Posttraumatische Belastungsstörung

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Posttraumatische Belastungsstörung
Symptomatik - Entstehung - Behandlung
Dr. Silke Huffziger
26.10.2016
Lehrstuhl für Psychosomatik und Psychotherapeutische Medizin
Zentralinstitut für Seelische Gesundheit Mannheim
Was ist ein Trauma?
„Kurze oder langanhaltende Ereignisse von
außergewöhnlicher Bedrohung mit katastrophenartigem
Ausmaß, die nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung
auslösen würden.“
(WHO 1994, ICD-10)
„Tatsächlichem oder angedrohtem Tod, schwerwiegenden
Verletzungen oder sexueller Gewalt ausgesetzt sein“ (APA
2013, DSM-5)
Potentiell traumatisierende Situationen
(Maercker 2009)
Traumatisierung direkt, als Augenzeuge oder indirekt
Symptombild der PTBS
• Wiederkehrende Erinnerungen
Intrusionen, Flashbacks, Alpträume, Belastung bei den Erinnerungen
• Vermeidungsverhalten
bzgl. traumaassoziierter Gedanken oder Gefühle sowie externaler
Stimuli (z.B. bestimmte Personen, Orte, Aktivitäten, Unterhaltungen)
• Veränderung in Denken und Stimmung
Partielle Amnesie, negative Überzeugung über sich oder andere,
Schuldgefühle, negative Emotionalität, verringertes Interesse,
Entfremdung von anderen, fehlende positive Emotionalität
• Übererregbarkeit
Ein- und Durchschlafschwierigkeiten, Reizbarkeit und erhöhte
Aggressivität, Schreckhaftigkeit, Störungen der Konzentration und des
Gedächtnisses, leichtsinniges oder selbstgefährdendes Verhalten
Störungsbild >1 Monat vorhanden, verzögerter Beginn möglich
Nach DSM-5, 2013
Komplexe PTBS
• Schwere Ausprägung einer PTBS nach Typ-II-Traumata
• Patienten zeigen zusätzlich zu Intrusionen, Vermeidung und
Übererregbarkeit
– Schwere Störungen der Emotionsregulation (Scham, Schuld, Ekel,
Selbstverachtung)
– Sehr negatives Selbstkonzept
– Sehr negatives Körperkonzept
– Schwierige Beziehungen
• Komorbidität mit der Borderline Persönlichkeitsstörung:
30-60% (Pagura et al., 2010; Zanarini et al., 2004)
• Komplexe PTBS nicht im ICD-10 enthalten, im ICD-11 geplant
• im DSM-5 dissoziativer Subtyp: Bei Vorhandensein
ausgeprägter Derealisation und/ oder Depersonalisation
Epidemiologie
Ca. 60 % der Amerikaner und ca. 20-30 % der Deutschen
erleben mindestens ein Trauma, von den Betroffenen
entwickelt nur ein kleiner Teil eine PTBS
Lebenszeitprävalenzen für PTBS:
In USA ca. 8% (z.B. Kessler et al. 1995, NCS)
In Europa 2,5% (Alonso et al., 2007, ESEMeD)
Trauma ≠ PosIraumaJsche Belastungsstörung
Weitere Traumafolgestörungen umfassen z.B. die akute
Belastungsstörung, dissoziative Störungen, Borderline
Persönlichkeitsstörung
Epidemiologie
Verlauf der PTBS (Kessler et al., 1995):
– 1/3 Symptomverbesserung innerhalb eines Jahres
– 1/3 Symptomverbesserung innerhalb von 5 Jahren
– 1/3 länger als 10 Jahre
Zeit heilt nicht alle Wunden.
