VERTIEFENDE INFORMATION Wenn Gene aggressives Verhalten auslösen -1- Entdeckungen aus der Hirnforschung zeigen, dass Gene manche Vorgänge in unserem Gehirn steuern, die zu aggressivem Verhalten führen könnten. Welche Folgen hat dieses Wissen für die Rechtsprechung? Wie soll man mit Menschen umgehen, die aufgrund ihrer genetischen Anlagen potenzielle Gewaltverbrecher sind? Was sind Aggressionen? Aggression (von lat. aggressiō, „heranschreiten“, „sich nähern“, „angreifen“) bezeichnet eine Vielfalt von Verhaltensweisen, denen gemeinsam ist, dass ein Konflikt zwischen Individuen oder Gruppen, der durch unvereinbare Verhaltensziele verursacht wurde, nicht durch einseitige oder beidseitige Änderung dieser Verhaltensziele gelöst wird, sondern dadurch, dass die eine Konfliktpartei zumindest versucht, der anderen eine Änderung aufzwuzwingen. Im Tierreich ist aggressives Verhalten weit verbreitet. Es wird von Verhaltensbiologen meist dahingehend interpretiert, dass es dem direkten Wettbewerb um Ressourcen, der Fortpflanzung oder dem Nahrungserwerb dient (Räuber-Beute-Beziehung). Es wird daher – speziell seitens der Ethologie – häufig auch als agonistisches Verhalten oder als „Angriffs- und Drohverhalten“ bezeichnet und mit spezifischen Auslösern („Schlüsselreizen“) in Verbindung gebracht. Woher kommen Aggressionen? • Triebtheoretischer Ansatz: Aggressives Verhalten ist angeboren. Bekannteste Vertreter der Theorie sind Sigmund Freud und Konrad Lorenz. • Lernen am Modell: Aggressives Verhalten wird aufgrund der Vorbildfunktion aggressiver Menschen, die man beobachtet, erlernt. Ein bekannter Vertreter dieser Theorie ist Albert Bandura. • Klassische Konditionierung (nach Pawlow): Ein neutraler Umweltreiz, der gemeinsam mit einem Reiz auftritt, der Aggression auslöst, kann zum alleinigen Auslöser der Aggression werden. • Lernen am Erfolg (Instrumentelle Konditionierung): Durch die Anwendung von aggressiven Verhaltensmustern hat man Erfolg. Die Erfolgsbelohnung lässt einen in der Zukunft erneut aggressiv handeln. Bekanntester Vertreter dieser Theorie ist Burrhus Frederic Skinner. • Frustrations-Aggressions-Hypothese: Durch Frustration entstehen aggressive Impulse. Bekannte Vertreter sind John S. Dollard und Neal E. Miller. Sind Aggressionen auch genetisch bedingt? Es gibt zahlreiche Hinweise dafür, dass Aggression nicht allein auf Lernerfahrungen zurückgehen kann. Ratten, die ohne Kontakt mit anderen Ratten aufwachsen, zeigen bei Bedrohung ihres Territoriums aggressives Verhalten. Die nächsten Verwandten des Menschen, Bonobos und Schimpansen, haben sehr unterschiedliche innerartliche Aggressionsniveaus. Einige Hormone (z. B. Androgene und speziell das Testosteron) begünstigen eine erhöhte Neigung zu aggressivem Verhalten. Während des Eintretens der Geschlechtsreife kann besonders bei männlichen Individuen Österreichisches Wissenschaftsparlament – 15.-16.9.2010 – Wiener Neustadt VERTIEFENDE INFORMATION Wenn Gene aggressives Verhalten auslösen -2- beobachtet werden, wie das verbale und physische Aggressionspotential ansteigt („Flegeljahre“). Dies wiederum wird auf die veränderte Aktivität der Gene zurückgeführt. Diese insbesondere von der eigenen Familie als destruktiv empfundenen Verhaltensweisen können auch gegen sich selbst gerichtet sein (Autoaggressivität). Der Neurotransmitter Serotonin spielt offenbar eine Rolle bei der Hemmung aggressiven und riskanten Verhaltens. Der zugrundeliegende neuropsychologische Mechanismus beinhaltet nach heutigem Wissensstand hauptsächlich Aktivierungen der Gebiete des Hypothalamus (VMH, AMH) und des PAG-Gebietes (Periaquäduktales Grau), welche moduliert werden durch Aktivierungen oder Innervierungen der Amygdala