6 Kreisbewegung Ein einäugiges Monster? Eine Kaffeemühle? Nein, eine Zentrifuge für Astronauten. Warum die NASA ihre Astronauten durchschleudert und was die Astronauten dabei durchmachen – dies erfahren Sie in diesem Kapitel Quelle: images.jsc.nasa.gov 6.1 Gleichförmige Kreisbewegung Ein Körper bewegt sich genau dann mit konstanter Geschwindigkeit auf einer Kreisbahn, wenn er dauernd eine zum Kreismittelpunkt hin gerichtete Kraft erfährt. Diese Kraft nennt man Zentripetalkraft Fz. Sie ist keine neue physikalische Kraft! Die Zentripetalkraft hält ein Objekt auf einer krummen Bahn, respektive Kreisbahn! Die häufig im Zusammenhang mit Kreisbewegungen genannte Zentrifugalkraft ist eine Scheinkraft. Für die weiteren Diskussionen innerhalb dieses Themas vergessen Sie bitte den Begriff. 6.2 Die Zentripetalbeschleunigung Betrachten wir ein Auto, das sich mit konstanter Geschwindigkeit auf einer Kreisbahn bewegt. Zeichnen wir zunächst einmal alle auf das Auto wirkenden Kräfte ein. Die Gewichtskraft und die Normalkraft heben sich auf. Ebenso die Motorenkraft und die Fahrwiderstandskraft, weil das Auto mit konstanter Geschwindigkeit unterwegs sein soll. Es bleibt als Resultierende Kraft also nur die Haftreibungskraft übrig, welche verhindert, dass das Auto aus der Kurve fliegt. Betrachten wir obige Abbildung ein wenig genauer und machen uns eine neue Skizze – diesmal von oben. Offensichtlich wirkt auf das Auto eine resultierende Kraft, welche zum Kreismittelpunkt hin gerichtet ist. Diese Kraft entspricht in diesem Fall natürlich der Haftreibung. Das Vorhandensein einer Kraft ist gleichbedeutend mit der Aussage, dass der Wagen zum Kreismittelpunkt hin beschleunigt wird. Ohne die Haftreibungskraft (Glatteis) würde sich das Auto in der Zeit t von Punkt P1 nach Punkt P2 bewegen. Tatsächlich befindet es sich nach der Zeit t aber im Punkt P’2, der auf der Kreisbahn liegt. Die Haftreibungskraft hat also hier dafür gesorgt, Kantonsschule Solothurn, Reto Basler Stotzer, www.physica.ch 2 dass der Wagen nicht um die Strecke s nach aussen gerutscht ist. Der Grund liegt eben in einer Beschleunigung a, welche wir nun herleiten wollen. Wir berechnen das rechtwinklige Dreieck mit den Seiten vt, r und r + s. aufgelöst ergibt sich (r + s ) 2 = (vt ) 2 + r 2 r 2 + 2 sr + s 2 = v 2 t 2 + r 2 oder s (2r + s ) = v 2 t 2 . Wenn man nur sehr kleine Zeiten t betrachtet, so ist die Strecke s sehr viel kleiner als der Radius r. Damit kann man h in der Klammer vernachlässigen und man erhält: 2rs ≈ v 2 t 2 oder 1 v2 s≈ 2 r 2 t . Zusätzlich wissen wir, dass im Problem eine konstante Beschleunigung vorliegt, so 1 dass für die Strecke s = at 2 gilt. Vergleicht man die beiden letzten Ausdrücke, so 2 stellt man fest, dass für die Beschleunigung des Autos a= v2 r geschrieben werden kann. Jedes Objekt, welches sich gleichförmig auf einer Kreisbahn bewegt, erfährt eine Zentripetalbeschleunigung, welche stets zum Kreismittelpunkt hin gerichtet ist. Bewegt sich ein Teilchen mit konstanter Geschwindigkeit auf einer Kreisbahn, so ist es oft zweckmässig anzugeben, wie lange es für einen vollen Umlauf benötigt. Diese Zeit nennt man Periode T. Ist der Radius des Kreises r, so legt das Teilchen während eines Umlaufs den Weg 2πr zurück. Für die Bahngeschwindigkeit gilt dann v= 2πr =ω ⋅ r . T 2π für die Kreisfrequenz verwendet hat. Die Kreisfrequenz gibt an, T welcher Winkel im Bogenmass pro Zeiteinheit vom Radiusvektor überstrichen wird. 1 Häufig wird auch der Kehrwert der Periode gebraucht. Man nennt diese Grösse T 1 Frequenz f = . Sie gibt an, wie viele Umdrehungen ein Objekt pro Sekunde macht. T Die Einheit der Frequenz ist das Hertz (Hz). Die Frequenz f und die