Skript zur Vorlesung "Theorie der chemischen Bindung"

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Mitschrieb zur im Sommersemester 2010 gehaltenen Vorlesung
Theorie der chemischen Bindung
Prof. Dr. W. M. Klopper
Matthias Ernst
∗
Stand: 13. April 2011
∗
Das vorliegende Skript basiert auf der Vorlesung, die der Berbeiter (zweitgenannt) bei Professor Klopper
im Sommersemester 2010 gehört hat. Es soll nur als Richtlinie vorlesungs- oder lernbegleitend dienen
und kann den Besuch der Vorlesung in keiner Weise ersetzen!
Zur
Ausarbeitung
wurden
neben
dem
Skript
von
Prof.
Klopper
auch
Aufzeichnungen
von
Anna
Hehn und Melanie Müller verwendet - vielen Dank für die Bereitstellung der Materialien. Alle Fehler gehen jedoch selbstverständlich auf den Bearbeiter zurück, der sich über Benachrichtigung an
Matthias.Ernst2 (at) student.kit.edu sehr freuen würde.
Inhaltsverzeichnis
1
Grundlagen der Quantenmechanik
3
1.1
Einführung
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3
1.2
Postulate der Quantenmechanik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
Ψ
1.2.1
Die Wellenfunktion
1.2.2
Operatoren
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
4
1.2.3
Die Schrödingergleichung
1.2.4
Messung einer Observablen
1.2.5
Erwartungswerte
1.2.6
Bemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
7
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
5
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
6
2
1 Grundlagen der Quantenmechanik
1.1 Einführung
Die klassische Mechanik kann die Existenz von stabilen Atomen und Molekülen nicht erklären.
Beispielsweise wäre ein Wasserstoatom als Proton mit umkreisendem Elektron analog einem Pla-
p+
e−
Abbildung 1: Klassisches Wasserstoatom - ein Elektron bewegt sich kreisförmig um ein Proton
neten um die Sonne ein oszillierender Dipol und würde aufgrund der bewegten Ladung Energie
abstrahlen. Dieses System würde daher innerhalb von
10−8 s in sich zusammenfallen. Wir brauchen
also die Quantenmechanik, um Atome und Moleküle korrekt beschreiben zu können. Drei wichtige
frühe Werke der Quantenmechanik in Bezug auf chemische Bindung seien hier genannt:
1926: Die Schrödinger-Gleichung wird publiziert
E. Schrödinger, Ann. Physik 79, 361 (1926).
1927: Anwendung der Quantenmechanik auf die chemische Bindung im H2 -Molekül
W. Heitler und F. London, Z. Physik 44, 455 (1927).
1933: Sehr genaue Berechnung des H2 -Moleküls
H. M. James und A. S. Coolidge, J. Chem. Phys. 1, 825 (1933).
Durch Anwendung der Quantenmechanik auf die Chemie und deren Fragestellungen haben sich
zwei Hauptzweige entwickelt, die in Abb. 2 schematisch dargestellt sind. Einerseits (und in den
letzten Jahren zunehmend im Vordergrund) sind numerische Berechnungen unter Verwendung von
Computern, die genaue Berechnungen der molekularen Struktur und z.B. von Spektren ermöglichen. Andererseits wurden qualitative Modelle entwickelt, die auch ohne aufwendige Rechnungen
Vorhersagen erlauben sollten. Solche Modelle werden im Laufe dieser Vorlesung vorgestellt und
erläutert.
Gesetze der Quantenmechanik
Computerberechnung
Qualitative Modelle
- Molekulare Struktur
- Spektren
- Reaktionsgeschwindigkeiten
- VSEPR (Valence Shell Electron Pair Repulsion)
- MO-Diagramme (Molekülorbitale)
- Hückel-Theorie
- Woodward-Homann-Regeln
- Ligandenfeldtheorie
- Walsh-Diagramme
Abbildung 2: Entwicklungszweige bei Anwendung der Quantenmechanik auf die Chemie
3
1.2 Postulate der Quantenmechanik
1.2.1 Die Wellenfunktion
Ψ
Ein quantenmechanisches System wird vollständig durch die Wellenfunktion
dabei eine Funktion der Koordinaten aller
n
Ψ
beschrieben.
Ψ(x1 , y1 , z1 , x2 , y2 , z2 , . . . , zn , t) ≡ Ψ(~r, t)
Ψ
darf komplex sein, dann ist
Ersetzung
i → −i
Ψ∗
Ψ
ist
(1)
die komplex konjugierte Wellenfunktion (formal wird hierbei die
durchgeführt). Mathematisch geschrieben gilt
Die Wellenfunktion
Ψ
Teilchen im System sowie der Zeit:
Ψ(~r, t) ∈ C, ~r ∈ R3n
und
t ∈ R.
enthält alle Information über das System.
