Astronomisch-geodätische Ortsbestimmung

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Erdmessung III SS06
Astronomisch-geodätische Ortsbestimmung
Ulrich Weinbach
Astronomisch-geodätische
Ortsbestimmung
Seminarvortrag
Ulrich Weinbach
Matr. Nr. 212041
Abbildung 1: Sternspuren des nördl. Sternenhimmels - Gornergrat, Schweiz
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Astronomisch-geodätische Ortsbestimmung
Ulrich Weinbach
Inhalt
1 EINLEITUNG..................................................................................................................................................... 3
2 KOORDINATENSYSTEME .............................................................................................................................. 4
2.1. DAS STELLARE FUNDAMENTALSYSTEM α, δ SYSTEM (ICRS) ......................................................................... 4
2.2. DAS ERDFESTE Φ, Λ SYSTEM (ITRS) ........................................................................................................ 4
2.3. DAS LOKALE ZENITSYSTEM – Z, A SYSTEM (BEOBACHTUNGSSYSTEM) ............................................................. 6
3 ZEITSYSTEME .................................................................................................................................................. 6
4 DIE KOORDINATEN DER FIXSTERNE – DER FUNDAMENTALKATALOG .......................................... 7
5 DIE SCHEINBAREN STERNÖRTER – APPARENT PLACES OF THE STARS ........................................ 8
5.1 DIE SCHEINBARE BEWEGUNG DER FIXSTERNE AUFGRUND DER ERDROTATION .......................................... 9
5.2 REFRAKTION IN DER ERDATMOSPHÄRE ...................................................................................................... 10
5.3 ASTRONOM. JAHRBÜCHER UND INTERPOLATION VON STERNPOSITIONEN ................................................. 10
6 INSTRUMENTARIUM .................................................................................................................................... 10
7 BEOBACHTUNGSVERFAHREN................................................................................................................... 12
7.1 HERLEITUNG DER BEOBACHTUNGSGLEICHUNG FÜR ZENITDISTANZMESSUNGEN ..................................... 13
7.2 BEOBACHTUNGSGLEICHUNG FÜR MERIDIANZENITDISTANZEN .................................................................. 14
7.3 LINEARISIERTE BEOBACHTUNGSGLEICHUNG FÜR ZENITDISTANZEN ......................................................... 14
8 LITERATURVERZEICHNIS .......................................................................................................................... 16
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Astronomisch-geodätische Ortsbestimmung
Ulrich Weinbach
1 Einleitung
Als Astronomische Ortsbestimmung bezeichnete man Jahrhunderte lang die Bestimmung der
Position von Punkten auf der Erde durch Richtungsbeobachtungen zu Fixsternen. Tatsächlich
ist jedoch der Begriff Ortsbestimmung in diesem Zusammenhang irreführend. Als Ort eines
Punktes auf der Erde bezeichnet man zweckmäßigerweise seine dreidimensionale Position in
einem erdfesten kartesischen Koordinatensystem. Diese Definition hat den Vorteil, dass sie
erstens geometrisch anschaulich und eindeutige ist und zweitens die euklidische Geometrie
gilt. Der Ort eines Punktes kann zum Beispiel durch Angabe seiner geographischen
Koordinaten ϕ und λ bezogen auf die mathematische Figur eines Rotationsellipsoides
beschrieben werden. Um diese ellipsoidischen Koordinaten aus Astronomischen
Beobachtungen zu bestimmen müsste man sein Beobachtungssystem an der
Ellipsoidnormalen im Beobachtungspunkt ausrichten. Die Richtung der Ellipsoidnormalen als
rein mathematisch definierte Größe kann jedoch in der Örtlichkeit nicht realisiert werden.
Stattdessen orientiert man sich bei Messungen auf der Erdoberfläche grundsätzlich an der
Richtung des Erdschwerevektors, der so genannten Lotrichtung, die in jedem
Beobachtungspunkt z.B. durch ein Fadenlot oder eine Libelle sichtbar gemacht werden kann.
In diesem Sinne bestimmt man bei der Astronomischen Ortsbestimmung also keinen Ort
sondern die Richtung des Erdschwerevektors im Beobachtungspunkt ausgedrückt durch die
astronomische Breite Φ und die astronomische Länge Λ (Mühlig, 1960).
