Fortschritte in der traumasensiblen Arbeit mit psychisch Kranken PD Dr. med. Ingo Schäfer, MPH Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf Tagung zum Jubiläum des Rudolph-Sophien-Stifts, Stuttgart, 24.10.-25.10.2013 Traumatisierungen sind häufig anzutreffen Environmental Factors in Schizophrenia: Childhood Trauma – A Critical Review C. Morgan, H. Fisher Schizophr Bull (2007) 33, 3-10 Sexueller Missbrauch: Frauen 42% Männer 28% Körperliche Misshandlung: Frauen 35% Männer 38% Traumatisierungen tragen zur Entstehung bei Childhood Adversities Increase the Risk of Psychosis: A Meta-analysis of Patient-Control, Prospective- and Cross-sectional Cohort Studies F. Varese, ... , J. van Os & R. Bentall Schizophr Bull (2012) 38(4):661-71 Traumatisierungen verschlechtern Verlauf und Outcome • Schlechtere therapeutische Allianz (z.B. Conus et al. 2010 a,b; Lysaker et al. 2011) • Niedrigeres soziales Funktionsniveau (z.B. Lysaker et al. 2001, 2004) • Stärkere Symptomatik (z.B Schenkel et al. 2005, Garno et al. 2005) • Mehr Depression, Ängstlichkeit (z.B. Spence et al. 2006, Mullholland et al. 2008) • Niedrigere Lebensqualität (z.B. Lysaker et al. 2007, Fan et al. 2008) Komorbide Posttraumatische Belastungsstörungen Studie Instrument Aktuelle PTBS SCID 14% J Consult Clin Psychol N=426, Schiz.-Spektrum /affektive Psychosen Fan et al. (2008) N=87, Schiz.-Spektrum HTQ 17% Psychiatry Res 25% weiblich Lommen & Restifo (2009) N=33, Schiz.-Spektrum PSS-SR 18% SCID 24% 20% Neria et al. (2002) Stichprobe Community Ment Health J 39% weiblich Goldberg & Garno (2005) N=100, Bipolare Störung J Psychiat Res 34% weiblich Assion et al. (2009) N=74, Bipolare Störung PDS, Soc Psychiat Epidemiol 60% weiblich CAPS In der Akte dokumentiert: 0-3% (Mueser et al. 1998, Brady et al. 2003, Lommen et al. 2009) „Gewalt in der Kindheit hat denselben Stellenwert für die Psychiatrie, wie Zigarettenrauchen für die restliche Medizin.“ Steven Sharfstein APA-Präsident 2005-2006 Ansätze um die Versorgung Betroffener zu verbessern „Trauma-sensible Behandlung“: Versorgung so organisieren, dass sie wesentliche Prinzipien des Umganges mit traumatisierten Personen berücksichtigt „Trauma-spezifische Behandlung“: Evidenz-basierte Ansätze, die Folgen traumatischer Erfahrungen bei psychiatrischen Patienten adressieren Initiativen in den USA (I) Statements zur Berücksichtigung von Gewalt und Trauma (1998/2005/2012): • „Genesung von Trauma ist ein grundlegendes Ziel in der Versorgung psychiatrischer Patienten“ • „Traumatisierungen müssen systematisch erfragt werden“ • „Traumaspezifische Angebote müssen in die psychiatrische Regelversorgung integriert werden“ Initiativen in den USA (II) Kriterien der Umsetzung Behandlung • Syst. Diagnostik • Traumasensible Settings • Traumaspezifische Angebote Einrichtung • • • • Ausreichende Ressourcen Standards Policies Fortlaufende Evaluation (Jennings, 2007) Versorgungssystem • • • • • Verankerung in Behörde Policy oder Positionspapier Personalentwicklung Aus- und Weiterbildung Einbezug von Betroffenen Systematische Recherche (11/2012) Suchterm Datenbanken Treffer Relevant “trauma-informed” or “traumasensitive” Pubmed 90 36 Embase/PsycInfo 286 42 Pubmed 944 10 Embase/PsycInfo 1463 9 (“child* abuse” or “child* neglect” or “maltreatment” or “psychological trauma”) and (“service” or “care” or “policy”) and (“organization” or “improvement” or “adaptation”) Gesamt 97 “Women, Co-occurring Disorders and Violence Study (WCDVS)” SAMHSA (2001-2003) Women Embracing Life & Living (WELL) Project Franklin County Women’ ’s Research Project Allies Project New Directions for Families Portal Project (NYC) Prototypes Community Connections Triad Women’ ’s Project Boston Consortium of Services for Families in Recovery “Women, Co-occurring Disorders and Violence Study (WCDVS)” • 9 Zentren, N=2.026 • Patientinnen mit komplexen Bedarfen (Psych. Störungen, Sucht, soz. Probleme, …) • Interventionsgruppe: 1. Trauma-sensible Teams 2. Integrierte Angebote (Case-management, Krisenintervention, Elterntraining, ...) 