Bornsche Interpretation der Wellenfunktion:
Das Betragsbetrag
Ψ∗ Ψ
ist eine Wahrscheinlichkeitsdichte. Dann ist
Ψ∗ Ψdτ = Ψ∗ Ψdx1 dy1 dz1 dx2 dy2 dz2 . . . dxn dyn dzn
(2)
Ψ beschriebene Teilchen 1 im Raumbereich
z1 + dz1 , Teilchen 2 zwischen x2 und x2 + dx2 ,
die Wahrscheinlichkeit, das durch die Wellenfunktion
x1 und x1 + dx1 , y1 und y1 + dy1 , z1 und
y2 + dy2 , z2 und z2 + dz2 , etc. zu nden.
zwischen
y2
und
E
Zur Veranschaulichung zeigt die nebenstehende
Grak den eindimensionalen Fall. Die Wahrschein-
A und B
RB ∗
Ψ Ψdx = w
zu nden, ist
R BA ∗
∗
Analog zu
A Ψ Ψdx = w (Zahl) ist auch Ψ Ψdτ
lichkeit, ein Teilchen im Intervall zwischen
eine Wahrscheinlichkeit, das System im betrachteten
Volumen vorzunden und damit eine dimensionslose
Gröÿe. Aufgrund der Integration über das Volumen
x
A
dτ
B
hat
Ψ∗ Ψ
die Dimension (Volumen)
−1
und ist so-
mit eine Wahrscheinlichkeitsdichte.
Die Bornsche Interpretation des Betragsquadrats Wellenfunktion als Wahrscheinlichkeitsdichte ist
dann sinnvoll, wenn für jedes
t
folgende Normierungsbedigung erfüllt ist:
Z
Raum
Ψ∗ Ψdτ = 1
(3)
Die Wahrscheinlichkeit, das System im gesamten Raum vorzunden, ist gleich
1, anschaulich muss
das betrachtete System also irgendwo sein. Um dies zu gewärleisten, muss die Wellenfunktion
quadratintegrierbar sein (also
Ψ ∈ H,
Element des Hilbert-Raums) und es muss ein Skalarprodukt
deniert sein gemäÿ
Z
hf |gi =
Schlieÿlich muss
Ψ
∗
f (~r)g(~r)dτ =
Z
Z
dx1
Z
dy1
Z
dz1
Z
...
dzn f ∗ (~r)g(~r)
(4)
stetig sein und eine stetige 1. Ableitung aufweisen.
1.2.2 Operatoren
F existiert ein hermitescher Operator F̂ . Dieser
f gemäÿ F̂ f = g deniert. Die Analogie zwischen
Für jede physikalische Gröÿe bzw. Observable
ist nur über seine Wirkung auf eine Funktion
4
klassisch
quantenmechanisch
Impuls
x, y , z
px , py , pz
Drehimpuls
~l = ~r × p~
x̂, ŷ , ẑ mit x̂ = x, ŷ = y , ẑ = z
∂
~ ∂
~ ∂
pˆx = ~i ∂x
, pˆy =
i ∂y , pˆz = i ∂z
~ˆl = ~rˆ × p~ˆ, z. B. ˆlz = xp̂y − y p̂x = ~ x ∂ − y ∂
i
∂y
∂x
Potentielle Energie
V
Ort
T =
Kinetische Energie
p2
2m
T̂ =
p̂2
2m
=
1
2m
p2x
+
p2y
V̂ = V
2
∂
+ p2z = −~2 ∂x
2 +
∂2
∂y 2
+
∂2
∂z 2
Tabelle 1: Operatoren und Observablen (in der Ortsdarstellung)
klassischen Observablen und quantenmechanischen Operatoren ist in Tabelle 1 dargestellt. Ein
quantenmechanischer Operator
B̂
bildet die Wellenfunktion auf eine andere Funktion ab:
B̂Ψ = Ψ0
(5)
Ψ0 =
6 Ψ. Wenn Ψ0 jedoch ein Vielfaches von Ψ
Operators B̂ , die die folgende Eigenwertgleichung erfüllt:
Im Allgemeinen ist dabei
Eigenfunktion des
ist, dann ist
Ψ
eine
B̂Ψ = bΨ
Hier ist
EΨ,
b
der Eigenwert zur Funktion
Ψ
(6)
des Operators
B̂ .