Bis in den 1960er Jahre die ersten Erdsatelliten gestartet wurden, waren astronomische
Beobachtungen die einzige Methode um Positionen in einem globalen Koordinatensystem zu
bestimmen. Die Verfahren waren aber grundsätzlich in ihrer Genauigkeit begrenzt. Dies hat
vor allem zwei Gründe. Erstens beziehen sich die Messungen auf die Lotrichtung und nicht
auf die gewünschte Ellipsoidnormale, wobei die Differenz zwischen diesen beiden
Richtungen, die Lotabweichung bis zu 30 Bogensekunden betragen kann (. Ignoriert man den
Unterschied zwischen der Richtung der Ellipsoidnormalen und der Lotrichtung so ergibt sich
bei einer Abweichung von zum Beispiel 10’’ zwischen Lotrichtung und Ellipsoidnormale ein
Fehler von circa 300 m für die Position auf der Erdoberfläche. Zweitens waren die
Messungen,
aufgrund
von
Refraktion
und
der
Unvollkommenheit
der
Beobachtungsinstrumente, nie genauer als 0,1 Bogensekunden (nur in Ausnahmefällen –
astronomische Observatorien - wurden höhere Genauigkeiten erreicht). Dies entspricht jedoch
auf der Erde einer theoretischen Positionsgenauigkeit von ungefähr 3 m.
Erst in den vergangenen 50 Jahren ist es durch die Einführung von Satellitenverfahren in der
Geodäsie, insbesondere das GPS System, möglich geworden die ellipsoidischen
geographischen Koordinaten ϕ und λ mit cm Genauigkeit direkt zu messen. Damit wurde eine
der Hauptaufgaben der Astronomischen Geodäsie überflüssig, zu deren Lösung sie aus den
vorgenannten Gründen jedoch immer nur bedingt geeignet war. Heute beschränkt sich die
Aufgabe der geodätischen Astronomie auf die Bestimmung der Lotabweichungskomponenten
ξ = Φ −ϕ
und
η = cos Φ(Λ − λ) .
Die gewonnen Werte werden neben Gravimetermessungen für die Modellierung des
Erdschwerefeldes, die so genannte Geoidbestimmung, genutzt. Zwar kommt der Entwicklung
hochgenauer Geoidmodelle gerade durch die Verbreitung von GPS eine wichtige Rolle zu,
allerdings ist auch in diesem Zusammenhang, aufgrund des verhältnismäßig großen
Messaufwandes, ein Rückgang der astronomischen Verfahren zugunsten flächenhafter
Gravimetermessungen festzustellen.
Die Hinweise auf die praktische Durchführung der Astronomischen Beobachtungen beziehen
sich größtenteils auf den Stand der Technik in den 1960er Jahren. Zu dieser Zeit waren
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astronomische Beobachtungen noch ein unentbehrliches Hilfsmittel in der Geodäsie und die
Technik für die damaligen Verhältnisse entsprechend ausgereift. Seit der Einführung der
Satellitenverfahren hat die geodätische Astronomie stetig an Bedeutung verloren und spielt
heute so gut wie keine Rolle mehr. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, (Entwicklung von
Zenitkammern, CCD Theodolite u.ä.) hat daher auch kaum noch Fortschritt in Technik und
Auswerteverfahren stattgefunden (Schödlbauer 2000).
2 Koordinatensysteme
Bevor wir speziell auf einzelne Beobachtungsverfahren eingehen, sollen zunächst einige
wichtige Koordinatensysteme skizziert werden:
2.1. Das stellare Fundamentalsystem α, δ System (ICRS)
In diesem am Frühlingspunkt E (= Schnittpunkt der Ekliptikebene mit dem Erdäquator) und
der Rotationsachse der Erde ausgerichteten System werden die Koordinaten der Fixsterne,
Rektazension α und Deklination δ, angegeben (Abb. 2). Seit 1998 wird statt des bisherigen
auf der Beobachtung von Fixsternen beruhenden stellaren Systems das so genannte
Quasarsystem verwendet, das jedoch mit dem stellaren System konsistent gehalten wird. Das
Quasarsystem stützt sich auf die Beobachtung von sehr weit entfernt liegenden Radioquellen
für die bislang keine Eigenbewegung gemessen werden konnte. Dadurch stellt es die beste
Annäherung an ein Inertialsystem dar und dient heute zur Festlegung des ICRF (International
Celestial Reference Frame) (Torge 2003).