Kreisfrequenz ω sind nicht zu verwechseln – zwischen ihnen besteht die Beziehung ω = 2π f . Wobei man ω = Kantonsschule Solothurn, Reto Basler Stotzer, www.physica.ch 3 Die NASA oder das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt testen ihre zukünftigen Astronauten in riesigen Zentrifugen. Dadurch simuliert man die beim Start der Rakete auftretenden Kräfte. Der Astronaut erfährt dabei eine Zentripetalbeschleunigung, welche ein Mehrfaches der Erdbeschleunigung beträgt. Bei solchen Beschleunigungen (meistens in vielfachen von g angegeben), rutschen z.B. die Organe und das Blut nach unten (oder nach oben). Dies kann so weit gehen, dass das Gehirn nicht mehr genügend durchblutet wird und der Astronaut in die Bewusstlosigkeit fällt (bei Quelle: www.lrt.mw.tum.de etwa 10g). Beispiel: Welche Beschleunigung erfährt ein Astronaut in einer Zentrifuge, wenn er 5 m vom Drehzentrum entfernt platziert wird und mit 21 Umdrehungen pro Minute geschleudert wird? Lösung: Die Periodendauer beträgt T = 60 s . Es folgt für die Zentripetalbeschleunigung 21 v 2 ω 2 ·r 2 m 2·π a= = = ω 2 ·r = ·r = 24.2 2 ≈ 2.5 g . r r s T 2 Aufgrund der auftretenden Zentripetalbeschleunigungen haben Piloten von Kampfjets spezielle Anzüge, welche sie vor den auftretenden g – Kräften und damit vor einem g-LOC (g-induced Loss Of Consciousness / Bewusstlosigkeit) schützen sollen. 6.3 Die Zentripetalkraft Die Formel für die Zentripetalbeschleunigung haben wir nun hergeleitet. In Kombination mit Newton 2 erhalten wir für die Zentripetalkraft FZ die Formel v2 FZ = m·a = m· = m·ω 2 ·r r Diese Formel wollen wir nun anhand eines Experiments überprüfen. Dazu berechnen wir Fz einerseits aus den Grössen m, r und T, andererseits messen wir Fz direkt mit Hilfe eines Kraftmessers. Kantonsschule Solothurn, Reto Basler Stotzer, www.physica.ch 4 Tabelle: Zeichnung: Messung 1 Messung 2 m [kg] r [m] t [s] Fz gemessen [N] Fz berechnet [N] Fehler [%] 6.4 Arten von Problemstellungen Die im Zusammenhang mit der gleichförmigen Kreisbewegung auftretenden Probleme lassen sich in zwei Kategorien einteilen. Solche, bei denen alle Kräfte senkrecht aufeinander stehen oder parallel sind. Die andere Gruppe umfasst die restlichen Problemstellungen. Grundsätzlich ist das Vorgehen beim Lösen aller Probleme der gleichförmigen Kreisbewegung gleich. Man ermittelt die resultierende Kraft – damit ist die Zentripetalkraft gefunden. 6.4.1 Senkrecht aufeinander stehende Kräfte Beginnen wir mit Problemen, bei denen alle Kräfte senkrecht oder parallel zueinander stehen oder nur eine Kraft vorkommt. Dazu gehören zum Beispiel das Auto in einer Kurve, ein die Erde umkreisender Satellit oder ein Puck, der auf dem Eis an einer Schnur im Kreis herumgewirbelt wird. Beispiel: Ein Auto fahre in eine Kurve, deren Radius 30 m beträgt. Durch Reibung trete eine Zentripetalbeschleunigung von maximal 5 m/s2 auf. Mit welcher maximalen Geschwindigkeit wird das Auto die Kurve durchfahren? v2 = a max r v max = ra max = 30m ⋅ 5m / s 2 = 12.2 m / s = 44 km / h Beispiel: Ein Satellit bewege sich 200 km über der Erdoberfläche mit konstanter Geschwindigkeit auf einer Kreisbahn um den Erdmittelpunkt. Welche Geschwindigkeit besitzt er, wenn wir annehmen, dass die Erdanziehungskraft in dieser Höhe um 6 % geringer ist als direkt auf der Erdoberfläche? Wie lange benötigt er für einen Umlauf? Kantonsschule Solothurn, Reto Basler Stotzer, www.physica.ch 5 Die Beschleunigung ist gegeben durch: a = 0.94·9.81 m/s2 = 9.22 m/s2. Für den Radius der Kreisbahn erhalten wir r = (6370 + 200) km = 6570 km. Somit erhalten wir: v2 = r·a = 6570 km·9.22 m/s2 = 6570000 m·9.22 m/s2 v = 7.78 km/s Die Umlaufzeit T folgt aus T= 2πr 2π ⋅ 6570 km = = 5306 s = 88,4 min . v 7.78 km / s 6.4.2 Probleme mit Winkeln Mit welchem Winkel muss sich ein Fahrradfahrer in die Kurve legen, wenn er mit einer gewissen Geschwindigkeit einen Radius von 10 m fahren will? Welche Zentripetalkraft tritt auch, wenn ein Flugzeug einen Bogen von 500 m mit einer Geschwindigkeit von 200 km/h fliegt? Auch wenn diese Probleme von scheinbar völlig unterschiedlicher Natur sind, so ist auch hier das Vorgehen wieder gleich wie bei den vorherigen Aufgaben. Man bestimmt die Resultierende Kraft. Diese muss – sofern es sich um eine gleichförmige Kreisbewegung handelt – zum Mittelpunkt der Kreisbahn hin zeigen. Beispiel zur Lösung solcher Probleme Fliegt ein Flugzeug in konstanter Höhe, so halten sich die Gewichtskraft und die Auftriebskraft die Waage, wie in nebenstehender Abbildung gezeigt ist. Legt sich das Flugzeug in eine Kurve (die Höhe soll immer noch gleich bleiben), so sind immer noch dieselben zwei Kräfte wirksam – nur sind sie eben nicht mehr antiparallel und die resultierende Kraft ist darum grösser als null. Die Situation der Kräfte am Flugzeug sieht dann aus, wie in der nächsten Abbildung gezeigt ist. Zur Addition zerlegen wir die Auftriebskraft in zwei Komponenten: Eine parallel zur Gewichtskraft und eine senkrecht dazu. Schematisch sieht das dann aus, wie in der nächsten Figur gezeigt wird. Kantonsschule Solothurn, Reto Basler Stotzer, www.physica.ch 6 uuur uur Man erkennt, dass sich FA,P und FG aufheben müssen, wenn das Flugzeug seine Höhe nicht ändert. Es bleibt als resultierenuuuur de Kraft – und somit Zentripetalkraft – nur noch FA,⊥ übrig. Es uur uuuur gilt also FZ = FA,⊥ . Man erkennt ebenfalls, dass für den Winkel uur uuur zwischen FA und FA,P , nennen wir ihn einmal α, die Beziehung tan α = FA,⊥ FA,P gilt. Handelt es sich um einen Fahrradfahrer, der sich in eine Kurve legt, so gelten obige Überlegungen analog, es werden die gleichen Skizzen sein, nur heissen die Kräfte dann halt anders. 6.5 Ungleichförmige Kreisbewegung Bei der ungleichförmigen Kreisbewegung ändert sich die Geschwindigkeit des Objekts auf der Kreisbahn. Dadurch zeigt die resultierende Kraft nicht mehr zum Kreismittelpunkt hin. Weiterhin gilt aber auch hier, dass die Zentripetalkraft einen Körper auf einer krummen Bahn, speziell auf einer Kreisbahn hält! Die nächste Skizze zeigt die Situation bei der ungleichförmigen Kreisbewegung. Wie man sieht, wird die resultierende Kraft in eine radiale und eine tangentiale Komponente zerlegt. Die radiale Komponente entspricht der bekannten Zentripetalkraft. Kantonsschule Solothurn, Reto Basler Stotzer, www.physica.ch 7 6.6 Aufgaben 1) Ein Gegenstand bewege sich mit konstanter Geschwindigkeit v auf einer Kreisbahn mit dem Radius r. Wie ändert sich die Beschleunigung a, wenn v verdoppelt wird? b) Wie ändert sich die Beschleunigung a, wenn r verdoppelt wird? c) Warum ist es unmöglich, dass sich ein Gegenstand exakt um eine scharfe Ecke bewegt? 2) Eine gute Waschmaschine schleudert mit bis zu 1000 Umdrehungen pro Minute. Die wie viel fache Erdbeschleunigung wird dabei erreicht (Durchmesser der Trommel 60 cm)? [335g] 3) Ein Kunstflieger gelange aus einem Sturzflug heraus in eine kreisförmige Flugbahn mit dem Radius r = 300 m. Welche Richtung und welchen Betrag hat die Beschleunigung im tiefsten 2 Punkt des Kreises, an dem die Geschwindigkeit 180 km/h beträgt? [8.33 m/s ] 4) Eine Kugel von 1 kg wird an einer Schnur in einer horizontalen Kreisbahn von 1 m Radius herumgeschwungen. Wie viele Umläufe werden in 1 s ausgeführt, wenn die Horizontalkompo-1 nente der Fadenkraft 100 N beträgt? [1.6 s ] 5) Ein Skifahrer von 75 kg durchfährt mit einer Geschwindigkeit von 10 m/s eine