top Betriebsleitung Interview Legehennenhaltung Ein Apartment für 48 Hühner In der Kleingruppenhaltung stehen 48 Hühnern ein Apartment mit Legenest bzw. Ruheraum, Sitzstangen und einer Staubbadmatte zur Verfügung. Fotos: Kemme (2), Landwirtschaftsministerium, Hannover Ab 2007 möchte Ministerin Künast die Käfighaltung von Legehennen in Deutschland verbieten. Einige Bundesländer und die Geflügelwirtschaft sehen in der Kleingruppenhaltung einen Ausweg. W enn es nach dem Willen von Ministerin Künast geht, wird es ab 2007 keine Käfighaltung mehr für Legehennen in Deutschland geben. Mit ihren Vorstellungen geht die Ministerin weit über die 1999 verabschiedete EU-Richtlinie hinaus. Diese sieht vor, dass EU-weit ab 2012 Legehennen nur noch in ausgestalteten Käfigen (mit Sitzstange, Legenest, Staubbad und mehr Platz) gehalten werden können (top agrar 7/2001, S. 31). Im Bundesrat ist der Vorschlag der Bundesregierung dagegen auf wenig Sympathie gestoßen. Viele Bundesländer teilen die Befürchtungen von Wissenschaft und Geflügelbranche, dass durch ein sol- 38 top agrar 9/2001 ches Gesetz die Eierproduktion ins Ausland verlagert würde. Außerdem müssen die Bundesländer, die das Gesetz umsetzen müssten, durch die verkürzten Übergangsfristen Schadensersatzansprüche von mehreren Milliarden DM befürchten. Deshalb hat der Bundesrat eine Entscheidung vertagt und die Angelegenheit zur erneuten Beratung an den Agrarausschuss überwiesen. Die deutsche Geflügelwirtschaft will erreichen, dass zumindest die Kleingruppenhaltung in Deutschland zugelassen wird. Mit dieser Form der Legehennenhaltung wird den Tieren deutlich mehr Bewegungsfreiheit als im ausgestalteten Käfig nach EU-Standard geboten. Während die EU-Richtlinie mindestens 2 000 cm2 als Raumangebot vorschreibt, stehen in der Kleingruppenhaltung 20 000 cm2 und mehr zur Verfügung. In sieben Betrieben werden in Deutschland verschiedene Stallsysteme erprobt. August Gerwesmann (63) aus Glandorf (Landkreis Osnabrück) hat einen der Pilotställe im Betrieb. Dort steht jeweils 48 Legehennen ein Apartment zur Verfügung. Mit 750 cm2/Tier wird die EURichtlinie erfüllt (ab 2012 verpflichtend). Durch die Gesamtgröße von 36 000 cm2 bietet das Apartment den Hennen allerdings sehr viel Bewegungsfreiheit. Wie in einer Wohnung besteht das Apartment aus mehreren Räumen/Bereichen. „Diese“, so erläutert Johannes Gerwesmann (25), „orientieren sich an den natürlichen Verhaltensweisen des Huhnes.“ Den Tieren werden ein Legenest bzw. Ruheraum, Sitzstangen und eine Kunstrasenmatte zum Scharren und Staubbaden angeboten. Ebenfalls analog einer Wohnung befinden sich neben, über und unter dem Apartment weitere Apartments (Batterieanordnung). Da die Hühner in einer kleinen Gruppe gehalten werden, können „Weg vom Symboltierschutz!