Abbildung 2: Die Koordinaten α,δ der Fixsterne
2.2. Das erdfeste Φ, Λ System
(ITRS)
Neben dem raumfesten stellaren System wird für die Beschreibung der Lotrichtung ein
erdfestes Bezugsystem benötigt. Ein solches System entspricht prinzipiell dem
astronomischen Fundamentalsystem mit dem Unterschied das der Meridian von Greenwich
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als Bezugsrichtung für die Astronomische Länge Λ festgehalten wird (Schödlbauer 2000). Die
Rotation zwischen dem erdfesten und dem astronomischen System in der Äquatorebene, kann
durch den Winkel GAST (Greenwich Apparent Siderial Time) beschrieben werden
(Abbildung 2). Auf Grund der Unregelmäßigkeit der Erdrotation ist jedoch auch die
momentane Lage der Drehachse zu modellieren. In der Praxis müssen deshalb beim Übergang
vom ICRS in das ITRS die so genannten Erdorientierungsparameter berücksichtigt werden.
Nach Torge (2003) gilt für die vollständige Beschreibung der Transformation vom ICRS ins
ITRS die folgende Gleichung
X ( ITRS ) = R 2 ( − xP )R 1 ( − y P )R 3 (GAST ) N (t )P (t ) X ( ICRS )
t
X(ICRS)
X(ITRS)
N
P
R3(GAST)
R2(−xP )R1(−yP )
(2.1)
Zeitpunkt der Beobachtung
dreidimensionale Position im ICRS
dreidimensionale Position im ITRS
Nutationsmatrix
Präzessionsmatrix
Erdrotationsmatrix, abhängig von GAST
Polbewegungsmatrix
Gewöhnlich werden die Unregelmäßigkeiten der Erdbewegung infolge von Präzession und
Nutation schon bei der Berechnung der scheinbaren Örter der Gestirne berücksichtigt. Der
Bezug zum vereinbarten Pol des ITRS oder auch CIO (Conventional International Origin)
wird erst ganz zum Schluss durchgeführt, dass heißt Messungen und Auswertung beziehen
sich ausschließlich auf den Momentanpol zum Beobachtungszeitpunkt. Es gilt also zunächst
Λ = α - GAST .
(2.2)
HNP Himmelsnordpol
E
Frühlingspunkt
P
Beobachtungspunkt
τ
Stundenwinkel des Sterns
Λ
astronomische Länge
GAST Greenw. Appar. Siderial Time
α
Rektazension
Abbildung 3: Zusammenhang zwischen stellarem und erdfestem Bezugssystem
Als Abwandlung des erdfesten Φ,Λ System ist noch das Stundenwinkelsystem von Bedeutung.
In diesem System wird die Richtung zu einem Stern durch den Stundenwinkel t angegeben.
Dieser Winkel wird in der Äquatorebene rechtsläufig vom Ortsmeridian des
Beobachtungspunktes zum Stern gemessen (Abbildung 2). Es gilt
τ = GAST + Λ − α .
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(2.3)
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2.3. Das lokale Zenitsystem – z, A System (Beobachtungssystem)
Das an der Zenitrichtung ausgerichtete lokale Beobachtungssystem (Abb.4) wird praktisch
durch das Beobachtungsinstrument (z.B. Theodolit) realisiert. Im Gegensatz zum globalen
erdfesten System handelt es sich um ein linkshändiges Koordinatensystem, bei dem die e1
Achse nach Norden, orientiert ist. Die Transformation in das Stundenwinkelsystem (δ,τ ) wird
in Abschnitt 7 hergeleitet. Dabei wird die lokale Zenitbasis gedanklich in den Ursprung des
stellaren Systems verschoben. Dies ist erlaubt, da sich die Richtungen zu den sehr weit
entfernten Fixsternen nicht bzw. nicht messbar ändern. Die Transformation kann dann einfach
durch eine Rotation und zwei Spiegelungen beschrieben werden.