Auch die Schrödingergleichung
ĤΨ =
die im nächsten Abschnitt eingeführt wird, ist eine Eigenwertgleichung.
Einige Rechenregeln für und Eigenschaften von Operatoren:
•
•
Summe:
Ĉ = Â + B̂ ,
also
fˆ = (Â + B̂)f = Âf + B̂f
Ĉ = Â · B̂ ,
also
Ĉf = (ÂB̂)f = Â(B̂f )
Produkt:
Achtung: Das Kommutativgesetz gilt im Allgemeinen nicht, es ist also nicht immer
Es ist beispielsweise
•
Kommutator:
xy = yx,
aber
ÂB̂ = B̂ Â!
xp̂x 6= p̂x x.
[Â, B̂] = ÂB̂ − B̂ Â wird als Kommutator bezeichnet. Ist dieser = 0, dann kön-
nen die beiden Operatoren vertauscht werden, ohne dass sich das Ergebnis ändert, ansonsten
ist das Ergebnis des Kommutators zu berücksichtigen. Im obigen Beispiel ist
•
†
Â
E
† f |g .
Hermitescher
D
EOperator:
D
durch
f |Âg
=
heiÿt hermitesch adjungierter Operator zu
†
Gilt auÿerdem Â
= Â,
dann wird
Â
Â
[x, p̂x ] 6= 0.
und ist deniert
als selbstadjungiert oder
hermitesch bezeichnet.
1.2.3 Die Schrödingergleichung
Die Wellenfunktion
Ψ(~r, t)
muss der Schrödingergleichung genügen, die lautet
Ĥ(~r, t)Ψ(~r, t) = i~
∂
Ψ(~r, t)
∂t
(7)
Die Schrödingergleichung kann nicht hergeleitet oder bewiesen werden, man kann sie lediglich
aus Analogieschlüssen zur klassischen Mechanik motivieren. In der klassischen Physik wird die
5
Hamiltonfunktion
Ĥ = T̂ + V̂
H =T +V
verwendet, die in der Quantenmechanik in den Hamilton-Operator
übergeht. Dabei ist
T̂
der Operator der kinetischen,
V̂
der Operator der potenti-
ellen Energie, wobei die klassischen Gröÿen gemäÿ den oben genannten Vorschriften durch die
korrespondierenden Operatoren ersetzt werden.
Sei
Ĥ(~r, t) keine Funktion der Zeit: Ĥ(~r, t) ≡ Ĥ(~r). Dann ist die
Ψ(~r, t) = ψ(~r)φ(t) separabel:
∂
∂
i~ Ψ(~r, t) = ψ(~r) i~ φ(t)
∂t
∂t
h
i
Ĥ(~r)Ψ(~r, t) = Ĥ(~r)ψ(~r) φ(t)
Schrödingergleichung mit dem
Ansatz
(8)
Dies ergibt die separierten Schrödingergleichungen:
i~
∂
φ(t) = Eφ(t)
∂t
(9)
Ĥ(~r)ψ(~r) = Eψ(~r)
(10)
Die letzte Gleichung ist die wichtige zeitun abhängige Schrödingergleichung, eine Eigenwertgleichung für den Hamiltonoperator. Die Lösung der zeitabhängigen Funktion
wobei mit
φ∗ (t) = e
−E
t
i~
gilt:
φ∗ (t)φ(t) = 1.
φ(t)
ist
E
φ(t) = e i~ t ,
Auÿerdem gilt
Ψ∗ (~r, t)Ψ(~r, t) = [ψ(~r)φ(t)]∗ ψ(~r)φ(t) = ψ ∗ (~r)ψ(~r)
(11)
Dies bedeutet, die Wahrscheinlichkeitsdichte hängt nicht von Zeit ab, es handelt sich also um
Ĥ(~r)ψ(~r)) = Eψ(~r) für gebundene
Zustände wie Atome oder Moleküle ist nur lösbar für bestimmte Werte von E = E0 , E1 , E2 , ... mit
den Eigenfunktionen ψ0 (~
r), ψ1 (~r), ... wobei ψ0 (~r) den Grundzustand des Systems darstellt. Die
stationäre Zustände. Die zeitunabhängige Schrödingergleichung
Lösungen der zeitabhängigen Gleichung 9 sind nicht quantisiert.
1.2.4 Messung einer Observablen
Eine einzige Messung einer Observablen liefert als Ergebnis einen Eigenwert des entsprechenden Operators, das System wird anschlieÿend durch den zuhehörigen Eigenzustand beschrieben.
