Risiko, ein
Kind mit Down-Syndrom zu konzipieren [21].
Da sich die Non-Disjunction schon während der
Meiose I oder II abspielt, erhält die präkonzeptionelle bzw. generelle Folsäure-Supplementierung eine besondere Bedeutung.
Auf die vielen noch offenen Fragen in bezug
auf die hier angesprochenen anderen Fehlbildungen, werden exakte und definitive Antworten kaum je zu erwarten sein, weil prospektive, randomisierte Studien aus ethischen
Gründen nicht mehr denkbar sind. Die Ergebnisse stammen ausserdem aus Untersuchungen, die nicht mit dem Endziel «Missbildungen
ausserhalb der Neuralrohrdefekte» durchgeführt wurden und deshalb etwas weniger aussagekräftig sind. Andererseits ist die Tatsache,
dass bei Einnahme von Folsäure-Antagonisten
dieselben Missbildungen vermehrt auftreten,
ein Beweis für die Richtigkeit dieser Beobachtungen [22].
Kindliche Leukämien und Tumoren
In einer grossen Studie aus Westaustralien, in
welcher nach mütterlichen Einflussfaktoren
auf die Entstehung kindlicher Leukämien geforscht wurde, konnte laut einer kürzlich erschienenen Publikation überraschend festgestellt werden, dass Kinder von Frauen, die Folsäure – meist zur Behandlung oder Prävention
einer Schwangerschaftsanämie – erhielten,
wesentlich seltener an Leukämie (common
ALL) erkrankten (RR 0,40; CI 0,21–0,73). Bei
Behandlung bzw. Prävention mit Eisen allein
war dieses Phänomen nicht zu beobachten
[23]. Man darf auf eine Bestätigung dieser
hochinteresstanten Feststellung durch andere
Untersuchungen gespannt sein.
Schon früher war aufgefallen, dass Mütter mit
einer höheren Nahrungsfolataufnahme seltener
Kinder zur Welt brachten, die später neuroektodermale Hirntumoren entwickelten [4].
Verhütung kardiovaskulärer Erkrankungen
(Koronarsklerose, Herzinfarkt) und
Apoplexien
Dass eine positive Korrelation zwischen Homocystein und Gefässsklerose, vor allem der
Koronarien und Karotiden, besteht, wurde in
einer Fülle von wissenschaftlichen Arbeiten dokumentiert [23–25]. Beispielsweise wurde festgestellt, dass Apoplexien in der oberen Quartile
der Homocystein-Werte 4mal häufiger sind als
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in der untersten (OR 4,1; CI 1,6–10,5) [27].
Ebenso unbestritten ist die Tatsache, dass Folsäure in einer Dosis von 0,5–5,0 mg den Homocystein-Spiegel um etwa 25% zu senken vermag [28]. Nach aristotelischer Logik müsste
somit der Syllogismus gelten, dass Folsäure die
Atherosklerose der genannten Gefässe verhütet. Mitte der 90er Jahre wurde ein hohes Homocystein demnach fast unisono als Risikofaktor für Herzinfarkt bezeichnet. Diese Schlussfolgerung ist aber nicht unbestritten. Schuld
daran ist nicht Aristoteles, sondern das Faktum, dass bis anhin nicht unumstösslich bewiesen wurde, dass die Korrelation zwischen
Homocystein und Koronarsklerose eine kausale ist. Es wäre denkbar, dass ein erhöhtes
Homocystein nur ein Begleitphänomen darstellen könnte, z.B. ein Entzündungsparameter
bei atheromatös-entzündlichen Veränderungen
der Gefässintima [29, 30]. Einige Beobachtungen lassen Zweifel an einer kausalen Bedeutung des Homocysteins aufkommen, vor allem
die Tatsache, dass Träger der MTHFR-Variante
C677T – im Gegensatz zur Situation bei Neuralrohrdefekten, Herzfehlern oder Down-Syndrom – kein erhöhtes Infarktrisiko erkennen
lassen.
Um letzte Sicherheit über eine kardioprotektive
Wirkung der Folsäure zu erreichen, müssten
gezielte, prospektive und kontrollierte Interventionsstudien mit dem Endpunkt «Koronare
Herzkrankheit/Apoplexie» durchgeführt werden. Es laufen gegenwärtig mehrere solche Untersuchungen, deren Resultate in den nächsten
1–3 Jahren zu erwarten sind [31].
