VERTIEFENDE INFORMATION Wenn Gene aggressives Verhalten

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Wenn Gene aggressives Verhalten auslösen
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Entdeckungen aus der Hirnforschung zeigen, dass Gene manche Vorgänge in unserem Gehirn
steuern, die zu aggressivem Verhalten führen könnten. Welche Folgen hat dieses Wissen für die
Rechtsprechung? Wie soll man mit Menschen umgehen, die aufgrund ihrer genetischen Anlagen
potenzielle Gewaltverbrecher sind?
Was sind Aggressionen?
Aggression (von lat. aggressiō, „heranschreiten“, „sich nähern“, „angreifen“) bezeichnet eine Vielfalt von
Verhaltensweisen, denen gemeinsam ist, dass ein Konflikt zwischen Individuen oder Gruppen, der durch
unvereinbare Verhaltensziele verursacht wurde, nicht durch einseitige oder beidseitige Änderung dieser
Verhaltensziele gelöst wird, sondern dadurch, dass die eine Konfliktpartei zumindest versucht, der anderen eine
Änderung aufzwuzwingen.
Im Tierreich ist aggressives Verhalten weit verbreitet. Es wird von Verhaltensbiologen meist dahingehend
interpretiert, dass es dem direkten Wettbewerb um Ressourcen, der Fortpflanzung oder dem Nahrungserwerb
dient (Räuber-Beute-Beziehung). Es wird daher – speziell seitens der Ethologie – häufig auch als agonistisches
Verhalten oder als „Angriffs- und Drohverhalten“ bezeichnet und mit spezifischen Auslösern („Schlüsselreizen“) in
Verbindung gebracht.
Woher kommen Aggressionen?
•
Triebtheoretischer Ansatz: Aggressives Verhalten ist angeboren. Bekannteste Vertreter der Theorie sind
Sigmund Freud und Konrad Lorenz.
•
Lernen am Modell: Aggressives Verhalten wird aufgrund der Vorbildfunktion aggressiver Menschen, die
man beobachtet, erlernt. Ein bekannter Vertreter dieser Theorie ist Albert Bandura.
•
Klassische Konditionierung (nach Pawlow): Ein neutraler Umweltreiz, der gemeinsam mit einem Reiz
auftritt, der Aggression auslöst, kann zum alleinigen Auslöser der Aggression werden.
•
Lernen am Erfolg (Instrumentelle Konditionierung): Durch die Anwendung von aggressiven
Verhaltensmustern hat man Erfolg. Die Erfolgsbelohnung lässt einen in der Zukunft erneut aggressiv
handeln. Bekanntester Vertreter dieser Theorie ist Burrhus Frederic Skinner.
•
Frustrations-Aggressions-Hypothese: Durch Frustration entstehen aggressive Impulse. Bekannte
Vertreter sind John S. Dollard und Neal E. Miller.
Sind Aggressionen auch genetisch bedingt?
Es gibt zahlreiche Hinweise dafür, dass Aggression nicht allein auf Lernerfahrungen zurückgehen kann. Ratten,
die ohne Kontakt mit anderen Ratten aufwachsen, zeigen bei Bedrohung ihres Territoriums aggressives
Verhalten. Die nächsten Verwandten des Menschen, Bonobos und Schimpansen, haben sehr unterschiedliche
innerartliche Aggressionsniveaus.
Einige Hormone (z. B. Androgene und speziell das Testosteron) begünstigen eine erhöhte Neigung zu
aggressivem Verhalten. Während des Eintretens der Geschlechtsreife kann besonders bei männlichen Individuen
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beobachtet werden, wie das verbale und physische Aggressionspotential ansteigt („Flegeljahre“). Dies wiederum
wird auf die veränderte Aktivität der Gene zurückgeführt. Diese insbesondere von der eigenen Familie als
destruktiv empfundenen Verhaltensweisen können auch gegen sich selbst gerichtet sein (Autoaggressivität).
Der Neurotransmitter Serotonin spielt offenbar eine Rolle bei der Hemmung aggressiven und riskanten
Verhaltens. Der zugrundeliegende neuropsychologische Mechanismus beinhaltet nach heutigem Wissensstand
hauptsächlich Aktivierungen der Gebiete des Hypothalamus (VMH, AMH) und des PAG-Gebietes
(Periaquäduktales Grau), welche moduliert werden durch Aktivierungen oder Innervierungen der Amygdala und
präfrontaler Gebiete.
