Wenn der Darm gereizt ist

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STIEFS SPRECHSTUNDE
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Wenn der Darm gereizt ist
GESTÖRTE
VERDAUUNG
Auf was sollte
man untersuchen?
Wenn die Verdauung
streikt, ist das quälend.
Nicht immer findet sich
dann eine körperliche
Ursache. Doch auch für
Reizdarm-Patienten gibt
es Hilfe. Bei der Suche
nach der richtige Therapie brauchen sie allerdings oft etwas Geduld.
Prof. Dr. Christian Stief
VON SONJA GIBIS
Ständig dieser Druck im
Bauch. Man fühlt sich aufgebläht, Krämpfe kommen hinzu. Den einen zwingt Durchfall überfallsartig, eine Toilette aufzusuchen, den anderen
plagt Verstopfung. Leiden Patienten häufig unter solchen
Problemen, kann das das Leben stark beeinträchtigen.
Viele führt der Weg dann zunächst zum Hausarzt oder Internisten – etwa zu Dr. Sebastian Brechenmacher.
„Probleme mit der Verdauung sind überaus häufig“, sagt
der Mediziner mit Praxis in
Krailling. Die Ursachen sind
vielfältig. Sie reichen von Unverträglichkeiten und Allergien gegen Nahrungsmittel
wie Milch oder bestimmte Getreidearten, über Infektionen,
etwa durch Viren, Bakterien,
Pilze oder auch Parasiten, bis
hin zu Störungen der Schilddrüse. Manchmal steckt auch
die Zuckerkrankheit dahinter
oder sogar eine bösartige Erkrankung.
Warnsymptome
sind Gewichtsverlust, Fieber,
Blut im Stuhl und Beschwerden nachts. „Man muss das
unbedingt abklären“, sagt
Brechenmacher. Oft findet
aber auch der Experte keine
körperliche Ursache. Dennoch halten die Beschwerden
an. Mediziner sprechen dann
vom Reizdarm-Syndrom. Experten gehen davon aus, dass
hierzulande zehn bis 20 Prozent der Menschen betroffen
sind – Frauen häufiger als
Männer.
Früher hatten Patienten mit
nervösem Darm Angst, als
eingebildete Kranke abgestempelt zu werden – nicht
ganz zu unrecht. Fanden Ärzte keine körperliche Ursache,
hieß es rasch: Schuld ist die
Psyche. Tatsächlich haben
viele Reizdarmpatienten nicht
nur körperliche Beschwerden. Sie leiden an Stress,
Ängsten, sogar Depressionen.
„Die Frage ist aber: Was ist die
Ursache und was die Folge?“,
sagt Brechenmacher. Die permanenten Beschwerden belasten. Dreht sich das ganze
Leben darum, ob im Notfall
eine Toilette in der Nähe ist,
kann das durchaus zu Ängs-
Als Chefarzt im Münchner
Klinikum Großhadern erlebe ich täglich, wie wichtig
medizinische Aufklärung
ist. Meine Kollegen und ich
(www.facebook.de/UrologieLMU) möchten den Lesern daher jeden Montag ein
Thema vorstellen, das für
ihre Gesundheit von Bedeutung ist. Im Zentrum der
heutigen Seite steht der
Reizdarm. Der Experte des
Beitrags ist Dr. Sebastian
Brechenmacher. Er ist
Internist und leitet eine
allgemeinmedizinische
Praxis in Krailling.
Wenn der Bauch drückt, sucht Dr. Sebastian Brechenmacher erst mal mit Ultraschall nach möglichen Ursachen.
ten führen. Auch das ständige
Unwohlsein zermürbt.
Neueste Forschungen haben daher nicht nur die Psyche im Blick. Untersuchungen haben gezeigt: Bei Patienten mit einem Reizdarm lassen sich oft auch körperliche
Veränderungen nachweisen.
So findet man häufig eine erhöhte Zahl bestimmter Abwehrzellen in der Darmschleimhaut – ein Anzeichen
für eine Entzündung. Die Nerven im Darm sind offenbar
sensibler (siehe unten). Eine
Rolle spielen zudem unsere
Gene: Die Veranlagung für einen empfindlichen Darm wird
teils auch vererbt.