Eine erste ist soeben erschienen: im Berner
Herzzentrum wurde mittels einer prospektiven,
randomisierten Interventionsstudie festgestellt,
dass die Tendenz zu Restenosierung nach
Angioplastie durch Folsäure wesentlich gemildert bzw. verzögert werden kann [32].
Andererseits liegen auch Studienergebnisse
vor, die die direkten Zusammenhänge zwischen
Folsäure-Aufnahme bzw. Folsäurestatus und
Herzinfarktrisiko untersucht haben. Die acht
publizierten Fall-Kontroll- und Kohortenstudien zeigten eine inverse Korrelation, allerdings überschritten nur deren 5 die Signifikanzschwelle [33, 34]. Am eindrücklichsten
sind die Befunde der prospektiven «Nurses
Health Study» [35], wonach bei 88 818 Probandinnen diejenigen in der obersten Quintile
bzgl. Folsäure-Aufnahme eine Risikoverminderung von 31% aufwiesen. Tranken diese Damen
noch mindestens einen alkoholischen Drink
(>1,5 g Alkohol/d), so reduzierte sich das relative Risiko auf 0,22 (CI 0,11–0,44)!
Bei all diesen Studien wurden die Resultate
nach anderen Einflussfaktoren korrigiert. Für
wissenschaftliche Skeptiker sind aber weitere
confounders trotzdem nicht mit genügender
Sicherheit ausgeschlossen. Es verbleibt somit
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ein letzter Rest von Ungewissheit. Andererseits
wäre eine Prophylaxe mit Folsäure so billig, risikolos und nebenwirkungsfrei, dass vielen Autoren eine entsprechende Präventionsstrategie
auch beim heutigen Stand des Wissens vertretbar oder angezeigt erschiene [30].
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Soweit die Fakten! Probleme –
Irrungen und Wirrungen –
entstehen vor allem bei der
praktischen Umsetzung
Zur Dosierungsfrage
Krebsprävention
Es liegen viele experimentelle Studien am Tier
und an menschlichen Zellinien, aber auch
einige epidemiologischen Untersuchungen vor,
die zu erkennen geben, dass eine höhere Folsäure-Versorgung die Entstehung maligner Tumoren signifikant vermindert [2, 36]. Folsäure
ist notwendig für die Synthese von Adenin, Guanin und Thymidin. Fehlen diese Nukleotide für
die DNS-Synthese, oder wird stattdessen Uracil
eingebaut, sind Defekte der DNS-Struktur und
-Synthese, Mutationen oder Brüche zu erwarten.
Auch eine ungenügende Methylation der DNS
prädisponiert im Tierversuch das epitheliale
Gewebe zur Entwicklung von Neoplasien.
Es sind von verschiedenen Autoren in epidemiologischen Studien inverse Korrelationen
zwischen Kolonkarzinom und Folataufnahme
festgestellt worden, z.B. eine eindrückliche
Risikoreduktion von 75% bei hohem vs. geringem Folsäure-Konsum im Langzeitversuch
über 15 Jahre [37]. Günstige Befunde wurden
auch beim Brustkrebs erhoben, bei letzterem
vor allem beim Alkohol-assoziierten Mammakarzinom: Von den Probandinnen der «Nurses‘
Health Study» erkrankten diejenigen mit
hohem Alkoholkonsum und normaler Folsäure-Zufuhr deutlich häufiger an Mammakarzinom; ein gleichzeitiger hoher Folatkonsum
erniedrigte das Erkrankungsrisiko aber auf
0,55 (CI 0,39–0,67) [38].
Das Durchschnittsschweizer-Neutrum verzehrt
pro Tag 140 g Mehl; davon 60–65% als Brot,
den Rest als Backwaren oder Mehlspeisen, Suppen, Saucen, Breie usw. Eine restriktive Anreicherung von «nur Brotmehl» dürfte auf erhebliche logistische Schwierigkeiten in den Backstuben stossen, weil das gleiche Mehl auch für
andere Gebäcke genutzt wird. Die zusätzliche
Anreicherung von Hartweizengriess (Teigwaren) würde sich andererseits wegen des geringen Quantums und der grossen Verluste ins
Kochwasser kaum lohnen. Die Backverluste
von synthetischer Folsäure sind hingegen tragbar: 8–14%, je nach Methode der Teigführung.