Wie die meisten Charaktereigenschaften ist auch Aggressivität zu einem beträchtlichen Teil (ca. 50 %) erblich,
wobei vor allem in der Presse auch von einem "Gen für Aggressivität" die Rede war. Die erste einschlägige Arbeit
beschrieb acht Männer einer niederländischen Großfamilie, die alle zu ungewöhnlichen Aggressionsschüben
neigten, die sich laut den Autoren unter anderem in Brandstiftung und Exhibitionismus äußerten. Bei allen diesen
Männern ist ein Gen völlig inaktiv, das für das Enzym Monoaminoxidase A (MAOA) kodiert. Solche Enzyme
bauen Monoamine ab, unter diesen sind Neurotransmitter wie Dopamin und Serotonin. Werden diese nicht
abgebaut, nachdem sie ihre Botschaft von einer Nervenzelle zur nächsten übermittelt haben, beeinflußt dies die
Reizleitung. Aus anderen Arbeiten weiß man, dass die Serotonin-Konzentration im Gehirn Aggressivität und
Impulsivität beeinflußt. Bei Mäusen wurden mindestens 15 Gene identifiziert, die mit Aggressivität zu tun haben
sollen, darunter ein Gen für NO-Synthase, also ein Enzym, das den vielseitigen Neurotransmitter NO produziert.
Schlüsse auf entsprechende Gene beim Menschen sind allerdings problematisch, denn die Gehirnstruktur von
Mäusen und anderen Säugetieren unterscheidet sich deutlich und auch unsere Gesellschaft und Kultur ist viel
komplexer.
Warum beschränkte sich die Analyse auf Männer? Erstens, weil das MAOA-Gen auf dem X-Chromosom liegt und
daher bei Männern nur in einfacher Ausfertigung vorliegt, was die Interpretation erleichtert. Bei Frauen, die ja
zwei X-Chromosomen haben, wird die Auswirkung einer weniger aktiven MAOA-Variante meist durch die zweite
Ausgabe des Gens auf dem zweiten X-Chrornosom gemildert. Zweitens aber, weil man mehr Erfahrung mit der
Beschreibung und Definition von antisozialem aggressivem Verhalten bei Männern hat als bei Frauen. Schließlich
ist, wie der US-Genetiker Greg Carey feststellte, der "stärkste genetische Marker für Gewalttätigkeit noch immer
die Anwesenheit eines Y-Chromosoms".
Impulsive Aggression und ihr Gen
Aggression kann mit einem bestimmten Gen in Verbindung gebracht werden: Seine "aggressive" Version kann zu
veränderten Gehirnstrukturen führen, wodurch betroffene Personen Gefühle und Impulse weniger gut
kontrollieren können - und zwar auch ohne den "äußeren" Einfluss der persönlichen Gewalterfahrung, sagen USForscher.
Das haben Gehirn-Scans gezeigt, die Andreas Meyer-Lindenberg von dem National Institute of Mental Health und
seine Kollegen bei rund 150 Testpersonen durchführten.
Was führt zur Aggressivität: Einflüsse der Umwelt, die Genetik oder beides? Ein lange andauernder Disput, der
sich auch um die Existenz eines "Gewalt-Gens" dreht. Die neurobiologischen Faktoren, die zu Gewalt beitragen,
sind noch eher wenig verstanden. Bekannt ist zumindest seit einigen Jahren, dass das so genannte MAO-A-Gen
mit impulsiver Gewalt etwas zu tun hat. Ein Team um Avshalom Caspi vom King's College in London konnte im
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Jahr 2002 nachweisen, dass eine bestimmte Variante von MAO-A beeinflusst, wie sich eine schlechte
Behandlung von Kindern in späteren Jahren des Heranwachsens auswirkt. (Science, Bd. 297, S. 851).
MAO-A und seine zwei Varianten
Monoaminooxidasen (MAO) sind u.a. am Abbau der Neurotransmitter (Nervenbotenstoffe) beteiligt. Das Gen
MAO-A kodiert für das Enzym Monoaminooxidase A und regelt insbesondere die Konzentration von Serotonin
und Noradrenalin.