Abbildung 4: Das lokale Zenitsystem im Beobachtungspunkt
3 Zeitsysteme
Wie aus dem vorhergehenden Abschnitt leicht ersichtlich ist, haben wir es bei der
Beobachtung von extraterrestrischen Zielen von der Erde aus mit zwei sich gegeneinander
bewegenden Koordinatensystemen zu tun. Das heißt die Transformation zwischen den
Systemen ist zeitlich variant. Um die Beobachtungen und die Koordinaten der Fixsterne
gemeinsam in Bezug zusetzen, ist es daher unbedingt notwendig geeignete Zeitsysteme zu
verwenden mit deren Hilfe der Zeitpunkt der Messung in das jeweils andere System
transformiert werden kann. Heute sind zu diesem Zweck vor Allem 2 Zeitsysteme von
Bedeutung: UTC (Universal Time Coordinated) und UT1 (auch Weltzeit).
Eine typische, bei der Astronomischen Ortsbestimmung anfallende, Aufgabe ist die
Umrechnung des Beobachtungszeitpunktes gemessen in UTC in die momentane Sternzeit
Greenwich GAST. GAST beschreibt die momentane Ausrichtung des erdfesten Systems Φ, Λ
zum raumfesten System α, δ. Astronomische Messungen werden heute in der Regel in UTC
durchgeführt, da dieses Zeitsystem durch Zeitzeichensender weltweit sehr präzise realisiert
werden kann. Die UTC orientiert sich an der künstlich erzeugten, äußerst gleichförmigen
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Atomzeit TAI, die jedoch gänzlich unabhängig von der, für die Astronomie wichtigen,
Erdrotation erzeugt wird. Um trotzdem von UTC auf den momentanen Rotationsstatus der
Erde UT1 schließen zu können, bedient man sich daher dem Differenzwert DUT1 der in
regelmäßigen Abständen vom IERS mit hoher Genauigkeit bestimmt und veröffentlicht wird.
Der Übergang von GMST (Greenwich Mean Siderial Time) auf GAST erfolgt schließlich
durch Berücksichtigung der Korrekturen aus einem Nutationsmodell.
Die Berechnung von GAST aus UTC erfordert demnach die folgenden Schritte:
1. Umrechnung von UTC in UT1
UT1 = UTC + DUT1
(3.1)
(mit Hilfe des Erdorientierungsparameters DUT1)
DUT1…vom IERS zur Verfügung gestellt (früher BIH)
2. Übergang von UT1 auf GMST
(durch festen funktionalen Zusammenhang)
GMST = 24110.54841 + 8640184.812866 ⋅ T + 0.093104 ⋅ T 2 − 6.2 ⋅10 −6 T 3 + UT 1
M −1
S 

mit T =  0.5 + ( J − 2000) ⋅ 365.25 + ∑ D ( m ) + D − 1 +
 / 36525
∑
86400 
m =1

3. Berechnung von GAST aus GMST
(3.2)
J,M,D,S seit J2000.0
(Berücksichtigung der Nutationskorrektur ∆n)
GAST = GMST + ∆n
(3.3)
mit ∆n = ∆Ψ cos ε + 0.00264' ' sin Ω + 0.000063' ' sin 2Ω
wobei Ψ = Nutation in Länge, ε = Schiefe der Ekliptik und Ω = mittl. Länge des Mondbahnknotens
4 Die Koordinaten der Fixsterne – Der Fundamentalkatalog
Um aus der Beobachtung von Fixsternen die Lotrichtung im Beobachtungspunkt ableiten zu
können, müssen natürlich die Koordinaten der Sterne zum Beobachtungszeitpunkt bekannt
bzw. berechenbar sein. Praktisch geht man dabei so vor, dass man zunächst die Koordinaten
der Fixsterne im „quasiraumfesten“ Stellaren System bestimmt und dann die kinematischen
Beziehungen zwischen dem quasiraumfesten und dem Erdfesten System ableitet. Der Begriff
quasiraumfestes Bezugssystem soll andeuten, dass sich die Koordinaten der Fixsterne
aufgrund ihrer Eigenbewegung verändern, also streng genommen kein Inertialsystem
definieren. Man behilft sich daher damit, dass man die Sternpositionen zu einem bestimmten
Zeitpunkt, der so genannten Fundamentalepoche, festhält. Die zugehörigen Koordinaten α
und δ sind im zugehörigen Fundamentalkatalog zusammengefasst. Der wichtigste und
modernste ist der Fundamentalkatalog FK6. Er beinhaltet 878 + 3272 Sterne mit einer
Genauigkeit von ca. 0,01“.