• Exkurs: sexueller Missbrauch (Geschlechtsverkehr) in der
Kindheit bei 9% der Mädchen und 3% der Jungen (Barth et
al., 2013)
Komorbidität
Bei ca. 88% aller Männer und 79% aller Frauen mit PTBS
findet sich in der Lebensgeschichte eine komorbide
psychische Störung (Kessler et al., 1995)
Am häufigsten sind
Affektive Störungen
Andere Angststörungen
Substanzmissbrauch
Somatisierungsstörung
Erhöhtes Risiko körperlicher Erkrankungen (u.a.
kardiovaskuläre, gastrointestinale und immunologische
Erkrankungen, chronische Schmerzen)
Komorbidität ist die Regel.
PTB-Symptomatik muss meist aktiv erfragt werden.
Risikofaktoren für PTBS
Peritraumatisch
• Art des Traumas:
– Je schwerer und länger das Trauma war (Typ-I vs Typ-II Trauma)
– Je lebensbedrohlicher das Trauma empfunden wurde
– Bei Körperlicher Verletzung
– Wenn es durch andere Menschen verursacht wurde („man-made“)
– Risiken für PTBS:
nach Vergewaltigung
nach Krieg
nach Verkehrsunfall
(Flatten et al 2011)
• Dissoziation während und nach dem Trauma
ca. 50%
ca. 50%
ca. 10%
Risikofaktoren für PTBS
Prätraumatisch
• Frühere Traumata
• Eigene oder familiäre Vorgeschichte psychischer Krankheiten
• Niedrige soziale Unterstützung
• Geschlecht (Risiko bei Frauen verdoppelt), Jüngeres Lebensalter zum
Zeitpunkt des Traumas
• Geringerer sozioökonomischer Status, Geringeres Bildungsniveau,
niedrigere Intelligenz
Posttraumatisch
• Weitere belastende Ereignisse, inkl. negativer Folgen des Traumas wie
Arbeitsverlust, Gerichtsverfahren, bleibende körperliche Schäden,
finanzielle Schäden
• Geringe soziale Unterstützung
• Negative Bewertungen, ungünstige Copingstrategien
Entstehung und
Aufrechterhaltung der PTBS
Störungsmodelle
Die Entstehung einer PTBS ist immer als ein Zusammenwirken
von disponierenden Faktoren, Besonderheiten des
einwirkenden Ereignisses und Faktoren im Umgang mit dem
Ereignis zu begreifen.
Störungsmodelle zur Entstehung und Aufrechterhaltung der
PTBS integrieren folgende Faktoren:
Lernprozesse: klassische und operante Konditionierung
Veränderte Gedächtnisprozesse („Traumagedächtnis“,
„pathologische Furchtstruktur“)
Veränderte Grundannahmen (kognitive Schemata)
Neurobiologische Faktoren
Klassische Konditionierung bei PTBS
PTB als klassisch konditionierte emotionale Reaktion
Merkmale der traumatischen Situation werden an emotionale
und körperliche Reaktionen gekoppelt. Stimuli, die den
Bedingungen während der Traumatisierung ähneln, lösen in
der Folge ähnliche Reaktionen wie während des Traumas aus.
Gegenstände
Farben
Ort
Schmerz / Angst
/ Ekel …
Trauma
Gerüche
Geräusche
Personen
Traumagedächtnis
Annahmen von Clark & Ehlers über das autobiographische
Gedächtnis von Traumata (2000)
Ungenügende Elaboration und Einbettung in die Struktur des
Autobiographischen Gedächtnisses (ungenügende Integration
bezüglich Raum, Zeit und vorausgehenden / nachfolgenden
Informationen)
Konsequenzen:
Erinnerungen bruchstückhaft und ungeordnet
Probleme, einzelne Details und die genaue Reihenfolge
abzurufen
Intrusionen vornehmlich als sensorische Eindrücke
Erleben, als würde es gerade geschehen
Siehe Puzzleteile-Metapher
Kognitive Schemata bei PTBS
Anwendung von Becks (1985) Theorie der kognitiven Schemata auf
die PTBS (z.B. Ehlers & Steil, 1995; Clark & Ehlers, 2000)
Das Trauma erschüttert grundlegende kognitive Schemata und
verändert sie in dysfunktionaler Weise oder aktiviert und bestätigt
latent vorhandene dysfunktionale Schemata.
