titelgeschichte Neuste Erkenntnisse Nebenwirkungen von Antiepileptika Foto: z Vg Klaus Meyer Klaus Meyer Aktuelle Studien zeigen, dass Nebenwirkungen (NW) von Antiepileptika (AED) bei fast 50 % der Epilepsiekranken in unterschiedlicher Ausprägung auftreten können. Mögliche NW sollten deshalb nach dem Entscheid zur Einführung einer medikamentösen Therapie gegen epileptische Anfälle immer mit den Betroffenen diskutiert werden. Der oder die Betroffene kann manchmal durch die Information, wie sie der beiliegende «Beipackzettel» darstellt, überfordert oder unnötig irritiert sein. Im Beipackzettel sind mögliche Nebenwirkungen nur vereinzelt mit ihrer prozentualen Auftretenswahrscheinlichkeit angegeben; teils sind sie mit sehr häufig (bei mehr als 10 %), häufig (bei zwischen 1 und 10 %), gelegentlich (0,1 - 1 %) und selten 6 | 3 | 2007 (weniger als 0,1 %) beschrieben; nicht selten sind sie aber eher ungenau angegeben. Auch kann der Patient oft nicht abschätzen, ob gegebenenfalls auftretende Nebenwirkungen harmlos oder unbedingt abklärungsbedürftig und vielleicht schwerwiegend sind. Eine Studie von Pfäfflin 1997 zeigte bei 1’300 Epilepsiekranken vor allem die in Tabelle 1 erwähnten NW. Die Aufklärung über mögliche, vor allem häufiger auftretende NW (Tabelle 2), ist bei der Einführung eines neuen Antiepileptikums vom verordnenden Arzt immer durchzuführen. Dabei sind akute und chronische NW sowie dosisabhängige und dosisunabhängige NW zu berücksichtigen. Akute NW Die häufigsten akuten, d.h. in den ersten Wochen und Monaten einer Behandlung vorkommenden NW, die oft dosisabhängig auftreten, sind durch Auswirkungen der AED auf das Zentrale Nervensystem (Tabelle 3) bedingt. Kombinationstherapien gehen wegen der teils negativen Wechselwirkungen der AED eher häufiger mit diesen NW einher. Selten ist eine Anfallszunahme bei der Neueinführung eines Medikamentes. Dabei ist vor allem auf das verstärkte Auftreten von Muskelzuckungen (so genannte Myoklonien), Absencen oder neuartigen Anfällen zu achten. NW von Seiten des Verdauungstraktes werden in der Regel anhand von Schmerzen, Völlegefühl, Übelkeit oder Erbrechen erkannt. Dagegen werden Leberprobleme und Veränderungen des Blutbildes meist erst durch Laborkontrollen, die bei bestimmten AED regelmässig durchgeführt werden, erkannt. Überempfindlichkeitsreaktionen (Allergien), die häufig dosisunabhängig sind, treten insgesamt etwa bei 5-10 % aller Patienten auf; vor allem Hautausschläge (meist rote Flecken, evtl. mit Juckreiz), evtl. auch Schwellungen, Lymphknotenvergrösserung und/oder reines Hautjucken sind typische Symptome, die eine umgehende Kontaktaufnahme mit dem Arzt erfordern, da schwere allergische Reaktionen lebensgefährlich sein können. Gewisse akute Nebenwirkungen wie zum Beispiel Müdigkeit, Schwindel und Konzentrationsstörungen können bei jedem Antiepileptikum auftreten; allerdings zeigen die klinische Erfahrung und auch Studien, dass die Wahrscheinlichkeit dafür bei Phenobarbital deutlich höher ist, als bei den meisten neueren Präparaten. Auch kann jeder Patient individuell unterschiedlich stark mit Müdigkeit reagieren, auch bei einem neueren Präparat, bei dem das Auftreten dieser Nebenwirkung eher atypisch ist. titelgeschichte Chronische NW Chronische NW können theoretisch die meisten Organsysteme, vor allem aber die Psyche betreffen wie zum Beispiel akute psychotische Reaktionen mit Wahn und Halluzinationen, Depression, Verhaltensstörungen, und die Kognition (geistige Leistungsfähigkeit und Belastbarkeit). Aber auch chronische Blutbildveränderungen, Störung des Schilddrüsenstoffwechsels, Osteoporose (Verminderung der Knochendichte), Veränderungen von Haut und Bindegewebe, Gewichtsveränderungen und chronische Veränderungen des Nervensystems