und präfrontaler Gebiete. Wie die meisten Charaktereigenschaften ist auch Aggressivität zu einem beträchtlichen Teil (ca. 50 %) erblich, wobei vor allem in der Presse auch von einem "Gen für Aggressivität" die Rede war. Die erste einschlägige Arbeit beschrieb acht Männer einer niederländischen Großfamilie, die alle zu ungewöhnlichen Aggressionsschüben neigten, die sich laut den Autoren unter anderem in Brandstiftung und Exhibitionismus äußerten. Bei allen diesen Männern ist ein Gen völlig inaktiv, das für das Enzym Monoaminoxidase A (MAOA) kodiert. Solche Enzyme bauen Monoamine ab, unter diesen sind Neurotransmitter wie Dopamin und Serotonin. Werden diese nicht abgebaut, nachdem sie ihre Botschaft von einer Nervenzelle zur nächsten übermittelt haben, beeinflußt dies die Reizleitung. Aus anderen Arbeiten weiß man, dass die Serotonin-Konzentration im Gehirn Aggressivität und Impulsivität beeinflußt. Bei Mäusen wurden mindestens 15 Gene identifiziert, die mit Aggressivität zu tun haben sollen, darunter ein Gen für NO-Synthase, also ein Enzym, das den vielseitigen Neurotransmitter NO produziert. Schlüsse auf entsprechende Gene beim Menschen sind allerdings problematisch, denn die Gehirnstruktur von Mäusen und anderen Säugetieren unterscheidet sich deutlich und auch unsere Gesellschaft und Kultur ist viel komplexer. Warum beschränkte sich die Analyse auf Männer? Erstens, weil das MAOA-Gen auf dem X-Chromosom liegt und daher bei Männern nur in einfacher Ausfertigung vorliegt, was die Interpretation erleichtert. Bei Frauen, die ja zwei X-Chromosomen haben, wird die Auswirkung einer weniger aktiven MAOA-Variante meist durch die zweite Ausgabe des Gens auf dem zweiten X-Chrornosom gemildert. Zweitens aber, weil man mehr Erfahrung mit der Beschreibung und Definition von antisozialem aggressivem Verhalten bei Männern hat als bei Frauen. Schließlich ist, wie der US-Genetiker Greg Carey feststellte, der "stärkste genetische Marker für Gewalttätigkeit noch immer die Anwesenheit eines Y-Chromosoms". Impulsive Aggression und ihr Gen Aggression kann mit einem bestimmten Gen in Verbindung gebracht werden: Seine "aggressive" Version kann zu veränderten Gehirnstrukturen führen, wodurch betroffene Personen Gefühle und Impulse weniger gut kontrollieren können - und zwar auch ohne den "äußeren" Einfluss der persönlichen Gewalterfahrung, sagen USForscher. Das haben Gehirn-Scans gezeigt, die Andreas Meyer-Lindenberg von dem National Institute of Mental Health und seine Kollegen bei rund 150 Testpersonen durchführten. Was führt zur Aggressivität: Einflüsse der Umwelt, die Genetik oder beides? Ein lange andauernder Disput, der sich auch um die Existenz eines "Gewalt-Gens" dreht. Die neurobiologischen Faktoren, die zu Gewalt beitragen, sind noch eher wenig verstanden. Bekannt ist zumindest seit einigen Jahren, dass das so genannte MAO-A-Gen mit impulsiver Gewalt etwas zu tun hat. Ein Team um Avshalom Caspi vom King's College in London konnte im Österreichisches Wissenschaftsparlament – 15.-16.9.2010 – Wiener Neustadt VERTIEFENDE INFORMATION Wenn Gene aggressives Verhalten auslösen -3- Jahr 2002 nachweisen, dass eine bestimmte Variante von MAO-A beeinflusst, wie sich eine schlechte Behandlung von Kindern in späteren Jahren des Heranwachsens auswirkt. (Science, Bd. 297, S. 851). MAO-A und seine zwei Varianten Monoaminooxidasen (MAO) sind u.a. am Abbau der Neurotransmitter (Nervenbotenstoffe) beteiligt. Das Gen MAO-A kodiert für das Enzym Monoaminooxidase A und regelt insbesondere die Konzentration von Serotonin und Noradrenalin. Vom MAO-A-Gen gibt es zwei Varianten: eine aktivere und eine weniger aktive. Die Mutation zu der weniger aktiven Gen-Version sorgt für