Im Blick haben Mediziner
zudem die Darm-Bakterien,
oft auch als Darmflora bezeichnet. Die Zusammensetzung ist von Mensch zu
Mensch verschieden. Haben
sich die falschen Untermieter
eingenistet, kann das Beschwerden auslösen. Bei einigen Patienten ging den chronischen
Verdauungsbeschwerden zudem eine Magen-Darm-Entzündung voraus – nicht selten auch eine
Behandlung mit Antibiotika.
Patienten mit Reizdarm
sind also keineswegs eingebil-
dete Kranke. Doch lindert
diese Erkenntnis ihre Beschwerden nicht. „Wichtig ist
zunächst die Anamnese, das
ausführliche Gespräch mit
dem Patienten“, sagt Brechenmacher. Dafür sollte sich der
Arzt Zeit nehmen. Wann
kommt es zu den Beschwerden? Spielen bestimmte Situationen oder Nahrungsmittel eine Rolle? Kommt es eher
zu Durchfall oder Verstopfung? „Meist ist ein Symptom
Vielen Betroffenen hilft
aber bereits die gute Nachricht, dass ihre Beschwerden
rein funktionell sind. Hinter
ihnen steckt keine bösartige
Erkrankung. Auch wenn die
Probleme unangenehm sind,
sie müssen sich keine Sorgen
machen. „Ein Reizdarm verringert die Lebenserwartung
nicht“, sagt Brechenmacher.
Zum Einsatz kommen
dann zunächst einfache Mittel: Ob Durchfall oder Ver-
Probiotika: Je nach Beschwerden kommen
unterschiedliche Bakterien zum Einsatz
vorherrschend“, sagt der Internist. Neben der genauen
Beobachtung, ob die Beschwerden mit bestimmten
Lebensmitteln
zusammenhängen, empfiehlt er je nach
Schwere der Symptomatik zunächst eine Therapie-Versuch
mit pflanzlichen Mitteln oder
Ballaststoffen. Nicht immer
ist das gleich die Lösung. „Jede Therapie ist nur probatorisch“, sagt Brechenmacher.
Denn bei der Behandlung eines Reizdarms brauchen Patient und Behandler vor allem
eines: etwas Geduld.
stopfung – in beiden Fällen
können Ballaststoffe helfen.
„Am besten Wasserlösliche“,
sagt Brechenmacher. Flohsamen hilft daher besser als etwa Weizenkleie. Als wirksam
erwiesen haben sich auch
pflanzliche Wirkstoffe wie
Pfefferminzöl und Zubereitungen aus Melissenblättern.
Auch Kümmellöl, Fenchel
und Extrakte aus verschiedenen Pflanzen wie der bitteren
Schleifenblume helfen nachweislich. Diese gibt es rezeptfrei in der Apotheke. „Auch
Probiotika haben ihren Stel-
JÜRGEN SAUER
lenwert“, sagt Brechenmacher. Die Beschwerden können Hinweise geben, welcher
Bakterienstamm
eingesetzt
werden sollte.
Auch auf Getreide reagieren manche Menschen empfindlich. Einige Ärzte empfehlen Reizdarm-Patienten daher
eine glutenfreie Diät auszuprobieren, also eine Ernährung ohne Weizen, Gerste,
Roggen, Dinkel, Grünkern.
„Einigen hilft das“, sagt Brechenmacher. Doch bei weitem nicht allen. „Es gibt bei einem Reizdarm keine Standardempfehlungen zur Ernährung.“
Lässt sich nicht einfach klären, ob ein bestimmtes Lebensmittel die Beschwerden
auslöst, rät Brechenmacher
zu einem Ernährungstagebuch. „Man vergisst sonst einfach zu rasch, was man gegessen hat.“ Hilft auch das nicht,
gibt es einen weiteren Weg,
die richtige Ernährung zu finden: eine Eliminationsdiät.
Diese sollte man allerdings
unbedingt unter ärztlicher Betreuung machen. Zwei Wochen lang ernähren sich die
Patienten von Reis und Kartoffeln. Dann sind bei den
meisten alle Stoffe aus dem
Körper beseitigt, die zu Unverträglichkeiten oder Allergien führen können. Die Patienten nehmen dann Schritt
für Schritt ein weiteres Nahrungsmittel in ihren Speiseplan auf und beobachten, wie
sie darauf reagieren. „So kann
man herausfinden, welche
Nahrungsmittel nicht vertragen werden.“ Doch ist das
auch sehr mühsam.
Hat keine dieser Therapien
Erfolg, können auch Medikamente zum Einsatz kommen.
