Experimentalphysik III TU Dortmund WS2015/16 Shaukat Khan @ TU - Dortmund . de Kapitel 2 2.19 Emission, Absorption und Streuung von Röntgenstrahlung 1895 W. C. Röntgen entdeckt die "X-Strahlen" 1901 der erste Physik-Nobelpreis 1913 W. Coolidge entwickelt die Röntgenröhre 1912 Röntgenbeugung an Kristallen durch M. v. Laue, W. H. Bragg, W. L. Bragg u.a. Wilhelm Conrad Röntgen (1845-1923) Ein Elektronenstrahl wird elektrostatisch auf einige 10 keV beschleunigt und trifft auf eine Anode aus einem schweren Material (Kupfer, Wolfram). Dadurch entstehen zwei Arten von kurzwelliger Strahlung: - Bremsstrahlung aufgrund der Abbremsung (jede Beschleunigung einer Ladung bewirkt elektromagnetische Strahlung, vgl. Elektrodynamik. - charakteristische Röntgenstrahlung aufgrund von Übergängen zwischen inneren Schalen der Anodenatome. William Lawrence Bragg (1890-1971) William Henry Bragg (1862-1942) Kurzwelliges Ende der Bremsstrahlung: Elektronenenergie = Photonenenergie e U h h c min min hc e U Max von Laue (1879-1960) 1 Experimentalphysik III TU Dortmund WS2015/16 Shaukat Khan @ TU - Dortmund . de Kapitel 2 Form des Bremsstrahlspektrums I 1 1 2 min Charakteristische Röntgenlinien Übergänge im Bohrschen Atommodell idealisiert für H-ähnliche Atome realistisch für schwerere Atome (S: Abschirmfaktor) Linienspektrum "Schalen" n 1 n2 n3 n4 K L M N 1 1 E R Z 2 2 2 n1 n2 1 2 1 E R Z S 2 2 n1 n2 nach von n1 1 n2 2 K n1 1 n2 3 Kß n1 2 n2 3 L n1 2 n2 4 Lß n1 3 n2 4 M n1 3 n2 5 M Frequenz Energie Wellenlänge Bezeichnung Bragg-Bedingung n 2d sin d: Abstand der Gitterebenen n: Beugungsordnung 2 Experimentalphysik III TU Dortmund WS2015/16 Shaukat Khan @ TU - Dortmund . de Kapitel 2 Absorption von Röntgenstrahlung Die Wechselwirkung von Photonen mit Materie ist für viele Bereich der Physik von Interesse. Im Röntgenbereich gibt es folgende Effekte, die eine Absorption von Photonen bewirken: - Photoeffekt: das Photon wird absorbiert, ein Elektron wird emittiert. Das Atom kehrt über Fluoreszenz oder Emission von Auger-Elektronen in den Grundzustand zurück. - Compton-Streuung: das Photon streut an einem (fast freien) Elektron der äußeren Atomhülle und verliert einen Teil seiner Energie. Das Elektron wird dabei emittiert. - Rayleigh-Streuung: bei nicht allzu hoher Photonenenergie (einige 10 keV) streut das Photon am gesamten Atom, ohne Energie zu verlieren. - Paarbildung: oberhalb einer Photonenenergie von 1,055 MeV (2 x me) entsteht in der Umgebung eines Atoms ein Elektron-Positron-Paar. Bei sehr hohen Photonenenergien (Gamma-Strahlung) erzeugen die Teilchen Bremsstrahlung, die weitere e+e-Paare erzeugen (elektromagnetischer Schauer). Absorptionskoeffizient Die einfallende Strahlungsleistung wird durch Streuung und Absorption nach einer Schichtdicke x verringert dP P dx P( x) P(0) e x ( s a ) (Streuung + Absorption) a n a a ka P( x) P(0) e k a x Absorptionskoeffizient = Anzahldichte · Absorptionsquerschnitt a 1 m n 13 m m3 m 2 m ka: Massenabsorptionskoeffizient ka a n a a n mAtom mAtom m3 m2 k a m kg kg 3 Experimentalphysik III TU Dortmund Differenzieller und totaler Wirkungsquerschnitt tot d 4 d d WS2015/16 N Shaukat Khan @ TU - Dortmund . de 1 s n 1 m 2s nS V 1 m3 3 m d d m2 sr Kapitel 2 sr Teilchen/s in = Flussdichte × Zahl der Streuzentren × diff. Wirkungsquerschnitt × Raumwinkel Photoeffekt Kinetische Energie des emittierten