Der FK6 weißt gegenüber seinem Vorgänger dem FK5 (Abb.5) eine deutlich verbesserte
Genauigkeit auf. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass bei der Berechnung die
Beobachtungen des Astrometriesatelliten Hipparcos (High Precision Parallax Collecting
Satellite) berücksichtigt wurden. Da mit Hilfe dieses Satelliten Messungen außerhalb der
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Erdatmosphäre durchgeführt wurden, konnten die Richtungen zu den Fixstern mit bisher
unerreichter Genauigkeit (ca. 0,003“) gemessen werden. Abbildung 3 zeigt einen Ausschnitt
aus dem FK5 mit der Fundamentalepoche J2000 (= 01.01.2000 12 h Ortszeit Greenwich) mit
dem Polarstern (αUMi) in der dritten Zeile.
Abbildung 5: Auszug aus dem FK5
5 Die scheinbaren Sternörter – Apparent places of the stars
Wie bereits festgestellt, besteht eine wichtige Besonderheit astronomischer Messungen darin,
dass sich der Beobachter in einem bewegten Bezugsystem befindet. Zudem sind auch die
Fixsterne dauernd in Bewegung. Aufgrund ihrer großen Entfernung ist diese Bewegung für
einen Beobachter auf der Erde zwar kaum feststellbar (der schnellste derzeit bekannte
Fixstern ist, mit v = 10.36“/J, Barnards Stern im Sternbild Ophiuchus), aus langjährigen
astronomischen Beobachtungen wurden jedoch die Geschwindigkeiten µ und µ’ in Richtung
von Rektazension bzw. Deklination für alle Fundamentalsterne bestimmt und in den
Fundamentalkatalog mit aufgenommen. Auf diese Weise kann die Sternposition mit Hilfe der
Differenz zwischen Beobachtungszeitpunkt T und Fundamentalepoche T0 jederzeit um den
Einfluss der Eigenbewegung korrigiert werden. Die Eigenbewegung der Fixsterne ist auf
diese Weise mit ausreichender Genauigkeit modelliert. Es verbleiben die folgenden die
Messung der Richtungen zu einem Stern beeinflussenden Effekte:
-
Rotation der Erde um ihre Achse
Umlauf der Erde um die Sonne
Präzession und Nutation
Polbewegung
Abberation des Lichts durch die Erdrotation
Relativistische Lichtablenkung
Atmosphärische Refraktion
Alle diese Effekte haben einen signifikanten Einfluss auf die beobachtbaren scheinbaren Örter
der Gestirne, können aber im Rahmen dieser Darstellung nicht behandelt werden. Wir
beschränken uns daher auf zwei der wichtigsten Effekte, nämlich die Erdrotation und die
Refraktion in der Atmosphäre.
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5.1 Die scheinbare Bewegung der Fixsterne aufgrund der Erdrotation
Einem Beobachter auf der Erde scheint es als würden sich die Sterne am Himmel über ihm
auf konzentrischen Bahnen um den Himmelspol bewegen. Abbildung 6 zeigt eine so genannte
Sternspurenphotographie. Bei solchen Aufnahmen wird ein Foto des Sternenhimmels für
mehrere Stunden belichtet und so die Bewegung der Sterne auf den Film gebannt. Das
gemeinsame Zentrum der kreisförmige Sternbahnen ist der Himmelspol (in diesem Bild der
südliche), das heißt die Richtung der Rotationsachse der Erde.
Abbildung 6: Sternspuren des südl. Sternhimmels - Namibia
Tatsächlich hängt die scheinbare Bewegung der Fixsterne natürlich mit der Drehung der Erde
und damit des Beobachtungsortes zusammen. Die Folgende Skizze (Abb.7) verdeutlicht die
Situation eines Beobachters auf der Erdoberfläche.
Abbildung 7: Die lokale Horizontalebene des Beobachters und die scheinbare Bahn der Gestirne
Die Kenntnis der scheinbaren täglichen Bewegung der Gestirne ist insbesondere auch für die
Planung des Beobachtungsprogramms, z.B. die Sternauswahl von großer Bedeutung (Sigl
1978).