So gibt es Wirkstoffe, welche
die Darm-Motilität verändern, also die Bewegungen,
mit denen der Darm die Nahrung transportiert. Mittel können diese beschleunigen oder
verlangsamen. Doch auch
Medikamente, die normalerweise gegen seelische Beschwerden eingesetzt werden,
helfen. Sie wirken auf bestimmte Botenstoffe, etwa Serotonin. Diese haben Einfluss
auf die Stimmung, spielen
aber auch bei der Darmtätigkeit eine Rolle. Verordnet ein
Arzt gegen Darmprobleme
Antidepressiva, heißt das also
nicht, dass er den Patienten eigentlich für psychisch krank
hält. „Ich erkläre das meinen
Patienten immer ganz genau“,
sagt Brechenmacher.
In machen Fällen zeigen
sich im intensiven Gespräch
aber auch seelische Probleme.
Dann kann man auch eine
Psychotherapie
erwägen.
Denn ist die Psyche belastet,
schlägt sich das auch auf den
sensiblen Darm.
Wer regelmäßig Probleme
mit der Verdauung hat,
sollte einen Arzt aufsuchen. Denn nicht immer
steckt dahinter ein an sich
harmloser Reizdarm. Der
Arzt wird zunächst Proben
von Blut und Urin,
manchmal auch den Stuhl
untersuchen. Zudem helfen ein Bauchultraschall
sowie eine Magen- und
Darmspiegelung, schwere
Erkrankungen
auszuschließen. „Frauen sollten
auch ihren Gynäkologen
aufsuchen“, rät Dr. Sebastian
Brechenmacher.
Denn auch Krankheiten
im Bereich von Eierstöcken können Verdauungsprobleme auslösen.
Milch ist gesund. Doch
nicht jeder verträgt sie. DPA
Laktose und Fruktose
Um Magen-Darm-Probleme abzuklären, gibt es zudem einige Tests. So kann
eine Laktoseintoleranz,
eine Unverträglichkeit von
Milchzucker, Beschwerden auslösen. Im Darm
fehlen dann Enzyme, die
den Milchzucker aufspalten. Er wird in den Dickdarm weitertransportiert,
wo sich Bakterien über ihn
hermachen. Das führt zu
Blähungen und Durchfall.
Wie viel Milchzucker vertragen wird, ist dabei individuell sehr verschieden.
Manche müssen völlig auf
Laktose verzichten, andere den Konsum nur einschränken. Auch gibt es
Enzyme zum Einnehmen.
Ob eine Intoleranz vorliegt, zeigt ein Atemtest.
„Mit Fruchtzucker“: Mit
dieser Aufschrift versehen
manche Lebensmittelhersteller ihre Produkte, um
sie gesünder aussehen zu
lassen. Dabei ist Fruktose
nicht gesünder als Kristallzucker. Im Gegenteil: Zu
viel davon führt bei vielen
Menschen zu Verdauungsproblemen. Auch für die
Fluktoseintoleranz gibt es
einen Atemtest.
Das zweite Gehirn in unserem Bauch
Neue Forschungen bestätigen, was der Volksmund bereits lange weiß: Das Bauchgefühl gibt es wirklich. Im
menschlichen Unterleib sitzt
eine Steuerzentrale aus zahllosen Nerven, die in vielen Bereichen weitgehend unabhängig vom Gehirn funktioniert.
Dieses enterische Nervensystem besteht aus etwa 100 Millionen Nervenzellen. Das sind
etwa fünf Mal so viele wie im
gesamten Rückenmark. Manche Experten sprechen daher
auch vom Darmhirn.
Die Aufgabe dieses zweiten
Gehirns, das den Verdauungstrakt wie ein feines Netz
umspinnt, ist der Transport
der Nahrung durch die verschiedenen Darmabschnitte.
Es erfühlt und erschmeckt,
welche Art von Nahrung verdaut werden muss, und entscheidet etwa, wie viel Gallensaft benötigt wird. Dass das
Darmhirn allerdings bei intuitiven Entscheidungen mitwirkt, konnte bislang nicht
nachgewiesen werden. Ratio-
nales Denken oder Gedächtnis sind ihm wohl fremd.
Andererseits gibt es überraschende neue Erkenntnisse
über seine Untermieter, die
Darmbakterien: Offenbar haben sie Einfluss darauf, wie
sich das Gehirn im Bauch
fühlt – und wirken damit auch
auf die Steuerzentrale im
Kopf. In Tierversuchen beeinflusste eine Behandlung mit
Antibiotika, die viele Darmbakterien vernichtet, auch das
Lernvermögen von Mäusen.