Vom MAO-A-Gen gibt es zwei Varianten: eine aktivere und eine weniger aktive. Die Mutation zu der weniger
aktiven Gen-Version sorgt für eine geringere Konzentration des Enzyms Monoaminoxidase A, es wird daher auch
weniger Serotonin abgebaut. Wie einige bisherige Studien gezeigt haben, können Personen auf eine höhere
Serotonin-Konzentration gewalttätig reagieren.
Zwei Varianten des Gens
Caspi und sein Team entdeckten unterschiedliche Reaktion der Testpersonen auf die zwei Varianten des MAO-AGens: Die Personen, die die hoch aktive Variante des Gens trugen, zeigten - trotz der schlechten Behandlung in
der Kindheit - später kein ausgeprägtes anti-soziales Verhalten. Bei der weniger aktiven Variante war das
Gegenteil der Fall.
Die Ergebnisse aus dem Jahr 2002 lieferten eine relativ eindeutige Beziehung zwischen Genetik und Umwelt im
Zusammenhang mit aggressiven Verhaltensmustern. Gleichzeitig konnte laut den Forschern - wenigstens
teilweise - geklärt werden, warum nicht alle schlecht behandelten Kinder zu Gewalttätern werden.Frühere Studien
zeigten bereits, dass vor allem Männer die genetische Disposition aufweisen, die Produktion des Enzyms MAO-A
zu drosseln.
Ein Grund: Das Gen MAO-A liegt auf dem X-Chromosom und damit bei Männern nur einfach vor. Frauen
besitzen es auf beiden X-Chromosomen und der Effekt eines weniger aktiven MAO-A-Gens kann über das zweite
ausgeglichen werden.
Das MAO-A-Gen ist laut den US-Forschern eines von vielen Genen, die die impulsive Aggression beeinflussen.
Und: "Das Gen alleine macht Menschen nicht gewalttätig", erklärt Meyer-Lindenberg: "Doch indem wir seine
Effekte bei einer großen Anzahl von normalen Personen studiert haben, haben wir gesehen, wie die GenVariante das Gehirn bezüglich impulsivem und aggressivem Verhalten beeinträchtigt."
Kriminell geboren?
Dr. David Comings, a medical geneticist at the City of Hope Medical Center in Duarte, Calif., said, "'My feeling is
there is certainly no 'gene' for criminal behavior. There are genes which predispose people to an increased
frequency of impulsive-compulsive behaviors and that put them at greater risk of being involved in criminal
behavior." Several scientists suggested that the influence of genes on aggressive and violent behavior was about
50 percent, while others shied away from making any tidy breakdown between innate and learned factors.
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Dr. Thomas Müller (Profiler): Ich glaube nicht, dass ein Mensch böse auf die Welt kommt, sondern ich gehe
davon aus, dass es doch immer noch ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren ist, das böse macht. Zweifelsohne
ist ein bisschen was genetisch bedingt. Andererseits sind die ersten fünf, sechs Lebensjahre extrem wichtig - in
welcher Form Kinder sozialisiert werden, und wie sie zwischen Ursache und Wirkung unterscheiden können aber in weiterer Folge, und das wird sicher auch 20 bis 30 Prozent ausmachen, ist die spätere Entwicklung von
Menschen ausschlaggebend: Kindheit, Jugend, Pubertät und schließlich der Arbeitsprozess.
