15.3 Bedingte Wahrscheinlichkeit und Unabhängigkeit Einführendes Beispiel ( Erhöhung der Sicherheit bei Flugreisen ) Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass während eines Fluges ein Sprengsatz an 1 Bord ist, betrage 1 : 1 000 000 , also . 1 000 000 Die statistische Wahrscheinlichkeit, dass während eines Fluges zwei Sprengsätze an 1 Bord sind, betrage 1 : 1 000 000 000 000 , also . 1 000 000 000 000 Zur Erhöhung der eigenen Sicherheit sollte man also auf jede Flugreise einen eigenen Sprengsatz mitnehmen ! ? Diese Schlussfolgerung ist offensichtlich unsinnig. Der Fehler liegt in darin, dass eine „normale“ Wahrscheinlichkeit mit einer bedingten Wahrscheinlichkeit verwechselt wird. Derartige Fehler passieren recht häufig. Institut für Automatisierungstechnik Prof. Dr. Ch. Bold Analysis 15.3 Folie 1 Baumdiagramm Flugreise 1 1 000 000 999 999 1 000 000 ja 1 1 000 000 ja nein 1. Sprengsatz an Bord 999 999 1 000 000 2. Sprengsatz an Bord nein Die Wahrscheinlichkeit, dass während eines Fluges zwei Sprengsätze an Bord sind, 1 1 1 . = . beträgt 1 000 000 000 000 1 000 000 1 000 000 Unter der Bedingung, dass ein erster Sprengsatz an Bord ist, beträgt die Wahrschein1 lichkeit, dass noch ein zweiter Sprengsatz an Bord ist , . 1 000 000 1 p ( Ereignis ) 1 000 000 000 000 1 Bemerkung: = = 1 1 000 000 p ( Bedingung ) 1 000 000 Institut für Automatisierungstechnik Prof. Dr. Ch. Bold Analysis 15.3 Folie 2 Definition 6 1.) Die Wahrscheinlichkeit für ein Ereignis A unter der Bedingung, dass ein Ereignis B eingetreten ist, heißt bedingte Wahrscheinlichkeit von A unter der Bedingung B und wird mit p ( A | B ) bezeichnet. 2.) Ein Ereignis A heißt unabhängig von einem Ereignis B , wenn p ( A | B ) = p ( A ) ist. Bemerkungen 1.) Eine bedingte Wahrscheinlichkeit p ( A | B ) kann größer als p ( A ) , gleich p ( A ) oder kleiner als p ( A ) sein. 2.) Eine bedingte Wahrscheinlichkeit p ( A | B ) kann berechnet werden als Quotient zweier „normaler“ Wahrscheinlichkeiten: p(A|B) = p(A B) p(B) Ein Ereignis A ist daher genau dann unabhängig von einem Ereignis B , wenn gilt: p(A) . p(B) = p(A B) ( Diese Formel wird bei Baumdiagrammen benutzt ! ) Dann ist auch B unabhängig von A, d.h. A und B sind unabhängig voneinander. Institut für Automatisierungstechnik Prof. Dr. Ch. Bold Analysis 15.3 Folie 3 Beispiel 1 ( zwei mal Münze werfen ) Wird eine ideale Münze zweimal geworfen, so beträgt die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses A = „ zwei mal Kopf“ a.) ohne Bedingung ( als „normale“ Wahrscheinlichkeit ): p(A) = 1 1 . 1 = 4 2 2 b.) unter der Bedingung, dass mindestens einmal Kopf geworfen wird: 1 p(A B) 4 1 = = p(A|B) = 3 3 p(B) 4 c.) unter der Bedingung, dass beim ersten Wurf Kopf geworfen wird: zwei mal Münze werfen 1 2 1 2 K 1 2 KK Z 1 2 KZ Institut für Automatisierungstechnik 1 2 ZK Prof. Dr. Ch. Bold 1. Wurf 1 2 ZZ Analysis 15.3 2. Wurf Folie 4 Beispiel 1 ( zwei mal Münze werfen ) Wird eine ideale Münze zweimal geworfen, so beträgt die Wahrscheinlichkeit des Ereignisses A = „ zwei mal Kopf“ a.) ohne Bedingung ( als „normale“ Wahrscheinlichkeit ): p(A) = 1 1 . 