“ Ï top agrar: Herr Voliere, die Frau KüMinister Bartels, wie nast propagiert, müssen beurteilen Sie den Entdiese Anforderungen wurf der Bundesregieerfüllen. Und auf dem rung zur Hennenhaljetzigen Stand würden tungsverordnung? viele VolierenhaltunBartels: Ich halte gen durchfallen. den Entwurf für verbesIch plädiere dafür, serungsbedürftig. Ich dass wir alternative Halglaube, dass die Tiertungssysteme, also auch schutzziele, die wir erdie Kleinvoliere und die reichen wollen, mit dieKleingruppenhaltung, sem Entwurf nicht erweiter erproben sollen, Uwe Bartels, Minister für reicht werden. wie wir das in Glandorf Ï top agrar: Sie faErnährung, Landwirtbei dem Betrieb Gervorisieren offenbar die schaft und Forsten, wesmann zur Zeit erin Niedersachsen erNiedersachsen folgreich machen. Ï top agrar: Entprobte Kleingruppenspricht die dortige haltung. Bartels: Vorweg: Auch ich bin kein Kleingruppenhaltung den AnforderunBefürworter der Käfighaltung. Auch ich gen? Bartels: Sie geht auf jeden Fall in die will raus aus diesem System. Die Alterrichtige Richtung. Und diese Entwicknative muss aber besser sein. lung, die auch durch die landwirtschaftWir haben, und das muss man offen lichen Hennenhalter mitgetragen und sagen, bei der Boden-, bei der Freilandvorangetrieben wird, möchte ich jetzt und insbesondere bei der Volierenhalnicht durch die Verordnung kappen. tung Probleme hinsichtlich der TiergeÏ top agrar: Wie sehen Sie die Stimsundheit. Ï top agrar: Und der Tierschutz? mungslage im Bundesrat? Bartels: Wir wissen aus den wissenBartels: Ich könnte mir vorstellen, schaftlichen Arbeiten, dass diese Systedass wir von vielen Bundesländern für me zwar unter dem Aspekt Tiergerechunseren Vorschlag Unterstützung erhaltigkeit, also dem Ausleben arteigener ten werden. Was mich erstaunt ist, dass Bedürfnisse, erhebliche Verbesserungen Bayern hier zurzeit noch eine andere Pobringen. Aber zum Tierschutz gehört sition einnimmt. auch die Gesundheit der Tiere, und da Ich möchte weg vom Symboltierhaben diese Systeme Mängel. schutz hin zum tatsächlichen Tierschutz. Ï top agrar: Das ist insbesondere Und ich habe die Befürchtung, dass eben bei der Voliere ein großes Problem. das, was Frau Künast vorschlägt, einen Bartels: Deshalb halte ich es für zu Papiertierschutz darstellt. Ich habe den kurz gedacht, wenn die Voliere nach der Eindruck, dass es eine ganze Reihe LänVerordnung von Frau Künast als System der gibt, die ähnlich denken. Ï top agrar: Sehen Sie Chancen, der Wahl propagiert wird und alle andedurch die Kleingruppenhaltung die Eierren Alternativen, nämlich Kleinvolieren produktion in Deutschland zu halten? und Kleinhaltungsanlagen, vom Gesetz Bartels: Ja, ich habe den Eindruck, her nicht gewollt werden. Das halte ich dass die Hennenhalter und deren Verfür innovationshemmend. Nach meinem Modell würde es in der bandsvertretung durch die laufende DisZukunft nur noch Hennenhaltungsanlakussion doch eingesehen haben, dass wir gen geben, die durch eine staatliche Oreinen größeren Schritt in Richtung tierganisation getestet und mit dem Prüfsiegerechte Hennenhaltung gehen müssen gel versehen worden wären. Es gäbe keials bisher. Ich habe auch den Eindruck, ne Anlage, die unter diesem Niveau liefe. dass sie den Weg, den der Betrieb GerNur so können wir zu artgerechten Halwesmann beschritten hat, auch mitgehen tungssystemen in einem umfassenden können und mitgehen werden. Ï top agrar: Herr Minister, wir beSinne kommen. Ï top agrar: Dieser Tierschutz- danken uns für das Gespräch. TÜV, den Sie vorschlagen, gilt dann für Mit Minister Bartels sprach alle Haltungsformen? Bartels: Alle Systeme, also auch die top agrar-Redakteur Andreas Quiring. top agrar 9/2001 39 top