Gemeinsamer Einfluss von Genen und Umwelt
Doch nun vereint eine Arbeit (Science, 297, S. 851) die Einflüsse von Umwelt und Vererbung. Eine Gruppe um
Terry Moffitt (King's College London) zeigte, dass jene männlichen Probanden, die in ihrer Kindheit schlecht
behandelt worden waren, im Durchschnitt eher antisoziales Verhalten zeigen als eine Kontrollgruppe. Dabei
wurde auch die Ausprägung des MAOA-Gens untersucht, wobei sich zeigte, dass die inaktive Ausprägung des
Gens nicht nachzuweisen war, allerdings fand man eine mehr und eine weniger aktive Variante. Es scheint die
weniger aktive MAOA-Variante die Auswirkung der schlimmen Kindheitserlebnisse wesentlich zuverstärken. Von
den in ihrer Kindheit misshandelten oder stark vernachlässigten Männern zeigten nämlich jene mit der weniger
aktiven MAOA-Variante in der Adoleszenz doppelt so oft Verhaltensstörungen wie jene mit der aktiveren GenVersion. Noch deutlicher ist der Zusammenhang bei Gewaltverbrechen wie Raub oder Vergewaltigung. Dagegen
hat die Gen-Ausprägung allein - ohne Kindheitstraumata - keinen statistisch feststellbaren Einfluß. Das heißt,
dass erst iein Umweltfaktar ("Stressor") einen genetischen Faktor wirksam werden läßt. dass die MAOA-Aktivität
sich gerade,in der Kindheit besonders auswirkt, könnte daran liegen, dass ein zweites, ähnliches Gen (MAOB)
Verstärkung von Aggressionen
Einige Gegebenheiten führen in Situationen, in denen aggressives Potential vorhanden ist, zu einer Verstärkung
der aggressiven Tendenz:
•
Neuropsychiatrische Krankheiten: Aggression kann ohne ersichtlichen Grund aufgrund der frontalen
Enthemmung bei Demenz-Kranken auftreten. Die Prävalanz ist bei den Demenzarten verschieden
ausgeprägt: Morbus Alzheimer 34 %, Vaskuläre Demenz 72 %, Lewy-Body-Demenz 71 % und
Frontotemporale Demenz 69 %.[6]
•
Aversive Reize: Aversive (unangenehme) Reize führen zu einer verstärkten Gereiztheit und können
Ärgerempfindungen hervorrufen. In einer Untersuchung tauchten Versuchspersonen ihre Hände bei
einem Scheinexperiment in Wasserbecken. War das Wasser sehr kalt oder heiß, gaben die Probanden
verstärkte Ärgergefühle an und zeigten aggressive Verhaltenstendenzen (reagieren gereizt auf
Versuchsleiter etc.). In einer anderen Untersuchung sollten Personen einen Fragebogen ausfüllen, der
ihre Aggressivität erfasste. Füllten sie diesen in einem stark überheizten Raum aus, wiesen sie eine
erhöhte Aggressivität auf.
•
Erregung: Physiologische Erregung (arousal) verstärkt bestehende Verhaltenstendenzen. Bei einem
Experiment wurde Versuchspersonen Adrenalin injiziert, was zu einer erhöhten Erregung führte. Danach
wurden sie in einen Raum mit einer entweder sehr euphorischen oder sehr feindseligen Person gebracht.
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Wenn die Probanden nichts über die Adrenalininjektion wussten, verhielten sie sich in starkem Ausmaß
entsprechend der zweiten Person (feindselig bzw. aggressiv oder euphorisch). Die durch das Adrenalin
hervorgerufene physiologische Erregung hatte die Gefühlstendenz verstärkt. Es wird angenommen, dass
die Probanden die Erregung auf die Reizung durch die andere Person attribuierten.
•
Wussten die Probanden, dass ihnen Adrenalin injiziert wurde, verstärkten sich ihre feindseligen bzw.
euphorischen Gefühle nicht. Sie nahmen zwar die körperliche Erregung wahr, attribuierten sie jedoch auf
die Injektion.
•
In einer anderen Untersuchung zeigte sich, dass Menschen bei sportlicher Betätigung leichter gereizt
werden können. Sie scheinen ihre körperliche Erregtheit in gewissen Teilen auf die äußerliche Reizung
anstatt den Sport zu attribuieren.
•
Aggressive Hinweisreize: Sind in einer Situation Reize, die mit Aggression oder Gewalt assoziiert werden,
vorhanden, führen diese zu einem schnelleren Ausbruch der aggressiven Tendenzen. So zeigten
Kindergartenkinder in einer Studie mehr aggressives Verhalten, wenn sie mit Spielzeugwaffen im
Gegensatz zu Puppen, Autos etc. spielten.
•
Fernsehen: Das Lernexperiment von Bandura, in dem Kinder einen Erwachsenen bei gewalttätigem
Umgang mit einer Puppe beobachteten und dies später nachahmten, wurde auch mit Videoaufnahmen,
in denen der Erwachsene zu sehen war, repliziert. Selbst wenn die Kinder die Gewalt nur auf dem
Bildschirm sahen, verhielten sie sich später in ähnlicher Weise gegenüber der Puppe.