1 = 4 2 2 b.) unter der Bedingung, dass mindestens einmal Kopf geworfen wird: 1 p(A B) 4 1 = = p(A|B) = 3 3 p(B) 4 c.) unter der Bedingung, dass beim ersten Wurf Kopf geworfen wird: 1 p(A B) 4 1 p(A|B) = = = 2 1 p(B) 2 d.) unter der Bedingung, dass mindestens einmal Zahl geworfen wird: p(A|B) = p(A B) p(B) = 0 3 4 Institut für Automatisierungstechnik = 0 Prof. Dr. Ch. Bold Analysis 15.3 Folie 5 Beispiel 2 In einem Dorf wurde zu Beginn des letzten Jahrhunderts die folgende Statistik erstellt: Jahr 1900 1901 1902 1903 1904 1905 1906 1907 1908 1909 1910 Geburten 237 232 223 224 216 209 212 205 201 198 194 Storchennester 87 85 83 82 80 77 74 73 74 70 71 Die Wahrscheinlichkeit, dass in einem zufällig ausgewählten Jahr zwischen 1900 und 1910 mindestens 210 Kinder geboren wurden, beträgt p(A) = 6 . 11 Die Wahrscheinlichkeit, dass in einem zufällig ausgewählten Jahr zwischen 1900 und 1910 mindestens 210 Kinder geboren wurden, beträgt unter der Bedingung, dass es in diesem Jahr mindestens 75 Storchennester gab, p(A|B) = p(A B) p(B) = 5 6 Die Zahl der neugeborenen Kinder ist also abhängig von der Anzahl der Störche ! Institut für Automatisierungstechnik Prof. Dr. Ch. Bold Analysis 15.3 Folie 6 6 . 11 Beispiel 3 Beim Werfen einer Münze wurde 17 - mal nacheinander Kopf geworfen. Ist die Wahrscheinlichkeit, auch beim 18. Wurf Kopf zu werfen, • größer als 1 2 • kleiner als 1 2 • oder gleich 1 2 ? Wenn die Münze nicht ideal ist ( z.B. Zahlseite aus Metall und Kopfseite aus Styropor ) oder nicht ideal geworfen wird ( z.B. wenn sie stets aus geringer Höhe mit der Zahlseite nach unten fallen gelassen wird ) , so kann die Wahrscheinlichkeit, auch beim 18. Wurf Kopf zu werden, größer als 1 sein . 2 Wenn die Münze ideal ist und auch ideal geworfen wird, so ist die Wahrscheinlichkeit, 1 1 ( sie ist nicht kleiner als , da die 2 2 einzelnen Würfe unabhängig voneinander sind ) . auch beim 18. Wurf Kopf zu werfen, gleich Der Zufall hat kein Gedächtnis ! Institut für Automatisierungstechnik Prof. Dr. Ch. Bold Analysis 15.3 Folie 7 Beispiel 4 Ein Aids - Test habe eine Sensitivität von 99 % ( d.h. bei 100 HIV - positiven Testpersonen ist der Test in 99 Fällen positiv ) und eine Spezifität von 98 % ( d.h. bei 100 HIV - negativen Testpersonen ist der Test in 98 Fällen negativ ) . Mit welcher Wahrscheinlichkeit ist ein Patient, bei dem Test positiv ist , auch wirklich HIV - positiv ? Diese Wahrscheinlichkeit kann mit einem Baumdiagramm bestimmt werden: Aids - Test Testperson positiv 0,99 Test positiv 0,01 Test negativ Institut für Automatisierungstechnik Testperson negativ 0,02 Test positiv Prof. Dr. Ch. Bold 0,98 Test negativ Analysis 15.3 Folie 8 Um dieses Baumdiagramm vervollständigen zu können, benötigt man noch die Wahrscheinlichkeit, dass eine Testperson HIV - positiv ist. Für die Bundesrepublik gilt dabei ( Stand Juni 2008 ) : Von 82 Millionen Einwohnern sind 59 000 HIV - positiv . Aids - Test 81 941 82 000 59 82 000 Testperson positiv 0,99 Test positiv 0,01 Test negativ Institut für Automatisierungstechnik Testperson negativ 0,02 Test positiv Prof. Dr. Ch. Bold 0,98 Test negativ Analysis 15.3 Folie 9 Aids - Test 59 82 000 81 941 82 000 Testperson positiv 0,99 Testperson negativ 0,01 Test positiv 0,02 Test negativ 0,98 Test positiv Test negativ Die Wahrscheinlichkeit, dass ein Patient, bei dem Test positiv ist, auch wirklich HIV positiv ist, beträgt also p ( Patient positiv und Test positiv ) p ( Patient positiv | Test positiv ) = p ( Test positiv ) p(A|B) = p(A B) = p(B) Institut für Automatisierungstechnik 59 . 0,99 82 000 59 . 0,99 + 81 941 . 0,02 82 000 82 000 Prof. Dr. Ch. Bold Analysis 15.3 = 3,4 % Folie 10 !