3. Trauma-spezifische Interventionen (stabilisierend, psychoedukativ) 4. Einbezug von Betroffenen • Kontrollgruppe erhielt übliche Behandlung Effekte nach 12 Monaten Variablen Amaro et al. (2007) Outcome Effekt Haltequote Journal of Community Psychology 35:845-862 Morrissey et al. (2005) Psychiatric Services 56:1213-1222 Globale psych. Symptomatik (GSI) Posttraumatische Symptome (PSS) Alkoholprobleme = Drogenprobleme Domino et al. (2005) Psychiatric Services 56:1223-1232 Behandlungskosten = = Andere Publikationen • Allgemeines zum Konzept • Charakteristika integrierter Programme • Akzeptanz nach Implementierung • Trauma-Diagnostik • Reduktion von Fixierungen • ... Ansätze um die Versorgung Betroffener zu verbessern „Trauma-sensible Behandlung“: Versorgung so organisieren, dass sie wesentliche Prinzipien des Umganges mit traumatisierten Personen berücksichtigt „Trauma-spezifische Behandlung“: Evidenz-basierte Ansätze, die Folgen traumatischer Erfahrungen bei psychiatrischen Patienten adressieren Ansätze um die Versorgung Betroffener zu verbessern „Trauma-sensible Behandlung“: Versorgung so organisieren, dass sie wesentliche Prinzipien des Umganges mit traumatisierten Personen berücksichtigt „Trauma-spezifische Behandlung“: Evidenz-basierte Ansätze, die Folgen traumatischer Erfahrungen bei psychiatrischen Patienten adressieren Trauma-spezifische Modelle • Addiction and Trauma Recovery (ATRIUM) • Seeking Safety • Trauma, Addictions, Mental Health, and Recovery Model (TAMAR) • Trauma Affect Regulation: Guide for Education and Therapy (TARGET) • Trauma Recovery and Empowerment Model (TREM) • ... (Reviews: Grubaugh et al. 2011, Torchalla et al. 2011, van Dam et al. 2012) „Sicherheit finden“ (Najavits 2002) „Sicherheit finden“ (Najavits 2002) • Integration von Trauma- und Suchtperspektive • Stabilisierung und Aufbau sicherer Copingstrategien • Einzel/Gruppe, unterschiedliche Settings • Studien zur Wirksamkeit (www.seekingsafety.org) Themenbereiche Distanzierung von Schmerz - Erdung Um Hilfe bitten Grenzen setzen in Beziehungen Heilsames Denken Wenn Substanzen Sie beherrschen Sich eine Freude machen Umgang mit Auslösern Rote und Grüne Signale Sicherheit Ehrlichkeit Verbindlichkeit Die innere Spaltung überwinden PTBS: Die eigene Stärke zurückgewinnen Heilung von Wut Expositionsbehandlung Treating Trauma in Psychosis with EMDR: A pilot study D. Van den Berg, M. van der Gaag J Behav Ther & Exp Psychiat (2012) 43: 664–671 N=27 (Schizophrenia Spectrum und PTBS) Max. 6 Sitzungen EMDR • • • • 81% Completer (N=22) 77% davon (N=17) erfüllten PTBS-Diagnose nicht mehr Signifikante Reduktion von Akust. Halluzinationen, Wahn Keine Adverse Events (Suizidversuche, SVV, stat. Aufn.) Insgesamt unzureichende Versorgung CANSAS-Netzwerk (BMBF) Unabhängiger Bundesbeauftragter (J.-W. Rörig; 2011-2013) Arbeitsgruppe BMG: Rahmenempfehlungen zur Umsetzung der Forderungen des „Runden Tisches“ PIAs als wichtiger Versorgungsbaustein www.cansas-netzwerk.de Warum geht es nicht schneller voran? • Ausbildungsdefizite bei allen Berufsgruppen, Unsicherheit im Umgang mit Betroffenen • Fehlende Angebote („Lieber nicht darüber sprechen, wenn es keine Therapien gibt“) • Schamgefühle bei Betroffenen, Furcht vor Stigmatisierung, schlechte Vorerfahrungen • ... Beitrag der Stigmaforschung ? Beitrag der Recovery-Bewegung ? Traumasensible Programme Recoveryorientierte Programme • Die eigenen Probleme aus der Traumaperspektive verstehen • Spezielle Unterstützung für besonders schwierige Bereiche • Ressourcen- und Personenorientierung • Betroffenen-Einbezug • Selbstbestimmung/Wahlfreiheit • ... Warum geht es nicht schneller voran? „Missbrauch an Kindern hat periodisch Wellen der Aufmerksamkeit erhalten, die dann jedes Mal kurioser Weise wieder abgeebbt sind. Einfacher als die traumatischen Konsequenzen zu akzeptieren, die es hat wenn Menschen andere misshandeln, scheint zu sein, zu leugnen dass es überhaupt passiert oder welche gravierenden Folgen es hat, den Opfern die Schuld zu geben oder die Konsequenzen anderen Ursachen zuzuschreiben.“ Dorahy, van der Hart & Middleton (2010) Es gibt Grund optimistisch zu sein • Enorme Entwicklungen im Bereich der Traumatherapie • Die „2. Welle“ ist angerollt (Angebote für Personen mit schweren psychischen Erkrankungen) • Günstiges politisches Klima! www.trauma2014.de www.trauma-und-sucht.de Vielen Dank für die Aufmerksamkeit ! www.trauma-und-sucht.de www.trauma2014.de