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5.2 Refraktion in der Erdatmosphäre
Der Einfluss der Refraktion auf die scheinbaren Örter der Sterne ist die Hauptursache für die
begrenzte Genauigkeit der astronomischen Beobachtungen. Die Ablenkung der Lichtstrahlen
erreicht für flache Zielungen (z ≈ 90°) ungefähr 1/2° zum Lot hin. Als anschauliches Beispiel
für Richtung und Größe des Einfluss betrachte man die untergehende Sonne. Ein Beobachter
auf dem Ozean kann die Sonne (d ≈ 1/2 °) noch vollständig sehen obwohl sie geometrisch
schon hinter dem Horizont verschwunden seien müsste (Schödlbauer 2000). In Richtung des
Zenits nimmt die Refraktion naturgemäß ab, hat aber immer noch einen maßgeblichen
Einfluss auf die beobachtete Sternposition. Durch Refraktionsmodelle sowie geeignete
Messanordnung kann man zwar einen Großteil des Fehlers beseitigen, die Genauigkeit bleibt
aber grundsätzlich beschränkt.
5.3 Astronom. Jahrbücher und Interpolation von Sternpositionen
Da die Berechnung der scheinbaren Orte zu den Gestirnen sehr aufwendige und
fehleranfällige Berechnungen erfordert, wurde dies in den seltensten Fällen vom jeweiligen
Beobachter selbst durchgeführt. Stattdessen übertrug man diese Aufgaben entsprechenden
Organisationen. Diese veröffentlichen ihre, für ein Jahr im Voraus berechneten, Ergebnisse in
Astronomischen Jahrbüchern. Das bekannteste und genaueste dieser Jahrbücher bezogen auf
die Sterne des Fundamentalkataloges ist das APFS (Apparent Places of the Fundamental
Stars). Das APFS (Abb.8) beinhaltet die scheinbaren Orte aller Fundamentalsterne in einem
Intervall von 10 Tagen, für Sterne nahe dem Himmelspol sogar täglich. Aus diesen Angaben
kann nach verschiedenen Algorithmen (weit verbreitet ist das Verfahren nach Bessel) die
Sternposition interpoliert werden.
Abbildung 8: Auszug aus dem APFS mit einigen 10-Tages-Sterne
6 Instrumentarium
Das bei der Astronomischen Ortsbestimmung am häufigsten verwendete Instrument, zur
Messung von Zenit- und Horizontalwinkeln, ist ein Theodolit höchster Genauigkeitsklasse,
häufig auch als Universalinstrument bezeichnet. Zu den bekanntesten Modellen gehörten das
Wild T4 Universalinstrument (Abbildung 2) und das Kern DKM3-A.
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Abbildung 9: Wild T4 Universalinstrument für Astronomisch-geodätische Beobachtungen
Daneben gab es für einige Beobachtungsverfahren speziell entwickelte Instrumente. Zu den
ebenfalls sehr weit verbreiteten Geräten gehören die so genannten Prismenastrolabien.
Abbildung 3 zeigt ein solches Gerät, das aus einem automatischen Nivellier (Zeiss Ni2) und
einem Prismenvorsatz besteht. Das Prisma lenkt den Zielstrahl um einen festen Winkel ab, so
dass sich ein fest vorgegebener Zenitwinkel ergibt.
Abbildung 10: Zeiss Ni2 mit Astrolabvorsatz
Für die Zeitmessung wurden anfangs einfache Stoppuhren und später zunehmend
aufwendigere elektronische Zeitregistrierungssysteme verwendet. Eine häufig verwendete
Einrichtung war das „unpersönliche“ Mikrometer, bei dem ein verschiebbares Fadenkreuz,
über einen gewissen Zeitraum, die Verfolgung eines Sterns ermöglicht. Währenddessen wird
bei bestimmten Stellungen des Mikrometers über elektrische Kontakte eine Zeitmessung
ausgelöst. Um eine der Breitenbestimmung vergleichbare Genauigkeit von wenigen
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Zehntelbogensekunden auch in der Astronomischen Länge zu erreichen, muss die Zeit auf ca.
0.04 s (UTC) genau gemessen werden. Dies war für einen menschlichen Beobachter nicht zu
leisten. Vor allem deshalb war die Längenbestimmung früher deutlich schlechter (Faktor 15)
als die Breitenbestimmung.