Mulde und eine Welle von je 15 m Krümmungsradius. Wie gross ist die Bodenreaktion im tiefsten Punkt der Mulde und im höchsten Punkt der Welle, wenn die Geschwindigkeit und der Abstand des Schwerpunktes vom Boden als konstant angenommen werden, und der angegebene Krüm2 mungsradius für die Schwerpunktsbahn gilt? (g = 10 m/s ) [1250N, 250N] 6) Um welchen Winkel hat sich ein Fahrradfahrer in die Kurve zu legen, wenn er mit einer Geschwindigkeit von 6 m/s einen Bogen von 12 m Krümmungsradius beschreiben will? [~17°] 7) Ein Bob durchfährt eine Kurve von 20 m Krümmungsradius mit einer Geschwindigkeit von 20 m/s. Welche Neigung sollte die Bahn haben, damit kein seitliches Rutschen stattfindet? Wie gross ist die Zentripetalkraft, wenn die Masse von Besatzung und Schlitten 300 kg beträgt? [63°, 6000N] 8) Ein Jagdflugzeug (1.5 t) beschreibt eine Kurve in horizontaler Ebene und ist dabei 70° nach innen gelegt. Die an den Flügeln angreifende, resultierende Luftkraft steht senkrecht zur Querachse des Flugzeuges (von vorne betrachtet). Wie gross ist der Kurvenradius bei einer Flugzeuggeschwindigkeit von 846 km/h? [2049 m] 9) Eine Lok mit einer Masse von 100 Tonnen durchfährt eine Kurve vom Radius 500 m mit einer Geschwindigkeit von 60 km/h. Welche Zentripetalkraft müssen die Schienen aufbringen a) wenn die Kurve nicht überhöht wäre und [55.6 kN] b) um welchen Winkel müsste man die Kurve überhöhen (Überhöhungswinkel), damit ein mitfahrender Zugspassagier von der Kurve nichts merkt? [3.24°] 10) **Ein Auto durchfährt mit einer Geschwindigkeit von 70 km/h eine Kurve mit 80 m Radius. Mit welcher Verzögerung darf der Fahrer höchstens auf ein plötzlich auf der Strasse erscheinendes Objekt reagieren, wenn er mit seinem Wagen nicht ins Rutschen kommen will (µH=0.7)? Welche maximale Verzögerung wäre auf gerader Strecke bei gleichen Verhältnissen möglich? 2 2 [5m/s , 6.87 m/s ] 11) **Berechnen Sie die Höhe der Hülse an der Achse des Drehzahlreglers als Funktion der Kreisfrequenz. Erstellen Sie anschliessend eine graphische Darstellung. Benutzen Sie dazu die graphischen Funktionen ihres Taschenrechners. Hinweise: Aufpassen, je grösser der Spreizwinkel, desto grösser ist auch der Abstand der Massen von der Achse und damit die Zentripetalkraft. Aufgabe und Lösung wurde dem Leitprogramm Kreisbewegung der ETH Zürich entnommen Kantonsschule Solothurn, Reto Basler Stotzer, www.physica.ch 8 6.7 Ausgewählte Lösungen 10) Bei dieser Aufgabe handelt es sich um eine beschleunigte Kreisbewegung. Die resultierende Kraft zeigt deshalb NICHT zum Kreismittelpunkt hin. Die resultierende Kraft muss aber gerade der maximalen Haftreibungskraft entsprechen. Die Skizze sieht wie folgt aus (auf die Masse kann man gleich verzichten, es darf auch nur mit der Beschleunigung gearbeitet werden). Man erkennt, dass amax = aRe ib − aZ ist. Einge- setzt erhält man 2 amax = ( µH ·g ) 2 v2 m − = 5.16 2 . Auf gerader s r Strasse könnte man hingegen mit einer Verzögerung von amax = µ H ·g = 6.9 m bremsen. s2 l a l⋅x 2 , mit Fz = m ⋅ ω ⋅ r gilt = ⇒r = r x a l·x ω2 ⋅ 2 Fz m ⋅ ω 2 ⋅ r a = ω ·l · x , aber auch tan α = = = FG m⋅ g g g ·a x und somit kann man schreiben tan α = h 2 2 ω 2 ·l 2 ω ·l ·x x = ⇒ x· − = 0 . Die Lösungen dieser h g ·a g ·a h 2 ω 2 ·l 2 − = 0 . Also Quadratischen Gleichung sind x = 0 und g ·a h 11) h= 2· g ·a . h kann aber unmöglich grösser werden als 2a und daher gilt: l ·ω 2 x = 0 und h = 2a h= 2· g ·a l ·ω 2 g und l g für ω > . l für ω< Das Pendel wird sich also bei kleiner Drehung nicht heben. Es braucht dazu eine bestimmte Grunddrehzahl. Die graphische Darstellung von h als Funktion von ω ist: Kantonsschule Solothurn, Reto Basler Stotzer, www.physica.ch 9