Das Gedächtnis der Nager
verschlechterte sich. Manchen Forschern gilt eine gestörte Darmflora sogar als Risikofaktor für Depressionen.
Wie das Gehirn sind die
Nerven des Darms zudem anfällig für Erkrankungen. Dies
ist etwa der Grund, warum
Diabetiker so oft unter Verdauungsbeschwerden leiden.
Der erhöhte Blutzucker greift
nicht nur die Nerven in den
Beinen an, sondern auch die
im Bauch. Auch Medikamente können sie schädigen.
Den Darm umgibt ein Gespinst aus Nerven.
Reizdarm-Patienten scheinen dagegen ein besonders
sensibles Darmhirn zu haben.
„Sie reagieren im Schnitt
empfindlicher auf mechanische Reize im Darm“, sagt Dr.
Sebastian
Brechenmacher.
Freiwilligen wurde etwa ein
aufblasbarer Ballon in den
Darm eingeführt. Testperso-
APOTHEKEN-UMSCHAU
nen mit einem nervösen Darm
spürten den Druck in der Regel früher und empfanden ihn
auch eher als unangenehm
oder sogar schmerzhaft. Ein
möglicher Grund dafür: Bei
Personen mit einem Reizdarm
fand sich im Schnitt eine erhöhte Dichte von Nervenfasern im Darmtrakt. Bei Unter-
suchungen des Gehirns zeigte
sich zudem, dass die Reize aus
dem Darm in der Steuerzentrale im Kopf andere und größere Areale aktivierten.
Denn Darmhirn und Kopfhirn stehen in ständigem Kontakt. Kein Wunder also, dass
die Psyche großen Einfluss auf
die Verdauung hat. „Dass
Nervosität und Anspannung
sich auf die Verdauung schlagen kann, hat fast jeder schon
mal erlebt“, sagt Brechenmacher. Zudem reagieren die
Nerven im Darm auf dieselben Botenstoffe wie die Gehirnnerven, etwa auf das
Glückshormon
Serotonin
oder auf Adrenalin, das bei
Stress ausgeschüttet wird. Bekannt ist außerdem: Die Psyche beeinflusst dass Immunsystem, von dem im Darm ein
wichtiger Teil sitzt.
Auch wenn die Ursache des
Reizdarms also nicht einseitig
in der Psyche zu suchen ist,
hat diese großen Einfluss.
Stress, Nervosität und Kummer können daher nicht nur
„auf den Magen schlagen“,
sondern auch auf den Darm –
und
die
Verdauungsbeschwerden verstärken oder
auch auslösen. Entspannungstechniken wie Yoga
und Meditation, aber auch regelmäßiger Sport und ausreichend Schlaf können daher
helfen, den gereizten Darm
wieder zu beruhigen.
Läuft bei der Verdauung
nicht alles glatt, hat das seinerseits Einfluss auf die Psyche. Denn der Darm hat dem
Gehirn viel mitzuteilen. Zahlreiche Sendekabel aus Nerven
verbinden die Steuerzentrale
im Bauch mit der im Kopf.
Das Erstaunliche: 90 Prozent
davon senden Informationen
Richtung Gehirn. Der Darm
hat der Steuerzentrale im
Kopf also weitaus mehr mitzuteilen als diese ihm. Das
Bauchgefühl hat also vielleicht einen größeren Einfluss
auf uns als wir glauben.
sog
Leserfragen an den Experten:
[email protected]
In vielen Getreidesorten
steckt das Eiweiß Gluten.
Entzündungen
Patienten mit Zöliakie reagieren auf das Eiweiß Gluten, das vor allem in Weizen, Roggen und Dinkel
enthalten ist, mit teils
schweren
Darmentzündungen. Eine Gewebeprobe aus dem Dünndarm, die
bei einer Magenspiegelung
entnommen wird, kann die
Krankheit nachweisen.
Zu Verdauungsproblemen
führen auch chronische
Darmerkrankungen wie
Morbus Crohn und Colitis ulcerosa. In Schüben
kommt es hierbei immer
wieder zu Entzündungen.
Bei der Colitis ulcerosa nur
im Dickdarm, bei Morbus
Crohn verstreut im gesamten Verdauungstrakt. Da
die Krankheit oft schleichend beginnt, können die
Symptome anfangs einem
Reizdarm ähneln.
sog
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