Elektrons = Photonenenergie Austrittsarbeit Ekin h Wa Ek ist das Energieniveau des Elektrons vor der Emission, Eion ist die Energie des ionisierten Atoms Absorptionsquerschnitt (empirisch): a Z 4 3 Zusätzlich treten aber bei bestimmten Wellenlängen Sprünge auf. Wenn man die Wellenlänge kontinuierlich verkleinert, steigt bei den sogenannten Absorptionskanten der Absorptionsquerschnitt sprunghaft an. Dies ist immer dann der Fall, wenn die Photonenenergie für einen weiteren Übergang eines Elektrons in eine höhere Schale ausreicht, d.h. die Wellenlängen der Absorptionskanten entsprechen denen der charakteristischen Röntgenlinien. Moseleysches Gesetz 1 1 2 h R Z eff 2 2 n1 n2 R = Rydberg-Konstante in Energie-Einheiten mit Korrektur der reduzierten Masse Zeff = Z – S = um die Abschirmwirkung korrigierte Kernladungszahl Historisch wurde dieses Gesetz verwendet um die damals unbekannte Kernladung einiger Elemente zu bestimmen. Die Absorptionskanten sind nach den Hauptquantenzahlen der beteiligten Elektronen benannt (K-Kante, L-Kante usw.), die z.T. deutlich in eine Feinstruktur aufspalten (z.B. LI, LII LIII). Henry Moseley 1887 -1915 4 Experimentalphysik III TU Dortmund WS2015/16 Shaukat Khan @ TU - Dortmund . de Kapitel 2 Compton-Effekt Photon-Elektron-Streuung. Klein-Nishina-Theorie im Rahmen der Quantenelektrodynamik. Grenzfall für kleine Photonenenergie: Thomson-Streuung d 1 2 re 1 cos 2 d 2 8 T re2 6,652 10 29 m 2 3 2c sin 2 2 mit differenzieller und totaler Thomson-Wirkungsquerschnitt mit c Joseph J. Thomson (1856 - 1940) e2 re 2,818 10 15 m 2 4 0 me c h m0 c Arthur Compton (1892 - 1962) (klassischer Elektronenradius) Compton-Streuformel Paarbildung Wirkungsquerschnitt steigt über 1,022 MeV stark an, Berechnung aufwändig, hängt von Abschirmungseffekten innerhalb des Atoms ab. (Wikipedia, Dscraggs) 5 Experimentalphysik III TU Dortmund WS2015/16 Shaukat Khan @ TU - Dortmund . de Kapitel 2 Anwendung von Röntgenstrahlung Spektroskopie EXAFS - extended X-ray absorption fine structure NEXAFS - near-edge x-ray absorption spectroscopy Die Streuung der Materiewelle des beim Photoeffekt auslaufenden Elektrons an den umliegenden Atomen bewirkt eine Feinstruktur der Absorptionskante, deren Analyse Aufschluss über die Lage der Atome zueinander gibt. Abbildung Photonen: einfacher Schattenwurf, Phasenkontrast, Holografie Abbildung mit Spiegeln (unter streifendem Einfall), Linsen (Luft in Be, Brechungsindex < 1) oder Zonenplatten Elektronen: fokussierte Photoelektronen (Linsen wir im Elektronenmikroskop) Diffraktion (Beugung) z.B. Proteinkristallografie 6 Experimentalphysik III TU Dortmund WS2015/16 Shaukat Khan @ TU - Dortmund . de Kapitel 2 2.20 Quellen für Vakuum-Ultraviolett- und Röntgenstrahlung - Röntgenröhre (seit 1913) - Synchrotronstrahlungsquellen (seit ~1970) - Hohe Laser-Harmonische (seit ~1990) - Freie-Elektronen-Laser (seit 2000) Brillanz = Photonenzahl pro Zeit (s) pro Quellgröße (mm2) pro Raumwinkel (mrad2) pro Energieintervall (0,1%bw) Spitzenbrillanz = Brillanz im zeitlichen Maximum eines Strahlungspulses Fortschritte: - Röntgenröhre mit Glühkathode - Röntgenröhre mit rotierender Anode - Synchrotronstrahlungsquellen - Wiggler und Undulatoren - Freie-Elektronen-Laser Synchrotronstrahlung Abstrahlung elektromagnetischer Wellen durch relativistische Elektronen aufgrund einer Kreisbeschleunigung. Hohe Intensität durch starke relativistische Verschiebung des Strahlungskegels in Vorwärtsrichtung. 