eine geringere Konzentration des Enzyms Monoaminoxidase A, es wird daher auch weniger Serotonin abgebaut. Wie einige bisherige Studien gezeigt haben, können Personen auf eine höhere Serotonin-Konzentration gewalttätig reagieren. Zwei Varianten des Gens Caspi und sein Team entdeckten unterschiedliche Reaktion der Testpersonen auf die zwei Varianten des MAO-AGens: Die Personen, die die hoch aktive Variante des Gens trugen, zeigten - trotz der schlechten Behandlung in der Kindheit - später kein ausgeprägtes anti-soziales Verhalten. Bei der weniger aktiven Variante war das Gegenteil der Fall. Die Ergebnisse aus dem Jahr 2002 lieferten eine relativ eindeutige Beziehung zwischen Genetik und Umwelt im Zusammenhang mit aggressiven Verhaltensmustern. Gleichzeitig konnte laut den Forschern - wenigstens teilweise - geklärt werden, warum nicht alle schlecht behandelten Kinder zu Gewalttätern werden.Frühere Studien zeigten bereits, dass vor allem Männer die genetische Disposition aufweisen, die Produktion des Enzyms MAO-A zu drosseln. Ein Grund: Das Gen MAO-A liegt auf dem X-Chromosom und damit bei Männern nur einfach vor. Frauen besitzen es auf beiden X-Chromosomen und der Effekt eines weniger aktiven MAO-A-Gens kann über das zweite ausgeglichen werden. Das MAO-A-Gen ist laut den US-Forschern eines von vielen Genen, die die impulsive Aggression beeinflussen. Und: "Das Gen alleine macht Menschen nicht gewalttätig", erklärt Meyer-Lindenberg: "Doch indem wir seine Effekte bei einer großen Anzahl von normalen Personen studiert haben, haben wir gesehen, wie die GenVariante das Gehirn bezüglich impulsivem und aggressivem Verhalten beeinträchtigt." Kriminell geboren? Dr. David Comings, a medical geneticist at the City of Hope Medical Center in Duarte, Calif., said, "'My feeling is there is certainly no 'gene' for criminal behavior. There are genes which predispose people to an increased frequency of impulsive-compulsive behaviors and that put them at greater risk of being involved in criminal behavior." Several scientists suggested that the influence of genes on aggressive and violent behavior was about 50 percent, while others shied away from making any tidy breakdown between innate and learned factors. Österreichisches Wissenschaftsparlament – 15.-16.9.2010 – Wiener Neustadt VERTIEFENDE INFORMATION Wenn Gene aggressives Verhalten auslösen -4- Dr. Thomas Müller (Profiler): Ich glaube nicht, dass ein Mensch böse auf die Welt kommt, sondern ich gehe davon aus, dass es doch immer noch ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren ist, das böse macht. Zweifelsohne ist ein bisschen was genetisch bedingt. Andererseits sind die ersten fünf, sechs Lebensjahre extrem wichtig - in welcher Form Kinder sozialisiert werden, und wie sie zwischen Ursache und Wirkung unterscheiden können aber in weiterer Folge, und das wird sicher auch 20 bis 30 Prozent ausmachen, ist die spätere Entwicklung von Menschen ausschlaggebend: Kindheit, Jugend, Pubertät und schließlich der Arbeitsprozess. Gemeinsamer Einfluss von Genen und Umwelt Doch nun vereint eine Arbeit (Science, 297, S. 851) die Einflüsse von Umwelt und Vererbung. Eine Gruppe um Terry Moffitt (King's College London) zeigte, dass jene männlichen Probanden, die in ihrer Kindheit schlecht behandelt worden waren, im Durchschnitt eher antisoziales Verhalten zeigen als eine Kontrollgruppe. Dabei wurde auch die Ausprägung des MAOA-Gens untersucht, wobei sich zeigte, dass die inaktive Ausprägung des Gens nicht nachzuweisen war, allerdings fand man eine mehr und eine weniger aktive Variante. Es scheint die weniger aktive MAOA-Variante die Auswirkung der schlimmen Kindheitserlebnisse wesentlich zuverstärken. Von