Mit einer Folsäure-Zugabe in der Grössenordnung von 3 mg pro kg Mehl kämen wir in den
Genuss von zusätzlichen 275 µg reiner Folsäure/d (Frauen etwa 250, Männer 300). Eine
wohl taugliche Dosierung. Jedenfalls mehr als
das doppelte dessen, was in den USA seit 1996
vorgeschrieben ist (140 µg/100 g Mehl), und
dort die eher bescheidene, aber in dieser Grössenordnung erwartete Senkung von Neuralrohrdefekten gebracht hat: 23% weniger Fälle
von Spina bifida [42]. Auch zur Senkung des
Homocystein-Spiegels dürfte diese Dosis, zusammen mit dem Nahrungsfolat, ausreichend
sein [43].
Probleme
Depressive Verstimmungen
Ungenügender Brotkonsum
Von psychiatrischer Seite besteht ein Interesse
am Problemkreis «Folsäure und Depressionen», weil der C-1-Metabolismus auch im ZNS
eine bedeutende Rolle spielt. Es liegen verschiedene Berichte vor, laut welchen ältere, depressive Patienten einen tieferen Folatstatus
aufweisen als entsprechende Kontrollen [39];
ausserdem sind Folsäure-Mangelanämien häufig von depressiven Symptomen begleitet. Es
wurden zudem günstige Erfahrungen bei Behandlung depressiver und schizophrener Patienten mit MTHF gemacht [40, 41]. Eine endgültige Beurteilung, ob durch eine generell erhöhte Folsäure-Zufuhr depressive Verstimmungen bei älteren Personen verhütet werden
könnten, ist aufgrund der bisherigen Erkenntnisse nicht möglich. Schön wär’s!
Es ist zu befürchten, dass insbesondere jüngere, schlankheitsbewusste Frauen mit geringem Brotkonsum weniger als die erwünschte
Folsäure-Menge erhalten. Damit sind sie nur
partiell geschützt. Da uns für die obere Limite
der Anreicherung doch irgendwo auch Grenzen
gesetzt sind (s. unten), bleibt keine andere Lösung, als jenen Frauen, die weniger als etwa
120 g Brot konsumieren, zu empfehlen, trotz
Mehlanreicherung täglich eine Tablette mit
200 (oder 400) µg Folsäure zu sich zu nehmen.
200 µg sind in fast allen Multivitamindragées
enthalten, nicht nur in IKS-registrierten, sondern auch in preisgünstigen BAG-zugelassenen
Vitaminpräparaten im Lebensmittelgeschäft.
Dosierungslimite
Weshalb nicht höher dosieren? Eine chronische Toxizität von Folsäure beginnt ja erst mit
-zig mg/d. Es geht hier nicht um die Toxizität,
sondern um die Befürchtung, dass bei älteren
Menschen mit einem Vitamin-B12-Mangel (in-
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folge atrophischer Gastritis oder einer echten
«Perniciosa») die makrozytäre Anämie durch
Folsäure behoben werden könnte, dadurch die
Diagnose eines B12-Mangels «verschleiert» und
deshalb die Entwicklung einer B12-Neuropathie diagnostisch verpasst würde [44]. Aus diesem Grunde wurde der obere Grenzwert für die
Zufuhr synthetischer Folsäure auf 1 mg/d festgelegt [9]. Er beinhaltet damit einen Sicherheitsfaktor 5, da sich oben genannte Phänomene – wenn überhaupt – erst bei Dosen ab
5 mg einstellten. Die wenigen klinischen Beschreibungen stammen aus der Entdeckerzeit
der Folsäure, d.h. sie liegen 50 oder mehr Jahre
zurück! Diese Befürchtungen sind demnach
ziemlich wirklichkeitsfremd, zwingen aber
doch zu einer gewissen Beschränkung der Anreicherung. Es muss ferner darauf hingewiesen
werden, dass sich bei einem B12-Mangel eine funikuläre Myelose in bis zu einem Drittel der
Fälle auch ohne makrozytäre Anämie einstellen kann [45]. Die Diagnose dieser Krankheit
beruht deshalb auf dem Erkennen der klinischen Symptomatik und einer B12-Bestimmung
im Serum. Ein Blutbild dient lediglich der Suche
nach einer gleichzeitig vorliegenden Anämie,
aber niemals zum Ausschluss eines B12-Mangels bzw. einer B12-Neuropathie.