•
PC-Spiele: Auch Computerspiele können eine ähnliche Wirkung wie Fernsehen ausüben.
•
Selbstschutz: Aggressive Reaktionen können auch durch (vermeintliche) Gefahrensituationen ausgelöst
werden. Fühlt man sich bedroht, so versucht man sich zu verteidigen und dies oftmals mit vom
Aggressionspotential gesteuerter, psychischer oder physischer Gewalt.
Aggression aus Sicht der Ökologie
Von Ökologen wird Aggression hingegen als Bestandteil von „Interferenzen“ gedeutet. Als solche Interferenzen
gelten Schwankungen der Populationsdichte, die durch sozialen Stress bei zu hohen Populationsdichten (siehe
Populationsdynamik) entstehen. Eine hohe Populationsdichte erzeugt einen höheren Druck durch Intraspezifische
Konkurrenz. Die Aggression gegen Artgenossen dient häufig der Vertreibung eines Individuums oder von
Gruppen in ein anderes Revier, um so die Populationsdichte in einem Habitat auf niedrigem Niveau und damit
das Nahrungsangebot für das Individuum hoch halten zu können. Das Verhältnis von Aggression zu sozialem
Verhalten ist häufig vom Nahrungsangebot abhängig (z. B. bei Spinnentieren). Bei genügendem
Nahrungsangebot oder zum Schutz vor Fressfeinden erhöht sich die soziale Toleranz. Viele Tiere zeigen
aggressives Verhalten gegen Artgenossen auch als Mittel zum Schutz der Nachkommen.
Diese Form der innerartlichen Aggression ist zu unterscheiden von der zwischenartlichen Aggression, die zum
Beispiel jedem Beutegreifer bei der Nahrungsbeschaffung zu eigen ist.
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Gewalt-Gen: Die Sicht der Rechtswissenschaften
Aggressionen werden strafrechtlich erst relevant, wenn sie selbst ein geschütztes Rechtsgut verletzen. In der
Regel ist dies vor allem bei Körperverletzungen oder unter Umständen auch dem Tatbestand der
Sachbeschädigung der Fall. Aggressionen sind straflos, wenn sie durch Rechtfertigungsgründe wie Notwehr oder
Notstand o. Ä. gerechtfertigt werden.
Völkerrechtlich hat der Begriff der Aggression auch Einzug in die Charta der Vereinten Nationen erhalten:
Aggressionen sind Eingriffe in die Souveränität eines Staates, die nicht gerechtfertigt sind. Dies können der
Angriffskrieg sein, aber auch Grenzverletzungen und Drohungen mit Gewalt. Wird völkerrechtliches Unrecht
begangen, so kann sich das angegriffene Völkerrechtssubjekt dagegen wehren (jedoch sind Präventivkriege nicht
zulässig). Maßnahmen sind Retorsionen (gegen unfreundliche Handlungen) oder Repressalien (gegen
völkerrechtswidrige Handlungen). Beide sind völkerrechtlich bei Aggressionen zulässig.
Kann niemanden aufgrund von einem Gen verurteilen. Genetisch zur Gewaltneigender Mensch schuldig, wenn er
eine Gewalttat begeht?? Ja, geht um die Willensfreiheit. Unter Beachtung der Zurechnungsfähigkeit. (Person
kann ihr Verhalten vernünftig steuern)
Genetisch begünstigte ‚Gewalt-Personen’ werden erst Kriminiell, aggressiv wenn verschiedene Faktoren (Laune,
Stress usw) zusammenkommen. ABER das genetische Wissen ist für die Rechtssprechung tw. Bedeutend: Ein
Mensch mit erhöhtem Serotonin spiegel kann sich schwerer beherrschen – so ist sein Verhalten zumindest tw.
Entschuldbar bzw. verständlicher.
Allerdings sind genetisches Wissen bei der Rechtssprechung noch schwer vorstellbar, fast jeder Mensch hat
genetische Abweichungen, in wie weit welche wie stark in betracht gezogen werden sollen und was ist die
Abweichung vom ‚normal zustand’? Normalzustand müsste definiert sein.