Betriebsleitung Auf der Kunstrasenmatte können mehrere Tiere gleichzeitig scharren und staubbaden. Einmal täglich wird Futter auf die Matte gestreut. sie eine soziale Struktur (Rangordnung) aufbauen. Dies ist wichtig, da Hühner sich nur bis etwa 100 Tiere merken können. In größeren Gruppen treffen sie also fortwährend auf Tiere, deren Stellung in der Rangordnung sie nicht kennen. Es kommt zu Rangkämpfen, deren Folgen u. a. Federpicken und Kannibalismus sind. „Die stabile Rangordnung und das Platzangebot in der Kleingruppe schaffen die besten Voraussetzungen, diese Probleme zu verhindern“, so Johannes Gerwesmann. „Zur Eiablage ins Nest“ In der Natur suchen die Hühner zur Eiablage Deckung auf. In der Kleingruppe können die Tiere durch ein Schlupfloch in einen abgedunkelten Bereich gelangen. Sichtspalten geben den Hühnern die Möglichkeit, das Umfeld zu beobachten. Andererseits kann der Landwirt dadurch vom Gang aus diesen Bereich kontrollieren. Eine Wärme dämmende Lochmatte als Nestboden erhöht den Komfort, damit die Tiere auf jeden Fall diesen Bereich zur Eiablage aufsuchen. Ministerin Künast müsste dies eigentlich gefallen. Hatte sie doch unlängst gefordert: „Zur Eiablage ins Nest!“ Um den Hühnern Scharren und Picken zu ermöglichen, befindet sich in jedem Apartment eine Kunstrasenmatte. Dort können sie auch staubbaden (hudern). Auf die Matte wird einmal täglich Futter gestreut. Das gibt den Tieren einen zusätzlichen Anreiz zum Scharren und Picken. Der Widerstand des Kunstrasens verstärkt zudem das Scharrgefühl. Johannes Gerwesmann: „Bei den Hühnern ist die Staubbadmatte sehr beliebt.“ Auch die Einrichtung von Sitzstangen orientiert sich an den natürlichen Bedürfnissen der Tiere, da diese gerne in erhöhter Position nächtigen. Der Boden ist in allen Bereichen schräg gestaltet. Dadurch rollen auch diejenigen Eier auf das Sammelband, die nicht ins Nest gelegt werden. Der Käfigboden sichert zudem die Trennung der Tiere und der Eier vom Kot. So ist es möglich, dass Hygienebedingungen erreicht werden, wie sie aus der klassischen Käfighaltung bekannt sind. 40 top agrar 9/2001 Die Batteriebauweise hat aber auch weitere Vorteile. Denn der Kot kann belüftet und über ein Kotband aus dem Stall transportiert werden. Dadurch verbessert sich die Luftqualität im Stall, was den Hühnern und dem Betreuungspersonal zugute kommt. Weiterhin kann der Stallraum durch batteriemäßige Anordnung besser genutzt werden. Das hat wirtschaftliche, aber auch arbeitswirtschaftliche Vorteile. Die Haltungsbedingungen würden sogar dem Entwurf des Verbraucherministeriums zur Hennenhaltungsverordnung entsprechen, wenn darin nicht eine Mindesthöhe von 2 m gefordert würden. Für J. Gerwesmann ist diese Auflage völlig unverständlich, denn Hühner seien Laufvögel, die nur im Notfall fliegen. Geflügelberater Reinhold Willenborg ergänzt: „Der Mensch ist 1,80 m groß und braucht 2 m Deckenhöhe. Das Huhn ist 30 cm groß und soll ebenfalls 2 m Deckenhöhe erhalten?