Trotzdem wird diskutiert, bei der Folsäure-Anreicherung auch noch eine kleine Dosis Vitamin
B12 zuzufügen (wie es in Ungarn praktiziert
wird), nicht nur, um den Wind aus den Segeln
der Skeptiker zu nehmen, sondern weil B12 die
Homocystein-senkende Wirkung der Folsäure
verstärkt und weil ein tiefes B12 als zusätzlicher
Risikofaktor für Neuralrohrdefekte bekannt
ist [46]. Überdies würde dieser Zusatz der besseren Versorgung älterer Menschen dienen,
deren Kapazität zur Auslösung von natürlichem Vitamin B12 aus der Proteinbindung beschränkt ist, (selbstverständlich aber nicht als
Substitution bei einer «echten», d.h. immunologisch oder anatomisch bedingten «Perniciosa»!).
Erzeugt die Prophylaxe mehr Zwillinge?
Mit der kürzlich publizierten Beobachtung
einer schwedischen Forschergruppe, dass Mütter mit perikonzeptioneller Prophylaxe mehr
Zwillinge zur Welt bringen, ist eine neue Fussangel in die Welt gesetzt worden [47]. Bei
Frauen mit Folsäure-Prophylaxe war die Zwillingsrate mit 2,8% signifikant höher als in der
übrigen Bevölkerung mit 1,5% (OR 1,45; CI
1,06–1,98). Eine ebenfalls, wenn auch leichter
erhöhte Zwillingsrate war schon bei früheren
Untersuchungen festgestellt worden [48, 49].
Da die Komplikationsrate bei Zwillingsschwangerschaften und -geburten höher liegt, und
Zwillinge 4- bis 6mal häufiger an einer «cerebral Palsy» leiden als Einzelkinder [50, 51], wird
geltend gemacht, dass die Prophylaxe in Län-
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dern mit geringer Neuralrohrdefekt-Inzidenz
mehr schaden als nützen könnte. Aufgrund
eigener Modellrechnungen würde sich – selbst
bei Richtigkeit der «Zwillingshypothese» – bei
Abwägung von Bonus/Malus allerdings immer
noch ein Vorteil zugunsten einer generellen Prophylaxe ergeben.
Die Datenlage ist nicht überzeugend [52]. Bei
der schwedischen Studie stammten die Patientinnen aus unterschiedlichen Kohorten und
waren nicht randomisiert. Wie die Autoren
selber bemerken, bestehen ausserdem «some
weaknesses in these data». Eine Erhöhung
der Zwillingsrate wurde zumeist in Kollektiven
mit Folsäure-Multivitaminprophylaxe beobachtet, so dass sich die Frage erhebt, ob nicht der
ganze Vitamincocktail bzw. andere Vitamine an
diesem Phänomen beteiligt sind. In der Tat zeigen Studien aus Nepal, dass eine Vitamin A- oder
β-Carotinverabreichung während der Schwangerschaft zu einer signifikanten Erhöhung der
Zwillingsrate führt [53]. Ausserdem belegen die
neuesten Ergebnisse aus der China-Studie, dass
mit FS allein keinerlei Vermehrung, im Gegenteil, ein leichter Rückgang der Zwillingsfrequenz
zu beobachten ist: RR 0,9; CL 0,82–1,00 [54].
Auch in der USA wurde seit der Einführung der
Mehlanreicherung keine Erhöhung der Zwillingsgeburten festgestellt [55]. Damit dürfte das
«Zwillingsargument» endgültig vom Tisch sein.
… und zum Schluss die Kernfrage:
obligate oder
freiwillige Prophylaxe?
Es gibt keine Frage: eine obligate Anreicherung
aller Mehltypen wäre die effizienteste, sicherste, billigste und einfachste Lösung. Juristisch/politisch wohl nicht ganz einfach durchzusetzen. Noch grösser dürfte der Widerstand
der KonsumentInnenorganisationen sein, die
auf das Recht der Selbstbestimmung pochen.
Der Freiheitsanspruch des Schweizers geht
hier offensichtlich weiter als derjenige des USABürgers, Kanadiers, Engländers oder Ungaren.