den in ihrer Kindheit misshandelten oder stark vernachlässigten Männern zeigten nämlich jene mit der weniger aktiven MAOA-Variante in der Adoleszenz doppelt so oft Verhaltensstörungen wie jene mit der aktiveren GenVersion. Noch deutlicher ist der Zusammenhang bei Gewaltverbrechen wie Raub oder Vergewaltigung. Dagegen hat die Gen-Ausprägung allein - ohne Kindheitstraumata - keinen statistisch feststellbaren Einfluß. Das heißt, dass erst iein Umweltfaktar ("Stressor") einen genetischen Faktor wirksam werden läßt. dass die MAOA-Aktivität sich gerade,in der Kindheit besonders auswirkt, könnte daran liegen, dass ein zweites, ähnliches Gen (MAOB) Verstärkung von Aggressionen Einige Gegebenheiten führen in Situationen, in denen aggressives Potential vorhanden ist, zu einer Verstärkung der aggressiven Tendenz: • Neuropsychiatrische Krankheiten: Aggression kann ohne ersichtlichen Grund aufgrund der frontalen Enthemmung bei Demenz-Kranken auftreten. Die Prävalanz ist bei den Demenzarten verschieden ausgeprägt: Morbus Alzheimer 34 %, Vaskuläre Demenz 72 %, Lewy-Body-Demenz 71 % und Frontotemporale Demenz 69 %.[6] • Aversive Reize: Aversive (unangenehme) Reize führen zu einer verstärkten Gereiztheit und können Ärgerempfindungen hervorrufen. In einer Untersuchung tauchten Versuchspersonen ihre Hände bei einem Scheinexperiment in Wasserbecken. War das Wasser sehr kalt oder heiß, gaben die Probanden verstärkte Ärgergefühle an und zeigten aggressive Verhaltenstendenzen (reagieren gereizt auf Versuchsleiter etc.). In einer anderen Untersuchung sollten Personen einen Fragebogen ausfüllen, der ihre Aggressivität erfasste. Füllten sie diesen in einem stark überheizten Raum aus, wiesen sie eine erhöhte Aggressivität auf. • Erregung: Physiologische Erregung (arousal) verstärkt bestehende Verhaltenstendenzen. Bei einem Experiment wurde Versuchspersonen Adrenalin injiziert, was zu einer erhöhten Erregung führte. Danach wurden sie in einen Raum mit einer entweder sehr euphorischen oder sehr feindseligen Person gebracht. Österreichisches Wissenschaftsparlament – 15.-16.9.2010 – Wiener Neustadt VERTIEFENDE INFORMATION Wenn Gene aggressives Verhalten auslösen -5- Wenn die Probanden nichts über die Adrenalininjektion wussten, verhielten sie sich in starkem Ausmaß entsprechend der zweiten Person (feindselig bzw. aggressiv oder euphorisch). Die durch das Adrenalin hervorgerufene physiologische Erregung hatte die Gefühlstendenz verstärkt. Es wird angenommen, dass die Probanden die Erregung auf die Reizung durch die andere Person attribuierten. • Wussten die Probanden, dass ihnen Adrenalin injiziert wurde, verstärkten sich ihre feindseligen bzw. euphorischen Gefühle nicht. Sie nahmen zwar die körperliche Erregung wahr, attribuierten sie jedoch auf die Injektion. • In einer anderen Untersuchung zeigte sich, dass Menschen bei sportlicher Betätigung leichter gereizt werden können. Sie scheinen ihre körperliche Erregtheit in gewissen Teilen auf die äußerliche Reizung anstatt den Sport zu attribuieren. • Aggressive Hinweisreize: Sind in einer Situation Reize, die mit Aggression oder Gewalt assoziiert werden, vorhanden, führen diese zu einem schnelleren Ausbruch der aggressiven Tendenzen. So zeigten Kindergartenkinder in einer Studie mehr aggressives Verhalten, wenn sie mit Spielzeugwaffen im Gegensatz zu Puppen, Autos etc. spielten. • Fernsehen: Das Lernexperiment von Bandura, in dem Kinder einen Erwachsenen bei gewalttätigem Umgang mit einer Puppe beobachteten und dies später nachahmten, wurde auch mit Videoaufnahmen, in denen der Erwachsene zu sehen war, repliziert. Selbst wenn die Kinder die Gewalt nur auf dem Bildschirm sahen, verhielten sie sich später in ähnlicher