wie Polyneuropathien (chronische Nervenentzündung der Beine), Bewegungsstörungen wie beispielsweise Zittern und visuelle Störungen (zum Beispiel Gesichtsfeldeinschränkungen) kommen vor. Sie sollten bei diesbezüglich potenziell problematischen Präparaten immer beobachtet und gegebenenfalls durch medizinische Zusatzuntersuchungen ausgeschlossen werden. Von den bereits seit über 60 Jahren bekannten Präparaten wie Phenobarbital und Phenytoin – bereits weniger ausgeprägt bei Carbamazepin und Valproinsäure (seit ca. 35 - 45 Jahren im Handel) – sind in der Regel deutlich mehr vor allem chronische Nebenwirkungen als bei den neueren Präparaten bekannt. Dies hängt mit der Tatsache zusammen, dass die in den letzen 10 bis 20 Jah- ren neu eingeführten Medikamente in der Regel weniger negativen Einfluss auf die verschiedenen Organsysteme wie zum Beispiel Blut, Leber, Knochen, Haut, Nervensystem usw. haben. Von den neueren AED hatten erst mehrere Jahre nach Zulassung von Vigabatrin bekannt werdende Gesichtsfeldeinschränkungen und das Leberversagen oder Hemmung der Blutbildung unter Felbamat im Verlauf zu einem selteneren Einsatz dieser AED geführt. Diese Präparate werden nur bei bestimmten schweren Epilepsieformen eingesetzt. werden, dass auch bei Einnahme von Placebo (Medikament ohne Wirkstoff) teilweise in über 10 % bis zu 20 % Nebenwirkungen wie Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen usw. auftraten, was auch psychologische Aspekte bei gewissen subjektiven Nebenwirkungen wie zum Beispiel Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen usw. nahe legt. Eine optimale ärztliche Begleitung kann dies evtl. verhindern. Verhütung und Schwangerschaft Bestimmte Medikamente kommen bei manchen Patienten von vorne herein wegen des möglichen Nebenwirkungsprofils in keinster Wei-se in Frage oder könnten akzeptiert werden. Günstig ist, wenn die potenziellen Nebenwirkungen beim diesbezüglich aufgeklärten Patienten klar erkennbar sind, durch Zusatzuntersuchungen (Tabelle 4) aufgedeckt werden können und beim Stoppen der Substanzen sistieren. Nach meiner Meinung sollte der/die Epilepsiebetroffene bei der Wahl des für ihn optimalen Präparates miteinbezogen werden, da vor allem zu Beginn einer Therapie, aber auch im Verlauf, in der Regel bei der Vielzahl der Antiepileptika nicht nur ein Präparat, sondern mehrere in die mögliche Auswahl kommen. Dabei sollten neben den Phenobarbital, Phenytoin, Carbamazepin, Oxcarabazepin und Topiramat (höher dosiert als 200 mg) können die Wirkung der Antibabypille hemmen. Aber auch an Teratogenität (kindliche Missbildungen) ist bei Frauen mit Kinderwunsch zu denken. Höherdosierte Valproinsäure als Monotherapie, vor allem aber in Kombination mit Lamotrigin kann hier am problematischsten sein. Ferner ist ein Absinken des Lamotriginspiegels während der hormonellen Verhütung und ab dem 4. Monat der Schwangerschaft möglich. NW und psychologische Aspekte In vielen Studien konnte gezeigt Vorgehen bei der Neueinführung eines AED 3 | 2007 | 7 titelgeschichte im Artikel abgehandelten Nebenwirkungen auch die möglichen gegebenenfalls positiven Begleitwirkungen von Antiepileptika auf Psyche, Schlaf, Ess- und evtl. Suchtverhalten usw. berücksichtigt werden. Unter langsamer Einführung eines Medikamentes treten in der Regel weniger akute Nebenwirkungen auf (–>das «langsame Einschleichen» ist abhängig von der individuellen Situation des Patienten aber nicht immer möglich). Vor allem akute Nebenwirkungen sind unter Kombinationstherapien häufiger als bei Monotherapien. Vorschläge bezüglich Umgang mit Nebenwirkungen • Offenes Gespräch mit dem Arzt und dessen Aufklärung über die bekanntesten Nebenwirkungen des Präparates vor Einleitung einer Therapie und aktive Beteiligung bei