7 Beobachtungsverfahren
Aufgrund der scheinbaren Bewegung der Ziele in der Astronomischen Geodäsie ergeben sich
einige Besonderheiten im Bezug auf die Beobachtungstechniken. Da neben den eingestellten
Richtungen auch der Zeitpunkt der Beobachtung gemessen werden muss, ist es in der Regel
nicht möglich Zenitwinkel und Horizontalkreis gleichzeitig präzise einzustellen. Stattdessen
geht man häufig so vor, dass man entweder nur Horizontal- oder nur Zenitwinkel misst. Dazu
stellt man das Fernrohr so ein, dass der Horizontal bzw. Vertikalfaden die scheinbare Bahn
des gewählten Sterns schneidet und misst den Zeitpunkt zu dem der Stern den entsprechenden
Faden passiert („Durchgang des Sterns“). Zur Genauigkeitssteigerung wurden hierbei häufig
Strichkreuzplatten mit mehreren parallelen Fäden benutzt und die Ablesungen gemittelt. Ein
weiteres Problem, das durch die Bewegung der Sterne entsteht, ist, dass es im Allgemeinen
nicht möglich ist die Instrumentenfehler durch Messung in beiden Lagen zu eliminieren. Dies
ist äußerst ungünstig, da bei Astronomischen Beobachtungen sehr steile Visuren auftreten, die
entsprechend stark verfälscht werden. Durch geschickte Beobachtungsverfahren kann dieses
Problem aber zum Teil umgangen werden.
Abbildung 11: Blick durch das Beobachtungsfernrohr auf den Sternenhimmel (Fernrohrvergrößerung ≈10-fach)
Auf Grundlage dieser Einschränkungen wurde in der geodätischen Astronomie eine Vielzahl
von Beobachtungsverfahren entwickelt. Als Beispiel sei hier die Bestimmung von
Astronomischer Breite Φ und Länge Λ aus Zenitdistanzen bei bekannter Beobachtungszeit
t(UTC) vorgestellt.
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7.1 Herleitung der Beobachtungsgleichung für Zenitdistanzmessungen
Die Richtung von einem Beobachtungsort auf der Erde zu einem Stern kann in zwei
Koordinatensystemen beschrieben werden (Schödlbauer, 2000).
1. Durch Zenitdistanz z und Azimut A in der lokalen Zenitbasis (Beobachtungssystem).
T
sin z cos A
r 
r
eS =  sin z sin A  e i

 cos z
[ ]
(7.1)
Z
2. Durch Deklination δ und den Stundenwinkel τ im stellaren System.
T
cos δ cosτ 
r 
r
eS =  cos δ sin τ  e i


sin δ
[ ]
H
mit
τ = GAST + Λ − α
(7.2)
Die beiden Basen stehen in folgender Beziehung:
[ ]
r
ei
Z
1
= S 
 
2


(
90
°
− Φ)
R


[ ]
 2  ri
 S  e
H
− sin Φ 0 cos Φ 
r
=  0
−1
0  e i
 cos Φ
0 − sin Φ 
[ ]
(7.3)
H
Somit ergibt sich der Vektor der Sternkoordinaten in der lokalen Zenitbasis
T
sin z cos A
r 
r
eS =  sin z sin A  e i
 cos z

T
[ ]
Z
− sin Φ cos δ cosτ + cos Φ sin δ 
 er i
= 
− cos δ sin τ

 cos Φ cos δ cosτ + sin Φ sin δ 
[ ]
(7.4)
Z
und daraus durch Vergleich der Komponenten die 3 Gleichungen
sin z cos A = − sin Φ cos δ cos τ + cos Φ sin δ
(7.5)
sin z sin A = − cos δ sin τ
(7.6)
cos z = cos Φ cos δ cosτ + sin Φ sin δ
(7.7).
Insbesondere die letzte Gleichung (3) ist als Beobachtungsgleichung für Zenitdistanzen von
zentraler Bedeutung. Sie stellt die Verbindung her, zwischen der an einem Ort gemessenen
Zenitdistanz zu einem Stern und der Astronomischen Breite φ und Länge Λ bzw. τ (GAST, Λ,
α) des Beobachtungsortes.