7 Experimentalphysik III TU Dortmund WS2015/16 Shaukat Khan @ TU - Dortmund . de Kapitel 2 Beschleunigung von Elektronen auf relativistische Energien (typisch GeV) Beschleunigung durch elektrische Feld einer Hochfrequenzwelle (GHz) - Elektronenerzeugung mit elektrostatischer Vorbeschleunigung - weitere Vorbeschleunigung meist in einem Linearbeschleuniger (Röhre mit Irisblenden, um die Phasengeschwindigkeit der HF-Welle auf die Elektronengeschwindigkeit (≈ c) zu verlangsamen. - Beschleunigung auf GeV-Energien meist in einem Synchrotron (ringförmige Magnetanordnung mit HF-Resonatoren, wobei die Magnetfelder synchron mit dem Energiezuwachs ansteigen, damit die Elektronen auf derselben Bahn bleiben) - anschließend Injektion in einen Speicherring (ringförmige Maschine ähnlich einem Synchrotron, wobei die Elektronenenergie konstant bleibt und HF-Resonatoren nur die Synchrotronstrahlungsverluste kompensieren. Erste Beobachtung von Synchrotronstrahlung 1947 in einem Elektronensynchrotron bei General Electric in Schenectady/NY - daher der Name. Praktisch nutzbare Synchrotronstrahlung wird aber nicht in Synchrotrons, sondern in Speicherringen erzeugt. Eigenschaften der Strahlung Mittlerer Energieverlust eines Elektrons pro Umlauf (360 Grad mit konstantem Biegeradius R) E 4 GeV 4 EkeV 88,5 Rm 8 Experimentalphysik III TU Dortmund WS2015/16 Shaukat Khan @ TU - Dortmund . de Kapitel 2 Eigenschaften von Synchrotronstrahlung Welche Eigenschaften von Interesse sind, hängt von der Anwendung ab z.B. - Intensität (Leistung, Pulsenergie, Photonenzahl etc) - Winkelverteilung - spektrale Verteilung - weitere Eigenschaften wie Pulsdauer, Polarisation, etc. a) Strahlung aus Dipolmagneten Energieverlust eines Elektrons der Energie E bei einem Umlauf mit konstantem Biegewinkel R E 4 GeV 4 E1 keV 88,5 Rm Leistung bei gegebenem Strahlstrom I: P ne E1 I T E1 E I 1 T e T e PW E1 eV I A Winkelverteilung - horizontal: ein Fächer, dessen Winkel dem Biegewinkel des Magneten entspricht (typisch 5–20 Grad) - vertikal: typischer Wert der Standardabweichung 2 (hängt im Detail von der Wellenlänge ab) 1 me c Spektrale Verteilung: breites Spektrum (weil kein periodischer Vorgang) mit Maximum im keV-Bereich. Die sog. "kritische Energie", die das Spektrum E3 in zwei gleich große Leistungsbeiträge teilt, ist E krit R E 9 Experimentalphysik III TU Dortmund WS2015/16 Shaukat Khan @ TU - Dortmund . de Kapitel 2 b) Strahlung aus Wigglern und Undulatoren Wiggler und Undulatoren sind Anordnungen von abwechselnd gepolten Dipolmagneten, in denen die Elektronen eine sinusförmige Bahn verfolgen. Der Abstand zwischen zwei gleichartigen Dipolen heißt Undulatorperiode. Der Unterschied zwischen Wiggler und Undulator ist etwas unscharf: Ein typischer Wiggler hat ein hohes Magnetfeld, so dass die Strahlung der aufeinanderfolgende Bögen wenig überlappt. Damit unterscheidet sich ein Wiggler von Dioplmagneten nur in der Intensität ~ Zahl der Bögen. Ein typischer Undulator hat ein niedriges Magnetfeld, so dass sich die Strahlung der flachen Bögen stark überlappt. Das elektrische Feld am Ort des Beobachters ist periodisch . Dadurch entsteht ein Linienspektrum mit der Grundwellenlänge 2 U K 1 2 2 2 mit K 93,4 U m B0 T 1 NU und ungeradzahligen Harmonischen /3, /5 usw. auf der