Andere sehen darin keinen Entschuldigungsgrund. Wenn man mit einer Handlung (oder Unterlassung) eine
sitllichte Norm verletzt, dann ist er schuldig, wenn er von seiner genetischen Aggressivitäts-Veranlagung weiss. ->
Muss der Betroffene genetisch Gewalttägige Mensch Maßnahmen gegen sich selbst ergreifen??? Sobald er
davon weiss, trägt er auch eine gewisse Verantwortung. Eventuell eine spezielle ‚Gentherapie’ für betroffene –
allerdings schwer wie die aufgebaut sein sollte?
Wie entsteht Aggression (Kinder)?
Als biologische Ursachen werden ein allgemein niedrigeres Erregungsniveau sowie die schlechtere Kontrolle der
Impulse genannt. Insgesamt findet sich in der Fachliteratur allerdings eine Reihe von Befunden, die sich dafür
aussprechen, dass genetische Merkmale und Dispositionen einen eher geringen Stellenwert für die Entwicklung
und Aufrechterhaltung von aggressiven Verhaltensmustern haben.
So wie eine Reihe anderer Prozesse wird auch Aggression durch Lernen am Modell stark beeinflusst und
gefördert. Anhaltende Gewalterfahrungen, wie körperliche und sexuelle Misshandlung in der Familie stressen
ungemein. Auch die Partnerschaftskonflikte der Eltern belasten das Kind. Oft sind die Eltern mit der Erziehung
überfordert und Vernachlässigung oder Gewalt sind die Folge. Ein Erziehungsstil ohne Regeln und
Konsequenzen hat sich als besonders ungünstig für die soziale Entwicklung des Kindes erwiesen. Regeln und
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damit verbundene Strukturen regulieren die menschlichen Beziehungen untereinander und geben gleichzeitig
Halt und Sicherheit.
Teufelskreis Aggression – Erziehung, Vererbung
Die Neigung zur Aggression wird aber zumindest teilweise von Generation zu Generation weitergegeben,
allerdings bleibt immer offen, ob durch Vorbild bzw. Erziehung oder Vererbung. Martin Teicher (Harvard Medical
School) hat im Scientific American (Heft 3, 2002) von Untersuchungen berichtet, in denen sich zeigte, dass
Hippocampus und Amygdala bei Personen kleiner sind, die in ihrer Kindheit misshandelt oder missbraucht
wurden. Offenbar verändert schwerer Stress in der Kindheit die molekulare Organisation dieser Hirnregionen,
etwa die Struktur der Rezeptoren für den Neurotransmitter Gamma-Amino-Buttersäure.
Aggressivität männlich? (Testosteron?)
Die Ansicht, dass Testosteron per se aggressiv macht, ist einer Studie zufolge als Mythos einzustufen. Das
Sexualhormon erhöht zwar das Statusbewusstsein - dieses kann sich jedoch in äußerst fairem Verhalten äußern.
Das in Populärliteratur, Kunst und Medien tradierte Klischee der Testosteronwirkung lässt sich mit drei Worten
beschreiben: Aggression - Risiko - Eigennutz. Die Forschung scheint das zunächst zu bestätigen. Studien haben
etwa gezeigt, dass kastrierte Ratten weniger streitsüchtig agieren als ihre Artgenossen, bei denen die Hormone
unvermindert im Körper flottieren.
Die Versuchspersonen mit künstlich erhöhtem Testosteronspiegel machten durchgehend die besseren, faireren
Angebote als diejenigen, die Scheinpräparate erhielten. Die Resultate legen nahe, dass das Hormon die
Empfindsamkeit für den Status erhöht. Bei Tierarten mit relativ einfachen sozialen Systemen mag sich ein
erhöhtes Statusbewusstsein in Aggressivität ausdrücken - bei solchen mit komplexeren Sozialgefügen kann es
offenbar auch andere Wirkungen haben.
Nicht Testosteron selbst verleite zu Aggressivität, sondern vielmehr der Mythos rund um das Hormon.
Männer aggressiver?
Ja, Ein Grund: Das Gen MAO-A liegt auf dem X-Chromosom und damit bei Männern nur einfach vor. Frauen
besitzen es auf beiden X-Chromosomen und der Effekt eines weniger aktiven MAO-A-Gens kann über das zweite
ausgeglichen werden.
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