bin
normal
…
vorher
nachher
bin
vertrauensvoll
kann kein
Vertrauen haben
ICH
…
habe die
Zukunft vor mir
werde
verrückt
…
ICH
habe keine
gute Zukunft
bin
schuldig
Aufrechterhaltung der PTBS
• Entscheidend für die Aufrechterhaltung einer PTBS sind
Meidungsstrategien, also ob sich die Betroffenen mit dem
traumatischen Ereignissen auseinandersetzen können
• Operante Konditionierung: die Vermeidung
traumarelevanter Stimuli führt kurzfristig zu einer
Reduktion der Belastung (negative Verstärkung), langfristig
bleiben die Symptome aufrechterhalten
„Die Lösung wird zum Problem!“
Kognitiv-behaviorales Modell
Traumagedächtnis
Dysfunktionale
kognitive Schemata
Eindruck einer weiter
bestehenden
Bedrohung
Vermeidungs- und
Sicherheitsverhalten
Nach Ehlers & Clark (2000)
Neurobiologische Prozesse
• Genetische Polymorphismen (im Kontext neuroendokriner
Regulation, z.B. FKBP5)
• Veränderungen in monoaminergen Systemen (z.B. erhöhtes
Noradrenalin, reduzierte Serotonintransporter)
• Störungen der HHN-Achse (z.B. reduzierte
Cortisolreaktivität)
• Psychophysiologische Veränderungen (z.B. reduzierte HRV)
• Funktionelles Ungleichgewicht in neuronalen Systemen (z.B.
Dysfunktion im präfrontalen medialen Cortex und eine
korrespondierende Hyperaktivität in der Amygdala)
• Neuroanatomische Auffälligkeiten wie geringeres Volumen
des Hippocampus
Michopoulos et al. 2015 Biol Psychiatry
Prävention und Behandlung
der PTBS
Prävention der PTBS
• Indiziert und wirksam bei Betroffenen mit früher
Symptomatik
• in Form von kurzen, traumafokussierten kognitivverhaltenstherapeutischen Interventionen
• Bei Katastrophen wie Terroranschlägen oder
Naturkatastrophen wird supportive, praktische und
pragmatische Hilfe empfohlen
Bisson et al. 2015
Wirksame Interventionen bei PTBS
Traumafokussierte Psychotherapie
– Enthält eine Konfrontation mit der Erinnerung an das
auslösende Trauma (Flatten et al. 2011 S3-Leitlinie)
– robuste Wirksamkeitsnachweise für traumafokussierte
Kognitive Verhaltenstherapie (KVT) und EMDR (Eye
movement desensitisation and reprocessing) (Bisson et
al., 2013)
• Psychopharmakotherapie
nicht als alleinige Therapie Adjuvante Psychopharmakotherapie kann zur Unterstützung der Symptomkontrolle
indiziert sein, ersetzt aber keine traumafokussierte
Psychotherapie (Flatten et al. 2011).
Traumafokussierte KVT
Zwei Standbeine der Therapie
Kognitive Therapie: Belastende Gedanken und Gefühle zum
Trauma oder zu dessen Folgen werden bearbeitet.
Exposition: Dosierte und kontrollierte Konfrontation in sensu
(in der Vorstellung) und in vivo (in der Realität) unter
geschützten therapeutischen Bedingungen
Kontraindikationen:
Akute Suizidalität, akute psychotische Symptomatik, den Pat.
akut gefährdende komorbide Störung (z.B. Drogenabusus,
Essstörung), Täterkontakt mit Traumatisierungsrisiko
Beispiele für Elemente der
Kognitiven Therapie
Bearbeitung von Befürchtungen
Bearbeitung von Schuldgefühlen
Bearbeitung von Befürchtungen
Beispiele:
Befürchtung: „Wenn ich darüber spreche, höre ich nie wieder auf
zu weinen.“
Columbotechnik:
z.B. Wie lange genau würden Sie weinen…?