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7.2 Beobachtungsgleichung für Meridianzenitdistanzen
Bei näherer Betrachtung von Gleichung (3)
cos z = cos Φ cos δ cosτ + sin Φ sin δ
(7.8)
stellt man fest, dass sich für τ =0 eine Vereinfachung der Beobachtungsgleichung ergibt.
cos z = cos Φ cos δ + sin Φ sin δ
(7.9)
Mit Hilfe des Additionstheorems (Bronstein S. 80)
cos(α − β ) = cos α cos β + sin α sin β
(7.10)
erhält man daraus
cos z = cos(Φ − δ )
also
z = Φ − δ oder z = δ − Φ . (7.11)
Was bedeutet τ =0 praktisch? Es gilt
τ = GAST + Λ − α = 0
⇔
GAST + Λ = α
Das bedeutet, die Bedingung τ =0 ist dann erfüllt wenn sich der beobachtete Stern in der
Meridianebene des Beobachtungsortes befindet (Abb.2).
7.3 Linearisierte Beobachtungsgleichung für Zenitdistanzen
Die weiter oben hergeleitete Beobachtungsgleichung für Zenitdistanzen
cos z = cos Φ cos δ cosτ + sin Φ sin δ
(7.12)
ist offenbar hin höchstem Maße nicht linear. Bei näherungsweise bekannter astronomischer
Länge Λ0 und Breite Φ0 ist jedoch eine Linearisierung der Beobachtungsgleichungen möglich.
Dazu berechnet man mit Hilfe des Beobachtungszeitpunktes Näherungen für die beobachtete
Zenitdistanzen z und das Azimute a0. Anschließend entwickelt man die Terme der
Beobachtungsgleichung auf beiden Seiten nach Taylor bis zum linearen Term und subtrahiert
die aus den Näherungswerten berechnete Zenitdistanz z0 mit
cos z 0 = cos Φ 0 cos δ cosτ 0 + sin Φ 0 sin δ .
(7.13)
Man erhält
− sin z 0 dz = (− cos δ cosτ 0 sin Φ 0 + sin δ cos Φ 0 ) dΦ − cos Φ 0 cos δ sin τ 0 dτ
wegen
τ = GAST + Λ − α
z − z 0 = dz =
gilt
dτ = dΛ
und damit
cos δ cos τ 0 sin Φ 0 − sin δ cos Φ 0
cos Φ 0 cos δ sin τ 0
d
Φ
+
dΛ .
sin z 0
sin z 0
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(7.14)
(7.15)
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Mit Hilfe der Formeln
sin z sin a = − cos δ sin τ
(7.16) und
sin z cos a = sin δ cos Φ − sin Φ cos τ cos δ
(7.17)
erhalten wir schließlich die vereinfachten Beobachtungsgleichungen
( z + vz ) − z 0 = dz + vdz = − cos a 0 dΦ − cos Φ 0 sin a 0 dΛ .
(7.18)
Darin bedeutet a0 das aus den Näherungswerten berechnete Azimut.
tan a 0 =
sin τ 0
sin Φ 0 cosτ 0 − tan δ cos Φ 0
(7.19)
Gleichung (7.18) stellt einen einfachen linearisierten funktionalen Zusammenhang zwischen
Beobachtungen und Unbekannten her und kann somit als Grundlage für die Auswertung
beliebig vieler Zenitdistanzen in einer Ausgleichung verwendet werden. In der Praxis ist
natürlich darauf zu achten, dass ein geeignetes Modell zur Berücksichtigung der
atmosphärischen Refraktion angesetzt wird.
Eine Herleitung der Formeln (7.16) und (7.17) aus dem Sinus- bzw. dem Sinuskosinussatz der
sphärischen Trigonometrie ist bei Sigl (1978) zu finden.
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8 Literaturverzeichnis
Böhme, J., et al, 1987 Astronomische Navigation, Transpress VEB Verlag für
Verkehrswesen, Berlin
Hirt, C., 2004 Entwicklung und Erprobung eines digitalen Zenitkamerasystems für die
hochpräzise Lotabweichungsbestimmung Dissertation, Universität Hannover, Fachrichtung
Vermessungswesen Nr. 253
Kaniuth, K. u. Stuber K., 1978 Die Astrogeodätischen Lotabweichungsbestimmungen der
Abteilung I des Dt. Geodät. Forschungsinstituts auf den Punkten des DHDN in den Jahren
1966-1977, Deutsche Geodätische Kommission, Reihe B: Angewandte Geodäsie, Heft Nr.
229
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Wikipedia
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