Weise gegenüber der Puppe. • PC-Spiele: Auch Computerspiele können eine ähnliche Wirkung wie Fernsehen ausüben. • Selbstschutz: Aggressive Reaktionen können auch durch (vermeintliche) Gefahrensituationen ausgelöst werden. Fühlt man sich bedroht, so versucht man sich zu verteidigen und dies oftmals mit vom Aggressionspotential gesteuerter, psychischer oder physischer Gewalt. Aggression aus Sicht der Ökologie Von Ökologen wird Aggression hingegen als Bestandteil von „Interferenzen“ gedeutet. Als solche Interferenzen gelten Schwankungen der Populationsdichte, die durch sozialen Stress bei zu hohen Populationsdichten (siehe Populationsdynamik) entstehen. Eine hohe Populationsdichte erzeugt einen höheren Druck durch Intraspezifische Konkurrenz. Die Aggression gegen Artgenossen dient häufig der Vertreibung eines Individuums oder von Gruppen in ein anderes Revier, um so die Populationsdichte in einem Habitat auf niedrigem Niveau und damit das Nahrungsangebot für das Individuum hoch halten zu können. Das Verhältnis von Aggression zu sozialem Verhalten ist häufig vom Nahrungsangebot abhängig (z. B. bei Spinnentieren). Bei genügendem Nahrungsangebot oder zum Schutz vor Fressfeinden erhöht sich die soziale Toleranz. Viele Tiere zeigen aggressives Verhalten gegen Artgenossen auch als Mittel zum Schutz der Nachkommen. Diese Form der innerartlichen Aggression ist zu unterscheiden von der zwischenartlichen Aggression, die zum Beispiel jedem Beutegreifer bei der Nahrungsbeschaffung zu eigen ist. Österreichisches Wissenschaftsparlament – 15.-16.9.2010 – Wiener Neustadt VERTIEFENDE INFORMATION Wenn Gene aggressives Verhalten auslösen -6- Gewalt-Gen: Die Sicht der Rechtswissenschaften Aggressionen werden strafrechtlich erst relevant, wenn sie selbst ein geschütztes Rechtsgut verletzen. In der Regel ist dies vor allem bei Körperverletzungen oder unter Umständen auch dem Tatbestand der Sachbeschädigung der Fall. Aggressionen sind straflos, wenn sie durch Rechtfertigungsgründe wie Notwehr oder Notstand o. Ä. gerechtfertigt werden. Völkerrechtlich hat der Begriff der Aggression auch Einzug in die Charta der Vereinten Nationen erhalten: Aggressionen sind Eingriffe in die Souveränität eines Staates, die nicht gerechtfertigt sind. Dies können der Angriffskrieg sein, aber auch Grenzverletzungen und Drohungen mit Gewalt. Wird völkerrechtliches Unrecht begangen, so kann sich das angegriffene Völkerrechtssubjekt dagegen wehren (jedoch sind Präventivkriege nicht zulässig). Maßnahmen sind Retorsionen (gegen unfreundliche Handlungen) oder Repressalien (gegen völkerrechtswidrige Handlungen). Beide sind völkerrechtlich bei Aggressionen zulässig. Kann niemanden aufgrund von einem Gen verurteilen. Genetisch zur Gewaltneigender Mensch schuldig, wenn er eine Gewalttat begeht?? Ja, geht um die Willensfreiheit. Unter Beachtung der Zurechnungsfähigkeit. (Person kann ihr Verhalten vernünftig steuern) Genetisch begünstigte ‚Gewalt-Personen’ werden erst Kriminiell, aggressiv wenn verschiedene Faktoren (Laune, Stress usw) zusammenkommen. ABER das genetische Wissen ist für die Rechtssprechung tw. Bedeutend: Ein Mensch mit erhöhtem Serotonin spiegel kann sich schwerer beherrschen – so ist sein Verhalten zumindest tw. Entschuldbar bzw. verständlicher. Allerdings sind genetisches Wissen bei der Rechtssprechung noch schwer vorstellbar, fast jeder Mensch hat genetische Abweichungen, in wie weit welche wie stark in betracht gezogen werden sollen und was ist die Abweichung vom ‚normal zustand’? Normalzustand müsste definiert sein. Andere sehen darin keinen Entschuldigungsgrund. Wenn man mit einer Handlung (oder Unterlassung) eine sitllichte Norm verletzt, dann ist er schuldig, wenn er