Wir können allerdings nicht vorhersagen, welchen Eigenwert wir messen werden, es sei denn, der
Zustand des Systems wird bereits vor der Messung durch eine Eigenfunktion des betreenden
Operators beschrieben (z.B. durch eine vorhergehende Messung).
1.2.5 Erwartungswerte
Unter einem Erwartungswert versteht man den Mittelwert von vielen Messungen an einem Ensemble identischer Systeme. Die Wellenfunktion
Ψ(~r)
Z ∞
hψ(~r)|ψ(~r)i =
sei normiert :
ψ ∗ (~r)ψ(~r)dτ = 1
(12)
−∞
Damit gilt für den Erwartungswert
B̄
der Observablen B:
Z
∞
B̄ = hψ(~r)|B̂|ψ(~r)i =
−∞
6
ψ ∗ (~r)B̂ψ(~r)dτ
(13)
Mit der zeitunabhängigen Schrödingergleichung 10 gilt
Z
H̄ = hψ|Ĥ|ψi =
|
{z
}
Erwartungswert
Der Eigenwert
E
∞
Z
∗
∞
ψ (~r)Ĥ(~r)ψ(~r)dτ = E
−∞
−∞
|
beschreibt also die Energie
Ē
ψ ∗ (~r)ψ(~r) dτ = E
{z
}
(14)
1
des Systems.
1.2.6 Bemerkungen
Basisentwicklung
Oft wird folgender Satz verwendet: Alle Eigenfunktionen eines hermiteschen Operators bilden eine
vollständige Basis,
φ(~r) =
∞
X
cn ψn (~r).
(15)
n=0
In diesen Eigenfunktionen kann also jede beliebige Funktion entwickelt werden.
Achtung: Eine vollständige Basis (eines unendlich groÿen Raumes) ist unendlich groÿ, allerdings
ist nicht jede unendlich groÿe Basis notwendigerweise auch vollständig. Beispielsweise bilden die
Eigenfunktionen des H-Atoms
Ψnlm (~r)
keine vollständige Basis, obwohl es unendlich viele sind:
es fehlt das Kontinuum für ungebundene Zustände. In der Praxis verwendet man meist endliche
Basen, also
f (x) ≈
P10
n=0 cn Ψn (x).
Als Beispiel sind in Abbildung 3 die ersten drei Eigenzustände des harmonischen Oszillators dar-
ψ2 (x)
ψ1 (x)
ψ0 (x)
Auslenkung x
Abbildung 3: Ausgewählte Eigenfunktionen des harmonischen Oszillator
gestellt. Eine Entwicklung in dessen Eigenfunktionen wird bei Betrachtung schwingender Systeme,
insbesondere bei der Anwendung von Störungstheorie oft durchgeführt.
Kommutierende Observable und Heisenbergsche Unschärferelation
Zwei kommutierende Observablen
Â
und
B̂ ,
also
[Â, B̂],
haben einen gemeinsamen Satz von Ei-
genfunktionen.
αi die nicht-entarteten Eigenfunktionen zu  mit den Eigenwerten ai , also Âαi =
ÂB̂αi = B̂ Âαi = B̂ai αi = ai B̂αi . Es ist also B̂αi Eigenfunktion von  zum selben
ai und somit muss B̂αi ein Vielfaches von αi sein: B̂αi = bi αi .
Beweis: Seien
ai αi .
Dann ist
Eigenwert
7
Nach dem in Abschnitt 1.2.4 erläuterten Postulat ist eine Observable exakt bestimmt, nämlich
durch einen Eigenwert, wenn der Zustand des Systems durch eine Eigenfunktion des betreenden
Operators ist. Wenn nun zwei Operatoren kommutieren, dann gibt es wie oben gezeigt gemeinsame
Eigenfunktionen. Somit sind dann die betreenden Observablen gleichzeitig exakt messbar.
Wenn zwei Observablen nicht kommutieren, gilt die Heisenbergsche Unschärferelation:
D
E
δA · δB ≥ 21 | [Â, B̂]
mit
rD E D E
2
Â2 − Â .
δA =
Z.B. erhält man auf diese Weise
(16)
δxδpx ≥
~
2.
Konstanten der Bewegung
Eine Observable
Ω ist eine Bewegungskonstante, falls diese Observable mit dem Hamiltonoperator
vertauscht:
[Ĥ, Ω̂] = 0
Dann sind sowohl die Energie des Systems als auch
Ω
(17)
gleichzeitig scharf messbar und es gilt ein
Erhaltungssatz.
Beispiele: Impuls eines freien Teilchens, Symmetrieoperationen eines Moleküls
8
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