Bei allem Verständnis für diese Sachlage, bzw.
den «Sonderfall Schweiz» – die Konsequenzen
sind schwerwiegend. Um trotzdem einigermassen effizient zu bleiben, müssten grosse
Aufklärungskampagnen durchgeführt werden,
die ein Werbebudget verschlingen, das den materiellen Wert der Folsäure um das 10- oder
eher 20fache überstiege. Bei einer obligaten
Anreicherung würde hingegen eine sachliche
Information genügen.
Obwohl damit gerechnet werden muss, dass
sich gegen ein solches Vorhaben auch eine
grundsätzliche Gegnerschaft von Kritikern,
Skeptikern und Besserwissern formieren wird,
darf von einer günstigen Akzeptanz der Bevölkerung ausgegangen werden. In der welschen
IRRUNGEN UND WIRRUNGEN
Schweiz Med Forum Nr. 13 27. März 2002
Schweiz wird seit 5 Jahren in einer Grossmüllerei, die sämtliche Bäckereien der Kantone
Waadt und Genf (ohne Grossverteiler) beliefert,
alles Mehl mit Folsäure angereichert, ohne dass
sich irgendwelche Widerstände geregt haben
(allerdings bei wohl suboptimaler Information
der KonsumentInnen!).
Quintessenz
Eine generelle Folsäure-Prävention durch Anreicherung von Mehl ist sinnvoll,
weil dadurch 40–50% aller Neuralrohrdefekte, insbesondere die schwer
mutilierende Spina bifida, verhütet werden könnte.
weil auch andere Fehlbildungen (Herz, Gaumenspalten, Harnwege, Gliedmassen) mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit reduziert würden.
weil durch die Absenkung von Homocystein die atherosklerotischen Veränderungen der Gefässintima vor allem in den Koronarien und Karotiden
unterdrückt werden, und damit mit hoher Wahrscheinlichkeit eine wirksame Prophylaxe gegen Herzinfarkt und Apoplexie geleistet wird.
weil aus verschiedenen Arbeiten hervorgeht, dass ein protektiver Effekt
gegen einige Karzinomtypen (vor allem Kolon- und Mammakarzinom)
zum mindesten wahrscheinlich ist. Gleiches gilt für kindliche Leukämien
und Hirntumoren.
weil diese Prävention nebenwirkungsfrei, risikolos und äusserst kostengünstig ist; ein wesentlicher Beitrag zur Senkung der Kosten im Gesundheitswesen!
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Besonders schwerwiegend dürften aber die
Konsequenzen für das Bäckereigewerbe sein.
Wenn der Bäcker nebst seinen 5–10 bisherigen
Brotsorten (in Zukunft mit Folsäure-Mehl) noch
weitere drei Sorten folsäurefreier Brote anbieten muss, dann käme dies wohl einer Überforderung gleich und dürfte zu einer ablehnenden
Haltung dieses Gewerbes zum ganzen Projekt
der Folsäure-Prophylaxe führen. Bei einer obligaten Anreicherung ist die Mehrbelastung für
die Müllerei zumutbar – ein meist schon vorhandenes Zumischgerät besorgt die FolsäureZufuhr –, für den Bäcker inexistent.
So unangenehm es erscheinen mag: eine «nur»
freiwillige Mehlanreicherung dürfte zum Scheitern verurteilt sein. Ein Vergleich mit dem
iodierten und fluoridierten Kochsalz taugt
nicht, weil dort nur 2 Salinen diese Aufgabe zu
übernehmen haben. Bei der Folsäureanreicherung sind aber Dutzende von Müllereibetrieben
und – bei Freiwilligkeit – gegen 3000 Bäcker involviert. Allenfalls könnte ein «Biobrot», das
von Gesetzes wegen keine artifiziellen Zusätze
enthalten darf, als Alternative dienen.
Es wird also grosser Anstrengungen bedürfen,
die Verbraucherorganisationen vom umfassenden gesundheitlichen Wert dieser Massnahme
soweit zu überzeugen, dass sie auf ihr angestammtes Recht zur Selbstbestimmung – hier
wird es fast zum «Recht auf Unvernunft»! – verzichten und im Interesse der Volksgesundheit
einer generellen und obligaten Prophylaxe zustimmen.
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1
(vollständiges Literaturverzeichnis
beim Verfasser)
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