von seiner genetischen Aggressivitäts-Veranlagung weiss. -> Muss der Betroffene genetisch Gewalttägige Mensch Maßnahmen gegen sich selbst ergreifen??? Sobald er davon weiss, trägt er auch eine gewisse Verantwortung. Eventuell eine spezielle ‚Gentherapie’ für betroffene – allerdings schwer wie die aufgebaut sein sollte? Wie entsteht Aggression (Kinder)? Als biologische Ursachen werden ein allgemein niedrigeres Erregungsniveau sowie die schlechtere Kontrolle der Impulse genannt. Insgesamt findet sich in der Fachliteratur allerdings eine Reihe von Befunden, die sich dafür aussprechen, dass genetische Merkmale und Dispositionen einen eher geringen Stellenwert für die Entwicklung und Aufrechterhaltung von aggressiven Verhaltensmustern haben. So wie eine Reihe anderer Prozesse wird auch Aggression durch Lernen am Modell stark beeinflusst und gefördert. Anhaltende Gewalterfahrungen, wie körperliche und sexuelle Misshandlung in der Familie stressen ungemein. Auch die Partnerschaftskonflikte der Eltern belasten das Kind. Oft sind die Eltern mit der Erziehung überfordert und Vernachlässigung oder Gewalt sind die Folge. Ein Erziehungsstil ohne Regeln und Konsequenzen hat sich als besonders ungünstig für die soziale Entwicklung des Kindes erwiesen. Regeln und Österreichisches Wissenschaftsparlament – 15.-16.9.2010 – Wiener Neustadt VERTIEFENDE INFORMATION Wenn Gene aggressives Verhalten auslösen -7- damit verbundene Strukturen regulieren die menschlichen Beziehungen untereinander und geben gleichzeitig Halt und Sicherheit. Teufelskreis Aggression – Erziehung, Vererbung Die Neigung zur Aggression wird aber zumindest teilweise von Generation zu Generation weitergegeben, allerdings bleibt immer offen, ob durch Vorbild bzw. Erziehung oder Vererbung. Martin Teicher (Harvard Medical School) hat im Scientific American (Heft 3, 2002) von Untersuchungen berichtet, in denen sich zeigte, dass Hippocampus und Amygdala bei Personen kleiner sind, die in ihrer Kindheit misshandelt oder missbraucht wurden. Offenbar verändert schwerer Stress in der Kindheit die molekulare Organisation dieser Hirnregionen, etwa die Struktur der Rezeptoren für den Neurotransmitter Gamma-Amino-Buttersäure. Aggressivität männlich? (Testosteron?) Die Ansicht, dass Testosteron per se aggressiv macht, ist einer Studie zufolge als Mythos einzustufen. Das Sexualhormon erhöht zwar das Statusbewusstsein - dieses kann sich jedoch in äußerst fairem Verhalten äußern. Das in Populärliteratur, Kunst und Medien tradierte Klischee der Testosteronwirkung lässt sich mit drei Worten beschreiben: Aggression - Risiko - Eigennutz. Die Forschung scheint das zunächst zu bestätigen. Studien haben etwa gezeigt, dass kastrierte Ratten weniger streitsüchtig agieren als ihre Artgenossen, bei denen die Hormone unvermindert im Körper flottieren. Die Versuchspersonen mit künstlich erhöhtem Testosteronspiegel machten durchgehend die besseren, faireren Angebote als diejenigen, die Scheinpräparate erhielten. Die Resultate legen nahe, dass das Hormon die Empfindsamkeit für den Status erhöht. Bei Tierarten mit relativ einfachen sozialen Systemen mag sich ein erhöhtes Statusbewusstsein in Aggressivität ausdrücken - bei solchen mit komplexeren Sozialgefügen kann es offenbar auch andere Wirkungen haben. Nicht Testosteron selbst verleite zu Aggressivität, sondern vielmehr der Mythos rund um das Hormon. Männer aggressiver? Ja, Ein Grund: Das Gen MAO-A liegt auf dem X-Chromosom und damit bei Männern nur einfach vor. Frauen besitzen es auf beiden X-Chromosomen und der Effekt eines weniger aktiven MAO-A-Gens kann über das zweite ausgeglichen werden. Österreichisches Wissenschaftsparlament – 15.-16.9.2010 – Wiener Neustadt