“ Ausgangspunkt für die Errichtung einer solchen Stallanlage war für August Gerwesmann die Verabschiedung der EU-Richtlinie zur Hennenhaltung 1999. Darin wurde der ausgestalte Käfig ab 2012 verpflichtend vorgeschrieben. „Wir konnten uns erst gar nicht vorstellen, wie eine solche Stallanlage funktionieren soll“, erinnert sich der Betriebsleiter. Großkäfige für Elterntiere als Grundlage Die Firma Kreyer aus Melle (Meller Batterien) hatte seinerzeit Großkäfige für Elterntiere gebaut. Die entscheidende Idee bestand darin, ein solches Haltungssystem auch für die Legehennen zu nutzen. Daraufhin experimentierten Gerwesmann und die Firma Kreyer an einer praxistauglichen Anpassung dieser Anlagen. Heinrich Beckmann (Meller Batterien) erinnert sich: „Die größte Herausforderung war die Gestaltung des Staubbades. Erst mit der Kunstrasenmatte bekamen wir die Probleme in den Griff.“ Die ersten Versuche verliefen denn auch sehr verheißungsvoll und so entschied sich der Glandorfer Geflügelhalter, eine Stallung umzurüsten. Solche Pilotprojekte wurden durch vergünstigte Kredite der Rentenbank unterstützt. Weitere Förderung gab es aber nicht. Mittlerweile wurden auf dem Betrieb Gerwesmann alle vier Ställe auf Kleingruppenhaltung umgestellt. Die alten Käfiganlagen wurden nach Polen verkauft, und bei den Gebäuden mussten die Dächer angehoben werden. Derzeit verfügt der Betrieb über 32 000 Hennenplätze. „Schon nach zwei Jahren ist das System praxisreif“, zieht August Gerwesmann Bilanz: „Das hätten wir so nicht erwartet.“ Auch der Hersteller ist begeistert. Mittlerweile, so Mitarbeiter Beckmann, hätten sie trotz der unsicheren rechtlichen Rahmenbedingungen schon drei weitere Betriebe in Deutschland mit Kleingruppenanlagen ausgestattet. Nach zwei Jahren praxisreif Dabei ist eine solche Stallanlage nicht billig. Während ein konventioneller Käfig etwa 12 DM pro Hennenplatz kostet, sind für die Kleingruppenhaltung mindestens 20 DM pro Tier zu veranschlagen. Da die Leistungen aber mit denen in konventionellen Käfigen vergleichbar sind, fallen die laufenden Kosten nicht wesentlich höher aus. Insgesamt veranschlagt der Betriebsleiter Mehrkosten von 1,5 Pf pro Ei. In der Boden- bzw. Freilandhaltung liegen die Mehrkosten bei 3,5 bzw. 5 Pf pro Ei im Vergleich zum traditionellen Käfig. Betriebsleiter Gerwesmann ist begeistert, wie die Hühner die verschiedenen Beschäftigungsmöglichkeiten in Anspruch nehmen. „Auch wir haben gelernt“, resümiert er. „Früher haben wir das Wohlbefinden der Tiere nur an Leistung und Gesundheit gemessen. Tatsächlich braucht ein Huhn aber nur wenige Stunden am Tag zum Fressen und Eierlegen. Deshalb haben wir den Tieren die Möglichkeit gegeben, in der restlichen Zeit ihre arteigenen Bedürfnisse auszuleben.“ Auch Johannes Gerwesmann, der zurzeit an der FH Osnabrück Landwirtschaft studiert, ist von dem Haltungssystem überzeugt: „Es dient dem Tierschutz und, durch die Sicherstellung einer hohen Eiqualität, auch dem Verbraucherschutz. Berücksichtigt man die geringen Emissionen, die gute Futterverwertung und den Raumbedarf, so dient es auch dem Umweltschutz.“ Schon häufig hat Familie Gerwesmann in den letzten Monaten die Stalltüren aufgemacht und Verbraucher und Medien zur Besichtigung eingeladen. Sogar Niedersachsens Landwirtschaftsminister Uwe Bartels hat die Anlage besichtigt. Nur Ministerin Künast sieht anscheinend keinen Anlass, sich solche Anlagen auch nur einmal anzusehen. J. Gerwesmann: „Vielleicht befürchtet sie ja, ihr Urteil revidieA. Quiring ren zu müssen.“