Realitätsüberprüfung:
z.B. Haben Sie schon einmal erlebt, dass ein Mensch bis an sein
Lebensende weinte….?
Bearbeitung von Schuldgefühlen
Hilfreiche Fragen
Gibt es andere Erklärungen?
Würden andere Menschen das genauso sehen?
Wie haben Sie die Situation damals wahrgenommen?
Wie hätten Sie wissen können, was passieren würde?
Wie hätten Sie gehandelt, wenn Sie gewusst hätten, was
passieren wird?
Warum haben Sie sich so und nicht anders verhalten?
Exposition
Ein Bild zur Traumaverarbeitung
Ein psychisches Trauma ist wie eine seelische Verletzung. Die
Heilung verläuft ähnlich wie bei einer körperlichen Verletzung.
Wenn man sich schneidet, blutet die Wunde. Irgendwann hört die
Blutung auf und die Wunde beginnt sich zu schließen. Darunter ist
das Gewebe noch empfindlich. Kleinste Berührungen können sehr
schmerzhaft sein.
Wenn Keime eingedrungen sind, kann sich Eiter bilden. Dann muß
die Wunde noch einmal geöffnet und gereinigt werden.
Anschließend wird sie versorgt und verbunden.
Die Wunde kann jucken, wenn sie verheilt. Manchmal schmerzt der
ganze Bereich. Irgendwann aber ist die Verletzung ausgeheilt.
Zurück bleibt eine Narbe. Wenn man sie ansieht, erinnert man sich
daran, was gewesen und passiert ist. Aber es tut nicht mehr weh.
Ziele der Exposition
Habituation (nach Foa & Rothbaum, 1998)
entsprechend der Lerntheorie
Elaboration des Trauma-Gedächtnisses und
Bearbeitung der negativen Interpretationen bezüglich
des Traumas (nach Ehlers & Clark, 1999)
entsprechend der Theorien des
Traumagedächtnisses und der kognitiven Schemata
Kontextlernen: die automatisierten assoziativen
Verbindungen des trauma-bezogenen neuronalen
Netzwerkes sollen unterbrochen und mit neuen,
kontext-abhängigen Informationen verknüpfen werden
Vorgehen Exposition
•
Rational erarbeiten
•
Exposition in sensu
– Patientin visualisiert das traumatische Ereignis mit dem
Ziel, möglichst ähnliche Gefühle, Gedanken und
Reaktionen hervorzurufen wie während des Traumas.
– Dies wird mehrfach wiederholt. In der Sitzung wird ein
Tonband aufgezeichnet, dies soll täglich gehört werden.
•
Exposition in vivo
– Aufsuchen von Auslösern von Erinnerungen, belastenden
Gefühlen und vermiedenen Dingen (z.B. Unfallort,
Martinshorn, Gerüche …)
DBT-PTSD nach interpersoneller
Gewalt in der Kindheit
Psychopharmakotherapie bei PTBS
SSRI:
−
Medikamente erster Wahl!
−
Wirksamkeit nicht nur auf (komorbide) depressive,
sondern auch PTBS-spezifische Symptome
−
am besten belegt: Paroxetin, Sertralin, Fluoxetin und
Venlafaxin (Bisson et al., 2015)
Prazosin (alpha-1-adrenoceptor antagonist):
−
Reduktion von Alpträumen (s. auch Bisson et al., 2015)
−
Off-label
Psychopharmakotherapie bei PTBS
Benzodiazepine:
−
In der hausärztlichen Praxis am häufigsten
verschriebene Medikamente bei PTBS!
−
Wirkt nur auf Hyperarousal
−
Cave: bei Einsatz in der Frühintervention höhere PTBS
Raten beobachtet
−
Cave Abhängigkeit!
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