der Auswahl des Präparates. «Es gibt keine Antiepileptika ohne Nebenwirkungen, aber eine unbegründete Angstmache ist nicht sinnvoll.» • Berücksichtigung der individuellen Situation des Patienten; zum Beispiel kein die Stimmung potenziell destabilisierendes Präparat bei stimmungslabilen, teils aggressiven Patienten, kein gewichtssteigerndes bei Übergewichtigen usw. • NW müssen immer dem behandelnden Arzt gemeldet werden. • Bei Auftreten von NW können gewisse akzeptiert oder beob- 8 | 3 | 2007 achtet werden, bei anderen ist ein Absetzen unumgänglich. • Auch bei bisheriger «Nebenwirkungsfreiheit» bei Präparaten mit möglicherweise schweren Langzeit-Nebenwirkungen, die vor allem im Alter relevant werden könnten wie beispielsweise Osteporose, chronische Nervenentzündung (Polyneuropathie) usw. sind Umstellungsmöglichkeiten vom behandelnden Neurologen mit dem Patienten zu besprechen. Dr. Klaus Meyer ist Leiter der Epileptologie und Chefarzt-Stv. der Klinik Bethesda in Tschugg. Tab. 1: Häufigste NW bei 1300 befragten Patienten Keine Nebenwirkungen Müdigkeit Unkonzentriertheit Tremor Schwindel Unruhe, Nervosität Kopfschmerzen Gewichtszunahme Übelkeit 46 % 29 % 14 % 13 % 11 % 11 % 10 % 9% 7% Tab. 2: Mögliche NW von Antiepileptika Müdigkeit, Konzentrationsstörungen, Schwindel, Übelkeit, Doppelbilder, Gangunsicherheit Allergie Gewichtszunahme Gewichtsabnahme Blutbild- u./o. Leberveränderungen Kopfschmerzen Schlaflosigkeit Psychische Veränderungen praktisch alle AED praktisch alle AED, insbesondere Lamotrigin, Carbamazepin, Oxcarbamazepin Valproinsäure, Pregabalin, Gabapentin, Carbamazepin Topiramat, Zonisamid, Felbamat Felbamat, Carbamazepin, Valproinsäure, Phenytoin, Barbiturate praktisch alle Medikamente, insbesonders Lamotrigin Lamotrigin, Felbamat praktisch alle AED, am wenigsten Carbamazepin, Oxcarbazepin, Valproinsäure titelgeschichte Missempfindungen in Händen und Füssen Zahnfleischprobleme, Vergröberung Gesichtszüge Sprachstörung Zittern Topiramat, Phenytoin, Barbiturate, Carbamazepin Phenytoin Sultiam, Topiramat Valproinsäure Tab. 3: Akute zentrale Nebenwirkungen Müdigkeit bis Schläfrigkeit Konzentrations- und Gedächtnisstörungen Übelkeit Verschwommensehen Doppelbilder Gangunsicherheit Verwaschenes Reden Tab. 4: Untersuchungen zum Aufdecken von Nebenwirkungen (* regelmässig) • Gespräche mit dem Arzt * • Klinische neurologische Untersuchung (ggf.*) –> evtl. + neurophysiologische Untersuchung der Nervenleitgeschwindigkeiten • Blutuntersuchungen (ggf.*) • EEG (ggf.*) –> ggf. längeres Video-EEG mit Anfallsaufzeichnung • Knochendichtemessung • Gesichtsfelduntersuchung • Untersuchungen in der Schwangerschaft (Ultraschall, Labor) * Nebenwirkungen Elternfragen Wenn Kinder regelmässig Medikamente einnehmen müssen und auf dem Beipackzettel Hinweise auf Nebenwirkungen stehen, kann das Eltern ganz schön belasten. Falls Sie in Bezug auf ein bestimmtes Medikament oder eine Zusammensetzung von Medikamenten Fragen haben, schreiben Sie an die Redaktion des Epi-Suisse-Magazins. Gerne nehmen wir für eine Antwort mit den entsprechenden Fachleuten Kontakt auf. Epi-Suisse, Redaktion, Seefeldstrasse 84, Postfach 313, 8034 Zürich, [email protected] Wirkstoff Spezialitätennamen in der Schweiz Barbiturate Benzodiazepine Carbamazepin Felbamat Gabapentin Lamotrigin Levetiracetam Oxcabazepin Phenytoin Pregabalin Sultiam Topiramat Valproinsäure Vigabatrin Zonisamid Phenobarbital, Luminal, Aphenylbarbit, Maliasin, Primidon Valium, Stesolid, Rivotril, Temesta, Urbanyl, usw. Tegretol, Carsol, Neurotop, Timonil Taloxa Gabantin, Neurontin Lamictal, Lamotrin Helvepharm, Lamotrin Sandoz, Lamotrin Mepha Keppra Trileptal Phenhydan, Phenytoin-Gerot Lyrica Ospolot Topamax Convulex, Depakine, Orfiril Sabril Zonegran 3 | 2007 | 9