Undulatorachse. Bei Beobachtungswinkeln ≠ 0 werden auch die geradzahligen Harmonischen sichtbar und alle Linien sind rotverschoben. Die Linienbreite mit mit der Zahl der Undulatorperioden NU ab Leistung von Wigglern/Undulatoren bei gegebenem Strahlstrom I: PW 7.26 E 2 GeV 2 I A K 2 NU / cm Winkelverteilung von Strahlung aus Undulatoren - horizontal und vertikal 1 NU Brillanz N 2 10 Experimentalphysik III TU Dortmund WS2015/16 Shaukat Khan @ TU - Dortmund . de Kapitel 2 Bauformen von Wigglern und Undulatoren Permanentmagnete - Magnetfeld an der Oberfläche bis ca. 1,6 T, gekühlt auch höher) - oft Hybridbauweise: Eisenpole mit Permanentmagneten dazwischen - Magnetfeld auf der Strahlachse wird durch mechanische Abstandsänderung eingestellt Elektromagnete - Spulen mit Eisenjoch (an der Oberfläche bis ca. 1,8 T) - supraleitende Magnete (bis 10 T) Typische spektrale Verteilungen der Synchrotronstrahlung auf einer doppelt-logarithmischen Skala: Dipolmagnete (bend), supraleitende Dipole (WLS), Wiggler (W125) sowie die erste, dritte und fünfte Harmonische von Undulatoren (U41 etc). 11 Experimentalphysik III TU Dortmund WS2015/16 Shaukat Khan @ TU - Dortmund . de Kapitel 2 Typische Synchrotronstrahlungquelle - Elektronenquelle, Vorbeschleuniger (Linearbeschleuniger), Hauptbeschleuniger (Synchrotron), Speicherring; Strahlenenergie: einige 100 MeV bis 8 GeV (SPring8/Japan); Strahlstrom: einige 100 mA - Speicherring: Umfang 10 m (Helios 2, Singapur) bis 2,3 km (PETRA III, Hamburg); Vakuumkammer: Edelstahl, Aluminium oder Kupfer; Ultrahochvakuum Magnete: Dipole (Kurve), Quadrupole (Fokussierung), Sextupole (Fokussierung), kleine Dipole (Bahnkorrektur) Hochfrequenz-Resonatoren: einige 10 bis 100 kW Wiggler und Undulatoren: Permanentmagnete oder Elektromagnete (normal- oder supraleitend) - Strahlauslassrohre ("beamlines") mit gekrümmten Spiegeln und Gitter- oder Kristall-Monochromatoren BESSY in Berlin-Adlershof 12 Experimentalphysik III TU Dortmund WS2015/16 Shaukat Khan @ TU - Dortmund . de Kapitel 2 Freie-Elektronen-Laser (FEL) Neuartige Röntgenquelle mit extremer Spitzenbrillanz, bestehend aus Linearbeschleuniger und langem Undulator - Prinzip in den 1970er Jahren publiziert (John Madey, SLAC) - erste FELs im Infrarotbereich - FELs für kurze Wellenlängen: FLASH in Hamburg, FERMI@Elettra in Trieste/Italien - erster Röntgen-FEL 2009 LCLS in Menlo Park/USA, 2010 SACLA in Hyogo/Japan - weitere FELs in Bau, z.B. Europ. XFEL in Hamburg, SwissFEL in Villigen/Schweiz, PAL-FEL in Pohang/Korea - sehr kurze Elektronenpakete, kleiner Strahlquerschnitt hohe Elektronendichte ermöglicht FEL-Prozess - FEL-Prozess verstärkt Licht und erzeugt kohärente Strahlung (extrem hohe Intensität ~ Elektronenzahl 2): elektrisches Feld der Strahlung bewirkt in einem Undulator eine periodische Anordnung der Elektronen ("microbunching"), die zur kohärenten Abstrahlung führt FEL nach dem SASE-Prinzip (self-amplified spontaneous emission), bei dem kein extern zugeführter Lichtpuls vom FEL verstärkt wird, sondern die Strahlung im ersten Teil des langen Undulators als Synchrotronstrahlung entsteht und auf die Elektronen zurückwirkt, so dass sich diese im Abstend der Wellenlänge anordnen und kohärent strahlen. numerische Simulation des MicrobunchingProzesses. Der Abstand zwischen den Maxima der Elektronendichte beträgt eine Wellenlänge der FEL-Strahlung 13